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Kaltherzig

von

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the beginning of the end

Da ich eine Konfrontation mit Leonore möglichst vermeiden wollte, flüchtete ich am nächsten Abend direkt auf meinen Posten. Ich wollte gar nicht wissen, was sie sich für hübsche Strafen für mich überlegen würde, sobald sie erfuhr wer für die Flucht der Wölfe verantwortlich war.

Es gab zwar nur sehr wenige Möglichkeiten Reinblüter zu töten, doch das hielt Leonore nie davon ab neue Experimente durchzuführen. Es war mir einfach unbegreiflich, wie sie es geschafft hatte unsere Eltern zu vernichten und ich konnte nicht mit Gewissheit sagen, ob sie mir damit ebenfalls gefährlich werden konnte.

Ich wollte gerade meine sechste Runde auf der Mauer drehen, als mir plötzlich der Geruch eines Werwolfes in die Nase drang. Und es war nicht Tristan, das konnte ich mit Sicherheit behaupten.

„Kommt raus! Ich weiß, dass Ihr hier seid!“, rief ich in den Wald und sprang von der Mauer auf die Tau feuchte Erde. Das Rascheln von Blättern ertönte, ein Windstoß fegte durch den Wald und blies mir die Haare aus dem Gesicht, als hätte mich ein riesiger Drache angepustet.

Ich sah einen Gegenstand aufblitzen und im nächsten Augenblick hörte ich das Zischen eines scharfen Dolches, der direkt auf mich zuflog. Noch in der Luft fing ich ihn auf, kurz bevor die Klinge in meine Stirn einschlug.

Es war mein Dolch. Genau genommen der, den ich in den Brustkorb des Schattenwolfs gerammt hatte.

Sofort war ich auf der Hut und zückte mein Schwert. Das Aufflackern eines türkisen Augenpaars bestätigte meine Vermutung, dass der Werwolf sich hier irgendwo versteckt hielt. Ich suchte die ganze Gegend ab, atmete den Geruch von feuchter Erde ein und versuchte die Spur des Schattenwolfs aufzunehmen, ohne dabei allzu tief in den Wald zu gelangen. Je weiter ich vordrang, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, gleich auf ein ganzes Rudel tollwütiger Werwölfe zu stoßen.

Nach einigen erfolglosen Minuten blieb ich auf einem Streifen Mondlicht stehen, das es geschafft hatte durch die Baumkronen zu scheinen und schloss die Augen. Wenn ich es nicht schaffte den Wolf zu finden, musste er eben mich finden.

Ich spürte einen Luftzug hinter mir. Es roch nach Schnee.

Meine Finger versteiften sich um den Griff meines Schwertes, aber ich rührte mich nicht von der Stelle und atmete ruhig und gleichmäßig. Geduldig wartete ich darauf, dass der Schattenwolf mich angriff. Ich spürte ihn hinter mir aufragen wie ein wahr gewordener Albtraum. Es war also nur eine Frage der Zeit. Sobald er mir nahe genug war, könnte ich ihm mit einer einzigen Umdrehung den Kopf abschlagen.

Ich runzelte die Stirn. Warum ließ er sich so viel Zeit?

Als die Zeit vorüber strich, ohne dass etwas geschah, nahm meine Geduld ein Ende und ich drehte mich um, nur um festzustellen, dass ich alleine war.

Mir blieb nichts anderes übrig, als zu meinem Posten zurückzukehren. Enttäuscht, und doch irgendwie ... erleichtert. Ich hatte genug vom Kämpfen.

Fünf Jahre¸ sagte ich mir. Nur noch fünf Jahre.
 

Die nächsten Nächte statteten mir weder Tristan noch der Schattenwolf einen Besuch ab. Groteskerweise fühlte ich mich deshalb umso gestörter von ihnen, weil sie die ganze Zeit in meinen Gedanken herumgeisterten und ich mir den Kopf zerbrach, warum sie nicht kamen. Hatten sie das Interesse verloren? Hielt etwas sie auf? Hatten andere Jäger sie entdeckt?

