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Out of the Fire

[Wichtel-Geschichten]
von

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Satanshimmel voller Geigen (pt. 1)

So, endlich fertig. >.< Und natürlich zu spät. Ich glaube, das Wichteln war einfach zu lang und zu viel und jetzt ist die Luft raus. Gerne wieder, aber erst in einem Jahr oder so. XD"
 

Anyway, als ich diese Geschichte entworfen hab, hab ich sofort gemerkt, dass sie länger wird als ein Kapitel, aber das war okay, weil ich sie sehr mag. :) Ich hoffe, dass es auch für mein Wichtelkind okay ist. Sogar das erste Kapitel ist weit länger, als es hätte sein sollen.

Es ist wie die anderen ein Original, hat aber gar nichts mit den anderen zu tun. Außerdem ist es sehr stark inspiriert von Supernatural, was man auch merkt, wenn man die Serie kennt, weil ich viel von der Welt übernommen habe. Ich hoffe, das stört nicht. Ein anderer Input kam von einer Folge NCIS, die vor kurzem kam.
 

Die Geschichte hat übrigens auch nix mit dem gleichnamigen Lied von Samsas Traum zu tun. ^^ Ich hab mir nur den Titel leihen sollen.
 

Widmung: Sam_Linnifer

Ehrlich gesagt wusste ich am Anfang gar nicht, was ich dir schreiben sollte. Aber ich hatte ziemlich schnell eine Idee und dann noch eine zweite, für die ich mich dann entschieden hab. Wie oben erwähnt mag ich die Geschichte sehr gern und ich hoffe, dass sie dir auch gefällt. Wie lang sie wird, weiß ich noch nicht, aber es sind mehr als 3 Parts. (Ich ziele im Moment so auf 5, aber wer mich kennt, weiß, dass solche Pläne bei mir eher selten aufgehen. ^^")

