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The Fall of Ideals

von

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The Fall of Love

Colt sah Fireball nach bis dessen Gleiter mit dem Himmelsblau verschmolzen war.

„VERDAMMTER IDIOT!“, brüllte er ihm hinterher, ging mit schweren Schritten nach drinnen und warf die halb verfallene Haustür hinter sich ins Schloss. Mit einem Zug trank er die Flasche leer und warf sie voller Wut in die anderen am Boden. Sie zersprangen in tausend Scherben, aber Colt fühlte sich nicht besser. Also nahm er ein paar andere leere Flaschen und seinen Blaster vom Fensterbrett und ging wieder nach draußen, um sich mit Schießübungen abzulenken. Nacheinander flogen sie in die Luft und Colt traf sie alle, doch auch diese Zerstörungen vermochten nicht, ihn abzukühlen.

Er ließ die Glasscherben, wo sie waren und nahm das nächste Ablenkungsmanöver in Form von alkoholischen Flüssigkeiten in Angriff. Geübt öffnete er eine neue Flasche mit einer Hand und ließ sich auf seine Couch fallen, ehe er einen tiefen, langen Schluck nahm, wobei einiges an seinem Mund vorbei, den Hals hinunter lief und sein Hemd durchnässte. Aber diesmal stellte sich nicht das leichte, wohlige Gefühl wie sonst ein, stattdessen drängte sich ihm die Begegnung mit Fireball auf.

„Dieser verfluchte Rennfahrer!“ Grob wischte mit dem Ärmel über sein Gesicht, trat fest gegen den Tisch und nahm den nächsten Zug. Fireball hatte ihn mit seinen Worten tief getroffen, mehr als er zuzugeben bereit war, und immer wieder tauchte Liz in seinen Gedanken auf, dabei wollte er sich nicht mit diesem … Zeug … beschäftigen. Also stand er wieder auf und streunte ziellos im Haus umher und später auch auf dem ganzen verwahrlosten Grundstück, nur um festzustellen, dass er vor seinen Gedanken einmal mehr nicht weglaufen konnte.

„VERDAMMT!“, brüllte er und trat einen hölzernen Pfosten um, der früher einmal zu einem Weidezaun gehörte. „VERDAMMT! VERDAMMT! VERDAMMT!“ Sein Zorn ließ nicht nach, egal wie sehr Colt tobte. Dazu mischten sich alte Namen und Erinnerungen, die ihn weiter in Rage trieben: wie er zufällig zu den Star Sheriffs gestoßen war, zu dem Team, das einmal die Menschheit vor den Phantomwesen rettete. Er dachte an den Spaß, den er mit seinen Kollegen gehabt hatte, die schnell zu seinen Freunden und schließlich zu seiner Familie geworden waren. Er erinnerte sich daran wie er Fireball damals mehr oder weniger unter seine Fittiche genommen hatte und welchen Unsinn sie gemeinsam verzapft hatten; das brachte ihn direkt zum nächsten Problem – er hatte Fireball immer zur Seite gestanden, wenn es drauf ankam und hatte sich ehrlich für sein Glück gefreut, als er es gefunden hatte. Zur gleichen Zeit ging es mit ihm und Robin bergab und die endgültige Trennung folgte nur wenige Monate später.

„Mach Fireball nicht für deine Entscheidungen verantwortlich!“, meldete sich ein Teil seines Gewissens. „Du warst es doch, der alleine auf nächtliche Touren gegangen und um die Häuser gezogen ist! Dafür kann Fireball nun wirklich nichts!“

„Schnauze!“, erwiderte der andere Teil.

„Du weißt genau, dass ich recht habe! Hast du ihm denn überhaupt ein Sterbenswörtchen von eurer Krise erzählt? Nein, nicht wahr? Niemand trägt die Schuld an deiner Situation außer du selbst! Du hattest alle Trümpfe in der Hand und hast sie nicht eingesetzt!“

„Ich hab Schnauze gesagt!“ Ein langer Zug aus der Flasche folgte, als ob Colt die Stimme seines Gewissens ertränken wollte, was natürlich nicht funktionierte.

„Endlich gibt dir mal jemand einen Arschtritt, damit du aus deinem Selbstmitleid aufwachst. Oder willst du ewig so weitermachen?“, schnaubte das Gewissen.

„Bis mir was Besseres einfällt, schon, du elender Nervtöter! Mir macht’s Spaß!“, erwiderte die andere Seite trotzig. „Und jetzt halt endlich deine vorlaute Klappe!“

„Wie du meinst“, gab sich die Stimme erst einmal geschlagen und Colt betrat schwankend wieder das Wohnhaus und ließ sich etwas unkoordiniert auf die alte Couch nieder.

Einen Moment dauerte es, dann nahm das Karussell wieder an Fahrt auf und brachte diesmal Erinnerungen an sein Leben nach der Zeit als Star Sheriff mit sich. Eigentlich war alles gut mit Robin, so wie man sich eine Bilderbuchehe vorstellte. Aber etwas fehlte. Colt hatte sich immer ein geruhsames Leben gewünscht - zumindest hatte er das immer behauptet und sogar selbst geglaubt - bis er es hatte. Es war schön zu Anfang, erholsam, ruhig und wurde ganz schnell langweilig. Die Action fehlte ihm. Ohne es sich dessen bewusst zu sein, verselbständigte er sich; es fing an mit harmlosen Angelausflügen nachts, dann kamen Wetten dazu und ehe er sich’s versah, war er in die Bars und Saloons zurückgekehrt und atmete wieder die Atmosphäre von Abenteuer und Nervenkitzel. Zuerst waren es nur gelegentliche Besuche, dann blieb er mal über Nacht weg und verfiel schließlich seinem Drang nach Ungebundenheit und Freiheit; das war der Treibstoff, den er zum Leben und für sein Glück brauchte, und auf die er nicht länger verzichten konnte, andererseits würde er ersticken.

Robin, die andere Träume als er hatte, ließ er todunglücklich zurück. Von seinen Freunden, Saber, Fireball und April hörte er hin und wieder etwas – über Kommunikator oder über die Medien, was Saber und Fireball betraf. Er war zufrieden in dieser Zeit und genoss sein neues, altes Leben in vollen Zügen. Bald schon jagte er mit seinem Bronco Buster wieder die gefürchtetsten Verbrecher des Neuen Grenzlandes und strich eine Belohnung nach der anderen dafür ein.

In den Kreisen der Kopfgeldjäger war Colt wieder herzlich aufgenommen worden und ein gern gesehener Gast. Die Stimmung schlug jedoch schnell um, als er wieder zu einer gefährlichen Konkurrenz geworden war. Die anderen Kopfgeldjäger mieden ihn zuerst und warfen ihm scheinbar freundlich gemeinte, herablassende Sprüche an den Kopf. Colt lernte schnell, dass es bitterer Ernst geworden war und er bis aufs Blut gehasst wurde, schlimmer noch als die Verbrecher, die sie alle jagten. Als ehemaliger Star Sheriff und Saubermann hatte er in diesen zwielichtigen Kreisen nichts mehr verloren.

Dann verlor Colt seinen Bronco Buster. An die Geschichte mit dem angeblichen Unfall glaubte er nicht mehr, seit man ihn wenig später mit seinem neuen Schiff während eines lukrativen Auftrags abgeschossen hatte. Noch als er mit seinem Gleiter kämpfte, um der Kollision mit einem Asteroiden zu entgehen, erkannte er die Schiffe anderer Kopfgeldjäger, die an ihm vorbeischossen. Sie hatten sich unbemerkt an seine Fersen geheftet, um ihm die Beute vor der Nase wegzuschnappen und ihn ganz nebenbei zu beseitigen. Unendliche Wut stieg selbst heute noch in ihm auf, wenn diese Bilder vor seinem inneren Auge vorbeizogen und er an das Wrack seines geliebten Bronco Busters denken musste.

Mit Mühe und Not hatte er sich zu Liz geschleppt, die damals bei Luke im Saloon arbeitete, weitab am Rande des Neuen Grenzlandes, aber die nächste menschliche Zivilisation, die von seinen Koordinaten aus in Reichweite war. Halbtot war er dort angekommen und sie hatte sich sofort um ihn gekümmert. Er erinnerte sich noch gut an ihr erschrockenes Gesicht, bevor er zusammengebrochen war.

„Liz“, murmelte er mit halb geschlossenen Lidern und verträumtem, in die Ferne gerichteten Blick. Allein ihren Namen ausgesprochen und gehört zu haben, machte ihm bewusst, dass er sie vermisste, mehr als die anderen Saloongirls, mit denen er sich hin und wieder vergnügt hatte, wie die blonde Helen, den Lockenkopf Lulu oder die rassige Fernanda. Liz war anders – und sie war etwas ganz Besonderes.

Plötzlich war er wieder konzentriert und ballte seine Hand um die Flasche, als er aufsprang.

„Was hast du mit ihr zu schaffen, du verfluchter Trottel?“, knurrte Colt den nicht anwesenden Fireball an, als ihm bewusst wurde, dass er bei Liz gewesen war. Eifersucht brodelte plötzlich in ihm ohne dass er es verhindern konnte. Außerdem war ihm schwindelig und schlecht und er konnte kaum seine Augen offen halten.

„Wenn ich herausfinde, dass du sie auf irgendeine Weise berührt hast, bist du fällig, mein Freund!“, drohte er mit schwerer Zunge, bevor er auf der Couch zusammensackte und reglos in seinem Delirium liegenblieb.
 


 

„Na, geht’s wieder?“, erkundigte sich Liz bei Jesse, als er nach einigen Stunden die Augen aufschlug.

Beim Aufwachen in ein Gesicht zu blicken, noch dazu das einer Frau, war ungewohnt für Jesse und der Schreck ließ ihn wie von der Tarantel gestochen hochfahren. Die Schmerzen jagten ihm direkt in den Kopf und alle Knochen und Muskeln schrien protestierend auf. Stöhnend lehnte Jesse sich nach vorne und stützte seine Stirn auf die Hände.

„Hey, ich bin's doch nur, Liz. Du solltest langsam machen nach deiner Prügelei mit Diego.“ Sie nahm ein kaltes Tuch, das sie ihm in den Nacken legte und strich ihm fürsorglich über den Rücken, damit er sich beruhigte.

Obwohl Jesse es hasste, berührt zu werden, ließ er es geschehen und wehrte sich nicht dagegen, da er ohnehin nicht in der Lage dazu gewesen wäre. Langsam setzte sich sein Denkvermögen wieder in Gang und die Erinnerungen kehrten zurück.

'Diego … richtig.' Vorsichtig, um den Schwindel nicht zu verstärken, drehte Jesse seinen Kopf vorsichtig zu Liz, die er kaum fixieren konnte.

„Diego ist nicht gerade zimperlich mit dir umgegangen, du hast ganz schön was abbekommen“, fasste sie die Geschehnisse zusammen. „Möchtest du vielleicht etwas trinken?“

„Nein“, antwortete Jesse schleppend. „Wie lange war ich weg?“

„Ein paar Stunden. Du hast eine heftige Gehirnerschütterung. Leg dich am besten wieder hin bis Fireball zurück ist.“

Ein neuer Schreck fuhr Jesse in die Knochen. „Zurück? Was meinst du damit?“

„Fireball ist auf dem Weg zu Colt, zumindest hoffen wir das. Er-“

„Was ist er? Etwa alleine? Und mich lässt er einfach so hier?“, brauste Jesse auf und hatte das Gefühl, dass sein Kopf gleich platzte, als sämtliche Alarmglocken in ihm losschrillten.

„Beruhige dich! Fireball meinte es nur gut und wollte keine Zeit verlieren.“

„Er hätte mich mitnehmen können!“

„In deiner Verfassung? Sicherlich nicht!“, erwiderte Liz mit einem tadelnden Blick. „Mit deinem Zustand ist nicht zu spaßen!“

„Mit unserem Vorhaben auch nicht und das sollte er verdammt nochmal wissen! Wie kann er mich einfach so hier aussetzen? Wohin ist er?“

„Zu Colts Elternhaus nach Dripping Springs im Hays County, Texas. Die Idee, dort zu suchen, ist uns gekommen, als wir über Colts Vergangenheit geredet haben. Fireball wollte sich melden, sobald er angekommen ist.“

„Ich muss sofort hinterher! Kannst du mir einen Gleiter leihen?“ Wütend schob Jesse schob die Decke beiseite. Was dachte Fireball sich dabei, einfach auf eigene Faust loszuziehen? Was würde er Colt erzählen, falls er ihn fand? Oder würde er ihn gleich mitbringen und ihn festnehmen? Oder sogar gleich die Star Sheriffs alarmieren? Bei dem Gedanken wurde Jesse regelrecht schlecht. Jegliche Kontrolle war ihm entglitten und sein Plan trieb unaufhaltbar in einem reißenden Strom davon.

„Bleib liegen!“, hielt Liz ihn zurück. „Das geht nicht. Hör zu. Wir haben jetzt mitten in der Nacht. Derzeit herrscht ein elektromagnetischer Sturm und wir sind im Moment vom Rest des Neuen Grenzlands abgeschnitten. Allein deshalb wirst du nirgends hinfliegen können und in deinem Zustand sowieso nicht, du solltest lieber noch ein paar Tage damit warten“, sagte sie streng, aber fürsorglich.

„Was soll das heißen, Magnetsturm? Kann Fireball etwa auch nicht zurück?“

„Nein, nicht so lange der Sturm anhält“, antwortete Liz.

Jesses Panik vervielfältigte sich, als er das hörte. Er saß hier am Ende der Galaxis fest, war ahnungslos, was Fireball trieb und konnte nicht einmal fliehen. Er war ihm völlig ausgeliefert, ein Gefühl, das er abgrundtief hasste. Bitter enttäuscht stützte er sein Gesicht in die Hände und versuchte, sich zu beruhigen. Das Schicksal hatte ihm wieder einmal einen Streich gespielt. Jedes Mal gab er sich so viel Mühe mit seinen Plänen, Vorbereitungen und Strategien und erntete am Ende doch immer nur Niederlagen. Das Denken fiel ihm wegen der zunehmenden Kopfschmerzen unheimlich schwer und er spürte jeden blauen Fleck an seinem Körper. Zwar hatte er schon viel Schlimmeres ausgehalten, aber jetzt zog ihn das alles herunter.

'Vielleicht sollte ich endlich aufhören, gegen mein Schicksal anzukämpfen und einfach aufgeben. Was ich auch mache, alle Mühe ist vergeblich.'

„Du bist gut aufgehoben bei uns, mach dir keine Sorgen. Fireball hat dir ein paar Sachen da gelassen, er kommt also ganz bestimmt zurück. Die Stürme kommen recht häufig bei uns vor, aber lange halten sie meistens nicht an. Ruhe dich doch so lange einfach aus, hm?“

„Kann ich ihn wenigstens anfunken?“

„Du kannst es probieren, aber versprich dir nichts davon. Die Hypercomverbindungen sind ebenfalls gestört.“ Liz holte das Hypercom von der Kommode gegenüber und reichte es Jesse. „Hier, es ist deins. Fireball hat es hier gelassen.“

Überrascht nahm Jesse das Gerät entgegen. Es war tatsächlich seins.

'Was bezweckt er damit? Will er mich damit orten, wenn ich fliehen sollte? Oder hat er eine Wanze eingebaut, damit er mich abhören kann?'

Mit rasendem Puls stellte er die Verbindung her, aber es war wie Liz gesagt hatte – der elektromagnetische Sturm beeinträchtigte den Funkverkehr. Nur Interferenzen kamen herein und ansonsten war nichts zu machen.

„Versuche es später einfach nochmal, vielleicht geht es dann“, meinte Liz zu Jesse, der ihr leid tat. Offensichtlich hatte er einige Strapazen und unschöne Erlebnisse hinter sich, was ihm zu schaffen machte.

