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Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

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49. Kapitel

Ryon war tatsächlich unter der drückenden Last auf seinem Herzen eingedöst, oder hatte einfach einige Zeitlang vollkommen abgeschalten, um sich nicht mit seinen Gedanken auseinandersetzen zu müssen. Das änderte sich jedoch schlagartig, als Geräusche an seine Ohren drangen und er hoch zuckte.

Einen Moment sah er sich irritiert im Raum um, beruhigt dadurch, dass Paige bei ihm war, bis er wieder ganz zurück in die Realität fand. Sofort war er auf seinen Beinen und bei Tennessey, der keine Sekunde später gequält die Augen aufschlug und sie rasch wieder zusammen kniff.

Selbst das im Zimmer vorherrschende Dämmerlicht schien ihm in den Augen weh zu tun. Es wurde Zeit, dass dem ein Ende bereitet wurde.

Ryon füllte das Glas mit dem Wasser, drückte eine der Tabletten auf seine Hand, ehe er sich neben seinen Freund auf das Bett setzte und ihm dabei half, sich etwas aufzurichten.

Seltsamerweise war Tennessey sofort hell wach gewesen und machte den Eindruck, als wüsste er auf Anhieb, wo er war, was vorgefallen war und wieso er sich so beschissen fühlte. Aber wenn man bedachte, mit was sich sein schlafender Geist vermutlich befasst hatte, würde einen das auch nicht wundern.

„Hier. Das wird dir helfen.“, flüsterte Ryon leise, während er ihm die Tablette in die Hand drückte und das Wasser bereit hielt, da er sich vorstellen konnte, wie sich seine Stimme für den Doc im Normalzustand angehört hätte.

Laut Tennesseys früheren Berichten, war es wie ein entsetzlicher Kater nach einem kräftigen Saufgelage, wenn er mit einem anderen Geist gekämpft hatte. Nur ohne das Glücksgefühl. So sah es auch aus.

Mit einem gemurmelten Dank nahm sein Freund die Schmerztablette, steckte sie sich in den Mund und zusammen mit Ryons Hilfe, schaffte er es, das ganze Glas leer zu trinken, ehe er sich mit geschlossenen Augen einen Moment lang zurück sinken ließ.

Während Ryon das Glas erneut füllte, war deutlich spürbar, wie sich Tennessey etwas zu entspannen begann. Seine eigenen Mittel wirkten offensichtlich auch bei Menschen nur allzu gut.

„Sein Name war Dorian Ravenwood. Er war alleine und keiner, der jemals mit ihm zu tun hatte, weiß, dass wir hier sind.“

Wie Ryon befürchtet hatte. Tennessey leierte einfach die Fakten herunter, die für sie von äußerster Wichtigkeit waren. Der Rest wurde einfach unter den Teppich gekehrt. Aber dagegen konnte er nichts tun. Es war die Entscheidung seines Freundes.

„In der World Underneath sind überall Phantombilder von euch aufgehängt, mit einem saftigen Kopfgeld darunter. Dadurch ist er auch auf dich aufmerksam geworden.“

Tennessey sah Ryon einen Moment lang an, ehe er wieder die Augen schloss, um sich trotz der immer noch sichtbaren Kopfschmerzen zu konzentrieren.

„Eine Nummer ist auch angegeben, an der man Informationen abgeben kann. Ich weiß nicht, wie viel die euch weiter helfen wird, aber ich schreib sie euch später auf.“

Er überlegte einen Moment, als müsse er erst die ganzen Eindrücke und Bilder zu etwas zusammen fügen, was Sinn ergab und das schien nicht gerade leicht zu sein. Tennesseys Körper begann schon wieder zu zittern, wenn auch nur leicht.

„Er hat dort angerufen, gab Gründe an, warum er dich tot sehen will und dass ihm das Amulett eigentlich vollkommen egal sei. Daraufhin hat man ihn irgendwann mit einem Hinweis zurück gerufen.“

Erneut schlug Tennessey die Augen auf und sah Paige mit einem Blick an, der Ryon mit einem Schlag wachsam machte.

„Sie wussten noch dein Autokennzeichen und wie dein Wagen aussah.“

Der Schauder, der durch Ryons Körper ging, behagte ihm gar nicht und zugleich konnte er sich nicht dazu durchringen, Paige direkt anzusehen. Irgendwie erahnte er schon die nächsten Worte, ohne sie wirklich zu wissen und weigerte sich deswegen erst recht, hier irgendjemandem die Schuld zuzuschieben. Keiner konnte etwas für ihre Enttarnung und dabei würde es für ihn auch bleiben.

„Anfangs war er noch ziellos. Wusste nicht, wo er zu suchen anfangen sollte, aber irgendwann sah er den Wagen vor dem Waisenhaus parken, in deren Nähe er herum gelungert hatte, da er wusste, dass du mit den Kindern fast jeden Samstag in den Park gegangen bist. Auch das haben sie ihm zugesteckt.“

Jetzt wurde es Ryon eiskalt. Den Werwolf so nahe bei den Kindern zu wissen, schürte in ihm pures Entsetzen, bis ihm wieder einfiel, dass die Sache hiermit erledigt war und da bisher nichts zu ihm durchgedrungen war, ob etwas im Waisenhaus geschehen sei, musste er die Kinder in Ruhe gelassen haben. Jetzt konnte er ihnen wenigstens nichts mehr tun.

„Er hat deinen Wagen bis zu einem seltsam verlassenen Ort verfolgt. Keine Ahnung. Leer stehende Bürogebäude?“

Tennessey zuckte schwach mit den Schultern. Er konnte nur entnehmen, was er in den Erinnerungen gesehen hatte und es war auch nicht weiter wichtig. Schlimm genug, dass Ryon ihn offenbar direkt zu ihrem Haus geführt hatte.

„Allerdings hat er dich anschließend bei dem strömenden Regen aus den Augen verloren, da du wie ein Besessener gerast bist und die Gegend besser kanntest als er. Aber nun war ihm die Richtung bekannt, in die du wolltest … Er war sehr geduldig.“

Offensichtlich.

„In den letzten Wochen hat er sich einfach auf die Lauer gelegt und die Hauptstraße beobachtet, an der Stelle, wo er dich verloren hatte. Allerdings nicht sehr erfolgreich bis … dein ramponierter Wagen mit einer perfekt langsamen Geschwindigkeit jede weitere Verfolgung möglich machte.“

Wenn Ryon in diesem Augenblick nicht schon den Ausgang der Geschichte kennen würde, dann wäre er spätestens jetzt vor Entsetzen aufgesprungen. Zu wissen, dass dieses Monster in der Nähe gewesen war, als Paige sich nicht mehr richtig hatte wehren können und er selbst auch nicht gerade der Wachsamste gewesen war, machte ihn ganz krank vor Sorge.

So aber blieb er mit angespannten Kiefernmuskeln sitzen und hörte weiter schweigend zu. Das alles ging ihm gewaltig gegen den Strich.

„So wie ich das sehe, war er zwar direkt auf eurer Spur, verlor euch aber, als ihr die magische Barriere überschritten habt. Er konnte weder das Haus, noch den Steinwall darum sehen, wusste aber, dass ihr hier irgendwo sein musstet, denn euer Geruch war noch da, auch wenn ihr selbst wie vom Erdboden verschluckt gewesen wart.“

Tennessey rieb sich die Schläfen, als würden ihn die ganzen Bilder und Sinneseindrücke verwirren, die vermutlich auch den Werwolf ganz schön durcheinander gebracht hatten.

