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Harmonie

von

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So kann es bleiben...

Kapitel 39: So kann es bleiben
 


 

Soundtrack: Alles kann besser werden – Xavier Naidoo


 


 


 

“Hallo, Hermine… oh!” Harry wich einen Schritt von Hermines Tisch zurück, als Hermine ihren eben noch hängenden Kopf hob und ihn mit einem mörderischen Blick durchbohrte.
 

„Äh… darf ich mich setzen?“, fragte er zaghaft und trat einen weiteren Schritt zurück, als wolle er für alle Fälle eine Fluchtbahn freihalten.
 

Hermine verzog die Mundwinkel missmutig nach unten, grunzte und kickte mit dem Fuß gegen den Stuhl auf der anderen Tischseite, um ihn Harry entgegen zu schieben.
 

Er wirkte nicht überzeugt und hielt weiter Abstand. „Alles okay bei dir?“
 

„Setz dich!“ Hermine funkelte Harry gereizt an und zog ihr Tablett näher zu sich, um ihm Platz zu machen. Harry presste die Lippen zusammen, seufzte schicksalsergeben und setzte sich zu ihr.
 

Hermine schnaubte, verschränkte die Arme und richtete sich kerzengerade auf, um Harry samt seinem Mittagessen bedrohlich anfunkeln zu können.
 

Der drehte den Kopf zur Seite und warf dem Nachbartisch, wo einige seiner ehemaligen Aurorenkollegen saßen, sehnsüchtige Blicke zu.

Hermine verstand auch ohne Worte, dass er angesichts ihrer Laune lieber dort als bei ihr gewesen wäre. Er leckte sich die Lippen und drehte sein Glas auf dem Tisch nervös im Kreis. „Tja… ich dachte… weil du hier alleine sitzt, komm ich mal zu dir…“
 

„Wie nett!“, schnarrte Hermine, krallte ihre Hand um ihre neben dem Teller liegende Gabel und rammte diese – Harry zuckte erschrocken zusammen, als fürchte er einen Angriff - wütend in ihren Apfelkuchen. „Was gibt’s?“
 

Er hustete und weitete seinen Kragen. „Tja, also… vielleicht… Willst du alleine sein? Stör‘ ich?“, fragte er hoffnungsvoll.
 

„Nein!“, konterte Hermine und klang dabei genau nach dem Gegenteil.
 

Was sollte dieses Theater? Idiot… schob sein Tablett vor ihr hin und her, als wäre er nicht sicher, ob er es nicht doch lieber packen und eilig flüchten sollte. Hermines Hand klatschte auf den Tisch. „Lass das stehen und fang sofort an zu essen!“
 

Harry nickte ergeben und gehorchte.
 

Eine Weile lang saßen sie schweigend in der Cafeteria.
 

„Tja. Ähm… und wie war dein Urlaub?“, fragte Harry, nachdem er seinen Teller unter Hermines missbilligenden Blicken pflichtschuldig geleert hatte. Hermine schnaubte, woraufhin Harrys Hand sofort zur Serviette schoss und er sich eilig den Mund abwischte.
 

„Toll!“ Diesen Worten zum Trotz verzog sie ihre Lippen, als ob ihr Übel wäre. „Es ist toll als Superreicher Urlaub für Superreiche zu machen. Unser Hotel war überwältigend, das Wetter war gut, wir haben viel Schönes unternommen und gesehen, das Essen war lecker und alle Leute waren ausgesprochen nett zu uns!“ Hermine kickte verärgert mit ihrem Fuß gegen das Tischbein und achtete nicht auf den heißen Tee, der Harry dabei auf die Hand schwappte.
 

Statt sich deswegen zu beschweren, seufzte er tief und zog die Stirn in Falten. „Und äh, wie hat es mit Mal… Draco geklappt?“
 

„Gut“, Hermine kniff ihre Augen zusammen bis sie Harry aus einem winzigen Schlitz heraus mit bösen Blicken durchbohrte . „Die Sprache der Leute dort war ihm unheimlich, aber davon abgesehen war er wirklich verträglich.“
 

„Und zuhause?“
 

„Auch gut!“, erwiderte Hermine so heftig, dass Harry sich eingeschüchtert nach hinten gegen den Stuhl lehnte. „Er hat seinen Schulabschluss mit guten Noten nachgeholt, er rastet nicht mehr wegen jeder Kleinigkeit aus, hat viel seltener Flashbacks, er streitet sich nicht mehr ständig mit seinen Eltern und weil er jetzt weniger Medikamente kriegt, haben wir auch wieder regelmäßig Sex!“
 

Harry hustete, als ob er sich an etwas sehr großem verschluckt hätte. Seine Wangen überzogen sich rosa und die Ohren verfärbten sich tiefrot. „Ah ja…“
 

„Nix, ah ja“, schnarrte Hermine bitter. „Er ist wirklich gut im Bett. Außerdem ist er mittlerweile so weit, dass er es schafft, die meiste Zeit des Tages ausgesprochen nett zu sein. Er verkriecht sich nicht mehr ständig hinter seinem Vater und hat ein harmonisches Verhältnis zu seiner Mutter. Wir können sogar zusammen weggehen, ohne dass er nach fünf Minuten wieder nach Hause will. Er ist ein intelligenter, freundlicher, junger Mann, der wundervoll Klavier spielen kann, mir gerne zuhört und seine Reinblutideologie mittlerweile ausgesprochen kritisch hinterfragen kann.“
 

Hermine bohrte ihre Gabel tief in den Apfelkuchen, riss ein Stück heraus und stopfte es sich in den Mund.
 

Harry kräuselte die Nase, rollte mit den Augen unruhig hin und her und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf dem Tisch. „Ja, äh… ist es Narzissa? Hat sie…“
 

„Nein, hat sie nicht. Seit sie die Neue von Lestrange kennen gelernt hat, hat sie mich nicht einmal Schlammblut genannt oder wie üblich runtergemacht. Stattdessen schiebt sie mir eine Kindergeschichte von Draco nach der anderen zu.“
 

Hermine rollte die Augen, warf ihre Gabel so heftig von sich weg, dass diese an Harry vorbei zu Boden fiel und weiter schlitterte und verschränkte wieder trotzig die Arme.
 

Harry sah der Gabel so sehnsüchtig nach, als wäre er selbst lieber unter dem Tisch, statt oben bei Hermine. „Lucius?“, fragte er nach einigen Sekunden des Schweigens schließlich.
 

„Hat den Urlaub bezahlt. Hab ich doch gesagt. Er ist… die meiste Zeit korrekt zu mir… Stellt mich all seinen Mitarbeitern als Schwiegertochter vor, mischt sich nicht mehr ständig bei mir und Draco ein und dieser Kuchen da“, Hermine verzog den Mund, als würde sie sich jeden Moment übergeben müssen und nickte in Richtung Apfeltorte vor ihr, „ist auch von ihm. Den hat seine Sekretärin für ihn gebacken und er kam vorhin selbst zu mir an den Schreibtisch, um mir etwas abzugeben. Nett, oder?“
 

Harry sah aus, als ob er langsam Angst vor ihr bekommen würde. „Ist der Kuchen…“
 

„Nein, er ist nicht vergiftet.“ Hermine schlug mit der Hand auf den Tisch und beugte sich so schnell in Harrys Richtung, als wolle sie ihn anspringen. „Der schmeckt ausgesprochen lecker. Im Moment esse ich nur noch leckere Sachen. Ich hab schon drei Kilo zugenommen. Sogar die Pizza, die Draco im Krankenhaus für mich gebacken hat, war lecker.“
 

„Malfoy backt Pizza für dich?“, Harrys Gesicht nach, war das das Erschreckendste von allem.
 

„Ja!“
 

Alle Gesichter in der Halle drehten sich zu Hermine um, die kümmerte sich aber gar nicht darum, sondern blaffte ungehalten weiter: „Draco hat in der Therapie kochen gelernt. Er kocht gern. Toll, nicht?“
 

„Ähm…“
 

„Und soll ich dir was sagen? Er war jetzt noch zweimal mit mir bei meinen Eltern und hat mich nicht blamiert, die finden sich langsam mit ihm ab.“
 

„Naja…“, Harry kratzte sich am Kinn und wirkte zunehmend unglücklicher mit der Situation. Er straffte sich und holte tief Luft, schloss die Augen und sprach so schnell, als müsse er etwas sehr Einschüchterndes hinter sich bringen. „Aber… aber was ist denn dann los? Du bist doch total sauer… War irgendwas auf der Arbeit?“
 

„Nein! Alles ist bestens. Alles ist so wunderbar, dass ich kotzen könnte.“
 

Harry schnalzte mit der Zunge, machte ein ausgesprochen dummes Gesicht und wagte zu fragen: „Und das ist… schlecht?“
 

„Nein!“, schrie Hermine ihm so laut entgegen, dass sich die Personen an den Nachbartischen schon wieder verwirrt zu ihnen umdrehten. „Nein, das ist alles toll!“
 

„Geht’s ein bisschen leiser?“, meckerte eine ältere Hexe, die mit einigen etwa gleichaltrigen Frauen am Tisch gegenüber saß. „Wir versuchen uns zu unterhalten!“
 

Das war mehr als Hermine heute ertragen konnte. Sie sprang von ihrem Stuhl auf, rief: „Halt die Klappe, du blöde Kuh!“ und stürmte zur Cafeteria hinaus.
 

Hermines Flucht endete im Treppenhaus. Die Wut von eben war ebenso schnell verraucht, wie sie gekommen war. Doch alles andere schien ebenso aus ihr heraus gewichen zu sein wie der Zorn, den sie eben dieser Frau entgegen geschleudert hatte. Kraftlos und innerlich leer, sank sie auf die Treppenstufen hinab und vergrub das Gesicht in ihren Armen. Die Tränen kamen schneller, als sie darauf vorbereitet gewesen war und jetzt, in diesem kraftlosen Moment, konnte sie damit nicht umgehen.
 

Die Tür öffnete sich und Schritte kamen langsam näher. Jemand kniete sich neben sie und dem Geruch des Aftershaves nach war es Harry, der ihr zaghaft den Arm um die Schultern legte. „Was ist denn eigentlich los? Hab ich was Falsches gesagt?“
 

Hermine schüttelte schluchzend den Kopf. Ihre Nase triefte und so riss sie Harry das hilfreich dargebotene Taschentuch eilig aus den Händen, um ihr fleckiges Gesicht dahinter zu verbergen.
 

„Hermine, was… jetzt sag doch… was hast du denn?“
 

Hermine zitterte so heftig, dass sie fast von der Stufe gerutscht wäre, als sie sich an Harrys Schulter lehnte. „Kapierst du es nicht? Es geht mir gut. Bei den Malfoys ist alles besser, als es vorher für mich war.“
 

Sie wimmerte und war erst einige Momente später in der Lage, dem verwirrt wirkenden Harry ein wenig von ihrem Schmerz zu erklären. „Ron!“, schluchzte sie, und mit einem Mal schien ein Nebel von Harrys verwirrten Gedanken genommen worden zu sein. „Oh!“
 

Er atmete tief durch, drückte Hermine an sich und nickte bekümmert. „Schlechtes Gewissen?“
 

„Ja, und es frisst mich auf.“ Sie schluckte schwer, schnäuzte sich die Nase und fuhr fort: „Der Salon des Manors ist größer als der Fuchsbau. Dracos Vater hasst mich nicht mehr und redet öfter mit mir, als Arthur es jemals getan hat. Narzissa liest gerne und nimmt sich im Moment viel Zeit, um mir ihren Wintergarten zu erklären. Dracos Therapiestunden wurden soweit zurückgefahren, dass er sich eine halbe Stelle suchen kann, das Manor ist wunderschön, meine Stelle im Ministerium macht mir Spaß, ich habe viele nette Kollegen und jetzt wollen uns seine Eltern auch ein Cottage kaufen. Alles ist… gut!“ Sie schüttelte verzweifelt den Kopf und immer noch wollten die Tränen nicht versiegen.
 

„Aber das ist alles so… falsch“, wimmerte sie in Harrys Arm hinein. „Ron konnte nie die Schule beenden. Er wird nie Arbeit finden und wir werden uns nie zusammen ein Haus kaufen können.“ Hermine schluchzte bitterlich. „Nie… Selbst wenn er leben würde, dann hätten wir nie so ein teures Luxusleben führen können wie die Malfoys. Und… und… und ich weiß, dass Draco mich vergöttert und sich in allem furchtbar Mühe gibt, was er für mich macht. Er denkt immer, dass er mich für die Beziehung mit ihm entschädigen muss und deshalb denkt er über alles, was wir miteinander machen, fünfhundertmal so oft nach wie Ron.“
 

Harry seufzte, drückte sie enger an sich und streichelte ihre Wangen, doch für Hermine gab es in diesem Moment, dem Moment, vor dem sie sich fast zwei Jahre lang gefürchtet hatte, keinen Trost. Sie musste ehrlich über sich selbst sprechen. „Ich habe so ein schlechtes Gewissen, weil es im Moment so gut läuft. Weil ich mit Draco einfach mal so einen Urlaub haben kann, den uns Arthur in hundert Jahren nicht hätte bezahlen können… Weil ich… weil mir Lucius bei meiner Stelle geholfen hat, weil Narzissa mir Ohrringe mitbringt, wohingegen Molly nur hässliche Pullis gestrickt hat und weil Draco einfach ein… ein wirklich lieber Kerl ist. Ich habe ein entsetzlich schlechtes Gewissen, weil ich diese Leute doch hassen sollte… Sie haben mir Ron genommen und stattdessen sitze ich da und… ich lasse mich mit Ohrringen, Kuchen und Klavierspielen bestechen!“
 

Harrys Wange lehnte an ihrer Stirn. Er schluckte hart. Etwas Nasses tropfte auf ihre Schläfe. Auch ihm kamen die Tränen. „Ich weiß, was du meinst. Ich vermisse alle und es tut mir unendlich leid, dass wir einfach weiterleben konnten und sie nicht.“
 

Hermine wimmerte und nickte. „Eben! Es ist, als müsste ich mich permanent entschuldigen, weil es so unfair ist, das alles zu haben, während Ron und so viele andere tot in einem Grab liegen. Und Greyback und… und alles was in den letzten drei Jahren passiert ist. Und was mache ich? Gar nichts… ich sollte doch was unternehmen dagegen, stattdessen fahre ich mit Rons Mörder in den Urlaub und lasse mich von diesen Leuten aushalten.“
 

Ihre Stirn an Harrys Schultern hauchte sie mit zitternder Stimme: „Soll ich dir was sagen? Als Marcus Flint mich im Ministerium bedroht hat, da hab ich mich für einen winzigen Moment erleichtert gefühlt, weil ich dachte, dass er mich nun für alles bestraft und mich umbringt. Ich weiß nicht, ob ich bereit bin, mich darüber zu freuen, dass ich überlebt habe, weil ich Angst habe, dass ich in dem Moment, wo ich mich auf dem Manor wohlfühle, zugeben muss, dass ich nicht mehr zu euch gehöre und endgültig alles verraten habe, was mir früher wichtig war. Solange es mir dort schlecht ging, war alles in Ordnung. Da konnte ich mir immer noch einreden, dass das meine gerechte Strafe ist. Aber jetzt ist es auszuhalten und wie rechtfertige ich meinen Verrat jetzt?“
 

Harry seufzte. Sie hörte es nicht nur, sondern sie spürte es auch, weil sie fühlte, wie sich sein Brustkorb neben ihrem Kopf schwerfällig hob und senkte. „Weißt du, ich denke, wir haben alle genug Ärger hinter uns. Das reicht als Buße. Es ist komisch, sich zu überlegen, wie es früher war und dass das jetzt alles vorbei ist, aber das ist doch nicht unsere Schuld. Und du… also, du hast wirklich genug Ärger mit den Malfoys gehabt. Soviel Urlaube können die euch gar nicht bezahlen, um das gut zu machen und ich weiß, dass du dich nicht kaufen lässt.
 