„Sag mal, woher hast du eigentlich diese schlimmen Narben?“

Jesse erstarrte und riss die Augen auf. Der dritte Adrenalinimpuls schoss durch sein Blut, als sein Blick auf seinen nackten Arm fiel. Hastig zog er die Decke bis zum Hals, um seinen Körper zu verbergen.

„Hat Fireball mich so gesehen?“, fragte er atemlos nach.

„Ja, natürlich. Er war dabei, als wir dich verarztet haben. Wie ist das passiert?“

„Ich will nicht, dass das irgendwer sieht. Oder dass irgendwer davon weiß.“

„Tut mir leid. Ich kann dich zwar verstehen, aber anders konnten wir die Splitter nicht entfernen und dich verbinden. Das wäre bestimmt nicht in deinem Interesse gewesen, hm?“

„Ich wäre schon wieder aufgewacht!“, erwiderte Jesse hitzig.

„Sicher. Irgendwann oder nie mehr. Das nächste Mal hänge dir einen Zettel um - „Bitte nicht anfassen!“, damit jeder Bescheid weiß!“, erwiderte sie zynisch.

„Das geht niemanden etwas an“, blockte Jesse ab.

„Fireball weiß aber irgendwas. Er sagte etwas von einem Brand. Aber das“, sie packte fest sein Handgelenk, zog den Arm unter der Decke hervor und drehte die Innenfläche des Arms nach oben ins Licht, so dass die eindeutigen Linien zu sehen waren, „kann nicht von einem Feuer stammen. Was soll das? Wolltest du dich etwa umbringen?“

Jesse riss seinen Arm aus ihrem Griff und versteckte ihn wieder unter der Decke. Unerbittlich drängte sie ihn in die Ecke und in seinem Zustand war es schwierig, sich da mit einer wasserdichten Geschichte herauszuwinden oder einfach wegzurennen. Das Blut rauschte laut in seinen Ohren, Bilder von damals erschienen vor seinem inneren Auge und ließen ihn erzittern.

„Was ist passiert?“, fragte Liz noch einmal sanfter nach, wobei sie das Tuch von seinem Nacken nahm und es auffrischte. Sie hoffte, dass es dadurch wie ein normales Gespräch wirkte und ihm das Reden erleichterte.

„Wenn ich Zugang zu einem Blaster gehabt hätte, ja“, gab er nach ein paar Minuten zu, „aber sie ließen mich nicht sterben, weil ich zu wichtig für sie war.“

„Wer sind sie?“

„Eine militante Gruppe, die ihre eigenen Interessen durchsetzen will. Ich war ihr Gefangener, weil sie sich Informationen von mir erhofft haben, die ich ihnen nicht geben konnte.“

„Haben sie dich etwa gefoltert?“, fragte Liz erschrocken, woraufhin Jesse stumm nickte. Er konnte es nicht aussprechen. Die ausgestandenen Qualen bescherten ihm sogar heute manchmal noch Alpträume und allein dass er das überlebt und ausgehalten hatte, war sein Antrieb für seine Rachepläne. Er wollte, dass die Star Sheriffs genauso litten wie er.

„Wegen ihnen suchen wir Colt. Diese Gruppe ist höchstwahrscheinlich wieder aktiv.“ Innerlich atmete er auf, dass ihm diese vage Umschreibung der Outrider eingefallen war, obwohl er die Wahrheit nur ein bisschen verdreht hatte, und deshalb vieles über sich verraten musste; ein Preis, den er nur ungern zahlte, aber in diesem Zustand war es alles, was er fertig brachte.

„Bitte, Liz, erzähle niemandem etwas davon. Ich will nicht, dass noch jemand davon erfährt.“

„Natürlich, ich verspreche es“, nickte sie und drückte seinen Arm. „Es tut mir so leid für dich, dass du das aushalten musstest. Aber vielleicht ist es an der Zeit, mal irgendjemandem davon zu erzählen, um damit abzuschließen statt dich zu verstecken und es in sich reinzufressen, hm?“

Jesse schwieg. Er fühlte sich schuldig, weil sie ihm geholfen und Mitleid mit ihm hatte und er sie trotz allem anlügen musste. Aus irgendeinem Grund war ihm das nicht egal.

„Es ist nur ein gut gemeinter Rat. Fireball würde dir bestimmt zuhören.“ Liz gähnte. „Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich mich jetzt hinlegen und Eve als Ablösung zu dir schicken. Du musst dir keine Sorgen machen, dein Geheimnis ist bei mir sicher.“ Aufmunternd klopfte sie ihm auf die Schulter und erhob sich. „Schlafe noch ein bisschen.“

„Danke. Gute Nacht.“ Er sah ihr hinterher und kurz, bevor sie die Tür öffnete, rief er sie.

„Liz?“

„Ja?“

„Warum machst du das alles für mich?“

„Ist doch klar: weil du ein Freund von Colt bist. Für ihn würde ich alles tun und das schließt seine Freunde mit ein. Und jetzt leg dich hin und ruhe dich aus“, zwinkerte sie ihm zu und ging.

Jesse schnürte es fast die Kehle zu. Er legte sich tatsächlich hin, aber der Ärger um Fireball und die Schuldgefühle wegen Liz quälten ihn und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Er war so angespannt, dass er es bald schon keine Sekunde länger im Bett aushielt. Dass Fireball zurückkommen würde, war sicher, das Wann war ungewiss. Jesse rechnete mit dem Schlimmsten stellte sich darauf ein, dass Fireball die Star Sheriffs im Schlepptau hatte, um ihn festzunehmen. Wenigstens die Peinlichkeit, in einem Bett festgenommen zu werden, wollte er sich ersparen. Deshalb stand er trotz Eves Widersprüchen und gut gemeinten Ratschlägen auf, packte nahm seine Tasche und setzte sich an die Bar, um auf Fireball zu warten.

Die Zeit verging unendlich langsam und das Warten zerrte an seinen Nerven. Hin und wieder versuchte er Fireball über Hypercom zu erreichen, aber entweder war der Sturm noch nicht abgeklungen oder Fireball hatte das Hypercom des Gleiters ausgeschaltet. Das machte die Ungewissheit nicht gerade besser.
 


 

Es war weit nach Mitternacht, als Fireball die Tür aufriss und wütend eintrat – allein, entgegen aller Befürchtungen. Als auch nach ein paar Sekunden keine Star Sheriffs hereinstürmten, um ihn festzunehmen, fiel alle Anspannung von Jesse ab. Sein Racheplan war nicht gescheitert und alle Aufregung unnötig gewesen.
 

Nach dem Wiedersehen mit Colt war Fireball wie in Trance zurück zum Santiago geflogen. Einmal mehr war sein Herz zu Eis erstarrt. Colt so weit unten sehen zu müssen, hatte ihn sehr getroffen und dass er keine Hilfe annehmen wollte, nicht einmal von ihm, setzte dem Ganzen die Krone auf. Der Rauswurf war ein Rückschlag für Fireballs verletztes Gefühlsleben. Immer und immer wieder spielten sich die Szenen vor seinem inneren Auge ab, die neue tiefe Löcher in seine Seele bohrten.

Colt zu suchen und ihn mit einem Auftrag zu betrauen war wohl die blödsinnigste Idee, die er je hatte. Am liebsten wollte er alles vergessen und ungeschehen machen, doch nun hatte er nicht einmal mehr Arbeit, in die er sich stürzen konnte – nur die Mission.
 

Fireball war in der Tür stehengeblieben und sah sich um. Er entdeckte Jesse am Tresen und ihre Blicke trafen sich. Fireball sah, dass Jesse sich verspannte und Mühe hatte, sich aufrecht zu halten. Er spürte regelrecht, dass er in seiner Miene las und sofort wusste, dass das Treffen mit Colt ein Desaster war. Schon immer konnte man ihm seine Gefühle und Gedanken deutlich ansehen, da war jegliche offene Kommunikation unnötig.

Als Jesse in sich zusammensank und sich auf die Zitronenscheibe in seinem Getränk konzentrierte, sprang Liz auf.

„Fireball! Du bist ja schon zurück! Hast du ihn gefunden?“ In ihrer Stimme schwang Hoffnung und Sorge mit, aber auch Stärke. Liz war kein verweichlichtes, verliebtes Mädchen, für das die Welt untergehen würde, sollte ihrem Freund etwas zugestoßen sein. Sie wollte nur die Wahrheit wissen und würde damit umgehen können. Dazu hatte sie schon viel zu viel erlebt und um in dem rauen Klima der Kopfgeldjägerwelt leben zu können, musste sie eine gewisse Durchsetzungskraft und persönliche Stärke mitbringen.

„Ja, habe ich“, antwortete Fireball mit einem dunklen Unterton. „Der werte Herr von und zu ist aber lieber mit sich selbst beschäftigt und will nicht gestört werden.“ Fireball legte seine Hand auf ihre und schaute ihr fest in die Augen. „Ich gebe dir einen Rat, Liz. Du solltest aufhören, dir Sorgen um diesen Trottel zu machen und ihn am besten ganz vergessen. Du verschwendest nur deine Zeit.“

„Was? Aber … was hat er gesagt? Wie geht es ihm?“ Liz‘ Hand krallte sich voller Hoffnung fester um Fireballs.

„Ich kam nicht einmal dazu, ihn das zu fragen, weil er mir unmissverständlich zu verstehen gegeben hat, dass ich unerwünscht bin. Mehr gibt es nicht zu erzählen.“ Bestimmt schob er Liz beiseite und trat zu Jesse. „Jesse, wir gehen!“, befahl er forsch und wartete, dass er aufstand. Fireball wusste, dass Jesse normalerweise nicht so mit sich reden ließ, doch er war gereizt und wollte ihn provozieren, obwohl er deutlich angeschlagen war. Die Stellen seines Gesichts, die nicht von dem Verband verborgen wurden, waren blau-grün, wo er aufgeschlagen war und der Rest war so blass, dass er fast wie ein Gespenst wirkte.

Langsam und - zu Fireballs Bedauern - ohne Widerworte schob Jesse sein Glas von sich und erhob sich wackelig von seinem Platz. Seine Tasche stand fertig gepackt am Boden.

„Fireball, nein! Du kannst ihn nicht mit seiner Kopfverletzung in einen Gleiter setzen!“

„Es wird schon gehen“, versicherte Jesse, der zu ihnen getreten war und Liz' skeptischen, wissenden Blick über sich ergehen ließ.

„Beeil dich, wir müssen zurück“, drängte Fireball.

„Euch Kerle werde ich nie verstehen. Bei einem leichten Schnupfen tut ihr so, als ob ihr gleich sterbt und die wirklich ernstzunehmenden Geschichten ignoriert ihr einfach“, warf sie den beiden vor. „Macht doch einfach, was ihr wollt!“

„Wir haben keine andere Wahl, Liz“, versuchte Jesse sie zu beruhigen, denn ihre und Fireballs laute Stimmen dröhnten in seinem Kopf.

„Ihr seid alt genug zu wissen, was ihr tut“, erwiderte sie, dann sah sie Fireball scharf an. „Aber ich bin es auch und lass dir eins gesagt sein - ich werde Colt niemals vergessen! Irgendwann wird er wieder hierher kommen, da bin ich mir hundertprozentig sicher! Wie kannst du als sein angeblicher Freund überhaupt so etwas sagen?“

„Weil ich wohl nicht mehr zu seinen Freunden zähle!“, knurrte Fireball mit wütend blitzend Augen.

Jesse ließ seine Hand schwer auf Fireballs Schulter fallen, mehr um sich festzuhalten, weil ihm sehr schwindelig war. „Fireball. Lass uns endlich gehen. Das bringt nichts.“

„Wie du meinst.“

Jesse sah wieder zu Liz. Zwar hatte er sich bei ihr im Laufe des Tages für ihre Hilfe bedankt, aber jetzt wusste er nicht, was er sagen sollte. Sie und Eve hatten sich selbstlos um ihn gekümmert und das berührte ihn so tief in seinem Inneren, dass sein Herz schmerzte.

Liz atmete tief durch und beruhigte sich wieder, als sie merkte, dass ihr Gegenüber sich schwer mit dem Verabschieden tat. Freundschaftlich legte sie eine Hand an Jesses heile Wange und lächelte ihm zu. „Pass auf dich auf und gehe gleich zu einem Arzt, wenn ihr angekommen seid.“

Er legte seine Hand über die ihre und drehte seinen Kopf ein wenig.

„Danke für alles und pass auf dich auf“, raunte er in ihre Handfläche und berührte sie flüchtig mit seinen Lippen. Dann verabschiedete er sich auf die gleiche Weise von Eve, die ihm seine Tasche reichte, und ging.

„Warte nicht auf ihn!“, riet Fireball ihr noch einmal eindringlich zum Abschied, ehe er Jesse folgte.

„Und ich warte doch!“, erwiderte Liz mit einem herausfordernden, kalten Lächeln.

Keine Minute später startete das Schiff.
 


 

Jesse war es nur recht, dass Fireball flog, der nach diesem Trip theoretisch hundemüde sein musste, den Gleiter aber hochkonzentriert und rasant steuerte. Er selbst war dazu nicht in der Lage und hatte alle Mühe, die Übelkeit unter Kontrolle zu halten.

Die Ungewissheit nagte an Jesse, solange er nicht wusste, was genau bei dem Treffen mit dem Cowboy passiert war. Ihm brannte es regelrecht unter den Nägeln, ausführlich davon zu erfahren, aber er war zu stolz, danach zu fragen, und Fireball machte keine Anstalten, sich darüber auszulassen. Stattdessen hatte er eine undurchdringliche Mauer um sich herum aufgebaut und grollte vor sich hin wie ein Vulkan kurz vor dem Ausbruch.

Fireballs gereizte Stimmung übertrug sich auf Jesse. Immer wieder kreisten die Erlebnisse und seine Fehler in seinen Gedanken und ließen ihn nach wie vor nicht die Ruhe finden, die er dringend benötigte. Je länger der Flug dauerte, umso zorniger wurde er wieder auf den ehemaligen Star Sheriff und sich. Diesmal gab es keine Outridercommander, die Jesse zur Verantwortung ziehen und bestrafen konnte. Wie um alles in der Welt sollte er jetzt an den Cowboy herankommen? Was war überhaupt mit dem verdammten Kuhtreiber los?

Jesse unterdrückte ein Stöhnen, als die Schmerzen und der Schwindel schlimmer wurden und er schloss seine Augen. Vielleicht gelang es ihm, den Flug zu überstehen, indem er sich einfach auf seine Atmung konzentrierte.
 

Fireball flog die weite Strecke nach Fortuna Hills in einem durch und wollte weder eine Pause machen noch den Autopiloten einschalten. Verbissen konzentrierte er sich auf die Steuerung als wollte er vor den Erinnerungen an Colt davonrasen.

Kaum dass sie in Jesses Detektei - ihrem Hauptquartier - angekommen waren, stürzte er sich mit vollem Eifer in die Arbeit, obwohl ihm die Müdigkeit deutlich anzusehen war.

„Morgen haben wir die nächste Chance, etwas über Sabers Pläne herauszufinden“, bemerkte er ohne auf Jesses Zustand Rücksicht zu nehmen. Er kannte den anderen mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass diesem das sowieso nicht recht gewesen wäre, würde er ihn mit Samthandschuhen behandeln. „Kennst du den Namen der Location, wo das Treffen stattfinden soll?“

„Nein, ich muss erst meinen Informanten kontaktieren“, antwortete Jesse gereizt, dem Fireballs Verhalten auf die Nerven ging. Er stürzte sich müde, ohne Sinn und Verstand in die Arbeit und würde unweigerlich Fehler machen und Jesses Pläne gefährden. Das musste Jesse unbedingt verhindern.