Ich hatte eindeutig zu viel Zeit für mich, wenn ich bereits anfing mir Sorgen um Werwölfe zu machen. Ich wurde mir allmählich selbst zuwider, denn ein besonders angenehmer Zeitgenosse war ich nicht gerade. Eher das Gegenteil davon – melancholisch, trübselig und niedergeschlagen mit einem Hang zum Selbstmitleid.

Daher hob sich meine Laune beinahe auf der Stelle, als Oleen mich mit düsterer Miene besuchte. Ihr Arm stand in einem absurden Winkel ab und blaue Male zeichneten sich auf ihrem bleichen Hals ab, die eigentlich schon längst hätten verheilen sollen.

„Was ist passiert?“, fragte ich emotionslos, als sie eine kleine Verbeugung vollführte.

„Die Königin“, sagte sie, als wären weitere Erklärungen überflüssig, dennoch fuhr sie fort: „Sie ist rasend vor Wut, Mylady. Sie hat drei Diener getötet, die das Pech hatten, gerade in ihrer Nähe zu stehen.“

Quelle surprise. Sie hat scheinbar von der Flucht der Werwölfe erfahren.“

Sie nickte langsam. In dem wenigen Licht das uns zur Verfügung stand, wirkten ihre blonden Haare beinahe grau. „So ist es. Sie richtet Euch aus, dass Euch eine Strafe erwartet sobald sie Zeit für Euch findet.“

Mit einem plötzlichen Knacken, wie brechende Knochen, hatte sich ihr Arm wieder in die richtige Position gebracht, ohne dass sie etwas hatte dafür tun müssen. Die Würgemale waren ebenfalls verschwunden und ihre Kiefermuskeln entspannten sich wieder.

„Damit habe ich bereits gerechnet“, gab ich unbeeindruckt zu. „Du kannst gehen, Oleen. Trink etwas und berichte mir über weitere Vorgehensweisen was die Bekämpfung von Werwölfen angeht.“

„Natürlich“, sagte Oleen, blieb aber an Ort und Stellte stehen. „Noch etwas, Mylady. Ich weiß nicht ob es relevant ist, aber in letzter Zeit treiben sich erstaunlich viele Kopfgeldjäger im Schloss herum. Entweder es hat mit dem Schutz der Königin zu tun oder sie plant sie gegen euch zu verwenden.“ Innerhalb eines Wimpernschlags war sie über die Mauer gesprungen und außerhalb meines Sichtbereichs.

Wie ich meine Schwester kannte, war es eher Zweiteres, jedoch musste ich mir deswegen keine Gedanken machen. Sie brauchte mich. Für jetzt. Daher mussten die Kopfgeldjäger einem anderen Zweck dienen. Womöglich versuchte sie die Löcher im Clan zu stopfen, die die Wölfe hinterlassen hatten. Seit diese übermenschlichen Tiere existierten, hatte die Vampirpopulation drastisch abgenommen, besonders da die Königsschlächter die meisten starken und alten Vampire aus dem Weg geräumt hatten.

Was mir dagegen den Schweiß auf die Stirn trieb, war die Furcht vor Leonores Strafe. Sie hatte fast fünfhundert Jahre lang Zeit gehabt, um sich zu einer sehr kreativen und gleichzeitig höchst grausamen Persönlichkeit zu entwickeln. Ihre Spiele waren bereits alles andere als witzig, ich wollte gar nicht wissen was sie sich überlegte um jemandem richtig wehzutun.

Dank meines Status‘ – und meinem mangelnden Interesse an vampirischer Politik – besaß ich sozusagen Narrenfreiheit, die mir erlaubte einige Regeln und Gesetze nach meinem Belieben zu biegen. Bis jetzt war ich also noch nie in den Genuss von Leonores Fertigkeiten gekommen, doch ihr Ruf eilte ihr voraus.