Hermine, diese Leute sind stinkreich und wenn die euch irgendwas kaufen, tut es ihnen nicht weh. Ginny und ich kriegen von ihren Eltern… Pullover und sowas, aber die haben nicht viel Geld und wenn die uns was schenken, bedeutet das zehnmal mehr, als wenn die Malfoys ein paar Galeonen springen lassen. Und ich weiß ganz genau, wenn Ron noch leben würde und ihr zusammen wärt, dann würden die Weasleys das auch für dich tun. Du kommst mit denen doch jetzt nur zurecht, weil ihr euch schon zwei Jahre lang gegenseitig in Grund und Boden genervt habt. Die sind nicht besser als Molly und Arthur. Dort hast du richtig dazu gehört, die haben dich von Anfang an gemocht. Aber…“, wieder seufzte er, drückte Hermine fester an sich und strich ihr besänftigend langsam über den Rücken, „… Ron ist eben tot und du bist jetzt mit einem anderen zusammen. Entweder kommst du damit zurecht, wer Malfoy ist - oder war - oder du gehst. Aber bleib nicht bei ihm, nur um dich schlecht zu fühlen und Buße zu tun, so ein Unsinn.
 

Hermine, dein Leben geht weiter. Klar, es ist anders, als du dir das mit Ron vorgestellt hast. Ja, aber… weißt du, ob es denn mit Ron so geworden wäre, wie du das mit fünfzehn oder sechzehn geplant hast? Glaub mir, du wirst noch oft genug Grund zum Ärgern haben, hör auf, ein schlechtes Gewissen zu haben, nur weil es mal ein paar Tage ruhig war. So und jetzt“, Harry hievte sich auf die Füße, ergriff ihre Hand und zog sie hoch, „steh auf und komm wieder zurück in die Cafeteria. Ich habe noch Hunger und im Gegensatz zu dir nicht die geringsten Skrupel, etwas dagegen zu unternehmen.“
 

Hermine schniefte und rang sich zu einem freudlosen Lächeln durch. „Ich will aber, dass alles wieder so ist wie früher. Du, Ron und ich und Malfoy ist ein feiges, arrogantes Arschloch. Es gibt auf alles eine Antwort und ich weiß immer, was ich tun soll. Ich war früher so anders und… ich habe wieder Kontakt zu meinen Eltern, und die fragen mich immer, ob mir was fehlt. Sie finden, ich bin verändert, aber ich kann denen doch nicht sagen, was hier alles passiert ist. Die würden das doch nie verstehen…“
 

Harry runzelte die Stirn und Hermine meinte zu wissen, dass er ihr gerne sagen würde, dass das auch für ihn galt. Auch was er erlebt und getan hatte, konnte man nicht verstehen, wenn man nicht dabei gewesen war. „Vielleicht solltest du mal mit jemandem reden“, sagte er stattdessen. „Vielleicht hast du die letzten Jahre ja gar nicht die Zeit gehabt, um zu merken, was du alles durchgemacht hast. Jetzt geht’s mit Malfoy besser und weil du wieder mehr über dich nachdenken kannst, da kommt das alles hoch.“
 

Hermine presste die Lippen zusammen und zuckte hilflos mit den Schultern. „Vielleicht.“
 

„Komm, Hermine. Jetzt gehen wir erstmal deinen Kuchen essen. Danach können wir ja über jemanden für dich reden. Muss doch Vorteile haben, dass du bei den Malfoys wohnst. Wenn du jetzt auch noch zu einem Therapeuten gehst, kriegt ihr ganz sicher Mengenrabatt!“
 

Xxx
 

Anfang Mai kauften Dracos Eltern ein Cottage.
 

Nachdem dem der Urlaub, der Probelauf fürs „allein Leben“, recht gut geklappt und es in der letzten Zeit eigentlich keine wirklich besorgniserregenden Vorfälle mehr gegeben hatte (zumindest wenn man Draco zugestand, dass die Party bei Pansy und Blaise friedlich verlaufen war und er an die Wechselwirkung von Medikamenten und Alkohol einfach nicht gedacht hatte) beschloss man, die Vormundschaft für ihn wieder aufzuheben.
 

Die Stellensuche war auch ohnedies schwierig genug und wenn Draco sich bereit erklären würde, die Therapie fortzusetzen, er weiter an seiner Selbstständigkeit arbeitete und Missgeschicke und Probleme offen zugeben würde, dann konnte man weitere Schritte wagen.
 

Es war nun wirklich nicht so, dass Hermine sich im Manor ausgesprochen wohl gefühlt hatte und Dracos Eltern vermissen würde, dennoch war es ein kleiner Schock, als Narzissa ihnen eines Tages beim Essen mitteilte, dass besagtes Cottage gekauft worden war und sie es innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen beziehen konnten.
 

Das Anwesen war so, wie Draco es sich immer gewünscht hatte. Draco, nicht Hermine. Sollte irgendjemand wissen, wie sie sich immer ihr eigenes Zuhause vorgestellt hatte, so hatte es zumindest niemanden interessiert.
 

Das Cottage war… nun… im Vergleich zum Fuchsbau war es groß. Ein schönes Gebäude im Landhausstil mit roten Backsteinen und Efeu, der daran hoch kletterte. Heckenrosensträucher wuchsen um Haus und Garten herum, in dem sommerlich duftende, bunte Blumen blühten und stattliche Bäume standen. Einen kleinen Teich gab es auch und Bänke, um sich davor zu setzen und den Sonnenuntergang zu beobachten.
 

Im Vergleich zu Malfoy Manor war es jedoch höchstens eine Hundehütte. Wenn auch eine Hundehütte, die von einem wunderschönen Garten umgeben war. Aber wer, außer Lucius und Narzissa, wollte schon in einem Museum wohnen?
 

Immerhin lag das Grundstück nicht ganz so verlassen, wie von Hermine befürchtet. Direkte Nachbarn hatten sie zwar nicht, man musste zu Fuß nur knapp eine halbe Stunde gehen, bevor man zur nächsten Ortschaft kam. Von ihrem Schlafzimmerfenster aus konnte man tagsüber die Kamine der nächsten Häuser qualmen und nachts die Lichter der Fenster leuchten sehen.
 

Ein wenig einsam war es schon, doch angesichts der Tatsache, dass sie nun wieder beide apparieren konnten, war das nur ein kleiner Minuspunkt eines ansonsten wirklich zauberhaften, verträumten Anwesens.
 

Draco selbst sagte wenig zu diesem Thema, zumindest zu Hermine nicht. Immerhin wollte er ja jetzt als erwachsener Mann ernstgenommen werden, statt ihr als eingeschüchtertes Kleinkind auf die Nerven zu gehen. Vermutlich ging er stattdessen den Leuten in der Klinik auf die Nerven… zumindest schimmerte das aus manchen Erzählungen durch, wenn sie ab und zu dort war, um ihn abzuholen.
 

Davon abgesehen hielt er sich tapfer. Heldenhaft ertrug er Hermines Einkaufsbeutezüge am Wochenende, schaffte es, keine abfälligen Bemerkungen fallen zu lassen, als Hermine darauf bestand, das Haus mit elektrischen Strom auszustatten und dementsprechende Geräte zu kaufen. Vielleicht ertrug er es aber auch nur deswegen, weil die Rechnungen am Ende doch an seine Eltern gehen würden.
 

Lucius und Narzissa selbst… nun, Hermine gab sich nicht dem Irrglauben hin, dass die beiden sie vermissen würden, aber der Blick, mit dem sie Draco nachsahen, immer wenn er aus dem Zimmer ging, hatte stets etwas Tragisches. Hermines Gefühl nach würden sie so alleine in diesem Cottage gar nicht sein. Sie sah eine Fülle von sehr gut gemeinten und extrem lästigen Kontrollbesuchen der Malfoys auf sich zukommen.
 

Als es dann soweit war, als sie zum ersten Mal in ihrem fertig eingerichteten Haus saßen und Hermine sich schmollend auf einen Sessel vor dem Kamin drückte, weil die Malfoys ihnen allen Ernstes zwei Hauselfen in den Keller gesetzt hatten, verkündete Draco, dass er selbst auch etwas für das Haus angeschafft hätte.
 

Und so präsentierte er voller Stolz „Harmony“.
 

Sein Einzugsgeschenk für Hermine.
 

„Harmony“ war eine cremefarbene Langhaarkatze, die zur Gattung der „Harmonie-Tierchen“ gehörte. Wesen, die dazu imstande waren, Menschen aufzumuntern, sie zu besänftigen und in dem Haus, in dem sie wohnten, eine friedliche, harmonische Atmosphäre schafften. Ein sanftes, goldenes Leuchten umfing sie, so dass sie wie ein auf die Erde gefallener Stern das Zimmer erhellte.
 

Harmony war weich, süß und warm und offenbar wie geschaffen dafür, auf Dracos Arm und Schoß herumzurutschen. Die Katze mochte ja ein Geschenk für sie beide sein, doch Harmony hatte bisher wohl noch nicht mitbekommen, dass es im Cottage noch andere Menschen außer Draco gab.
 

Solchermaßen überflüssig, überließ Hermine Draco seiner haarigen Affäre und verbrachte ihren ersten elternlosen Nachmittag damit, den Elfen klarzumachen, dass sie absolut gleichberechtigt und gleichwertig waren. Danach ermunterte sie die beiden recht verdattert dreinschauenden Diener dazu, eine Gewerkschaft zu gründen und erklärte ihnen, dass sie auf jeden Fall krankenversichert waren und am Wochenende frei bekämen.
 

Sie plapperte so lange, bis die Elfenfrau Hermine mit einem Handtuch bewaffnet aus der Küche schob und erklärte, dass sie jetzt arbeiten mussten.
 

„Ignorantes Volk“, murmelte Hermine indigniert. „Dann werde ich sie eben zu ihrem Glück zwingen. Die beiden werden die zwei freiesten Hauselfen sein, von denen man je gehört hat! Ob sie wollen oder nicht.“
 

Xxx
 

Hermines Körper verspannte sich, als es an der Haustür klingelte. Sie hatte sich so auf diesen Abend gefreut, hatte zwei Wochen lang alles bis ins kleinste Detail geplant und vorbereitet. Sie hatte an alles gedacht, hatte sie zumindest geglaubt. Alles war absolut perfekt gewesen…
 

… und jetzt konnte sie nur noch hoffen und beten.
 

Ihr Herz hämmerte so heftig gegen ihren Brustkorb, dass es beinahe schmerzte, ihr Atem war flach und das Lächeln, mit dem sie ihre Freunde begrüßte, angespannt. Sie umarmte Luna noch recht offen, Ginny schon etwas verhaltener, Neville hielt sie auf Abstand und dem reichlich verwirrt dreinschauenden Harry reichte sie nur die Hand. „Schön, dass ihr da seid.“

Um zumindest halbwegs auszusehen, als würde sie ihre Worte ernst meinen, zwang sie ihre Mundwinkel zu einem freudlosen Lächeln nach oben und trat einen Schritt zurück, um die Vier zum Näherkommen zu animieren. „Kommt rein und seht euch um… Wir sind jetzt seit zwei Wochen hier, es ist an manchen Stellen noch etwas kahl, aber…naja.“ Sie stieß ein verlegenes Kichern aus und führte die Gruppe durch den lichtdurchfluteten Flur.
 

„Oh, wow!“, staunte Neville mit großen Augen. Er hatte es nur bis in die Mitte des Korridors geschafft, dann hatte ihn seine Leidenschaft wohl doch übermannt und er konnte nicht mehr anders, als mit leuchtenden Augen die Blumenranken zu bewundern, die sich durch den Flur über die Decke hinweg schlängelten und den passierenden Menschen das Gefühl gaben, inmitten einer Frühlingsallee zu stehen. „Das sieht toll aus, als ob die Blumen aus der Wand heraus wachsen würden…“
 

„Naja, so ist es auch… wenn man davon absieht, dass es verzauberte Blumen sind und sie natürlich nicht von alleine so wachsen… Aber ja“, Hermine legte den Kopf in den Nacken und betrachtete die pastellfarbenen Blüten, die sich in weiten Abständen von der blassgelben Decke abhoben, „das ist schon alles sehr hübsch.“
 

Sie seufzte schwer, ignorierte den befremdeten Blick, den sie für ihr schwermütiges Gesicht von Ginny erhielt und öffnete stattdessen die Tür, um die Gruppe in das geräumige Esszimmer einzulassen.

Eine breite Fensterfront gab den Blick auf den Garten frei. „Im Zimmer nebenan“, erklärte Hermine und deutete auf eine Durchgangstür gegenüber, „ist das Wohnzimmer. Die Fensterfront ist genauso breit wie das Haus. Wir können immer in den Garten hinaus sehen. Im Sommer wollen wir draußen essen. Schön, nicht?“
 

„Naja, groß“, sagte Ginny und klang dabei ein wenig schüchtern. Etwas, das man von Luna nicht behaupten konnte. Die schob sich, ein Ohr an die Tapete gepresst, flach an der Wand entlang und klopfte immer wieder vorsichtig mit den Händen gegen die Mauer. „Es ist toll hier, habt ihr hier auch Geheimtüren?“
 

„Oben. Die nützen aber wenig, denn die einzigen Besucher, vor denen ich mich hier in geheimen Nebenräumen verstecken wollte, sind Dracos Eltern und die wissen genau, wo sich die Türen befinden.“
 

„So schlimm?“ Neville lächelte. Offen, freundlich… gar nicht mehr so schüchtern wie noch zu Schulzeiten.
 