„Keine Ahnung, wie er es ausgehalten hat, trotz dieses … grauenhaften Gefühls nicht einfach Panik zu schieben und weg zu laufen. Stattdessen ist er immer wieder die Grenzen abgewandert, hat versucht den natürlichen Selbsterhaltungstrieb seines Tiers zu umgehen, damit er sich der für ihn nicht sichtbaren Mauer näher konnte, aber irgendwie fehlte immer noch der Beweis dafür, dass er nicht doch völlig durchgeknallt war und sich das nicht alles einfach nur einbildete. Bis er gestern Nacht eure Stimmen gehört und euch gewittert hatte. Das war der Anstoß, der bisher gefehlt hatte, um sich dieser unbekannten Lage endgültig zu stellen. Den Rest, kennst du ja.“

Ryon konnte nach dem Gehörten nicht mehr still sitzen. Weshalb er schließlich aufsprang und im Raum auf und ab tigerte. Die magische Barriere war also noch stark genug, ihre Feinde zu verwirren, aber sie hatte sie nicht mehr vollkommen abschrecken können. Dafür mussten sie noch eine Lösung finden, auch wenn es im Augenblick etwas beruhigend war, dass der Werwolf nur auf seine Rache gesinnt hatte und somit niemanden über den Verbleib dieses Anwesens unterrichtet hatte. Wirklich nur ein kleiner Trost. Vor allem würden sie jetzt die Autos los werden müssen, was bei dem zerbeulten Wagen im Graben auch eine hervorragende Idee war, wenn man den Inhalt des Kofferraums bedachte. Tyler musste ihnen andere fahrbare Untersätze besorgen, die sie abwechseln konnten und somit weniger schnell auf sie aufmerksam machte.
 

Dass Ryon wie auf Kohlen durchs Zimmer lief und seine Stirn durchfurcht war, als hätte er mindestens solche Kopfschmerzen wie der arme Tennessey, half wenig dabei, die drückende Stimmung im Raum zu verbessern.

Paige lehnte sich nach vorne, stützte sich mit den Unterarmen auf ihre Knie und faltete die Hände. Kleine Feuerkugeln entstanden zwischen ihren Handflächen, bloß um von Paige zerdrückt zu werden und neu zu entstehen. Sie riss sich wirklich zusammen.

Würde sie der inneren Anspannung nachgeben, sie würde lichterloh in Flammen stehen. Aber auch das half ihnen nicht weiter.

An Tennessey gewandt, versuchte sie ein winziges Lächeln, bevor sie sprach.

„Wenn es dir zu viel wird, musst du es mir sagen. Aber ich hätte da ein paar Fragen...“

Der Arzt schlug die Augen auf und nickte schwach, was Paige etwas entspannte. Sie wollte nicht mehr darüber wissen, was Tennessey im Kopf des Werwolfs an anderen Grausamkeiten gesehen hatte. Diese Qualen wollte sie ihm keinesfalls auferlegen.

„Wenn in der World Underneath Steckbriefe von uns hängen, wundert es mich, dass die Scheusale nicht vor dem Grundstück Schlange stehen... Es gab Zeiten, da bin ich selbst bei meinem zwielichtigen Job auf Andere getroffen, weil der Preis entsprechend hoch war.“

Wahrscheinlich galten sie als gefährlich. Zumindest Ryon, wie sie mit einem Blick auf ihn feststellte. Sie selbst war im Vergleich zu einem Wandler seiner Statur eine Spinne, über die man nur ein Glas stülpen musste, um sie zu fangen.

„Dann ist Boudicca also so weit, dass sie so stark in die Öffentlichkeit tritt... Was zumindest bedeuten muss, dass wir ihr auf die Nerven gehen.“

Etwas, das Paige innerlich ein gewisses Triumphgefühl vermittelte. Immerhin hätte man sie auch damals vor dem 'Fass' abfangen und töten können. Oder in ihrer Wohnung, wenn Ryon dort nicht für 'Ruhe' gesorgt hätte.

„Ich weiß, dass ich meinem Naturell entsprechend vielleicht übertreibe ... aber wäre es nicht eine Idee, einfach diese Nummer zu wählen? Nicht unbedingt jemand von uns beiden, aber ... wir könnten ein paar Sachen heraus bekommen. Vielleicht sogar, wo sich der Zirkel aufhält.“

Die Kugel zwischen ihren Händen war zu einem kleinen Ball angewachsen, der sich träge drehte, während Paige sprach. Sie wollte endlich etwas tun. Es sollte endlich vorbei sein!
 

Ryon hörte zu, während seine Schritte ihn immer weiter trieben. Würde er nicht wenigstens auf diese Weise sich etwas abreagieren, hätte er sich irgendetwas gesucht, dass er zu Kleinholz verarbeiten konnte. Er war nicht nur stinksauer über diese ganze Situation, sondern fühlte sich zugleich auch hilflos und wie ausgeliefert. Dabei ging es ihm noch nicht einmal um ihn selbst, sondern um all die anderen, um die er sich Sorgen machte.

Hätte es irgendetwas gebracht, er wäre sofort zu dieser verdammten Hexe gegangen und hätte ihr einfach gegeben, was sie wollte. Aber das konnte er nicht.

Abrupt blieb Ryon stehen, presste die Augenlider zusammen und versuchte seinen Zorn zu bändigen, doch das schien beinahe unmöglich.

Seit dem Tod des Werwolfes war da in ihm ein klaffendes Loch, das sich mit all dem Mist zu füllen begann, was er in den letzten Jahren so erfolgreich hatte von sich abprallen lassen können. Wut, Verzweiflung, Hass, Hilflosigkeit und einem ohnmächtigen Zorn, der so heftig war, dass es ihn körperlich schmerzte.

Mit einem grollenden Laut in seiner Brust, packte er das Amulett, riss es sich über den Kopf und warf es mit solcher Wucht gegen die Wand, dass der Putz abbröckelte, ehe es klirrend zu Boden fiel.

Ohne weiter darauf zu achten, tigerte er erneut im Raum auf und ab, während seine Gedanken sich wie ein Wirbel nur noch zu kreisen schienen, ohne eine hilfreiche Lösung auszuspucken.

Paige hatte recht. Sie konnten die Nummer wählen und wenn sie Glück hatten, würden sie vielleicht sogar etwas damit erreichen. Aber diese Schlampe von Hexe war sicherlich nicht so dumm, diese Anrufe direkt in ihrem Versteck entgegen zu nehmen, ansonsten könnten sie nämlich ziemlich schnell den Standort der Rufnummer heraus finden und eigentlich glaubte Ryon nicht, dass sie dieser Frau auf die Nerven gingen, sondern viel mehr, wollte sie ihnen das Leben zur Hölle machen.

Es war vermutlich pures Glück, dass bei ihnen noch keine Schlange vor der Haustür stand, da sie in letzter Zeit nicht die Möglichkeit gehabt hatten, sich in der World Underneath oder auch sonst wo, großartig blicken zu lassen. Sie waren mit Nachforschungen beschäftigt gewesen, die trotz allem, noch immer irgendwie kein bisschen hilfreich waren und auch absolut keine Möglichkeiten aufwiesen, wie sie diese verfluchte Hexe endlich erledigen konnten und ihren ganzen Zirkel gleich mit.

Das Amulett… Alles schien von diesem verfluchten Amulett abzuhängen. Dabei wussten sie noch nicht einmal, wieso dieses Scheißding so wertvoll sein sollte. Einmal davon abgesehen, dass es für ihn einen persönlichen Wert hatte, auch wenn er das im Augenblick nicht so empfinden konnte.

Gott, er wollte schreien!

