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Harmonie

von

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Kopfschmerzen

Kapitel 31: Kopfschmerzen

Wäre Draco ein kleines Kind gewesen, so hätte man ihn an diesem Morgen wohl „brav" genannt. Er war aber nicht acht sondern achtzehn und so war es passender, sein Verhalten als phlegmatisch zu bezeichnen.
 

Draco ging überall mit, wo die Therapeuten und Sam ihn hinschleiften. Dort saß er dann, starrte die Wand an und grübelte immer noch darüber nach, was an Halloween in den Drei Besen passiert war. War da nicht etwas, das er vielleicht vergessen hatte?
 

Er kam nicht drauf, weil er von seinen glitschigen, blutigen Fingern so unangenehm abgelenkt war.
 

Die anderen versuchten in den Pausen mit ihm zu reden, doch Draco wehrte nur ab und sagte, er müsse nachdenken. Hatte der Mann mit dem Blutadler nicht rote Haare gehabt?

Aber das konnte nicht sein. Er hatte Weasley doch gar nicht getötet und… die Opfer hatten doch geschlafen, oder?
 

Wieder und wieder grübelte er über den ersten Blutadler nach. Wann hatte er das das erste Mal gemacht? Nein, das Opfer – nicht Opfer, Verräter, so musste es heißen - hatte ganz sicher keine roten Haare gehabt… aber warum hatte er dann genau dieses Bild so viel klarer vor Augen als im Traum.
 

Jemand lag auf dem Bauch, rote Haare verklebt mit Schweiß und Blut. Über ihm stand Draco mit dem Messer in der Hand.
 

Menschen standen um ihn herum und sahen zu.
 

Aber nein, er hatte Weasley nicht getötet. Das war Snape gewesen. Er hatte Snapes Leute getötet und Snape diejenigen, die Draco ausgesucht hatte. So unlogisch dieser Tausch ihm auch schien.
 

Lucius hatte ihn belogen. Lucius war ein verlogener Verräter, der einfach zu schwach und weich geworden war.
 

Der Mann hatte den Blutadler sicher verdient. Genauso wie jeder andere, der nach ihm gekommen war.
 

Und Weasley hatte nichts damit zu tun.
 

Draco grübelte und grübelte. Grübelte durch die Morgenrunde, saß grübelnd in der Ecke, während die anderen Zauber aus verschiedenen Ländern ausprobierten, er grübelte, während er ein paar Jungen beim Fußballspielen beobachtete, hörte auf zu grübeln, um sich zu übergeben, als er sah, wie einer seiner Mitinsassen zur Zubereitung des Mittagessens ein Messer herausholte und grübelte dann den ganzen restlichen Tag weiter.
 

Wenn er nicht grübelte, stand er im Waschraum und schrubbte sich die Hände, auf denen immer noch das warme, glitschige Blut klebte.
 

Draco grübelte immer noch, während Sam ihm die wunden Finger mit Salbe einstrich. Mittlerweile war es Nachmittag und er hatte verstanden, dass andere das Blut nicht sehen konnten. Er wusste, dass es eine Einbildung war, die er als normaler Mensch nicht haben sollte.

Genau wie er kein Blut an Hermine hätte sehen dürfen.
 

Er schob es auf die Medikamente und nannte es für sich einen Ausrutscher. Danach grübelte er weiter.
 

Eigentlich wäre jetzt Zeit gewesen nach Hause zu gehen und Lucius war ja auch schon da. Der machte im Moment aber gar keine Anstalten, ihn mitzunehmen. Draco sah ihn draußen im Gang heftig mit dem Heiler diskutieren. Nein, eigentlich sah es eher so aus, als ob der seinen Vater gnadenlos ausschimpfen würde. Merkwürdig, Vater sah aus, als schäme er sich aufrichtig.
 

Draco schätzte, dass es etwas mit Vaters Lügen vom Vorabend zu tun hatte. Er ließ sich im Sessel nach hinten sinken und grübelte weiter.
 

Xxx
 

Draco war an diesem Tag auch zu Hause sehr still. Die Ruhe im Esszimmer war schockierend. Hermine wollte ja kein Unheil herauf beschwören, aber am liebste hätte sie ihn gefragt, warum sie bis jetzt noch nicht eine einzige Beleidigung gehört hatte.
 

Stattdessen saß er brav wie ein Chorknabe am Tisch, knetete seine rot gescheuerten Hände und starrte ins Leere. Narzissa neben ihm aß gemütlich, verteilte hier und da Spitzen an ihren Mann und schien ihren apathischen Sohn gar nicht zu bemerken.
 

Lucius schon. Immerhin, das musste sie ihm lassen. Er hatte Draco schon ein paarmal mit den Fingern vor dem Gesicht geschnippt. Sogar Rodolphus hatte Draco angesprochen. Und das, wo er doch sonst mit Worten geiziger als Dagobert Duck mit Gold war.
 

Draco wachte für Sekunden auf, zuckte zusammen, sah sich verwirrt im Raum um, versank aber im nächsten Augenblick schon wieder in dumpfes Brüten.
 

Hermine faltete ihre Hände im Schoß und sah versonnen auf ihren Teller hinab, der sich wie von Geisterhand selbst mit bläulichem Schaum füllte. Die Kristallschalen auf dem Tisch füllten sich mit kleinen, braunen Würfeln, die wohl irgendein Gebäck darstellten. Ein silberner Löffel ragte daraus hervor.
 

Draco starrte gedankenverloren ins Nichts und schien weder sie, noch seine Eltern oder seinen Onkel wahrzunehmen. Sie beobachtete ihn eingehend, da sie nicht sicher war, ob er überhaupt blinzelte. Als er es dann doch tat, danach jedoch immer noch so reglos wie aus Stein die eine Topfpflanze an der Wand anstarrte, berührte sie kurz seine Hand und drückte sie. „Fang an, wir essen schon."
 

Er zuckte zusammen, als sie den Druck wiederholte und schien sich erst jetzt wieder bewusst zu werden, wo er im Moment war. Etwas verwirrt blickte er nach links und rechts, schaffte es dann aber recht schnell, die Fassung wiederzufinden und griff nach der Kristallschale mit den Würfeln. Wie von ihr bereits vermutet, sollten diese in die Suppe gegeben werden. Draco schaufelte einen Löffel, zwei Löffel, drei Löffel und beim vierten Löffel war Hermine sicher, dass die Schale so verzaubert war, dass sie sich sofort selbst auffüllte, wie etwas darauf entnommen war.
 

Sein Teller war nicht verhext und konnte den Füllstand nicht magisch ausgleichen. Bereits beim fünften Löffel war der Teller so voll, dass beim sechsten Löffel Suppe auf den Tisch schwappte.
 

Hermine biss sich auf die Lippen und seufzte. Beim siebten Löffel packte sie seine Hand und hielt sie fest. „Hör auf!"
 

Abermals zuckte er zusammen wandte sich ihr verwirrt zu. Wo auch immer er eben geistig gewesen war, bei ihr jedenfalls nicht.
 

Draco wachte erst auf, als die leeren Teller auf dem Tisch mit einem dezenten „Plopp" verschwanden. Er sah Lucius unverwandt an und forderte träge: „Gib mir meine Tabletten, ich will ins Bett!"
 

Hermine drehte sich spontan zur Seite, um auf die Uhr an der Wand zu sehen. Noch nicht mal acht Uhr abends.
 

Xxx
 

Draco veränderte sich. Es war nicht so, dass er weich und feige geworden wäre. Aber mit jedem weiteren Tag gab es mehr, das ihn nervös oder nachdenklich machte.
 

War er früher nur aufbrausend gewesen, gab es jetzt auch viele Zeiten, in denen er Ruhe brauchte, um nachzudenken.
 

Nach sieben Wochen lief er in der Klinik einfach mit. Er ging zu Beginn mit zum Morgenkreis und hörte zu, wie die anderen sich damit quälten, ihre Stimmung in einen Wetterbericht zu packen. Er ging mit und sah zu, wenn über die Magie aus den Herkunftsländern anderer Patienten geredet wurde. Er saß entweder in der Zimmerecke oder ging im Raum herum, wenn die anderen dann auch Spezialzauber aus ihren jeweiligen Ländern vorführten.
 

Manchmal machte er sogar die ihm zugewiesene Arbeit. Meist jedoch bedrohte oder bestach er die anderen, seine Pflichten für ihn zu übernehmen (es hatte durchaus Gründe, warum Sam ihn „Prinzessin" nannte). Die „Spiele" von Heilerin Chang verweigerte er ebenso wie ein Gespräch mit dem Heiler, das tiefsinnigere Themen als Wetter, Essen oder Quidditch behandelte.
 

Manchmal ging es ihm nicht so gut. Je mehr er darüber nachdachte, was er sehr ungern tat, doch nicht verhindern konnte, desto mehr wurde ihm klar, dass es dort draußen auf den Straßen unzählige Menschen wie diese Frau geben musste, die ihren Mann gesucht hatte. Leute, die seinetwegen Angehörige verloren hatten oder die er selbst… Die er… die ihn vielleicht gesehen hatten.
 

Draco war seitdem nicht mehr so gerne draußen. Der kurze Weg, der zwischen dem Platz lag, von dem aus sie vom Manor weg, vor die Klinik apparierten… nur ein paar Meter, die er durch London gehen musste, wurde jeden Tag unangenehmer.
 

Die Leute wussten es, ganz sicher. Jeder kannte seinen Vater und wusste, dass er ein Todesser war. Es war einfach und logisch daraus zu schlussfolgern, dass Draco auch einer war und… ja… deswegen war Draco eigentlich lieber drinnen.
 

Es war nicht so, dass er seine Taten bereute. Er hatte getan, was Befehl gewesen war und hatte seinem Herren gedient. Aber vielleicht verstanden das die Leute da draußen nicht? Und manches, das ihm oft ohne Vorwarnung in den Sinn schoss, war auch einfach unappetitlich gewesen. Wie der Blutadler. Es war Pflicht gewesen es zu tun… nur Pflicht. Dennoch war es kein schöner Anblick gewesen. Und der Geruch… vielleicht würde er auch den Geruch loswerden, wenn er beim Händewaschen nur genug Seife verwendete.
 

Das sagte er sich, wenn er mal wieder darüber nachgrübelte, warum es ihm einfach keinen Spaß mehr machte, über diese Zeit nachzudenken.
 

Manchmal schlich er sich in den Pausen von den anderen weg, wenn ihn deren persönliche Geschichten nervös machten und befahl Sam, ihm in der Küche das Radio anzumachen. Dort saßen sie dann beide, hörten Lieder, tranken Tee und dann und wann ließ sich Draco sogar dazu herab, mit seinem Wärter über Quidditch zu reden.
 

Quidditch war sicher, das war zumindest ein Thema, das ihn nicht in dumpfes Brüten abgleiten ließ.
 

xxx
 

Hermine sank mit zitternden Knien auf den heruntergeklappten Klodeckel. Länger hätte sie nicht mehr stehen können, ihre Knie waren zu weich. Nun war es soweit. Sie hatte diesen Tag ebenso gefürchtet wie herbeigesehnt und nun, da es soweit war, wusste sie nicht, ob sie das Siegel, das das zusammengerollte Pergament in ihren Händen verschloss, öffnen, oder ob sie nicht doch lieber wegrennen wollte.
 

Die Prüfungsergebnisse, da waren sie, in ihren Händen. Unwiderruflich hielt sie, in Pergament und Tinte gefertigt, ihre Zukunft in den Händen. Sie rutschte etwas weiter nach vorne. Ihre Knie zitterten, sie brauchte festen Stand.
 

Das hier war entscheidend für ihr ganzes Leben. Sie atmete tief durch, sah auf das Pergament hinab und schloss die Augen. Einen Moment noch, sie musste sich noch sammeln. Gleich würde es öffnen, aber erst nochmal tief durchatmen. Ja gut, und nochmal und nun… nachsehen, ob die Tür zum Badezimmer auch wirklich sicher verschlossen war. War sie… also gut.. nein… erst nochmal Luft holen und… nun…
 

Eine empfindliche Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper. Ihre Kleidung rieb unangenehm an der verspannten Haut, wenn sie sich auch nur um Millimeter bewegte. Das hier war schlimm, richtig schlimm und dennoch…
 

Unter normalen Umständen, wäre es schon schrecklich gewesen aber jetzt… Am Tag ihrer ersten Prüfung hatte Draco nachts den ersten Flashback gehabt, war für den Rest des Tages komplett verwirrt und hatte damit für soviel Unruhe in ihr und im ganzen Haus gesorgt, dass sich das ganz sicher auch in der Prüfung bemerkbar gemacht hatte.

Leider hatte sie auch nicht soviel lernen können, wie sie gewollt hatte. Zuerst hatte sie den entwöhnenden Draco bemuttern müssen, danach hatte er allgemein Gesellschaft gebraucht. In der Schule konnte sie sich weder entspannen noch durfte sie alle Bücher ausleihen, die sie brauchte. Gesetzesmühlen mahlen langsam. Nein, Muggelgeborene durften en immer noch nicht in die Verbotene Abteilung. Nein, auch mit Genehmigung nicht.
 