„Absolut! Sie sind… lassen wir das. Ähm, ja… aber, also wir können jetzt nicht hochgehen. Später vielleicht… da gibt es aber ein Problem.“
 

„Welches denn?“, fragte Harry, der mit misstrauischem Blick um Dracos Flügel herumschlich und aussah, als fürchte er, das Instrument könnte jeden Moment explodieren.
 

„Mich“, erklang eine träge, eiskalte Stimme von der Tür her.
 

Ein Gefühl, als ob man ihr einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf geschüttet hätte. Hermines Magen zog sich auf die Größe einer Erdnuss zusammen. Sie konnte sich nur mühsam beherrschen, um nicht ebenso entsetzt herumzuwirbeln wie ihre Freunde oder ihrem nächster Impuls nachzugeben und Draco mit einer Blumenvase zu bewerfen und ihn aufzufordern, sofort das Weite zu suchen.
 

Da stand er, mit verschränkten Armen lässig gegen die Wand gelehnt und so viel Abscheu und Hass in den Augen, wie es nur Draco möglich war, wenn er Harry und Konsorten ansah.
 

„Ihr seht ja nicht so begeistert aus, mich hier zu treffen“, feixte er boshaft. „Ja, macht nichts, ich nehme euch das nicht übel, kann halt nicht jeder clever genug sein, um sich auszurechnen, dass ich hier sein könnte… Zuhause, bei mir, wer konnte das ahnen?“
 

Niemand, stöhnte Hermine innerlich, denn eigentlich waren alle Anwesenden - selbst Draco eingeschlossen - davon ausgegangen, dass er heute in Malfoy Manor sein würde. Eigentlich… doch Lucius hatte eine überraschende Einladung zu einem indischen Zaubererkongress erhalten und Narzissa war auf die Idee gekommen, diese Gelegenheit zu nutzen, um Andromeda zu sich zu bitten. Nach ihrem letzten Besuch im Manor erschien es Narzissa angebracht, ein solches Treffen ohne Draco und Lucius abzuhalten.
 

Deshalb war er nun doch hier… also im Cottage, aber warum war er hier, in diesem Zimmer?
 

In Hermine war der langsam herangereifte Wunsch, Draco umzubringen, nun so gut wie vollkommen ausgebrütet.

Hermine sah ihren Freunden an, dass sie gerade alle miteinander krampfhaft versuchten auszusehen, als würde ihnen Dracos Anwesenheit nichts ausmachen. Ausgenommen Luna vielleicht, der würde Hermine glatt abnehmen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass ihr ein Todesser direkt gegenüberstand.
 

„Und, gefällt es euch hier?“, fragte er schnarrend und vollführte mit dem Arm eine ausschweifende Geste durch den Raum.
 

„Nett“, entgegnete Ginny unterkühlt. „War doch sicher sehr teuer.“
 

Draco grinste breit und nickte. Mit wiegendem Schritt ging er an der Wand entlang, wobei er seine Finger über die kostbaren Kerzenhalter an der Wand und einige der teuren, chinesischen Sammelstücke gleiten ließ, die auf erkennbar teuren Kommoden drapiert waren. „Allerdings, es ist teuer.“ Mit verschränkten Armen lehnte er sich lässig gegen eine der Kommoden und musterte Harry und Ginny halb belustigt, halb mitleidig. „Tu dir keinen Zwang an, du kannst gehen, wenn du dich hier unwohl fühlst. Ich verstehe schon dass dich das hier verunsichert, nachdem du ja im Slum aufgewachsen bist.“
 

Ginny klappte der Mund auf und ihr Gesicht verfärbte sich vor Zorn zu einem noch tieferen Rot, als es ihre Haare schon waren.
 

„Halt‘s Maul, Malfoy!“ Harry packte Ginny an den Schulter, zweifellos, um sie zurückzuhalten und zog sie ein wenig näher an sich heran. „Mal abgesehen davon, dass nicht jeder im Slum wohnt, der nicht schon als Baby drei eigene Hauselfen hatte, um die Windeln zu wechseln… In den Fuchsbau gehen die Leute wenigstens freiwillig und nicht wie bei euch, weil sie dorthin verschleppt werden oder auf Geld scharf sind.“
 

„Natürlich“, lachte Draco schallend. „Das musst du nicht extra sagen, dass zu dem Pack keiner geht, der Geld braucht. Pass mal bloß auf, dass du dich in deinem neuen Job besser anstellst als in deinem alten als Auror, sonst bist du, die Weaselette und eure zehn hässlichen Kinder, die ihr bald haben werdet, schneller zurück im Fuchsbau als du Sumpfloch sagen kannst.“
 

„Ja, das ist natürlich wesentlich schlimmer, als bis zum Lebensende in der Psychiatrie zu sitzen, wie du!“ Harry schubste Ginny aus dem Weg. Mit langsamen Schritten ging er drohend auf seinen Erzrivalen zu, der bei der Erwähnung des Wortes „Psychiatrie“ knallrot angelaufen war.
 

Hermine meinte sogar hören zu können, wie Draco vor Wut mit den Zähnen knirschte, doch noch bevor er ein einziges böses Wort sagen konnte, tauchte auf einmal Harmony im Raum auf, hob ihr Köpfchen, schnüffelte und stürzte sich unter freudigem Gekicher auf ihres Geliebten Schnürsenkel. Mit wonnigem Schnurren warf sie sich auf den Rücken und verbiss sich, mit ihren Hinterbeinen wild scharrend, in ihrem wehrlosen Opfer. Die Katze leuchtete golden und mit ihr Dracos Schnürsenkel, Schuhe und alles, was sie berührte.
 

„Oh… ein Harmonie-Tierchen“, quietschte Luna verzückt und sprang leichtfüßig auf Draco zu. „Die sind wahnsinnig selten, wo hast du die denn her?“
 

„Geht dich gar nichts an.“ Draco packte die Katze mit einem Ruck, legte sich das Tier zärtlich über die Schulter und trat den Rückzug an. „Komm Harmony, das ist kein Umgang für dich. Nur Spinner und Angeber.“
 

Als die Tür zufiel, kommentierte Harry trocken: „Das sagt ausgerechnet er.“
 

Draco sollte ihnen nicht zum letzten Mal einen Besuch abgestattet haben. Hermine zeigte ihren Freunden den Garten, Draco kam vorbei und schlug Neville vor, hier draußen zu bleiben, weil die Blumen die einzigen Gesprächspartner wären, die seinen IQ nicht überstrapazieren würden.
 

Hermine zeigte ihren Freunden die saubere, freundliche Elfenunterkunft im Keller – Luna fragte interessiert, ob Draco denn auch einen eigene Folterkerker hätte - Draco stand wie aus dem Nichts daneben und sagte: „Noch nicht, aber wenn du weiter so dummes Zeug von dir gibst, fange ich heute Abend noch mit dem Bauen an.“
 

Hermine zeigte ihren Freunden die Küche und erklärte, dass sie einmal die Woche selbst kochten, wenn die Elfen frei hatten, Draco marschierte durch die Tür und bot Ginny an, doch hier unten zu bleiben und ein wenig zu putzen, zu etwas anderem würde sie als Weasley-Frau ihren „Sauberwisch“ doch nicht mehr gebrauchen können.
 

Hermine zeigte ihren Freunden die Räume im ersten Stock, Draco rempelte Harry zur Seite, trat mit dem Fuß gegen die Wand und öffnete auf diese Weise eine dort verborgene Besenkammer. „Siehst du, Potter, wir haben sogar ein Gästezimmer für dich und deine Gebärmaschine eingebaut. Wenn du alleine kommst, haben wir auch noch einen kleineren Wandschrank ganz für dich allein anzubieten.“
 

Nun konnte Hermine sich nicht mehr beherrschen, bevor ihr jemand zuvor kommen konnte, bewarf sie Draco mit ihrem Hausschuh und forderte ihn auf, sich für den Rest des Abends nicht mehr blicken zu lassen.
 

Er schaffte es eine Stunde lang.
 

Hermine und ihre Freunde hatten sich im Esszimmer niedergelassen, saßen gelassen am runden Tisch und löffelten einträchtig ihre Vorspeisensuppe.
 

Hermine konnte nicht umhin zu bemerken, wie befangen Ginny war. Sie seufzte viel, warf immer wieder wehmütige Blicke auf das edle Besteck, die Einrichtung im Zimmer und die teuren Accessoires, die darauf und darin verstaut waren. Wenn Hermine sich nicht irrte, fiel danach immer wieder ein leicht vorwurfsvoller Blick auf sie.

Als sie sich zu Harry hinüberbeugte und ihm mit einem Fingerzeig auf das Besteck etwas zumurmelte, hielt es Hermine nicht mehr aus. „Was ist denn los?“
 

„Nichts.“ Ginnys Mund verzog sich zu einem humorlosen Grinsen. „Ich hab nur gerade gedacht… muss doch schön sein, sich sowas alles leisten zu können, ohne irgendwas dafür zu tun. Das ist natürlich schon was anderes als im Fuchsbau.“
 

Hermine verdrehte die Augen und ächzte: „Ginny… fang bitte mit sowas gar nicht erst an. Ich will mich hier nicht dafür entschuldigen müssen, hier zu wohnen.“
 

„Musst du nicht, ist ja nett von dir, dass du uns alle hierher einlädst, um uns zu zeigen, wie reich du inzwischen bist.“
 

„Hör doch jetzt damit auf“, warf Harry in einem Ton dazwischen, der so genervt klang, dass man heraushören konnte, wie oft er diese Anklagen schon gehört hatte. „Es ist doch nicht Hermines Schuld, dass die Malfoys das hier gekauft haben und… also wolltest du im Gegenzug bei diesen Leuten gewohnt haben?“
 

„Nein, ich hab meinen Stolz.“ Ginny warf ihr Haar zurück, verschränkte die Arme trotzig vor der Brust und musterte Hermine bitterböse. „Ich würde mich nicht verkaufen. Aber manche Leute machen für Geld eben alles.“
 

Das war zuviel. So sehr Hermine sich auch über Dracos ewige Provokationen geärgert hatte, so hatte sie doch Ginnys kaum unterdrückte Missbilligung mindestens ebenso gereizt. Jeder Blick, jede Geste, jedes Seufzen, das sie von Ginny bisher gehört hatte, schien „du prostituierst dich für die Malfoys“ zu bedeuten. Hermine knallte ihren Löffel auf den Tisch. „Was soll denn das heißen?“
 

„Gar nichts!“ Harry winkte entnervt zu Hermine ab, drehte Ginny halb den Kopf zu und schüttelte den Kopf. „Kannst du nicht einmal damit aufhören…“
 

„Kann sie nicht, Potter!“
 

Alle Augen schossen zur Tür, in der Draco stand und ihn mit einem bösartigen Glitzern in den Augen ansah. „Sei nicht böse, Hermine. Die Weaselette kann nicht anders, muss ein grausamer Schock sein, in diesem Haus zu sein, wenn man gerade frisch aus dem Schweinestall kommt.“
 

Ginny sprang auf, packte ihren Teller und warf ihn nach Draco. Hermine ballte die Fäuste und schrie: „Halt doch endlich deine Klappe, Draco. Du verdirbst mir schon wieder alles!“
 

Harry riss es ebenfalls vom Stuhl, den Zauberstab auf Draco gerichtet, rief er: „Hau ab, lass uns endlich in Ruhe!“
 

„Das ist mein Haus“, schnarrte er trotzig und wie um diesen Umstand zu beweisen, schob er sich an der Wand etwas näher zu ihnen heran, bis er direkt gegenüber, mit trotzig verschränkten Armen stehen blieb. „Ich darf mich hier drinnen aufhalten, wo und wie lange ich will. Was ihr da esst“, er deutete mit dem Finger direkt auf Harrys Teller, „hab ich bezahlt.“
 

Mit einem bitterbösen Lächeln neigte er den Kopf leicht zur Seite, leckte sich genüsslich über die Lippen, als könnte er die hämischen Worten, die gleich darüber kommen sollten, jetzt schon schmecken. „Wisst ihr, wieso die Hauselfen nicht da sind?“, fragte er mit einem unmissverständlichen höhnischen Blick in Hermines Richtung, während er mit wiegenden Schritten langsam näher kam. „Sie hat sie weggeschickt, müsst ihr wissen. Es wäre ihr zu peinlich, wenn ihr seht, dass sie andere für sich arbeiten lässt!“
 

„Ich bezahle sie“, krächzte Hermine empört. Das Blut schoss ihr ins Gesicht, bloßgestellt wie sie war. „Sie kriegen Urlaub, jetzt haben sie frei, deswegen sind sie nicht da.“
 

„Ja, ja“ gluckste Draco belustigt. Er tätschelte Hermines Rücken, ohne sie jedoch näher anzusehen. Die grauen Augen hatten sich an Harrys festgesaugt; wie ein heranschleichendes Tier umrundete er mit langsamen Schritten den Tisch. An jedem einzelnen Gast ging er vorbei, den hasserfüllten Blick auf Harry geheftet. „Und sie sind im Manor. Sie gibt ihnen frei und die Elfen gehen ins Manor, um dort weiterzuarbeiten...“
 

„Ja, und? Wenigstens habe sie die Wahl.“
 

„… als ob ihnen das wichtig wäre, aber du verstehst es nicht. Hast du noch nie… Doch wie auch immer, die Elfen sind weg und wisst ihr, wer euer Essen da“, er schwang sich elegant auf den Tisch, „gekocht hat?“
 

Ginny schnaubte und zog ihren Teller leicht zur Seite. Harry starrte an Draco vorbei auf Hermine, die seinem Blick kaum standhalten konnte, so sehr schämte sie sich schon wieder. „Kannst du bitte wieder gehen“, zischte sie so laut, wie sie es angesichts dieser demütigenden Situation vermochte.
 