Ich brauchte sie nicht dazu, mir das Leben zur Hölle zu machen. Das schaffte ich schon ganz alleine.
 

Gerade als ich angefangen hatte, wieder zu meinem alten Ich zurückzukehren, tauchte erst nach einem ganzen Monat – in dem ich Leonore kein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte – eine bekannte Gestalt hinter den Bäumen auf und kam mit grimmigem Gesichtsausdruck auf mich zugeschlendert.

Ich straffte die Schultern und versuchte dem Drang zu wiederstehen eine Waffe zu ziehen. Auch wenn er stinksauer aussah, glaube ich nicht, dass er mich angreifen würde. Es würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn ich mich in diesem Punkt irrte.

„Was soll das bedeuten, du lässt dich nicht bestechen?“, fragte er aufgebracht und hielt das Collier auf Augenhöhe, als wäre es der Beweis für irgendeine Schandtat die ich begangen hatte. „Ich sagte doch, es ist ein Geschenk.“

„Ich brauche keine Geschenke.“ Obwohl die Versuchung unheimlich groß war, das schöne Stück einfach für mich zu behalten. Allerdings was sollte ich damit? Man durchsuchte fast jeden Monat mein Zimmer und wenn Leonore das Collier an meinem Hals sah, würde ihr sofort klar werden, dass ich es von Außerhalb hatte. Ich kannte ihre Schätze, genauso wie sie die meinen kannte, daher war es fast unmöglich unseren Besitz voreinander geheim zu halten.

Tristan kniff die Augen zusammen und fixierte mich mit einem derart harten Blick, dass ich versucht war wegzugucken. „Wenn du wirklich so kaltherzig bist, wieso hast du dann Peter und Lyon frei gelassen?“

Schön, sie hatten es also lebend über die Grenze geschafft. Wenigstens eine Sache, die in letzter Zeit nicht schief gegangen war.

„Ein Anflug geistiger Umnachtung“, sagte ich und winkte wie selbstverständlich ab. „Ihr könnt mit danken, indem Ihr und Euer türkisäugiger Freund mir in Zukunft aus dem Wege geht.“

„Was hast du gerade gesagt?“

Ich musterte ihn prüfend. Er sank in sich zusammen, als hätte ihm jemand einen Felsen auf die Schultern gesetzt. „Ihr habt richtig gehört, Tristan. Ich will, dass Ihr und der große, schwarze Wolf mit den türkisblauen Augen außerhalb meines Territoriums bleibt. Ihr seid mir ein Dorn im Auge.“

Tristan schüttelte heftig den Kopf, wobei etwas längere Strähnen hin und her geschleudert wurden. „Nein, Becca, du verstehst nicht, er ist––!“

„Na, wenn das nicht allerliebst ist“, neckte plötzlich eine bekannte Stimme und ließ mich zur Salzsäule erstarren. Langsam drehte ich meinen Kopf und betete mit aller Macht, dass es nicht die Person war, die ich geglaubt hatte zu hören.

Doch da stand sie. Mein persönlicher Albtraum. Dieses Mal trug Leonore ein knöchellanges, indigoblaues Kleid mit Fransensaum und einem eng zugeschnürtem Korsett. Sie hatte kleine Runensteine in ihr hüftlanges Haar geflochten und hielt in ihrer rechten Hand ein Schwert. Laut dem Schimmern der Klinge, handelte es sich dabei wohl um Silber.

„Leonore, was tust du hier?“, fragte ich, absichtlich emotionslos. Sie sollte nicht die Genugtuung bekommen, mich aus der Fassung gebracht zu haben.

Die Vampirin lächelte und zeigte ihre langen Eckzähne. Gemächlich streichelte sie ihr kleines Schoßhündchen, das sich zufrieden an sie schmiegte und mich schadenfroh, mit immerzu leuchtenden Augen, ansah. Evelyn. Ich hätte wissen müssen, dass dieses kleine Biest blind den Befehlen ihrer Herrin gehorchte und mich hinterrücks ausspionierte.

