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Mick St. John's - Life before -

Moonlight
von

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31. Dezember 1939 – Silvester

31. Dezember 1939 – Silvester
 

Mick seufzte auf und betrat mit scheuen Schritten die lange, dunkle Gasse, die gerade vor ihm lag. Über drei Jahre war der Überfall auf ihn her und noch immer waren deutlich die dünnen Narben an seiner Halsvene zu erkennen. Sogar Zeitungsartikel hatten von ihm berichtet. ‚Vampirattacke schockt LA!’. Sein Vater hatte sich in Grund und Boden geschämt, denn es war allseits bekannt, dass der Mythos eines lebenden Untoten, der sich vom Blut ernährte, nur eine Geschichte – primär die von Bram Stoker - war um Kinder zu gruseln. Graf Dracula.

Seit jenem Abend hatte Mick schwer mit seinem sonst so makellosen Ruf zu kämpfen. Er galt nicht länger als Schürzenjäger, sondern als ein junger Mann, der sich auf einen ‚Dracula’ einließ und die Konsequenzen dafür nicht tragen konnte. Er galt als unnormal, als nicht richtig im Kopf, so wie wohl jeder Homosexueller in den 40er Jahren verurteilt wurde. Dabei war er nicht mal vom anderen Ufer, wie man so schön sagte! Nur seine Freunde glaubten seiner Geschichte, der Frau, die sich in seinem hals verbissen hatte. Nicht zuletzt, weil sie besagte Frau gesehen hatten.

Anfänglich hatte Mick keinerlei Probleme mit all den Geschichten, die über ihn erzählt wurden, doch er sah die Enttäuschung in den Augen seiner Mutter und vor allem in denen von seinem Vater. Mick seufzte auf und schob sein Fahrrad weiter. Im Korb lagen einige frische Lebensmittel, die er nach Hause bringen sollte. Es dämmerte und ein paar einsame Schneeflocken bahnten sich ihren Weg auf die Erde, als er sich auf sein Klapperrad schwang und des Weges fuhr. Immer weiter ließ er die Häuser hinter sich, bis er schließlich an einem kleinen Waldstück entlang fuhr. Mick begann ein leises Lied zu pfeifen und ignorierte das Knacken der Äste, den Wind, der durch die unbelaubten Äste pustete und die unheimlichen Geräusche der Tiere. Er schluckte, als er gar nicht weit von sich ein paar glühende Augen in der Dunkelheit wahr nehmen konnte. Sofort trat er schneller in die Pedale. Seine Mutter wartete auf die Einkäufe und auch wenn er sich gerade sehr an das Märchen ‚Rotkäppchen’ erinnert fühlte, beschleunigte er sein Tempo. Wenn der böse Wolf ihn fressen wollte, dann musste er auch dementsprechend schnell sein. Ihm fröstelte und der Schnee knirschte unter dem Reifen seines Fahrrads.

Endlich.

Er konnte die Lichter der Farm erkennen, die ihm wärmend entgegen leuchteten. Mick trat ein paar letzte Male in die Pedale, bis er zu Hause ankam. Müde und ausgelaugt, stellte er sein Fahrrad im Schuppen ab und begrüßte den alten Hirtenhund. Es war schon spät an diesem herrlichen Abend. In der Stadt begann sicher schon die ein oder andere Vor-Silvester-Feier, aber er konnte sich dort nicht blicken lassen. Selbst wenn er in seinem Freundeskreis willkommen war, gab es heute jemand anderes, dem seine alleinige Aufmerksamkeit galt.

Schon als er das kühle Farmhaus betrat und Richtung Wohnküche wanderte – einer der wenigen beheizten Räume – breitete sich ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend aus. Ihm wurde trotz der Wärme ganz kalt, denn die Stimmung in seinem zu Hause war gedrückt.

„Ich bin wieder da...“, murmelte er und bekam nur ein mattes Lächeln von seiner Mutter geschenkt, die in der alten Küche einen großen Topf Grießbrei zubereitete. Mick erwiderte ihr Lächeln flüchtig und sah zu seinen zahlreichen Cousins, seiner kleinen Schwester und den anderen Verwandten, die hier versammelt beisammen saßen und auf den kleinen schwarz-weiß Fernseher starrten. Hin und wieder verschwand das Bild oder der Ton, aber es war neben dem leisen Werkeln seiner Mutter, das einzige Geräusch das die Wohnküche erfüllte. Mick lehnte sich an die Eckbank, die schon vollbesetzt war und beobachtete ebenso den Bericht.