Draco hingegen wirkte ausgesprochen vergnügt. Er schnappte sich Harrys Löffel und panschte fröhlich die Tischdecke verkleckernd in Harrys Teller herum. „Ich!“

Munter schnippte er Harry eine Ladung Suppe auf den Pullover, legte den Löffel endlich beiseite und setzte sich stattdessen entspannt nach hinten gelehnt zurecht. „Hermine kann nicht kochen. Wirklich nicht! Schmeckt grässlich, sie ist schlechter im Kochen als Longbottom in Zaubertränke brauen und das will schon was heißen“, erklärte er lachend, den Kopf zu Neville geneigt. Den lachte er herzhaft aus, dann drehte er sich zurück zu Harry und schlug ihm auf die Schulter. „Bei dir hab ich mir besonders Mühe gegeben, in deinen Teller hab ich reingespuckt.“
 

Bevor Harry handeln konnte, war Hermine schon aufgesprungen und zog Draco vom Tisch. „Hör sofort auf, dich wie ein Irrer zu benehmen. Du bist mir peinlich, hör sofort auf mich zu blamieren!“
 

„Dann hör du auf, mich zu ignorieren und mich zu verstecken, wenn du Besuch hast!“, schnarrte er wie ein beleidigtes Kind. Er vergrub seine Hände in den Hosentaschen und schob die Unterlippe miesepetrig nach vorne. „Ich kann dir helfen, hier alles vorzubereiten, aber dann hab ich in meinem Zimmer zu bleiben und dort zu warten, bis die Typen hier“, er wedelte mit der Hand zum Rundtisch, „abgezogen sind und du mich wieder raus lässt!“
 

Hermine stöhnte. Nicht nur, weil sie genervt von seinem Gejammer war, sondern auch, weil er Recht hatte. Natürlich kränkte es ihn, dass ihn zuerst seine Mutter „ausgeladen“ hatte, um sich mit ihm nicht zu blamieren und dass er danach auch noch in seinem eigenen Haus unter Arrest stand. Er war zweifellos zu weit gegangen, aber aus seiner Sicht hatte er allen Grund, wütend zu sein und bevor die Situation nun eskalieren würde, wäre es wohl klüger, die Zähne zusammen zu beißen und einzulenken.
 

„Also schön… Willst du dich zu uns setzen und auch was essen? Harry…“, rief Hermine und wandte sich ungehaltenen Freund zu. „Reg dich nicht auf, er hat nicht rein gespuckt. Das sind nur Sprüche, weil er eingeschnappt ist.“
 

Harrys Mund verzog sich etwas weiter nach unten. Auch Neville sah aus, als ob er gerade an einer seiner eigenen giftigen Pflanzen gelutscht hätte. Luna legte ihre Hand auf seine, um ihm Mut zu machen. Ginny starrte ihren Teller an.
 

Draco sagte nichts. Den Mund linealgerade, schob er Hermine zur Seite und setzte sich auf einen freien Stuhl neben ihr. Er klatschte in die Hände und beschwor ein weiteres Gedeck. Hermine fühlte Scham und Ärger, als sie begriff, dass er also schon die ganze Zeit einen Teller für sich vorbereitet hatte. Dass er wohl davon ausgegangen war, dabei sein zu „dürfen“ und dann natürlich übel verstimmt gewesen war, als er erkannte, dass Hermine das unter allen Umständen vermeiden wollte.
 

Dennoch saß er da, trotzig und wütend und löffelte ebenfalls Suppe, nur um zu zeigen, dass er sich nicht wegsperren lassen wollte. So wie die Sache stand, gab es im Moment aber nur die zwei Möglichkeiten samt ihren Freunden das Haus zu verlassen oder Draco zu ertragen und zu hoffen, dass er etwas umgänglicher sein würde, wenn man ihn nicht ausschloss.
 

Ein kurzer Sicherheitsblick in Richtung Draco, ein langer, entschuldigender Blick zu ihren Freunden, dann ließ sie sich wieder auf ihrem Stuhl nieder und tröstete sich damit, dass sie Draco aus dieser Entfernung schneller aufhalten konnte, falls er wieder versuchen sollte, Ärger zu machen.
 

Eine Weile lang aßen sie in einträchtiger Abneigung mit keinem Geräusch als dem Klappern des Geschirrs als bedrückende Hintergrundmusik. Der böse Glanz in Dracos Augen verblasste immer mehr, je länger er dort saß. Es wurde ihm wohl klar, dass er weniger Hermine, sondern vor allem sich selbst mit seinem Verhalten einmal mehr bloßgestellt hatte.
 

Nach etwa zehn Minuten, als auch der letzte die Suppe beendet hatte und man den zweiten Gang auftragen konnte, bemerkte Hermine, dass seine Augen schon wieder sehnsüchtig zur Tür huschten. Hinaus, wohin er sich einmal mehr vor der Verantwortung für sich selbst flüchten konnte.
 

So war er auch der Erste, der bemerkte, dass der kühle Luftzug in ihren Nacken daher rührte, dass die Katze in den Raum gehuscht war. Seine Augen wurden wärmer, als sie ihm mit laut schnurrend um die Beine schlich und ihr goldener Schimmer das Zimmer erwärmte. Luna quiekte vor Entzücken, als sie Harmonys brummendes Schnurren hörte und selbst Ginny neigte sich neugierig zur Seite, um einen Blick auf die Katze erhaschen zu können.
 

„Komm her, Süße!“, lockte Luna, die ihren Platz verlassen hatte und sich neben ihrem Stuhl hingekniet hatte. „Komm her….“
 

Harmony hob ihr Köpfchen, schnupperte in die Luft und trippelte emsig auf Luna zu… und an Luna vorbei. Stattdessen sprang sie auf den Schoß des entsetzten Neville, der beide Hände in die Luft riss, als fürchte er, dass Draco ihn auf der Stelle erdrosseln würde, falls er dessen Eigentum anfasste. Harmony schnurrte und rieb sich an Nevilles Bauch. Neville grinste dümmlich, als er bemerkte, dass alles um ihn herum wie von goldenem Feenstaub umhüllt aufleuchtete, immer dann, wenn die Katze ihn mit dem Kopf anstupste, um ihn zum Streicheln aufzufordern.
 

Als er gehorchte, machte Draco ein Gesicht, das Mordpläne seinerseits nicht unwahrscheinlich erscheinen ließ. Doch er sagte nichts, verzog nur den Mund und aß weiter. Nachdem er sich vorhin schon so daneben benommen hatte, wollte er sich wohl nicht wieder blamieren.
 

Vielleicht stimmte ihn Harmony aber auch tatsächlich friedlicher.
 

Er sah fast so aus, aber da Hermine an so einen Hokuspokus nicht glaubte, verwarf sie diese Idee. „Das Vieh ist mannstoll. Absolut. Sie steht total auf Männer. Ihr solltet mal sehen, wie sie abgeht, wenn sein Vater“, sie ruckte mit dem Kopf in Richtung Dracos, „da ist. Die flippt total aus und liegt die ganze Zeit nur auf dem Rücken, um sich den Bauch kraulen zu lassen.“
 

Dennoch war das mit der Magie dieser Tiere alles Humbug. Absolut… selbst, dass Harry sich nun auch noch zwischen Draco und Neville traute, um die Katze ebenfalls kraulen zu können.
 

Um nicht alle Treue und Hingabe zu vergessen, drehte Harmony sich unvermittelt wieder auf den Bauch, sprang von Neville herunter und neben Dracos Teller auf den Tisch. Statt sie dort zu vertreiben, zog er sie etwas näher an sich heran und kraulte sie so beflissen, als wollte er unbedingt beweisen, dass er auch das viel besser konnte als irgendjemand anderes.
 

Dennoch, obwohl es Humbug war, mit der Harmonie-Magie, die Stimmung war danach etwas gelöster. Zumindest wagten die Freunde untereinander wieder, in verhaltenem Ton miteinander zu reden. Außer Harry, der saß stumm an seinem Platz und betrachtete mit einem für Hermine nicht zu entschlüsselnden Gesichtsausdruck den streichelnden Draco. „Ich hab deine Berichte in der Zeitung gelesen“, sagte er und unvermittelt war alles im Raum wieder totenstill, außer der beständig schnurrenden Harmony.
 

Draco hob den Kopf, machte ein Gesicht, als ob ihm übel wäre, deutete ein Nicken an und senkte die Augen auf die umso emsiger gekraulte Katze. „Aha.“
 

„Ich hab‘s auch gelesen. Wir alle“, schoss Luna munter dazwischen und wirkte dabei enorm stolz.

„Weißt du, wir sind nicht nachtragend, wenn du dich komisch benimmst. Hermine hat uns das ja erklärt, als sie dich zwangseingewiesen haben. Du kannst nichts dafür, weil du krank im Kopf bist.“
 

Draco gab ein Geräusch von sich, das zwischen irgendwo unbändiger Wut und Ersticken lag. Unheil ahnend bemerkte Hermine, wie sich seine Finger fest um das Besteck in seiner Hand krallten, dass die Fingerknöchel weiß heraustraten.
 

„Ähm, wusstet ihr schon, dass Luna jetzt ihr eigenes Gewächshaus in Hogwarts hat?“, unternahm Neville den ungeschickten Versuch, Lunas Bestreben, Verständnis zu zeigen, zu unterbrechen. Hoffnungslos, wie sich zeigte. Luna plapperte fröhlich weiter: „Alle von uns haben deine Zeitungsartikel gelesen. Eigentlich habe ich ja gedacht, dass das wieder dieser schlaftrunksüchtige Redakteur des Tagespropheten ist, der immer Nachrichten von Außerirdischen aufschreibt, wenn er schläft, aber dann haben mir Neville und Harry gesagt, dass das wohl wirklich alles stimmt… Unglaublich!“
 

Kling!
 

Draco war der Löffel aus der Hand gefallen. Nicht nur die Gabel, selbst sein Gesicht schien… gefallen. Der Mund stand offen, die Augen waren weit aufgerissen, kreidebleich war er innerhalb dieser wenigen Sekunden geworden. So starrte er Luna voll stummem Entsetzen an.
 

Harry hustete verlegen. Dracos Kopf schoss panisch zu dem Geräusch herum. Dann, wie wild, sah er von Harry zu Neville und von Luna zu Ginny und Hermine ahnte düster, dass ihm tatsächlich jetzt erst klar wurde, wer diese Artikel alles gelesen hatte und vor allem, dass die Leute hinterher darüber reden würden.

Sie, seine Erzfeinde, hatten über die schlimmsten Momente seines Lebens gelesen und darüber geredet.
 

Hermine sah, dass seine Atmung flacher geworden war. Seinen Kopf hatte er beschämt gesenkt, seine Hände auf dem Tisch zitterten. Im einen Moment erstarrt, sprang er unvermutet schnell von seinem Stuhl hoch, kippte ihn dabei um und scherte sich nicht darum.
 

Wie blind schien er gar nicht mehr zu bemerken, was um ihn herum passierte. Er wischte seine Teller vom Tisch, stieß sein Glas um, stolperte über den umgekippten Stuhl und reagierte auf nichts von alledem, sondern stürmte Hals über Kopf aus dem Zimmer.
 

Hermine stöhnte und presste sich die Hände auf die Schläfen. Wie dumm war sie eigentlich gewesen, sich auf diesen Abend zu freuen und wie viel dümmer war sie gewesen, mit ihren Freunden nicht zusammen das Weite zu suchen, als sie hörte, dass Draco zuhause bleiben würde.

Eine weitere Tür knallte im Nebenzimmer. Draco war also in den Garten gestürmt. Einen Moment zögerte sie, dann erhob sich Hermine und eilte so schnell sie konnte hinterher.
 

Sie fand ihn nur wenige Schritte vor der Tür. Er saß am Boden, hatte die Knie an die Brust gezogen und die Hände auf seinen Schläfen.
 

Hermine fühlte zwar, dass sie irgendetwas sagen sollte, doch was?
 

„Die halten mich alle für einen Irren“, jammerte er, noch ehe sie sich dazu durchringen konnte, auch nur ihre Hand auf seine Schulter zu legen. „Hast du gesehen, wie die mich ansehen? Sie wissen, dass ich eingewiesen wurde und jetzt haben sie auch noch diesen Schrott gelesen.“ Draco machte ein Geräusch, das Hermine erst einige Herzschläge später als Schniefen erkannte, doch da wimmerte er schon voll Selbstmitleid weiter. „Die haben das alles gelesen und jetzt halten sie mich für ein irres Monster! Was bin ich auch so blöd“, schimpfte er und schlug sich selbst bei jedem Wort mit den Handballen gegen die Stirn, „blöd, blöd, blöd. Ich bin doch selbst schuld! Ich hätte nie was schreiben sollen. Das war nach dem Prozess schon vorbei, da war jedes Wort zu viel, aber statt dass ich das Land verlasse, wie ich es tun sollte, schreibe ich Zeitungsartikel, über die sich Potter und Leute wie Loony Lovegood das Maul zerreißen können.“
 

Er hatte Tränen in den Augen, als er sich über das Gesicht wischte. Ein wenig tat er ihr leid, aber da sie der Meinung war, dass er langsam einmal alt genug war, um der Realität ins Gesicht zu sehen, tat sie etwas anderes als ihrem ursprünglichem Impuls Folge zu leisten.
 

Statt sich also zu ihm herunter zu knieen, ihn in den Arm zu nehmen und ihm zu versichern, dass er das alles falsch verstanden hatte und sie ihn nicht für ein Monstrum hielt, baute sie sich mit den Händen in die Hüften gestemmt auf und legte los. „Das hast du doch alles vorher gewusst. Du hast genau gewusst, dass das jeder lesen kann, wenn du es in die Zeitung setzt.

Aber heut Abend niemand hat dich deswegen angegriffen. Die haben alle versucht, korrekt zu bleiben, obwohl sie wirklich allen Grund hätten, dich zu verachten. Im Gegenteil, die waren alle super vorsichtig und was tust du? Kommst ständig ungefragt rein, beleidigst meine Freunde und dann ziehst du wieder ab. Hey, ich hab mich so für dich geschämt. Ist dir schon mal die Idee gekommen, wie es mir dabei geht, wenn du meine Freunde rausekelst?“
 

„Ja, ja. Ich bin dir lästig“, klagte er so leidenschaftlich, dass Hiob selbst neben ihm wie ein Glückspilz gewirkt hätte. „Ich bin doch euch allen lästig und peinlich… euch wäre es doch allen am liebsten, wenn ich tot wäre, dann hättest du…“
 

Hermine holte aus und schlug zu. Die Ohrfeige traf klatschend auf Dracos feuchtes, gerötetes Gesicht. Er knurrte, mehr verärgert, als vor Selbstmitleid zerfließend und stieß Hermine energisch von sich weg. „Was soll denn das?“
 

„Was anderes hast du gar nicht verdient und jetzt steh wieder auf!“ Mit diesen Worten kam sie wieder näher, packte seinen Arm und zog. „Los, hoch mit dir! Du wirst jetzt sofort aufhören dich wie ein beleidigtes Kleinkind in die Ecke zu verkriechen. Wenn die dich für verrückt halten, dann nur, weil du dich genau so benimmst. Du gibst niemandem eine Chance, mit dir auskommen.

Hier war niemand gemein zu dir, bevor du angefangen hast!“
 

„Die hassen mich, die hassen mich alle. Ich muss nur reinkommen und schon sehen sie mich komisch an“, wehrte Draco energisch ab, dennoch stand er auf. Hermine stellte bedauernd fest, dass es viel leichter war, mit Draco zu schimpfen, wenn sie dabei auf ihn herab sehen konnte, anstatt, wie jetzt, nach oben sehen zu müssen.
 