„Nachdem man mir berichtet hatte, du hättest die Gefangenen frei gelassen, dachte ich, ich sollte dir einen kleinen Besuch abstatten, wo ich doch schon so lange keine Zeit mehr für dich hatte.“ Ihre Augen blitzen scharlachrot auf. „Ich wusste nicht, dass du in solch … interessanter Gesellschaft bist.“

Tristan versteifte sich hinter mir und ließ Leonore und ihre Gefolgschaft – bestehend aus Evelyn und drei anderen Vampiren – nicht aus den Augen. „Wer ist das, Becca?“

Anfangs hatte ich es noch begrüßt, dass die Wölfe scheinbar nicht wussten, wer Teil der Königsfamilie war – und vor allem wie sie hießen –, doch in diesem Augenblick, war das alles einfach nur sehr, sehr ärgerlich. Tristan hätte bei ihrem Anblick eigentlich längst die Flucht ergreifen sollen, stattdessen stand er wie eine Statue hinter mir und knurrte die zischenden Vampire an.

„Becca!“ Leonore lachte schrill und warf dabei den Kopf in den Nacken. Ihre höhnische Stimme bereitete mir Kopfschmerzen. „Hast du es ihm nicht erzählt? Also wirklich, Rebecca, schämen solltest du dich.“ Sie wedelte tadelnd mit ihrem Zeigefinger und sprang von der Mauer. Die kleine Teufelin folgte ihr wie ein Schatten.

Meine Augen wurden schmal. „Wage es ja nicht, Leonore.“

Der Werwolf sah mich verständnislos von der Seite an. „Rebecca? Leonore? Was ist hier los?“

„Na los, sag es ihm“, befahl die Königin mit einem breiten Grinsen. „Oder soll ich es tun?“

Ich knirschte mit den Zähnen. Wunderbar. Jetzt würde ich nicht um eine Antwort herum kommen. Besser er erfuhr es von mir, als von ihr. Wer weiß, was für Lügen sie sonst noch mit einfließen ließ.

„Das“ – und es kostete mich große Überwindung diese Worte auszusprechen – „ist die Königin der Vampire, Leonore del Mar die Zweite … und meine kleine Schwester.“

Ich konnte geradezu spüren, wie die Temperatur um Tristan ins Bodenlose fiel. Jegliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. Er presste seine Lippen fest aufeinander.

Ich schloss kurz die Augen und atmete tief durch, dann richtete ich mich kerzengerade auf und tat einen Schritt auf meine Schwester zu. „Leonore, lass uns zurück in das Schloss gehen, wo wir über meine Bestrafung sprechen können.“

Die Vampirin rümpfte die Nase, als hätte sie etwas Ekelhaftes gerochen. „Denkst du wirklich es wäre so einfach? Du hast soeben Hochverrat begangen, Schwesterherz, und mich noch dazu um zwei Gefangene betrogen. Du weißt, dass diese Tat mit dem Tod bestraft wird.“

In ihren roten Augen glomm freudige Erwartung, als hätte sie ewig auf diesen Moment hingearbeitet. War das ihr Plan gewesen? Mich Stunde um Stunde zu beobachten und darauf zu warten, dass mir ein Fehler unterlief? Hätte sie dieses Katz und Maus Spiel bis in alle Ewigkeit weitergeführt? In gewisser Weise war ich froh, dass es nun ein Ende hatte.

„Ich weiß – aber er wird gehen.“ Ich deutete auf den Werwolf, der lauernd im Hintergrund stand und stumm dieses Szenario beobachtete. Warum verschwand er nicht? Warum musste er es mir so furchtbar schwer machen und mich ablenken?