„Dann mach’ das am besten gleich, wir haben keine Zeit zu verlieren und müssen Vorbereitungen treffen! Außerdem sollten wir dringend die nächsten Aktionen planen, damit wir die verschwendete Zeit aufholen.“

Das brachte das Fass zum Überlaufen.

„Was ist verdammt noch mal passiert bei Colt?“, explodierte Jesse. „Rück‘ endlich raus mit der Sprache!“

„Das werde ich dir wohl kaum auf die Nase binden! Es geht dich nichts an!“

„Von wegen! Das geht mich sehr wohl etwas an! Wir sind jetzt ein Team, schon vergessen?“

Fireball biss seine Zähne aufeinander und erwiderte einige Momente lang zornig Jesses funkelnden Blick, bevor er sich abwandte und Jesse eine Antwort schuldig blieb.

„Fireball!“, rief Jesse ihm auffordernd hinterher, aber die gewünschte Reaktion blieb aus. Wütend ballte er seine Hand zur Faust, unentschlossen, was er tun sollte und ließ sich erschöpft in den Sessel fallen. Sein eigener Plan brachte inzwischen auch ihn an seine Grenzen. Seine Kopfschmerzen wurden wieder schlimmer und er musste sich schließlich hinlegen, weil sich ihm alles drehte. Einen kurzen Moment lang überlegte er tatsächlich, Liz‘ Rat, zum Arzt zu gehen, zu befolgen, aber dann überkam ihn ein ohnmachtsähnlicher Schlaf.
 

Weil es Jesse nach dem Flug nicht gut ging und er sich wegen der Blessuren im Gesicht eh nicht in der Öffentlichkeit zeigen konnte, beschloss er, das Treffen sausen zu lassen und beauftragte stattdessen Vincent gegen eine großzügige Bezahlung, eine Wanze zu installieren und das Gespräch aufzuzeichnen. Das Risiko, dort mit einer Gehirnerschütterung aufzutauchen mit einem Partner, der sich kaum konzentrieren konnte, wollte er nicht eingehen. Dieses Mal mussten es wieder Aufzeichnungen tun, obwohl Jesse eine persönliche Überwachung bevorzugt hätte.
 

In den nächsten Tagen erholte sich Jesse nur sehr langsam. Er musste zugeben, dass es wirklich klüger gewesen wäre, auf Liz zu hören und in seinem Zustand nicht in den Gleiter zu steigen. Zum Arzt ging er trotzdem nicht, stattdessen ruhte er sich aus und versuchte, wenn der Schwindel nachließ, eine neue Strategie zu entwerfen, was sich wegen der vielen Unbekannten sehr schwierig gestaltete. Er wusste noch immer nicht, was mit Colt passiert war und der gehörte mit zu seinen Plänen. Wie sollte er an ihn herankommen? Auch wenn er zuerst gegen Fireballs Idee gewesen war, Colt zum Teil mit einzuweihen, hatte sie sich im Nachhinein perfekt in sein Vorhaben eingefügt. Nun war das gescheitert und Colt für ihn unerreichbarer denn je.

Fireball ging ihm seit ihrer Rückkehr weitgehend aus dem Weg. Er hatte sich mit unzähligen Blättern Papier und Wissenschaftsmagazinen für weitere Recherchen auf sein Zimmer verzogen, das er nur verließ, wenn er etwas trinken wollte oder ins Bad musste. Mit seiner Arbeitswut wollte er sich von seinen Gedanken ablenken, was ihm kaum gelang.

Was immer während seines Alleingangs passiert war, es war nicht förderlich für seine mentale Stabilität – und auch nicht für Jesses. Dass Liz und Eve sich so vorurteilsfrei um ihn gekümmert hatten, ging Jesse nicht mehr aus dem Kopf und beschäftigte ihn stundenlang. Die Lüge ihr gegenüber lastete schwer auf seinem Gemüt, viel schwerer als die, die er Fireball aufgetischt hatte. Immer wieder driftete er gedanklich von seiner Arbeit ab und ertappte sich erstmals bewusst dabei, dass er sich fragte, was das alles für einen Sinn hatte.

Bevor er diesen Gedanken weiter verfolgen und auf eine womöglich unangenehme Antwort stoßen konnte, kam eine Nachricht von Vincent herein. Diesmal hatte es ziemlich lange gedauert. Sofort machte sich Jesse daran, die E-Mail zu dechiffrieren. Es dauerte eine Weile, bis er den Text schließlich lesen konnte:
 

„Hallo Mr. K. !
 

Das Treffen mit den Herren von RR Engine war schnell vorüber. Es ging um Motoren und deren Leistungen. Scheinbar soll eine neue Fahrzeug- oder Gleiterflotte bestellt werden. Sie sprachen darüber, wie schnell der Prototyp des neuen Motors zusammengebaut und getestet werden kann. Angeblich wäre es in fünf bis sechs Wochen soweit.

Zeichnungen wurden ausgetauscht und mir ist es gelungen, eine Kopie davon zu machen. Diese finden Sie im Anhang, ebenso wie die komplette Audioaufnahme.
 

Ich hoffe, dass Ihnen diese Informationen weiterhelfen und stehe Ihnen wie immer gerne zu Ihrer Verfügung.
 

Ergebenst,

V.
 

PS: Wäre es Ihnen möglich, einen Vorschuss für die nächsten Dienste zu erhalten?
 

Jesse seufzte. ‚Langsam wird er unverschämt!’ Mit einem Klick öffnete er die Anhänge und sah sich die technischen Zeichnungen und Stromlaufpläne an. Obwohl er sich einigermaßen mit Konstruktionszeichnungen auskannte und diese bis zu einem gewissen Grad lesen konnte, konnte er nur Vermutungen anstellen, was darauf abgebildet war. Seiner Meinung nach schien es sich um einen unglaublich großen Antrieb zu handeln, vielleicht ein Triebwerk oder Ähnliches. Sicher war er sich allerdings nicht und auch der Mitschnitt des Gesprächs gab keinen genauen Hinweis auf die Funktion oder Verwendung des Bauteils, das ihm vage bekannt vorkam.

Je länger er grübelte, umso weniger kam er weiter.

‚Am besten erzähle ich Fireball von den neuen Entwicklungen und vielleicht hat er eine Idee, was das für eine Art Motor sein könnte. Er hat sich eh schon wieder zu lange in seinem Zimmer vergraben, wird Zeit, dass er da raus kommt!’
 

Fireball stand mit dem Rücken zu ihm am geöffneten Fenster und rauchte, als Jesse nach einem kurzen Klopfen eintrat.

„Was gibt‘s?“, wollte er wissen, drehte sich um und lehnte sich an die Fensterbank. Er wirkte gleichzeitig erschöpft und unruhig wie Jesse bemerkte. Der Tisch war kaum noch zu sehen, lauter Notizzettel und Aufzeichnungen waren dort und auf dem Bett ausgebreitet, die teilweise zu Boden gefallen oder zerknüllt waren. Es war offensichtlich, dass Fireball immer noch mit den Erlebnissen bei Colt zu kämpfen hatte und dass die Arbeit nicht die gewünschte Ablenkung brachte.

„Saber hat RR Engine gestern mit dem Bau eines Prototyps beauftragt, angeblich ein neuer Motor für Gleiter. Ich hab hier ein paar Zeichnungen, um die es gestern ging“, sagte er und reichte die ausgedruckten Blätter an Fireball weiter. „Was hältst du davon? Sieht nicht gerade wie ein Antrieb aus, oder?“

Nachdem Fireball seine Zigarette im Aschenbecher draußen auf der Fensterbank entsorgt hatte, studierte er interessiert die Dokumente.

„Keine Ahnung, was das sein soll“, sagte er nach ein paar Momenten.

„Ich hoffte, dass du eine Idee hast, weil ich einfach nicht weiter komme“, gab Jesse zu und lehnte sich erschöpft neben ihn. Kurz fiel ihm auf, dass sie früher wohl nie so einträchtig nebeneinander gestanden hätten, aber im Moment war er nicht in der Laune, die alten feindlichen Muster beizubehalten. Teils entnervt, weil er wieder in einer Sackgasse steckte, teils müde presste er seinen Daumen und Zeigefinger auf die Nasenwurzel und strich anschließend durch seine Haare. Dabei berührte er den Verband an seiner Schläfe, die sicher noch eine ganze Weile schmerzte und in allen Farben leuchtete.

„Es sieht aus wie der untere Teil der Tritonmaterie, wie die Turbine“, hörte Jesse Fireball nach einer Weile wie aus großer Ferne sagen und als er zu ihm schaute, sah er, dass die Blätter in Fireballs Händen zitterten. Ihm selbst wurde flau, als er das hörte. Jetzt wusste er, weshalb ihm dieser Teil so bekannt vorkam.

„Es stimmt!“, sagte Jesse erschüttert und nahm ein Blatt der Zeichnungen an sich, um sich die Ähnlichkeit zu Nemesis‘ ehemaligem Gehäuse vor Augen zu führen. Wie hatte er diese Offensichtlichkeit nur übersehen können? Oder hatte er das alles so gut verdrängt?

„…ein Nachbau?“, murmelte er. Dieser vielleicht absurde Gedanke jagte ihm einen eisigen Schauer den Rücken hinunter, und auch Fireball ließ er nicht kalt, der seine Zähne zusammen gebissen hatte Jesse entsetzt anstarrte.

„Wenn das wirklich wahr sein sollte…“

Die Tritonmaterie – der Name war unweigerlich auf ewig mit dem letzten Gefecht verbunden. Ihn zu hören rief bei beiden die alten, unheilvollen Erinnerungen hervor, die sie gut in den Abgründen ihrer Seele eingesperrt hatten. Nun wurden sie mit voller Kraft an die Oberfläche gerissen und tauchten wie ein hässliches Seeungeheuer vor ihnen auf. In diesem Moment konnten beide das Grauen und die Agonie im Gesicht des anderen lesen, die sie im letzten Gefecht empfunden hatten und die nach all diesen Jahren immer noch so stark waren. Es war zu spät, diese Gefühle voreinander zu verbergen und sie teilten sie in diesen langen Sekunden der Erinnerung an die endgültige Vernichtung der Tritonmaterie. Das Bild, wie Jesse von dem Feuersturm erfasst worden war, brannte lebendig vor Fireballs Augen.

Langsam und ohne seinen Blick von Jesse zu lösen, legte Fireball seine zittrige Hand auf Jesses linken Unterarm, der wie immer seit ihrem Wiedersehen, von einem langärmeligen Shirt verdeckt war. Er merkte wie Jesse sich unter seiner Berührung verspannte und sah, dass sich seine Finger in das Papier krallten und er ahnte, dass Jesse es hasste, angefasst zu werden. Fireball wollte endlich alles darüber wissen und schob erbarmungslos den dünnen, schwarzen Pullover ein Stück zurück, um das zerstörte Gewebe freizulegen.

„Ich habe deine Narben gesehen“, sagte er rau, wobei er an seine eigenen am Bein und die damit verbundene schmerzhafte Zeit zurück dachte. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er wieder seine alte Stärke wiedererlangt hatte. Wie musste es dann erst Jesse ergangen sein?

„Wie lange?“

Panik trat in Jesses Augen und sein Atem stockte, als er sich unerbittlich in eine Ecke gedrängt fühlte. Die Papiere segelten achtlos zu Boden, als Jesse seinen Arm an sich reißen und fliehen wollte, aber Fireball hatte das geahnt und versperrte ihm den Weg und hielt ihn so fest, dass sich seine Fingernägel in dessen Haut bohrten. In der Schutzmauer, die Jesse lange und sorgfältig um sich herum aufgetürmt hatte, war ein Stein zerbrochen und Fireball würde nicht nachlassen, ehe er jeden einzelnen herausgerissen und den wahren Jesse freigelegt hatte. Mit einem stechenden Blick verlangte er nach der Antwort. „Sag schon!“

Jesse bebte innerlich und starrte Fireball gelähmt an. Die Finger schlossen sich wie ein Schraubstock um seinen Arm und er war unfähig, sich zu rühren wie ein Reh, das im Scheinwerferlicht sein letztes Stündlein nahen sah.

„Fast zehn Jahre“, antwortete Jesse schließlich mit brüchiger Stimme. „Ich wünschte mir oft, dass ich beim letzten Gefecht umgekommen wäre, und das denke ich sogar heute noch“, gestand er.

„Was?“ Unbewusst lockerte Fireball bei dieser Aussage seinen Griff und Jesse nutzte die Gelegenheit, seinen Arm wieder an sich zu ziehen und ihn mit dem Shirt zu bedecken. Diesmal ließ Fireball ihn gewähren.

Jesses Stimme klang belegt als er aus einem Impuls heraus, Liz' Rat folgte und fortfuhr: „Ich erwachte irgendwann und dachte, ich wäre in der Hölle, weil das Feuer immer noch auf meiner Haut zu brennen schien. Zeit existierte nicht mehr für mich, Schmerzen waren meine neue Maßeinheit, die ich in Perioden unterschiedlicher Stärke oder Dunkelheit einteilte. Irgendwann kapierte ich, dass ich bei den Mönchen war und sie erklärten mir, dass ich Gattlers Gefangener war. Sie hassten mich und ließen mich spüren, dass ich ihnen tot lieber war als lebendig und für Gattler galt das genauso. Er machte keinen Hehl daraus, aber er sagte mir auch, dass er mich brauchte, um seinen Rachefeldzug gegen das Neue Grenzland zu planen. Deshalb stand ich unter seinem ganz persönlichen Schutz und er hatte die Mönche damit beauftragt, sich um mich zu kümmern und mich zu heilen. Sie hielten sich im Großen und Ganzen daran, aber die Schmerzen waren so unerträglich, dass ich sie mehrfach angefleht habe, mich zu töten, aber sie taten es nicht weil Gattler es ihnen verboten und ihnen selbst mit harten Strafen gedroht hatte, sollte ich das Zeitliche segnen. Gattler wollte alle Informationen über die Menschen, insbesondere der Star Sheriffs, deren Denkweise, deren Strategien und Technik, die ich ihm liefern sollte. Allerdings ging ihm meine Heilung viel zu langsam voran und-“

„Und dann hast du es selbst versucht oder was haben die Schnitte zu bedeuten?“, unterbrach Fireball ihn scharf.

Jesses wurde noch blasser als er ohnehin schon war und ließ sich wieder gegen die Fensterbank sinken, weil er befürchtete, dass seine Beine gleich unter ihm nachgaben. Trocken schluckte er und verschränkte seine Arme vor der Brust, weil ihm plötzlich eiskalt war.

„Es ist nicht so wie du denkst.“

„Sondern?“, bohrte Fireball weiter.

„Ganz anders.“

„Hat Gattler dir das angetan? Oder was verdammt nochmal ist es, dass es dich heute noch nicht loslässt? Ist das der Grund für deine Alpträume?“

„Woher weißt du davon?“, fragte er schockiert, als Fireball ein weiteres seiner sicher geglaubten Geheimnisse enthüllte.

„Ich bin nachts oft wach und wenn ich ins Wohnzimmer gehe, habe ich dich schon mehrmals gehört. Manchmal habe ich vor deiner Tür gestanden und überlegt, nach dir zu sehen, weil du dich wirklich schlimm anhörst. Aber ehrlich gesagt wusste ich nicht, wie ich dir gegenüber damit umgehen sollte und habe deshalb bisher nichts gesagt. Jetzt will ich es wissen, und zwar alles! Jesse, was ist es, das dich verfolgt? Was haben die mit dir gemacht?“

„Was kümmert es dich? Können wir jetzt bitte das Thema wechseln?“, herrschte Jesse ihn plötzlich an und verließ seinen Platz, aber Fireball hielt ihn abermals entschlossen auf und sah ihn mit blitzenden Augen an.

