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Dark Circle

von
Koautor:  Caracola

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1. Kapitel

Die alte Dämonenfrau mit den zerzausten Haaren, die unter ihrer gestrickten Kapuze hervorschauten, saß auf einer Bank und fütterte die Ratten. Es waren zwar keine zu sehen, aber sobald es ruhiger wurde, konnte man ihre winzigen Füßchen über den Betonboden laufen hören. Sie würden sich die Krümel schon holen.

„Und wenn ihr das tut, dann bin ich schon da drin und hole mir den Schmuck.“, raunte sie leise.

Paige würde warten müssen, bis der Kerl das Haus offensichtlich für längere Zeit verließ. Dann konnte sie einbrechen und sich die Beute unter den Nagel reißen. So wie er aussah, konnte sie sowieso davon ausgehen, dass sie Einiges mitgehen lassen konnte, selbst wenn sie das Amulett nicht fand.

Mit einem kleinen Zischen schüttelte die Alte energisch den Kopf. Ihre graue Haut legte sich um die Mundwinkel in tiefe Falten. Er würde schon nicht so dumm sein, es mit sich herum zu tragen.
 

Es war der hohe schmerzerfüllte Schrei einer Frau, der ihn aus dem Bett hochfahren ließ, doch zugleich war sein markerschütterndes Brüllen es, das den Alptraum beendete, als er geschmeidig auf allen Vieren auf dem Boden neben seinem Bett aufkam.

Seine Augen schienen wie flüssiges Gold zu glühend und zu brennen, während sein Gesicht zu einer Maske der Qual grausam verzerrt war.

Ryons angespannte Muskeln zitterten so heftig, dass kleine Sprenkel von seinem schweißnassen Körper auf dem polierten Parkettboden landeten, während seine Kehle von dem Schrei, der ihm noch immer entkam, brannte. Doch erst, als ihm die Luft ausging, verhallte auch der Laut der Pein in seinem Schlafzimmer und er sank kraftlos auf die Knie. Wo er mehrere Minuten lang reglos verharrte, bis sich die langen, ausgefahrenen Krallen an seinen Händen wieder zurückgezogen hatten. Erst dann stand er mit dröhnenden Kopfschmerzen auf und schwankte ins Badezimmer.

Wie immer, bei den seltenen Gelegenheiten, an denen er auf diese Weise wach wurde, vermied er jeden Blick in den Spiegel. Das Gesicht, das er dort sehen würde, konnte er ohnehin nicht vergessen und zugleich auch nicht die damit verbundenen Gefühle. Weshalb er beides aus weiser Voraussicht vermied, in dem er gar nicht erst das Licht anmachte.

Das Bad hatte kein Fenster und blieb somit in fast schon anheimelnder Dunkelheit, was man von dem schwachen Licht, das in sein Schlafzimmer flutete, nicht gerade behaupten konnte. Aber mehr als die Stahlrollläden, hatte er nicht einbauen wollen. Zusätzlich mit den dicken, lichtundurchlässigen Vorhängen, könnte er ohnehin zu jeder Tag- und Nachtzeit das Licht einfach aussperren. Es war sowieso nicht mit dem der Sonne zu vergleichen.

Die kochend heiße Dusche entspannte seine vollkommen verkrampften Muskeln zuverlässig.

Während Ryon seinen Körper der Behandlung des Wassers überließ, kümmerte er sich um den mentalen Scherbenhaufen, der sich mit seinen scharfkantigen Bruchstücken überall in seinen Gedanken und Gefühlen ausgebreitet hatte.

Zuerst machte er sauber, danach errichtete er mühsam eine Mauer nach der anderen. Er kittete die brüchigen Stellen, an denen bereits unzählige andere Blockaden aufgebaut worden waren und putzte anschließend noch einmal, bis alles blitzblank und so vollkommen glatt war, dass nichts mehr daran haften bleiben konnte.

Erst als er das goldene Amulett auf seiner nackten Brust mit den Fingern berühren und dessen Beschaffenheit fühlen konnte, ohne auch nur das geringste Empfinden in sich aufkommen zu spüren, drehte er das Wasser ab, bahnte sich einen Weg durch die dicken Dampfschwaden im Raum und schaltete das Licht an.