Doch statt diesem Drang nachzugeben, stellte sich Ryon schließlich ans Fenster und schob die Vorhänge ein Stück zur Seite.

Er verschränkte seine Hände vor der Brust, um sie außer Gefecht zu setzen und starrte hinaus in das trostlose Grau des Tages. Jede Hoffnung schien vollkommen zerstört zu sein, aber wie er sich selbst geschworen hatte, würde er diese Empfindung nicht laut vor Paige aussprechen. Denn trotz allem würde er kämpfen, auch wenn er seine Zweifel hatte.

„Wenn du mir die Nummer aufschreibst, kann ich zumindest heraus finden, wo sich die Stelle befindet, an der die Anrufe entgegen genommen werden. Vielleicht gibt es von dort aus einen Hinweis darauf, wie wir den Unterschlupf der Hexe ausfindig machen können.“

Einen Moment schwieg er, ehe er leise, aber mit einem donnernden Grollen in der Stimme hinzufügte: „Ich bin es leid, mich zu verstecken. Vielleicht kommen wir weiter, wenn wir sie einfach angreifen…“
 

Als Antwort auf ihren Vorschlag bekam sie von Ryon ein Schnauben, während er weiter durch das nicht gerade riesige Zimmer stapfte und offensichtlich bei jedem Schritt wütender wurde. Es war abzusehen, dass er in irgendeiner Weise demnächst explodieren würde. Paige war bereits dabei aufzustehen und zu ihm zu gehen, als sie instinktiv zurück zuckte, als etwas gegen die Wand flog und scheppernd auf dem Boden landete.

Ihr Herzrasen kam davon, dass sie sich wirklich erschrocken hatte, aber dass sie nun wie festgeleimt auf der Bettkante verharrte, hatte auch andere Gründe.

Mit besorgt trüben Augen folgte sie seiner Bewegung durch den Raum und beinahe wäre ihr ein Seufzen entkommen.

Bis ihr Blick auf Tennessey fiel, der völlig ruhig allem zugesehen und zugehört hatte, nur um Paige nun mit einem Ausdruck in den Augen zu mustern, den sie absolut nicht zuordnen konnte. Es hatte etwas … Ermunterndes. Als hätte der Arzt Paiges Gedanken lesen können und die Gründe dafür, warum sie hier noch mit rasendem Puls herum saß, anstatt ihre Arme um Ryon geschlungen zu haben, wie sie es vorgehabt hatte und wie es jede Faser ihres Körpers und nicht nur diese zu verlangen schien.

Doch Paige senkte leicht irritiert den Kopf, als ihr auffiel, dass Tennessey seine Fähigkeit bei ihr nicht einsetzen musste, um zu wissen, was los war. Es war schon fast unangenehm, wie wenig sich in diesem Haus verbergen ließ. Und noch mehr, wie viel alle über sie zu wissen schienen, wo Paige von den Eigenarten und Problemen der Anderen keinen blassen Schimmer zu haben schien.

Für einen Moment streifte Paiges Blick das Amulett auf dem Boden, um dann zu Ryon zu wandern, der ihnen beiden den Rücken zugekehrt hatte und am Fenster stand. Es würde noch eine ganze Weile nicht leicht sein...

Doch gerade dieses kleine Lächeln, die Andeutung eines Nickens von Ryons langjährigem Freund ließ die Zweifel kleiner werden. Sie würde niemals Ryons Gefährtin sein, was hieß, dass sie nie eine derart beruhigende Wirkung auf ihn haben würde, wie es ihr als Gefährtin möglich wäre. Aber das bedeutete nicht, dass sie es nicht versuchen durfte.

Entschlossen stand sie auf, hob zunächst das Amulett auf, bevor sie zu Ryon hinüber ging und eine Hand auf seinen Rücken legte, bevor sie sich neben ihn stellte und ebenfalls nach draußen sah.

„Wir werden etwas tun. Nicht kopflos und nicht mit dem im Nacken, was heute passiert ist. Der Zirkel hat das lange geplant. Wenn wir jetzt irgendetwas überstürzen, dann rennen wir ihnen ins Messer.“

Mit festem Blick der besagte, dass sie sehr wohl zu kämpfen bereit war, blickte sie Ryon in die Augen. Auf ihrer offenen Hand lag das Amulett, von dem Paige immer noch glaubte, dass es ihn beschützen sollte. Sie würden es noch brauchen. Und es war wichtig, dass er es trug und niemand sonst.

„Ich hab dir doch gesagt, dass sie nicht gewinnen werden. Was meinst du, wo sollen wir anfangen?“
 

Er konnte zwar hören und spüren, dass Paige aufgestanden war und schließlich hinter ihn trat, aber erst als er ihre Hand auf seinem Rücken fühlte, war es, als hätte man ein straffgezogenes Seil zerschnitten, das ihn nicht nur gewürgt, sondern auch vollkommen bewegungsunfähig gemacht hatte.

Mit einem Mal bekam er wieder richtig Luft und die Anspannung in seinem Körper, die jeden seiner Muskeln verhärten ließ, wich schließlich aus ihm.

Seine Wut und die aufgestaute Aggression verrauchten, aber nicht vollkommen. Das würde erst der Fall sein, wenn sie endlich ihre Ruhe hatten.

Mit einem müden Blick sah er zuerst Paige und dann das Amulett an, das sie ihm entgegen hielt. Selbst bei der Wucht des Aufpralls war es immer noch unversehrt geblieben. Glänzte genauso schön wie eh und je und schien sich durch nichts seine uralten Würde nehmen zu lassen.

Langsam löste Ryon seine verschränkten Arme und griff zögerlich nach dem Schmuckstück. Ein paar Millimeter bevor er es berührte, hielt er noch einmal inne.

Er wollte es nicht haben. Es bedeutete ihm so viel und dennoch wollte er es nicht bei sich wissen. Denn dieser eine Gegenstand war es, der alles bedrohte, was ihm noch im Leben an wertvollen Dingen geblieben war und das war er einfach nicht wert.

Paige, Mia, seine Freunde, das alles war so viel wertvoller, als dieses Amulett, denn auch wenn Marlene es gewesen war, die es ihm geschenkt hatte, so bräuchte er es nicht, um sich an sie zu erinnern. Dazu bedurfte es keine Gegenstände mehr.

Dennoch schloss Ryon schließlich seine Hand um das Schmuckstück, während er Paiges Handfläche mit seinen Fingerspitzen länger als nötig berührte und ihr tief in die Augen blickte. Die seinen waren immer noch von dunkler Honigfarbe, aber das kümmerte ihn im Augenblick wenig. Stattdessen unterbrach er den kribbelnden Hautkontakt mit Paige, legte sich die Kette wieder um den Hals, fühlte das vertraute Gewicht auf seiner Brust und akzeptierte hiermit, dass es noch eine Weile dauern würde, bis er es endgültig ablegen konnte.

Paiges Worte machten ihm Mut und zugleich wurde ihm klar, dass er nicht dort draußen vor dem Fenster nach Hoffnung suchen sollte, sondern stattdessen in dem beruhigenden Blick dieser faszinierenden Frau.

Ohne großartig darüber nachdenken zu müssen, zog er sie an sich, schmiegte sein Gesicht gegen ihr Haar und sog tief ihren Duft in sich auf.

Es mochte vielleicht den Anschein haben, dass er sie beschützend umarmte, doch das war nur der äußere Schein. In seinem Innersten fühlte er sich wie ein kleiner, hilfloser Junge, der sich, zumindest in diesem Augenblick, in Paiges Schoß versteckte, um die Welt um sich herum nicht länger mit ansehen zu müssen.