Well, anyway - enjoy. :)
 

~~~~~~~
 

Part I – All things that go bump in the night
 

Die Lichter der Tankstelle wirkten wie Inseln der Gastfreundlichkeit in der Dunkelheit der Nacht. Vermutlich war es ein heruntergekommenes Geschäft, das mal wieder geputzt werden sollte, aber im Moment war Jacquetta einfach froh, dass es da war. Sie hatte Hunger, ihr war kalt und ihr Rücken schmerzte von dem langen Sitzen. Außerdem mussten sie sowieso tanken. Wenigstens gab das Baby ausnahmsweise mal Ruhe.

Die Scheinwerfer des Jeep Cherokee durchschnitten die Nacht wie Messer und Schneeflocken tanzten wild in dem Licht. Der Niederschlag hatte bereits abgenommen, dafür war der Wind stärker geworden und der Himmel war noch schwarz von den Wolken – kein Stern zu sehen und der beinahe volle Mond war nur manchmal ein heller Schatten am Himmel, wie ein kaltes Licht in dichtem Nebel.

„Vielleicht können die uns einen Weg zum nächsten Motel zeigen.“, bemerkte Benjamin neben ihr, seine Stimme rau von Kälte und dem langen Nichtgebrauch. Während der letzten sieben, acht Stunden hatte nicht viel die Stille zwischen ihnen unterbrochen. Da waren nur das Radio, das irgendwelche Musik vor sich hindudelte, die keiner von ihnen mochte, und Addys – eigentlich Adrianna of the Southern Bay – Schnaufen und Seufzen, das die große Hündin manchmal von sich gab.
 

Das Tier war eine Do Khyi-Hündin, beinahe reinrassig, wenn man von dem einen oder anderen Barghest im Stammbaum absah. Welpen von normalen Hunden und den mystischen, blutrünstigen Schwarzen mochten beinahe noch schlimmer sein als letztere. Aber ihre Nachkommen wiederum machten alles wieder wett mit den Eigenschaften, die sie vererbten: überdurchschnittliche Intelligenz, die Fähigkeit, Übernatürliches zu riechen, die Macht, die eine oder andere nicht so ganz normale Gefahr verjagen zu können, und der unerschütterlichen Loyalität.

„Jack?“

Anscheinend wartete ihr Bruder auf einer Antwort, also erklärte sie mit einiger Verspätung: „Okay.“

Er warf ihr einen Blick zu, seine Augen beinahe unnatürlich hell und stechend im dunklen Inneren des Wagens, sein eigentlich braunes, kurzes Haar fast schwarz. „Alles okay?“, wollte er aus heiterem Himmel wissen, eine Frage, die er ihr schon lange nicht mehr gestellt hatte. Er wusste doch sowieso, wie es ihr ging.

Sie blickte ihn nicht an, als sie trotzdem nickte. Aber es nutzte nichts – er wusste, dass nicht alles okay war, dass nichts okay war. Überhaupt nichts.

Es war schon lange nicht mehr alles okay.

Vielleicht war es das nie gewesen.
 

Doch statt einer weiteren Nachfrage lenkte Ben den Jeep Cherokee nur in die Einfahrt der Tankstelle. Sie war klein, mit nur vier Zapfsäulen, aber dafür gab es einen kleinen Laden, dessen Fenster hell erleuchtet waren und das überraschend gut besucht schien. Wenn man den Schildern trauen konnte, befand sich ums Eck auch ein Diner (das im Moment jedoch geschlossen hatte.)

Auf dem Parkplatz stand jedoch eine ganze Reihe Autos und auch vor einer der Zapfsäulen parkte ein Auto, ein nahezu fabrikneuer Ford Focus in Knallrot. Eine breite Frau mit grau durchschossenem, dunklem Haar stand tankend mit dem Rücken zu ihnen, den Blick fest auf die hochrasenden Nummern der Anzeige geheftet. Neben einer der anderen Tanksäulen stand ein gelbes Taxi, doch der Fahrer war nicht zu sehen.

Ben lenkte den Cherokee hinter das parkende Auto und stoppte den Motor und schlug mit einem kurzen Blick auf den Rücksitz vor: „Nimm Addy mit, vielleicht kriegst du vom Verkäufer was zu trinken für sie.“ Die große Hündin hob den Kopf, als er ihren Namen nannte, und begann dann mit dem Schwanz zu wedeln, die beiden ihre Aufmerksamkeit auf sie richteten.

„Also gut.“ Die junge Frau wusste, dass der Hund nicht nur Wasser (und vielleicht einen Bissen zu fressen) brauchte, sondern sich, wie sie beide auch, einfach mal die Beine vertreten musste. Die langen Autofahrten ohne Pause konnten nicht gut für das Tier sein.
 

„Geh du schon mal rein, ich tanke und ruf noch kurz Sol und Noelle an. Vielleicht wissen die schon was.“

Jacquetta nickte und stieß ihre Tür auf, damit sie sich hinauswuchten konnte. Ihr großer Babybauch, obwohl sie ihn jetzt schon so lange mit sich herumschleppte, war immer noch seltsam und monströs. Sie war es gewohnt, beweglich, agil und schnell zu sein und nicht darauf achten zu müssen, mit etwas derartig großem irgendwo anzustoßen. Sie hasste es, schwanger zu sein. Sie fühlte sich schwer und alles – insbesondere ihre Füße und ihr Rücken – tat ihr weh.

Und sowieso, alles ging den Bach runter.

Ihr Leben war vorher nicht unbedingt gut gewesen, zumindest nicht immer, aber jetzt war es einfach nur noch scheiße. Aber vielleicht sollte sie aufhören, sich zu beklagen und sich einfach freuen, noch am Leben zu sein. Das konnte sich auch bald ändern.

Mit einer energischen Bewegung öffnete sie die hintere Tür für die Hündin, die einige Augenblicke brauchte, um ihren riesigen Körper aus dem Auto zu verfrachten. Sie war ein massiges, bärenhaftes Tier, das Jacquetta bis über die Hüfte ging, und das Winterfell – dicht, lang und schwarz – ließen sie noch mächtiger erscheinen. Doch ihre großen Augen waren freundlich, ernst und braun und der weiße Stern auf ihrer Brust verpasste ihr eine besondere Note.
 

Die Schwangere hakte die Leine in das dunkle Halsband, das in dem dichten Fell beinahe unterging, und schnappte sich die kleine Umhängetasche im Armystil, die immer vor ihr auf dem Armaturenbrett lag. Sie nahm auch das Messer aus dem Handschuhfach, das sie ‚bekommen‘ hatten, kurz nachdem sie erfahren hatten, dass Engel nicht so gut und toll waren, wie sie vorher gedacht hatten.

Es war eine lange Waffe mit breiter, gefährlich wirkender Klinge, die im Moment jedoch in der abgewetzten Scheide eines verlorenen Bowiemessers verborgen war. So würde sich niemand über blanke Schneiden oder die mystischen Symbole darauf aufregen.

Sie schob die Klinge in den Gürtel, so dass ihre Jacke darüber fiel, und setzte sich in Bewegung. Ihre Arbeitsstiefel knirschten in der dünnen Schneedecke, die der Wind unter das große Dach der Tankstelle getrieben hatte.

Sie zuckte heftig zusammen, als plötzlich ein Mann um die Ecke des Gebäudes bog. Er schenkte ihr einen überraschten Blick. Verdammte Paranoia… Addy hatte sich noch nicht einmal angespannt und selbst jetzt betrachtete sie den Fremden nur mit einem milden Blick. Auch ihre eigenen übernatürlichen Sinne, die ihr ermöglichten, mehr wahrzunehmen als ein normaler Mensch, hatten nicht angeschlagen.
 

Dann grinste der Mann entschuldigend. „Sorry, Missy.“

Jacquetta lächelte unsicher zurück und unterzog ihn einer kurzen Musterung – er war nicht sonderlich groß, aber drahtig, sein Gesicht war wettergegerbt, aber freundlich, und seine Kleidung war sauber, aber einfach und abgetragen. Ein Trucker, wahrscheinlich, der hier kurz einen Zwischenstopp eingelegt hatte. Vermutlich zum Pinkeln, wenn sie dem Schild trauen konnte, das darauf hinwies, dass die Klos um die Ecke waren.

„Bitte sehr, Missy.“ Er hielt die Tür des kleinen Ladens auf und machte eine einladende Handbewegung. Sie dankte mit einem unsicheren Kopfnicken; sie war es einfach nicht gewohnt, dass Leute freundlich zu ihr waren und ihr sogar Türen aufhielten. Addy hatte nicht solche Bedenken, sie lief einfach los und zog ihr Frauchen beinahe hinter sich hier.

Im Laden schlug ihnen mollige Wärme entgegen, das Licht war sanft und golden und er wirkte überraschend aufgeräumt. Auch die Regale schienen gut sortiert mit all dem Angebot, den man in Tankstellen normalerweise so fand und noch ein bisschen mehr.

Vielleicht diente das Geschäft auch den Einheimischen als Nahkauf. Der winzige Ort, zu dem es gehörte, konnte sich kaum als ein solcher bezeichnen, darum gab es sicher nicht noch mehr solche Läden. Vielleicht war deswegen so viel los – denn das war es wirklich für eine so fortgeschrittene Stunde.
 

Zwei Afroamerikaner mittleren Alters standen neben den Zeitungsständen und unterhielten sich leise, der eine wirkte angespannt und müde, der andere, als wirkte gelöst und strahlte eine beruhigende Ruhe aus. Hinten bei den Eisregalen standen ein seltsames Pärchen, eine junge, strohblonde Frau, die ihre Hände hinter dem Rücken verschränkt hatte, und ein dunkelhäutiger Mann (aus dem Nahen Osten vielleicht oder zumindest mit dieser Abstammung), der offensichtlich versuchte, etwas aus dem bizarr reichhaltigen Angebot an Eis auszusuchen.

Der Verkäufer, der gelangweilt hinter seiner Kasse stand, war noch jung – keine achtzehn, darauf würde Jacquetta ihre Jacke verwetten. Wie der Ladenbesitzer es geschafft hatte, an den Behörden vorbeizubringen, dass er um diese Zeit noch hier arbeiten durfte, war sicher eine Geschichte wert. Aber der brünette Junge vom Typ Sunnyboy – Chad, wenn man dem Aufnäher auf seiner Brusttasche glauben durfte – wirkte, als wäre er lieber irgendwo anders als hier.

Der Trucker steuerte sofort das Regal mit den Fertigsandwiches an und begann, sich jede einzelne Sorte eingehend anzusehen. Anscheinend würde er einige Zeit brauchen, ehe er sich entschied.
 

Aus Lautsprechern an der Decke dudelte leise, unpassende Musik, Geigenklänge. Jacquetta wurde es schlecht von den hochkommenden Erinnerungen, als sie das erkannte. Der Klang von Violinen zerrte die schlimmsten Tage ihres Lebens hervor.

Chad schaute kaum auf, als sie und der freundliche Trucker unter dem Gebimmel des Windspiels, das über der Tür hing, eintraten, sondern widmete sich sofort wieder seinem IPhone, auf dem er eifrig herumtippte. Sie ignorierte ihn ebenfalls fürs erste und schnappte sich einen der kränklich roten Plastikkörbe, die für die Einkaufenden bereitstanden. Die Geschwister hatten hier noch mehr zu kaufen als nur den Sprit.