Leonores Lächeln wurde breiter. „Das glaube ich nicht. Schnappt ihn euch!“

Die Vampire, die sich wie Schatten im Hintergrund versteckt hielten, stürmten los und packten Tristan an den Armen, der damit begann sich wild dagegen zu wehren. Er brüllte auf und setzte mit einem heftigen Schütteln seines Körpers die Verwandlung in Gang.

Ich nutzte diese kleine Ablenkung, riss der Königin das Schwert aus der Hand und schleuderte die Klinge direkt durch den Schädel eines Vampirs, der bewusstlos zu Boden ging. Wenn jeder Vampir bei solch einer Verletzung sterben würde, wäre bestimmt schon die Hälfte unserer Art ausgerottet.

Fauchend stürzte sich Evelyn auf mich und krallte sich in meinen Haaren fest. Ihre kleinen aber ungeheuerlich scharfen Fangzähne steuerten direkt auf meinen Hals zu. Ich konnte mir das kleine Biest nur mit Mühe vom Leib halten. Ich vernahm das reißen von Fleisch, als Tristan einen weiteren Vampir aus dem Weg räumte und in kleine Einzelteile verarbeitete, während der letzte Vampir mit einem gewöhnlichen Schwert auf ihn einstach.

Allmählich verlor ich die Geduld. Mit einem kräftigen Ruck verdrehte ich den Kopf der Rothaarigen und ließ sie zu Boden fallen, wo sie mit zuckenden Armen versuchte ihren Kopf wieder in die richtige Position zu bringen. Krächzende Laute drangen aus ihrer Kehle und ließen mich meinen Blick abwenden.

Leonore stand einfach da und blickte verachtend auf das kleine Mädchen herab. Für sie waren Diener nicht mehr wert als Dreck. Ich hatte mich früher ja selbst nicht anders verhalten, aber wenigstens hatte ich gelernt mich um die zu kümmern die auf mich angewiesen waren.

Ich sparte mir den Versuch, meine Schwester anzugreifen. Es hätte ohnehin keinen Sinn, da wir beide uns nächtelang in Stücke reißen, innerhalb Minuten wieder heilen konnten und uns somit absolut ebenbürtig waren. Stattdessen wandte ich mich von ihr ab und stellte erleichtert fest, dass Tristan die drei Vampire erledigt hatte, wenn auch nicht ganz unbeschadet.

Er schüttelte sein blutverkrustetes Fell, woraufhin einige Bluttropfen umhergeschleudert wurden und auf meinem Gesicht landeten. Ich zuckte noch nicht einmal zusammen und wischte mir die Flüssigkeit einfach mit dem Ärmel fort. Tristan kam mit hechelnder Zunge auf mich zu getrottet, nur um daraufhin die Königin der Vampire mit gefletschten Zähnen anzuknurren.

Leonores Lippen wurden schmal als sie allmählich in Bedrängnis geriet. Immerhin war von Evelyn nicht mehr viel zu erwarten. Sie kämpfte immer noch damit ihren verdrehten Kopf zu richten. Ihr Blick huschte kurz Hilfe suchend zu ihrer Herrin, nur um sich wieder abzuwenden als ihr klar wurde, dass von ihrer Seite keine Hilfe zu erwarten war. Aber scheinbar machte das der Rothaarigen nicht viel aus. Ihr ganzer Hass konzentrierte sich allein auf mich.

„Damit wirst du nicht durchkommen, Rebecca“, warnte mich Leonore. „Früher oder später werde ich dich zur Rechenschaft dafür ziehen, was du unserem Volk angetan hast!“

„Wir wissen doch beide worum es dir wirklich geht“, antwortete ich kalt wie Eis. „Du hast mich doch schon immer gehasst. Nein, nicht nur mich, auch andere. Mutter, Vater––“

„Du irrst dich, Rebecca. Du bist diejenige, die sich von uns abgewandt hat.“ Sie erwiderte mein frostiges Lächeln und beugte sich zu Evelyn, um sie zu packen.