Hermine war ein- oder zweimal in London gewesen, um sich dort die gesuchten Bücher zu kaufen. Aber erstens hatte sie dafür nach der Schule kaum Zeit und zweitens noch viel weniger Geld. Sie hatte nur das lernen können, was andere Schüler lernten. Sicher hatte das nicht gereicht und dann… Draco hatte nach diesem seltsamen Alptraum deutlich abgebaut, war noch nervöser, empfindlicher, aber auch phlegmatisch geworden. Hermine kam nie zur Ruhe, wenn sie Draco nicht besänftigen musste, war sie deprimiert, weil sie ihre Freunde und vielleicht sogar ein wenig ihre Familie vermisste.
 

Sie hätte sich doch eigentlich aufs Lernen konzentrieren müssen, stattdessen saß sie abends alleine im Manorpark, betete mit trauriger Miene den Mond an und schrieb tausende von Eulennachrichten an Harry, der gar nicht mehr nachkam, ihr auf alle zu antworten.
 

Aber nun, jetzt musste sie endlich die Botschaft öffnen! Sie holte tief Luft, stählte sich für das Schlimmste, versuchte das Beste zu hoffen und… brach das Siegel.
 

Flink huschten ihre Augen über das Pergament.
 

Dunkle Künste,
 

Zauberkunst,
 

Alte Runen…
 

Hermines Finger wurden taub. Das Dokument rutschte aus ihren Händen und fiel zu Boden. Hermine registrierte es nicht. Sie umschlang ihren Bauch, brauchte noch einen Moment um das, was sie eben gelesen hatte vollends zu verstehen, dann begann sie zu weinen.
 

In zehn Fächern war sie geprüft worden. In fünf Fächern hatte sie ein „Ohnegleichen", in drei Fächern ein „Erwartungen übertroffen", ausgerechnet in Alte Runen, einem ihrer Lieblingsfächer, hatte sie ein „Annehmbar" und in Astronomie war sie sogar durchgefallen. Hermine wusste gar nicht mehr, was sie dort erzählt hatte und was sie in der theoretischen Prüfung alles aufgeschrieben hatte. Nur noch, dass sie die Nächte vorher nicht geschlafen hatte, weil Draco Nacht für Nacht schreiend und um sich schlagend aufgewacht war und auch dann noch, als er wach war, ewig brauchte, um aus den blutigen Erinnerung wieder zurückzufinden. Das ewige Händewaschen, seine dauergereizte Stimmung, die wilde Panik, die ihn nun immer öfter ohne Vorwarnung überkam und nicht zuletzt Dracos Familie, die sie aus ganzem Herzen hasste.
 

Wie hätte sie da morgens ruhig und konzentriert sein sollen? Sie hatte ja einiges befürchtet, aber dass es so schlimm werden würde? Gerade mal fünf „O's". Durchgefallen in einem Fach, das sie gut beherrschte und eine schlechte Note in einem ihrer Lieblingsfächer. Hermines Welt brach zusammen. Sie weinte und weinte. Die Tränen wollten nicht versiegen und raubten ihr die Kraft, auch nur ihre Hände vor die Augen zu legen, um ihr Gesicht abzuwischen. All ihre Träume, die sie mit dem so sehnsüchtig erhofften - insgeheim immer felsenfest erwarteten Vorzeigeschulabschluss - waren zunichte.
 

Ihr Leben war ruiniert… wegen Draco.
 

Xxx
 

Hermines Schulzeit war sang- und klanglos zu Ende gegangen. So klanglos, dass außer Harry niemand letzte Abschiedsworte für sie übrig gehabt hatte. Ihre geliebte Schule war ebenso Geschichte wie Hermines Träume von einer großen Zukunft.
 

Während der vergangenen Wochen hatte Hermine unzählige Bewerbungen geschrieben und … war abgelehnt worden. Sicher, wer würde schon ein Schlammblut einstellen, das auf Malfoy Manor wohnte? So versuchte sie sich selbst eine neue, nützliche Aufgabe zu schaffen. Sie arbeitete an ihrem Buch über das Schicksal der Hauselfen weiter. Im Moment las sie gerade ein sehr provokantes, frühes Werk von Gildedory Lockhart. Titel: „Ehe mit Elfen! Symbiose von Dienern und Herrschern!"
 

„Ich muss mal ins Badezimmer." Draco stand langsam auf, schob seine Karten von sich weg und trottete mit leerem Blick an Hermine vorbei aus dem Salon hinaus.
 

Hermine sah ihm nachdenklich hinterher. So schlafwandlerisch wirkte er schon, seit er nach Hause gekommen war. Vorhin, beim Essen, hatte er noch nicht einmal versucht, seinen Vater zu ärgern, geschweige denn seine Mutter anzusprechen.
 

Nicht, dass es Narzissa aufgefallen wäre. Wie so oft war sie auch nicht mit in den Salon gegangen, sondern hatte sich in ihren Privatwintergarten zurückgezogen, um zu lesen. Hermines Beobachtung nach blieb sie da genau so lange, bis Draco sich zurückzog, um mit Hermine alleine zu sein. Es war so offensichtlich, dass Hermine vor ein paar Nächten, als sie Narzissa im Vorbeigehen bei ihrem Mann sitzen sah, am liebsten ins Zimmer gesprungen wäre und „erwischt" gerufen hätte.
 

Draco selbst sagte zu dem Thema gar nichts. Sie zweifelte nicht daran, dass es auch ihm aufgefallen war, dass seine Mutter ihm so weit wie möglich aus dem Weg ging. Wie könnte es ihm auch nicht auffallen? Sprach Hermine das Thema aber auch nur über tausend Ecken an, nahm er seine Mutter sofort in Schutz, erfand Entschuldigungen und wechselte das Thema.
 

„Was ist denn mit dem los?", hörte Hermine Rodolphus fragen, der gerade Dracos Karten aufgesammelt hatte und nun alle zusammen im großen Stapel mischte.
 

Lucius stieß ein knurrendes Geräusch aus. Das tat er oft, wenn er in Hermines Gegenwart sprechen sollte. Heute verkniff er sich jedoch die Bemerkung, dass er sich dazu nicht äußern würde, solange „die da" im Raum war, sondern antwortete: „Ist bis oben hin voll mit Beruhigungsmitteln. Er hatte vorhin einen seiner komischen Anfälle!"
 

„Hmm", machte Rodolphus, wie so oft. Hermine hatte die ersten Wochen ernsthaft überlegt, ob Rodolphus überhaupt sprechen konnte. Er war meist ruhig und hielt sich im Haus überraschend zurück. Zuerst hatte es Hermine ja für Trauer um Bellatrix gehalten, aber laut Draco war Rodolphus auch sonst kein großer Redner. Entweder ein Zugeständnis oder ein Effekt seiner Ehe.
 

Lucius seufzte. „Nachdem ich ihn abgeholt hatte, mussten wir noch in die Apotheke. Während wir darauf warten, dass die Frau dort seine Liste zusammenstellt, kommt auf einmal Arthur Weasley mit drei seiner Söhne in den Laden!"
 

Hermine hob ihr Buch höher vor sich und spitzte die Ohren.
 

„Unangenehm, unter den aktuellen Umständen. Das gesamte Pack sieht ja aus, als würden sie ihre Kleidung aus öffentlichen Mülltonnen herausziehen, aber das darf man ja im Moment nichts sagen!"
 

Rodolphus machte „hmm" und Hermine verdrehte die Augen.
 

„Wie auch immer… Sie sind nur reingekommen, da wurde er schon irgendwie seltsam. Nervös eben. Dann haben sich diese Leute auch noch ganz dicht hinter uns gestellt. Keinen Anstand… Haben zugesehen, wie die Frau Dracos Medikamente gestapelt hat und ich sage dir, sie haben es genossen. Sie haben nichts gesagt, aber ich konnte ihre Schadenfreude regelrecht riechen, als sie sahen, was für Zeug er mittlerweile alles nehmen muss. Und dann kommentiert die dumme Kuh das auch noch. Also hat schön ausführlicher erklärt, wofür das Zeug alles ist und die Weasleys neben uns grinsen immer breiter. Ich hätte die in diesem Moment… aber das darf man ja nicht mehr!"
 

Er seufzte schwer und Rodolphus machte ein mitfühlendes „mhm". Hermine hörte, wie Rodolphus seine Karten ablegte und seine Tasse umrührte.
 

„Und dann, also wie gesagt, Draco war eh schon ganz zappelig, drängt sich Weasley Senior grinsend an die Kasse, als er sieht, wie ich meine Börse raushole und… ich glaube, er hat ein Rezept oder sowas aus seinem Umhang gezogen. Als Draco sieht, dass Arthur in seine Tasche greift, fängt er an zu schreien, wirft sich zu Boden und legt sich die Arme über den Kopf." Lucius schnaubte bitter. „Was weiß ich, was der gedacht hat. Vielleicht, dass Weasley ihn verfluchen will." Lucius seufzte und auf einmal klang er nicht mehr empört, sondern ziemlich resigniert. „Bestimmt zehn Minuten hat es gedauert, bis ich ihn beruhigt hatte. Er hat ja gar nichts mehr um sich herum mitbekommen. Stand vollkommen neben sich. Irgendwann kam dann eben diese Apotheken-Hexe und hat ihm ein richtig starkes Beruhigungsmittel gegeben. Muss wohl gewusst haben welches! Tja… und dann…" Lucius sprach zunehmend gedehnter. „Als ich ihn endlich vom Boden hoch hatte – hat gezittert und war noch ganz wacklig - da patscht mir Arthur auf die Schulter, grinst hämisch und sagt: „Das haben Sie nun davon. Da hilft auch Ihr Gold nicht, oder?" Jemand schlug heftig mit der Hand auf den Tisch, vermutlich der verärgerte Lucius.
 

Sie biss sich auf die Lippen und hob ihr Buch noch ein wenig höher, um die Distanz, die sie und die Malfoys trennte, deutlicher zu machen. Gleichwohl dachte sie über das eben Gehörte nach. Wenn sie es auch nie vor den Männern hier zugeben würde, in diesem Moment ärgerte auch sie sich über Arthur Weasley.
 

Es war ja nicht so, dass sie Arthur nicht verstand. Sie konnte sich die Situation und die Gefühle zwischen Triumph und Schmerz nur allzu gut vorstellen, die Arthur und die Zwillinge in diesem Moment empfunden haben mochten. Da stand jemand, der in den Tod zweier ihrer Kinder verwickelt war. Der ihr Zuhause zerstört hatte. Der dafür gesorgt hatte, dass der Familie jeder finanzielle Rückhalt fehlte und sie in Armut und Elend getrieben hatte.
 

… nachdem die Malfoys zuvor jahrelang keine Gelegenheit ausgelassen hatten, um die Familie Weasley zu demütigen und tyrannisieren.
 

Und da kam Arthur Weasley nun dazu, wie dieser Mörder mit seinem Sohn, den er ebenfalls zum Mörder gemacht hatte, mehrere Einkaufstüten voll Psycho-Medikamenten einkaufen musste…
 

Und Arthur sah, dass alle Gerüchte stimmten und der junge Mörder durch den „Verein" seines Vaters wirklich zu einem Wrack geworden war. „So, wird nichts draus aus deinen Träumen, Lucius!", musste Arthur gedacht haben. „Wir sind nicht die einzigen, die Hoffnungen für unsere Kinder hatten, die nun zerstört sind. Aber im Gegensatz zu dir, Lucius, waren wir nicht daran schuld!"
 

Das hatte er nun davon, der Lucius Malfoy. Das hatte er davon, dass er ein reinblütiger, stolzer, einflussreicher Todesser gewesen war. Einen verrückten Sohn hatte er als Lohn bekommen. So… zufrieden? Da helfen weder Gold, noch ein Palast oder eine politische Karriere.
 

„Sie denken alle so, alle", knurrte Lucius ärgerlich zu Rodolphus, während er achtlos Spielkarten mischte. Wieder. Wieder und wieder ratterten die Karten von einer Hand in die andere, ohne dabei eines einziges Blickes gewürdigt zu werden. „Auch dieser Psychoheiler im Krankenhaus. Der hat mir ganz schamlos ins Gesicht gesagt dass er denkt, dass ich Draco zu den Todessern gezwungen und in den Selbstmord getrieben hätte." Die Karten wurden wütend auf den Tisch geknallt, da Lucius eine freie Hand brauchte, um damit auf seine Augen zu deuten. „Er hat mir eiskalt in die Augen gesehen und genau das gesagt." Er schnaubte, nickte, als Rodolphus ein ähnliches Geräusch von sich gab und begann die Karten erneut zu mischen. „Auch im Ministerium. Oh nein, die sagen es mir nicht ins Gesicht. Aber ich höre sie tuscheln…"
 

Er verstummte, als er seinen Sohn entdeckte, der gemächlich in den Raum spazierte. Zu Hermines Erleichterung wirkte er nicht so, als ob er auch nur ansatzweise etwas von der Unterhaltung über ihn mitbekommen hätte. Hoffentlich.
 