„Glaubst du wirklich, es lässt mich kalt, zu wissen, dass es dir schlecht geht, nach allem, was du für mich getan hast?“, konterte Fireball wütend. „Falls du das von mir denkst, hast du einen völlig falschen Eindruck von mir. Endlich zeigst du mir, dass du auch nur ein Mensch bist, der seine Grenzen hat, wie jeder von uns. Lass mich dir zuhören und dir auch helfen, falls ich das überhaupt kann. Ich will es gerne versuchen, aber dazu musst du mir sagen, was dann passiert ist. Sag mir die Wahrheit, Jesse.“

Jesse sträubte sich dagegen und ein innerer Zwiespalt tobte in ihm. Er konnte Fireball doch unmöglich erzählen, dass diese sadistischen Mönche immer wieder seine Arme aufgeschnitten hatten, bis er fast verblutet war. Kurz bevor er wirklich starb, heilten sie ihn wieder und das Spiel begann von neuem. Gattler wusste davon nichts, denn die Mönche planten ihrerseits die Übernahme der Macht. Einmal hatte Jesse Gattler sogar davon erzählt, aber der glaubte ihm nicht. Ein paar Wochen später war Gattler tot, vergiftet, und der nächste Thronfolger trat in Erscheiung. Jesse kam vom Regen in die Traufe und bei dem darauffolgenden wieder von der Traufe in den Regen. Nichts änderte sich mit den neuen Herrschern, sie alle wollten blutige Rache an den Menschen üben und ihren eigenen Bedürfnissen gerecht werden; die Mönche und mit ihnen die Schmerzen blieben die einzige Konstante. Jesse war all die schrecklichen Jahre in Gefangenschaft ihr Spielball, den sie auf alle möglichen Arten traten, bis er zerstört war. Das und die lange Zeit der Einsamkeit hatten ihre Spuren hinterlassen. Fireball war Jesses erster sozialer Kontakt, der nicht nur an der Oberfläche kratzte, sondern tief in seine Gedanken und Erlebnisse vordrang, und ein Teil von ihm wollte das alles endlich loswerden. Sein Angebot, ihm zuzuhören und zu helfen, war das eines echten Freundes und war der Auslöser, der Jesses Schutzmauer endgültig einstürzen ließ.

Fireball lehnte sich wieder an die Fensterbank und Jesse ließ es zu, dass er ihn neben sich zog.

„Wolltest du dich wirklich umbringen?“, fragte Fireball noch einmal mitfühlend nach, aber Jesse schüttelte den Kopf.

„Die Wahrheit ist, ich hatte nicht den Mut dazu. Was, wenn es nicht funktioniert? Dann müsste ich wieder alle Schmerzen und Qualen durchstehen und das kann ich nicht noch einmal. Davor habe ich die größte Angst, nicht vor dem Tod.“

Fireball nickte stumm und bedrückt, als er seine eigenen Schlüsse zog. Er bedauerte es, Jesse so bedrängt zu haben und sah auf seine Füße.

„Zehn Jahre warst du also gefangen und hast das ausgehalten?“, murmelte er betreten.

„Vielleicht sogar länger, vielleicht kürzer ich weiß es nicht genau, weil ich die Tage, Wochen und Monate nicht auseinander halten konnte. Es fühlte sich nach einer Ewigkeit an. Nach Gattler folgten andere, aber meine Gefangenschaft blieb. Gattler wurde vergiftet, danach übernahm Calibos die Herrschaft, aber wegen der vielen unlösbaren Probleme wie Ressourcenknappheit, Kälte und Krankheiten konnte er sich nicht lange halten. Das Leben in der Phantomzone war hart, eine öffentliche Ordnung nur rudimentär vorhanden und jeder war sich selbst der Nächste. Morde, Plünderungen und Raub waren an der Tagesordnung, und es schien fast als würden die Outrider sich selbst ausrotten. Die Phantomzone versank in Anarchie, zumindest war es das, was ich aus den Unterhaltungen heraushörte oder erzählt bekam. Jeder, der gerade auf dem Thron saß, musste mit aller Härte durchgreifen, und die Aussicht auf einen neuen Krieg gegen die Menschen war das einzige Ziel, das sie alle gemeinsam hatten und durch das sie lenkbar waren. Deshalb war ich auch für Calibos wichtig, um die Rachepläne weiter voran zu treiben. Das gleiche galt für Dark, der Calibos entthronte, und schließlich auch für Orat. Orat war der erste, der alles besser im Griff hatte. Er schaffte ein System, fand neue Nahrungsmittel und Wasser und schickte erste, kleine Schiffe auf die Suche nach einem neuen Planeten. Er wurde von vielen bewundert und respektiert, obwohl er ziemlich abergläubisch war. Trotzdem schien vielen dieser seltsame Glaube zu helfen, vielleicht weil er ihnen eine Richtung vorgab. Orat war ziemlich beliebt und wurde fast schon vergöttert.

Wie bei allen zuvor, war ich auch Orats Gefangener und bei ihm kam ich nach der ganzen Zeit erstmals wieder raus.“ Jesse hielt einen Moment inne und dachte an das Gefühl, als er nach den ganzen Jahren erstmals wieder Berge und Wolken sah, auch wenn es kalter, zerrütteter Felsen und bedrohlich-dunkler Himmel war. Fast war es das schönste, was er je gesehen hatte.

„Orat ließ mich unter strenger Aufsicht an verschiedenen Bauprojekten arbeiten, weil sie jede einzelne Kraft brauchten. Die Mönche waren damit überhaupt nicht einverstanden und ließen sich an mir aus so oft es ging. Dann starb Orat plötzlich an einer seltsamen Seuche und Jean-Claude trat die Nachfolge an. Er behandelte mich völlig anders, ließ mich frei und gab mir ein eigenes Zimmer. Erst nach und nach gewöhnte ich mich daran, dass ich mich unbeaufsichtigt überall hin begeben durfte, schloss aber keine Kontakte zu anderen Outridern, auch wenn ich ihnen zwischenzeitlich egal geworden war und nicht mehr befürchten musste, hinterrücks abgestochen zu werden. Nur Jean besuchte mich ab und zu und bat mich, mit anzupacken, was ich auch tat. Aber endlich war es mir möglich, heimlich einen Gleiter vorbereiten und wieder hierher zurückzukehren. Ich glaubte wirklich, dass ich hier alles vergessen kann. Mittlerweile musste ich einsehen, dass es nicht funktioniert.“

„Wir alle werden dies niemals vergessen, egal wie sehr wir uns das wünschen“, erwiderte Fireball bewegt und bestürzt zugleich. „Es ist ein Teil unseres Lebens und wird es bis an unser Ende sein. Dich verfolgen die Alpträume nach all den Jahren und - ehrlich gesagt, wache auch ich hin und wieder auf, besonders dann, wenn sich das Ereignis jährt und alle Sender und Zeitungen die Geschichtsbücher herausholen. Du siehst, du bist nicht allein damit, und ich vermute stark, dass es bei Saber, Colt und April nicht anders ist. Wir haben uns allerdings nie darüber ausgetauscht. Nur du weißt davon.“

Als Fireball Jesse dieses Geheimnis offenbarte, legte sich das unangenehme Gefühl, völlig nackt vor ihm zu stehen und durchleuchtet zu werden. Obwohl er seine Schwächen preisgegeben hatte, fühlte sich Jesse von Fireball respektiert und er merkte wie sich die Bande des Vertrauens zwischen ihnen weiter verstärkten. Fireball war längst nicht so naiv und unbesonnen, wofür er ihn immer gehalten hatte, auch er hatte seine Päckchen zu tragen und verbarg mehr in sich als er nach außen zeigte.

„Ich werde es niemandem erzählen“, versprach Jesse unbehaglich, da er nicht wusste, wie er mit diesem Geständnis umgehen sollte.

„Von mir erfährt ebenfalls niemand etwas“, nickte Fireball dankbar. „Sie planen also wirklich einen Angriff?“

„Zumindest hatten sie das vor, nach dem, was ich weiß und völlig ausschließen kann man das nie“, antwortete Jesse, der froh darüber war, dass Fireball wohl keine Antwort erwartete und das Gespräch wieder eine andere Richtung nahm. „Jean-Claude ist sehr undurchsichtig und ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt noch auf dem Thron sitzt. Es gab Widerstandsbewegungen gegen ihn und einige Anschläge. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass sie in den nächsten Jahren einen Angriff wagen. Als ich ging war die Technik noch nicht wieder soweit hergestellt und die Ressourcen so knapp als dass man das hätte riskieren können.“

„Du könntest zurückspringen und nachsehen“, deutete Fireball an, aber Jesse schüttelte leicht den Kopf. „Dazu bräuchte ich die Sprungkoordinaten, die man nicht so ohne Weiteres berechnen kann. Es gab für mich nur einen einzigen Sprung hierher in diese Dimension, mit dem Wissen, dass ich nicht wieder in die Phantomzone zurückkehren kann, weil es die Tritonmaterie nicht mehr gibt. Sie war der Schlüssel zu allem, denn von ihr ging der Leitstrahl aus, den man zur Navigation braucht.“

„Verstehe.“ Fireball sah nachdenklich wieder auf die Zeichnungen. „Ich weiß nicht, ob Saber dazu fähig wäre, die Tritonmaterie nachzubauen“, antwortete er schließlich auf Jesses Frage von vorhin. „Aber nach allem, was ich bisher gesehen habe und ihm vorher nicht zugetraut habe, können wir es einfach nicht ausschließen, so absurd und unvorstellbar das auch sein mag.“

„Wir brauchen unbedingt eine weitere Einschätzung der Zeichnungen. Irgendjemand, dem wir vertrauen können und der sich mit so was auskennt. Kennst du so jemanden?“

„Ich werde darüber nachdenken, während ich die Daten aus der Flugüberwachung von Omikron und Sigma durchgehe“, erwiderte Fireball und stieß sich von der Fensterbank ab, um eine weitere Zigarette aus dem Päckchen zu holen, das auf dem Tisch lag.

Jesse nahm dies als Anlass, zu gehen und näherte sich langsam der Tür. Er fühlte sich seltsam leer, weil er erstmals jemandem von dieser Zeit erzählt hatte und wusste nicht so ganz, damit umzugehen. Was bedeutete es, dass Fireball nun davon wusste? Hatte er mit diesem Wissen jetzt Macht über ihn?

Er wusste schon jetzt, dass heute wieder eine der Nächte sein würde, in denen ihn die Dämonen der Vergangenheit jagten.

Als Jesse das Feuerzeug schnippen hörte, drehte er sich wieder um. Wenn sie schon dabei waren, Geheimnisse auszutauschen, wollte Jesse ebenfalls eines lüften.

„Du hast deine Antworten bekommen und jetzt möchte ich etwas von dir wissen. Sag mir, was bei Colt passiert ist“, forderte er ihn auf. Jesse sah, dass Fireball nun verspannte und einen tiefen Zug nahm. Es war offensichtlich, dass er Zeit schindete, um eine Schutzhülle um sich herum aufzubauen. Seine Augen waren dunkel und kalt, als er Jesse anschaute.

„Colt hat mir unmissverständlich zu verstehen gegeben, was für ein widerwärtiger, unselbständiger, heuchlerischer, egoistischer und unzuverlässiger Freund ich für ihn bin und dass ich ihm nie wieder unter die Augen treten soll“, antwortete er schließlich. Seine Worte waren bitter und schonungslos ehrlich. Jedes einzelne Adjektiv verletzte Fireball so als werfe jemand mit einem Messer auf ihn.

Langsam ließ er sich auf die Couch gleiten und nahm einen weiteren Zug, wobei Jesse ein neuerliches, leichtes Zittern seiner Hand bemerkte, das Fireballs inneren Aufruhr erahnen ließ.

„Er hockt da auf seiner Farm und säuft sich zu Tode“, erzählte Fireball weiter, jetzt stockend und mit belegter Stimme, „und niemand kann ihn davon abhalten, nicht einmal ich! Colt hat so verdammt recht, was meine Freundschaft angeht! Er hat mir seinen Blaster unter die Nase gehalten und mich hochkant rausgeworfen.“ Das Zittern war jetzt schon ein Beben, als Fireball erneut an der Kippe zog und sich durch die Haare strich. „Es ist ein Scheiß-Gefühl als Freund versagt zu haben und den besten Freund zu verlieren“, fuhr er fort und aus seiner Stimme sprach jetzt unendliche Einsamkeit. „So etwas wünsche ich nicht mal meinem ärgsten Feind, nicht einmal dir, als wir noch Feinde waren!“

„Man gewöhnt sich dran“, erwiderte Jesse tonlos.

„Bitte ... geh jetzt.“

Jesse ging und schloss die Türe hinter sich. Auf keinen Fall wollte er dabei sein, wenn Fireball in Tränen ausbrach, schnürte es ihm doch selbst fast die Kehle zu. Wie in Trance ging er in sein Schlafzimmer und legte sich hin.

‚Was ist gerade passiert?’

Er versuchte einen Antwort darauf zu finden, aber verirrte sich immer tiefer in dem Labyrinth aus Intrigen, Tatsachen, seinen eigenen Zielen und dem menschlichen Verhalten.

‚Kann ich meinen Plan überhaupt unter diesen Umständen ausführen? Aber wenn ich ihn fallen lasse … was bleibt mir dann noch?’
 


 

Colt erwachte erst am übernächsten Tag. Sein Magen knurrte laut, aber er hatte keinen Kater und fühlte sich zum ersten Mal seit einer scheinbaren Ewigkeit wieder gut und zu neuen Taten bereit.

Sein erster Weg führte ins Bad, wo er sich erleichterte. Dann wusch er seine Hände und Gesicht und als er wieder nach oben kam, blieb er an seinem Spiegelbild hängen. Prüfend betrachtete er sich und diesmal sah er über kein einziges Detail seines verwahrlosten Ichs hinweg und verschloss sich nicht vor dem, was er sah.

„Fireball hat recht gehabt, ich sehe echt richtig scheiße aus!“, gestand er sich schließlich ein und griff kurzerhand nach dem Rasierschaum, um mit der Generalüberholung zu beginnen.

Frisch rasiert, geduscht und mit sauberen Klamotten im alten Colt-Stil stand er etwas später im Wohnzimmer und betrachtete die chaotische Flaschenlandschaft, die sich über die ganze Räumlichkeit erstreckte. Er erkannte sich selbst nicht mehr, als er daran dachte, dass er die alle in sich hinein geschüttet hatte.

„Damit ist jetzt Schluss!“, nahm er sich selbst vor und sog ein letztes Mal alle Einzelheiten seines Elternhauses in sich auf. Dann drehte er sich um und ging entschlossenen Schrittes zur Scheune, in der sein jetziger Gleiter namens Phoenix geparkt war. Er war ein kleines bisschen geräumiger als der Bronco Buster, verfügte über mehr Leistung und ein umfangreicheres Waffenarsenal. Darüberhinaus verbrauchte er weniger Gyrolen und Dank neuer Technologie waren sowohl Reichweite als auch Reisegeschwindigkeit höher. Trotz der besseren technischen Details und des höheren Komforts vermisste Colt sein altes Schiff. Ein Nachbau kam für ihn aber nicht infrage, da es niemals dasselbe sein würde, obwohl er es sich ohne Probleme hätte leisten können.
 

Kurze Zeit später erhob sich der schwarz-orange Phoenix in den Himmel und sein Pilot fühlte sich bereit für neue Taten. Obwohl Colt Fireballs Rat aus Trotz eigentlich lieber nicht befolgen wollte, war die Sehnsucht nach Liz stärker und deshalb führte sein erster Weg ins Santiago – zu ihr.