Er wollte sie nie wieder los lassen.
 

Ein leises Räuspern durchbrach schließlich die inzwischen entspanntere Atmosphäre und ließ Ryon hoch blicken. Tennessey sah ihn mit einem freundschaftlichen und zugleich entschuldigenden Lächeln an, während er ihm einen Zettel entgegen streckte.

„Ich störe euch beide nur ungerne, aber ich würde mich am liebsten noch etwas ausruhen. Auf dem Zettel steht die Nummer. Hoffentlich bringt sie euch weiter.“

Ryon kannte seinen Freund gut genug, um zu wissen, dass dieser sich eher unbehaglich dabei fühlte, ihnen beiden bei einem solch vertrauten Moment zuzusehen, als sich seine Müdigkeit einzugestehen. Was das anging, war er im Grunde ein harter Brocken, der nicht so leicht jammerte. Aber Ryon verstand den Wink mit dem Zaunpfahl auch so, weshalb er sich langsam von Paige löste, ohne ihre Hand los zu lassen, um den Zettel entgegen zu nehmen.

„Wenn du etwas brauchst, dann-“

„Werde ich es mir schon selber holen. Mach dir keinen Kopf deswegen. Es gibt schlimmeres als einen Kater.“

Das bezweifelte Ryon, denn die Augen von Tennessey straften seine Worte Lügen. Doch es lag auch sanfte Nachdrücklichkeit darin, die jeglichen Widerstand schließlich hinweg fegte.

Ryon nickte.

„Ich werde später nach dir sehen, falls du bis dahin nicht schon längst wieder im Haus herum spukst.“

Tenessey lachte leicht und winkte ab.

„Geht schon. Ich komme klar.“

Sanft drückte Ryon Paiges Hand etwas fester, während er mit seinem Daumen über ihren Handrücken streichelte. Er wollte sowieso mit ihr unter vier Augen über die ganze Angelegenheit reden und er brauchte den Computer, der in seinem Büro stand, um dieser Nummer vielleicht etwas abgewinnen zu können, bevor sie dort anriefen. Außerdem war da auch noch der Tresor und Marlenes Zauberbuch darin.

Auf jeden Fall genug Gründe, um Tennessey seine Ruhe zu gönnen.

"Okay, wir sind dann im Büro, falls du uns brauchst.", fügte er zur Sicherheit noch einmal hinzu, damit auch Paige wusste, was er vorhatte. Oder zumindest, wo es hinging.
 

Erleichterung schwappte über Paige wie eine warme Welle, als Ryon sie in seine Arme zog und sie festhielt. Es machte sie fertig, ihn so völlig aufgerieben von allem zu sehen, was um sie herum passierte und sich selbst doch so ohnmächtig zu fühlen. Sie konnten nur in ganz kleinen Schritten vorwärts gehen. Sich vorsichtig an das heran tasten, was sie erwartete. Paige hatte sich schon lange nicht mehr so allein auf weiter Flur gefühlt. Es gab einfach niemanden, den der Kampf mit dem Zirkel ebenfalls betraf und den sie um Mithilfe hätten bitten können. Sie würden das zu zweit durchstehen müssen, auch wenn die Vorstellung ihnen bloß noch mehr den Wind aus den Segeln nahm.

Und trotz allem hatte Paige nicht im Geringsten vor aufzugeben. Nicht jetzt und auch nicht, bevor sie dieser Hexe, dem Ursprung dieses ganzen Übels gegenüber gestanden hatte.
 

Sie gingen in den Raum, den Paige bis jetzt gar nicht als Ryons Büro angesehen hatte. Hier hatte sich meistens der Doktor aufgehalten, über irgendwelchen Notizen gebrütet oder sie nach der unschönen Begegnung mit dem Duftmagier behandelt.

Der Magier... Ryon hatte dem Kerl übel mitgespielt. Aber er war noch da draußen und bestimmt noch ein Anhänger von Boudicca. Wenn Paige ihm nicht noch einmal so leicht ins Netz gehen wollte, würde sie sich etwas einfallen lassen müssen. Das Risiko, dass man sie so mir nichts dir nichts manipulieren und vielleicht sogar gegen Ryon einsetzen konnte, durfte sie nicht eingehen.

Das Summen des hochfahrenden Computers ließ sie hochblicken. Interessiert erhaschte sie einen Blick auf den Zettel in Ryons Hand, auf den Tennessey die Nummer notiert hatte.

„Was fangen wir damit an? Du wirst vermutlich nicht einfach im Telefonbuch nachschlagen, wem die Nummer gehört...“

Wenn sie doch bloß ein bisschen mehr Ahnung davon hätte...

„Kann ich auch irgendwie helfen?“
 

Ryon setzte sich auf den gemütlichen Ledersessel und betrachtete, nachdenklich die Ziffern auf dem kleinen Zettel, den Tennessey ihm gegeben hatte, während er darauf wartete, dass der Computer hoch fuhr.

„Nein, das nicht. Aber so ganz Unrecht hast du auch nicht. Manchmal ist die simpelste Idee die Beste. Zumindest sollten wir einfach einmal versuchen, die Nummer einzugeben und abwarten was passiert. Wenn sie wirklich in einem Internettelefonbuch steht, würden wir uns Einiges ersparen. Wenn nicht…“

Er zuckte mit den Schultern.

„…kenne ich noch ein paar andere Möglichkeiten, um die dazu passende Rechnungsadresse heraus zu finden.“

Er sah von dem Zettel hoch und zu Paige hinüber. Unwillkürlich zeichnete sich ein sanftes Lächeln auf seinen Lippen ab, als er sie betrachtete. Gerade noch stinksauer und jetzt wieder voller Tatendrang… Das konnte auch nur Paige schaffen.

„Du könntest mir das Buch aus dem Safe hinter dem Bild dort, holen. Die Kombination lautet 1-5-0-9-0-2. Vielleicht finden wir dort etwas, das wir zu unserem Vorteil nutzen können. Magie gegen Magie oder so etwas in der Art.“

Auch wenn er nicht genau wusste, wie sie das anstellen sollten, da er keine Ahnung von solchen Dingen hatte. Doch Marlene hatte ihm einmal erklärt, dass einfache Zauber die sehr wirkungsvoll waren, von jedem gewirkt werden konnten, wenn man die richtige Anleitung dazu hatte. Magie umgab diese Welt schließlich und selbst Ryon musste zugeben, dass die Verwandlung von einem Mensch in ein Tier nicht gerade rein wissenschaftlich erklärt werden konnte oder in Paiges Fall einfach so in Flammen aufzugehen, ohne sich dabei zu verbrennen.

Der Computer war schließlich einsatzbereit, woraufhin sich Ryon wieder voll und ganz auf die Telefonnummer konzentrierte.

Erst einmal gab er sie bei einem der gängigen Suchmaschinen ein, die wie ganz gewöhnliche Telefonbücher funktionierten, wenn auch in elektronischer Form.

Wie zu erwarten, brachte das kein Ergebnis, weshalb er kurz mit dem Tippen inne hielt, um seine Finger knackend zu lockern, ehe er sich an die Arbeit machte.

Zwar war Ryon kein Hacker, aber er hatte schließlich nicht umsonst studiert. Endlich machte sich das auch wieder einmal bezahlt, obwohl er schon längst festgestellt hatte, dass er lieber mit vollem Körpereinsatz arbeitete, als in einem mit Akten vollgestopften Raum mit summenden Rechnern, ständig klingelnden Telefonen und einer nervenden Sekretärin zu sitzen, die alle fünf Minuten herein geschneit kam und das waren noch die guten Jahre gewesen.
 