Hermine schüttelte den Kopf und erwog, ob sie den beiden Männern nachher erklären sollte, wie verzweifelt Arthur war und dass sie diese Sprüche nicht ernst nehmen sollten. Aber nein, warum sollte sie mit ihnen, vor allem Lucius reden? Besser nicht. Obwohl sie sehr, sehr gut verstanden hatte, dass Arthurs Kommentar Lucius wie ein vergifteter Pfeil treffsicher dort erreicht hatte, wo man ihm wirklich wehtun konnte und wo er eigentlich auch keine Verletzung verdient hatte. Aus eben diesem Grund, eben weil er Draco wirklich mochte und es ihn garantiert sehr quälte, sein einziges Kind in diesem Zustand zu erleben.
 

Xxx
 

Hermine tauchte ihre Feder in das kleine Tintenfass vor sich, legte ihren Arm auf die Pergamentrolle vor ihr, um sie zu fixieren und schrieb: „Die Grundhaltung der Zaubererwelt ist antiquiert und rassistisch. Tradierte Bräuche werden weder hinterfragt, noch auch nur geringfügig abgeändert."
 

Wieder tauchte sie die Feder in Tinte und las sich den letzten Abschnitt noch einmal durch. Diese Zeile war okay, die darüber klang schon wieder zu beleidigt. Mit einer leichten Zauberstabdrehung verschwand der überstehende Absatz und die eben geschriebenen Zeilen rutschten nach oben.
 

Sie musste aufpassen, was sie schrieb. Vieles klang zu emotional und angesichts der immer noch recht angespannten Muggelgeborenen-Reinblüterbeziehungen im Land sollte sie den Unmut der Öffentlichkeit nicht zu deutlich provozieren. Sie wollte ja aufrütteln und schockieren, aber man sollte ihrem Werk auch nicht anmerken, wie wütend und frustriert sie darüber war, dass sie jetzt, Anfang September, immer noch keine Stelle gefunden hatte. Seit über sechs Wochen suchte sie und bisher war sie nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen worden.
 

Laut Lucius, der nie müde wurde, ihr das während des Essens unter die Nase zu reiben, waren im letzten Jahr alle Chefetagenplätze mit aufrichtigen Reinblütern besetzt worden. Das hatte wenig Wechsel bedeutet, denn Chefpositionen waren auch vorher fast ausschließlich den Reinblütern vorbehalten gewesen.
 

Ob sie denn glauben würde, dass irgendeiner dieser intelligenten, ehrlichen Menschen auch nur im Traum daran denken würde, jemanden wie sie, eine schlammblütige Besserwisserin, bei sich aufzunehmen?
 

Narzissa wandte dann regelmäßig ein, dass Lucius doch genau das getan hatte, woraufhin Lucius die Schuld an Draco weitergab, der die Familie in diese missliche Lage gebracht hatte.
 

Es dauerte dann im Schnitt zehn Minuten, bis Draco soweit beruhigt war, dass Lucius weiterprovozieren konnte. Hermine einzustellen wäre so irrsinnig, wie den eigenen Irrwicht zum Nachmittagstee einzuladen.
 

Seitdem sammelte Hermine gezielt Material gegen die Malfoys. Wenn Draco in der Klinik war (was bedeutete, dass auch Lucius außer Haus war und Rodolphus sich ebenfalls mit unbekanntem Ziel verabschiedete), brach Hermine zu Erkundungszügen durchs das Manor auf.
 

Angeregt durch die zwar abgrundtief bösartige, doch immerhin kreative Rita Kimmkorn, hatte sie sich ebenfalls eine Flotte-Schreibfeder zugelegt. Solchermaßen ausgerüstet, wandelte Hermine von Gang zu Gang und von Stockwerk zu Stockwerk und beschrieb genau, wie ängstlich die Hauselfen waren, wenn sie von Hermine bei der Arbeit erwischt wurden.
 

Dabei wollte Hermine ihnen doch nichts Böses. Im Gegenteil. Jeden Nachmittag ging sie hinunter in die Küche - sicherlich hatte kein Malfoy auch nur eine Ahnung, wo sich diese befand – und unterhielt sich mit den stets aufgewühlten, verunsicherten Geschöpfen.
 

Im Moment schienen sie Hermines Besuche noch belastend zu finden, das würde sich aber sicher mit der Zeit legen.
 

Dann und wann schaffte es Hermine sogar, die dienstbaren Geister zu Interviews herzulocken. Ein klein wenig unfair war es, dass sie ihren Interviewpartnern nicht mitteilte, wofür sie gerade benutzt wurden, doch Hermine entschuldigte sich. Es war schließlich für den guten Zweck.
 

Im Moment war sie aber nicht im Manor. Wie jeden Tag, jeden ermüdend, deprimierend gleichförmigen Tag, war sie zuerst in die größte, magische Bibliothek Britanniens in Cambridge appariert und studierte die Bücher, die sie als Muggelgeborene lesen durfte.
 

So albern es auch war, Madam Pince hatte Recht gehabt. Immer noch war es Hermine verboten, wirklich anspruchsvolles Material zu lesen. Mehr noch, die Bücher, die man ihr gab, sollte sie in einem abgesonderten Raum studieren. Ebenso, wie sie jetzt im Moment ebenfalls abgesondert wurde, da das Café, in dem sie sich gerade befand, in getrennte Bereiche unterteilt war. Man sagte ihr, es sei so gewünscht.
 

Hermine selbst, obgleich sie selten in öffentlichen Cafés war, spürte, wie verändert, ja regelrecht vergiftet, die Atmosphäre dort war, wo die beiden „Blutzonen" aneinandergrenzten.
 

Spontan dachte Hermine, dass Soldaten an der Front nicht wachsamer und kampfbereiter hätten sein können, als die ältere Hexe, die auf der Reinblüterseite saß und ein jüngerer Zauberer, der auf der „Muggelseite" Platz genommen hatte.
 

Sie belauerten sich gegenseitig, rührten ihren Tee nur, wenn der andere es auch tat und zuckten bei jeder unvermuteten Bewegung des Gegenübers so heftig zusammen, als habe der soeben einen Fluch auf den jeweils anderen abgefeuert.
 

Hermine war bei einem ihrer ersten Besuche so dumm gewesen zu fragen, wo denn die Halbblüter saßen. „Bei den Reinblütern natürlich", hatte die Bedienung geantwortet und Hermine allein durch ihre abweisenden Augen und ihre Stimme zu verstehen gegeben, dass sie, die Bedienung, wohl auf einer anderen Seite als Hermine Tee trinken würde.
 

Hermine schüttelte sich bei dem Gedanken an diese Unterhaltung. Unangenehm. Fast so unangenehm wie die Tatsache, dass sie nun ein dickes „M" in ihrem Ausweis anbringen musste. Auch nach dem Krieg. Es spiele ja keine Rolle mehr, hatte man ihr gesagt, aber die Leute würden einfach gerne wissen, wen sie vor sich hatten.
 

Hermine konnte sich schon denken, wer diese Leute waren. Leute wie die Malfoys, ganz sicher. Sollte sie sich nicht irren, waren diese und ähnlich diskriminierende Ideen auf Lucius' persönlichem Mist gewachsen. Inoffizieller Mitarbeiter hin oder her, er verstand es auch so prächtig, die Menschen im Land vorne herum anzulächeln und Hermine hinten herum eins nach dem anderen herein zu würgen.
 

Deswegen schrieb sie das Buch ja auch in der Bibliothek oder in diesem Café. Hermine hielt es nicht für abwegig, dass Lucius Stubenfliegen und die Porträts an den Wänden dazu abgerichtet hatte, alles zu kontrollieren, was die Bewohner des Manors taten. Angeblich ja, um Draco im Auge zu haben… von wegen. Dieses Misstrauen galt alleine ihr.
 

Nicht Draco, niemals. Dem durfte man ja nie böse sein. Bei dem Gedanken daran hätte Hermine am liebsten vor Unmut in ihren Löffel gebissen.
 

Draco durfte nämlich alles. Er konnte sich benehmen wie die Axt im Wald, der primitivste Neandertaler in der Felsenhöhle, ganz egal. Draco durfte das. Auf ihn musste man ja Rücksicht nehmen. Immer und überall wurde Rücksicht auf ihn genommen, damit sich der arme Junge nicht aufregen musste. Tat er es doch, waren immer die anderen an dem Schuld, was er schon wieder angestellt hatte. Insgeheim, war Hermine aber doch ärgerlich. Am liebsten hätte sie den Heiler Sayer angeschrien und geschüttelt, weil der Draco Unmengen an Medikamenten verschrieben hatte und Draco trotzdem immer noch nicht normal war.
 

Nein, so sollte sie nicht denken. Hermine war doch nun wirklich viel zu reif und intelligent, um ihre Zeit mit kindischer Eifersucht zu vergeuden. Sicher, aber was half es, das zu wissen, solange sie sich so elend fühlte und niemand danach fragte?
 

Die Reinbluthexe spähte an ihrem nächsten Feind vorbei und erblickte Hermine. Hermine verengte die Augen und funkelte drohend zurück. Sie gewann den Starr-Wettbewerb und fühlte sich zumindest ein klein wenig besser, als die ältere Frau sich über ihre Zeitung beugte und weiterlas.
 

Aber warum ärgerte sie sich überhaupt über die schiefen Blicke dieser Schachtel? Immerhin hatte die bemerkt, dass es sie gab. Im Vergleich zum Rest der Welt der glatt vergessen hatte, dass der Mensch „Hermine" existierte.
 

Xxx
 

Es war nicht so, dass Draco mitmachte. Ganz und gar nicht. Keiner dieser Idioten hier sollte sich einreden, dass er auch nur einen Zentimeter von seiner Ablehnung abgewichen wäre.
 

Aber die Kopfschmerzen waren unerträglich.
 

Morgens ging es los, wurde über Mittag stärker und war gegen Abend so unaushaltbar, dass er sich bereits nach dem Abendessen – wo er schwitzend und zitternd am Tisch saß und vor Übelkeit keinen Bissen hinunterbrachte - ins Bett ging.
 

Hermine zog sich in der Zeit zurück und… er wusste nicht, was sie machte. Er war zu sehr von diesen auslaugenden Schmerzen abgelenkt. Sie schlich wohl im Manor herum und spionierte oder suchte nach immer neuen Gründen, warum sie seine Familie hassen konnte. Sie sammelte Material für ihr Buch, das sie, laut eigener Aussage, demnächst veröffentlichen wollte.
 

Ihm war das egal. Er wusste ja, dass sie am späten Abend zu ihm kommen würde. Das tat sie immer, weil sie nachts, wenn er aus seinen Albträumen aufwachte, neben ihm lag. Außerdem, wer würde schon das Buch eines Schlammblutes verlegen? Nein, wirklich beunruhigend waren nur seine Schmerzen.
 

Die Kopfschmerzen kamen mit den Bildern. Das hatte er schon begriffen.
 

Immer wenn er ins Grübeln geriet, oder wenn die Erinnerungen sich ungewollt aufdrängten, wurden die Kopfschmerzen stärker. Er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, doch die Kopfschmerzen ließen sich nicht ignorieren.
 

In den letzten Wochen hatten sich die Bilder immer öfter aufgedrängt. Überall konnten sie ihm unvorhersehbar auflauern, denn so empfand er es. Die Bilder waren etwas Feindliches, das ihn hinterrücks überfiel und ihn dazu brachte, Schwäche zu zeigen. Etwas, was er doch eigentlich um jeden Preis vermeiden wollte.
 

Die Bilder kamen vor allem dann, wenn Draco über seine Todesseraktivitäten nachdachte. Er wollte es nicht tun, warum auch? Er hatte getan, was ihm befohlen worden war und hatte tapfer gekämpft. Dennoch kehrten seine Gedanken immer wieder zu einzelnen Erlebnissen zurück, wenn ihn irgendetwas aus seiner Umgebung daran erinnerte. Er wollte es vermeiden, wirklich… doch er vermochte einfach nicht, seine Gedanken davon abzubringen. Mehr noch, je emsiger er sich bemühte, nicht an die Todesserzeit zu denken, desto mehr beherrschten ihn die Erinnerungen.
 

Die Bilder lauerten überall. Morgens in der Dusche, wenn aus dem Duschkopf Blut statt Wasser herausspritzte. In seiner Teetasse, in der des öfteren Blut statt des erwarteten Getränkes war. An den Wänden, an denen dunkle, stinkende Überreste getrockneten Blutes und Gehirnes klebte und immer an seinen Händen, von denen sich das Blut einfach nicht abwaschen lassen wollte. Blut schien überhaupt allgegenwärtig.
 

Es tropfte manchmal von den Wänden, von der Decke und immer wieder begegneten ihm Personen, die Wunden und Verletzungen aufwiesen, die eigentlich mit dem Leben nicht mehr vereinbar waren. Der Anblick war gruselig und sorgte bei Draco für Übelkeit. Gleichzeitig mit den Bildern kamen auch die Kopfschmerzen. Überwältigende, übermächtige Kopfschmerzen.
 