Mit seiner großen Hand wischte er über den beschlagenen Spiegel über dem breiten Marmorwaschbecken und blickte sich direkt in die schwarzen, seelenlosen Augen, die er zu sehen erhofft hatte. Im Augenblick konnte er noch nicht einmal mehr den sonst vorhandenen, dünnen Goldrand um seine Iris herum erkennen. Seine Augen waren schwarze Löcher, in denen man sich nicht spiegeln konnte und zugleich jegliche Emotionen einfach eingesaugt wurden, ohne je wieder irgendwo aufzutauchen. Gut. So sollte es auch sein.

Während er seinen Körper an der Luft trocknen ließ, ging er zu seinem Schrank und öffnete eine der Flügeltüren. Ein rascher Blick und er entschied sich für eine graue Hose, ein weißes Seidenhemd und darüber einen beigefarbenen Ledermantel, der nicht zu sehr auffiel, ihm aber zugleich bis zu den Knöcheln ging. Es war Sonntag. Kein Grund, es sich nicht etwas gemütlicher zu machen.

Nachdem er sich die Haare trocken gerubbelt und sich angezogen hatte, schnappte Ryon sich seine Schlüssel, sperrte ordentlich hinter sich ab und machte sich auf den Weg an die Oberfläche.

Sein Magen klang bereits wie eine fuchsteufelswilde Bestie, die unbedingt gefüttert werden wollte. Dem hatte er nichts entgegen zu setzen. Also war Starbucks sein nächstes und vorerst auch einziges Ziel für diesen Tag.

Ryon warf nur einen kurzen, völlig uninteressierten Blick auf die alte Frau auf der Bank, an der er vorbei musste.

Gesindel. Das waren viele tatsächlich geworden. Viele von ihnen hatten die Möglichkeit auf ein relativ normales Leben an der Oberfläche und trotzdem lebten sie hier unten unter Ihresgleichen. Dabei konnte es doch nichts Erstrebenswerteres geben, als so menschlich wie möglich zu sein. Aber Ryon lebte ebenfalls hier unten. War an dem Versuch gescheitert. Er würde immer niemals mehr woanders hingehören.
 

Seine Augen hatten sie nur kurz gestreift, unter Umständen hatte er sie gar nicht wirklich wahrgenommen. Auf jeden Fall hatte er die Frau hinter der Verkleidung nicht erkannt. Das konnte er gar nicht, denn er hatte sie noch nie gesehen. Er würde sie also nach ungefähr zehn Metern, die er zurückgelegt hatte, wieder vergessen.

Trotzdem saß Paige noch eine Weile auf der Bank, ließ Brösel auf den Boden fallen und starrte ihm hinterher. So nah war sie ihm zuvor noch nicht gewesen. Sie hatte ihn sogar riechen können. Aber was ihr von dieser kurzen, einseitigen Begegnung im Gedächtnis bleiben würde, war dieser eisige Blick. Völlig tote, dunkle Augen, die ihr einen eiskalten Schauer den Rücken hinunter gejagt hatten. Nein, es wunderte sie nicht, dass es niemanden gab, der in seiner Wohnung auf ihn wartete.

Das war auch der Grund, warum sie nach seinem Verschwinden nicht sofort aufgesprungen und in seine vier Wände eingebrochen war. Es machte ihr Angst, was sie vielleicht dort finden könnte. Karge, grob verputzte Wände, Folterinstrumente...

Der dicke Kloß war nur schwer hinunter zu schlucken und ließ einen ekligen Geschmack auf ihrer Zunge zurück.

„Denk an das Geld. Denk an das Geld.“ Und vor allem daran, was sie damit alles kaufen konnte. Heizöl, Lebensmittel und sogar Babyklamotten als Geschenk für Ai.

Mit grimmiger Miene kämpfte sich die alte Frau hoch, stützte sich auf ihren Gehstock und wackelte langsam auf den Eingang des Gebäudes zu.