Ihr Ziel war im Moment die abgelegene Ranch eines alten Freundes, ein ehemaliger Jäger wie sie, der bei dem Kampf gegen einen Wendigo eine schwere Verletzung davon getragen hatte und seitdem im Rollstuhl saß. Sein Heim diente ihnen, ihrer Familie und ihren Verbündeten als Unterschlupf und Basis.

Dort bekamen die Jäger in ihrer kleinen Gemeinschaft Ausrüstung, Unterstützung, Unterschlupf, einen Platz, gefährliche Gegenstände zu lagern, und nicht zuletzt Informationen, wenn sie welche benötigten – meist über die selteneren, kurioseren Monster, die ihnen während der Jobs so über den Weg liefen. Die schiere Menge an alten Büchern, die dort aufbewahrt wurde, brachte Jacquetta Mal um Mal ins Staunen.
 

Da sie und Ben, trotz allem Ärger, der ihnen folgte wie ein Rattenschwanz, und ihrer Schwangerschaft die eigene Jagd noch nicht aufgegeben hatten, standen sie in unregelmäßigen, aber steten Kontakt mit der Smith-Ranch. Besucht hatten sie sie jedoch nicht mehr, seit die ganze Sache angefangen hatte. Sie weigerten sich schlichtweg die Smith-Ranch auf diese Art in Gefahr zu bringen. Dafür war sie zu wichtig, zu wertvoll, nicht nur wegen dem strategischen Vorteil, den sie brachte. Sie war das einzige Heim, das die meisten von ihnen hatten.

Während Jacquetta jetzt durch die Gänge ging und aus den Regalen nahm, was sie brauchten – fertig verpackte Sandwiches, Obst, Whiskey, Hundefutter, Aspirin, Mullbinden, Wasserflaschen und mehr – schweiften ihre Gedanken zurück zu den Ereignissen des letzten Jahres, die sich so überschlagen hatten. Es war nicht so, dass ihr Leben jemals leicht gewesen war, mit der Jagd und dem Nomadenleben, das alle ihres Schlages führte, ob sie nun Kinder hatten oder nicht.

Aber das letzte Jahr war … Chaos und Blut und Schmerz.

Wenigstens hatten sie noch keine Probleme mit dem Gesetz, wie manch anderer Jäger es hingekriegt hatte. Das war ein ganz anderes Hornissennest, in das sie stechen konnten, und auch noch eines, mit dem sie keine Erfahrung hatten.
 

Als das Windspiel über der Tür ging, blickte sie auf, doch nur ein alter Mann hinkte schwer auf seinen Stock gestützt herein, mit einem Gesicht voll Falten und einem weißen Haarschopf. Das einzig besondere an ihm war, das Chad ihn tatsächlich begrüßte und auch die beiden Afroamerikaner ihm freundlich zunickten. Anscheinend war er überall bekannt, ein Fixum in der kleinen Gesellschaft dieser Ortschaft.

Jaqcetta wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Regal vor sich zu und warf einige Packungen Energieriegel in ihren Korb, der sich rasch anfüllte. Addy begleitete sie still und friedlich auf ihrem Spaziergang durch den Laden. Nur die junge Frau an der Eistheke warf der großen Hündin einen schiefen Seitenblick zu und rückte einen Schritt zur Seite. Aber sie warf der Besitzerin auch ein entschuldigendes Lächeln zu, als wolle sie sich rechtfertigen, Angst vor dem Tier zu haben.

Als Jacquetta endlich ihren Korb neben die Kasse auf die Ablagefläche wuchtete, blickte der Kassierer kaum von seinem Handy auf. Erst, als er seine Nachricht zu Ende getippt hatte, legte er das Smartphone zur Seite und wandte sich ihr mit einem gewinnenden Lächeln zu. Jacquetta starrte unbewegt zurück, zu erschöpft, um die Geste zu erwidern.
 

„Hast du vielleicht etwas lauwarmes Wasser für den Hund?“, wollte sie stattdessen von dem Teenager wissen und machte eine Kopfbewegung zu Addy hinüber, die geduldig neben ihrem Frauchen saß. Als sie bemerkte, dass die Aufmerksamkeit sich auf sie richtete, wedelte sie mit dem Schwanz, so dass sie damit rhythmisch auf den Boden klopfte.

Chad blickte das Tier an, als würde er es erst jetzt bemerken, und zuckte dann mit den Schultern. „Sicher. Aber nachher.“ Dann begann er ohne sonderliche Eile damit, die Waren einzuscannen.

Jacquetta verkniff sich eine Bemerkung, sondern fügte nur hinzu: „Und der Sprit an Zapfsäule Zwei.“ Sie deutete mit dem Kopf in die entsprechende Richtung. Chad nickte nur und tippte etwas auf seiner Kasse herum. Als sein Handy quakte – anscheinend sein Signalton für eine SMS – nahm er es auf und begann, darauf herumzutippen.

Die junge Frau hätte ihn am liebsten angefahren, aber sie hielt sich zurück, wandte sich ab und spähte angestrengter durch das Fenster. Draußen war nur die beleuchtete Tankstelle zu erkennen und ein wenig Schnee, der unter das Dach getrieben wurde. Alles hinter dem Lichtschein wurde verschluckt von scheinbar ewiger Dunkelheit. Da waren keine weiteren Lichter – wegen der Bäume, die hier überall standen – keine Schatten oder Silhouetten, nichts. Es war beinahe unheimlich.

Für einen normalen Menschen mochte ein solcher Anblick Urängste wachrufen, Ahnungen von Geistern und Monstern, reißenden Bestien und grausamsten Kreaturen, an die in dieser aufgeklärten, modernen Welt niemand mehr glauben wollte. Für jemanden wie sie, die wusste, was dort draußen tatsächlich lauerte, war es auf der einen Seite viel einfacher – und auf der anderen viel schlimmer. Sie hatte die Schrecken, die das Übernatürliche für die Menschheit bereithielt, gesehen. Sie wusste, was dort draußen war.
 

Der Jeep Cherokee war nicht mehr zu sehen, was bedeutete, dass Ben ihn vollgetankt und irgendwo zur Seite gefahren hatte. Wo blieb ihr Bruder eigentlich? Selbst Gespräche mit Noelle oder gar Sol konnten nicht so lange dauern. Es sei denn, sie hatten irgendetwas Wichtiges zu erzählen. Das konnte ein sehr, sehr schlechtes Zeichen sein. Oder ein gutes, aber nach all dem Pech, das sie in letzter Zeit verfolgte, bezweifelte sie es.

Als ein knallgrüner, blitzblanker Porsche Panamera in die Tankstelle einbog und nur wenige Schritte von der Tür entfernt anhielt, fielen ihr beinahe die Augen aus dem Kopf. Was machte ein Auto wie dieses in einer Gegend wie dieser?! Es wirkte so völlig deplatziert, dass sie einen Moment nur starren konnte.

Im nächsten Augenblick wurde ihr eiskalt vor Schrecken.

Was, wenn das ihre Feinde waren, wenn man sie gefunden hatte, wenn ihre lange Flucht nun vorbei war, weil sie hier alle sterben würden, Ben und sie und Addy…? Das Blut schien ihr in den Adern zu gefrieren. Und sie hatte nicht mehr dabei als ihre Beretta in der Handtasche und das Runenmesser…

Aber Addy war vollkommen ruhig – sie hätte längst angeschlagen, wenn dort irgendeine Kreatur der Hölle vorgefahren wäre.

Oder?
 

Außerdem, bemerkte die Jägerin nach einem gehetzten Rundblick durch das Geschäft, war sie die einzige, die sich über den Wagen wunderte. Chad starrte ihn mit einem beinahe feindseligen Blick an, ehe er sich wieder seiner Aufgabe widmete, der Rest der Kunden wandte sich rasch wieder ihren eigenen Themen zu. Also musste das jemand sein, der öfter hier vorbeikam…

Sie ließ langsam die Luft entweichen, von der sie nicht gewusst hatte, dass sie sie angehalten hatte, und schaute nun unbeteiligt zu, wie drei junge Mädchen aus dem Auto kletterten. „Das sind nur die Tussen aus dem Internat.“, bemerkte Chad plötzlich, den Blick ebenfalls auf die drei Neuankömmlinge gerichtet, das Handy noch in der Hand.

Sie waren alle drei sehr gepflegt und perfekt geschminkt und anscheinend hatten sie eine Art Partnerlook mit Farbschema am Laufen. Sie trugen alle sehr ähnlich geschnittene Kleidung, weiße Hosen und wegen des falschen Fells riesig wirkende Stiefel. Dazu trugen sie dicke Parkas, über deren fellbesetzte Kapuzen sich die künstlich gelockten Haare ringelten. Jacken und Stiefel hatten stets die gleiche Farbe, eine, brünett und hübsch, trug blasses Lila, die zweite, eine Afroamerikanerin, Rosa und die dritte, blond und blass, war ganz in Eisblau gekleidet.
 

„Hm?“, wollte Jacquetta wissen und blickte ihn an. Eigentlich interessierte es sie nicht, aber der Verkäufer schien den Laut als Neugierde zu interpretieren, denn er fuhr fort: „Wir haben hier ein Schickimicki-Internat, ein paar Meilen die Straße runter. Die Schüler dort kommen gern hierher, in ihren Luxuskarren und wollen Alkohol und Zigaretten kaufen oder Süßigkeiten und Pornos.“ Er zuckte mit den Schultern, verzog angewidert das Gesicht und fuhr endlich mit seiner Arbeit fort.

Sie zog eine Augenbraue hoch und warf keinen kurzen Blick zur Tür hinüber, wo die Mädchen sich vor die Frau drängelten, die sie vorher bei dem Ford Focus gesehen hatte. Diese hatte einen südländischen Touch, dunkles Haar, ein hübsches, breites Gesicht, ausladende Hüften, und außerdem ein kleines Mädchen an der Hand. Es war vielleicht fünf oder sechs Jahre alt, ein süßes kleines Ding und wirkte todmüde, nicht zuletzt wegen des abgewetzten Teddys, den es im Arm hielt.

Die Kleine starrte die frechen Schülerinnen an wie gottgesandte Engelsgestalten. Und die sahen natürlich auch gut aus mit ihren hübschen, sauberen Kleidern, dem perfekten Make-up und ihren farblich abgestimmten Achseltaschen, eine künstliche, kunstvolle Schönheit, die Jacquetta, trotz all ihrem natürlichen Liebreiz, niemals erreichen würde.

Die Blonde trug in ihrer Tasche sogar ein kleines wuscheliges Hündchen herum, das sofort anfing mit einem hohen Stimmchen zu kläffen, als es Addy gewahr wurde. Die eindrucksvolle Do Khyi kümmerte sich nicht darum, sie hob nicht einmal den Kopf von dem Boden, wo sie sich neben Jacquetta hingelegt hatte.

Dafür musterte die Blondine das größere Tier und dessen Herrin mit ihrem deutlichenen Babybauch und ihren abgewetzten Kleidern mit einem abschätzigen Blick. Ihr Mundwinkel zog sich in einer spöttischen Geste nach oben, als sie sich zu ihren Freundinnen drehte. Jacquetta verstand die Worte nicht, aber sie konnte sie sich denken, als die drei in herablassendes Gelächter ausbrachen und dann hinter einem der Regale verschwanden.
 