„Ich will nur nachsehen, ob es Liz gut geht und ob du sie nicht irgendwie verführt und ins Unglück gestürzt hast!“, überzeugte er sich selbst mit dieser schlecht konstruierten Argumentation. „Dann werde ich denen allen schon zeigen, dass man mich nicht so einfach abservieren kann! Bereitet euch schon mal darauf vor - Colt ist wieder am Start und mischt den Laden auf!“
 

Nach einigen Stunden erreichte Colt das Santiago erschöpft. Hitzewallungen wechselten sich mit Kälteschauern ab, die durch seinen Körper jagten und ein erstes Anzeichen des Entzugs waren. Das Zittern seiner Hände übersah er geflissentlich, als er seine Hand auf den Türgriff legte.

So stürmisch wie der Wind, der ihm fast die Kleider vom Leib riss, überkamen ihn alte Erinnerungen. Vielleicht hätte er mit Robin ein schönes Leben haben können, vielleicht wäre er inzwischen schon Vater und hätte selbst einen Sohn, mit dem er Fischen und Reiten gehen konnte. Aber damals war er einfach nicht bereit für das alles gewesen, obwohl er sich eine Familie insgeheim schon immer gewünscht hatte. Damals sah er den einzigen Ausweg darin, alles zurückzulassen und von jetzt auf gleich zu verschwinden; mit dieser Entscheidung musste er leben, denn ungeschehen machen konnte er nichts. Erst mit dem Wissen von heute konnte er Robins damalige Bemühungen verstehen und schätzen, auch wenn es ihr nichts mehr brachte. Manchmal fragte er sich, wie es ihr ging und ob sie wieder geheiratet hatte, oder ob sie sich auf immer und ewig allen Männern verwehrte. Anrufen würde er sie allerdings nicht.

Schließlich straffte er sich und sein Blick wurde entschlossen, als er endlich eintrat.
 

Wie immer saßen nur wenige Gestalten im Saloon und hingen müde vor ihren Getränken, während die Saloongirls ein wenig zu dem alten Klavier tanzten und ihre weiten Röcke schwingen ließen.

Einige Köpfe hoben sich interessiert, als eine Böe hereinfuhr, aber Colt hatte nur Augen für eine - Liz. Sie stand wie gebannt hinter dem Tresen und merkte gar nicht, dass ihr das Bier, das sie gerade zapfte, über die Hand lief.

„Colt!“ Wie hypnotisiert stellte sie das Glas beiseite, wischte sich gedankenverloren die Flüssigkeit an ihrem kobaltblauen Kleid ab und eilte zu dem schief grinsenden Cowboy, den sie so vermisst hatte. Er kam ihr entgegen und als sie sich in der Mitte des Weges trafen, hob er sie kurzerhand hoch und küsste sie stürmisch. Sie wehrte sich nicht, sondern schmiegte sich verlangend an ihn, so dass er sie ohne weitere Worte und ohne sie abzusetzen hinauf in den ersten Stock trug, wo sich ihr Zimmer befand. Er kannte den Weg noch ganz genau.

Obwohl ihm der Alkoholentzug schwer zusetzte und er Kopfschmerzen hatte, beflügelte ihn Liz’ Anwesenheit umso mehr und viel mehr als er jemals hatte zugeben wollen. Jetzt sah er alles klar und deutlich vor sich, was ihm schon längst hätte bewusst sein sollen.

Im Zimmer legte er sie sanft auf das Bett und nahm sich alle Zeit, ihr stundenlang in ihre strahlenden Augen zu sehen und durch ihr langes Haar zu streicheln. Sie redeten nicht, und das war auch nicht nötig. Sie verstanden sich ohne Worte, denn es gab nichts, was jetzt gesagt werden musste. Liz war diejenige, die nach einer ganzen Weile nach Colts Lippen suchte. Nach und nach wurden ihre Küsse leidenschaftlicher und inniger und ihre Hände suchten ihren Weg unter die Kleidung. Colt grinste Liz schelmisch an, als er die Schnur über ihrem Dekolleté löste und sie erwiderte sein Grinsen auf die gleiche Weise. Als würde er ein Geschenk auspacken entblätterte er seine Freundin, die sich wohlig räkelte und ihm so alle Vorzüge ihres Körpers präsentierte. Bald schon lag auch Colts Kleidung achtlos neben dem Bett.
 

Viel später hielt Colt seine Liz in den Armen und betrachtete ihr hübsches Gesicht, während er mit ihren feuerroten Locken spielte. Sie schlief tief und fest mit einem seligen Lächeln auf den Lippen.

„Ich will dich“, murmelte er zufrieden in ihr dichtes Haar und ließ seine Augen über ihren Busen, ihren flachen Bauch und ihre Hüften hinunter zu ihrem Po und schließlich zu ihren Beinen wandern. Sie war nicht schlank, aber auch nicht dick, und ihre Rundungen, waren genau da, wo eine Frau sie haben sollte. Er erinnerte sich daran, wie sie gemeinsam Karten gezockt und um die Wette gesoffen hatten. Oder wie sie eigenhändig die Raufbolde, die es zu wild trieben, vor die Tür gesetzt hatte. Wie oft hatte sie für ihn auf der Bühne getanzt und ihm verführerische Blicke zugeworfen? Oder war um ihn herumgeschwänzelt, während sie die Kneipe mit schmutzigen Liedern unterhielt?

‚Damals hab ich das nicht gecheckt, dass mehr hinter deiner Schäkerei steckte’, dachte er und amüsierte sich über seine Blindheit. ‚Nicht Blindheit … es gab einfach zu viele, die zu süß waren’, korrigierte er sich. ‚Aber jetzt … wird alles anders!’ Er gab ihr einen leichten Kuss auf das feuerrote Haar und verweilte dort, um ihren lieblichen Geruch in sich aufzunehmen.

„Meine Liz“, murmelte er zufrieden, aber der nächste ungebetene Gast stand schon vor der Tür und klopfte an. „Bitte hilf mir, das durchzustehen.“

Jetzt, wo die Erschöpfung und Müdigkeit einsetzte, spürte er deutlich, dass die Schreie nach Alkohol in ihm lauter wurden. Das Zittern war stärker geworden und er fühlte sich hundeelend. Wie einfach wäre es, zu ihrem Schrank zu gehen und einen tiefen Schluck aus der nächsten Flasche zu nehmen – egal, was es war, Hauptsache es enthielt genug Prozente. Unsicher sah er zum Schrank, worin er die erlösende, bernsteinfarbene Flüssigkeit wusste. Es wäre so einfach! Aber ein weiterer Blick zu ihr gab ihm wieder Kraft, der Versuchung zu widerstehen.

„Nur für dich höre ich mit dem Saufen auf, aber bitte hilf mir dabei“, versprach er ihr murmelnd und zog sie kurz in seine Arme ohne sie zu wecken. Es musste jetzt sein, lange genug hatte er seinen Kummer in Alkohol ertränkt und sich dabei fast selbst verloren. Er wollte keine Zeit mehr für so etwas vergeuden.

Colt bemerkte, wie sein Körper langsam zu verkrampfte und sein Kreislauf verrückt zu spielen begann. Ehe er völlig die Kontrolle verlor, stand er auf und nahm das Magazin aus seinem Blaster. Beides legte er außer Reichweite ins Badezimmer, ehe er wieder zu Liz ins Bett zurückkehrte. Das Karussell drehte sich immer schneller und er stöhnte leise auf.

„Colt?“, fragte Liz besorgt. Von den Geräuschen und der plötzlich fehlenden Wärme war sie aufgewacht. Ihre Stimme war zwar noch etwas rau vom Schlafen, aber sie war sofort voll konzentriert.

„Colt? Was ist mit dir?“ Mit einer fließenden Bewegung schaltete sie das kleine Licht auf dem Nachttisch neben dem Bett an und sah die Schweißperlen, die auf seiner Stirn glitzerten. Sein Gesicht dagegen war aschfahl.

„Das kann nur die Liebe sein.“ Colts Grinsen sollte Zuversicht ausstrahlen, wurde aber von Schmerzen und Krämpfen überlagert, so dass er nur eine elende Fratze zustande brachte.

„Colt!“ Liz schrak zusammen, aber sie war sofort im Bilde, was ihren Liebsten quälte. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie fest, während ihre andere nach seiner Temperatur fühlte und dann durch sein lockiges Haar strich.

„Ich bin bei dir“, versprach sie leise, küsste ihn kurz auf die Stirn und eilte davon, um ein feuchtes Tuch zu holen.
 


 

Erst dachte sie, dass Colt seinen Entzug so durchstehen konnte, doch in den nächsten Stunden verschlechterte sich sein Zustand so sehr, dass Liz einen Arzt bestellte, der Colt sofort in eine Klinik einwies. Wie hätte sie auch ahnen können, wie schlimm seine Sucht war?

Da sie selbst einen Pilotenschein hatte, packte sie eilig ein paar Sachen zusammen und flog mit Colts Phoenix hinterher. Sie selbst kannte sich mit Entzugserscheinungen nicht aus und, obwohl sie wusste, wie sehr Colt Krankenhäuser hasste, konnte sie darauf keine Rücksicht nehmen.
 

Colt wurde von Fieber überfallen, das sich bald wieder in Schüttelfrost kehrte, von wilden Träumen hin zu einem fast totenähnlichen Schlaf, von Schreien über leises Gemurmel und Stöhnen hin zu völliger Stille. Immer wieder musste er sich übergeben, obwohl er nichts mehr in seinem Magen hatte. Seine Haut war blasser geworden als sie ohnehin schon war.

Liz machte sich unendliche Sorgen um ihren Liebsten und wachte an seiner Seite. Sie ging der betreuenden Schwester zur Hand und wusch ihm den Schweiß von der Stirn oder legte mehr Decken über ihn, wenn er fror.

„Er ist in guten Händen, Miss“, beruhigte die Krankenschwester Liz, die am nächsten Morgen ziemlich müde und erschöpft aussah. „Ruhen Sie sich ein bisschen aus und gehen Sie etwas essen, hm?“

Liz überlegte, dann nickte sie, wenigstens um kurz selbst etwas zu frühstücken und sich ein wenig frisch zu machen. Die Ärzte und Schwestern konnten ihn besser versorgen als sie, aber sie spürte deutlich, dass sie Colt nicht mehr allein lassen wollte.

‚Fireball hat zwar gesagt, dass es nicht lohne, sich um ihn Sorgen zu machen’, erinnerte sie sich an die Worte von Colts Freund, während sie zuschaute, wie der billige Kaffee aus dem Automaten in den Plastikbecher floss. ‚Aber Colt ist zu mir gekommen und das beweist das Gegenteil. Er ist es immer wert und ich hatte recht!’ Sie schloss ihre Hände um den Becher und trat zum Fenster, um hinaus in den kleinen Park zu sehen. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie die aufgehende Sonne betrachtete.

‚Es war die richtige Entscheidung gewesen, nicht zu ihm zu fliegen, sondern darauf zu hoffen, dass er den Weg zu mir findet. Jetzt ist Colt aus freien Stücken zu mir zurück gekommen. Ich glaube, bald wird alles gut.’ Sie fühlte sich im Moment glücklich, beschwingt und gleichzeitig ruhig, obwohl sie sehr müde war und es sicher einige Tage dauern würde, bis Colt wieder auf den Beinen war. Sie war bereit, alles für ihn zu tun und auf sich zu nehmen, denn gehen lassen wollte sie ihn nicht mehr und sie war sich sicher, dass diesmal alles anders zwischen ihnen beiden sein würde.
 

Sechs Tage später wachte Colt erschöpft auf. Er spürte die Hand, die in seiner lag und sah Liz, die mit dem Oberkörper auf seinem Bett lag und schlief.

Alles tat ihm weh, als er sich aufrichtete, um ihr über die Haare zu streichen.

„Danke, Babe“, sagte er und seine Stimme war rau und kratzig und er hatte einen wahnsinnigen Durst.

Liz regte sich und hob ihren Kopf, als sie merkte, dass Colt wach war und strahlte ihn an.

„Du hast es geschafft“, sagte sie glücklich.

„Das Schlimmste ist überstanden. Dank dir“, erwiderte Colt und rückte zu ihr heran, um sie fest in seine Arme zu schließen. Er fühlte sich zwar schwach, aber gut und nach einer Flasche Wasser, was zu essen und einer Dusche würde die Welt gleich noch mal anders aussehen.

„Ich hatte Angst um dich“, flüsterte Liz an Colts Schulter und strich ihm leicht über den Rücken, wo sie jeden einzelnen seiner Knochen spüren konnte. Er hatte in den letzten Tagen wegen der fehlenden Nahrung sehr viel Gewicht verloren sah furchtbar aus. Aber seine Haut war längst nicht mehr so grau wie zuvor und auch seine Haare hatten etwas mehr von ihrer alten Farbe zurück gewonnen.

Colt nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah tief in ihre blauen Augen. „Alles wird gut“, versprach er und besiegelte sein Versprechen mit einem innigen Kuss. Liz glaubte ihm und spürte dieselbe Zuversicht von ihm ausgehen wie sie sie auch in sich trug, seit Colt vor ein paar Tagen zu ihr zurückgekehrt war.

„Du könntest eine Dusche vertragen“, zwinkerte sie und strich durch sein lockiges, zerzaustes Haar, woraufhin Colt unschuldig grinste.

„Dann lass uns am besten von hier verschwinden“, antwortete er vergnügt und machte sich daran, aufzustehen, wobei Liz ihn daran hinderte.

„Erst, wenn der Doktor dich gesehen hat“, bestimmte sie, da sie sich besser fühlte, wenn Colt ein paar Instruktionen von dem Arzt erhielt. Sie hatte zwar oft mit dem zuständigen Mediziner gesprochen, dennoch hielt sie es für besser, wenn der Patient dies mit seinen eigenen Ohren zu hören bekam. „Ich hole ihn.“ Ehe Colt Widerspruch einlegen konnte, war Liz aus der Tür hinaus.
 

Einen halben Tag dauerten die Bluttests, ein ausgiebiger Check und ein intensives Gespräch, bei dem der Arzt ihm erklärte, worauf er in Zukunft zu achten hatte, dann durfte Colt endlich gehen. Dies alles zerrte sehr an seinen Nerven, aber immerhin hatte er die Zwischenzeit nutzen können, um etwas zu essen und zu trinken sowie eine ausführliche Dusche zu nehmen.
 

Weil Colt zu schwach auf den Beinen war, führte ihr Weg direkt in Liz’ Hotelzimmer, das sie sich bei ihrer Ankunft genommen hatte, obwohl sie die meiste Zeit im Krankenhaus gewesen war. Im Zimmer nahm er sie fest in seine Arme und hielt sie minutenlang fest, was ihr einmal mehr bewies, wie sehr er sie brauchte - und umgekehrt.

Immer wieder küsste und berührte Colt sie, als ob er all seine Versäumnisse nachholen wollte. Schließlich umfasste er Liz’ Gesicht und sah in ihre hübschen Augen.

„Endlich sind wir allein“, stellte er mit einem Blick auf das gemütliche Bett fest. Kurzerhand zog er Liz mit sich, lehnte sich an das Kopfteil und stopfte ein Kissen in seinen Rücken. Liz lehnte ihren Kopf auf seine Schulter und Colt spielte mit ihren Haaren. Immer wieder wickelte er eine ihrer roten Locken um seinen Zeigefinger und ließ sie wieder aufspringen.