„Das bildest du dir ein. Du bist so überzeugt davon, dass du ungerecht behandelt wirst, dass du schon Jahre im Voraus präventiv meckerst, um auch ja nie einmal zu verlieren. Du bist doch besessen von der Idee, dass dir alle was Böses wollen. So warst du aber schon immer…

Schon immer hast du alle Leute um dich herum für minderwertige Feinde angesehen und sie auch genauso behandelt und dann warst du stinkwütend, wenn sie sich auch genauso verhalten haben.

Was denkst du eigentlich, dass du hier einfach reinkommen kannst, Leute beleidigst und niemand sich dagegen wehrt, wenn du denen unterstellst, dass sie in einem Schweinestall wohnen?“
 

„Ich hab nicht angefangen… die… die Weaselin… die hasst mich. Hey, ich wollte dir helfen, die hat doch beleidigt und… die tut nur so harmlos. Die weiß alles und noch mehr. Die hasst uns beide, weil sie das von ihrem Bruder weiß. Die sieht mich an, als ob sie mich…“
 

„Das ist doch überhaupt nicht wahr“, schnitt ihm Hermine schrill das Wort ab, die Hände in die Haare gekrallt. „Du machst mich wahnsinnig. Merkst du denn nicht, dass das immer nur du bist, der die Leute vor den Kopf stößt?“
 

Dracos Blick zufolge merkte er das nicht. Er weinte nicht mehr, hatte aber die Hände trotzig in den Hosentaschen vergraben und zog eine Schnute.
 

„Okay, so kommen wir nicht weiter.“ Hermine schloss die Augen, atmete tief durch und zählte innerlich bis zehn. Dann kam sie näher, legte ihm nun doch die Hand auf die Schulter und gab sich Mühe, ihre Stimme weicher klingen zu lassen. „Gut, hör mal. Ich weiß, dass dir das sehr unangenehm ist, Leute wie Ginny und Harry hier zu sehen, aber, glaub mir, für sie ist das auch schwierig, wenn sie dich sehen müssen. Das ist… da steht eben vieles zwischen euch und vieles ist passiert, aber ich will nicht für den Rest meines Lebens in zwei strikt voneinander getrennten Welten leben. Das sind meine Freunde und ich will sie hier haben. Außerdem, glaub mir… gut, wir haben über dich gesprochen, hätte ich vielleicht nicht machen sollen. Aber, also, vor allem Harry versteht dich besser, als du denkst und die anderen wollten sich dir gegenüber fair verhalten. Aber wie denn, wenn du niemandem eine Chance gibst? So, komm!“ Hermine ergriff Draocs Hand und zog ihn mit sanfter Gewalt zurück in Richtung Tür. „Du kommst jetzt wieder mit rein und zeigst denen, dass du nicht mehr so durcheinander bist wie in der Schule und dass man sich mit dir normal unterhalten kann, okay?“
 

Hermine zog, Draco blieb stehen.
 

Sie hätte ihn nun gerne wieder geohrfeigt, gezerrt und angeschrien. Stattdessen entschied sie sich für etwas anderes. Etwas, das sie schon länger hätte tun sollen, doch ohne Druck immer weiter vor sich hergeschoben hatte. „Okay, sieh her!“, sagte sie und legte die Hände hinter ihrem Nacken, um den Verschluss ihrer Kette zu öffnen.
 

Draco schien im ersten Moment gar nicht zu begreifen, was sie da eigentlich tat. Er durchbohrte sie mit Blicken, die so eiskalt, brennend und feindlich wie der Nordwind waren, dann erst, als er sah, dass sie die Kette tatsächlich abnahm, wurden seine Augen groß.
 

„Zufrieden?“, fragte Hermine und hielt Draco die innig geliebte Kette hin. Ihre Kehle fühlte sich kalt an. Nackt und ungeschützt… doch es schmerzte nicht. Seltsamerweise hatte sie immer geglaubt, dass es weh tun würde, fast wie bei einer Amputation, wenn sie Rons Kette ausziehen müsste.
 

Doch jetzt… es war kalt um ihren Hals, ungeschützt… doch sie konnte es aushalten, die Kette dem verdutzten Draco in die Hand zu legen. „Ich habe sie ausgezogen. Du weißt, wie sehr ich an diesem Ring an der Kette hänge, aber ich trage ihn nicht mehr, weil ich weiß, dass dich das verletzt. Siehst du, du bist mir wichtiger als diese Kette und der Ring daran. So, und nun zeig mir, dass ich dir wichtiger bin als dein Stolz und komm wieder mit rein.“
 

Draco sagte nichts, betrachtete die Kette mit einem Anflug von Furcht in seinen Augen und schien ein wenig erleichtert, als Hermine ihm das kostbare Stück wieder abnahm und, statt es wieder um ihren Hals zu legen, es mit einem Schwung ihres Zauberstabes zurück in Rons Bild verwandelte.
 

Dort war er wieder. Jung, fast vier Jahre jünger als Hermine jetzt, fröhlich, lebendig… aber eben nur ein Abbild von früher, die Realität und Gegenwart stand neben ihr. So packte sie also wieder Dracos Hand, zog ihn nun ohne weitere Mühen mit sich und hielt nur kurz an, um Rons Bild im Flur auf eine Kommode zu stellen, sie würde noch einen besseren Platz finden, aber nicht jetzt.
 

Draco durchmaß den Raum mit aller Würde, die er aufbringen konnte. Unnatürlich steif, hoch erhobenen Hauptes setzte er sich zurück an den Tisch und beseitigte mit einer knappen Zauberstabdrehung die von ihm verursacht Unordnung.
 

Hermine behielt ihn aus den Augenwinkeln im Blick, gleichzeitig huschten ihre Augen aber immer wieder zu ihren Freunden hinüber die alle nicht so recht zu wissen schienen, wie sie mit dieser Situation umgehen sollten.
 

Draco selbst ordnete fein säuberlich seine Serviette, sein Besteck und rückte sein Glas zurecht.
 

„Ich werde das nur einmal sagen“, durchbrach er unvermittelt das angespannte Schweigen, sein Kopf immer noch stur auf seine Serviette gerichtet, die er zu einer Origami-Kunstfigur faltete. „Ich will nicht darüber reden, am allerwenigsten mit euch. Ich habe diese Berichte geschrieben, weil ich die Vorurteile und Beschuldigungen von Leuten, die keine Ahnung haben, wie es ist, so zu leben, nicht mehr ertragen kann. Ich bin nicht stolz auf das, was passiert ist, ich würde es rückgängig machen, wenn ich könnte, kann ich aber nicht. Leute wie ihr, die immer zu den Guten gehört haben und sich jetzt als strahlende Sieger fühlen können, verstehen das nicht. Also seid einfach ruhig!“
 

„Woher willst du das denn wissen?“ Harry schluckte hart, atmete schwer und etwas in seiner Stimme, möglicherweise der durchdringende Ton oder die Aufrichtigkeit darin, zwang Draco, den Kopf zu heben und den Blick seines Schulfeindes zu suchen. „… woher willst du wissen, dass wir das nicht verstehen können? Was bildest du dir eigentlich ein, dass du der Einzige bist, der es schwer hatte? Dass du der Einzige bist, der ein Recht auf Albträume hat und der zu solchen Dingen gezwungen war?“
 

„Du taugst nicht zum tragischen Helden, Potter“, gab Draco lakonisch zurück. „So Leute wie du… egal, was du sagst und egal, wie dreckig du und deine Wohnung wart“,

- Harrys Blick schoss zu Hermine hinüber, die beschämt den Kopf senkte, „ihr seid doch immer die Lieblinge von allen. Du kannst treiben, was du willst, Potter. Dir entschuldigt man alles. Du überzeugst hier nicht, wenn du mir weismachen willst, dass du auch nur ansatzweise…“
 

„Dafür überzeugst du aber absolut in deiner Rolle als egozentrischer Jammerlappen, der immer nur sich selbst und das eigene Elend sieht“, schnitt ihm Ginny das Wort ab. „Ich habe zwei Brüder verloren, wegen Leuten wie dir. Und Neville“, sie deutete mit dem ausgestreckten Arm, „was ist mit seinen Eltern? Oder Harry und überhaupt alle hier?“ Ihr Arm beschrieb einen großen Kreis rings um den runden Tisch herum, „alle, die hier sitzen. Sag mal, hast du auch mal daran gedacht, wie das für uns ist, mit dir hier an einem Tisch zu sitzen? Nach allem, was…“ Ginny brach ab, ihre Lippen bebten, ihr ganzer Körper zitterte und Hermine meinte einen Moment lang, Tränen in Ginnys Augenwinkeln zu sehen, aber vielleicht hatte sie sich auch getäuscht, denn Ginny fing sich wieder, setzte sich aufrecht hin, strich sich ihr Haar aus dem Gesicht und schaffte es, ihre Fassung soweit wieder zu finden, dass sie Draco mit einem strengen Blick anfunkeln konnte. „Tut mir ja leid für dich, wenn du eine harte Zeit hinter dir hast, glaub ich dir sogar. Aber hey, wer nicht? Hast du vielleicht mal drüber nachgedacht, dass alle anderen es auch schwer hatten? Nur weil wir nicht ständig überall rumjammern, heißt das nicht, dass wir nicht gelitten haben. Vor allem unter dir.

Allein wie du Neville in der Schule behandelt hast….“
 

Hermines Kopf schoss herum, als neben ihr etwas auf den Boden schepperte. Neville tauchte unter den Tisch und tauchte einen Tick später als nötig mit hochrotem Kopf wieder auf, während Ginny mit festerer, anklagender Stimme, weitersprach:
 

„… ich meine nicht nur die Todesserzeit, die ganzen Jahre davor. Nicht nur Neville, alle von uns. Denkst du wirklich, dass einer von uns ohne diese Zeit freiwillig auch nur ein einziges Wort mit dir reden würde? Du bist ein absolutes Ekel… deine ganze Familie ist einfach nur widerlich arrogant und schleimig.

Wisst ihr, was ihr uns angetan habt? Von sowas hast du keine Ahnung, weil es dir egal ist, weil du immer nur an dich denkst. Du kannst nur darüber jammern, wie schlimm du das alles fandest und was du noch alles mit dir rumschleppst, aber weißt du, Malfoy, dein Vater ist immer noch im Ministerium. Ja, okay, er muss Geld spenden, na und?

Und du? Also beim besten Willen, mag ja sein, dass Voldemort dahinter stand, aber du bist aus der ganzen Geschichte komplett ohne Strafe rausgegangen und das nur, weil deine Eltern Geld haben.“
 

Sie war immer lauter geworden, aber jetzt presste sie die Lippen zusammen, als wäre dies der einzige Weg, nicht laut zu schreien.
 

Draco hatte die Arme trotzig vor der Brust verschränkt, machte ein griesgrämiges Gesicht und sah auf seinen Teller. Hermine kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass ihm klar war, das Ginny Recht hatte… aber sie kannte ihn auch gut genug, um zu wissen, dass er das niemals zugeben würde.
 

„Wir wollten nicht hierher kommen“, fuhr Neville so leise fort, dass er fast flüsterte. „Denkst du, dass irgendjemand, der dich in der Schule bei anderen Gelegenheiten…“, er warf Harry einen zaghaften Blick zu, der jedoch damit beschäftigt war, mit Feuereifer seine Brille zu putzen, „erlebt hat, freiwillig in deine Nähe will? Aber wir wollten jetzt eben Hermine den Gefallen tun und hey… du schreibst extra in der Zeitung, selbstdarstellerisch wie immer, dass du ein neues Leben anfangen willst, aber davon merken wir nichts. Ja, gut, du hast noch keinen umgebracht, seit wir hier im Haus sind…“ Hermines Magen zog sich auf Erbsengröße zusammen. Draco neben ihr saß mit rundem Rücken an seinem Platz, die Ellenbogen auf dem Tisch aufgestellt, atmete schwer, wachsweiß im Gesicht.
 

„Aber ein anderer bist du nicht, du bist noch genauso ein Arschloch wie vorher. Wir sind hierher gekommen und geblieben, obwohl du da bist. So… und wir haben sogar versucht, uns Hermine zuliebe zu benehmen und jeder hier war bereit, dich in Ruhe zu lassen. Nur du nicht. Nach allem, was du uns angetan hast, wo du vollkommen ungeschoren davon gekommen bist, ist es da echt zu viel erwartet, einfach mal deine Klappe zu halten? Es ist schon schlimm genug, dich hier zu sehen und was tust du? Nichts! Aber wir müssen uns nicht bei dir entschuldigen. Keiner von uns ist so blöd zu glauben, dass du das überhaupt könntest, aber hey… wenn du wirklich neu anfangen willst, dann mach dir mal klar, dass du derjenige bist der sich ändern muss und der den anderen was schuldet, nicht umgekehrt.“
 

Hermine schwankte innerlich. Sollte sie Partei ergreifen oder sich heraushalten wie die ganze Zeit schon?

Ihre Freunde hatten Recht. Sie waren Opfer eines Krieges, an dem sie nicht schuld waren und hatten so vieles verloren, während Draco und seine Eltern genauso reich und augenscheinlich unbehelligt weiterleben konnten. Das war in gewisser Weise schon ungerecht. Selbst wenn Lucius den Weasleys Geld zur Wiedergutmachung hatte zahlen müssen. Lucius waren die paar Galeonen komplett egal, die Weasleys hatten immer noch zwei Kinder verloren und Draco hatte rein gar nichts geopfert und war statt reumütig, noch genauso arrogant wie zu Schulzeiten.
 

Dem Anschein nach…
 

Aber es war auch richtig, sich darüber zu empören, dass Draco so tat, als ob er der Einzige war, der leiden würde. Unsinn, vielen anderen ging es ebenfalls schlecht und es war nicht zuviel verlangt, dass er sich zusammennahm, ebenso wie die anderen.
 

„Ich habe keine Lust, ständig zwischen allen Stühlen zu sitzen“, sagte sie deshalb und warf einen strengen Blick in die Runde. „Ich muss es auch nicht. Ich muss mich nicht entscheiden, das könnt ihr mir nicht befehlen. Ihr beklagt euch, dass ihr genug gekämpft habt, dann hört zumindest auf, solange wir hier sind. Und offen gesagt, von meiner Warte aus habt ihr alle Dreck am Stecken.“
 

„Ja, das kannst du leicht sagen“, fuhr sie Harry empört an. Die Brille saß nun wieder auf seiner Nase, er hatte also seine Hände frei, um aufgebracht zu gestikulieren. „Du hast dich ja immer aus allem rausgehalten und es dir leicht gemacht. Weißt du was, du verlangst hier alles Mögliche von uns und was hast du denn gemacht, dass du überhaupt mitreden könntest? Du weißt doch gar nicht, ob das geht. Du hast dich doch die ganze Zeit nur feige verkrochen…“
 

Hermines Haut brannte und doch liefen ihr eiskalte Schauer das Rückgrat hinab, dass sie, laut Harry, schon lange nicht mehr hatte. Ihre Hände ballten und spreizten sich, sie atmete schwer und versuchte ihre aufwallende Wut zu beherrschen. Sie musste ihre Hände beschäftigen, damit die nicht, wie von selbst, auf die Idee kommen könnten, nach Harry zu schlagen.
 