Das Bild schwang leicht zur Seite, als Paige den Rahmen fasste und ihn auf sich zuzog. Die Scharniere waren kaum zu sehen, aber trotzdem...

„Entschuldige, dass ich mir das nicht verkneifen kann, aber hinter Bildern sieht man in meiner Branche als Erstes nach.“

Sie drehte an dem Schloss, gab die Kombination ein und die schwere Tür sprang ohne die geringste Gegenwehr auf. Im Inneren lagen ein paar Papiere, aber nicht viele. Wahrscheinlich bewahrte Ryon die meisten Sachen in einer verschlossenen Schublade auf. Immerhin war das Grundstück gegen normale Diebe mehr als geschützt. Nur über übernatürliche Eindringlinge musste man sich Sorgen machen. Und die wären bestimmt vor allem hinter dem her, was ganz oben auf in dem Safe lag.

Es war schwer für so ein handliches Format, denn die Seiten schienen sehr dick zu sein. Bestimmt handbeschrieben und verschieden Dinge zwischen die einzelnen Seiten gelegt. Der Band wirkte alt und der Umschlag viel begriffen. Die Kanten und Ecken waren abgestoßen und der Schnitt völlig vergilbt. Dennoch lag es sehr gut in der Hand und strahlte selbst im geschlossenen Zustand eine gewisse ... Erhabenheit aus.

Paiges Finger strichen vorsichtig über den weichen Umschlag, nachdem sie das Buch neben dem Computer und Ryons hektisch tippenden Fingern abgelegt hatte.

Für Paige sah es faszinierend aus, wie er vollkommen konzentriert irgendwelche Seiten öffnete, bloß um sie schnell wieder zu schließen.

Sie stellte sich hinter ihn, um über seine Schulter blicken zu können und so vielleicht andeutungsweise mitzubekommen, was er da tat. Bis jetzt war die Aktion wohl nicht von Erfolg gekrönt, denn Ryon äußerte sich nicht auf positive Weise. Unregelmäßiges tiefes Luftholen und ein Grummeln ab und zu konnte bestimmt nicht als Triumph gewertet werden.

Paige hatte das Bedürfnis, wie Ryon vorhin, im Zimmer auf und ab zu laufen, wenn sie schon nichts Besseres tun konnte.

„Bevor ich hier vor Ungeduld in Flammen aufgehe, werd ich uns schnell was zu Essen holen.“

Gesagt, getan, bevor er widersprechen konnte. Paige wanderte in die Küche, holte eine riesige Platte aus dem Schrank und plünderte den Kühlschrank für belegte Brote. Dazu noch Cocktail-Tomaten und Gurkenscheiben.

Als sie wieder ins Büro kam, stellte sie mit fragendem Blick die Platte auf den Tisch, brachte das Buch auf einem weiteren Stuhl in Sicherheit und nahm sich eins der Brote, während sie sich vorlehnte, um wieder auf den Bildschirm zu linsen.

„Wie sieht's aus?“, wollte sie wissen.
 

„Damit hast du bestimmt recht. Aber ich bewahre das Buch ja schließlich nicht im Safe auf, weil ich Angst hätte, es könnte jemand stehlen.“

Ryon schenkte Paige nur einen kurzen Blick, ehe er sich wieder auf seinen Bildschirm konzentrierte.

„Es ist dort einfach sicherer aufgehoben, sollte das Haus brennen oder sonst irgendwie darüber zusammen brechen.“ Und was die Diebe anging, so müssten die das Grundstück zuerst einmal finden, was schon von diesem Werwolf eine ganz schöne Leistung gewesen war. Außerdem war Marlenes Buch zwar sehr nützlich, aber es gab kostbarere. Nur deshalb würde niemand ins Haus einbrechen und die wirklich wertvollen Dinge lagen sicher auf verschiedene Banken aufgeteilt.

Als Paige vorschlug, etwas zu Essen zu besorgen, war sie schneller weg, als er sich vom Bildschirm los reißen konnte, doch er sah ihr nach, als sie den Raum schon längst verlassen hatte.

Eine Minute lang starrte er auf seine reglosen Finger, sich fragend, wie das alles hier wohl enden würde, doch da ihm mögliche Antworten darauf nicht gefielen, machte er sich schließlich wieder an die Arbeit.

Wenn Ryon einmal in die Welt des Cyberspace abgetaucht war, dann verlor er auch jedes Gefühl von Raum und Zeit. So kam ihm Paiges Abwesenheit nur wie wenige Augenblicke vor, obwohl sicher einige Minuten vergangen sein mussten, doch da er an seiner Sache schon sehr nahe dran war, ließ er sich ausnahmsweise nicht von dem Duft des Essens und den noch intensiveren von Paige ablenken. Er antwortete ihr noch nicht einmal, wohingegen seine Finger nur noch schneller über die Tastatur flogen und er sich leicht vor Anspannung nach vor lehnte.

Schließlich tippte er ein letztes Mal auf die Enter-Taste, woraufhin sich ein neues Bildschirmfenster öffnete, in dem die gesuchten Daten standen. Mehr sogar, als erwartet.

Die Rechnungsadresse, eingehende und abgehende Anrufe, die Dauer der Anrufe und sogar die Nummern der gewählten Anrufe. Auch ein Firmenname war zu finden, der Ryon aber absolut nichts sagte und ganz offensichtlich nur eine Tarnung für irgendetwas war, um dem ganzen eine unscheinbare Fassade aufzuerlegen, obwohl ständig neue Zeilen hinzu kamen, die auf weitere Anrufe hinwiesen, die in diesem Augenblick ein- und ausgingen. Es erinnerte ihn stark an die Auskunft, könnte aber auch ein ganz regulärer Bürobetrieb sein. Um das genauer heraus zu finden, müssten sie dort vermutlich persönlich vorbei schauen.

Überlegend lehnte Ryon sich in dem Stuhl zurück, griff sowohl nach einem Brötchen, wie auch nach Paiges Hand und biss ab, während er seine Finger mit ihrer verschlang, als wäre das Bedürfnis nach ihrer Nähe genauso selbstverständlich und wichtig, wie der Drang zu Essen.

„Es ist zumindest eine Spur, auch wenn wir hier sicher keinen Volltreffer gelandet haben.“

Ryon riss seinen Blick vom Bildschirm hoch und sah über seine Schulter zu Paige.

„Wollen wir uns dort einmal unauffällig umsehen?“
 

Paiges Augenbrauen hoben sich bei Ryons Vorschlag ein wenig und ein Schmunzeln stahl sich in ihren rechten Mundwinkel.

„Ein unmoralisches Angebot... Sehr gern.“

Ob sie es allerdings unauffällig schaffen würden, bezweifelte Paige stark. Immerhin erinnerte sie sich noch sehr lebhaft daran, was passiert war, als sie unauffällig das Haus der Hexe beschatten wollte. Als ihr genau das wieder einfiel und zusätzlich, dass sie Ryon noch gar nicht erzählt hatte, warum sein Auto nun schrottreif im Graben lag.

Sie ließ seine Hand nicht los, während sie sich wieder setzte und sich den letzten Bissen ihres Brotes in den Mund schob.

„Ich befürchte, dass es ein echtes Problem für mich gibt, wenn uns dort jemand erwarten sollte.“

Paige holte tief Luft und starrte auf den Rand der Servierplatte, an dem ein Tomatensamen klebte, den sie mit dem Fingernagel wegschob.