Mit der Zeit fürchtete er sich vor den Bildern. Nicht nur wegen der Kopfschmerzen, sondern auch, weil er dabei so schwach war. Er schaffte es mittlerweile recht gut, das Blut aus dem Duschkopf und den Wasserhähnen zu ignorieren… und Hermine tat so, als wundere sie sich nicht, wenn er den Wasserhahn immer erst mindestens fünf Minuten laufen ließ, bevor er das Wasser nutzte.
 

Blut, Körperteile oder Waffen, die er auf seinem Teller oder irgendwo zufällig im Raum sah, versuchte er ebenfalls zu ignorieren. Vielleicht verriet er sich manchmal dabei doch, denn Sam war mittlerweile so gut in seiner Beobachtung, dass er Draco, immer, wenn der nervös in seine Tasse schielte, sein Getränk abnahm und ihm eine neue Tasse brachte.
 

Schlimm genug, schlimm genug. Doch nicht so gruselig wie die Menschen, die Draco manchmal verfolgten oder einfach… da waren. Neulich wollte er in der Klinik vom Wohnzimmer in den Aufenthaltsraum gehen, wo das Tisch-Quidditch stand… und dann lag auf einmal Karkaroff vor ihm, blutete und wimmerte. Draco wusste, dass das eigentlich unmöglich war und dennoch konnte er nicht mehr weitergehen. Er presste sich zitternd gegen die Wand und versuchte, den Händen auszuweichen, die nach ihm griffen. Er musste ziemlich jämmerlich ausgesehen haben, denn sein Wärter hatte sich dazu veranlasst gefühlt, Draco den Arm um die Schultern zu legen und ihn in die Küche zu schieben, wo er ihn mit Tee und Plätzchen fütterte und ihm solange von der neuesten Klitterer-Enthüllung erzählte, bis Draco keinen Karkaroff mehr im Flur flehen hörte.
 

Am allerschlimmsten waren die Flashbacks, die ganze Episoden mit sich zogen. Wenn er wieder dort war, alles wieder sehen musste und doch dieses Mal keinen Triumph mehr dabei fühlen konnte, sondern von den Bildern einfach nur angewidert war. Manchmal zumindest. Manchmal war er so von allem gefangen, dass er wieder ganz dabei war. Vor ein paar Tagen hatte er sich unvermittelt in einer Schlacht gefunden, war bedroht, angegriffen worden und hatte sich wehren müssen. Und das tat er auch… so lange, bis er sich unversehens in Lucius' Arm wiederfand, der ihn von einer nach Luft ringenden, röchelnden Hermine weggezerrt hatte… Draco hatte gerade versucht, sie zu erwürgen.
 

An diesem Abend waren die Kopfschmerzen besonders schlimm.
 

Aber seit er die Bilder wieder sah, war er die Kopfschmerzen nie wirklich los. Es war zermürbend und schlug ihm aufs Gemüt. All das reizte ihn bis aufs Blut. Die dauerhaften Kopfschmerzen, die Bilder, die ihm überallhin folgten, sein Benehmen während der Flashbacks und schon wieder die Kopfschmerzen sorgten dafür, dass Draco noch leichter reizbar war als ohnehin schon.
 

Zumindest die meiste Zeit… Wenn er wegen der Bilder nicht so schwach war, dass er die Fürsorge der anderen dankbar annahm.
 

Um dieser Bloßstellung aus dem Weg zu gehen, versuchte er alles, was irgendwie mit den Todessern zu tun hatte, zu meiden. Gespräche, Zeitungsberichte, Bücher, in denen Gewalt beschrieben wurde oder auch nur gewisse Geräusche.
 

Sam versteckte in der Tagesgruppe alle Zeitungen vor ihm, Flint und Pucey, die das wohl genauso nervös machte wie ihn. Draco fühlte sich von Sam ertappt. Sein Wärter war immer hilfreich zur Stelle, wenn er wegen irgendetwas nervös zu zittern begann und achtete darauf, dass es um Draco herum nicht zu laut wurde.
 

Draco hatte sich deswegen angewöhnt, Sam nicht als seinen Wärter, sondern als seinen Diener zu sehen. Das barg durchaus eine gewisse Aufwertung, denn im Gegensatz zu einem Gefängnisaufseher war ein Diener da um zu helfen und um seine Wünsche zu erfüllen. Sam spurte zwar nicht unbedingt nach Dracos Vorstellungen, aber hilfreich war er dennoch.
 

Er stellte keine Fragen, wenn Draco sich komisch benahm, brachte ihm regelmäßig kalte Kompressen gegen die Kopfschmerzen und nahm ihn mit sich in die Küche, wo sie gemeinsam Musik hörten, wenn er merkte, dass Draco Ruhe vor den anderen brauchte. Böse Menschen könnten sagen, dass Sam Draco bemutterte, aber so wollte Draco das nicht sehen, es war viel würdevoller, das Ganze als bedienen zu bezeichnen.
 

Zuhause hatte Lucius, zumindest nach dem, was Draco sah, jeden Zentimeter roter Farbe entfernt. Auf Hermines Anraten hin - Draco hatte mitbekommen, wie sie einen Zettel geschrieben hatte - gab es auch keine Speisen mehr, in denen auch nur ansatzweise etwas Rotes zu sehen war. Gespräche über Politik - speziell die eigene jüngste Vergangenheit betreffend - wurden in Dracos Gegenwart ebenso gemieden, wie das gesamte Schulthema.
 

Draco wusste, dass all das geschah, um auf ihn Rücksicht zu nehmen und er hasste alle aufrichtig dafür. Er war nicht schwach, er war nicht krank. Er hatte nur… ein Kopfschmerzproblem.
 

xxx
 

„Ich habe Kopfschmerzen!"
 

„Hmm!"
 

„Echt schlimme Kopfschmerzen. Den ganzen Tag!"
 

„Mhm!" Der Heiler nickte um zu zeigen, dass er Draco verstanden hatte und setzte sein übliches, nervtötend mitfühlendes Gesicht auf.
 

Draco verengte die Augen und funkelte den Heiler übellaunig an. „Ich will, dass das aufhört!"
 

Der Heiler schürzte die Lippen und nickte zustimmend. „Dann sollten Sie eine Kopfschmerztablette nehmen!"
 

Draco hätte ihm für diese Bemerkung sehr gerne etwas Schweres entgegen geschmissen, aber da die Kopfschmerzen heute wieder recht übel tobten und er zu müde war, um eines der Bücher aus dem Schrank zu holen, würde er sich wohl doch zuerst nur mit Worten wehren. „Die bringen nichts. Sie sollen mich untersuchen und mir andere verschreiben!"
 

„Wenn ich mich nicht irre, waren Sie allein diese Woche mit Sam schon drei Mal unten bei meinen Kollegen, um sich untersuchen zu lassen…"
 

„Ja, aber die finden nichts", schnarrte Draco verärgert, weil er das Gefühl hatte, dass der Heiler sich vor seiner Arbeit drücken wollte und weil Sam ein Verräter war.
 

„Und Sie denken, ich finde mehr? Also ich glaube, ich erinnere mich", der Heiler kratzte sich in gespielter Nachdenklichkeit hinter seinem Ohr und wackelte mit dem Kopf, „dass Sie mir des Öfteren gesagt haben, dass ich Ihrer Meinung nach kein richtiger Heiler und außerdem unfähig und ahnungslos bin. Warum sollte ich dann etwas finden, wenn meine, Ihrer Einschätzung nach, viel kompetenteren Kollegen, nichts finden?"
 

Dracos Augen wurden noch enger und seine Mundwinkel zogen sich nach unten. Nicht nur aus Zorn, auch wegen der Migräne. Er schloss die Augen und atmete tief durch, als ein besonders hässliches Geräusch ihm schmerzhaft wie ein Messer ins Gehirn schnitt. Ein Kind schrie. Dracos Atmung wurde flach. Das Kind schrie wieder und Draco wusste nicht, woher er das Geräusch kannte, doch es war ihm vertraut und er fürchtete es so sehr, dass er sich mittlerweile auch dann schlecht fühlte, wenn er keine Kopfschmerzen hatte. Einfach nur, weil er Angst davor hatte, dass es wieder anfangen könnte.
 

„Draco!"
 

„Was?" Der Heiler hatte ihm mit den Fingern vor dem Gesicht geschnippt. Etwas verwirrt wurde er sich bewusst, dass er eben schon wieder für einen Moment weggetreten gewesen war und dass der Heiler immer noch auf eine Antwort wartete.
 

Der ältere Mann setzte seine Brille ab und lehnte sich in seinem Stuhl zurück, um seine angelaufenen Gläser hingebungsvoll mit seinem Umhang auf Hochglanz zu polieren.
 

Draco bereute, dass er überhaupt davon angefangen hatte. Normalerweise verliefen die Treffen mit dem Heiler anders. Normalerweise spielten sie nur oder gingen aus für Draco nicht ganz nachvollziehbaren Gründen gemeinsam angeln. Der Krankenhauspark… genauer gesagt, diese künstlich erschaffene Landschaft, die sich quadratkilometerweit hinter einer Tür auf der Station verbarg, beherbergte nicht nur einen Park, sondern auch einen Wald, inklusive See.
 

Draco war einige Male dort gewesen, angeln durfte er aber nur, wenn der Heiler oder Sam dabei waren, weil Draco so viele verschiedene Verwendungszwecke für die Angelschnur kannte.
 

„Draco!", und schon wieder schnippten ihm Finger vor dem Gesicht.
 

Draco nickte lahm. Bisher hatte ihn noch niemand in der Klinik direkt auf seine Aussetzer angesprochen. Aber natürlich hatten sie es gemerkt und offensichtlich merkten sie auch, wenn Draco in Gedanken von ihnen weg glitt. Aber hier ging es nur um Kopfschmerzen. Draco hatte alles versucht und weil es nichts gebracht hatte, hatte er sich heute dazu durchgerungen, ihr Schachspiel durch ein Gespräch über Kopfschmerzen zu unterbrechen.
 

„Sie sollen irgendwas machen, damit das aufhört. Ich habe seit Wochen Kopfschmerzen. Von morgens bis abends und das… das…" Was sollte er sagen? Wie viel konnte er von sich offenbaren ohne verletzbar zu werden? „Das macht mich aggressiv!" Der Heiler machte ein gleichmütiges Gesicht und schien zu denken, dass Draco doch immer aggressiv war. „Ja also, ich habe oft Streit mit meiner Freundin, weil mir die Kopfschmerzen so zu schaffen machen und… also machen Sie was dagegen!" Draco verschwieg, dass er in diesen Streitereien handgreiflich oder zumindest verbal sehr verletzend wurde und sich ernsthaft Sorgen machte, dass sich Hermine das nicht mehr lange gefallen lassen würde, bevor sie Schluss machte.
 

„Hmm!" Der Heiler zog die Augenbrauen hoch, setzte seine Brille wieder auf und durchleuchtete Draco mit einem sehr unangenehm forschenden Blick. Er dachte über ihn nach. Schlimmer noch, er dachte auch darüber nach, was er zu Draco sagen sollte.

Draco verkrampfte sich innerlich. Er hatte zuviel von sich offenbart. Es war ein Fehler, dass er hier war. „… erzählen Sie mir mal etwas über ihre Kopfschmerzen!"
 

„Sie tun weh!"
 

Der Heiler gluckste und wackelte schon wieder mit dem Kopf. „Ja, das habe ich mir schon gedacht. Nein… Wie oft haben Sie sie. Dauerhaft oder zu bestimmten Gelegenheiten? Sind sie manchmal schlimmer und manchmal weniger schlimm, gibt es Situationen, in denen sie…!"
 

Draco fühlte sich ertappt. Natürlich hatte der Heiler mitbekommen, dass Draco seine schlechten Momente hatte, in denen er… anders war als sonst und… Draco wurde wütend. Das war ein Verhör. Dieser verlogene Kerl wollte über seine Kopfschmerzen an Dracos Aussetzer herankommen. „Hören Sie mal, das geht Sie überhaupt nichts an. Sie sollen mir gefälligst ein anderes Medikament aufschreiben und mich dann in Ruhe lassen!"
 

„Noch mehr Medikamente?", fragt der Heiler träge. „Sie bekommen bereits zehn verschiedene Präparate. Vielleicht sollten Sie morgens einfach mehr essen, wenn Ihnen Ihr Frühstück nicht reicht!"
 

Draco sprang auf, im ersten Impuls wollte er schon nach etwas greifen, um den Heiler zu schlagen, doch ihm war immer noch übel und der leichte Schwindel, der mit dem schnellen Aufstehen einherging, unterband eine sofortige Rache. Er kippte ungelenk nach vorne und musste sich mit beiden Händen auf dem Schachtisch abstützten. „Sie sollen Ihre Arbeit tun und mich dann in Ruhe lassen!", presste er mühsam hervor.
 

„Draco, gut, entschuldigen Sie den lahmen Scherz. Aber Sie waren bei drei verschiedenen Heilern, die allesamt nichts gefunden haben. Sie bekommen ja schon regelmäßig Medikamente und wenn sie jetzt immer noch Probleme haben, dann liegt der Verdacht nahe, dass die dort zu finden sind, wo meine Kollegen nicht gesucht haben."
 

