Vorhang auf
Puppenspieler
Prolog: Vorhang auf
Der Vorhang ist geschlossen
Und Furcht raubt mir die Luft
Wer wartet auf mein Kommen
Mein Herz zerreißt die Brust
Ich will euch alles geben
Ich schenk euch meinen Traum
Vorhang auf...
(Unheilig, "Vorhang auf")
Es war pink und auf dem Einband funkelten unzählige, kleine Herzchen und Sterne. Ein metallenes Schloss hielt das kleine Büchlein fest verschlossen und in goldenen Lettern prangte das Wort »Tagebuch« auf dem Buchdeckel.
Man konnte gut und gerne behaupten, dass dieses Teil zwischen all den Papieren, Akten und Berichten, die sich auf Mephistos Schreibtisch türmten, unweigerlich das Augenmerk auf sich lenkte. Rin Okumura hatte es jedenfalls schon längst in seinen Bann gezogen.
Nachdenklich neigte der Teenager seinen Kopf zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. Sollte er...?
Der Schulleiter hatte ihn vor gut vierzig Minuten bezüglich seines Hangs, im Unterricht einzunicken, zu sich bestellt. Nach einer kurzen Strafpredigt, die man nicht ernsthaft als solche bezeichnen konnte, wenn man sie mit den Rügen verglich, die er von dem Alten immer bekommen hatte, war Mephisto jedoch abberufen worden. Irgendwo in der Schule gab es wohl ein akutes Problem. Rin sollte derweil im Büro warten.
Zunächst hatte sich der Teenager all den Schnickschnack angeschaut, den der Prinzipal in gläsernen Vitrinen ansehnlich ausgestellt hatte. Es handelte sich hauptsächlich um Modelkits, Gimmicks und Doujinshis. Rin rollte die Augen. Der Clown hatte eine merkwürdige Auffassung von japanischer Kultur und dem dazugehörigen Lebensstil.
Kurz darauf hatte der Teenager jedoch das Tagebuch entdeckt und haderte seitdem mit sich selbst. Sein Gewissen verbot ihm, das Buch auch nur falsch anzusehen. Seine Neugier hingegen, machte keinen Hehl daraus, dass es ihn reizte herauszufinden, was darin niedergeschrieben stand. Sicherlich nur albernes, unnützes Zeug, aber es wäre sicherlich unterhaltsam, etwas mehr über Mephisto in Erfahrung zu bringen.
Rins akzentuierten Ohren zuckten, als sie herannahende Schritte vernahmen und eine bekannte Stimme durch den Flur hallte. Mephisto!
Ohne weiter darüber nachzudenken, schnappte sich der Teenager das Objekt seiner Begierde und schob es hastig in der Innentasche seines Schulblazers. Gerade rechtzeitig denn Sekunden später öffnete sich die Bürotür und der Schulleiter trat ein.
»Viel Lärm um Nichts!«, scherzte der ältere Dämon und gluckste über seinen eigenen Scherz. »So, Okumura-kun, wie waren wir verblieben?«
»Irgendwo zwischen einer Strafpredigt und deiner Schwärmerei für die Kunst des Ikebanas.«
»Tatsächlich... nun dann hast du sicherlich begriffen, dass du nicht ständig im Unterricht einschlafen solltest. Deine schlechten Angewohnheiten gehen schließlich zurück auf mich, deinen Vormund, und ich habe ein gewisses Image zu wahren. Du kannst jetzt gehen.« Mit einer wegwerfende Handbewegung bedeutete der Schulleiter dem Teenager das Büro zu verlassen.
Entrüstet schnaubte dieser. »Was, das ist alles? Da hättest du mich auch gleich entlassen können, dämlicher Clown!«
Doch dieser ignorierte Rins Protest geflissentlich. Er hatte sich bereits wieder hinter seinen Schreibtisch geklemmt, überflog emsig seine Papiere und setzte unter einige seine Unterschrift, ohne noch einmal aufzublicken.
Rin schüttelte fassungslos und genervt den Kopf, als er die Tür von außen hinter sich schloss. Zeitgleich wanderte seine Hand über die kaum sichtbare Ausbuchtung an seiner Brust. Hoffentlich war es dieses Buch auch wert, dass er dreißig kostbare Minuten seiner Jugend mit sinnloser Warterei vergeudet hatte...
***TBC***