„Eigentlich hätte ich es gern verdrängt, aber ich glaube, dass es wichtig ist, dir zu erzählen, warum dein Auto es nicht mehr bis in die Garage geschafft hat.“

Sie sah ihm in die Augen, in denen sich bereits jetzt so etwas wie Sorge spiegelte. Und das, obwohl dieser Zwischenfall vorbei war und Ryon noch nicht einmal wusste, was sie ihm erzählen wollte.

„Als du weg warst, konnte ich nach ein paar Tagen einfach nicht mehr tatenlos herum sitzen. Ich bin zwar immer wieder die Bücher in deiner Bibliothek durchgegangen, aber geholfen hat das wenig. Über das Amulett habe ich nicht mehr heraus gefunden, als schon in Dublin.

Aber mir kam der Gedanke, dass der Zirkel wahrscheinlich seine Zeit auch nicht Däumchen drehend verbringen würde, während wir immer wieder einen ihrer Abgesandten zum Versager stempeln. Ich bin raus gegangen, habe angebliche und echte Hexen besucht und bin auf ein paar Damen gestoßen, die von Boudicca dazu gezwungen werden sollten, in den Zirkel mit einzusteigen.“

Sie kam der Geschichte dieser einen Nacht näher und damit auch dem, was sie Ryon erzählen wollte. Die Gefahr, mit der sie möglicherweise nicht ganz fertig werden konnte, sollte sie erneut darauf treffen.

„In der Nacht, in der du nach Hause gekommen bist, habe ich das Haus einer Hexe beobachtet. Sie ist eindeutig eine von der realen Sorte und das weiß auch dieser Zirkel. Es kamen zwei Dämonen an ihr Tor, um sie wohl noch einmal und wahrscheinlich endgültig zu überzeugen.“

Paige biss kurz die Zähne aufeinander, als sie sich an die vertraut röchelnde Stimme des Dämons und ihre panische Flucht erinnerte.

„Es waren ein Wasser- und ein Eisdämon. Mit einem allein wäre ich vermutlich zurecht gekommen. Aber zusammen ... waren sie mir zu viel. Ich bin einfach abgehauen und dabei hat dein Wagen ziemlich gelitten...

Es ist für mich verdammt frustrierend das sagen zu müssen, aber sollten wir auf die beiden oder diesen Duftstengel treffen, werde ich vielleicht nicht von so großer Hilfe sein, wie ich es gern möchte...“
 

Zum Glück hatte Ryon den Bissen schon gut durchgekaut und hinunter geschluckt, bevor Paige ihm eine Gänsehaut nach der anderen über die Haut jagte. Was sonst passiert wäre, hätte er in diesem Augenblick nicht genau sagen können.

Während er das angebissene Brötchen wieder zurück auf die Platte legte und angestrengt ihren Worten zuhörte, konnte er nicht verhindern, dass mit der Sorge auch vergangene Bilder in ihm hoch kamen.

Bilder von Frauen die verschwunden waren. Bilder von Frauen die grausam getötet worden waren. Bilder von Freundinnen seiner Gefährtin, die er gekannt hatte!

Und dann war da auch noch Paige, die sich offenbar sehr dicht an der Gefahr befunden hatte, ohne dass er ihr damals hätte helfen können.

Ryon wurde langsam schlecht und er vergrub einen Moment lang sein Gesicht in seiner freien Hand, während er die von Paige immer noch fest hielt.

Das alles klang nicht sehr viel versprechend. Vor allem, da er wieder daran erinnert wurde, dass Boudicca ständig neue Mitglieder rekrutierte und diejenigen, die sich weigerten, mitzumachen, wurden einfach ausgeschalten. Vermutlich um am Ende nicht doch noch eine Gefahr darzustellen. Aber eine Gefahr für was?

Ryon fuhr mit einem Ruck hoch. Der Gedanke hatte ihn auf eine Idee gebracht.

„Ich will hier nicht einen auf Miesepeter machen, aber ich werde dir gegen solche Typen ebenso wenig eine Hilfe sein. Wir sind einfach nicht unsterblich und allmächtig. Aber du sagtest doch, dass du Hexen getroffen hast, die wohl ebenfalls um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie nicht mitmachen. Glaubst du nicht, dass es vielleicht eine Möglichkeit wäre, uns mit ihnen zusammen zu schließen? Oder es gibt doch sicherlich auch noch andere, die auf Boudiccas Abschussliste stehen. Ich meine, okay, sie ist hauptsächlich hinter dem Amulett her, aber Lenn meinte…“

Ryon verstummte, während er ins Nichts starrte. Nur sein Daumen strich unablässig über Paiges Handrücken, als wäre das Gefühl die einzige noch verbliebene Verbindung zwischen seinen sich überschlagenden Gedanken und seinem Körper.

Irgendwie schien alles keinen Sinn zu ergeben und dann doch wieder wie ein vollendetes Puzzle zu sein.

Okay. Fakt war, Boudicca hatte es auf das Amulett abgesehen, vermutlich um ihre Kräfte noch zu verstärken. Was an sich wohl ihren Größenwahnsinn bestärken dürfte. Andererseits bräuchte sie dafür aber nicht wehrlose Hexen zu töten, die sich weigerten, in ihrer kleinen Privatarmee mitzumischen.

Was ihn wiederum auf die Passage in Lenns Buch brachte, in der sie erwähnte, dass sie das Amulett nur deshalb gekauft hatte, um ihn zu beschützen. Also, wenn er das Amulett im Augenblick nicht hätte, würde er dann trotzdem bis zum Hals in der Scheiße stecken?

Das dumpfe und absolut grässliche Gefühl in seiner Magengrube wäre eigentlich schon Antwort genug gewesen, aber er musste es trotzdem mit absoluter Sicherheit wissen.

Langsam erhob sich Ryon von seinem Sessel.

„Mal angenommen, Boudicca hätte es nicht nur auf das Amulett abgesehen, sondern auch auf magische Mitglieder, die sie sich zu Eigen machen konnte. Was glaubst du, wäre dann ihr eigentliches Ziel? Umsonst würde sie doch nicht eine ganze Armee zusammen sammeln, wenn sie nicht noch einen Hintergedanken dazu hätte.“

Ryon sah Paige fragend an, als wollte er sehen, ob sie seinen Gedanken folgen konnte. Doch er wartete gar nicht erst auf eine Antwort ab.

„Entschuldige mich kurz, ich bin gleich wieder da.“

Er ließ ihre Hand los, verlor dadurch die Verbindung mit ihr, was ihn abrupt in der Bewegung inne halten ließ. Noch einmal kehrte er zum Schreibtisch zurück, ergriff ihr Gesicht mit seinen Händen und küsste sie kurz, intensiv und leidenschaftlich auf die Lippen, ehe er davon eilte, um Lenns Buch zu holen, dass er seit dessen Entdeckung nicht mehr angerührt hatte. Er musste noch einmal genau wissen, was dort über den bösen Hexenzirkel geschrieben stand und darüber, warum Marlene ihm das Amulett besorgt hatte. Er konnte sich leider nicht mehr genau daran erinnern. Die Sache mit ihrem Tod und dass sie davon wusste, hatte ihn damals einfach zu sehr von den anderen Dingen abgelenkt.
 