Draco knurrte unwillig, stieß sich vom Tisch ab und schaffte es, aufrecht vor seinem Verhörmeister zu stehen. „Vergessen Sie's!", schnarrte er. „Ich weiß, was Sie vorhaben, aber das können Sie vergessen. Ich bin nicht verrückt und ich hab kein Problem, ich hab nur Kopfschmerzen!" Und dann übermannte es ihn doch. Als der Heiler gleichmütig die Schultern hochzog und seine Forderung lapidar mit „Wenn Sie mit mir nicht darüber reden wollen, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen!", abtat, platzte Draco endgültig der Kragen.
 

Er wischte das Schachbrett vom Tisch, stampfte mit den Füßen auf den Figuren herum und rauschte danach ärgerlich aus dem Zimmer. Dazu würden sie ihn nicht kriegen. Er hatte kein Problem… nur Kopfschmerzen… und alles andere hing damit zusammen. Er würde sich eben einfach etwas zusammenreißen müssen, wenn er Streit mit Hermine hatte und überhaupt… wenn er sich nur mehr zusammenriss und immer alles logisch durchdachte, dann würde er auch keine Kinder mehr schreien hören.
 

Xxx
 

Hermine fühlte sich ein klein wenig unbehaglich bei dem, was sie tat, aber Draco ging ihr auf die Nerven. Wie er schon ging… Hände im Jackett, Schultern hochgezogen und den Kopf nach unten hängend, drängte er sich dicht an die Ladenmauern der Winkelgasse. Er schrak vor jedem Menschen zurück, der ihm näher als zwei Meter kam und machte ein panisches Gesicht, wenn ihn jemand aus Versehen streifte. Er wich entsetzt zurück, wenn sich neben ihm eine Ladentür öffnete und insgesamt sah er entweder so aus, als ob er sich übergeben würde, oder als ob er ganz dringend aufs Klo müsste.
 

Hermine hatte schon mitbekommen, dass er sich unter Menschen immer unbehaglicher fühlte und sie wusste auch warum. Oh ja, der Heiler hatte ihm zwar geraten, keine Zeitung mehr zu lesen, aber er tat es wohl heimlich doch und da konnte er dann täglich sehen, wie sehr dieses Land seinesgleichen doch hasste und wie sehr sie unter ihm gelitten hatten. Hermine wusste schon, warum er den Kopf hängen ließ. Er wollte nicht, dass ihm jemand ins Gesicht sah, weil er fürchtete, dass ihn jemand als Todesser erkennen würde.
 

Hermine schnaubte genervt, packte ihn am Ärmel und zog ihn weiter, als er schon wieder versuchte, sich hinter einer Litfasssäule vor möglichen Beobachtern zu verstecken. „Du kommst jetzt mit", zischte sie drohend.
 

Draco machte ein unwilliges Gesicht, aber er gehorchte. Selber Schuld. Er hätte doch auch mit Lucius und Rodolphus in die Gringottsbank gehen können. Das hatte er aber auch wieder nicht gewollt und war stattdessen ihr hinterher geschlichen. Da wollte sie einmal ihre Freunde treffen, Freunde, die sie nur wegen ihm so lange nicht mehr richtig gesprochen hatte, und dann hatte sie ihn schon wieder am Hals.
 

Hermine war sauer. Richtig sauer. Sie hatte Lucius doch gestern eine Eule geschickt, dass sie heute in die Winkelgasse gehen musste, um diverse Dinge zu erledigen. War es wirklich zu viel verlangt, ihrem Brief zu entnehmen, dass er jetzt eben auch mal an einem Samstag auf seinen Sohn aufpassen sollte? Nein, blond und blöd wie er war, hatte er sich stattdessen dazu angeregt gefühlt, ebenfalls anstehende Erledigungen auf den Samstag zu legen.
 

Hermine packte Draco am Arm und zerrte ihn mit sich. Sie konnte es einfach nicht verhindern, aber ihn so herumschleichen zu sehen, machte sie langsam aber sicher aggressiv.
 

„Wo willst du denn hin?"
 

„Einkaufen!"
 

„Wo denn?"
 

„Weasleys Zauberscherze!"
 

„Vergiss es!"
 

Hermine blieb stehen und sah Draco mit zusammengekniffenen Augen an. Nichts, was er merken würde, weil er sich schon wieder nervös zur Seite ziehen wollte, als er eine Gruppe geschäftig miteinander plaudernder Menschen auf sie zukommen sah.
 

Vorhin hatte er das auch schon gemacht, „nicht reingehen wollen". Hermine brauchte zur Recherche dringend mehr Bücher und wollte Draco zu Florish & Blotts hineinschicken, um diese zu kaufen. Als er den Laden voller Leute gesehen hatte, war er rückwärts wieder hinausgegangen und hatte sich strikt und stur geweigert, Hermine zu helfen.
 

Natürlich half er ihr nicht. Wieso auch? Sie war doch da, um ihm zu helfen. Seine persönliche Hauselfe, die immer alles für ihn machen musste und die sich nicht beschweren durfte, wenn er Ohrfeigen und Beleidigungen an sie verteilte.
 

Hermine schnaubte, zog Draco am Arm und zerrte ihn weiter dem Zauberscherzartikelladen entgegen. „Dann bleib halt draußen. Das sind meine Freunde und ich hab schon lange keine Zeit mehr gehabt, mit denen in Ruhe zu reden!" Hermine verkniff sich das „wegen dir" aber ihre Augen sagten es doch, als sie sich zu Draco umwandte.
 

Er presste die Lippen zusammen und wandte den Blick ab. Hermine ergriff seine Hand, um ihn besser packen zu können und ging weiter. Seine Hände waren feucht und sie spürte, dass er zitterte. Hier zu sein, unter all den Menschen, machte ihn furchtbar nervös. Das wusste sie ja, aber heute war ihr das egal.
 

Harry hatte ihr gestern Abend eine Eule geschickt, dass er, Ginny, Luna und Neville heute in der Winkelgasse sein würden. Sie würden sich im Zauberscherzladen treffen und dann ein bisschen herumlaufen. Ob Hermine nicht Lust hätte, zu kommen.
 

Natürlich hatte Hermine Lust und hatte sofort begeistert zugesagt. Sie hatte ihre Freunde schrecklich vermisst und dass Harry sie jetzt zu einem gemeinsamen Treffen einlud, bedeutete, dass ihre Freunde auch sie vermisst hatten und bereit waren, wieder mit ihr zusammen zu sein.
 

Sie würde sich das nicht kaputt machen lassen. Schon gar nicht von ihm. Ihren Schulabschluss, ihre Freunde, kein Job, selbst ihren Geburtstag hatte er ihr ruiniert, weil an dem Tag irgend etwas in der Klinik vorgefallen war, woraufhin man ihn so mit Beruhigungsmitteln vollgestopft hatte, dass er bis zum nächsten Morgen durchschlief und als er aufgewacht war, war ihm schlecht gewesen.
 

Aber das hier würde sie sich nicht von ihm ruinieren ,,, Draco hatte sie an diesem Morgen schon genug blamiert, als er auf eine ältere Frau losgegangen war, die ihn im Vorbeigehen aus Versehen angerempelt hatte. Hermine hatte Blut und Wasser geschwitzt und sich furchtbar für den tobenden Draco geschämt, der behauptet hatte, die Frau wolle ihn angreifen. Am Ende hatte sie ihn lähmen müssen, um die fassungslose Frau anzubetteln, Draco nicht anzuzeigen. Es ging nicht anders, Hermine hatte sagen müssen, wieso Draco so schreckhaft war und wieso er sich so unangemessen gegen gar nichts gewehrt hatte. Die Frau hatte es wohl verstanden, gleichwohl war sie wütend und Hermine konnte das nur zu gut nachvollziehen.
 

Fünf Minuten in der Öffentlichkeit und gleich der erste Ärger mit ihm. Seitdem schlich er neben ihr her, als sei er ein Geheimspion, der unsichtbar bleiben musste.
 

Hermine konnte durch die Passanten vor ihnen hindurch die ersten Blicke auf den Weasley-Laden erhaschen. Bunt und belebt sah das aus. Schön und lustig. Wann war sie denn das letzte Mal hier gewesen? Wirklich an diesem Tag im August, als Greyback…? Wahrscheinlich. Die Außenfront hatte sich verändert. Bunte Ballons in Form von Köpfen bekannter Politiker schwebten an der Front entlang und erbrachen in Minutenabständen Unmengen von Konfetti. Es sah aus, als ob bunter Schnee auf die Winkelgasse hernieder rieseln würde.
 

Trugbilder von Süßigkeiten, die sich auflösten, sobald ein vorbeigehendes Kind danach greifen wollte, schwebten durch die Straßen. „Komm rein zu Weasleys Zauberscherzen", säuselte es dann jedesmal.
 

Das war alles wirklich schön und einladend und sicher wollte jeder, der vorbeikam tatsächlich hineingehen und sich umsehen. Jeder… außer Draco.
 

Der steckte die Hände in seine Jacketttasche und warf einen bangen Blick durch die Glasscheibe ins Ladeninnere. „Du, ich… Vater und Rod wollten uns doch treffen, wenn sie in der Bank fertig sind!"
 

„Sie wollten nicht uns treffen, sondern dich. Ja, dann geh doch!" Sie hob einen Arm und deutete die Straße hinunter. „Los, da unten werden sie irgendwo sein. Ich brauch dich nicht, um mit meinen Freunden zu reden!"
 

Dracos Kopf folgte ihrem Arm. Er seufzte, biss sich auf die Lippen und drehte sich wieder zu ihr um. Sie hatte schon verstanden. Draco fürchtete sich davor, alleine durch die Winkelgasse zu gehen aber er hatte auch überhaupt keine Lust, mit ihr zusammen einen „DA"-Laden zu betreten. Er stank ja schon jetzt nach Angst. Das war nicht nur so dahin gesagt! Hermine konnte wirklich Angstschweiß riechen. Sein Gesicht glänzte und wenn er nicht schwarz gekleidet gewesen wäre, hätte man sicher dunkle Ränder unter seinen Armen sehen können.
 

Draco seufzte, zog die Schultern hoch und ließ den Kopf hängen. Hermine hatte gar keine Worte dafür, wie sehr sie diese bange Unsicherheit, die er in letzter Zeit immer öfter zeigte, doch aufregte. „Er hat gesagt, dass wir uns nachher da", er deutete mit dem Daumen hinter sich, auf ein recht exklusiv wirkendes Zauberer-Ausstattungsgeschäft, „treffen, weil wir noch Sachen zum Anziehen brauchen!" Er murmelte so leise, dass er fast gar nicht zu verstehen war. Zaghaft hob er seinen Kopf, senkte ihn aber gleich wieder, als er Hermines zornige Augen sah. „Also wir sollten da drüben warten… weil… sonst sucht er mich und du kannst doch ein anderes Mal..."
 

Hermine konnte sich nur mühsam davon abhalten, Draco auf der offenen Straße zu erwürgen. Da schrie und schimpfte er seit Monaten auf seinen Vater und behandelte ihn wie den letzten Dreck, aber wenn Lucius nur einen Ton sagte, spurte Draco natürlich wieder sofort wie ein Hund.
 

Hermine ging einen weiteren Schritt auf ihn zu, hob ihren Zeigefinger und tippte ihm damit drohend auf die Brust. „So, jetzt hör mir mal gut zu", zischte sie, nun endgültig am Ende mit ihrer Geduld. „Ich sitze hier seit Juni mit dir im Haus deiner Eltern, die sich absolut scheiße mir gegenüber benehmen. Ich ertrage deine Launen, deine Ausraster und dein ständiges Händewaschen. Ich… ich…" Hermine holte tief Luft um genug Kraft und Atem für ihre weiteren Worte zu haben. „Du gehst mir auf die Nerven, weißt du das? Weißt du eigentlich, wie viel Zeit mich deine ständigen Anfälle kosten? Denkst du, dass das für mich einfach ist? Du bist schuld daran, dass meine Noten nicht gut genug waren und jetzt finde ich keinen Job deswegen. Ich mache und tue alles für dich und alles, was du tust, ist mir dafür eine reinzuhauen. Und…", sie plusterte sich auf, schnappte nach noch mehr Luft und keifte weiter: „Und überhaupt, weißt du, was für eine Überwindung es mich kostet, über alles andere was du gemacht hast, wegzusehen? Denkst du, das ist leicht, wenn ich jeden Tag in der Zeitung lese, was ihr für Leute seid? Ich schäme mich jedesmal vor mir selbst und noch viel mehr vor meinen Freunden. Weißt du, wie schlecht es mir wegen dir geht? Und wenn ich einmal was will, dann sagst du „nein" und rennst zurück zu deinem Vater!"
 

Draco verzog die Mundwinkel nach unten, er atmete heftig und seine Lippen bebten. Er war zornig, doch die Tatsache, dass er ihr nicht widersprach, zeigte, dass er genau wusste, wie sehr Hermine mit ihren Anklagen recht hatte. Natürlich hatte sie recht. Sie hatte durch ihn nur Pech, Nachteile und Ablehnung erhalten. Ihre Eltern, ihre Freunde, ihre Familie, ihr Schulabschluss, ganz zu schweigen von ihrer persönlichen Freiheit und schuld daran war ganz allein Draco.
 