„Wir sind eben keine Helden, Potter!“
 

Draco. Er wirkte immer noch, nun, mitgenommen, aber nicht wie früher, wenn er kurz vorm Ausflippen war, er versuchte tatsächlich, erst zu reden, eventuell sogar zu denken, bevor er etwas anderes tat.
 

„Ist ja schön für dich zu glauben, dass du immer auf der richtigen Seite warst. Dass du und deine Kumpels immer alles richtig gemacht haben. Wir halt nicht… Wir waren weder edel noch mutig. Dann geh doch, geht doch alle, wenn ihr nur mit Leuten zusammen sein wollt, die genauso fehlerfrei sind wie ihr. Wir sind’s nicht. Okay, wenn ihr es hören wollt. Es tut mir leid, wie ich war und was ich gemacht hab, aber Hermine muss es nicht leid tun, dass sie versucht hat, es allen recht zu machen. Hat nicht geklappt, kann sein, aber die Absicht dahinter war sicher ehrlich. Wenn euch tollen Leuten das nicht reicht, bitte“, sein Finger zeigte zur anderen Zimmerseite, „da ist die Tür.“
 

Eine Woge wärmender Zuneigung durchströmte Hermine. Alles, was sie zu ihm hätte sagen können und was sie in diesem Moment fühlte, packte sie in ein Lächeln und legte ihre Hand auf seine.
 

„Hab ich nie gesagt“, murmelte Harry als Antwort auf Dracos Aufforderung. „Ich hab nie gesagt, dass wir fehlerfrei sind. Aber wir haben auch nur gemacht, was andere uns gesagt haben und die haben das befohlen, weil sie es für richtig hielten. Also ich will mich dafür nicht anklagen lassen…“
 

„Das tut doch niemand.“ Hermine atmete tief durch und schüttelte den Kopf. „Aber wenn das so ist, können wir dann nicht wenigstens versuchen, für heute Abend Waffenstillstand zu halten?“
 

Neville zuckte ergeben die Schultern, er warf Luna einen hilfesuchenden Blick zu. Sie strahlte ihn an und nickte.

Ginny und Harry strahlten weniger, die musterten Draco mit dem kritischen Blick eines Schädlingsbekämpfers im Einsatz. Lang und streng, bis Ginny sich einen Ruck gab, Hermine - nicht Draco - knapp zunickte und Harry mit dem Ellenbogen in die Seite stieß. Ginnys ruppige, wenn auch meist von Herzen kommende Art, Harry dazu zu bringen, das zu tun, was sie wollte.
 

Er gehorchte nicht ganz so schnell wie immer. Er und Draco duellierten sich mit bitterbösen Blicken. Die Wut von sechs Schuljahren und der Hass wegen allem, was außerdem zwischen ihnen gewesen war, hingen bleischwer im Raum.
 

Harmony indes, lief mit hochgestelltem Schwanz im Zimmer umher, schnurrte wie ein Propeller und reckte ihr Näschen in die Luft. Sie seufzte wohlig, als sie bei Harry vorbei kam und sich genussvoll an seinem Bein rieb.
 

Natürlich konnte Harmony keine Harmonie erzeugen. Hermine glaubte auch dann nicht daran, als Harry schließlich tief durchatmete und erklärte: „Ich sagte doch schon, ich bin bereit, mich mit ihm abzufinden.“
 

Bei Dracos Erwähnung merkte Harmony auf. Mit einem Ruck riss sie sich von Harrys Socken los, spurtete stattdessen zu Draco, sprang vor ihn auf den Tisch und rieb ihr Köpfchen hingebungsvoll an seinen Händen. Ein sanftes Rosa überzog Dracos Wangen. Nein, selbst er schaffte es nicht, hierbei weiterhin böse und verärgert auszusehen. Er klang nicht einmal höhnisch, als auch er einlenkte: „Also schön, ich verspreche brav zu sein, wenn ihr aufhört, mich anzusehen als ob ich irgendein ausgeflipptes Vieh wäre, dass der Trottel Hagrid gefunden hat.“
 

„Dann hör‘ auf dich so zu benehmen“, konterte Neville nicht halb so ernst, wie es der Situation angemessen gewesen wäre, „Und hör auf, dich über uns oder unsere Freunde lustig zu machen… falls du das überhaupt kannst, heißt das.“
 

Draco konnte.
 

Nun, er war zumindest ruhig und wenn man bedachte, wie er sonst war, dann sollte man ihn eigentlich schon dafür loben, dass er kein weiteres böses Wort zu Harry und Luna sagte. Sogar Ginny verschonte er und Hermine meinte - nein, da musste sie sich geirrt haben - das war nicht möglich… er hatte Harry nicht mit ironisch hochgezogener Augenbraue angesehen, als Luna davon berichtete, was sie alles über die kleinen Wesen herausgefunden hatte, die die Muggel Blattläuse nannten. Sie hatte Neville jedenfalls dazu gebracht, die nicht mehr von den Pflanzen zu entfernen, sie hatte stattdessen eine eigene Zucht in ihrem Privatgarten mit diesen Tierchen angefangen.

Unmöglich, das Harry Draco während dieser Worte angegrinst hatte.
 

Draco hatte sich gut gehalten. Schweigen war für ihn eine Leistung und immerhin ein Anfang. Nach dem Essen verzog er sich samt Harmony ins obere Stockwerk und wurde für den Rest des Abends nicht mehr gesehen.
 

„Und, war es denn so schlimm, meine Freunde zu ertragen?“, fragte sie ihn später im Bett.
 

„Geht so. So oft muss ich sie ja nicht sehen, stimmt’s? Solang es selten ist, ertrag ich das schon.“
 

Draco sollte Harry früher wiedersehen, als ihm lieb war. Zwei Wochen nach diesem Abend bekam Draco eine Zusage aus der Mysteriumsabteilung.
 

Hermine staunte. Konnte das Ministerium wirklich toleranter als alle anderen Einrichtungen sein, die Draco mal mehr und mal weniger schonend mitgeteilt hatten, dass man jemand mit weniger schwarzen Flecken auf der weißen Weste suchte? Sollten nicht grade diese Leute besonders empfindlich sein, was die Auswahl ihrer Bewerber anbelangte?
 

Draco war nun sicher nicht dumm, seine Noten waren gut und er hatte sich beim Bewerbungsgespräch wohl auch ganz gut geschlagen. Dennoch, der Grund hatte Hermines Ansicht nach sehr viel damit zu tun, dass Cornelius Fudge zu dieser Zeit jede Woche im Manor zu Abend aß und auch im Ministerium immer in Lucius‘ Begleitung zu sehen war.
 

Ach ja, und das St. Mungo Hospital hatte eine sehr, sehr, sehr großzügige Spende erhalten, die eine Ausweitung ihres Angebotes erlaubte. Sie hörte es oft, da man sie und Draco zu diesen Essen meist ebenfalls zwangsverpflichtete. Man musste ja immerhin zeigen, was für eine harmonische Familie man doch war.
 

Hermine verdrehte die Augen, als Fudge mit Feuereifer davon sprach, welch neue Ideen er außerdem alles verwirklichen könnte, wenn Leute wie Lucius oder der ebenfalls anwesende Rodolphus noch öfter spendeten. Vielleicht sogar so exotische Luftschlösser wie Schulpflicht oder ordentliche Ausbildungen für Squibs.
 

Xxx
 

Draco hatte sich im ersten Moment gefreut, als er erfahren hatte, dass er ausgerechnet in der Mysteriumsabteilung arbeiten würde. Eine ganze halbe Stunde sogar hatte er damit zugebracht Hermine zu erklären, wie ungemein wichtig die Leute aus dieser Abteilung waren und wie viel besser man dort doch im Vergleich zu Hermines Abteilung entlohnt wurde.
 

Das hatte Spaß gemacht, selbst dann noch, als sich Hermine mit der fast überzeugend wirkenden Erklärung aus seiner Nähe entfernt hatte, dass große Geister zu ihren Lebzeiten selten finanziell angemessen entlohnt worden waren.
 

Es war so lang schön gewesen, bis ihm klar geworden war, dass außer ihm auch noch andere Leute dort in der Abteilung arbeiteten. Nicht nur, dass er nun täglich Potter um sich herum ertragen musste, vielleicht viel näher, als in der Schule und ohne einen Severus Snape, der aus Prinzip auf seiner Seite war. Potter war eigentlich noch das kleinere Problem. Den kannte er und wenn er sich auf ihn auch nicht freute, so wusste er doch genug von ihm, um ihn nicht, wie all die anderen Schleimer, zu überschätzen und er wusste, wie er mit dem narbigen Brillengesicht umgehen musste. Nämlich gar nicht.
 

Aber was machte er mit allen anderen, die dort waren. Ob er überhaupt wissen würde, mit wem er zusammenarbeitete? So geheim wie dort alles war, konnte man das nie wissen. Beim Bewegungsgespräch hatten die drei Personen, mit denen er sich unterhalten hatte, bunte Federn im Gesicht wachsen lassen, um sich unkenntlich zu machen.
 

Alle würden ihn und seine Geschichte kennen. Er verfluchte sich selbst zum tausendsten Mal für diese drei Zeitungsartikel. Man hatte ihn danach gefragt und er war schon ein wenig stolz, die Fragen überstanden zu haben. Ob er ohne die Hilfe seines Vaters genommen worden wäre, wusste er nicht. Wieder einmal hatte er es nicht selbst geschafft und alle wussten es, neben dem, was sie noch über ihn wussten.
 

Es kostete ihn viele schlaflose Nächte, endlose Diskussionen mit Hermine, Befehlen seiner Eltern und handgreiflicher Auseinandersetzungen mit den Leuten in der Klinik, bis er sich dazu durchringen konnte, an seinem ersten Arbeitstag wirklich im Ministerium zu erscheinen.
 

Zähneklappernd und fröstelnd trat er an diesem Morgen in den Fahrstuhl und wenn Lucius und Hermine ihn nicht wie zwei Bodyguards von beiden Seiten bewacht und ihn mehr oder weniger in Richtung Mysteriumsabteilung geschoben hätten, hätte er es sich vielleicht doch noch anders überlegt.
 

Seine Begeisterung stieg nicht, als er von zwei ausgesprochen schweigsamen Männern in einen Raum voller glibberiger Gehirne gebracht wurde. Sein Arbeitsplatz. Aber immerhin war er im Raum des Denkens wohingegen Potter im Raum der Liebe war.

Und das wusste er auch nur von Hermine, denn offiziell hatten die Personen, die hier arbeiteten, keine Namen und wussten nicht, was die Leute in den anderen Räumen taten oder gar, wie sie hießen. Doch nun gut, Draco wusste, wo Harry war, nicht bei ihm, und das war ein ermutigender Gedanke. Genau wie ihm die Idee gefiel, Potter ab und zu, wenn er ihn mal privat sehen sollte, zuzuzischen, dass er sich von allem, wozu man ein Gehirn brauchte, fernhalten sollte.
 

Die Arbeit war glibberig, eklig, erforderte viel Fingerspitzengefühl und Kenntnis von magischen Naturwissenschaften. Draco mochte es… vor allem, weil es hier meist dunkel und leise war. Die wenigen Kollegen, die er hatte, sprachen ihn nicht auf die Todesser an und da er sich in den Mittagspausen meist zu Lucius in die Privaträume der Leitungsangestellten verzog, blieb er auch von eventuell ungehaltenen Blicken vom Rest der Belegschaft verschont. Insgesamt verliefen die ersten Tage besser als gedacht.
 

Aber die Arbeit war ja nicht das einige Problem.
 

Hermine war in den letzten Wochen einige Male bei ihren Eltern gewesen. Am Geburtstag ihres Vaters war sie sogar das ganze Wochenende dort geblieben. Ohne Draco natürlich, sie wollte das langsam genesende Verhältnis nicht überstrapazieren.

Zumal er die beiden Male, die er nach diesem ersten richtigen Besuch im März mit ihr dort gewesen war, auch immer wieder auf seine Eltern angesprochen worden war.
 

Hermine gegenüber erinnerten sie sich daran, zumindest Lucius einmal bei Florish & Blotts gesehen zu haben, als er diese Kabbelei mit Arthur Weasley angezettelt hatte. Draco gegenüber erwähnten sie immerhin nicht, dass sie seine Eltern für genauso gemeingefährlich hielten wie ihn, sondern baten immer wieder, ein gemeinsames Treffen zu arrangieren.
 

Es war ja nicht so, dass er es nicht versucht hätte. Im Gegenteil. Knapp einen Monat lang hatte er sich den Mund fusselig geredet. In jeder einzelnen Mittagspause im Ministerium war er zu Lucius gepilgert und hatte ihn angefleht – nachdem er sich über Harry beschwert hatte - , jeden Tag schickte er seiner Mutter mehrere Eulen und weil man nie wissen konnte, wie lange so eine Eule brauchte, kam er selbst auch an den Abenden vorbei und bat, bettelte und als ihm nichts mehr einfallen wollte, womit er sie noch erweichen könnte, begann er zu drohen.
 

Entweder sie würden einen Nachmittag ihres Lebens opfern, um die Grangers kennenzulernen, oder er würde überall im Ministerium herumerzählen, dass die Elfen im Cottage freie Tage am Wochenende hatten und er, Draco, an diesen Tagen eigenhändig kochen würde.

Mit Lucius‘ Wissen…

Außerdem, so schmeichelte Draco, könnte man den Leuten doch stattdessen erzählen, wie ungemein muggelfreundlich die Malfoys inzwischen waren. Kein bisschen rassistische Todesser mehr, nein, gar nicht. Sie trafen sich in ihrer Freizeit sogar mit Muggeln. Da konnte nicht einmal Cornelius Fudge mithalten, der neulich zwei Tagesprophetenredakteure dazu eingeladen hatte, ihm dabei zuzusehen, wie er in einem Muggelladen ein Muggelbuch über Muggeltechnik kaufte…
 

Lucius Malfoy träumte immer noch davon, Minister zu werden, Draco wusste das ebenso, wie er wusste, dass das nie passieren würde. Aber da er ja nett zu seinen Eltern sein wollte und man sie mit der Möglichkeit, vor anderen gut dazustehen immer locken konnte, zog dieses Argument letztendlich doch und so kam es, dass beide Elternpaare im Juni das Cottage besuchten.
 