Sie wandte sich ab. Gesten wie diese verletzten sie, auch wenn sie es sich niemals eingestehen wollte. Was verstanden Zivilisten wie die drei schon von einem entbehrungsreichen, gefährlichen Leben wie dem ihren? Verwöhnte Gören von Entbehrung? Reiche Töchter von Geldnot? Es gab so vieles, was sie voneinander unterschied… Wie konnten sie es wagen, über sie zu richten?!

„Wann ist es denn so weit?“, wollte plötzlich eine herzliche Stimme neben ihr plötzlich wissen und sie blickte auf. Die andere Frau mit ihrer Tochter war inzwischen zu ihr getreten, ihre dunklen Augen freundlich und ein liebenswürdiges Lächeln auf den Lippen. Vermutlich hatte sie die hässliche Bemerkung der Blondine gehört und wollte etwas gut machen, das sie gar nicht verbrochen hatte. Und so sehr Jacquetta sich auch einreden wollte, dass die Geste nicht die beabsichtigte Wirkung hatte – auch Zivilisten, die es gut meinten, waren nur Zivilisten – war es doch so.

Also antwortete sie: „In ein, zwei Wochen.“ Sie legte die Hand auf ihren Bauch und hoffte, dass es wirklich so war. Sie wollte, dass es endlich vorbei war. „Wird langsam auch Zeit.“

Ihre Gesprächspartnerin nickte: „Das dachte ich damals auch.“ Sie wuschelte ihrer Tochter, die ihrer Aufmerksamkeit inzwischen der noch immer desinteressierten Addy zugewandt hatte, durch das Haar. „Ich hab inzwischen fünf von den Rackern und möchte keinen von ihnen von ihnen missen.“
 

Ich hätte am liebsten nicht einmal das eine, hätte Jacquetta am liebsten geantwortet – weil es die Wahrheit war – aber das ging nur sie und ihre Familie etwas an. Darum lächelte sie nur unsicher und wandte sich Chad zu, der endlich damit fertig war, neben seinem SMS-Gespräch auch die Artikel einzuscannen. Bevor er den Betrag nennen konnte, reichte sie ihm eine (gefälschte) Kreditkarte über das Register.

„Keine Sorge, du wirst das schon schaffen.“, ermutigte die Südländerin sie inzwischen und Jacquetta senkte den Kopf. Wenn das Kind aufzuziehen ihr einziges Problem wäre, dann würde sie auch so denken. Dummerweise war dem nicht so. Glücklicherweise lenkte Chad die Aufmerksamkeit wieder auf sich.

„Ich hole noch schnell Wasser für den Hund“, erklärte der Verkäufer, während er die Kreditkarte zurückgab. „wenn es dir nichts ausmacht.“ Den letzten Satz richtete er an die andere Frau.

Die winkte ab. „Auf die paar Minuten kommt es mir jetzt auch nicht mehr an.“, erklärte sie lachend und dafür war Jacquetta ihr wirklich dankbar.

Chad verschwand hinter der Tür, die in die hinteren Räume des Gebäudes führte. Die Jägerin begann, ihre Einkäufe in den Korb zurückzupacken, damit sie sie nachher zum Auto zurücktransportieren konnte. Apropos – sie wandte den Kopf und spähte aus dem Fenster, doch von ihrem Bruder war noch immer nichts zu sehen. Wo, verdammt noch mal, blieb er?! So lang konnte noch nicht einmal ein wichtiges Gespräch mit Noelle dauern!
 

Aber draußen hatte sich nur ein ramponierter SUV zu dem Ford und den Zapfsäulen gesellt. Wenn er nicht bald auftauchte, würde sie nachsehen müssen und am Besten mit der Waffe in der Hand und dem Hund von der Leine.

Sie warf einen Blick zu Addy hinunter, doch die wirkte immer noch entspannt. Wenn also weder die Hündin auf irgendetwas reagierte noch ihre eigenen überirdischen Sinne anschlugen, bemerkten sie die Gefahr dann nicht oder war gar keine da? In letzter Zeit war so vieles nicht mehr so klar geschnitten, nicht mehr schwarz und weiß, nicht mehr so einfach wie früher.

Dann kam Chad mit einem Kübel voll lauwarmem Wasser zurück und lenkte sie ab. Er stellte den Behälter vor der Hündin ab, die sich erhob, etwas daran herumschnüffelte und dann die Schnauze hineinsteckte um geräuschvoll das Wasser aufzuschlabbern.

„Ein schönes Tier.“, bemerkte er und wandte sich dann wieder seiner Aufgabe.

Jacquetta trat zur Seite, so dass die freundliche Frau an die Kasse treten konnte, und reckte wieder den Hals um nach ihrem Bruder Ausschau zu halten. Aber Ben ließ sich einfach nicht blicken. Langsam machte sie sich wirklich Sorgen. Was, wenn tatsächlich etwas passiert war? Wenn man sie eingeholt hatte? Ihre Feinde würden sicher keinen Moment zögern, ihn auf die grausamste Art und Weise umzubringen, die ihnen einfiel. In dieser Hinsicht hatten sie eine erstaunlich weite, vielfältige Phantasie.

Und alleine konnte sie nicht weitermachen, das wusste sie. Sie bückte sich und wuschelte Addy durch das Fell. Die Hündin war eine große Unterstützung, doch sie konnte Ben nicht ersetzen. Niemand konnte das. Ben war ihre Säule, ihr Mittelpunkt, das, auf das sie immer zurückfallen und sich verlassen konnte, ihr Vertrauter, ihr Bruder, die einzige Person, die immer, immer da gewesen war, von Anfang an.
 

Als das Windspiel über der Tür noch einmal erklang, fuhr sie herum, doch es war nicht Ben. Es waren drei Männer von unterschiedlicher Gestalt und in abgetragener Arbeiterkleidung. Ihr Eintreten veränderte die bisher entspanne, beinahe freundschaftliche Atmosphäre im Laden auf einen Schlag. Es war, als würden sie etwas Dunkles mit hereintragen, etwas Bedrohliches, Angsteinflößendes. Jacquettas transzendente Sinne schrien sofort eine wortlose Warnung und Addy wandte sich von ihrem Wassernapf ab, um die klugen Augen auf die Neuankömmlinge zu richten. Die Jägerin würde am liebsten sofort Fersengeld geben, den Laden hinter sich lassen und allem Ärger aus dem Weg gehen.
 

Aber nicht nur sie reagierten, auch die anderen Anwesenden bemerkten die Veränderung, die sie mit ihrer Übersinnlichkeit sofort erkannte; die subtilen Signale, die unbewusst versendet und empfangen wurden. Die beiden Schwarzen und der Alte unterbrachen ihr bisher angeregtes Gespräch. Die Blonde und der Dunkelhäutige, der sich inzwischen einen ganzen Stapel von Eispackungen auf die Arme geladen hatte, stoppten ihre scherzende Unterhaltung. Der Trucker entschied sich endlich für eines der beiden Sandwiches, über die er grübelte. Das kleine Mädchen versteckte sich hinter ihrer Mutter, die plötzlich gar nicht mehr so wirkte, als hätte sie Zeit. Chad verfolgte die Männer kurz mit dem Blick, trotz seines Handys, das schon einige Augenblicke quakende Töne von sich gab und anzeigte, dass eine SMS eingetroffen war.

Jacquetta wünschte sich, ihre Hündin wäre schnell fertig, aber sie hatte sich wieder ihrem Napf zugewandt. Oder zumindest, dass Ben da wäre. Jemand wie er, groß, muskulös und gefährlich auf eine ganz andere Art als diese Typen, wurde eher selten blöd von der Seite angequatscht. Während sie nicht nur schwanger war, sondern eine junge, hübsche Frau mit einer drohenden Aura meist eher als Herausforderung denn als Warnung betrachtet wurde. Und er hätte sowieso schon lange hier sein müssen!

Wo, verdammt, blieb er nur?!
 


 


 

Die beleuchtete Tankstelle sah von ihrem Beobachtungsplatz aus wie eine kleine Insel in einem Meer von Dunkelheit. Einladend, beinahe, heimelig. Mehr als ein halbes Dutzend Autos waren unter dem Dach und um das Gebäude herum geparkt, die meisten auf dem kleinen Parkplatz. Irgendwo auf der anderen Seite des Gebäudes stand ein alter Jeep Cherokee im Parkverbot, kaum zu sehen. Ohne das Fernglas war auch der Mann nicht zu identifizieren, der neben dem Wagen stand und telefonierte. Aber der SUV, ramponiert und zerkratzt, der zwischen dem Ford und dem Taxi beinahe auf dem Präsentierteller stand, war gut zu erkennen.

„Das sind sie.“, sagte Elijah und obwohl es keine Frage war, bestätigte Buster und nahm das Fernglas herunter.

„Sie geben sich ja nicht sonderlich Mühe, sich zu verstecken.“, bemerkte Christmas vom Beifahrersitz. „Gib mal her.“

Er reichte ihr den Feldstecher nach vorn und sie hielt ihn sich sofort vor die Augen. Sie war eine hübsche, winzige Frau Anfang Dreißig mit lockigem, blondem Haar, das im Moment zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebunden war, und einer süßen, kleinen Stupsnase. Aber hinter diesem reizenden Exterieur verbarg sich eine taffe FBI-Agentin, die schon jung eine steile Karriere gemacht hatte und gefährlichste Verbrecher zu Geständnissen geängstigt hatte.
 

Buster dagegen sah ganz genau so aus, wie sich Leute jemanden mit seinem Namen vorstellten. Groß und muskulös, wild und bedrohlich, mit sonnengebräunter Haut und dunkelbraunem Haar, das in alle Richtungen abstand. Sein Gesicht bekam meistens die Bezeichnung ‚interessant‘ verpasst, weil niemandem etwas Passenderes einfiel, und seine Nase war so platt, als hätte sie ihm jemand eingeschlagen.

Doch mit der Charakter-Aussehen-Beziehung verhielt es sich bei ihm genau wie bei Christmas – er war eher der zurückhaltende, nachdenkliche Typ, selbst wenn er nicht so aussah, keinesfalls dumm, aber manchmal naiv, auch wenn sein Job ihm viel von seinen arglosen Illusionen über die Welt genommen hatte.

Elijah, ihr beider Boss und Teamleiter, der im Moment hinter dem Steuer saß, war wieder ein ganz anderes Blatt, ein großer, kräftiger Mann mit graumeliertem Haar, eher grau denn das ursprüngliche Dunkelbraun, und ausdrucksstarken Gesichtszügen. Aber das, was bei ihm am Häufigsten auffiel, war seine Aura, die eine seltsame Mischung aus Gelassenheit, Gefährlichkeit und Intelligenz ausstrahlte.

Während seine beiden Agents ihre Aufmerksamkeit der Tankstelle widmeten, in der vor ein paar Minuten zwei höchst gefährliche Verbrecher und ein Trickbetrüger-Schrägstrich-Dieb-Schrägstrich-Spieler verschwunden waren, telefonierte er mit der nächstgelegenen Zentrale nach Verstärkung.
 

„Hören Sie, das sind keine nullachtfünfzehn Diebe. Das sind nicht mal nullachtfünfzehn Schläger. Diese beiden Typen sind extrem gefährliche Killer und ich sehe hier mindestens zehn Zivilisten in ihrer unmittelbaren Nähe. Wenn Sie uns nicht sofort Verstärkung herschicken, werde ich Sie für jeden Mord, jede Folter, jede Vergewaltigung verantwortlich machen, die diese beiden begehen. Haben Sie mich verstanden?!“