„Was ist los?“, fragte Mick leise und runzelte bei den zahlreichen Bildern leicht seine Stirn, wobei sich eine erste kleine Falte über seinen Augenbrauen bildete. Auf seinen Wangen zeichnete sich der erste Flaum eines Bartes ab und auch sonst sah der junge St. John von Tag zu Tag erwachsener aus.

Lucy – seine kleine Schwester – atmete tief durch. „Der Krieg nimmt immer größere Dimensionen an... mittlerweile ziehen immer mehr Nationen in den Krieg. Hoffentlich wirst du nicht auch bald eingezogen.“

Mick seufzte tonlos und betrachtete die Bilder von Tod und Verderben, der dank der Deutschen in die Welt gebracht worden war. Ein zweiter Weltkrieg – war laut manch einem Prediger – unausweichlich. Er knirschte mit seinen Zähnen und schnappte sich die Zeitung.

„Schläft Dad?“, wollte er wissen und schlurfte auf ein Hinterzimmer zu. Seine Schwester schüttelte lediglich den Kopf.

Der junge St. John öffnete leise die Tür zum zweiten Raum und sah sogleich seinen Vater. Zögernd näherte er sich dem Bett des Mannes, der dem Tod näher war, als dem Leben. Die Ärzte wussten nicht was ihm fehlten und hatten der Familie keinerlei weitere Hoffnungen gemacht. So war Michael zum Sterben nach Hause gekommen und fristete dort die letzten Stunden, die ihm das Leben geschenkt hatte. Mit schweren Muskel und Rückenschmerzen war er nicht mehr fähig sich zu rühren und war auf die dauernde Behandlung seiner Familie angewiesen. Seine Hände, Füße und auch sein Gesicht wiesen erhebliche Schwellungen auf. Jegliche Farbe war aus dem Gesicht des sonst so lebensfrohen Mannes gewichen. Er sehnte sich nach dem Tod, nach der Erlösung, denn seine Qualen waren kaum nicht zu ertragen und ebenso erging es Mick immer dann, wenn er seinen Vater erblickte. Seinen eigenen Vater so leiden zu sehen, versetzte ihm immer wieder einen Stich im Herzen. Doch er gab sich einen Ruck und trat so an das Bett seines Vaters, den er so schwer enttäuscht hatte.

„Ich bin zurück, Vater...“, sagte er leise.

Michael mühte sich ab und vollbrachte es schließlich seine Augen zu öffnen. Er atmete tief durch. Matt und kaum mehr Farbe war in seinen Augen zu lesen und doch fühlte Mick, wie der Blick des sterbenden Mannes auf ihm ruhte. Vorsichtig und auch ein wenig scheu setzte er sich zu ihm ans Bett und schlug die Zeitung auf. „Ich lese dir ein bisschen was vor.“ Michael gab nur ein Brummen von sich, denn zu mehr war er kaum in der Lage. „In ein paar Stunden ist schließlich Silvester. Das neue Jahr...“ Ein furchtbares Jahr, dass ihm bevor stand, denn das sein Vater starb, war bereits gewiss.

„22. Dezember Auf dem Bahnhof in Genthin fordert die Kollision zweier D-Züge kurz nach Mitternacht 196 Menschenleben. Am selben Abend stoßen auf der Bodenseegürtelbahn von Lindau nach Radolfzell zwischen Markdorf und Kluftern zwei weitere Züge zusammen, was 101 Tote fordert. Damit ist dieser Tag der schlimmste der deutschen Eisenbahngeschichte. 26. Dezember Erdbeben der Stärke 7.8 in Erzincan, Türkei ca. 30.000 Tote“, las er etwas aus der Zeitung vor und stoppte, als sein Vater tief durchatmete.

„Soll ich nicht weiter lesen?“

Ganz leicht nur schüttelte Michael seinen Kopf und nickte dann ein bisschen, bevor er wieder unverständliche Worte brummte. Mick warf die Zeitung beiseite und beugte sich zu ihm hinab. „Ich versteh dich nicht...“, murmelte er und drehte seinem Vater das Ohr zu um vielleicht etwas zu hören, von dem was er ihm mitteilen wollte.