Die Begrüßung war befremdlich. Die Grangers waren verhalten, Narzissa wortkarg, während Lucius so breit grinste und so eifrig Hände schüttelte, als würde ein Pressefotograf neben ihm stehen.

Draco beschloss, seine Mutter nachher beiseite zu ziehen und sie zu fragen, ob Lucius tatsächlich Zauber gewirkt hatte, die alles, was er an diesem Nachmittag tat, in vorzeigbare Zeitungsartikel zusammenpackte.
 

Die Grangers waren hier noch nie gewesen und so genossen es die Malfoys, den beiden nicht nur das Haus zu erklären, sondern auch immer mal wieder nebenbei einfließen zu lassen, wer das alles bezahlt hatte.
 

Narzissa konnte einen eindeutigen Erfolg verbuchen, als die Elfen ein weiteres traditionelles Zauberergericht auftischten – Hippogreifenfilet, wie Lucius mit einem süffisanten Grinsen in Richtung Hermine erklärte - mit Nudeln und Chochollis. Eine magische, leicht süßlich schmeckende Variante von Brokkoli.

Narzissa badete im Unwissen der Grangers, als sie erklärte, was genau die Elfen da zubereitet hatten und was es mit dem Gericht auf sich hätte.
 

Mr. Granger hörte ruhig zu, dann erklärte er, dass er glaube, die Chochollis schon einmal gesehen zu haben. Ein afrikanischer Stamm, den er bei seiner letzten „Ärzte-ohne-Grenzen“-Reise kennengelernt hatte, kauten die Röschen roh, um sich daran zu berauschen.
 

… beide Grangers hoben den Kopf und funkelten die drei Malfoys mit einem siegessicheren „Wussten-wir’s doch“-Blick an… während sich Dracos Wangen rot verfärbten und Lucius' und Narzissas Münder schmal und streng wurden.
 

Besagter Stamm, führte Mr. Granger weiter aus, hätte vermehrt lila-farbige Ablagerungen auf den Zähnen, die, wenn sie nicht regelmäßig beseitigt wurden, den Zahnschmelz und das angrenzende Zahnfleisch verätzen. Mitdenkend, wie Mrs. Granger war, zückte sie augenblicklich ihren Terminkalender und fragte, ob sie den Malfoys einen Termin in ihrer Praxis machen sollten. Lucius lehnte dankend ab, so oft würde man die Chochollis nicht essen und die berauschende Wirkung träte ja nur bei ungekochtem Verbrauch auf.
 

Wenige Minuten später bemerkte Draco, wie sein Vater immer mal wieder kurz breit sein Messer angrinste, um seine Zähne in Augenschein nehmen zu können.
 

Lucius ließ es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass sein Sohn sehr begabt war. Er untermauerte dies, indem er den ahnungslosen Grangers in allen Farben des Regenbogens schilderte, wie gut doch Draco Quidditch spielen würde und wie früh er bereits im Kleinkindalter erste Zauber gewirkt hätte.
 

Mrs. Granger konterte knallhart, indem sie verlauten ließ, dass Hermine bereits mit vier Jahren lesen konnte. Narzissa war bereit zum Gegenschlag und prahlte, dass Draco ja nun eigentlich bereits mit drei Jahren Klavier spielen konnte.
 

„Und Geige“, rief Hermine fröhlich dazwischen.
 

Narzissa lächelte maskenhaft und forderte Draco dazu auch, etwas auf dem Flügel zu spielen.
 

Das war nun ziemlich schwierig für die Grangers zu übertrumpfen, denn Draco Klavier spielen zu hören war eindeutig eindrucksvoller, als wenn man Hermine dazu aufgefordert hätte, etwas vorzulesen. Mr. Granger behalf sich, indem er behauptete, dass Hermine, gutmütig wie sie war, in den Ferien regelmäßig kranken Kindern Mutmachgeschichten vorlesen würde.
 

Soviel Draco wusste, war an der Sache nur so viel wahr, dass Hermine wohl ab und zu in der Praxis der Grangers gesessen und gelesen hatte. Manchmal hatte sie dabei halblaut vor sich hingemurmelt, so dass es einige der Kinder, die in der Praxis auf ihren Termin warteten, hören konnten.
 

Das störte die Grangers nicht weiter, denn natürlich war das nur eine Schießübung für den wirklichen Angriff, als sie erklärten, wie überaus stolz sie doch darauf wären, dass Hermine ihr soziales Engagement nun beruflich auslebte und ja auch schon ein Buch veröffentlich hatte, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.
 

„Ich weiß“, erwiderte Lucius träge, „wir hatten es in hundertfacher Ausführung im Keller des Manors liegen. So viele hat sie ja nicht verkauft…“
 

„Es geht nicht um Masse, sondern um die edle Absicht dahinter“, schnappte Mrs. Granger indigniert zurück. „Ich nehme an, dass Draco dann wohl mehr publiziert hat, wenn sie Hermines Verkaufszahlen gering finden!“
 

Draco entschuldigte sich, er müsse nun ganz dringend auf die Toilette. Im Hinausgehen bekam er noch mit, die Lucius so unauffällig wie möglich versuchte, das Thema zu wechseln und in gekünsteltem Lachen ausplauderte, wie man Hermine damals für einen Werwolf gehalten hatte, weil sie einmal ein Interview mit „so jemandem“ geführt hatte.
 

Die Grangers fanden das nicht komisch, aber sie ließen sich auf das Gespräch ein. Draco war dankbar, wenn er die nächsten fünfzehn Minuten auch draußen im Garten saß. Die Sorge, auf seine eigenen Veröffentlichungen im Tagespropheten angesprochen zu werden, hatte ihn hinausgetrieben.
 

Als er wiederkam – eine verstimmte Hermine zwang ihn, sie nicht mit diesen geltungssüchtigen Leuten allein zu lassen - war das Gespräch in gemächlichere Bahnen gelenkt. Hermine erzählte gerade davon, dass sie daran dachte, Aktionswochen zur Gleichberechtigung magischer Wesen im Ministerium zu veranstalten und so konnte Draco elegant zu einem erfreulicheren Thema überwechseln.
 

Er selbst arbeitete nun auch seit vier Wochen im Ministerium, - „Alles streng geheim, ich darf ja nicht darüber reden, aber es ist wirklich geheim und sehr spannend“-, und bisher gefiel es ihm gut und er kam dort auch gut zurecht. Vormittags zumindest, klappte es mit dem „normal sein“ schon recht gut. Er verschwieg, wie gereizt und dafür an den Nachmittagen war.
 

Aber immerhin, es klappte irgendwie und darauf war Draco sehr stolz und egal wie wenig sich Hermines Eltern vorstellen konnten, was es ihm bedeutete, zumindest seine Eltern lächelten ihn voller Stolz an, als er freimütig erzählte, dass die Unsäglichen so geheim seien, dass er nicht einmal die Namen seiner Kollegen kennen würde, weil sich alle nur mit ihren Initialen anredeten.
 

Außer Potters natürlich, aber da er Potter so gut es ging verdrängte und ignorierte, ertrug er die Bürde dieses Wissens.
 

Er räumte ein, dass er mit dieser halben Stelle natürlich nicht reich werden würde – wenn er auch jetzt schon mehr verdiente als Hermine, was er jedoch selbstverständlich fand und deshalb nicht extra erwähnte - aber da es geplant sei, die Therapie bis auf zwei Abendtermine die Woche innerhalb des nächsten halben Jahres komplett abzubauen, wäre in absehbarer Zeit auch eine Vollzeitstelle denkbar.
 

Nachdem die Eltern endlich gegangen waren - so unversehrt und friedlich, wie Draco es nicht zu hoffen gewagt hatte – zog er sich in den Garten zurück. Dort saß auf einer Bank vor dem Teich, atmete tief den Luft des Lavendels ein und betrachtete versonnen das Leuchten der Glühwürmchen, die wie winzig kleine Feen durch den Garten schwirrten. Ihr Licht spiegelte sich im dunklen Wasser, so dass man fast glauben könnte, dass es dort unten ebenso mysteriöse Wesen gab wie auf dem Grund des Schwarzen Sees von Hogwarts.
 

Flieder, Lavendel und Vergissmeinnicht um ihn herum wuchsen und gediehen. Er konnte sie nur riechen, jedoch nicht sehen. Er hätte Licht machen können, um das alles zu sehen, doch dann wäre die zauberhafte Atmosphäre dieser Glühwürmchennacht gebrochen und so beließ er es dabei, nur zu wissen, dass dies der Garten war, den er immer hatte haben wollen.
 

Neben ihm auf der Bank hatte sich Harmony zusammengerollt und schnurrte sich leise in den Tiefschlaf hinein, den sie sich nach ihrer erfolgreichen Mäusejagd sicher redlich verdient hatte.
 

Er hörte nackte Füße über das Gras näherkomen. Harmony hob ihr Köpfchen und schnupperte mit gekräuseltem Näschen in die Luft. Sie hatte wohl etwas Beruhigendes gerochen, denn sie machte sich nicht einmal die Mühe, ihre Augen zu öffnen, um zu blinzeln, sondern bettete das Köpfchen sogleich wieder auf ihre Pfoten und verfiel augenblicklich wieder in tiefe, sanfte Atemzüge.
 

Alles war ruhig, nur Harmonys Schnurren schwoll an, als Hermine sich neben sie setzte und ihre Finger durch das cremegoldene Fell der Katze streifen ließ. „Sie ist niedlich, wenn sie schläft.“
 

„Sie ist auch niedlich, wenn sie wach ist“, antwortete Draco mit einem Anflug von zärtlichem Stolz.
 

„Sie ist eine absolute Schleimerin“, kommentierte Hermine, doch sie kicherte fröhlich dabei, zog die Beine hoch auf die Bank und kraulte Harmony gehorsam weiter, die sich auf den Rücken gerollt hatte und Hermine ihren wollig weichen Bauch darbot.
 

Hermine rollte die Augen und schüttelte den Kopf. „Sie passt zu dir, sie hat sogar fast die gleiche Haarfarbe wie du. Ein verwöhntes, blondes Früchtchen, das bist du, Katze!“
 

Er grinste, als er seine Hand ausstreckte, um die Katze zu streicheln. Wollig weich, warm und freundlich, das war Harmony und Hermine redete nur so, weil sie eifersüchtig war. Das hatte er schon festgestellt und in gewisser Weise schmeichelten ihm diese Reden, weshalb er auch nichts sagte, um ihren Unmut zu zerstreuen. Sie sollte sich ruhig darüber bewusst sein, dass sie nicht die einzige Frau war, die ihn anziehend fand.

Und selbst wenn die Konkurrentin nur eine fünf Kilo schwere Katze war…
 

Seine Hände glitten durch das Fell, wieder und wieder, wobei er immer wieder für einen Sekundenbruchteil Hermines Fingerspitzen berührte. Ein leises Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht. Sie kraulte Harmony nicht mehr, ließ ihre Hand auf dem Bauch der Katze verharren und wartete geduldig darauf, dass er sie berühren würde.
 

Doch dann, ganz plötzlich, ergriff sie seine Hand, als er über ihre strich und hielt sie fest. Etwas verwirrt über die ruckartige Bewegung sah er sie an und wunderte sich, wie ernst ihre Augen doch innerhalb von Sekunden geworden waren.
 

„Draco, ich will dir etwas sagen.“
 

Was immer es auch sein könnte, es klang niemals gut, wenn Hermine unvermittelt so ernst wurde. Sein Herz schlug etwas schneller, die Haut wurde rau unter der aufkommenden Gänsehaut und sein Körper verspannte sich.
 

Sie wirkte nicht wütend, nicht, als hätte er etwas falsch gemacht, dennoch…die Ernsthaftigkeit ihrer Augen beunruhigten ihn.
 

Harmony schnurrte leise, beruhigte und besänftigte ihn mit ihrer Gegenwart. Wie von selbst fanden seine Finger zurück auf ihr Fell, gaben ihm Wärme, während es um ihn herum ein wenig kälter und dunkler zu werden schien.
 

„Draco, ich habe etwas überlegt. Ich denke darüber schon länger nach, eigentlich schon, seit wir zusammen sind. Wenn es Wunder gäbe, wenn es Irrtümer und Betrug von solchem Ausmaß möglich wären und Ron, auf welche Weise auch immer doch leben würde. Was würde ich tun, wenn er eines Tages zur Tür hereinspaziert käme und wieder mit mir zusammen sein wollte? Was würde ich tun?“
 

Draco schloss die Augen, ihm war etwas schummerig bei ihren Worten geworden. Er wollte sich die Lippen benetzen, doch war seine Zunge wie ausgedörrt. „Was würdest du denn tun?“, fragte er mit tonloser Stimme.
 

„Ich würde ihn heimschicken. Jetzt bin ich mir sicher, ich würde ihm sagen, dass ich ihn in der Schule sehr geliebt habe, aber dass das jetzt vorbei ist, weil ich dich habe und nur mit dir zusammen sein will.“ Ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Sie wusste, dass sie ihn eben verunsichert hatte, die Rache für seine Ergebenheit gegenüber Harmony. Aber sie wusste auch, was ihm ihre Worte bedeuteten.
 

Dass sein Herz nun schneller schlug, dass es in ihm hüpfte und tanzte, dass er sich fühlte, als ob er von kühlem Schatten in wärmendes Sonnenlicht getreten war und dass sie seine Welt nur mit diesen wenigen Sätzen freundlicher und lebenswerter gemacht hatte.
 

Auch, wenn er nichts sagte, ihm fehlten nicht nur die Worte, er war auch zu stolz, um ihr zu sagen, wie dankbar er war. Und wozu, sie wusste es doch, zweifellos… warum sollte sie ihn sonst so neckisch angrinsen?
 

Nein, er sagte nichts. Sollte sie doch dadurch erkennen, wie froh er war, dass er von Harmony abließ und stattdessen ihr den Arm um die Schulter legte und sie an sich drückte.
 

„Wir sollten hier noch ein wenig sitzen bleiben“, erklärte er ruhig. „Es gefällt mir so, wie es ist.“
 

Hermine nickte und lehnte ihren wuscheligen Kopf auf seine Schulter. „Ja, mir auch. So kann es bleiben.“
 

xxx
 

Auszug aus Dracos Zeitungsartikel:
 

Ich bin heute fast zwanzig Jahre alt. Mit sechzehn habe ich zum ersten Mal getötet.
 