Kurze Pause.

„Das ist mir scheißegal! Und wenn es weiße Mäuse schneien würde oder die ganze verdammte Welt vor die Hunde geht! Sie schicken mir sofort ein paar Agents her und dazu auch noch Verstärkung durch die örtlichen Polizisten!“

Buster unterdrücke ein spöttisches Lächeln. Auch wenn er oft genug auf der falschen Seite von Elijahs drohenden Anweisung gewesen war, so wusste er doch auch, dass es oft genug absolut notwendig war. Mit seinem Boss war ganz sicher nicht gut Kirschen essen, vor allem nicht, wenn er in einer solchen Laune war wie dieser, mit zwei entflohenen Gewaltverbrechern, denen sie schon seit einigen äußerst anstrengenden Tagen folgten in einem Geschäft voller unschuldiger Zivilisten. Aber man bekam sonst auch nicht einen Job wie diesen, bei dem man auf schwerste Verbrechen angesetzt wurde, ohne einen gewissen Biss.
 

Bei den Schwerverbrechern handelte es sich um Kenneth Bennington, der Spaß daran hatte, anderen den Schädel einzuschlagen, nachdem er sie erst über länger Zeit verprügelt und vielleicht auch noch seine Zigaretten auf ihnen ausgedrückt hatte, und Nickolas Combs, den Kenneth verehrte, seit er ihn einige Wochen vorher im Knast kennen gelernt hatte. Er war weit schlimmer als Kenneth, ein sadistischer Mörder, der kein Gewissen mehr hatte – falls da je eines gewesen war. Der Dritte im Bunde war ‚Lucky‘ Craig Maddox, der nur aus Zufall in die Flucht hineingerutscht war. Er musste inzwischen genug von seinen gewalttätigen, brutalen Begleitern haben und würde vermutlich beim ersten Anzeichen von Ärger in Form von Gesetzeshütern entweder aufgeben oder verschwinden.
 

„Sorgen Sie dafür!“ Mit diesem letzten Satz unterbrach Elijah die Verbindung. „Die Verstärkung braucht noch eine Weile.“ Schweigend wandten die drei Agents sich wieder der Tankstelle zu. Was jetzt?

„Ich gehe rein.“, erklärte Christmas plötzlich. „Wir können nicht so lange warten. Ich glaube nicht, dass das noch lange friedlich bleiben wird, und dann haben wir unsere Chance vertan. Und ich bin die einzige, die sie noch nicht kennen.“

Sie konnten ja nicht zulassen, dass jemand verletzt wurde. Für einen Moment herrschte Stille im Wagen.

„Okay.“, stimmte Elijah dann zu. „Du nimmst den Wagen. Buster und ich gehen hinten rum und wir ziehen auch gleich diesen Knaben aus dem Verkehr.“ Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den Mann neben dem Cherokee, der noch immer telefonierte, inzwischen angeregter, wenn die heftigen Bewegungen und der unruhige Gang ein Anzeichen waren.

„Keine unüberlegten Handlungen, zieh ihre Aufmerksamkeit nicht auf dich, warte, bis sie reagieren oder wir da sind, und wenn du’s schaffst, schick die Zivilisten raus.“, wies Elijah seine Senior Field Agentin an.
 

Christmas nickte und nahm ihr Waffenholster ab, um sich die Pistole – Glock 22, Standardausgabe für das FBI – hinten in den Hosenbund, unter die dicke Jacke, wo man sie nicht sehen konnte. „Ich nehme das Auto.“, erklärte sie. „Sonst sieht das seltsam aus. Beeilt euch, ich hab ein echt schlechtes Gefühl bei dieser Sache.“ Sie verzog das Gesicht.

Der Boss nickte, als würde sie ihm aus der Seele sprechen, und Buster gab einen zustimmenden Laut von sich. Es war tatsächlich, als würde eine dunkle, unheilbringende Wolke über ihnen hängen, die Katastrophen und Desaster ankündigte. Diese Verbrecherjagd konnte in nichts Gutem enden.

Buster stieß die Tür des dunklen Ford Mondeo auf und kletterte hinaus. Sofort schlug ihm eisige Kälte entgegen, anscheinend waren die Temperaturen noch einmal gefallen. Der Wind pfiff ihm um die Ohren und er rieb die Hände aneinander, um sie wieder zu erwärmen, ehe er sie in die Jackentaschen schob.

Elijah stellte sich neben ihn, während Christmas auf den Fahrersitz rutschte. Sie zeigte ihnen den erhobenen Daumen und startete das Auto. „Bis gleich. Passt auf euch auf.“ Sie waren ein eingespieltes Team, darum bedurfte es keiner weiteren Worte. Elijah klopfte noch einmal kurz auf das Wagendach, dann machten sie sich auf den Weg.

Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln und manchmal schlitterten sie über glatte Stellen auf dem Asphalt, aber sie kamen gut voran. Als Christmas den Ford an die letzte freie Zapfsäule stellte, hatten sie schon beinahe die Hälfte des Weges hinter sich.
 

„Wir ziehen erst unseren Dauertelefonierer da drüben aus dem Verkehr.“, erklärte Elijah und nickte zu dem Cherokee hinüber. Der Mann sah inzwischen ziemlich erregt aus, stapfte Spuren durch den Schnee und gestikulierte wild mit der freien Hand. Als sie ihn endlich erreichten, war Christmas schon längst im Geschäft verschwunden.

Dass bis jetzt alles still blieb, war ein gutes Zeichen. Vielleicht hatten die Flüchtlinge doch nur vor, kurz zu tanken und sich einen Snack zu besorgen. Das würde den Verfolgern natürlich zugute kommen, dann konnten sie ruhig auf Verstärkung warten und sie dann ein Stück die Straße hinunter stellen. Dann wäre die Gefahr, dass Zivilisten ins Kreuzfeuer gerieten, auch geringer.

Elijah schlug einen Bogen, damit man sie von den Fenstern des Ladens aus nicht sehen konnte. Der junge Mann mit dem Handy am Ohr drehte sich zu ihnen um und blickte ihnen misstrauisch entgegen. Was machten auch zwei Männer hier in dieser abgelegenen Gegend ohne ein Auto?

„Einen Moment.“, sagte er in das Telefon und nahm es herunter. bevor er etwas sagen konnte, holte Elijah schon seinen Ausweis heraus. „FBI.“, erklärte er und hielt ihn dem Mann unter die Nase. „Ich möchte Sie bitten, hier zu bleiben, sich hinter ihrem Auto zu verschanzen, und sich nicht weiter der Tankstelle zu nähern.“ Der Jeep stand weit genug im Windschatten von allen Gebäuden, dass er weder auffiel noch in der Schusslinie stand. Wenn der Mann jetzt wegfuhr, würde es vielleicht als Auslöser reichen, dass Combs durchdrehte.
 

„… wie bitte?“, war die Antwort des Mannes, die Stimme beherrscht und tief. „Wollen Sie damit etwa sagen, dass da irgendein Verbrecher drin ist?“ Er erfasste die Lage erstaunlich schnell. Und wirkte ziemlich ruhig dabei.

Sein dunkles Haar fiel ihm wirr über die Augen, die immer wieder zur Tankstelle hinüberhuschten. „Aber Jack ist da drin…“ Der letzte Satz war unverkennbar an ihn selbst gerichtet, nicht die beiden Agents.

„Wir werden uns darum kümmern, dass wir … Jack und alle anderen Zivilisten in Sicherheit bringen.“, schaltete Buster sich ein und der Blick, der ihm geschenkt wurde, zeigte deutlich, wie viel die Worte dem Anderen bedeuteten: gar nichts. Er glaubte nicht daran, dass sie das konnten und vermutlich hatte er auch recht damit. Es würde schwer werden; beengter Raum, wenig Ausgänge und alles.

„Wie heißen Sie?“, wollte Elijah wissen und ging an ihm vorbei um ihn in Richtung Jeep zu lenken.

„Benja-“ Der Mann unterbrach sich. „Blackburn.“

„Kommen Sie, Mr. Blackburn, hinter das Auto, dort sind Sie am sichersten. Bleiben Sie unten, wir holen Sie, sobald die Gefahr vorbei ist.“

Der Boss hatte normalerweise eine sehr überzeugende Art, dass man seinen Anweisungen unwillkürlich folgte, doch der Angesprochene rührte sich keinen Zentimeter, sondern blieb hartnäckig an Ort und Stelle. „Aber ich muss jetzt weg. Und ich muss Jack mitnehmen…“ Er blickte zum Laden hinüber als würde er hoffen, Jack käme in diesem Moment aus der Tür getanzt.
 

„Es tut mir Leid, aber Sie können jetzt auf keinen Fall gehen.“, bemerkte Elijah und seine Stimme war streng. „Ganz egal, ob Ihr Begleiter noch drin ist oder nicht. Gehen Sie hinter das Auto, bleiben Sie unten und warten Sie.“

Der Mann starrte ihn feindselig an – Jack musste ihm echt nahe stehen – und öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Vermutlich war es eine Beleidigung, ein Fluch, eine weitere, lautstärkere Weigerung. Doch dann schloss er den Mund wieder, starrte die beiden Agents finster an und tat, was man von ihm verlangt hatte.

Buster fragte sich, ob er tatsächlich klein beigab oder nachher noch Schwierigkeiten machen würde. Doch irgendetwas sagte ihm, dass Blackburn nicht die ganze Zeit hinter seinem Jeep sitzen bleiben würde. Anscheinend war Jack – sein Bruder? Freund? … Sohn? – ihm viel zu wichtig und er hielt sich vermutlich auch für hart genug, sich in das kleine Standoff zwischen FBI-Agenten und Gewaltverbrechern einzumischen. Verdammt.

Buster wechselte einen Blick mit seinem Boss, doch dem schien das im Moment ziemlich egal zu sein. Sie entfernten sich von dem Jeep, wieder voll auf ihre Aufgabe konzentriert. Elijah zog seine Kanone und deutete auf die einfache Metalltür, die wenige Meter von ihnen entfernt in die Wand eingelassen war. „Hintereingang.“, erklärte er, während Buster seine eigene Waffe zog, entsicherte und routinemäßig überprüfte. „Wir sollten uns beeilen.“ Damit setzte er sich in Bewegung, nur um ein zwei Schritte später wieder stehen zu bleiben, den Kopf schief gelegt als würde er lauschen.
 

„Was ist…?“, erkundigte sich der jüngere Agent. Er konnte nichts hören. Oder doch…? Da war etwas… Erst dachte er, es wäre etwas wie sehr seltsamer, sehr leiser Donner, tief und grollend. Aber es erfüllte die Luft und es wurde immer lauter.

Nein, es wurde nicht lauter, es kam näher.

Ihm durchfuhr es kalt und die kleinen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf. Das Geräusch war unheimlich, erschreckend und rief Ängste in ihm wach, von denen er gar nicht gewusst hatte, dass sie da waren, so tief vergraben und versteckt waren sie. Es war, als käme es nicht von dieser Erde, sondern von Orten, böserer und finsterer noch als selbst ihre kleine, entstellte Welt, in der Monster wie Nick Combs frei herumliefen.

Dann erkannte er schlagartig, was es war: Hundegebell.