„Liz? Erzählst du mir, was passiert ist?“

„Was genau willst du denn wissen, Cowboy? Es ist einfach so viel passiert in den letzten Jahren, Monaten und Tagen. Wo soll ich am besten anfangen?“

„Fang am besten erst einmal damit an, was Fireball von dir wollte.“

Liz malte mit ihrem Zeigefinger unsichtbare Linien auf Colts Brust, während sie sich ihre Begegnung in Erinnerung rief. „Er war zusammen mit einem Freund da, der wohl auch ein alter Bekannter von dir ist, und beide haben nach dir gesucht. Sie schienen sehr besorgt, weil sie dich einfach nicht finden konnten und ihnen die Ideen und die Zeit ausgingen.“

„Haben sie gesagt, was sie von mir wollten?“

„Nein, leider nicht. Nur, dass es um irgendeinen wichtigen Auftrag ging. Sie waren schon eine Weile unterwegs und haben auch in anderen Saloons nach dir Ausschau gehalten, nur wussten die Kopfgeldjäger dort ebenso wenig, wo du dich rumtreibst.

Wahrscheinlich hast du ihnen irgendwann einmal von uns erzählt, jedenfalls kamen sie auf ihrer Suche ins Santiago und es kam zu einer Schlägerei. Diego hatte mal wieder zuviel getrunken und sich mit deinem Freund angelegt, du kennst ihn ja. Ich weiß gar nicht mal, worum es in diesem Streit ging. Jedenfalls sah es nicht gut aus für Diego, und du weißt ja wie schlecht er verlieren kann. Das konnte er nicht auf sich sitzen lassen und hat ihn einmal quer über den Tresen in die Regale geworfen.

Sicher kannst du dir vorstellen, dass ich Diego nach dieser Aktion rausgeworfen habe und dann haben Eve und ich uns um deinen Freund gekümmert.“

„Ist Fireball was passiert?“, fragte Colt erschrocken.

„Nein, ihm nicht. Aber Jason. Fireball und ich waren gerade nebenan“, antwortete Liz.

„Nebenan?“

„Nicht, was du denkst, Colt!“ Liz boxte ihn auf den Oberarm. „Wir haben uns nur über dich unterhalten. Ist Fireball denn überhaupt noch dein Freund? Er war ganz schön sauer, als er von deiner Farm zurückkam und er riet mir, dass ich mir lieber keine Sorgen um dich machen sollte, du seist es nicht wert. Er würde seine Zeit jedenfalls nicht mehr damit verschwenden.“

„Ja, Babe, er ist es noch“, versicherte Colt. „Ich war wohl ziemlich … naja … unfair … ehrlich … direkt … ihm gegenüber. Das biege ich so schnell wie möglich wieder gerade. Aber sag mal, wer ist Jason?“

„Ein Freund von dir, so wie Fireball sagte. Bariston oder so ähnlich ist sein Nachname. Kennst du ihn nicht?“

Colt kratzte sich am Kinn und überlegte einen Moment und schüttelte dann langsam den Kopf. „Nein, sagt mir nix“, musste er zugeben und grinste. „Mein Gedächtnis ist halt nicht mehr das jüngste! Erzähl weiter, was ist danach passiert?“

Liz gab ihm einen leichten Schubs und grinste zurück. „Du bist wirklich unmöglich“, beschwerte sie sich, fuhr aber mit ihrem Bericht fort. „Später, als Jason verarztet war, habe ich mich mit Fireball unterhalten und irgendwie sind wir auf deine Farm gekommen. Ich kann dir gar nicht mehr sagen wie … und dann ist er sofort losgeflogen, als ob der Teufel persönlich hinter ihm her gewesen wäre.“

„Ja ... Fireball … er ist eben eine echte Rennsemmel“, murmelte Colt und lächelte leicht. „Er hatte schon recht mit dem, was er mir an den Kopf geworfen hat. Und obwohl ich so gemein zu ihm war, war er es, der mir den Tipp gegeben hat, dass ich mal bei dir vorbeischauen sollte.“ Liebevoll schaute er Liz an und ließ seine Hand tiefer gleiten, so dass sie auf ihrem Rücken lag. „Ich werde ihn suchen und mich bei ihm entschuldigen und bedanken! Ich frage mich nur, was Fireball und dieser mysteriöse Jason von mir wollten. Sie haben echt nichts gesagt?“

„Nein, gar nichts“, versicherte Liz. „Jason war nur etwas … hm … schüchtern? … unsicher? … als er sich bei mir bedankt hat. Und so niedlich, als er sich von mir verabschiedet hat. Stell dir vor, er hat mir einen kleinen Handkuss gegeben.“ Liz kicherte, als sie sich daran erinnerte.

„Ich kenne keine schüchternen, unsicheren Typen und schon gar keine, die Handküsse verteilen. Keine Ahnung, mit wem sich Fireball da rumtreibt“, grinste Colt und verschränkte seine Arme hinter dem Kopf. „Aber wenn er das nochmal macht, kriegt er es mit mir zu tun!“

„Ach Colt, sei doch nicht so!“, schmunzelte sie und richtete sich auf, um Colt besser ansehen zu können. „Er war nicht wirklich schüchtern, nur in solchen Dingen eben. Ach ja, Fireball hat den anderen meistens Jesse genannt, fast so, als wäre das sein Name. Vielleicht kommt dir das bekannt vor?“

„Jesse? Ich kenne keinen Jesse“, Colt wurde es heiß und kalt und er hatte das unheimliche Gefühl eines Déjà-vus, dass sich ihm alle Nackenhaare aufstellten, „außer …Jesse Blue“, beendete er den Satz tonlos. Er fuhr hoch, packte Liz an beiden Armen und sah sie erschrocken an. „Wie sah er aus?“

„Colt? Was ist denn auf einmal los? Du machst mir Angst!“ Liz versuchte sich aus seiner festen Umklammerung zu lösen, woraufhin Colt tatsächlich losließ. Aber das Grauen in seinen Augen blieb.

„Wie sah er aus? Jesse?“, wiederholte er seine Frage drängend.

„Groß, ziemlich dünn … halblange, schwarze Haare, blaue Augen.“ Liz stotterte ein wenig, weil Colts Verhalten sie irritierte und beunruhigte. Sie kannte ihn immer als coolen, lässigen Typen, der sich durch nichts aus dem Trott bringen ließ und immer die Fäden in der Hand zu haben schien. Jetzt runzelte Colt seine Stirn, weil diese Beschreibung nicht so ganz seiner Vermutung entsprach.

„Hat er dir etwas getan?“

„Nein, nichts. Er war ganz normal, nett, vielleicht etwas reserviert, und unauffällig“, antwortete sie und als sie bemerkte, dass Colt sich ein wenig entspannte, wurde sie auch wieder ruhiger. „Kämpfen konnte er allerdings sehr gut, Diego hatte keine Chance gegen ihn. Außerdem hat er schlimme Narben am Körper“, fügte sie hinzu, „von einem Feuer. Ein Wunder, dass er überlebt hat.“

Colts Hände spannten sich wieder um Liz’ Oberarme und er zog zischend die Luft ein. Er zitterte. „Narben? Von einem Brand? Was hat er noch gesagt oder gemacht? Sag mir alles über ihn, jede Kleinigkeit ist wichtig!“

„Jesse war es jedenfalls sehr unangenehm, dass ihn jemand so gesehen hat, besonders Fireball. Er sagte, dass er früher in Gefangenschaft einer militanten Gruppe gewesen sei, die irgendwas gegen das Neue Grenzland plant und Informationen von ihm wollte. Sie haben ihn scheinbar gefoltert und nach dem, was ich gesehen habe, glaube ich ihm und auch, dass er dem ein Ende bereiten wollte. Es könnte sein, dass die wieder aktiv sind und deshalb waren die beiden auf der Suche nach dir. Colt, er machte wirklich einen netten Eindruck auf mich und Fireball schien ihm auch zu vertrauen.“

„Militante Gruppe … Es sind einfach zu viele Anzeichen, die dafür sprechen, dass er es sein könnte“, murmelte er und presste seine Zähne aufeinander, während sein Blick ins Leere abdriftete.

‚Das kann ich nicht außer Acht lassen. Was, wenn diese Narben nicht von einem normalen Feuer sind, sondern vielmehr von einem Inferno wie dem im letzten Gefecht? Das war eine regelrechte Hölle, der wir entkommen sind. Kann es sein, dass Jesse es auch irgendwie geschafft hat? Würde mich nicht wundern, wenn der Kerl neun Leben wie eine Katze hat. Aber wenn er es wirklich ist, was macht er hier und wieso zum Teufel ist er mit Fireball unterwegs? Meint er mit der militanten Gruppe vielleicht die Outrider? Hat Fireball nicht sogar irgendwas von Outridern im Sigma-Sektor angedeutet, als er bei mir war? Weiß Saber davon? Ich könnte…’

„Colt?“ Liz unterbrach die Gedankenflut.

Irritiert blinzelte er ein paar Mal und kam in die Wirklichkeit zurück. Mit einem Mal sah er alles ganz klar vor sich, wurde ruhig und strich ihr liebevoll durch das Haar. Das altbekannte Vibrieren erfasste seine Nerven, wie früher, wenn sein Instinkt einen großen Fang witterte.

Sie seufzte und schloss ihre Augen. „Ich weiß, was jetzt kommt“, sagte sie resignierend.

„Babe, nur noch dieses eine Mal“, flüsterte Colt und küsste fest ihren Mund, ehe er nah ihres Gesichts weiter sprach. „Ich muss einfach sicher sein, dass die Geister der Vergangenheit nicht zurück gekehrt sind und wieder in unserem Leben herumspuken.“

„Du kannst Fireball einfach anrufen und fragen, wer dieser Jason-Jesse ist“, schlug sie vor und ihre Augen funkelten kämpferisch. „Du kannst jetzt nicht gehen und mich schon wieder alleine lassen, das ist nicht fair! Nicht, nachdem du gerade wieder gesund geworden bist! Das lasse ich nicht zu!“, brauste sie auf, aber Colt legte ihr liebevoll seinen Finger auf ihre Lippen und schüttelte leicht den Kopf. Sie starrte ihn wütend an.

„Ich muss erst sichergehen, dass meine Vermutung stimmt“, erklärte er, „und glaube mir Liz, ich bete, dass sie nicht zutrifft.“ Wieder küsste er sie und erhob sich dann, um seinen Blaster umzuschnallen, der auf dem Sideboard lag. Sie sah ihm mit versteinerter Miene zu.

„Mein Schiff steht im Parkhaus, nehme ich an?“, fragte er geschäftig und plante im Geiste schon die nächsten Schritte, als er seinen abgetragenen Stetson aufsetzte.

„Nein, ich hab es extra im Halteverbot geparkt“, erwiderte sie bissig und verschränkte ihre Arme. „Verdammt Colt, merkst du denn nicht, was du mir bedeutest? Ich liebe dich! Du solltest in deinem Zustand nicht auf irgendeine bescheuerte Geisterjagd gehen!“ Nur mühsam konnte sie ihre Tränen unterdrücken. Sie war niemand, der nah am Wasser gebaut hatte, doch in den letzten Tagen hatte ihr Nervenkostüm stark gelitten, was sich jetzt bemerkbar machte. Dass sie Colt schon wieder so schnell verlieren sollte, kaum dass sie ihn gerettet hatte, war zu viel für sie.

Als er das hörte, ging er langsam zu ihr und hockte sich vor sie. Er nahm ihre Hände in seine und sah sie ernst an.

„Nur noch dieses eine Mal, Babe“, sagte er leise. Es war keine Bitte, kein Drängen, vielmehr eine Feststellung. „Mir ist es verdammt ernst mit dir, aber genauso ernst ist das, was sich da vielleicht gerade abspielt. Es ist möglich, dass alles ein Hirngespinst ist, aber ich kann die Andeutungen nicht ignorieren, nicht in dieser Sache. Es gibt zu viele Übereinstimmungen, die kein Zufall sein können. Wenn wirklich Jesse Blue dahintersteckt, kann uns Schlimmes bevorstehen, wahrscheinlich sogar ein neuer Krieg. Erst wenn ich Gewissheit habe, dass es nicht so ist, kann ich beruhigt sein.“ Er streichelte mit seinen Daumen über ihre Handoberflächen und lächelte zuversichtlich. „Das ändert aber nichts an meinen Gefühlen für dich, denke immer daran! Endlich weiß ich, dass wir zusammen gehören.“ Er küsste sie lange und innig und merkte, dass sie in seinen Kuss einstieg. Erst als sie beide kaum noch Luft bekamen, lösten sie ihre Lippen und Colt machte sich auf den Weg.

„Colt!“, rief sie ihm halb verärgert, halb versöhnt hinterher, und er drehte sich um und winkte ihr.

„Ich liebe dich auch!“, rief er, als er den Hotelflur entlang rannte und gleich um die nächste Ecke bog.

Wenige Minuten später startete der orange-schwarze Phoenix in den Himmel und die Geisterjagd begann.
 


 

„Die einzige, die mir eingefallen ist und uns weiterhelfen könnte, ist April“, sagte Fireball, als er spät am nächsten Morgen in die Küche trat, wo Jesse sich gerade ein Glas Wasser einschenkte. Sie beide umgingen geflissentlich das, was gestern zwischen ihnen vorgefallen war und blieben auf der geschäftlichen Ebene. Aber etwas hatte sich zwischen ihnen verändert.

„April?“ Dass Fireball sie erwähnte, schmeckte Jesse überhaupt nicht. Die alte Eifersucht erwachte aus ihrem jahrelangen Schlaf und bahnte sich ihren Weg direkt in sein Herz. Dabei hatte Jesse bisher geglaubt, er sei über sie hinweg und musste überrascht zugeben, dass er sich das nur eingeredet hatte. Energisch kämpfte er gegen das Gefühl an und zwang sich, so objektiv wie möglich über Fireballs Vorschlag nachzudenken.

‚Sie war in meinen Plänen nicht vorgesehen und ich möchte sie nicht reinziehen. Allerdings ist Fireballs Vorschlag vielleicht gar nicht mal schlecht. April kennt sich mit solchen Zeichnungen aus und kann bestimmt sagen, wie das Teil funktioniert und wozu man es benutzen kann. Wir kennen sie, was das potentielle Risiko eher einschätzbar macht, als wenn wir die Zeichnungen irgendjemand völlig Fremdem zeigen, den wir erst finden müssen. Dadurch kämen wir wahrscheinlich viel schneller zu einem Ergebnis. Außerdem – wenn wir sie nur deswegen fragen, heißt es ja noch lange nicht, dass sie Teil meines Plans wird.’

„Wie hast du dir das vorgestellt?“, hakte Jesse nach und nahm einen weiteren Schluck, um seine säuerlichen Miene zu verbergen.

„Ich dachte, dass ich sie entweder anrufe und frage, ob sie mich treffen mag oder ich schaue einfach mal so bei ihr vorbei“, antwortete Fireball. „Nach dem Erlebnis mit Colt bin ich mir allerdings nicht so sicher, ob das so eine gute Idee ist.“

„Ach was, sie wird bestimmt abnehmen, wenn sie deine Nummer sieht, nicht so wie Colt“, meinte Jesse und versuchte, möglichst leichtfertig zu klingen. Wenn sein Plan Realität werden sollte, musste er alles daran setzen, dass Fireball April traf und seine Eifersucht irgendwie im Zaum halten. Seine Rache hatte oberste Priorität und Jesse hatte sich geschworen, seine ganze Energie in diesen Plan zu investieren, egal, was es ihn kostete. Es war sein letzter Versuch, und der musste endlich gelingen!

Fireball nahm sich ebenfalls ein Glas und setzte sich rittlings auf einen Küchenstuhl. „Ich weiß nur nicht, was ich ihr sagen soll“, gestand er etwas peinlich berührt und fuhr nervös durch seine Haare. „Wir haben uns so lange nicht mehr gesprochen und irgendwie … ach, ich weiß auch nicht.“

„Ich dachte, ihr seid die besten Freunde, wo ist also das Problem?“, bemerkte Jesse verächtlich.