„Ich ... ....“

Mick rutschte noch ein bisschen näher an ihn heran und hörte dann das leise Nuscheln von Michael. „... bin ... ... stolz ... ... auf .... auf .... dich .........“

Der junge St. John blinzelte und lächelte. „Ja, ich weiß, dass du stolz auf mich bist, denn das sagen Eltern ja immer ... aber ...“ Er drehte sich wieder um und erstarrte augenblicklich als er in die leeren Augen seines Vaters blickte. Unwillkürlich begann er am ganzen Leib zu zittern, als er langsam eine Hand ausstreckte und sie auf die Brust von Michael legte. Nichts. Keine Rührung. Kein Herzschlag. Micks Augen füllten sich mit Tränen, als er zitternd Luft holte und regungslos am Bett seines Vaters saß.
 

Draußen ertönten die leisen Geräusche des Feuerwerks aus der nahe gelegenen Stadt und vermischten sich mit den Jubelrufen seiner Familie. Seine Schwester öffnete die Tür.

„Kommst du? Wir wollen ....“

Sie schwieg augenblicklich, taumelte zurück und fiel auf die Knie. Augenblicklich herrschte Stille in der Wohnstube. Fahrig und schwerfällig erhob sich Mick. Die Zeitung rutschte von seinem Schoss und landete mit einem leisen Klatschen auf dem Boden. Seine Schritte waren schwerfällig, während die Welt um ihn herum verschwand. Dumpf und kaum noch etwas sehend, wanderte er an seiner Familie vorbei. Seine Mutter weinte und saß ebenso auf dem Boden wie seine Schwester. Sie wurde getröstet von seiner Tante oder seinem Onkel. Es war ihm egal. Ohne sich die Jacke überzuziehen trat er hinaus auf die Veranda, ließ seinen Blick über die Felder schweifen, die von einer dünnen Schicht Schnee überzogen wurden. Er fiel beinahe die Stufen nach unten, als er den Weg entlang wanderte. Der Schnee knirschte unter seinen Füßen und seine Zähne klapperten. Die Kälte kroch unter seine Kleidung, schlüpfte in ihn hinein und umfasste sein Herz, das zu Eis erstarrte.

Mick blieb stehen. Wie lange er regungslos nur einige Meter von der Farm entfernt stand konnte wohl niemand sagen, denn die Zeit schien still zu stehen. Der Schmerz über den Verlust eines Verwandten war unsagbar mächtig. Die unendliche Leere machte sich in Mick breit, als er nach hinten kippte und auf dem Rücken im Schnee liegen blieb. Er sah in die Luft, in die Schwärze des Himmels, die nur hier und da von ein paar Schneeflocken durchbrochen wurde. Immer mehr der zarten Flocken ließen sich auf seinem Gesicht nieder und durchnässten seine Kleider. Er hatte das Gefühl zu schweben und war in diesen Sekunden gar nicht mehr wirklich auf der Erde.

Mick beobachtete die glitzernden Flocken, als sich die Stille über das Land legte. Das Feuerwerk von LA war erloschen und so konnte er nur noch den Wind hören, der mit den Bäumen des Waldes spielte.

‚Ich bin stolz auf dich...’ Das waren die letzten Worte von Michael St. John, dem Mann, der ihm seine Werte beibrachte, der ihm zeigte, was es bedeutete zu lieben, zu kämpfen, zu beten und zu hoffen! Michael hatte ihn zu dem gemacht, der er jetzt war und auch wenn er seinem Vater so manchen Kummer beschert hat, so war seine letzte Botschaft unmissverständlich: Er war stolz auf seinen einzigen Sohn.

Micks Lippen umspielten ein kleines Lächeln, als ein paar letzte Tränen über die Schläfen nach unten liefen. Er setzte sich auf, schluckte und straffte seine Schultern. Mühsam rappelte er sich auf die Beine. Die Kälte bemerkte er gar nicht und so schritt er zurück zum Farmhaus um seiner Mutter beizustehen ...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Luna-Noir
2012-03-07T20:40:25+00:00 07.03.2012 21:40
Oh Mann und das zu Silvester, man das ist echt traurig, und die letzten Worte ja doch etwas tröstlich.
Obwohls natürlich auch ein wenig makaber ist, er liest ihm aus der Zeitung vor und berichtet von Toten...
kann ihn verstehen, dass er dann erst mal raus musste, und ich fühle mit ihm


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