Es mussten ziemlich große Hunde sein, der tiefen Tonlage des Gebells nach zu urteilen auch wenn sich das höhere Gekläff von kleineren mit hineinmischte. Und es schien von überall her zu kommen.

Es war verdammt unheimlich.

Unnatürlich.

Richtige Hunde würden sich nie so verhalten, das wusste Buster, in seiner Familie gab es immerhin genug von den Tieren.
 

„Was zum…?“ Das war absolut nicht natürlich. Er warf einen Blick auf Elijah, dessen Schultern zu einer defensiven Haltung hochgezogen waren, sich aber sonst nicht rührte, und dann einen zu dem Jeep hinüber, hinter dem Blackburn kauerte. Oder gekauert hatte. Jetzt spähte er – wieder mit dem Handy am Ohr – über die Motorhaube. Seine Augen wirkten wie schwarze Löcher und sein Gesicht unbewegt. Er ließ nach ein paar letzten geflüsterten Worten das Telefon zusammengleiten und schob es mit schlafwandlerischen Bewegungen in die Jackentasche. Buster wollte ihn gerade anweisen, sich am besten im Jeep selbst zu verstecken, doch ehe er etwas sagen konnte, hallten Schüsse durch die Nacht.

Und die Hunde verstummten abrupt. Wenn das mal kein schlechtes Zeichen war!
 


 


 

Christmas empfand die Wärme, die ihr im Laden entgegenschlug, als beinahe angenehm. Doch ihr gesamter Körper stand unter nervöser Spannung und beim Anblick der drei Verbrecher war ihr Adrenalinspiegel schlagartig angestiegen. Sie brauchte nur Augenblicke, um den Innenraum des Ladens in sich aufzunehmen und sich einen Überblick zu schaffen – vor allem über die Anwesenden.

Das erste, was ihr dabei auffiel (und was sie sofort verfluchte, sie hasste so etwas), war, dass sich hier nicht nur ein Kind und vier Teenager befanden sondern auch eine hochschwangere, junge Frau. Derartige Geiseln, vor allem, wenn sie dann tot in den Schlagzeilen endeten, was durchaus noch der Fall sein konnte, waren immer die Schlimmsten.

Die drei jungen Mädchen, die sich flüsternd und kichernd immer näher an das Regal mit dem Alkohol heranschoben, würden ganz sicher auch kontraproduktiv aufführen. Teenager dieses Schlages tendierten meist zur Hysterie. Am besten wäre es einfach, Combs würde seine beiden Kameraden zur Eile antreiben und dann von hier verschwinden, ohne irgendeine Waffe zu ziehen, ohne irgendwen zu bedrohen oder sonst irgendwas anzustellen.

Christmas nickte dem jugendlichen Verkäufer zu – wer war dafür verantwortlich, dass ein halbes Kind um diese Uhrzeit hier arbeitete, zum Teufel noch eins?! – und schlenderte an den Regalen vorbei. Unter dem Pony spähte sie unauffällig zu den drei Männern hinüber, wegen denen sie hier war.
 

Benningtons massiger, großer Körper war nicht zu übersehen, Muskeln wie ein Berg und Schultern so breit, dass es wirkte, als würde er nicht durch eine normale Tür passen. Combs war ebenfalls groß und muskulös, aber da war mehr Balance in seiner Gestalt, er wirkte ausgeglichener, nicht so massiv. Der letzte im Bund, Lucky Craig, hob sich deutlich von ihnen ab, kleiner und schlanker, sympathischer.

Christmas konzentrierte ihren Blick schlagartig auf das Regal vor sich – Hygieneartikel für Frauen, wie passend – als Combs sich zu ihr umdrehte. „Komm jetzt, Addy.“ Die schwangere Frau, kaum mehr als ein Mädchen, mit brünettem, zu einem langen Zopf geflochtenem Haar und blauen Augen wie Eis, zog an der Leine ihres Hundes, einem Kalb von einem Tier. Vermutlich konnte sie an dem Strick ziehen, so lang sie wollte, wenn Addy sich nicht von selbst bewegte, würde sie keinen Zentimeter weichen. „Wir müssen jetzt wirklich gehen und Ben wartet sicher schon.“ In der anderen Hand hielt die Frau einen der hauseigenen Einkaufskörbe, in den nicht einmal mehr ein Müsliriegel passe, so voll war er. „Brauchst du Hilfe, Missy?“, wollte einer der Kunden wissen, der gerade an die Kasse trat, ein Mann mit Truckercap und wettergegerbtem Gesicht.
 

Christmas wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ab. Sollten die beiden das untereinander ausmachen und dann von hier verschwinden; zwei Leute weniger, um die sie sich Sorgen machen musste. Bennington starrte im Moment die drei Schülerinnen ziemlich begehrlich an. Das sah nicht gut aus… Christmas konnte genau sehen, worauf das hinauslief. Wo blieben denn Buster und ihr Boss, zum Teufel noch eins?! Allein konnte sie hier nicht viel tun!

Wenigstens driftete der größte Teil der Kunden in Richtung Kasse. Eine hellblonde junge Frau schnappte sich im Vorbeigehen eine Packung Aspirin aus dem Regal, der dunkelhäutige Mann wählte nicht einmal eine seiner vielen Eispackungen aus, sondern schleppte alle zur Kasse, und auch die kleine Gesprächsrunde bei den Zeitungsständern löste sich auf. Anscheinend hatten sie alle vor, den Laden so schnell wie möglich zu verlassen.

Was die Anwesenheit von drei Verbrechern so alles mit sich brachte, selbst wenn niemand wusste, wie gefährlich sie wirklich waren… Vielleicht hatten sie Glück und die meisten Zivilisten wären verschwunden, wenn die Situation eskalierte.

„Was starrst du so, du Ochse?“, erklang plötzlich die Stimme eines der drei Mädchen und in dem Moment wusste Christmas, dass alles vorbei war. Augenblicklich wandte sie ihre Aufmerksamkeit auf ihre Zielpersonen zurück.
 

Bennington starrte das Mädchen nieder, das ihn eben angepflaumt hatte, seine Augenbraue zuckte und er rang nach Worten. Maddox hatte sich entfernt und fummelte nervös an diversen Schokoladentafeln herum. Er fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Combs dagegen schien Spaß an der Sache zu haben und seine Augen huschten zwischen seinem jüngeren Begleiter und den drei Mädchen hin und her.

Der Chihuahua in der Tasche der Blondine kläffte aufgeregt und penetrant. Von vorn drang das Rascheln von Plastik, das Piepsen der Kasse und die Geräusche, die der Riesenhund beim Trinken machte, zu ihr.

Bennington starrte die Brünette, die ihn so schief angemault hatte an, und befahl mit einem hässlichem Grinsen im Gesicht: „Reiß das Maul nicht so auf, Schlampe. Die Gesellschaft einer Frau genießt man auf eine andere Weise.“

Das Gesicht des Mädchens verzog sich angewidert. Aber bevor sie eine scharfe, höhnische Antwort geben konnte, die womöglich darin gemündet hätte, dass er sie einfach über den Haufen schoss, schaltete Combs sich ein. „Ja, warum nicht?“, grinste er und griff nach hinten unter seine Jacke. Christmas echote Combs‘ Bewegung augenblicklich, aber einen Moment zu spät, und als sich ihre Finger um den Griff ihrer Glock schlossen, war der Mann längst dabei seine eigene Waffe zu ziehen, eine gestohlene Beretta.
 

„Warum“, begann die Blondine, die seinen Vorsatz nicht erkannte, und schob sich neben ihre Freundin. „glaubt ihr ekligen Typen eigentlich immer, dass wir…“ Ihre Bemerkung endete in einem schrillen Kreischen, als er die Beretta auf sie richtete.

Combs‘ Grinsen wurde breiter. „Jetzt habt ihr keine blöde Bemerkung mehr auf den Lippen, was?“

Die FBI-Agentin überlegte einen Moment, hinter ihrem Regal abzutauchen, ließ es aber sein – dann könnte sie nichts mehr sehen. Sie ließ ihre Waffe jedoch, wo sie war und hoffte, dass die Verbrecher sie nicht durchsuchen würden. Das wäre vermutlich ihr Tod.

Als jetzt auch Bennington seine Waffe zog, wurden auch die anderen Gäste aufmerksam, und es wurde mit einem Mal unruhig. Stimmen, Schreie und die Geräusche hastiger Bewegungen mischten sich durcheinander. Irgendetwas fiel polternd um, aber sie wagte nicht, den Blick von den dreien zu nehmen.

„Niemand verlässt das Gebäude.“, bestimmte Combs und seine Stimme war ruhig und amüsiert. Soviel zeigte nicht nur sein Tonfall, sondern auch das Grinsen, das seine Lippen umspielte. Als sei das hier alles ein Spaß, ein Spiel, bei dem er allein die Regeln bestimmte – und er allein beschloss, wer überleben würde.

Teufel noch eins.
 

Christmas schob sich hinter ihrem Regal hervor und tat, als sei sie Zivilistin. Buster und Elijah konnten die Situation noch herumreißen, wenn sie bald auftauchten, aber nicht, wenn diese Typen herausfanden, was sie war.

„Hey, du!“ Die schwangere Frau mit dem Hund und dem vollgepackten Einkaufskorb stand einige Schritte von der Tür entfernt, als hätte sie einfach verschwinden wollen. Combs hatte seine Waffe auf sie gerichtet.

Die anderen Kunden standen durcheinander, ein paar waren bleich, andere hatten die Hände erhoben, wie man es immer in Filmen sehen konnte. Das kleine Mädchen weinte, auch wenn sie absolut keine Ahnung haben konnte, was hier wirklich abging, und die andere junge Frau war grün im Gesicht, als würde sie sich gleich übergeben.

„Craig, verrammel‘ die Tür.“, befahl Combs, doch Maddox rührte sich nicht von der Stelle.

Er hob in Abwehrhaltung beide Hände. „Können wir nicht einfach nehmen, was wir brauchen, und dann gehen?“

„Nein. Verrammel‘ die Tür.“ Lucky Craig wirkte nicht glücklich über diese Aufgabe, aber er setzte sich bin Bewegung.

„Lassen Sie mich gehen, bitte.“, sagte die Schwangere und drehte sich langsam um, die Hände deutlich zu sehen, eine um die Hundeleine geschlossen, die andere um den Henkel ihres Einkaufskorbes. Sie blickte Combs direkt ins Gesicht und es sah nicht so aus, als hätte sie Angst.
 

Christmas runzelte die Stirn und fragte sich, wie ihr hatte entgehen können, dass diese Frau nicht normal war. Keine normale Frau und schon gar keine Schwangere reagierte so ruhig in einer solchen Situation. Vielleicht war sie Polizistin oder erfahrene Soldatin. Aber dazu war sie eigentlich zu jung…

Christmas fluchte leise; es hätte ihr vorher auffallen müssen. Eigentlich konnte sie sich auf ihre Menschenkenntnis und ihre Instinkte verlassen. Vielleicht war sie einfach zu sehr auf die drei Verbrecher konzentriert gewesen, weswegen ihr dies entgangen war.