„Danke für dein ausuferndes Verständnis, Jesse“, schnaubte Fireball im gleichen Tonfall. „Ich hab ja ganz vergessen, dass du keine Freunde hast und deshalb gar nicht kapieren kannst, dass so etwas ein bisschen schwierig sein könnte!“ Er rammte sein Glas auf den Küchentisch und stampfte wütend davon.

„Fireball! So war das nicht gemeint!“

„Mach deinen Scheiß alleine!“, brüllte Fireball zurück, dann flog die Haustüre geräuschvoll ins Schloss.

„Ein klassisches Eigentor“, murmelte Jesse und massierte vorsichtig seine Schläfen. Er ärgerte sich, weil seine Gedanken einfach aus ihm rausgeplatzt waren und er das nicht ungeschehen machen konnte. Hatte er das Vertrauen zwischen ihnen damit wieder zerstört?

‚Nimm dich zusammen, Jesse! Dein Plan ist alles, was zählt, vergiss das nicht!’, ermahnte er sich immer wieder, aber es half nichts. Zu sehr schmerzte die Verletzung und die von Alpträumen durchsetzte Nacht beeinträchtigte seine Konzentration. Wenn er nicht aufpasste, würde seine allerletzte Möglichkeit der Rache dem Untergang geweiht sein.

„Hoffentlich beruhigt er sich wieder“, überlegte er, als er sich wieder an seinen Schreibtisch setzte, um die etlichen abgefangenen Emailverkehre und Überwachungsbänder der von Saber beauftragten Firmen und Politiker zu begutachten.
 

Fireball zündete sich eine Zigarette an und ging mit zornigen Schritten die Straße entlang. Er musste sich abreagieren und bewegen.

„Ich werde einfach nicht schlau aus Jesse, manchmal ist er richtig nett, manchmal so großkotzig und arrogant wie damals. Was will der überhaupt?“ Ein tiefer Zug aus seiner Kippe beruhigte ihn schon einmal ein bisschen.

‚Ich weiß immer noch nicht, ob das alles wahr ist, was wir herausfinden. Eigentlich will ich das alles nicht glauben und trotzdem… Was ist nur aus uns allen geworden? Saber, Colt, mir … und auch Jesse? Wir alle sind nicht mehr die gleichen wie früher, das steht fest. Aber wie sehr haben wir uns verändert und wohin? Wer steht jetzt auf welcher Seite? Damals war das eindeutig, aber jetzt kann ich für niemanden mehr guten Gewissens meine Hand ins Feuer legen.’ Diese Erkenntnis machte Fireball traurig und er zog schnell sein Handy aus der Hosentasche. Während er mit gesenktem Haupt weiterlief, blätterte er sein Adressbuch durch und wich ohne aufzuschauen hin und wieder den Straßenlaternen aus. Als die Zigarette abgebrannt war, zündete er die nächste an.

'Die meisten von denen kann ich wohl löschen', dachte er als er die gespeicherten Namen las. ,Echte Freunde sind das wohl nie gewesen. Am besten mache ich das sofort.'

Nach und nach leerte sich die Kontaktliste und nur vier Nummern blieben zurück: Colt, Saber, April und Jesse. Als er auf den kläglichen Rest seiner Freundesliste sah, lachte er spöttisch auf. 'Ich werfe ihm vor, dass er keine Freunde hat und stehe selbst kaum besser da. Aber sind das wirklich alles meine Freunde? Was Jesse angeht, weiß ich es einfach nicht, obwohl vieles dafür spricht, dass wir irgendwie sowas wie Freunde geworden sind. Bei Colt, Saber und April wünschte ich mir von ganzem Herzen, dass sie es noch sind.' Fireball seufzte auf, als sein Name bei dem Cowboy hängen blieb. ‚Es tut mir leid, was ich über ihn gesagt habe, natürlich ist er genauso viel wert, so wie jeder andere und ich mache mir selbst ja auch Sorgen um ihn. Ich sollte jemanden zu ihm schicken, der nach ihm sieht. Saber kann ich wohl schlecht darum bitten, als Präsident hat er Besseres zu tun. Außerdem, wer weiß, was er nach meinem überaus peinlichen Anruf vor ein paar Wochen überhaupt von mir denkt. Das vergesse ich am besten ganz schnell wieder. Ob April das tun würde? Oder ihn wenigstens anruft, um ihm die Leviten zu lesen? Zumindest würde er sie nicht gleich hochkant rausschmeißen, so wie mich’, stellte er fest und suchte entschlossen Aprils Nummer. ‚Zumindest in dem Punkt hat Jesse recht – wir waren sehr gute Freunde und von meiner Seite aus hat sich daran nichts geändert! Es sollte mir wirklich leicht fallen, ein Gespräch mit April zu führen!’ Bevor er es sich anders überlegte, drückte er auf „Wählen“ und hörte kurz darauf das Klingelzeichen, während er nach geeigneten Worten suchte, das Gespräch zu beginnen. Es kam aber alles ganz anders.

„Fireball? Bist du es wirklich?“ Aprils Stimme klang fröhlich-überrascht.

„Ja, man sollte es kaum glauben, aber ich bin’s wirklich“, lachte Fireball und gleichzeitig fiel ihm ein großer Stein vom Herzen. „Ich wollte mich mal wieder melden, nach so langer Zeit.“

„Das ist schön!“, sagte sie. „Wie geht’s dir? Bist du auf Yuma oder wo treibst du dich gerade rum?“

„Zufällig bin ich tatsächlich gerade auf Yuma“, antwortete er, „und ich dachte, vielleicht könnten wir uns einfach mal treffen? Ich würde dich wirklich gerne wiedersehen. Bist du auch hier?“

„Ja, ich wohne immer noch in Yuma-City und bin zu Hause. Komm doch einfach vorbei, ja? Ich würde mich sehr freuen. Meine Wohnung ist in der Millennium-Siedlung, Andromeda Alley 14.“

„Im Handumdrehen bin ich da!“, versprach Fireball gut gelaunt. „Ich freue mich schon. Bis später!“

Er legte auf, warf den Rest seiner Kippe achtlos beiseite und eilte beschwingten Schrittes zurück zu Jesses Haus. Genauso schwungvoll wie er es vor gut zwei Stunden verlassen hatte trat er nun wieder ein, nur mit um ein Vielfaches besserer Laune.

„Jesse, heute musst du alleine weitermachen, ich treffe mich gleich mich mit April.“

„Ich hoffe, du vergisst nicht, sie nach den Zeichnungen zu fragen“, erwiderte Jesse und verschluckte einen weiteren Kommentar darüber, dass er schon die ganze Zeit alleine arbeitete. Obwohl er sich alle Mühe gab, neutral zu klingen, hörte er selbst ganz deutlich, dass seine Stimme um einige Grade kühler als vorhin war, doch Fireball bemerkte das in seiner Hochlaune zum Glück nicht.

„Keine Sorge“, antwortete er, zwinkerte ihm vergnügt zu und war schon auf dem Weg in sein Zimmer, um frische Kleidung herauszusuchen und anschließend im Bad zu verschwinden.

Die Eifersucht flammte wieder in Jesse auf, und weil er sie nicht beherrschen konnte, fasste er kurzerhand einen Entschluss. Mit einer Miniwanze bewaffnet wartete er, bis Fireball unter der Dusche stand und das Wasser rauschte. Einen ganz kleinen Spalt weit öffnete er die Tür und hörte, dass Fireball fröhlich vor sich hin pfiff. So gut gelaunt hatte er ihn seit ihrem Wiedersehen nicht erlebt, und es nervte Jesse bis aufs Blut. Wie gerne würde er mit ihm die Plätze tauschen, was leider nicht möglich war. Aber er musste einfach wissen, was die beiden besprachen; so etwas wie bei Colt würde ihm nicht noch einmal passieren. Diesmal wusste Jesse von Fireballs Alleingang und konnte entsprechende Maßnahmen ergreifen. Zwar glaubte Jesse nicht, dass Fireball ihm ein Märchen über Colt erzählt hatte, aber bei einem Treffen mit April spielten ganz andere entscheidende Dinge eine Rolle.

Die frischen Klamotten lagen auf dem Badewannenrand und Fireball stand mit dem Rücken zu ihm. Noch eine Weile wartete Jesse, bis Fireball eingeschäumt und das Bad in Nebel eingehüllt war. Als er die Dusche wieder anstellte, schlich Jesse schnell und leise hinein und befestigte die Wanze unter dem Kragen des dunkelgrünen Hemds, das Fireball herausgesucht hatte. Ein paar Sekunden später stand er wieder unbemerkt im Flur und atmete tief durch, um seinen rasenden Puls herunterzukühlen.
 

Fireball brauchte doppelt so lange im Bad wie sonst. Als er sich schließlich um die Mittagszeit nichtsahnend verabschiedete, saß Jesse an der Arbeit. Er hatte die Wanze aktiviert und konnte jedes Wort verfolgen.

„Es könnte spät werden. Warte nicht auf mich“, scherzte Fireball, als er das bestellte Taxi herankommen sah.

„Denk lieber an die Informationen!“, erwiderte Jesse beherrscht, aber innerlich brodelnd. Ihm war kein bisschen nach Witzen dieser Art zumute. Warten gehörte darüber hinaus nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen, aber diesmal konnte er heimlich mithören, was die Zeit erheblich verkürzte.

Gebannt lauschte er also auf Fireballs Ankunft bei Ramrods ehemaliger Navigatorin. Er hatte mitbekommen, dass sein Partner unterwegs ein paar Blumen und eine Flasche Champagner kaufte, ehe er schließlich sein Ziel erreichte.
 

Die Millennium-Siedlung war erst vor knapp zwei Jahren auf einem ehemaligen Industriegelände errichtet worden und sehr begehrt. Wohlhabende Familien und Geschäftsleute bevorzugten diese Wohngegend, da sie ruhig und dennoch zentral gelegen war und ein außergewöhnliches Flair bot.

Aprils Appartement befand sich im oberen Stockwerk eines fünfstöckigen Hauses, das am Rande einer ausgedehnten, schummrig beleuchteten Parkanlage stand, die zur Siedlung gehörte.

Fireball zahlte das Taxi, rückte seine Kleidung zurecht und klingelte schließlich.

„Hi Fireball“, begrüßte sie ihn via Sprechanlage und betätigte den Türöffner, „ich wohne ganz oben.“

Er fuhr mit dem Lift und malte sich aus wie April wohl aussehen würde. Immer wenn er an sie dachte, sah er sie in ihrem roten Overall mit dem blauen Hüfttuch vor sich und ihren langen, blonden Haaren.

‚Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Fünf Jahre? Oder eher sechs?’, überlegte er, während sich ein angenehmes Kribbeln der Vorfreude in ihm breitmachte. Nur noch wenige Momente trennten sie voneinander.

Sie wartete bereits in ihrer Eingangstüre auf ihn, ein leichtes, vielleicht etwas unsicher wirkendes Lächeln auf ihren Lippen.

„Hallo Fireball“, sagte sie und sie schlossen sich lange und fest in ihre Arme.

„Schön, dich zu sehen, April“, hauchte er bewegt in ihre Haare und legte nacheinander den Strauß und die Flasche auf die Kommode im Flur, ohne die Umarmung zu lösen. Es war ein Gefühl als ob er nach Hause kommen würde.

„April?“ Nach ein paar Momenten spürte er, dass sein Hemd auf der Höhe seines Schlüsselbeins nass wurde und ihm dämmerte es, dass sie weinte. Alarmiert hielt er sie von sich weg, um ihr in die Augen zu schauen.

„Was ist los, Kleines?“, fragte er besorgt, aber sie schüttelte nur den Kopf und rang sich ein Lächeln ab. „Ich bin nur so froh, dich zu sehen“, erklärte sie und wischte so gut es ging ihre Tränen weg.

Fireball glaubte ihr nicht und betrachtete sie genauer. Sie sah fertig aus, auch wenn sie sich Mühe gegeben hatte, dies unter etwas Make-up zu verbergen. Ihre langen blonden Haare hatte sie lose zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trug nicht mehr den roten Overall wie damals, sondern ein einfaches weißes Top und dazu eine verwaschene Jeans. Trotzdem sah sie seiner Meinung nach einfach umwerfend aus.

„Komm rein“, lenkte sie ab und zog ihn mit sich.

Gerne ließ er sich von ihr ins Wohnzimmer führen, das sehr groß und geräumig war. Von dort führte eine Tür auf die weitläufige Dachterrasse, von der aus man eine wunderschöne Aussicht über die Skyline von Yuma City hatte. Weit im Hintergrund sah Fireball den Yuma Tower und die anderen namhaften Hochhäuser und auf der anderen Seite lag der Raumhafen, was an dem dichten Flugverkehr zu erkennen war.

„Nachts hat man bestimmt einen tollen Ausblick, wenn die ganzen Lichter an sind“, sagte er und drehte sich vor der breiten Glasfront zu ihr um. „Seit wann wohnst du hier?“

„In dieser Wohnung erst seit gut ein paar Monaten, aber auf Yuma schon immer. Ich mag Yuma und kann mir nicht vorstellen, woanders zu leben. Aber jetzt erzähl mal, wie geht es dir?“ Es war ein schlecht getarntes Ablenkungsmanöver, das Fireball sofort durchschaute.

„Das sollte ich wohl eher dich fragen“, bemerkte er ernst und wischte den Rest einer Träne von ihrer Wange. „Du musst mir nichts vormachen, Süße. Was ist los?“

Sofort schossen neue Tränen in ihre Augen, die sie zu unterdrücken versuchte, was ihr aber nicht gelang. Fireball schloss sie erneut in ihre Arme und strich ihr beruhigend über den Rücken.

„Sag mir was los ist, dann kann ich dir vielleicht helfen“, murmelte er und küsste sie auf ihren Schopf.

Die Antwort kam vom Nebenzimmer, als plötzlich ein Baby zu weinen anfing. Fireball sah verwundert auf, und einige Puzzlestückchen fügten sich schon zusammen. April löste sich von ihm und ging nach nebenan, wo das Kinderbett stand. Fireball folgte langsam und sah zu wie sie das Kind auf den Arm nahm, um es zu wiegen.

„Nicht weinen“, versuchte sie es zu beruhigen und kam zu Fireball, der sie gebannt beobachtete.

„Du bist also Mama geworden“, stellte er überflüssigerweise fest, „und es ist noch gar nicht so lange her.“ Vorsichtig streckte er seine Hand aus und strich mit seinem Zeigefinger über die kleine Hand des Babys, das lauthals weinte.

„Fireball, darf ich dir Colin vorstellen? Er ist jetzt fast fünf Monate alt“, antwortete sie schniefend.

„Hallo Colin“, antwortete Fireball fasziniert und perplex. „Du hast aber ein ganz hübsches Stimmchen und wirst bestimmt mal Rocksänger oder so etwas“, lachte er und April lachte auch etwas.

„Tut mir leid, dass ich davon nichts wusste, sonst hätte ich dir schon früher gratuliert“, sagte Fireball und beugte sich zu ihr hinunter, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.

„Ich habe keine Karten geschickt“, sagte sie und schon wieder flossen die Tränen. „Er schreit die ganze Zeit, von morgens bis abends und nachts und ich weiß einfach nicht, was er hat. Auch die Hebamme und der Kinderarzt wissen nicht mehr weiter und raten mir, einfach abzuwarten. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchstehen kann.“

„Solange du musst“, antwortete Fireball zwinkernd. „Irgendwann werden sie ruhig, glaub mir. Bei Fiona, meiner ältesten Tochter, war es genauso und ich weiß, dass das kein Zuckerschlecken ist. Darf ich ihn mal nehmen?“

„Klar darfst du.“ Sie reichte ihm den Jungen und sah zu, wie er ihn geübt in seine Arme nahm und ungeachtet des Schreiens mit ihm scherzte. Colin wurde nach einer Zeit tatsächlich ruhiger und lachte, etwas, was sie nur sehr schwer nach stundenlangem Herumlaufen, Wiegen und krampfhaftem Bespaßen bewerkstelligen konnte.