Als sie allerdings die Tür erreicht und sie hinter sich geschlossen hatte, schien sich die Wirbelsäule der Frau zu begradigen. Sie richtete sich so auf, dass der weite Wollumhang bis über ihre Knöchel hochrutschte und man die schwarzen Hosenbeine mit den geschnürten Stiefeln darunter sehen konnte.

Der Mantel landete mit einem Schwung in einer dunkle Ecke, während Paige schon auf den Fahrstuhl zusprintete.

Der vierte Stock war schnell erreicht und wenn man die Lage des Gebäudes bedachte, musste es die erste Wohnung rechts sein.

Nun wesentlich langsamer und mit gemessenen Schritten ging sie auf die Wohnungstür zu. Kein besonderes Sicherheitsschloss. Ganz im Gegenteil. Altmodischer Schlüsselbart und ein Zylinder, den man sogar mit einer Kreditkarte knacken konnte, wenn man denn eine besaß. Aber zumindest hatte er ordentlich abgeschlossen. Sogar doppelt. Was Paige aber nur für einen Moment aufhalten konnte.

Der Dietrich knackte im Schloss, hinterließ aber keine Spuren, die einem ins Auge fallen konnten, wenn man sich nicht auskannte.

Die Tür schwang lautlos nach innen auf und gab einen absolut kargen, kleinen Flur frei. Alles war düster und staubig, als würde so gut wie niemand hier je ein und ausgehen.

„Du brauchst eine Putzfrau...“, murmelte Paige leise, als sie eintrat, die Tür hinter sich ins Schloss zog und sich langsam und aufmerksam in dem Flur umsah. Nichts Besonderes. Eigentlich absolut überhaupt nichts. Keine Bilder, nicht mal Kleiderhaken.

Und so ging es weiter. Die Räume, die vom Flur abgingen, waren wenig spannend und schnell abgesucht. Paige musste sich noch nicht einmal die Mühe machen, irgendwelche Möbel zu verrücken. Hier würde sie nichts finden.

„Wieder eine andere Facette, die du mir aufdrängen willst. - Einsamer Junggeselle. Fast bemitleidenswert.“

Und auch das kaufte sie ihm nicht ab. Zumindest nicht hundertprozentig. Noch hatte sie kein Schlafzimmer gefunden. Auch ein Bad fehlte. Und seinem Geruch nach, der ihr unerklärlicher Weise noch im Gedächtnis hing, war er niemand, der es an Körperpflege mangeln ließ.

Vor der großen, schweren Holztür blieb sie stehen und betrachtete sie fast ehrfürchtig. Ihre behandschuhten Finger strichen an den Kanten entlang. Eingelassene Sicherheitsscharniere. Nur aufgelegtes Holz. Dem Geräusch ihrer Knöchel auf dem Material nach, war darunter eine massive Stahltür verborgen.

Mit einer fast liebevollen Geste streichelte ihr Zeigefinger das Schlüsselloch.

„Ich liebe Herausforderungen.“
 

***
 

Die adrette Bedienung im Starbucks war genau die Person mit einem freundlichen Gesicht, die er im Augenblick gut gebrauchen konnte. Denn weder wurde ihr herzliches Lächeln kleiner, wenn er es nicht erwiderte, noch machte sie irgendwelche Anstalten, ihn sonderbar anzusehen.

Dabei strahlte sie bis über beide Ohren, als könnte sie die ganze Welt umarmen. Sie musste wohl frisch verliebt sein. Ein Gefühl, dass er schon seit sehr langer Zeit nicht mehr kannte. Aber die Ausstrahlung wirkte auf jeden Fall positiv auf sein angeschlagenes Gemüt.

Man sah es Ryon zwar nicht an, aber im Inneren war er seit diesem grauenvollen Morgen total gereizt und mies drauf.

Gedanken wollten sich ihm bereits wieder aufdrängen. Jene von der Sorte, die ihn an allem zweifeln ließen: Warum tat er sich das noch an, wo doch schon längst nichts mehr Sinn ergab? Was nützte seine Anwesenheit der Welt noch?

