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Die Last auf seinen Schultern

24 Wege, jemanden in den Wahnsinn zu treiben
von

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Adventsbonus: Con bravura

A/N: "con bravura" ist eine Vortragsbezeichnung aus der Musik und bedeutet so viel wie "mit Kühnheit/Virtuosität". Im Folgenden werden weitere musikalische Begriffe auftauchen - wer die nicht versteht, wendet sich bitte an Wikipedia oder mich.

dumm hat sich Bansai/Zaki gewünscht, aber wirkliches Shônen-Ai war mir mit diesem Pairing leider unmöglich. D: Also bitte nehmt hiermit Vorlieb.
 

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Angefangen hatte es mit einer simplen, einfältigen Melodie, die jedes Kind hätte nachsingen können. Keine Begleitung, keine Spielereien, keine Besonderheiten. Ein langweiliger, normaler Charakter.

Und dann hatte sich alles geändert.

Unerwartete Crescendi, plötzliche, heftige Rhythmen, starke Akkorde, und alles in Dur. Immer in Dur. Egal, was geschah.

Er hatte ihn blutend am Boden liegen lassen, er war drauf und dran gewesen, ihn zu töten, und nicht ein einziges Mal hatte sich die Tonart in Moll geändert. Nicht ein einziges, verdammtes Mal. Seine Arbeit, sein gesamtes Zuhause war kurz davor gestanden, zu zerfallen, in Einzelteile, die niemand wieder hätte zusammensetzen können, und hatte es das Stück, das seine Seele spielte, schwächer gemacht?

Nicht mal ansatzweise.

Es war lauter geworden, stärker und selbstbewusster, es hatte sich in manche mutige Kompositionen vorgewagt, von denen selbst die tapfersten Jazzer die Finger gelassen hätten, und das nur, um diese verrottende Organisation zu retten.

Ein Haufen Hunde, der von der Regierung benutzt und von Piraterie zersetzt wurde, eine Ansammlung korrupter Idioten, die die Bezeichnung Samurai gar nicht mehr verdient hätten – zu Anfang war es so leicht gewesen, die Shinsengumi auseinanderzubringen, in Lager aufzuteilen und gegeneinander aufzuhetzen, es war so eine bequeme Arbeit gewesen, und dann war das passiert.

Seinen Vize-Kommandeur hatte er noch informieren wollen. Mit einem Fuß hatte er schon im Grabe gestanden, und er hatte sich mit den Händen über den Boden gezerrt, um zu seinem Vize-Kommandeur zu gelangen – seinem Vize-Kommandeur, der in diesem Moment wohlbemerkt ein weichgespülter, feiger Otaku gewesen war.

Es war nicht so, dass Bansai das nicht verstehen könnte. Er verstand es, natürlich verstand er es. Es war Loyalität, simple und einfache Loyalität, und das war eine Sache, die ihm durchaus geläufig war. Bansai hielt sich so unabhängig wie möglich, theoretisch war er der Kiheitai zu nichts verpflichtet, aber auch er würde, wenn es hart auf hart käme, wohl oder übel einiges für Shinsuke aufs Spiel setzen. Klar verstand er, dass das auch bei Idioten wie der Shinsengumi so laufen musste.

Nein, die Loyalität an sich war nicht sein Problem. Sein Problem war diese Melodie. Diese Komposition, dieses Stück als Ganzes. Wie konnte es so simpel beginnen und mit einem Mal, wenn es doch schon drauf und dran war, mit ein paar lachhaften schiefen Tönchen im Sand zu verlaufen, so aussagekräftig werden und einen immer wiederkehrenden Refrain von Crescendi, schmetternden Arpeggien und Paukenschlägen präsentieren?

Bansai wollte es verstehen, und vor allem wollte er wissen, wie lang dieses Stück durchhalten würde. Wie lang dieses Schwanken zwischen Einfältigkeit und blindem Mut noch funktionieren konnte, er wollte hören dürfen, wie all das irgendwann endete.

Deshalb hatte er Yamazaki Sagaru leben lassen.

Und deshalb verbrachte er seine Freizeit nun damit, auf einer Parkbank in der Nähe des Shinsengumi-Hauptquartiers zu sitzen und auf ihn zu warten.