Anmutig sprang sie, mit dem rothaarigen Kind unter ihrem Arm, über die Mauer. Der Schwur war damit wohl gebrochen und ich war endgültig aus dem Kreis der Familie verstoßen worden. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis jeder Vampir von meiner Desertation erfuhr und nach Vergeltung lechzte. Schließlich gab es nun keinen Grund mehr sich mir gegenüber zurückzuhalten.

Tristan verwandelte sich zurück in seine menschliche Gestalt, hob das fallen gelassene Collier auf und trat an mich heran. „Deine Schwester, huh? Ich hätte es mir denken können. Du bist zu stark, um ein gewöhnlicher Blutsauger zu sein.“

Ich warf ihm einen strengen Blick zu angesichts seiner Gelassenheit gegenüber dieser Enthüllung. „Ich bin eine Reinblüterin. Niemals gestorben, niemals gewandelt. Es überrascht mich, dass Ihr es nicht schon eher bemerkt habt. Immerhin habe ich einen Herzschlag.“

Er zuckte die Schultern, wirkte aber nachdenklich. „Was hast du jetzt vor? Es sieht nicht so aus, als ob du zurück in euer Nest gehen könntest. Du könntest mit mir kommen.“

Ich brach in schallendes Gelächter aus, welches mir schlagartig wieder verging als ich seine ernste Miene sah. „Hört gut zu, Tristan. Bevor ich auch nur einen Fuß in euer Versteck setze, kehre ich eher zu meiner Schwester zurück. Also geht. Versucht nicht mir zu folgen.“

Keine Frage, je mehr er mich besucht hatte, desto sympathischer war er mir geworden, aber mehr zu empfinden wäre einfach nur töricht. Ich war nicht bereit ihm mein Leben anzuvertrauen und er täte gut daran, genauso zu handeln und dorthin zurückzukehren wo er hingehörte. Es wäre glatter Selbstmord, mich in das Versteck der Werwölfe zu begeben.

Ich wandte mich ab und machte mich auf den Weg nach Süden, wo sich etwa zwei Meilen entfernt ein kleines Dorf angesiedelt hatte. Anfangs konnte ich noch Tristans Schritte hinter mir hören, die jedoch nach einiger Zeit leiser und leiser wurden, bis ich mir sicher war ihn abgehängt zu haben. Mal hielt ich mich an der Grenze und mal im Wald auf, bewegte mich im Zickzack fort, um mögliche Verfolger abzuschütteln.

Wie schon an der Ostgrenze endete der Wald abrupt, da die Menschen vor Winteranbruch eine ganze Reihe von Bäumen fällen mussten, um die eisig kalten Monate zu überstehen. Vor mir breitete sich kahles Festland aus, in dessen Mitte das kleine Dorf stand. Von außen machte es ein katastrophales Bild, doch je tiefer man in das Herz dieser Miniaturstadt drang, desto mehr machte es einen stabileren Eindruck.

„Wer seid Ihr? Ein Reisender?“, ertönte plötzlich eine kratzige, alte Stimme. „Nachts hat hier niemand etwas zu suchen. Hier lauern Kreaturen, denen Ihr lieber nicht begegnen wollt.“

Der Nachtwächter, der mich bei seinem Rundgang bemerkt hatte, trug einen gut sichtbaren, weißen Umhang und hatte eine Fackel in der rechten Hand, die er vor Schreck beinahe fallen gelassen hätte, als ich mich ihm mit roten Augen zuwandte.

„Ich weiß“, antwortete ich, warf meine Kapuze zurück und war bei ihm, bevor er auch nur einen Schrei ausstoßen konnte, um die anderen zu warnen. Ich brach ihm mit einer schnellen Kopfumdrehung das Genick und schleifte seinen leblosen Körper anschließend in den Wald, auch wenn ich nicht glaubte, dass sie für lange Zeit unentdeckt blieb.