„Gehen wir ins Wohnzimmer“, schlug Fireball vor und legte einen Arm um sie, um sich mit ihr auf die Couch zu setzen. Colin schlief schon bald erschöpft vom Weinen auf Fireballs Arm ein und April lehnte auf der anderen Seite abgekämpft an seiner Schulter.

„Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen“, brach es aus ihr nach einer Weile des Schweigens hervor und Fireball hörte Wehmut und Bedauern, die tief in ihrer Seele brannten.

„Was ist passiert?“, wiederholte er seine Frage und drückte sie fest an sich. Nie hatte er April so verzweifelt und überfordert gesehen, nicht einmal damals, als ihr Vater von den Outridern entführt worden war. Sie war immer eine starke Frau, doch jetzt schien es, als hätte sie ihre Reserven aufgebraucht.

„Ich … es tut mir leid, dass ich dich so vollheule“, sagte sie stockend, da sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte. „Wir haben uns so lange nicht gesehen und ich habe nichts Besseres zu tun-“

„Das ist schon okay“, unterbrach Fireball sie, „auch wenn wir uns lange nicht gesehen haben, ändert das nichts zwischen uns. Es ist alles noch so wie früher.“

„Früher...“, wiederholte sie und wischte über ihr Gesicht, „ich wäre lieber auf dem Schlachtfeld als Mama zu sein!“

„April! Weißt du, was du da sagst?“ Fireball war erschrocken über diese Aussage und legte Colin vorsichtig auf die Couch, so dass er nicht aufwachte. „Wir haben für den Frieden gekämpft und du willst mir jetzt allen Ernstes erzählen, dass du dir den Krieg zurückwünschst? Das kann ich nicht glauben!“

„Es ist aber so!“ Herausfordernd sah sie ihn aus ihren nassen, leicht geröteten Augen an. Sollte er sie nur vom Gegenteil überzeugen, sie hatte die besseren Argumente!

„Bei den Outridern wusste man wenigstens, woran man war. Sie waren die Bösen, ihnen durfte man nicht vertrauen! Wir hatten uns, wir hatten Ramrod und wir konnten uns aufeinander verlassen und waren immer füreinander da, egal was war! Aber heute…“

„…sind wir auch füreinander da“, fiel Fireball ihr ins Wort. „Es stimmt, dass es nicht mehr so einfach ist, weil wir nicht mehr jeden Tag zusammen sind. Aber jetzt bin ich hier und wenn Colt oder Saber das wüssten, würden sie auch nicht zögern, dir zu helfen, da bin ich mir ganz sicher! Aber…“ Fireball stockte, als ihm eine wichtige Frage einfiel: „Wo ist Colins Vater? Und wer ist sein Vater?“

Seine Frage verstärkte ihr Weinen wieder und er zog sie wieder an sich heran.

„Was ist mit ihm, April? Hilft er dir und dem Kleinen nicht?“

‚Vielleicht ist er gestorben?’

April brauchte ein paar Momente, ehe sie antwortete. „Dieser miese, hinterhältige Lügner“, zischte sie voller Hass und wischte sich genervt die Nässe von den Wangen. Sie wollte nicht seinetwegen weinen, aber aufhalten konnte sie die Tränenflut nicht.

„Er ist mit meiner besten Freundin Alex durchgebrannt, obwohl er sich angeblich darauf freute, Vater zu werden. Colin war nicht geplant, aber eine Abtreibung kam für mich niemals infrage. Alles schien gut, aber ich habe nicht einmal ansatzweise etwas geahnt. Wie auch, ich hing während der Schwangerschaft fast nur über der Kloschüssel und war mit mir selbst beschäftigt. Und er? Er erzählte mir, dass er viel zu tun hätte und spät nach Hause kommen würde. Die Wahrheit war, dass er sich in diversen Clubs und Hotels mit ihr vergnügte, anstatt für mich da zu sein. Wieso hat er das gemacht? Ich habe ihn doch so geliebt und alles für ihn gemacht.“ Ihr Schluchzen wurde wieder heftiger und Fireball schloss seine Arme fester um sie.

„Oh April, das tut mir so leid für dich“, tröstete er sie, wissend, dass es dafür keine passenden Worte gab. Er spürte unbändige Wut in sich aufsteigen, wusste er doch ganz genau wie April sich fühlte.

„Als ich bei Alex zu Besuch war, habe ich seinen Verlobungsring bei ihr unter der Couch gefunden. Mir war etwas heruntergefallen und als ich es aufheben wollte, fand ich ihn. Er hatte ihn angeblich verloren, was schon schlimm genug war und du kannst dir vielleicht vorstellen, was in mir vorging, als ich ihn an so einem Ort gefunden habe – bei meiner besten Freundin, die ihn nur gelegentlich sah und ihn angeblich nicht leiden konnte.“

„Oh ja, das weiß ich nur zu gut“, antwortete Fireball, der sich an den Moment erinnerte, als er die Affäre seiner Frau entdeckt hatte. „Erst hast du dich gefühlt, als würde dein Herz zu Eis erstarren und dann ist es in tausend Scherben zerbrochen. Richtig?“

„Das beschreibt es ziemlich gut“, schniefte April. „Natürlich habe ich sie sofort damit konfrontiert und sie verstrickte sich schnell in Widersprüche und hat schließlich alles gestanden. Sie trafen sich schon seit über einem Jahr. Ich kam mir so blöd vor, dass ich überhaupt nichts gemerkt habe und wie ein verliebter Teenager alles durch die rosarote Brille gesehen habe. Wie dumm ich doch bin! Eine hochgeschätzte Wissenschaftlerin und Heldin des Neuen Grenzlandes kapiert die einfachsten Dinge des Lebens nicht.“

„Du bist weder blöd noch dumm, Süße, rede dir das nicht ein“, widersprach Fireball entschieden und strich ihr wieder tröstend über das Haar. Er fühlte so sehr mit ihr und wünschte, er könnte einen Teil ihres Leids auf sich nehmen. „Glaub mir, Kleines, das kann jedem von uns passieren, Held hin oder her. Hast du ihn zur Rede gestellt?“

„Nein, dazu kam es leider nicht. Still und heimlich hat er seine Koffer gepackt, als ich nicht zu Hause war und blockt seitdem jeglichen Kontaktversuch ab.“

„Was für ein Feigling!“, knurrte Fireball und zwinkerte ihr aufmunternd zu, damit sie nicht so traurig war. „Bestimmt wusste er, dass er gegen deinen Dampfhammer keine Chance gehabt hätte.“

April lächelte ein bisschen. „Der hat zu recht die Hosen voll! Ich bin so verdammt sauer und wenn er mir irgendwo begegnen sollte, kann ich für nichts garantieren!“

„So kenne ich meine April!“

„Ach, Fire. Wenn es nur so einfach wäre“, seufzte sie traurig. „Als er weg war, hätte mich niemand im ganzen Neuen Grenzland dazu gebracht, weiter in unserer Wohnung zu leben und deshalb hab ich sofort meine Koffer gepackt. Ein paar Tage bin ich bei meinem Vater geblieben, aber ich konnte seine besorgten Blicke nicht ertragen und ich glaube, dass er auch ganz schön überfordert mit allem war. Er ist zwar für mich da und hilft, wo er kann, aber wenn meine Mutter noch leben würde, wäre es einfach was anderes. Das war einen Monat, bevor Colin zur Welt kam und ich bin so froh, dass Daddy mir beim Umzug geholfen hat und das, obwohl er ein vielbeschäftigter Mann ist.“

„Dein Vater würde alles für dich tun“, sagte Fireball, der selbst an seine beiden Mädchen denken musste und sich vornahm, sie nach all dem anzurufen. Bis dahin waren die erhitzten Gemüter sicherlich ein bisschen beruhigt und er konnte einen neuen Start wagen.

„Leider sind nicht alle Väter so“, widersprach April bitter. „Als Colin geboren war, habe ich seinem Vater natürlich eine Nachricht geschickt, aber es kam keine einzige Reaktion. Deshalb habe ich bei seinen Eltern angerufen, die ja auch irgendwie davon erfahren sollten, aber die haben mir klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass sie mich für eine Schlampe halten und daran zweifeln, dass das Kind überhaupt von ihm ist. Ich würde jedenfalls keinen Cent von ihnen kriegen.“ Aprils Stimme erstickte in Tränen, als sie sich an dieses demütigende Gespräch erinnerte und Fireball zog sie wieder an sich und strich ihr sanft durch das Haar.

„Du weißt, dass es nicht so ist und du kennst die Wahrheit. Das kann dir keiner nehmen oder dir irgendwas anderes einreden!“ Obwohl es sonst nicht seine Art war, verspürte er das große Bedürfnis, diesen widerwärtigen, feigen Typen bei Nacht mit einem Baseballschläger zu besuchen.

„Alles, woran ich denken kann, wenn ich Colin sehe, ist sein Vater“, gestand sie schluchzend, „und ich hasse ihn! Aber ich will Colin nicht hassen, obwohl er nur schreit! Er ist doch auch mein Sohn! Fireball, ich kann einfach nicht mehr!“

„April …“
 

Jesse schaltete ab. Er konnte es nicht mehr ertragen, dem Gespräch zuzuhören, denn April war diejenige, die er am allerwenigsten so zerstört sehen wollte, denn sie hatte es nicht verdient. Gleichzeitig war er erleichtert, dass Fireball bei ihr war, der ihr – so musste er neidlos anerkennen – eine starke Schulter zum Anlehnen bot.

‚Jetzt bist du Mutter und ich freue mich für dich auf der einen Seite, aber den Kerl, der die wundervollste Frau im Universum, sitzengelassen hat, dem würde ich gerne mal persönlich begegnen’, sagte Jesse im Stillen zu ihr. ‚Ich hätte dich niemals verlassen und ich hätte mir irgendwann vielleicht selbst mal Kinder gewünscht. Aber das wird weder mit dir noch mit einer anderen etwas werden … mit diesen Narben würde mich eh keine wollen“, stellte er fest und stützte müde seinen Kopf in seine Hand, als er alle seine Fehler erkannte und zutiefst bereute.

‚Ich habe die schlimmsten Torturen in der Phantomzone durchgestanden und mein ganzes Leben meiner Rache an den Star Sheriffs gewidmet, um ihnen das anzutun, was ich wegen ihnen ertragen musste! Das war mein einziger Lebensinhalt und das, was mich antrieb; ich wollte euch alles nehmen, was euch lieb und teuer ist. Und wozu habe ich die ganze Zeit hart dafür gearbeitet und gekämpft? Nur, um feststellen zu müssen, dass ihr das alles selbst schon erledigt habt! Selbst dieser Triumph scheint mir nicht vergönnt und ich muss mit der bitteren Erkenntnis fertig werden, dass ich mein gesamtes Leben verschwendet habe und wieder einmal auf der Seite der Verlierer stehe.’ Er hielt einen Moment inne und ging hinaus in den Garten, um die vielen Sterne am Himmel zu betrachten und einen Zwischenstand zu ziehen, wie weit er mit seiner bisherigen Mission vorangekommen war. Über den Bergen von Yuma blitzte ab und zu ein Wetterleuchten auf, Boten eines fernen Gewitters.

‚Fireball und Colt, ihr seid schon da, wo ich euch haben wollte und du leider auch, April, obwohl ich dir das niemals gewünscht habe. Nur Saber stellt mich wie immer vor große Rätsel. Ich hätte nie gedacht, dass es mich nicht glücklich macht, die berühmten Star Sheriffs von einst so weit unten zu sehen. Ihr wart immer das strahlende Licht, das ich auslöschen wollte, aber jetzt gibt es mir weder ein gutes Gefühl noch bringt es irgendeine Art von Freude mit sich, nicht einmal Schadenfreude. Dabei war es doch das, was ich mir immer ausgemalt habe und trotzdem fühle ich mich leinfach nur eer.

Woran liegt es wohl, dass ich immer aufs falsche Pferd setze? Hätte ich damals mit Trista durchbrennen und eine Familie gründen sollen? Hätte mich das glücklich gemacht? Ich hätte mir viele Qualen erspart, wenn mich damals nach dem letzten Gefecht jemand beseitigt hätte. Aber sogar das blieb mir verwehrt.’ Er ließ sich auf den Boden nieder und lehnte sich an die Hauswand. Die Fliesen der Terrasse waren noch warm von der nachmittäglichen Sonne, trotzdem fror Jesse, als er an die langen, einsamen und schmerzvollen Nächte in der Phantomzone dachte. Ihm fiel auf, dass er sich jetzt ebenfalls einsam fühlte und wie sehr er den Kontakt mit anderen Menschen und deren Nähe brauchte. Er konnte nicht mehr die Augen davor verschließen, dass sein eigener Plan ihn durch die Anwesenheit und Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Rennfahrer in den letzten Wochen verändert hatte. Nach Jahren war Fireball der erste, der ihm zuhörte und seine Gedanken mit ihm teilte und sich sogar um ihn sorgte, wenn es ihm schlecht ging. Bei Liz hatte er dieses Gefühl zum ersten Mal bewusst erlebt und dass auch Fireball so handelte – bei ihm – bewegte Jesses kaltes Herz und taute es auf.

‚Und jetzt, Jesse?’, fragte er sich. ‚Wie geht es jetzt weiter?’

„Ich darf mir nicht von meinem Selbstmitleid mein Ziel vernebeln lassen! Wenn ich jetzt aufgebe, verrate ich mich selbst und das ist das Letzte, was passieren darf. Ich kann nur weitermachen, selbst wenn es aussichtslos scheint’, antwortete er sich selbst nach einer Weile und ballte entschlossen seine Hände zur Faust. „Es gibt noch einen, der auf seinem hohen Ross sitzt und der hat allem Anschein nach mächtig Dreck am Stecken!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Yayoi
2013-02-17T10:12:29+00:00 17.02.2013 11:12
Huhu und danke für deinen Kommi!
Also, ich hab das mit dem Ausnüchtern recherchiert und die Rückfälle wird er sicherlich auch immer mal wieder haben. Das wollte ich nur nicht wirklich ausbauen, weil es sonst zu sehr von der eigentlichen Story abgelenkt hätte.
Ansonsten ist deine Erklärung, dass die Medizin schon weiter ist natürlich perfekt! :)

Und was Jesse angeht, da bin ich auch voll und ganz deiner Meinung. Er ist einfach der Beste ♥
Von:  Reblaus
2013-02-17T10:07:50+00:00 17.02.2013 11:07
Hey,
Also wie Du Colts Werdegang schilderst, gefällt mir . Bodenständig , wie er auch ist. Einzig allein , ich glaube , ausnüchtern dauert länger, vorallem dürfte Colt eigentlich Rückfälle haben, indem sein Koerper nach Ethanol verlangt . Aber vielleicht ist da die Medizin im Neuen Grenzland schon weiterentwickelt.

Zu Jesses Verhalten: spitze beschrieben! Er ist eben doch ein Mensch mit allen tiefen und höhen . Im Anime wird das eher verkannt, dass er sich t
Antwort von:  Reblaus
17.02.2013 11:13
Total menschlich verhaellt. Da wird immer nur die Gute Seite als menschlich dargestellt.

Diesen Knackpunkt nimmst Du Dir ja dann auch noch gleich weiter vor bei April. Ihre Gefühle sind nachvollziehbar ( normal) , aber anscheinend hat sie es bislang noch gut getroffen (Fireballs Erfahrung dürfte mehr weh tun, da seine Kinder aktiv beeinflusst werden).


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