Der große Hund setzte sich auf den Boden und nahm seinerseits Combs ins Visier, der das nicht einmal zu bemerken schien. Er wirkte wie die Ruhe selbst, gelassen und mit einem traurigen, seelenvollen Blick, wie nur Hunde es schafften.

„Nein. Komm zurück, Schätzchen.“ Er bedeutete mit der Hand, in der er die Waffe hielt, wo er sie genau wollte. „Ihr auch, hopp, hopp. Da rüber.“ Die letzten Worte sagte er zu den drei Mädchen.

Bennington grinste sie an und diesmal bekam er keine hässliche Bemerkung an den Kopf geworfen. Christmas und die drei Mädchen gesellten sich zu den anderen Geiseln. Sie hatten alle Angst, das war gut zu erkennen, und sie hatten allen Grund dafür. Wenn nicht bald etwas geschah – zum Beispiel, dass Elijah und Buster endlich hereinkamen, Teufel noch eins! – würde es Verletzte und wohl auch Tote geben.
 

Craig war inzwischen an der Tür angelangt und benutzte grausilbernes Klebeband, das an der Kasse herumgelegen hatte, um die beiden Griffe fest zum Umwickeln. Hier würde niemand so bald rauskommen.

„Und was jetzt?“, wollte Maddox wissen und klang herausfordernd und aufsässig. „Hätten wir nicht einfach gehen können? Das wäre doch viel einfacher gewesen. Das FBI wird das hier mitkriegen, auf die eine oder andere Weise.“

Combs warf ihm einen gönnerhaften Blick zu. „Wo bliebe da all der Spaß?“ Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf die Gefangenen, insbesondere die junge Frau, die er vorhin davon abgehalten hatte, zu gehen. „Ich hab noch nie ‘ne Schwangere gevögelt.“, bemerkte er. „Und ich mag feurige Frauen.“

Das Mädchen wurde bleich, sagte aber nichts und ihr Blick war noch genauso fest wie vorher. Doch der Hund knurrte, tief in der Kehle, ein bedrohliches Geräusch, vor dem jeder andere zurückgezuckt wäre.

Combs jedoch wirkte unbeeindruckt. „Halte dein kleines Schoßhündchen an der kurzen Leine, sonst erschieß ich es.“

Ihre Finger drehten sich einmal mehr um die Leine, so dass ihre Haut sich weiß verfärbte, weil der Riemen zu fest einschnitt. Aber sie blieb stumm, der Blick trotzig und unversöhnlich.

Das Hündchen in der Handtasche bellte noch immer und das Geräusch schien ein Echo zu haben, von überall her zu kommen. Verwirrt blickte sie sich um; so einen Effekt hatte sie noch nie mitbekommen und…
 

Der Chihuahua verstummte schlagartig und Christmas bemerkte, dass die Geräusche von draußen kamen – und immer lauter wurden.

„Was ist das, verdammte Scheiße?!“, fluchte Bennington, den Kopf schief gelegt. Er hatte seine Aufmerksamkeit wieder dem brünetten Mädchen gewidmet gehabt, das sich so gut wie möglich zwischen den Freundinnen versteckt hatte, aber jetzt starrte er zum Fenster hinüber.

„Nur ein paar Köter, die draußen Krach machen, du Schlappschwanz.“, antwortete Combs wegwerfend, während Lucky Craig bereits Abstand zwischen sich und die Fenster brachte. Er wirkte jetzt mehr denn je, als wolle er woanders sein. Am besten am anderen Ende der Welt oder wieder im Gefängnis.

„Klingt aber nicht so…“, bemerkte einer der beiden Afroamerikaner, sein Blick besorgt. „Klingt eher nach Tollwut oder so. Und, als würden sie näher kommen.“

„Schnauze!“ Combs holte aus und schlug dem Mann mit dem Pistolengriff ins Gesicht, einfach so. Das ekelerregende Knacken von brechendem Knochen ertönte und mit einem schmerzerfüllten Aufschrei sankt der Mann in die Knie, die Hände vor das Gesicht geschlagen. Blut strömte zwischen seinen Fingern hervor; gebrochene Nase vermutlich.
 

„Derek!“ Der alte Mann war mit einem Schritt bei ihm und versuchte, ihm zu helfen, doch Combs hielt ihn mit vorgehaltener Waffe davon ab, nahm anscheinend Freude daraus, dem Verletzten die Hilfe zu gewähren.

Das Bellen draußen wurde immer lauter und furchterregender und Christmas wurde jetzt unruhig. Es war einfach unheimlich und die Situation, in der sie sich befand, half nicht gerade. Ihre Gedanken rasten. Sie musste doch irgendetwas tun!

Sie hatte eine Waffe im Hosenbund, aber da waren zwei bewaffnete Männer und beide würden schießen, sobald dem anderen etwas geschah. Es war einfach nicht die Zeit dafür, beide abzuknallen, ganz egal, wie schnell sie war.

Bennington warf einen Blick über die Schulter. „Das ist doch nicht normal, Nick!“, bemerkte er und dann versuchte der Trucker einen so plötzlichen Angriff auf ihn, dass es selbst für Christmas überraschend kam, die die ganze Zeit auf eine günstige Gelegenheit gewartet hatte.

Doch Bennington war schnell, schneller als er aussah und er schleuderte den Mann gegen das Regal, auf dem die Kasse stand. Dann schoss er, drei-, viermal. Das kleine Mädchen begann zu kreischen, seine Mutter zog es an sich. Der Trucker brüllte auf, als eine Kugel seine Schulter traf, die anderen schlugen nutzlos in den Boden und das Kassenregister ein.
 

Draußen war das Gebell schlagartig verstummt und für einen Moment herrschte Totenstille.

Dann spuckte Bennington aus und stieß ein Geräusch aus, halb Lachen, halb Schnauben. „Geschieht dir recht, Opa.“, knurrte er und beugte sich vor. Er wedelte mit der Waffe vor seinem Gesicht herum. „Hätteste mal nicht den Helden gespielt.“ Bei den Worten drückte er dem Mann den Lauf der Waffe gegen die Einschusswunde. Der Mann schrie auf.

„So lassen Sie ihn doch zufrieden!“, brüllte die junge Frau. Tränen liefen ihr über die Wangen.

„Du solltest besser zuhören.“, erklärte Combs ihr und legte ihr in einer beinahe väterlichen Geste die Hand auf die Schulter. Sie zuckte zusammen und erstarrte. „Es ist seine eigene Schuld.“ Damit tätschelte er ihren Arm und sie wirkte verängstigter als noch zuvor.

„Jetzt ist aber genug.“, bemerkte Christmas fest und in dem ruhigsten Tonfall, den sie in dieser Situation zustande bekam. „Was wollen Sie von uns?“

„Haben wir hier noch eine Heldin?“, erkundigte der Psychopath sich und wandte nun seine Aufmerksamkeit zu ihr. Jetzt war zwar sie in Gefahr, aber wenigstens lenkte sie ihn von den Zivilisten ab.
 

Zu weiteren Worten kam es jedoch nicht mehr, denn plötzlich fing der große Hund an zu bellen, ein lautes, tiefes Geräusch, drohend und grollend. Jeder im Raum, außer vielleicht seine Besitzerin, zuckten heftig zusammen, als hätte niemand das erwartet – vielleicht, weil das Tier sich bis jetzt so ruhig verhalten hatte. Combs richtete sofort seine Kanone auf es, doch der große Hund beachtete ihn gar nicht. Stattdessen bellte er die Tür an.

„Der muss wohl krank im Kopf sein.“, bemerkte Bennington und machte mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung neben seiner Schläfe, ehe er als einziger über seinen eigenen Witz lachte.

Christmas musterte kurz die Besitzerin, die bleich und abgehärmt wirkte, ängstlich beinahe. Was konnte eine Frau, die jemandem wie Combs so offen ins Gesicht geblickt hatte, erschrecken?!

Dann explodierten die Fenster mit einem Mal. Glassplitter wurden nach innen geschleudert und fühlten sich wie Eisregen auf ihrer Haut an. Riesige Schatten huschten durch ihr Gesichtsfeld. Christmas Hände zuckten aus Reflex zu ihrer Kanone, während sie sich zur Seite warf, hinter eines der Regale um Schutz vor der Detonation zu finden.

Aber es war keine Bombe, kein Sprengsatz – es war mindestens ein Dutzend Hunde in verschiedenen Größen. Jeder einzelne war rabenschwarz, mit verfilztem Fell, Reißzähnen so lang wie ihre Finger und glühend roten Augen, die wirkten, als würden sie brennen.
 

Die großen Glasscherben, die noch vom Türrahmen gehalten wurden, fielen klirrend zu Boden und hinterließen eine Öffnung, groß genug für eine Person. Aber keiner der Menschen machte eine Anstalt dazu, die Chance zu nutzen.

Die höllenschwarzen Hunde knurrten tief und bedrohlich. Ihr Geifer tropfte auf die Fliesen und brannte zischende Löcher hinein, als bestünde er aus Säure.

„Dio mio!“, rief die Südländerin und zog ihre schreiende Tochter enger an sich.

„Oh Gott!“, stöhnte auch die Hellblonde.

„Tut mir leid.“, erklang eine tiefe, melodische Stimme. „Ich fürchte, der hat nichts damit zu tun.“ Der Sprecher stand im Türrahmen und starrte die verwirrten Personen aus gnadenlosen Augen an.

Es war ein Mann, nicht sonderlich groß, mit wildem, hellbraunem Haar, einem niedlichem Grübchen am Kinn und einem ziemlich küssenswerten Mund – und Augen so schwarz wie die Dunkelheit, die sich hinter dem Lichtkreis der Tankstelle erstreckte.

Niemand hatte bemerkt, wie er durch eben diesen Lichtschein gekommen und an die Tür getreten war. Wie der Jäger, der seinen Hunden folgt, die die Beute gestellt haben, fuhr es Christmas durch den Kopf.

Nun stieg er mit flüssigen Bewegungen durch die Reste der Tür. Sein Gesicht war verzogen zu dem grotesken Duplikat eines Grinsens und er bewegte sich, als hätte er ein Ziel und wäre kurz davor, es zu erreichen. Seine Tiere knurrten, der große Hund an der Leine bellte noch immer und das Kind schrie wie am Spieß.

„Wer zum Teufel bist du?!“, brüllte Combs, wütend über die Unterbrechung, und richtete die Waffe auf den Mann.
 

Der seltsame, furchterregende Neuankömmling breitete leutselig die Hände aus, als wäre das hier nur ein kleines Kaffeekränzchen, zu dem er gerade angekommen war. „Du kannst mich Danny nennen.“, antwortete er heiter. „Und nun, bringen wir erst Mal das Kind zum Schweigen, sonst versteht man ja sein eigenes Wort nicht.“ Er schnippte mit den Fingern und sofort verstummte das Gekreische, auch wenn die Kleine ihr Verhalten nicht änderte. Es war, als hätte er ihr einfach die Stimme genommen.

Christmas wurde es übel vor Grausen.

„Was haben Sie getan?!“, brüllte die Mutter und dann schoss Bennington sein Magazin leer – direkt in den schwarzäugigen Mann. Dieser wankte nicht einmal und seine Hunde stießen Geräusche aus, die wie bellendes Gelächter klangen.

Was war hier los, Teufel noch eins?! Das war doch nicht natürlich! Nicht möglich!
 