Gut, da gab es die schwierigen Aufträge, die er gerade wegen des hohen Sterberisikos annahm. Aber es gab noch andere Jäger wie ihn. Was ihn ersetzbar machte.

Die elternlosen Kinder konnte er nur samstags besuchen, um ihnen eine Kleinigkeit zu spendieren und an den Festtagen spendete er dem Heim eine große Summe, damit sich jedes Kind über etwas Tolles freuen konnte. Aber würde Ryon nicht mehr leben, er könnte fast sein ganzes Vermögen den Kindern vermachen. Zwar konnte das keine liebevollen Eltern ersetzen, aber die stellte er ohnehin nicht dar. Er war eher so etwas wie der sonderbare große Bruder, den manche von ihnen nie hatten.

Und welche Anzahl an Menschen für die er noch eine Bedeutung hätte, blieb dann noch übrig?

Ryon starrte mit frostiger Miene in die schwarze Flüssigkeit in seiner Tasse.

Eigentlich trank er seinen Kaffee am liebsten mit viel Milch und drei Stück Zucker, aber wie so Vieles, hatte er auch diese Angewohnheit schon vor langer Zeit abgelegt.

„Bitte schön. Apfelkuchenspezial. Einen besseren werden Sie nirgendwo finden. Der geht übrigens aufs Haus.“

Die rotgelockte Kellnerin mit den hübschen Sommersprossen lächelte ihn strahlend an, als er den Kopf hob und den Blick erwiderte.

„Was auch immer es ist, wenn Sie den aufgegessen haben, wird alles nur noch halb so wild sein. Das ist ein persönliches Versprechen.“ Sie zwinkerte ihm noch zu, ehe sie mit beschwingtem Gang zu einem anderen Tisch ging.

Ryon schüttelte ganz leicht den Kopf. Er glaubte nicht an Wunder und trotzdem aß er auch noch den letzten Krümel des Kuchens auf, ehe er bezahlte und sich auf den Weg zur Stadtbibliothek begab.

Zwischen Zeilen und Worten würde er wenigstens für ein paar Stunden in eine völlig andere Realität abtauchen können.
 

***
 

Mit schräg gelegtem Kopf, zusammen gekniffenen Augen und unwirschem Gesichtsausdruck, kniete Paige vor der großen Holztür. Sie ließ sich auf die Fersen sinken und behielt dabei das Schlüsselloch im Blick. Der Dietrich hing noch schief daraus hervor, während Paige auf der Metallklammer herum kaute, die sie vor wenigen Augenblicken leicht genervt entfernt hatte.

„So funktioniert das nicht.“

Hier hatte sie es mit einem ganz anderen Kaliber als der einfachen Wohnungstür zu tun. Das war ihr schon auf den ersten Blick klar gewesen. Aber wenn sie an den Typen dachte, hatte sie es lieber zuerst mit filigranem Werkzeug als roher Gewalt versuchen wollen. Es war nicht ihre Art, Spuren zu hinterlassen und zu früh auf sich aufmerksam zu machen. Natürlich würde er den Diebstahl bemerken, wenn das Schmuckstück fehlte.

„Aber noch weiß ich nicht, ob du es hier aufbewahrst...“, murmelte sie leise vor sich hin, während die kleine Klammer nun zwischen ihren Finger wie bei einem Münztrick hin und her wanderte.

Sollte das Amulett nicht hier sein, wollte sie diesen blutrünstigen Muskelberg nicht unbedingt auf ihren Spuren wissen. Er war sicher niemand, der sich einen Einbruch in sein gut abgesichertes Reich so einfach gefallen ließ.

Wenn sie Zeichen ihrer Anwesenheit hinterließ, hatte sie ihn bestimmt am Arsch.

Mit einem theatralischen Seufzer lehnte sie sich wieder vor, zog den Dietrich aus der Tür und befühlte sie noch einmal mit den Fingern. Ihre dunklen Augen wanderten über die unebene Oberfläche, die leicht beschlagene Metallklinke und ruhten schließlich wieder auf dem Schlüsselloch.