Keine fünf Minuten später kam er mit dem aufgeschlagenen Buch in den Händen zurück, gab der Bürotür einen kleinen Tritt, so dass sie wieder ins Schloss fiel und setzte sich dann in dem Buch blätternd wieder in den Sessel, bis er die richtige Stelle fand und laut vorzulesen begann:

22. Februar

Ich bin der Verzweiflung nahe. Sarah, Michelle, Nicole und Diana sind einfach spurlos verschwunden und jetzt ist auch noch Jessica zu diesem schrecklichen Orden konvertiert. Die Reihen meines Zirkels lichten sich immer mehr. Die Plätze können bei den Ritualen kaum noch ausgeglichen werden. Manche Zeremonien müssen wir sogar ganz ausfallen lassen. Boudicca ist nicht zu stoppen. Diese schreckliche Frau beherrscht nun schon mehr als die Hälfte aller magischen Anhängerinnen. Wenn das so weiter geht, wird es in dieser Stadt keine einzige gute Hexe mehr geben. Was soll ich nur tun? Bald werde ich nur noch alleine da stehen. Unser Zuhause wird nicht mehr sicher sein, denn ich weiß, dass sie es irgendwann auf mich – den letzten Widerstand – absehen wird. Wie kann ich dich und das Baby nur beschützen?

Zwar habe ich nichts in diese Richtung gesehen, aber ich mache mir Sorgen darüber, ob sie nicht auch irgendwann auf dich und deine andere Seite aufmerksam wird. Diese Magierin kann Blutlinien lesen, sie wird also schnell herausfinden, dass du von einem mächtigen Kriegerclan abstammst, auch wenn dir das selbst nicht mehr bewusst ist. Deine Vorfahren waren Jahrhunderte lang hervorragende Kämpfer…

Ryon schlug das Buch leise zu, während er sich den Inhalt noch einmal vergegenwärtigte.

Boudicca hatte es auf Marlene und ihrem Zirkel abgesehen, weil es die letzte Gruppe von guten Hexen in London war, die gegen sie gekämpft hatte. Wenn auch auf Distanz und mit ihren eigenen Mitteln.

Dann meinte sie noch, diese Frau hätte es womöglich schon bald auch auf ihn abgesehen, da er … besonders reines Blut hatte? Das ließ sich nicht leugnen. Tyler selbst hatte ihm oft von einigen seiner Vorfahren und deren hervorragenden Leistungen während diverser Kriege erzählt, aber warum sollte Boudicca das interessieren? Wollte sie denn einen Krieg anzetteln und brauchte sie dafür noch Soldaten oder stocherte er damit in vollkommener Dunkelheit herum?

Hilflos sah Ryon zu Paige hoch.

„Mal angenommen, Boudicca will sich eine Armee aufbauen und mit dem Amulett zusätzliche Macht gewinnen. Gegen wen könnte sich dieser Angriff richten? Oder ziehe ich falsche Schlüsse?“
 

Paige hatte das Gefühl, dass man ihr einen Brocken Eis auf die Schultern legte, während Ryon ihr den Tagebucheintrag aus Marlenes Büchlein vorlas. Wieder sah sie die zarte, junge Frau vor sich, die eine große Magierin gewesen war und doch nicht dazu fähig ihre Familie, ihre Freunde und sich selbst vor so viel Leid zu beschützen.

Ihr Herz wollte vor dem Schmerz zerreißen, der sich in diesen wenigen Absätzen, die nur ein kleiner Teil des Buches waren, wieder fanden. Es war kein Wunder, dass Ryon zusammen gebrochen war, als er es das erste Mal und nach so vielen Jahren des erfolgreichen Ignorierens gelesen hatte. Paige selbst wollte auch ganz flau im Magen werden. Fühlte sie sich doch inzwischen ein wenig in der Position, in der Marlene damals gewesen war und selbst mit all der Macht, die Paige selbst nicht hatte, nicht abwenden konnte. Marlene hatte Ryon beschützt, sie hatte ihm dieses Amulett geschenkt. Aber Boudicca hatte sie nicht stoppen können. Dafür war sie zu früh gestorben. Und selbst wenn es nicht so gewesen wäre...

Paiges Blick sank auf ihre Finger in ihrem Schoß, während sie versuchte, sich von den Worten und der Geschichte dahinter nicht zu sehr mitnehmen zu lassen. Aber es war nicht zu leugnen, dass aus Marlenes Kampf irgendwie ihr eigener geworden war. Und das nur, weil sie einem hünenhaften Kerl ein Schmuckstück hatte klauen wollen, um Essen und ein Babygeschenk für Ai kaufen zu können...

Als sie sich zurück lehnte, zog sie ein Bein auf den Stuhl, schlang ihre Arme darum und legte ihr Kinn auf ihrem Knie ab. Eine Weile dachte sie nach und hatte Schwierigkeiten ihre Gedanken zu ordnen.

„Die Idee, dass wir uns an die Hexen wenden könnten, die noch nicht zu Boudiccas Zirkel gehören, ist mir auch gekommen. Vor allem die Frau, bei der ich war, um das Haus zu beobachten, scheint sehr große Kräfte zu haben. Vielleicht könnte sie uns dabei helfen auch noch andere ihrer Sorte zu finden.“

Wenn sie die Hexe davon überzeugen konnten, dass sie die bessere Alternative zu Boudicca waren. Immerhin tauchten sie auch mit irgendwelchen unmöglichen Geschichten und Fragen vor ihrer Tür auf. Wobei Paige wieder einfiel, dass sie ohne die Probleme, mit denen die beiden Dämonen zu kämpfen gehabt hatten, über den Zaun gekommen war. Ob das allein an ihrer menschlichen Seite gelegen hatte?

Paiges Mund wurde trocken, als sie auf Marlenes Buch blickte, das Ryon immer noch in der Hand hielt. Was, wenn wirklich niemand mehr da war, der ihnen helfen konnte? Marlene war seit Jahren tot und sie war die Letzte ihres hellen Zirkels gewesen...

Nicht nur, weil sie es Ryon verboten, sondern weil sie es auch sich selbst versprochen hatte, versuchte Paige positiv zu denken. Was ihr aber bei seiner Frage und der Antwort die ihr spontan in den Sinn kam, nicht gerade leicht fiel.

„Mir kommt nur eine Gruppe in den Sinn, die jemand, der seinen Ursprung auf unserer Seite des Übernatürlichen hat, als Feind ansehen könnte.“

Wahrscheinlich würde es Ryon nicht anders gehen.

„Aber die Menschen haben uns nie wirklich ernsthaft bedroht. Warum... Na, vielleicht braucht sie keinen Grund.“
 

Ryons Fingerspitzen berührten Paiges Knöchel, während er das Buch auf den Tisch legte und sich in seinen Stuhl zurück lehnte. Sein Daumen streichelte erneut über ihre Haut, als wäre es so eine Art Zwang, aber tatsächlich fand er es einfach nur sehr beruhigend. Es war wie ein Katalysator für seine Anspannung, die sich dadurch in Grenzen hielt.

„Doch Paige, das haben sie.“

Er sah sie an und wusste zugleich, dass sie vermutlich nichts von der ‚Organisation‘ wusste, die vor Jahren versucht hatte, Ihresgleichen zu registrieren und als abnormal zu brandmarken. Natürlich waren sie keine ganzen Menschen, aber trotzdem war das auch ihre Welt und sie hatten ebenso viel Recht auf Anonymität, wie jeder andere.

Zum Glück war die Moonleague noch immer zu geschwächt, um erneut Druck auf die magische Welt auszuüben.

Vielleicht wollte Boudicca dieser Organisation zuvor kommen, aber dann hätte sie auch schon damals gegen sie ankämpfen können, anstatt sich zurück zu halten.