~~~~~~~
 

So, Auftakt vorbei, ich hoffe, jemand findet es spannend genug, auf den nächsten Part zu warten. (Wer eine Benachrichtigung will, kann mir das sagen.)

Ansonsten weiß ich im Moment nix zu sagen und hab eigentlich auch keine Zeit. ^^ Wer Fragen hat, einfach stellen.
 

Gruß

Sorca~



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Sam_Linnifer
2012-04-19T15:24:24+00:00 19.04.2012 17:24
Mir gefällt die Geschichte sehr gut, vielen Dank dafür :)
Und ich bin schon gespannt, worauf es hinauslaufen wird und wie es weitergeht.
Mir gefällt deine Art zu schreiben und Charaktere darzustellen.
Dass es etwas mit "Supernatural" zu tun hat stört mich nicht, ich hätte es wahrscheinlich nicht einmal bemerkt, hättest du nichts dazu geschrieben, da ich die Serie noch nie gesehen habe.
Allerdings, ich nehme an, dass es damit im Zusammenhang steht, aber der Begriff Wendigo war mir nicht vertraut. In dem Fall war das kein Problem, falls dergleichen aber in Zukunft oft auftaucht, wäre eine kurze Beschreibung ganz hilfreich :)
Das ist dann aber auch der einzige "Kritikpunkt"
Ich würde gern über neue Kapitel informiert werden.
Bin schon sehr gespannt^^
LG
Sam


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