Daraufhin schlich ich mich unbemerkt an den anderen Nachwächtern vorbei in das kleine Dorf, das mich für kommende Zeit beherbergen würde.

Bis auf einige Trunkenbolde, wagte sich zu dieser Stunde niemand außer Haus und so schaffte ich es unbehelligt zu einer Taverne die Zimmer vermietete – und abgeschlossen war. Doch da ich ohnehin nicht vorgehabt hatte, einfach so zum Vordereingang hereinzuspazieren – ich nahm an, dass eine allein reisende und bewaffnete Frau mit weißen Haaren durchaus auffällig gewesen wäre –, kletterte ich die Seitenwand innerhalb einer kleinen Gasse hoch und schlüpfte in das einzige offene Fenster im dritten Stock.

Eine kleine Kerze erleuchtete den kleinen, schmuddeligen Raum, in dem sich bereits der Schimmel in den Ecken sammelte und bestand aus einer Kommode, auf der ein Wasserkrug mitsamt Schüssel stand, einem Tisch ohne Sessel und einem schmalen Strohbett. Ein jämmerlicher Vergleich zu meinem ehemaligen Zimmer, in dem die Betten mit Federn gefüllt waren und jedes Möbelstück in höchster Feinstarbeit gemacht worden war.

Unter der leise knisternden Decke regte sich ein Mann und ein schmutziger, fettiger Haarschopf lugte hervor, gefolgt von einem faltigen Gesicht und einer Alkoholfahne, die mich die Nase rümpfen ließ.

Schneller als er seine Müdigkeit wegblinzeln konnte, war ich bei ihm und drückte mit einer Hand seine Kehle zu. Er strampelte träge, versuchte noch nicht einmal nach dem kleinen Schneidemesser auf der Kommode zu greifen und krallte stattdessen seine dreckigen Finger in meinen Arm, als glaubte er, gegen mich ankommen zu können. Seine dunklen Augen starrten weit aufgerissen in mein Gesicht und als er unter meinem Griff erschlaffte, machte ich mich mit Fangzähnen über ihn her.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Rapsody
2013-09-10T16:24:04+00:00 10.09.2013 18:24
Tadaaa, da bin ich wieder.
Also mir ist hier wieder aufgefallen, dass ich Rebecca noch nicht ganz durchschauen. Einerseits ist sie komplett abgebrüht und emotionslos. Dann aber hat sie auch mal Anflüge von Angst, vor allem was ihre Schwester betrifft, was man gar nicht vermuten mag. Dann natürlich Tristan und der Schattenwolf. Who the f*** ist der Schattenwolf?
AAAAAHHHHHRRRGGHHH
Verrückt.

LG
Von:  Enyxis
2013-06-21T19:04:07+00:00 21.06.2013 21:04
WTF?! Leonore hat ihre EIGENEN Eltern getötet??? O__o Schlechte Erziehung, oder wie?
Schattenwolf xD Sry bei dem Wort muss ich immer an eine bestimmte Serie plus Buchreihe denken xD Aber echt mal: O__O WER IS DAS VIECH?
Ich find deine FF total toll!!
Von:  blacksun2
2012-03-19T13:20:43+00:00 19.03.2012 14:20

o.O das war aber gar nicht nett von Becca, aber man sollte eben nie vergessen, dass sie eine Vampirin ist und anders empfindet als ein Mensch
nur wird sie so nicht lange unbemerkt bleiben, immerhin schon zwei Tote in einer Nacht und ich fürchte ihre Schwester wird bereits auf der Suche sein

*grübel* wer ist nur dieser Schattenwolf, warum tötet er sie nicht?

Sehr genial war der Vergleich mit dem Atem eines Drachen
Aber was sag ich da, eigentlich ist das ganze Kapitel genial
Dein Ausdruck ist so ausgereift, so flüssig und bildhaft. Ich liebe es
Wirklich, wirklich WUNDERBAR

glg



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