„Hör mal, reicht es dir nicht? Hast du mein Leben nicht schon genug versaut?" Hermine schüttelte ablehnend den Kopf, trat einen Schritt von Draco weg und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich mache alles für dich und am Ende hab ich davon nur Pech. So, und ich gehe jetzt", sie deutete auf die Tür, die sich gerade mit einem unmelodischen Klingeln öffnete, als ein paar Kinder herauskamen, „da rein und da kannst du machen, was du willst. Du wirst mich nicht davon abhalten. Kuck nicht so… du ziehst ein Gesicht, da wird einem glatt schlecht…. Du… hey, ich rede mit dir! Sieh mich gefälligst an. Ist mir egal, ob du da rein willst oder nicht. Dein Problem. Jetzt musst du halt die Früchte ernten, die du gesät hast. Selbst schuld, wenn die dich da drinnen alle hassen. Mich hassen sie nicht. Sieh mich an… Heute ist es mir einfach ganz egal, was du willst, weil ich mein Leben für dich schon genug ruiniert habe. Ich lass mir von dir nicht auch noch meine Freunde stehlen. Ich gehe jetzt da rein und du wirst brav mitkommen und auf mich warten." Ihr Zeigefinger schnellte mahnend nach oben. „Oder ich mache Schluss. So!" Sie nickte zu sich selbst und verschränkte zutiefst zufrieden damit, ihm endlich einmal die Meinung gegeigt zu haben, die Arme vor der Brust.
 

Dracos Gesicht war bar jeder Emotion. Seine Hände waren immer noch in seinem Jackett. Er was käsig im Gesicht und stand ganz offensichtlich kurz vor einem Zusammenbruch. An jedem anderen Tag hätte sie ihn geschnappt und ihm einen Platz zum Ausruhen gesucht. Aber heute nicht… Heute war sie selbst wichtig. Nicht immer nur er.
 

Hermine schnaubte, stieß ihn zur Seite und stampfte mit festem Schritt in den Laden hinein…
 

Kaum eingetreten, verbesserte sich ihre Laune innerhalb von Sekunden. Es war, als würde der Eingang zu diesem Geschäft das Portal zu einer anderen Welt in sich bergen. Junge Leute, wo immer man hinsah. Ein paar ältere waren auch da, sahen aber fröhlich und freundlich aus. Kicherten wie Kinder und probierten all die albernen Erfindungen aus, denen Fred und George ein Leben ohne Geldsorgen verdankten.
 

Eine Frau lachte, als ihr ein Mann Luftküsse zuwarf, die ihr feucht ins Gesicht klatschten. Sie lachte immer noch, obwohl sie aussah, als ob sie ein Hund abgeschleckt hätte, als der Mann sie mit einem frei schwebenden Staubwedel sauberwischte.
 

Ein paar Schüler beschossen sich gegenseitig mit Scherzflüchen und Hermine lächelte, weil sie sich an Muggelkinder erinnert fühlte, die sich mit Spielzeugpistolen bedrohten. Mit einem lauten Puff brach bei jedem Angriff eine übel riechende, grüne Wolke aus dem Zauberstab hervor. Der stinkende Qualm nahm die Form des Dunklen Mals an, dass sein Maul öffnete, um etwas, das nach kleinen Schlangen aussah, zu erbrechen.
 

Hermines Herz wurde leicht, weil das alles hier so bunt und lustig war und dann…
 

„Hallo, Hermine!"
 

Sie hätte am liebsten selbst so übermütig aufgelacht wie die Kinder hinter ihr. Da standen Harry, Ginny, Luna und Neville und winkten ihr fröhlich zu. Und jetzt kicherte sie doch, sie konnte es nicht verhindern. Zuerst hielt sie sich noch die Hand vor den Mund, doch als Neville die Arme ausbreitete, um sie zu umarmen, hatte sie sowieso verloren. Sie knuddelte der Reihe nach Neville, dann Harry, Luna und… also bei Ginny, zögerte sie einen Moment, doch als die Freundin sie in ihre Arme zog und ihr ein leises „hab dich vermisst", zuflüsterte, war sie so froh, dass sie um ein Haar nicht nur gekichert, sondern auch noch geweint hätte.
 

Die Stimmung war gut, das Leben war leicht und die Sorgen waren klein.
 

Ginny und Luna hatten nun ihr letztes Jahr begonnen, nach empörend kurzen Ferien, wie sie Hermine mitteilten. Das „Muggelgeborenenhaus" wäre zwar nicht errichtet worden, dennoch hätten die Eltern der Muggelgeborenen insistiert, dass es bei der „Bluttrennung" der Schlafsäle fürs Erste blieb. Sie würden sonst um die Sicherheit ihrer Kinder fürchten.
 

Madam Pince ruhte sich nach wie vor auf alten Gesetzen aus und Lupin, McGonagall und die ebenfalls neu eingestellte Lyra Knightworth hätten alle Hände voll zu tun, um Anfeindungen der jeweiligen „Seiten" zu unterbinden.
 

Neville wedelte mit der Hand dazwischen, weil er damit prahlen wollte, dass er ebenfalls noch in Hogwarts war. Als Professor Sprouts „Lehrling" allerdings. Neville zeigte einen Angestelltenausweis der Schule vor, strahlte wie ein Honigkuchenpferd und strahlte sogar noch etwas mehr, als ihm Luna voll Stolz einen Kuss auf die Wange gab.
 

Hermine lächelte versonnen. Neville war früher so ein unbeholfener, schusseliger Junge gewesen und nun… nun ja… und Luna stand neben ihm und sah ihn an, als wäre er ein Gott.
 

Ginny drängte nun auch Harry zu sagen, was er jetzt machte. Harry wurde rot, druckste einen Moment herum und nuschelte dann seinen Schuhen entgegen, dass er letzte Woche einen Aurorenausbildungsplatz bekommen hätte.
 

Hermine biss die Zähne zusammen und zwang sich zu einem Lächeln. Davon hatte er ihr noch gar nicht erzählt… Harry hatte gesagt, dass er eigentlich ein halbes Jahr Ruhe brauchen würde nach allem, was er selbst erlebt hatte (und Hermine wollte gar nicht wissen, was er damit meinte). Und jetzt bot man ihm eine Top-Ausbildungsstelle an, einfach so?
 

„Aber ich dachte, es würde von den Noten her nicht reichen?", wunderte sie sich und konnte nicht verhindern, dass der Stich in ihrem Herzen, den sie bei diesen „Karrieren" verspürt hatte, sich in einer etwas zu hohen, zu schroffen Stimme nach außen stahl.
 

„Naja", druckste Harry unbehaglich herum, der aus Hermines Briefen ja wissen musste, wie sehr ihr das arbeitslose Leben im Manor zu schaffen machte. „Also sie meinten… bei dem, was ich alles geleistet hab… die Noten waren ja schon gut und, ähm… da haben sie eben die Einstellungskriterien bei mir… ähm… sie waren sehr entgegenkommend!" Er räusperte sich verlegen und kratzte ich am Hinterkopf, den Hermine jetzt sehr gerne mit etwas Großem, Schweren eingeschlagen hätte.
 

Aber nein… es war ja nicht Harrys Schuld und nach wie vor waren ihre Noten viel besser als seine. Leider interessierte das niemanden.
 

„Warum findest du eigentlich keine Arbeit? Du bist doch viel intelligenter als Harry. Ist es, weil du muggelgeboren bist?", fragte Luna so offen und unsensibel wie eh und je. Hermine nahm es ihr nicht übel, auch wenn ihr Blut bei dieser Frage zu kochen begann.
 

„Weiß nicht", antwortete sie ausweichend. „Sicher haben mich viele wegen meiner Herkunft abgelehnt. Das Gesetz, dass man seinen Blutstatus angeben soll, ist ja noch nicht geändert worden… Und die Leute… naja… es ist einerseits das schlechte Gewissen und andererseits die Angst, dass an den Todessersprüchen doch was dran war!" Hermine seufzte und verschwieg, dass sicher eine ganze Menge Bewerbungen allein wegen der Adresse, die sie in ihrem Lebenslauf angeben musste, augenblicklich im Müll landeten. Hermine war sich sicher, wenn die Leute sich ihre gegenwärtige Adresse und danach ihren Blutstatus ansahen, dann zogen sie daraus den Schluss, dass Hermine verlogen, inkonsequent oder Opportunistin war.
 

„Naja!" Hermine gab sich einen Ruck und zwang sich zu einem Lächeln. „Also ich habe nun Zeit für mein Buch. Das über die Elfenrechte und das geht gut. Ich recherchiere und schreibe tagsüber und ja… komme gut voran. Bin bald fertig, denke ich!"
 

„Hey, ihr!" Fred und George hatten sie ausfindig gemacht und kämpften sich gemeinsam mit ihren Freundinnen, Katie und Alicia, zu der Fünfergruppe durch. Es gab ein großes Hallo, weitere Umarmungen und scherzhaftes, gegenseitiges Aufziehen bis…
 

„Oh!" Katie spähte verwirrt an Hermine vorbei. „Was macht der denn hier?"
 

Hermines Kopf wirbelte herum. Draco stand in der Nähe des Einganges, so weit von den anderen Leuten weg wie nur möglich und begutachtete irgendwelche Spielsachen für kleine Kinder. Er musste sie aus den Augenwinkeln beobachtet haben, denn als ihn alle anstarrten, hob er auch kurz den Kopf, nickte ihnen mit verkrampftem, schmalen Mund zu und schob sich noch näher an das Spielzeug heran.
 

„Ähm, Hermine", Ginny räusperte sich verlegen, „was… wieso… hast du…?" Sie warf Harry einen unsicheren Blick zu, der daraufhin verschämt nuschelte: „Hab nicht daran gedacht, dass der dann auch dabei ist!"
 

Hermine schämte sich. Offensichtlich hatte sie die Sache nicht genau genug durchdacht. Sie war so froh darüber gewesen, ihre Freunde wieder zutreffen, dass sie gar nicht darüber nachgedacht hatte, was genau sie in der Zeit mit Draco machen würde. Am liebsten hätte sie ihn wie einen Hund vor dem Laden angebunden, da ihre Freunde offensichtlich ein imaginäres „Wir müssen draußen bleiben"- Schild für Todesser aufgehängt hatten.
 

„Hermine…" Katie legte den Kopf schief und starrte sie fassungslos an. „Der Kerl hat versucht mich umzubringen." Sie hob hilflos die Arme und drehte sich zu Fred, der daraufhin auch nur ratlos mit den Achseln zucken konnte. „Er hätte uns doch alle umgebracht, wenn man ihn gelassen hätte. Was macht der hier?"
 

Hermine seufzte und drehte sich von Draco weg, zu den anderen hin. Sicher, sie fühlte sich ein wenig unbehaglich dabei, ihn so offen zu ignorieren, aber… sie hatte doch wirklich genug für ihn getan. Sollte er da hinten eben weiter rumstehen, bis sie hier fertig war. „Ja, weißt du. Das ist mit ihm nicht so einfach, er ist ja…"
 

„Irre?", half ihr George. „Wir haben ihn in der Apotheke gesehen. Meine Fresse!"
 

Hermine verzog das Gesicht und nickte. „Naja, irgendwie schon, aber lasst nur. Wir können ja hier reden und…"
 

Fred fühlte sich durch den Anblick eines nervösen Malfoys in seinen eigenen, heiligen Hallen zu neuer Größe beflügelt. „Hey, Malfoy!", krakeelte er fröhlich durch den Raum. Draco hob seinen Kopf, im Moment hatte er sich zu den essbaren Dunklen Malen zurückgezogen. „Glückwunsch! Du musst doch echt froh sein, dass du endlich mal mit Harry gleichgezogen hast. Jetzt hast du auch mal eine Narbe, die du vorzeigen kannst!" Fred und George lachten und vollführten eine „Hals ab"-Geste.
 

Hermine wurde heiß. „Lass das!", zischte sie empört. Draco selbst kommentierte die mehr als geschmacklose Anspielung auf seine Hemdkragennarbe mit einem hoch erhobenen Mittelfinger. Er sagte nichts, sah auch nicht weiter zu ihnen hin. Stattdessen schob er sich weiter an ein paar Regalen entlang und tat so, als würde er die neugierigen Blicke nicht bemerken, die all die Besucher im Laden seinem Hals zuwarfen.
 

Hermine hörte die Leute tuscheln. Sie biss sich auf die Lippen und verschränkte die Arme vor der Brust. Das war extrem unsensibel gewesen, aber, wenn sie jetzt zu Draco ging, dann würde sie ihn schon wieder über ihr eigenes Wohlbefinden stellen. Sie quälte sich noch hin und her, was sie sagen sollte, als ihr Luna zur Hilfe kam. „Sowas solltest du wirklich nicht sagen, Fred. Das ist absolut nicht lustig und was soll Hermine denn jetzt machen?"
 