Im Moment sah sie nur eine Möglichkeit in sein Reich einzudringen. Mal von dem Versuch abgesehen, sich an der Häuserfassade abzuseilen und durch ein Fenster einzusteigen.

Eine ihrer Augenbrauen tanzte bei diesem Einfall nach oben. Nein, selbst in der World Underneath würde eine Fassadenkletterin, die eine Scheibe eintrat, negativ auffallen. Wenn sie Pech hatte, würde man ihr sogar die Ordnungshüter auf den Leib hetzen. Das war ihr Eisschranks Seelenruhe auch nicht wert. Dann musste er eben damit fertig werden, dass man bei ihm herumgestöbert hatte.

Behutsam zog Paige jeden Finger ihres Handschuhs einzeln herunter und streifte dann den Stoff ganz von ihrer Haut. Bereits jetzt wirkte diese kantig und platzte an einigen Stellen auf. Es sah schmerzhaft aus, hatte aber lediglich den Grad eines entzündeten Mückenstichs. Bevor die kaminroten Schuppen hervorbrachen, juckte es schrecklich und Paige empfand es als wahre Erleichterung ihre Knochen und Gelenke unter der Hitzeentwicklung knacken zu hören. Ihre nun spitz zulaufenden, schwarzen Fingernägel berührten das Holz der Tür und brannten kreisrunde Löcher hinein.

Ohne besondere Mühe erreichten sie den Stahl, der ebenfalls nur kurz Widerstand leistete. Was sollte Metall bei Temperaturen eines Schweißbrenners auch anderes tun, als anfangen zu glühen, dann langsam nachzugeben, bis es sich verflüssigte und stinkend über den kühleren Rahmen der Tür ergoss.

Paiges Hand flammte noch immer, als sie gegen die dicke Tür trat, die geräuschlos nach innen aufschwang.

Mit einem Wink erlosch das Feuer und die Schuppen zogen sich bis unter ihren schwarzen Ärmel zurück, während das schiefe Grinsen in ihrem Gesicht haften blieb.

„Und das hier hütest du so bedächtig?“

Der Raum war nicht weniger karg als der Rest der Wohnung. Und auch nicht einladender. Gut, hier war nicht ein Körnchen Staub zu entdecken und alles roch nach dem Besitzer. Aber gemütlich war etwas anderes. Mal von dem riesigen Bett abgesehen, dessen Matratze Paige mit der Handfläche kurz einer Probe unterzog.

Nachdem sie eine Runde gedreht hatte, kehrte sie zur Mitte des Raumes zurück, stemmte die Fäuste in die Hüften und sah sich auffordernd um. „Also gut, Eisschrank, wo bewahrst du deine Klunker auf?“
 

Mit einem Aufschrei trat sie gegen das massive Bettgestell, was ihr zwar nichts weiter einbrachte als einen schmerzenden Zeh, sie aber dennoch ein wenig befriedigte.

Es war nicht hier.

Sie hatte alles auf den Kopf gestellt, war unter dem Bett herumgekrochen, hatte hinter jedes Möbelstück, unter den Teppich und auch im Bad nachgesehen. Nichts. Keine versteckten Safes, keine Nischen oder Kästchen. Nicht mal eine Pappschachtel im Kleiderschrank!

Von neuem sprengten Schuppen ihre Haut und überzogen Paiges Körper. Vor Wut wusste sie nicht wohin mit ihrer Energie. Noch einmal schrie sie auf, bevor sich ihre aufgestaute Aggression einen Ausweg suchte.

„Mist, verdammter!“

Hoffentlich war er blind. Und hatte seinen Geruchsinn verloren. Dann würde ihm der Brandgeruch nicht auffallen. Und der verkohlte Fleck an der Decke.

„Welcher Mann trägt so ein Scheißamulett auch mit sich rum?!“
 

***
 

Ryon wusste schon, dass etwas faul war, noch ehe er den Schlüssel zu seiner Wohnung ins Schloss steckte.

Es war nicht abgeschlossen.