„Es wäre möglich, dass sie es leid ist, im Schatten zu leben, so wie wir alle es tun. Die meisten Menschen wissen nichts von unserer Existenz und ich bin darüber auch sehr froh, aber dieser Frau könnte es anders gehen. Vielleicht ist sie einer dieser Fanatiker, die der Ansicht sind, dass sie die stärkere Spezies sind und somit auch die Welt beherrschen sollten. Was weiß ich…“

Ryon legte seinen Kopf in den Nacken und starrte an die Decke, während er nachdachte.

Es war im Grunde egal, welche Ziele Boudicca nun tatsächlich verfolgte. Denn so oder so, sie würden erst vor ihr in Sicherheit sein, wenn sie ausgeschaltet war und das dürfte dann vermutlich auch alle weiteren Probleme lösen. Zumindest konnten sie das nur hoffen.

Langsam ließ er Paiges Knöchel los und zog sich mit der Hand an den Schreibtisch heran und brachte sich somit ihr ganz nahe. Er streckte die Arme aus, um sie zu berühren und somit dem drängenden Bedürfnis in sich nachzugeben, das er in sich verspürte.

Gerade in solchen schweren Situationen brauchte er ständig irgendwelchen Körperkontakt zu Paige, da sie für ihn wie die Erdung für einen Blitzschlag war. Mit ihr, ging die Wucht durch ihn hindurch, ohne Schaden anzurichten. Ohne sie, wusste er nicht wohin damit und das war gefährlich.

„Ich gebe dir Recht. Bevor wir etwas gegen Boudicca und wegen dieser Nummer unternehmen, sollten wir bei dieser Hexe vorbei schauen. Wenn wir Glück haben, kann sie uns vielleicht helfen. Es wäre sicherlich besser, erst unsere eigene Front zu verstärken, ehe wir auch nur gegen irgendjemanden vor gehen. So ungern ich es auch zugebe, aber wir sind nur zu zweit und Boudicca hat viele Anhänger. Wir müssen versuchen, unsere Chancen zu verbessern.“

Vermutlich sollten sie sich so bald wie möglich darum kümmern. Also schon heute, auch wenn er im Augenblick nicht so recht die Kraft dafür aufbrachte. Die Sache mit dem Werwolf hatte ihn härter getroffen, als er sich eingestehen wollte. Dabei war das wirklich nur Abschaum der untersten Schicht gewesen, der es absolut verdient hatte, für seine Taten gerichtet zu werden. Dennoch… Es war schon genug Blut geflossen. Er wollte eigentlich nicht noch mehr davon vergießen. Aber wenn es nicht anders ging, dann war es eben so.

Ryon seufzte schwer und legte seinen Kopf an Paiges Oberschenkel, während er einen Moment lang die Augen schloss. Er war das alles so leid und trotzdem raffte er sich im nächsten Augenblick wieder hoch. Sich gehen zu lassen, würde nichts bringen, außer dass er erneut alles verlieren könnte und das war das Letzte, was er wollte.
 

Hatten sie?

„Dann sind die Gerüchte also nicht so stark aus der Luft gegriffen, wie ich immer vermutet habe.“

Es war keine Frage, sondern eine ernüchternde Feststellung. Denn in Ryons Blick hatte sie lesen können, was ihr ohnehin klar gewesen war. Er würde sie nicht belügen. Weder bei etwas Profanem, noch bei etwas Einschneidendem wie dieser Eröffnung.

„Dennoch kein Grund erst einmal unter Unseresgleichen zu wüten, bloß um später gegen die Menschen vorzugehen. Wenn du mich fragst, ist diese Verrückte schon mit dem Plan viel zu weit gegangen.“

Was die Sache nicht gerade einfacher machte. Wenn man es mit jemandem zu tun hatte, der in gewisser Weise vernünftig handelte, konnte man seine Taten nachvollziehen und leichter etwas dagegen unternehmen. Bei Boudicca würde das vermutlich schon im Ansatz fehlschlagen.

Als Ryon sie mitsamt Stuhl zu sich heran zog und sie schon wieder leicht berührte, strich Paige leicht über seinen Oberarm. Es tat ihr gut nah bei ihm zu sein. Aber noch mehr Wärme und ein inzwischen willkommen geheißener Klang erfüllten ihren Körper, wenn er sie von sich aus berühren wollte und es auch tat. So klein die Zuwendungen auch waren, es blieb etwas Besonderes, das Paige jedes Mal wie einen reinen Diamanten zu schätzten wusste.

Deshalb strich sie ihm auch durchs Haar, als er sich gegen ihr Bein lehnte und küsste seinen Nacken. Ihre Lippen lagen auch anschließend noch eine Weile auf seiner Haut, während Paige darüber nachdachte, wie sie weiter vorgehen sollten.

„Ich denke, dass wir nicht warten sollten, bis es dunkel wird, um uns der Hexe vorzustellen. So wie ich das sehe, liebt sie ihre Privatsphäre so sehr wie wir und ist Störenfrieden gegenüber sehr gut gewappnet. Was hältst du davon, wenn wir uns nach dem Mittagessen zu ihr aufmachen? Stärkung kann nicht schaden und außerdem wird es eine Weile dauern, bis wir ein anderes Transportmittel haben.“

Sie würde auch gern mit Ai sprechen und etwas Zeit mit Mia verbringen. Es kam Paige allmählich so vor, als hätte sie die beiden schon eine Ewigkeit nicht mehr zu Gesicht bekommen. Diese ganze Krisensituation, die nun bedenklich auf ihnen allen lastete, schien die Zeit für Paige ins Unermessliche zu dehnen. Gerade weil sie das Bedürfnis hatte, sich von der Sicherheit aller jede mögliche Minute zu überzeugen.

Ohne nachzudenken und auch ohne wirklichen Grund schlag Paige ihre Arme um Ryon und vergrub ihre Nase noch tiefer in seinem Haar, wo sie seinen Geruch tief einatmete.

„Keine Sorge...“

Mehr konnte sie nicht sagen. Aber es fühlte sich richtig an diese beiden Worte auszusprechen. Am liebsten hätte sie angefügt, dass sie sich darauf freuen wollte, irgendwann Zeit für Zweisamkeit und Dreisamkeit mit Mia zu haben. Das stimmte auch, aber dieser Gedanken war wie ein kleines, flackerndes Leuchten im Sturmwind der düsteren Gefühle und Gefahren, die noch im Weg standen. Trotzdem war Paige sicher, dass sie es schaffen würden.
 

Keine Sorge…

Es waren zwar nur Worte, doch dabei Paiges Berührungen zu fühlen, ihren Duft in seiner Nase und ihre Haut an seiner, das alles schien dadurch sehr viel realer zu sein, als die wirklich bedrohlichen Dinge um sie herum und solange er nicht vergaß, dass es auch solche gestohlenen Momente zwischen ihnen gab, gab ihm das Hoffnung.

„Ja, lass uns nach dem Mittagessen aufbrechen.“, war alles, was er dazu noch sagen konnte, ehe er erneut Paiges Gesicht ergriff und sie zärtlich küsste.

Wenn es schon gestohlene Momente waren, dann wollte er sie auch als solche nützen, um daraus Kraft zu schöpfen und das tat er. Mit jedem Wort von ihr, mit jeder Berührung, jedem Kuss und jeder zärtlichen Geste, fühlte er sich stärker.

Umso schwieriger war es, sich auch wieder voneinander zu trennen. Doch der Gedanke Mia zu sehen, war ein Trost dafür und außerdem musste er noch mit Tyler wegen der ‚Müllentsorgung‘ sprechen. Das wäre sicherlich nicht die erste Leiche in seiner Familie, die sein Freund schon diskret entsorgt hatte. Wenn er da so an die Geschichten über seinen Urgroßvaters dachte…



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