Freds Grinsen erstarb. Er tauschte zuerst einen nachdenklichen Blick mit George, dann mit Ginny. Hermine wusste schon, woran sie dachten. Das war nun mal einer der Mörder ihrer Brüder. Ihres Freundes… ein gefährlicher Killer und auf dessen Gefühle sollten sie jetzt Rücksicht nehmen? Ginny schluckte. „Ich… vielleicht… vielleicht sollten wir woanders hingehen, wo wir ihn nicht sehen!"
 

„Dann lasst Hermine doch wenigstens sagen, dass sie geht!" Harry kratzte sich nervös an der Nase und fühlte sich sichtlich unbehaglich. „Ich meine, sie, äh… du, Hermine… jetzt ist er halt hier und du… ähm… sag ihm doch, dass er woanders warten soll, während wir…!"
 

Hermine wurde rot. Es war ein riesengroßer Fehler gewesen, Draco mitzunehmen. Hatte sie denn überhaupt nicht daran gedacht, was ihre Freunde denken würden, wenn sie ihn sahen? Sie verzog den Mund und nickte langsam. „Ich… ja….", und dann siegte doch ihr Gewissen, das schon die ganze Zeit im Laden, zwar leise doch stetig, an ihr nagte. „Aber mach bitte keine Witze über seinen Hals, das… das… war echt schrecklich!"
 

„Weiß ich!" Harry nickte, atmete tief durch und wandte sich an die drei Weasleys. „War kein schöner Anblick. Ich verstehe ja, dass ihr das nicht so nachvollziehen könnt, aber… gehen wir einfach, und lassen das Thema sein!"
 

Jemand schrie.
 

Ein Mann, Kinder… eine Frau.
 

Hermines Puls raste, denn auch wenn sie an den augenblicklich zusammengelaufenen Schaulustigen nicht vorbei sehen konnte, wusste sie doch, was da los war. Eiseskälte stieg in ihr hoch und doch war ihr gleichzeitig so heiß, als müsse sie zerschmelzen.
 

Hermine vergaß ihre gute Erziehung und rempelte sich durch die Leute hindurch nach vorne. Ob ihre Freunde bei ihr waren, bemerkte sie gar nicht.
 

Es war so schlimm, wie erwartet. Nein, schlimmer…
 

Die Kinder, die sich vorhin gegenseitig mit den Scherzzauberstäben duelliert hatten, hatten offenbar einen Fluch auf Draco abgefeuert. Der war, dem umgestürzten Regal hinter ihm nach zu schließen, zuerst umgekippt und hatte dabei hunderte von zerbrechlichen Gegenständen zerstört. Noch schlimmer war, dass er danach wieder aufgestanden war und sich auf einen der Jungen geworfen hatte.
 

Das arme Kind lag rücklings am Boden und krümmte sich unter Dracos Fußtritten. Das andere Kind hatte bereits eine blutende Nase und versuchte vergeblich ihn aufzuhalten.
 

Aus dem Nichts erschien ein Mann, vermutlich der Vater der Jungen, zog seinen Zauberstab, um auf Draco zu zielen und… war leider doch zu langsam. Der schlanke, auf schnelles Agieren gedrillte Draco war dem übergewichtigen, behäbigen Kerl gnadenlos in Reaktionszeit überlegen. Noch ehe er den Fluch gesprochen hatte, hatte Draco ihn schon gepackt und ihm den Arm verdreht.
 

Die ersten Schrecksekunden waren vorbei und Bewegung kam in die Menge. Die Leute riefen etwas, das nach „Todesser" klang. Dracos Ärmel waren bei der Prügelei hochgerutscht. Einige stoben zur Seite, einige stürzten sich, wie nun auch Fred, George und Harry nach vorne und warfen sich auf Draco.
 

Der schrie. Stieß unartikulierte Laute aus, während die drei jungen Männer ihn an beiden Armen festhielten und seine Beine hochhoben. Eine Frau fiel vor dem am Boden liegenden Jungen auf die Knie und schlang schützend die Arme um ihn. Ginny und Luna zogen den kleineren Bruder beiseite und beruhigten das weinende Kind.
 

Und zwischen all dem Wirrwarr sah Hermine lange, weißblonde Haare in den Laden wehen. Die Leute, die Lucius bemerkten, wichen entweder hastig vor ihm aus oder blieben wie angewurzelt an ihrem Platz stehen und zuckten erst vollkommen perplex zusammen, als Lucius sie zur Seite stieß.
 

„Was ist denn hier los?" Er klang besorgt, kein bisschen träge und ölig. „Draco!"
 

Als Harry sah, wer direkt vor ihm stand, ließ er Dracos Beine los und trat zurück. Fred und George schraken zusammen, als sie sich Lucius gegenüber sahen und ließen von Draco ab.
 

Lucius musste um einiges stärker sein, als Hermine vermutet hatte. Das, oder er hatte mittlerweile schon genug Übung, um zu wissen, wie er Draco festhalten musste, damit der ihm nicht entkommen konnte. Draco schrie immer noch, aber jetzt schien ihn seine Kraft zu verlassen. Er knickte in den Beinen ein und fiel auf die Knie. Lucius ließ ihn für einen Moment los, um seinen Sturz aufzufangen. Statt um sich zu schlagen, erlahmte Draco fast vollkommen. Er presste sich die Hände auf die Ohren, drückte das Kinn auf die Brust, wiegte sich vor und zurück und begann zu wimmern.
 

Hermine wäre in diesem Moment am liebsten gestorben. Erst jetzt merkte sie, dass ihre eigenen Augen feucht geworden waren und sie leise weinte.
 

Jemand legte ihr den Arm um die Schultern… ein kurzer Blick zur Seite. Luna. Harry hatte sich zu ihnen geschlichen, die Hände in die Hosentaschen gesteckt und sah sie unbehaglich an. Ginny eben ihm blieb noch einen Moment stehen, dann schüttelte sie den Kopf, wischte den Schweiß von der Stirn und verließ Dracos Darstellung eines Nervenzusammenbruchs.
 

Die Leute um Draco herum wirkten geschockt und vollkommen ratlos, was zu tun war. Selbst der vorhin so eifrig vorgepreschte Vater stand nur da und starrte verwirrt zu den beiden blonden Männern am Boden. Zu Draco, der sich immer noch wimmernd hin und her wiegte und zu Lucius, der ihn an sich gedrückt hatte und ihm mit der freien Hand sanft über den Kopf strich.
 

Hermine sah Fred, George und die beiden Mädchen vollkommen überfordert neben den Scherben stehen, die Dracos Anfall nach sich gezogen hatten. Natürlich waren auch sie ratlos. Sie hatten das noch nicht oft genug zu gesehen, um zu wissen, was sie nun überhaupt denken sollten. Wenn sie ihn im letzten Jahr gesehen hätten, hätten sie die Sache mit seiner Halsnarbe wohl auch nicht witzig gefunden. Sie wussten ja nicht, was passieren konnte, wenn…
 

Aber Hermine wusste es. Sie hatte das doch ganz genau gewusst und sie hätte doch auch ahnen müssen, was passieren würde, wenn sie Draco hier in den Laden zwang. Eine Welle von Schuld und Scham überrollte Hermine. Ließ sie frösteln und sich klein, dumm und schlecht fühlen.
 

Sie hatte das doch wissen müssen. Er war doch schon vollkommen fertig gewesen, als er nur durch die Winkelgasse gehen musste. Allein das war doch schon viel zu viel für ihn gewesen und dann… mit mathematischer Sicherheit vorhersagbar war er dann hier, wo es am lautesten zuging, ausgerastet. Auf Draco war eben doch Verlass. Hermine seufzte und wandte sich von ihren Freunden zu Draco um.
 

Es war ein überaus seltsamer Anblick.
 

Draco hatte sich in der hintersten Ecke des Scherzartikelladens zusammengekauert und zitterte, schwitzte und war so blass, als wäre er auf dem Höhepunkt eines sehr heftigen Heroinentzuges.
 

Vor ihm kniete Lucius, der ihn nun nicht mehr umklammerte. Stattdessen hatte er Dracos Gesicht zwischen seine Hände genommen, strich ihm sanft mit den Daumen über die Wangen und redete so sanft und ruhig auf seinen Sohn ein, wie es Hermines Meinung nach eigentlich unmöglich sein sollte.
 

Der blonde Mann veränderte seine Haltung, bis er so dicht an Draco war, dass ihre Knie sich berührten. Abwechselnd ließ er eine Wange los, strich stattdessen Strähnen blonden Haares aus Dracos blassem Gesicht und nahm das Gesicht dann wieder in die Hand, um es zu sich zu drehen.
 

Er hob das Kinn leicht an, um Draco so dazu zu zwingen ihn anzusehen. Doch er war so ruhig, so… nicht gelassen, aber beruhigend.
 

Hermine wurde rot, tauschte unbehagliche Blicke mit ihren Freunden und kratzte sich am Arm. Was hätte sie dazu auch sagen sollen?
 

„Es ist alles gut, Draco. Du hast dich geirrt. Wir sind hier in dem Laden dieser Weasley- Zwillinge und als der Plunder hier losging, wurde es etwas laut."
 

Draco zitterte, seine Pupillen huschten schnell, unfokussiert, nichts wirklich wahrnehmend oder festhaltend in seinen Augen, hin und her. Die Atmung war flach und schnell. Er sah einfach beängstigend aus, trotzdem sprach Lucius immer noch im gleichen, ruhigen, freundlichen Tonfall weiter.
 

„Hier ist alles friedlich, du hast dich nur geirrt. Mehr nicht. Hörst du? Alles ist okay, nicht? Sieh mich an Draco… komm, sieh mich an!"
 

Dracos Augen huschten für Sekunden zu seinem Vater hinüber, dann wurden sie wieder glasig und glitten an ihm vorbei ins Leere. Seine Atmung wurde flacher. Wieder presste er sich die Handballen gegen die Ohren und stöhnte qualvoll.
 

„Nein, Draco." Lucius drückte Draco das Kinn nach oben, um ihm wieder in die Augen sehen zu können. „Draco, bleib bei mir. Sieh mich an, Draco!"
 

Dracos Augen flackerten nervös und seine Augen zuckten unkontrolliert, doch Hermine bemerkte, dass er tatsächlich versuchte, sich zusammenzureißen und sich auf seinen Vater zu konzentrieren. Mit etwas Neid musste sie zugeben, dass er es wirklich gut machte. Augenkontakt einfordern, das Fixieren, die direkte Ansprache und der Körperkontakt machten es Draco sehr schwer, sich aus dieser Realität wieder auszuklinken. Er hatte es wohl oft genug getan in der letzten Zeit und war zweifellos von den Leuten im Krankenhaus angewiesen worden, Dracos Flashbacks sofort abzubrechen. Lucius bat Rodolphus, den Hermine jetzt erst bemerkte, ihm in den Umhang zu greifen und dort ein kleines Döschen herauszuziehen. Eine blaue Tablette wäre darin, die sollte er ihm geben. Rodolphus gehorchte und so konnte Lucius schon wenige Momente später Draco das quadratische Medikament in den Mund schieben.
 

Sie hätte Lucius würgen, treten und schlagen können, weil er sie wie ein unfähiges Kind gegenüber Draco aussehen ließ. Weil er ihren Freunden zeigte, dass Hermine ein unsensibler Trampel war, der Draco vorführte, während er, der brutale Obertodesser, dazu in der Lage war, seinen Sohn zu verstehen und zu beruhigen.
 

Draco wurde langsam ruhiger. Lucius sprach unbeirrt weiter auf ihn ein. Ruhig, sanft, freundlich. „Gut, Draco, sieh mich an. Komm, rede mit mir, Junge… Sag mir, was du heute Morgen gegessen hast… Nein! Bleib hier… sieh mich an… was hast du heute Morgen gegessen?"
 

Dracos Augen wurden abwechselnd leer, füllten sich mit Leben, das gleich darauf wieder entschwand. Seine Lippen bebten, er schnappte nach Luft und seine Stirn wurde abwechselnd in Falten gezogen und dann wieder glatt. Draco hatte Hermine einmal gesagt, dass es sich teilweise wie ein Traum anfühlte, wenn er diese Dinge sah. Nun kämpfte er darum, aus diesem Traum zu erwachen. „Ich… ich", immerhin redete er, dachte Hermine, auch wenn er dabei stammelte und keuchte wie ein Erstickender. „Ich… es war… ich… Toast!"
 

Lucius lobte ihn, strich ihm weiter über die Wangen und hielt sein Gesicht fest, damit Draco ihn weiterhin direkt ansehen musste. Ein, zwei weitere Fragen folgten, die ein wenig zusammenhängender beantwortet wurden.
 

Dracos Atmung wurde langsamer und sein Blick zwar einerseits klarer, doch andererseits auch bestürzt.
 