Als er die Tür aufschwingen ließ, drang ihm stechend und beißend der Geruch von Verbranntem in die Nase, bis ihm fast die Augen tränten. Aber das war nicht alles, was in der Luft lag. Ein fremder Geruch erfüllte die Räume, die schon seit sehr langer Zeit nur noch er betreten hatte. Nur konnte er ihn durch den Brandgeruch nicht richtig zuordnen. Aber es war ohnehin klar, das definitiv jemand hier drin gewesen war.

Ohne nach den anderen Zimmern zu sehen, marschierte er lautlos auf sein Schlafzimmer zu. Seine Augen schienen noch schwärzer zu werden, als er sich vor der angelehnten Tür leicht in die Hocke begab, um zu sehen, wie der Einbrecher es fertig gebracht hatte, sie zu öffnen.

Das Metall des Schlosses war geschmolzen und hatte zum Teil auch das Holz angekokelt.

Inzwischen mussten schon einige Stunden vergangen sein, denn als er mit den Fingern darüber fuhr, spürte er nur Kälte. Der Stahl war bereits vollkommen ausgekühlt. Was vermutlich daraufhin wies, dass der Täter schon längst über alle Berge war.

Ryon richtete sich wieder auf und trat in sein Zimmer. Hier war der Gestank sogar noch stärker, da die Fenster geschlossen waren und der kleine Raum somit noch immer teilweise leicht erfüllt von Rauch war.

Er zwang sich zu einer flacheren Atmung, da der Geruch sich ätzend auf seine Nasenschleimhäute legte und seine überempfindlichen Geruchsnerven völlig überreizte. Trotzdem sah er sich in Ruhe um.

Das Bett war so, wie er es verlassen hatte. Als er die Schranktüren und Schubladen eine nach der anderen öffnete, schien auf den ersten Blick alles völlig normal. Doch er erkannte sofort, dass die Sachen durchwühlt worden waren. Unauffällig zwar, aber doch waren sie bewegt worden und tatsächlich fehlte auch alles, was irgendwie an Wert für jemanden hätte sein können.

Nachdem er noch einmal eine Runde durch seine ganze Wohnung gemacht und sich nach möglichen Spuren umgesehen hatte, blieb er schließlich direkt unter dem Brandfleck an der Decke stehen und starrte ihn mehrere Minuten lang reglos an.

Wer oder was auch immer hier eingebrochen war, war sicherlich kein normaler Mensch gewesen. Natürlich hätte man die Tür auch mit einem Schweißbrenner aufbrechen können, aber künstliches Feuer roch anders, als natürliches. Immerhin brauchte man dafür ein Gas, um es am Brennen zu halten. Das fehlte hier aber gänzlich.

Schließlich, als sein Kopf von den Dämpfen so sehr schmerzte, dass er kurz davor war, einfach umzufallen, verließ er die Wohnung. Die Mühe abzusperren machte er sich erst gar nicht. Wer schon so hartnäckig hatte hier herein kommen wollen, würde es wieder tun. Auch wenn Ryon sich nicht vorstellen konnte, dass die paar Wertsachen so wichtig gewesen sein könnten. Das war immerhin alles ersetzlich und dennoch, wer auch immer es gewagt hatte, mit dieser Art von Gewalt in sein Leben einzudringen, würde das noch bereuen. Niemand brach einfach so in sein Leben ein und kam ungestraft davon.

Doch erst einmal würde er sich ein Zimmer nehmen, seinen Schneider bedrängen und sich duschen. Er stank so sehr nach Rauch, dass er den Geruch sicher noch eine Weile nicht mehr aus der Nase bekam.

Das alleine wäre schon ein Grund, um handgreiflich zu werden. Von der Tatsache, dass er soeben seine Wohnung aufgegeben hatte, wollte er gar nicht erst sprechen. Denn obwohl man es ihm noch immer nicht ansah, kochte er innerlich so derartig vor Wut, wie schon seit langem nicht mehr und wenn er dafür nicht bald einen Katalysator fand, dann würde das sehr hässlich werden.



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