Etwa eine halbe Stunde, nachdem ich es nicht geschafft hatte, Albus Dumbledore zu töten, habe ich seinen Bruder erstochen.

Es war ein Unfall und deswegen sehe ich diese Nacht heute auch nicht mehr als entscheidend an.

Ich kann nicht genau sagen, wann es begonnen hat, aber ich würde sagen, vor meiner Geburt. Ich habe einmal meinen Vater gefragt, warum er Todesser wurde. Seine Antwort war niederschmetternd, weil es auch meine eigene hätte sein können.
 

Der Wunsch, sich zu beweisen, etwas Wichtiges zu tun, der kindliche Glaube an tradierte Reinblutwerte, Neugierde und vor allem sträfliche Dummheit.
 

Ich bin der Sohn zweier enorm wohlhabender, einflussreicher Familien, deren reinblütiger Stammbaum sich bis ins frühe Mittelalter zurückführen lässt. Salazar Slytherin hatte bereits Malfoys und Blacks in seinem Unterricht, wussten Sie das? Das ist tausend Jahre her, und ebenso lange hat man allen Mitgliedern unserer Familien eingetrichtert, dass Muggel gefährlich und minderwertig sind, und dass man sie, wenn möglich, beseitigen sollte.
 

Mit diesem Wissen bin ich aufgewachsen und ich habe danach gelebt, bis wir alle das Pech hatten, dass unsere Träume wahr wurden. Voldemort kehrte zurück, wurde mächtig und verschaffte uns die grauenhafte Möglichkeit, all das zu tun, was wir bisher nur im stillen Kämmerlein zu denken gewagt hatten.
 

Ich schäme mich heute sehr dafür, was ich alles getan habe und möchte hier an dieser Stelle sagen, dass es mir leid tut. Ich würde gerne mehr tun, irgendeine Form von Buße leisten, irgendeine Strafe ableisten, vielleicht könnte ich dann morgens wieder in den Spiegel sehen.

Ich würde meine Taten gerne wieder gutmachen, aber wie kann ich das? Meine Therapeuten haben mir davon abgeraten, mich persönlich bei Opfern zu entschuldigen und ihnen eine von mir zu leistende Wiedergutmachung anzubieten. Mir wurde gesagt, dass ich mehr schaden als helfen würde, wenn ich die direkte Begegnung suche.
 

Mich zu sehen würde für diese Menschen ein erneutes Trauma bedeuten. Es ist nicht schön, so etwas über sich selbst zu wissen, doch ich denke, dass es stimmt. Stattdessen versuche ich also auf anderen Wegen etwas Sinnvolles zu tun. Ich spende Geld für wohltätige Zwecke und leiste Aufklärungsarbeit für die Klinik. Ich spreche mit anderen jungen Menschen, denen es ähnlich ging wie mir. Viele sind eher bereit, mir zuzuhören, als den Heilern. Manchen hilft es, wenn sie mit jemandem reden, der vor ein paar Jahren ähnliches durchgemacht hat. Damals, als ich noch ein Todesser war.
 

Die jungen Todesser waren die Schlimmsten. Wir hatten außer zu viel Fantasie nichts im Kopf als eine Ideologie, deren Hintergründe wir kaum verstanden haben. Wir waren dumm, naiv und was uns vor allem fehlte, war die Fähigkeit, die Folgen unseres Handelns abschätzen zu können.

Die Älteren sind vorsichtiger, sie kennen die Gefahren und vielleicht wissen sie auch, wie sehr man doch von Albträumen verfolgt werden kann.
 

Die Vergangenheit lässt mich nicht los. Ich wache immer noch schweißgebadet in der Nacht auf und zittere vor Angst und Übelkeit. Manchmal, wenn es ein sehr lebhafter, bedrohlicher Traum war, schlage ich um mich, springe auf und versuche zu kämpfen, weil ich dann glaube, dass ich wieder in irgendeinem Einsatz bin.

Aus diesem Grund haben meine Freundin und ich keine Zauberstäbe, spitze Gegenstände oder irgendetwas anderes, das als Waffe benutzt werden könnte, in unserem Schlafzimmer.
 

Was nicht heißen soll, dass ich tagsüber ein ausgeglichener, friedlicher Mensch bin.
 

Tolerant und freundlich war ich ja noch nie, aber denjenigen, die das hier lesen und sich an Draco Malfoy aus der Schule erinnern möchte ich sagen, dass sie sich irren. Sie kennen ihn nicht. Vielleicht kannten sie ihn mal, wenn es überhaupt möglich ist, Teenager wirklich zu durchschauen. Doch heute können sie ihn nicht kennen, denn er ist schon lange tot.

Dieser Junge, der ich einmal war. Der hübsche, arrogante, reiche, verwöhnte, stolze Teenager starb in der Nacht, als Albus Dumbledore starb. Er war schon lange krank. Mindestens, seit sein Vater in Askaban war und starb dann endgültig, als er Aberforth Dumbledore bei diesem Unfall erstach.

An seiner Statt ging eine ausgehölte, kranke Puppe durch die Schule. Nichts war mehr von mir übrig. Gar nichts. Ich bestand nur noch aus Angst, Panik und Schuld. Es war ein Albtraum, aus dem ich nicht erwachen konnte. Und um das alles auszuhalten, habe ich mich irgendwann damit abgefunden. Was hätte ich denn tun sollen? Ich war doch fast noch ein Kind und man hat mich belogen und bedroht.

Wenn ich heute durch die Stadt gehe, was ich, nebenbei bemerkt, immer noch sehr ungern tue und so schnell wie möglich hinter mich bringe, und Jugendliche von sechzehn oder siebzehn sehe, dann bin ich jedesmal schockiert, wie jung sie aussehen und sich benehmen. Das sind doch halbe Kinder.
 

Und solche Kinder wurden im Krieg zu Killermaschinen umgewandelt. Ich auch. Und als es vorbei war… Dann war gar nichts mehr von mir da. Von mir war nichts mehr übrig.
 

Heute sehe ich es so. Ich musste ins Krankenhaus, um mich neu erschaffen zu lassen. Ich war wie ein hilfloses Kleinkind, dass rein gar nichts von dem, was um es herum war, verstand und das alles, selbst die allereinfachsten Dinge wie Wärme und Kälte empfinden, neu lernen musste.

Ein Prozess, der lange noch nicht abgeschlossen ist. Ich bin jetzt fast zwanzig Jahre und könnte ihnen auf die Frage, wie man einen Menschen am schnellsten mit einem Messer tötet, mindestens zehn verschiedene, präzise, elegante und schnelle Möglichkeiten nennen. Ich kenne wesentlich mehr Wege, die haben sich allerdings als unpraktisch erwiesen.

Ich weiß, wie man eine Frau festhalten muss, wenn man sie vergewaltigen will. Ich kenne unzählige Wege, wie man einen Menschen grausam zu Tode foltert. So, dass er nicht zu schnell stirbt und dennoch unermessliche Qualen leidet.
 

Ich bin fast zwanzig Jahre alt und lasse nachts immer noch das Licht an, weil ich Angst im Dunkeln habe. Ich bin bis heute nicht dazu in der Lage, an Kinderspielplätzen vorbei zu gehen. Mir wird beim kleinsten Tropfen Blut, den ich sehe, übel, ich vermeide es, an Orte zu gehen, wo mehr als fünf Menschen gleichzeitig sind und sicherlich werden Sie lange nach einem jungen Erwachsenen suchen müssen, der so gerne mit seinen Eltern im Wohnzimmer sitzt wie ich.
 

Ich muss immer noch Tagebuch führen, um zu sehen, wann und wie oft ich in den letzten Tagen gegessen habe, da ich immer noch kein Hungergefühl habe.
 

Ich bekomme Tabletten, die mir helfen sollen, Hunger zu fühlen. Ich bekomme Tabletten gegen meine Ängste, gegen meine Konzentrationsschwäche, gegen die Wutanfälle, gegen die Depressionen und eigentlich gegen alles, worauf ich zu meiner Todesserzeit stolz war.
 

Ich habe Angst davor, die Zeitung zu lesen.
 

Ich habe letzte Woche einen großen Triumph für mich verbucht. Ich konnte ein Kinderbuch lesen, ohne sofort von einem Flashback überrollt zu werden. Warum war das so ein Erfolg für mich? Weil es kaum ein Buch gibt, das komplett ohne die Erwähnung von Kämpfen auskommt.
 

Ich versuche meinen Eltern zu vergeben. Ich weiß, dass sie mich lieben und mir nicht wehtun wollten. Dennoch haben sie mich auf eine Art verstümmelt, die nie wieder heilen wird.

Ich versuche zu akzeptieren, dass sie selbst nur ein Produkt ihrer Familie und ihrer Umwelt sind. Dass sie mir diese Dinge über reines Blut, Voldemort und die Todesser gesagt haben, weil man sie selbst angelogen hat.
 

Ich weiß, dass sie mich heute anders erziehen würden und alles daran setzen würden, mich und sich selbst von diesem Terror fernzuhalten.
 

Ich versuche, mir selbst zu vergeben. Das ist das schwierigste und bis heute unmöglich. Ich empfinde Ekel und Abscheu vor mir selbst, wenn ich an meine Taten denke. Wenn ich könnte, würde ich all das aus mir herausschneiden, was ich als Todesser getan habe. Wenn ich könnte, würde ich sogar all die dummen Witze, die ich in der Schule über Nicht-Reinblüter gemacht habe, nachträglich ausradieren, wie falsch geschriebene Worte auf Papier, denn heute weiß ich, wie albern und kindisch meine Behauptungen doch damals waren.
 

Ich gebe mir Mühe, diese Taten als Teil von mir zu akzeptieren. Dinge, die ich getan habe, weil ich mich nicht wehren konnte oder es nicht besser wusste. Ich versuche, mich nicht mehr darüber zu definieren. Ich habe es getan, aber das bin nicht ich.
 

Ich werde vielleicht bald zwanzig Jahre alt. Vielleicht, oder wahrscheinlich, aber an vielen Tagen ist die Idee eines möglichen Selbstmordes das Einzige, was mir Trost bietet. Mittlerweile überwiegen aber die Tage, an denen ich leben will. So schwer es auch sein mag.
 

Ich bin fast zwanzig Jahre alt und bin in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der die Menschen relativ früh heiraten und Kinder bekommen. Manchmal sprechen mich meine Eltern auf das Thema an und ich habe darüber auch mit einer Freundin gesprochen. Ich möchte keine Kinder haben.
 

Es ist nicht so, dass ich Kinder nicht mögen würde oder nicht bereit wäre, für meine eigenen Kinder Opfer einzugehen. Nein. Es ist eine schlicht überwältigend furchteinflößende Vorstellung für mich, dass meine Kinder wissen, was für ein Mensch ihr Vater ist und was er getan hat… als er selbst noch ein Kind war.

Zudem habe ich immer noch Wutanfälle, wie ich überhaupt immer mal wieder starke Stimmungsschwankungen habe. Was für ein Vater wäre ich, wenn ich meine Kinder in einem Anfall weißer Wut prügeln würde oder sie miterlebten, wie ich mich tagelang im Bett verkrieche und die Wand anstarre?
 

Mein Heiler hat gesagt, dass ich mir Zeit geben soll. In ein paar Jahren könnte es anders aussehen. Könnte ich belastbarer sein und ruhiger. Ich hoffe, er hat Recht.
 

Sollten wir irgendwann doch Kinder haben, dann kann ich nur hoffen, dass sie so verständnisvoll und geduldig mit mir sein werden wie ihre Mutter und mir glauben, wenn ich ihnen sage, dass mir meine Vergangenheit leid tut. Dass es mir leid tut, genau das Gegenteil von perfekt zu sein
 

Ich versuche meinen Eltern zu verzeihen, dass sie nicht perfekt sind. Wenn man so aufgewachsen ist wie ich, ist das sehr schwierig. Ich wurde dazu erzogen, meine Eltern, besonders meinen Vater, als Götter anzusehen. Alles was sie sagten und taten, war unangefochten perfekt.
 

Heute bin ich sehr wütend auf meine Eltern, weil mir irgendwann klar wurde, wie falsch viele der Dinge waren, die sie mir gesagt haben und die sie getan haben. Ich werfe ihnen vor, dass sie mich nicht davon abgehalten haben, diese schlimmen Dinge zu tun. Sie wussten es und haben tatenlos zugesehen, wie ich mich in ein Monster verwandelt habe. Ich versuche, sie nicht als Lügner zu sehen, weil sie mir nicht die Wahrheit über die Todesser gesagt haben.
 

Ich versuche zu akzeptieren, dass auch sie damals ratlos waren. Ich versuche zu akzeptieren, dass sie ihre eigne Vergangenheit teilweise bereuen und sie, auch wenn sie an manchen Denkweisen festhalten, die ich heute für falsch halte, dennoch nur mein Bestes wollten.

Ich versuche mich nicht mit Fragen zu quälen, auf die es keine befriedigenden Antworten geben wird.

Ich weiß, dass meine Eltern mich lieben und heute einiges anders machen würden. Ich versuche die Schuldzuweisungen als ziellos zu erkennen und sie deswegen nicht überhand nehmen zu lassen. Ich versuche mich darauf zu konzentrieren, was wichtig ist.
 

Ich bin nicht alleine und es gibt Menschen, die mich lieben. Das ist wichtig.
 

Ich bin fast zwanzig Jahre alt und kann an manchen Tagen stark genug sein, um mich um meine Freundin zu kümmern. Sie hat in diesem Krieg selbst sehr viel verloren und erleiden müssen. Sie ist stark, viel stärker als ich. Aber wir sind wohl beide keine glorreichen Helden und haben beide Dinge erlebt, mit denen wir fertig werden müssen.

Ich gebe mir Mühe, sie zu trösten und versuche, sie in allem, was sie selbst verarbeiten muss, zu unterstützen. Das ist sehr schwer, da sie und ich auf verschiedenen Seiten standen und der Schmerz des einen mit einer Tat des anderen in Verbindung steht.
 

Dennoch klappt es meist recht gut mit uns. Meistens… nicht immer.
 

Ich bin zwanzig Jahre alt und lerne jetzt erst, Muggel zu akzeptieren. Ich will es, aber die Vorurteile sind tief in mir.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Omama63
2012-07-11T16:36:28+00:00 11.07.2012 18:36
Ein schönes Ende.
So, ich habe es geschafft, wenn ich auch fast einen Monat gebraucht habe, um deine FF zu lesen.
Das ist eine super FF und hat mir sehr gut gefallen.
Hast du klasse geschrieben.
Da war alles drin was eine gute FF ausmacht.
Solltest du wieder einmal eine FF schreiben, dann würde ich mich über eine ENS von dir freuen. Aber bitte mit Happy End, so wie bei diese FF.


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