Lucius seufzte und strich Draco noch einmal und noch einmal beruhigend über die Schulter, dann hob er sein Kinn und sah die fassungslos vor ihm stehenden Menschen direkt an. Seine Stimme war trotz der Aufregung sachlich und sicher, doch auch wieder viel kälter als eben noch. „Wir haben alle unsere Narben nach diesem Krieg. Manche sieht man", er verzog den Mund und warf Harry einen tadelnden Blick zu, „und manche nicht." Seine Augen wanderten von Harry zu Draco und wurden wehmütig, doch Sekunden später fixierte er schon wieder sein Publikum und erklärte mit seiner trägen, beherrschten Stimme: „Draco hat Panikanfälle und Flashbacks. Wenn er mit Dingen konfrontiert wird, die ihn an gewisse Vorfälle erinnern, wird er sehr lebhaft zu diesen Vorfällen zurückgeworfen. Er bekommt Panik und… Sie sehen ja. Das ist keine Absicht und er kann auch nichts dagegen machen. Ich ersetze Ihnen den Schaden. Aber es war keine Absicht und es war auch nicht seine Schuld." Er warf Hermine einen mörderischen Blick zu, dann ließ er seine Augen missbilligend durch den Laden schweifen. „Hier ist alles recht laut, bunt und voller Scherzflüche. Das war zuviel für ihn."
 

Hermine presste die Lippen zusammen und wich Lucius abermaligem Todesblick aus. Stattdessen sah sie Draco, der immer noch auf dem Boden, die Arme um den Bauch geschlungen, neben seinem Vater kniete, kreidebleich war und zitterte wie Espenlaub. Davon abgesehen machte er ein so finsteres Gesicht, dass Lucius' Verachtung ihr gegenüber fast wie Zuneigung wirken ließ.
 

Draco ärgerte sich grenzenlos und mit Sicherheit fühlte er sich gedemütigt und entwürdigt.
 

„Ist es denn so schlimm?", flüsterte Luna ihr ins Ohr. Hermine nickte. Sie wandte sich um, einfach nur um Harry zu sehen. Es gab nichts, was sie ihm sagen wollte, nicht in diesem Moment, aber sie musste ihn einfach sehen, weil er ihr immer das Gefühl gab, dass sie seine Freundin war.
 

Leider war Harry gegangen. Das heißt, nicht wirklich weggegangen. Nur ein Stück weiter in den Laden hinein zu Ginny. Beide tuschelten mit Neville und warfen dabei verstohlene Blicke auf Hermine.
 

Als sie sich wieder umdrehte sah sie, wie George etwas golden Glänzendes einsteckte, während Lucius, neben ihm, mit den Eltern der beiden Jungen sprach und auch ihnen etwas zusteckte.
 

Einige Leute standen immer noch herum und hatten nichts Besseres zu tun, als den käsigen Draco am Boden anzusehen. Hermine hätte den Leuten sagen sollen, dass das keine Aufführung zu ihrer Unterhaltung war und sie ihn doch gefälligst in Ruhe lassen sollten. Das hätte sie sagen sollen, als gute Freundin. Sie schaffte es leider nicht.
 

Alicia schlich so überaufmerksam an Draco vorbei, als fürchte sie, dass er bei der kleinsten, falschen Bewegung aufspringen würde, um sie anzufallen. „Kann ich…", sie räusperte sich verlegen und berührte Lucius kurz am Arm, damit er sich ihr zuwandte. „Brauchen Sie vielleicht etwas?"
 

„Ein Glas Wasser, danke!"
 

Alicia sah aus, als wolle sie noch etwas sagen, doch Hermine war dankbar, dass sie es nicht tat. Hermine schämte sich schon genug, Alicia musste nicht noch netter sein. Schlimm genug schon, dass einer der umstehenden Kunden einen Stuhl geholt hatte. Als er Draco hochziehen wollte, reichte es Hermine endgültig. Endlich konnte sie sich aus ihrer eigenen Erstarrung lösen. Sie schob den Mann freundlich, doch entschieden zur Seite, legte sich Dracos Arm um die Schulter und zog ihn soweit hoch, dass er sich setzen konnte.
 

Kaum saß er da, stieß er Hermine weg und verschränkte die Arme trotzig vor der Brust. Er riss Alicia, die gerade mit dem Wasser zu ihm gekommen war, das Glas aus der Hand, stürzte es hinunter, als wolle er sich damit ertränken und stand so schnell er konnte auf.
 

„Geh mir aus dem Weg!", schnarrte er einem Mädchen zu, das schon die ganze Zeit wie vor Angst gelähmt hinter ihm gestanden hatte, stieß sie rüde zur Seite und flüchtete ohne ein weiteres Wort, ohne sich noch ein einziges Mal umzusehen, vor den teils mitleidigen, teils entsetzten Blicken der anderen Kunden.
 

Zurück blieb Hermine, die von einem extrem ungehaltenen Lucius am Arm gepackt und ebenfalls zum Laden hinaus gezogen wurde. „Wir sprechen uns noch", zischte er unheilverkündend und schloss die Ladentür hinter ihr, Rodolphus und sich selbst.
 

Xxx
 

Draco beschränkte sich während ihrer Rückreise darauf, böse vor sich hin zu starren. Lucius beschränkte sich auf den wohlgeübten Todesblick, Rodolphus darauf, Lucius immer wieder zentimeterweise von Hermine wegzuziehen, die ihrerseits vollends damit beschäftigt war, keine Angst vor Dracos aufgebrachtem Vater zu zeigen.
 

Im Manor angekommen, stolzierte Draco hoch erhobenen Hauptes an den anderen vorbei und durchmaß die Eingangshalle schnellen Schrittes, der Treppe nach oben entgegen.
 

Hermine tat so, als würde sie den neben ihr lauernden Lucius nicht bemerken und beeilte sich, äußerlich unbekümmert, Draco schleunigst zu folgen.
 

Sie hatte nur wenige Meter geschafft, als sie eine starke Hand, die sich um ihren Arm schloss, stoppte. Lucius riss sie zu ihm zurück, holte aus und schlug Hermine mit aller Kraft ins Gesicht. „Du blöde Kuh!", blaffte er sie an, packte ihre Oberarme und schüttelte sie. „Was hast du dir denn dabei gedacht, ihn da hinzubringen?"
 

Hermine befreite sich energisch und schlug nach Lucius' Hand. „Das geht Sie überhaupt nichts an", keifte sie wütend. „Ich bin hier doch nicht im Knast. Ich darf meine Freunde besuchen, wenn ich will!"
 

Lucius' Gesicht verfärbte sich von hell zu dunkelrot und er schrie so laut, dass selbst seine sonst so desinteressierte Frau auf den Plan gerufen wurde und neugierig herbeieilte.
 

„… du egoistische, kleine Schlampe. Was bildest du dir eigentlich ein? Was denkst du eigentlich, warum wir jemanden wie dich im Haus ertragen?"
 

„Mich ertragen?" Hermine stemmte die Hände in die Hüften. „Wenn hier irgend jemand etwas ertragen muss, dann ich. Sie… Sie… ich weiß ja gar nicht, wo ich anfangen sollte, was ich hier schon alles aushalten muss und diese ganze Familie ist einfach nur zum Kotzen unsympathisch und darauf sind Sie auch noch stolz!"
 

Der nächste Schlag. Hermine duckte sich weg und registrierte verdutzt, dass ihre Wange nicht erneut brannte. Kein Wunder – Sekungen später hörte sie Draco auf seinen Vater einschreien. Er hatte Lucius' Hand festgehalten und holte mit seiner eigenen, freien Hand aus. Rodolphus stürzte sich dazu, doch bevor er entweder Draco, der auf Lucius losging, oder Lucius, der immer noch gegen Hermine wetterte, bremsen konnte, drängte sich Narzissa schützend vor ihren Mann und rang sich endlich dazu durch, ihren Sohn zum ersten Mal seit Mitte Juni direkt anzusehen. „Du bist unzumutbar. Du ruinierst alles, worauf wir nach Kriegsende gehofft haben. Ich habe meine Schwester für dich geopfert und zum Dank dafür machst du uns das Leben zur Hölle."
 

„Narzissa!" Rodolphus schob sich vor den vor Zorn bebenden Draco. „Das geht zu weit, du kannst ihm nicht Bellatrix' Tod vorwerfen. Dass Bellatrix starb…"
 

„Ach, halt doch den Mund! Jahrelang sagst du keinen Ton, du feiger Opportunist, und jetzt machst du ihn auch nur auf, weil du zu feige bist die Wahrheit auszuhalten."
 

Rodolphus tönte in absoluter Seltenheit laut und aggressiv: „Mit euch kann man es in diesem Haus auch nur aushalten, wenn man so wenig wie möglich mit euch redet und überhaupt, mit wem soll ich mich denn unterhalten? Ihr hetzt ständig gegeneinander, Draco ist verrückt und dann bleibt nur noch das Schlammblut, das…"
 

Narzissa schrie auf, denn sie hatte einen neuen Grund gefunden, um wütend zu sein. „Ich wollte doch nie, dass die in dieses Haus kommt!"
 

„Ja, denken Sie, ich wollte hierher?", keifte Hermine außer sich vor Zorn. „Ich bin doch nur hier, weil Sie keine Lust haben, mit Draco alleine zu sein."
 

Draco riss die Augen auf und holt tief Luft, doch bevor er etwas entgegnen konnte, brüllte auch schon Lucius: „Du bist ein unverschämtes, faules Gör, das sich auf unsere Kosten hier aushalten lässt."
 

Hermine wirbelte zu Lucius herum und konterte: „Wenn ich keine Arbeit finde, dann ist das doch Ihre Schuld. Wegen Ihren Sprüchen will mich niemand einstellen. Vor der Presse labern Sie etwas von Toleranz und hier im Haus machen Sie mir das Leben zur Hölle."
 

„Als ob du Schlampe etwas anderes verdient hättest" kreischte Narzissa.
 

Draco holte aus und schlug Narzissa zuerst ins Gesicht, dann setzte er eine Serie von üblen Beleidigungen nach.
 

Beim nächsten Boxhieb hielt ihn Lucius fest, also ging Draco wieder auf Lucius los. Hermine hatte wieder Streit mit Narzissa und Narzissa keifte gegen Draco, der langsam komplett damit überfordert war, abwechselnd den einen gegen den anderen in Schutz zu nehmen und augenblicklich den Nächsten verbal wie körperlich anzugreifen.
 

Seine Augen wurden leer, er schrie schon gar keine Worte mehr, sondern nur noch wütende Laute und stürzte sich auf den, der ihm am nächsten stand. Das war in diesem Moment Hermine. Die reagierte geistesgegenwärtig, griff nach ihrem Zauberstab und schoss einen Schockzauber direkt gegen seine Brust ab.
 

Draco kippte seitlich weg und mit einem Mal waren alle still. Nicht aus Schreck über das eigene Verhalten, sondern weil die drei anderen ebenfalls ihre Zauberstäbe hervorgeholt hatten und sich nun gegenseitig bedrohten.
 

„Da siehst du, was du uns eingebrockt hast, Lucius!", sprach Narzissa als erste von den Vieren und ruckte mit dem Kopf in Richtung Hermine. „Das haben wir jetzt davon, wenn wir so eine im Haus haben!"
 

„Wissen Sie was?" Hermine atmete tief durch, steckte ihren Zauberstab demonstrativ langsam zurück in ihre Jacke und erhob würdevoll den Kopf. „Ich muss nicht hier sein. Ich gehe!"
 

Und damit drehte sie sich um und ging so wie sie war, ohne ihre Kleider, Bücher oder gar Draco, zum Manor wieder hinaus.
 

A.N.2: So ihr Lieben. Ich fürchte, ich muss so manchen von euch enttäuschen.
 

Nein, das war noch nicht das Ende von allem.
 

Wir haben allerdings etwas gelernt, nämlich, dass es SO nicht weitergehen kann.
 

Und vielleicht gibt ja auch der eine oder andere sogar zu, dass er/sie nicht unfehlbar ist.
 

Ich will nur mal andeuten, dass es im nächsten Kapitel einige Wendungen zum Guten geben könnte :o)



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Omama63
2012-07-07T19:51:57+00:00 07.07.2012 21:51
Ein klasse Kapitel.
Arme Hermine. Aber ich finde auch, dass sie Draco nicht mitnehmen hätte sollen. Das ist ja alles ganz schön in die Hose gegangen. Wenn sie jetzt geht, dann hat Draco garniemanden mehr, außer seinen Vater, der sich auch nicht immer beherrschen kann und eine Mutter die ihn nicht haben will. Ich denke mal so wird es mit Draco bestimmt nicht besser, da er keine stabile Umgebung hat.
Bin schon gespannt, wie es weiter geht.
Von:  Neimount
2012-05-01T12:27:35+00:00 01.05.2012 14:27
Hallo =)

Find es schade das du erst ein Kommentar hast dabei ist deine Story echt der HAMMER. Find es echt super das, das nicht so eine 0 8 15 Story ist, in der alles nach einer weile Friede freude Eierkuchen ist.

Ich hab echt einen riesigen Respekt vor Hermine, was die arme sich bei den Malfoys alles gefallen lassen muss. Das die da nicht eher ausgerastet ist. Echt die Famile ist doch echt zum kotzen.

Ich bin echt schon gespannt wie das ganz weitergeht und ob Draco irgendwann wieder "normal" wird.

Liebe Grüße


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