Sie waren mal wieder in Edo, eigentlich waren sie auffallend oft in Edo ohne bemerkt zu werden, und Bansai hatte es tatsächlich mal geschafft, zwischen Shinsuke, Auftragsmord und Otsuu ein paar freie Stunden zu ergattern. Und nun saß er hier und sah dabei zu, wie kleine Fische der Shinsengumi aus- und eingingen. Von ihnen allen ging diese Melodie aus, dieses plumpe Geklimper im Vordergrund mit diesen feinen Anläufen von Stolz und Ehre im Hintergrund.

Aber er wollte Yamazaki. Die hohen Tiere interessierten ihn nicht, bei denen war es schon etwas natürlicher, dass ihre Melodie so pompös wurde, bei Yamazaki war das etwas anderes. Und all die anderen kannte er nicht, die interessierten ihn auch nicht. Und er schien sie ebenfalls nicht zu interessieren. Bansai konnte problemlos durch die Straßen Edos schlendern, weil ihn dort niemand kannte, aber innerhalb der Shinsengumi sollte sein Gesicht mittlerweile eigentlich die Runde gemacht haben.

Vielleicht waren sie nur zu feige, ihn anzugreifen oder anderen Bescheid zu geben. Ihn störte das nicht, so hatte er seine Ruhe.

Bansai trug seine Kopfhörer, wie immer, aber seine Musik war für den Moment aus. Er wollte es nicht verpassen, wenn die Melodie spielte, die er suchte.

Er wollte wissen, was mit ihr passierte, wenn Yamazaki ihn entdeckte.

Er wollte wissen, ob sie dann wieder so laut und aufgeblasen werden würde wie damals.

Er wollte wissen, ob es dazwischen vielleicht eine Sequenz des Zweifels geben würde, nur einen Takt, vielleicht sogar nur einen Ton. Er wollte wissen, wie laut die Angst sein würde, ob sie verfliegen würde, oder ob sie in der Begleitung immer wieder auftauchen würde.

Er wollte wissen, was passierte, wenn er ihm folgte.

Er wollte wissen, was passierte, wenn er ihn in die Enge trieb. Würde er wieder nur an seine Shinsengumi denken, und an diesen Kommandeur, an den er ihn verpetzen musste, wenn er in der Stadt war? Würde das Stück erneut so aufbrausen, oder würde ihm endlich auffallen, was für eine Bedrohung Bansai für seine Existenz war? Würden es hohe oder tiefe Töne werden, würde es melodisch sein oder disharmonisch, würden es Saiten oder Trommeln sein, Bläser oder Felle?

Und welche Lieder spielte er, wenn er um sein Leben rannte?

Welche Lieder spielte er, wenn er aufgab?

Welche Lieder spielte er, wenn man seine Privatsphäre zerbrach, einfach so, sich zu ihm hinabbeugte und ihm den Tod ins Gesicht hauchte, welche Lieder spielte er im Angesicht unmittelbarer, persönlicher Gefahr?

Wie würde er klingen, wenn man ihn schon wieder leben ließ? Es gab noch so viel zu erforschen, wofür er weiterleben musste.

Wie präsentierte sein Stück die Freude? Welche Instrumente symbolisierten seine Trauer? Was machte Lust mit seiner Musik? Wurde die Perkussion leiser oder lauter, wenn man ihn erregte? Trotzig oder zaghaft?

Gab es vielleicht Instrumente, die er in ihm noch gar nicht gehört hatte? Tonhöhen, die er bisher nicht erreicht hatte, die er erst erklimmen würde, wenn Bansai die rechten Register zog?

Möglicherweise war der Junge ein gigantisches Stück, ein Meisterwerk, das einfach nur simpel anfing, um seine Hörer in die Irre zu führen. Möglicherweise war er eine ganze Musikrichtung, bisher unentdeckt, modern und weitläufig, und möglicherweise war es an Bansai, sie zu erforschen und zu seinem Repertoire hinzuzufügen, sie Sein zu machen.

Möglicherweise.

Mit einem schmalen Lächeln lehnte er sich zurück und wartete auf den schwarzen Haarschopf, der sich noch immer nicht hatte blicken lassen. Er hatte nicht genug Zeit, um all diese Kompositionsvariationen heute auszuprobieren. Aber den Anfang konnte er machen. Und dann würde er nicht mehr von dieser ungeahnt komplexen Partitur ablassen.

Yamazaki Sagaru hatte ihn in einen wirren Bann aus Wahn und Begeisterung gezogen. Und er hatte noch keine Ahnung von seinem Verderben.



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