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Im Licht des Madamals

von

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Im Licht des Madamals

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Tomi der Dunkelheit entgegen.

Es war still im Raum, aber in ihren Ohren hämmerte ihr eigenes Herz so laut und rauschte ihr eigenes Blut so wütend, dass sie sich am liebsten die Hände darauf gepresst hätte.

Und natürlich war da noch der Schrei, der sie auch geweckt hatte. Es war ihr eigener gewesen und in ihr hallte er noch immer nach. Ein lautes Schluchzen drang aus der Kehle, die eben noch in einem Krächzen verstummt war, und das Mädchen warf sich auf die Seite, panisch nach der Lampe tastend, die immer auf ihrem Nachttisch stand. Sie brauchte Licht mehr als alles Andere. Zumindest jetzt. Warmes, flackerndes Kerzenlicht, dass die Dunkelheit vertrieb und ihr zeigte, dass sie nicht mehr in dem stockfinsteren Verlies lag. Ihre Hände zitterten als sie an Glas stießen und Tomis Herz setzte vor Schreck für einen Moment aus, als ihr die Lampe ungeschickt entglitt und sich mit einem hellen Klirren vom Diesseits verabschiedete.

Ihr Schluchzen bebte als sie sich gegen die kühle Wand presste und zusammenkauerte. Dumpfe Schritte erschütterten alles um sie herum leicht, während sie versuchte sich zu erinnern. Daran, dass sie geflohen war. Daran, dass sie in einem Wirtshaus zuflucht gefunden hatte. Daran, dass das Bett, auf dem sie saß, das Nachthemd, das sie trug - das alles um sie herum ihr bewies, dass sie nicht mehr in dem verderbten Verlies hockte.

Trotzdem fiel die Angst erst ein bisschen von ihr ab, als Hagen die Tür aufriss und eine brennende Kerze ins Zimmer hielt.

"Tomi? Ich hab dich schreien gehört, ist-", begann er mit besorgter Stimme, ehe er verstummte. Das Mädchen schaute ihn aus verweinten Augen an, zusammengerollt wie um sich in sich selbst zu verkriechen, und wimmerte nur zur Antwort.

"Wieder Alpträume?", grollte der hünenhafte Wirt sanft, während er für sein Äußeres beachtlich behutsam auf sie zuschritt. Am Bett streifte sein Blick die Überreste der Lampe am Boden. Es war die Dritte diese Woche. Zwar war ihm das egal, doch als er wieder zu dem Mädchen schaute, waren ihre ungewöhnlichen Augen seinem Blick bereits gefolgt und kehrten nun voller Reue zu ihm zurück. Er setzte die Kerze vorsichtig auf dem Nachttisch ab, bevor er sich zu ihr setzte und seine schaufelhaften Hände sanft zwischen den kleinen Körper und die Wand grub, um die Schelmin zu sich zu ziehen. Ihre Finger klammerten sich in sein Nachtgewand als ihr Körper auf's Neue von Schluchzern geschüttelt wurde. "Alles ist gut. Alles ist gut.", brummte er beruhigend, ihren Rücken streichelnd.
 

Es schmerzte ihn in der Seele, sie so zu sehen. Die letzten zwei drei Male, die sie sein Wirtshaus, "Die Windige Ruh" betreten hatte, war es jedes Mal mit abgetragenen Fetzen am Leib, Blut im Gesicht und wackeligen Beinen gewesen. Sicher, sie war vierzehn - ein Alter in dem so mancher Knappe sich endlich zur Ritterschaft aufschwingen durfte. Es hatte sicher schon einige Helden in ihrem Alter gegeben. Aber die Welt des Mädchens, dessen kurzes Haar - all ihre Würde und ihr Stolz, abgeschnitten als Teil der Folter in Gefangenschaft - kupfern im Kerzenlicht glimmte, als antworte es den Flammen mit einem schwachen Schimmer von eigenem Licht, hatte vor ihrem vierzehnten Lebensjahr aus fröhlichem Fahrenden Volk bestanden. Aus Festen, Süßigkeiten, Musik, Scherzen, Schmetterlingen, duftiggrünen Wäldern und Feenvolk.

Und nun war sie plötzlich scheinbar ununterbrochen umgeben von Blut, Tod und Intrigen.

In der Umarmung des großen Mannes beruhigte sich Tomi bald wieder halbwegs. Sie hörte auf, sich die Wangen an seinem Gewand abzuwischen - eine Geste, von der er irgendwie wusste, dass sie nicht nur den Tränen geschuldet war - und wandte ihr Gesicht der Kerzenflamme zu, die auf dem Nachttisch tanzte. Eine Weile schaute er sie aufmerksam an, aber sie sagte nichts. "Ich mach die Fensterläden wieder auf.", erklärte er ihr dann, dass er sie behutsam losließ und sich aufrichtete. "Luxosch muss sie vorhin wieder versehentlich zugeklappt haben. Die vielen Schläge auf den Kopf haben ihn wohl vorschnell senil gemacht." Er wusste selbst, dass der Scherz nicht sehr gut war - aber griff nach jedem Strohhalm, damit das früher so plapperhafte Wesen auf dem Bett endlich aus dieser unheimlichen Starre erwachte, in der nur ihre seltsam gemusterten Augen noch lebendig zu sein schienen und ihr Blick ihn stumm ans Fenster verfolgte. Eine kurze Pause entstand, in der nur das Holz der Fensterläden knarrte während er diese aufschob.

"Nein. Sie waren vorhin noch offen.", sagte Tomi leise. In ihrer Stimme schien erschöpfte Gleichgültigkeit zu liegen, doch als sich Hagen umwandte und ihr überrascht ins Gesicht schaute, sah er Spuren namenlosen Schreckens darin, der direkt unter ihrer Oberfläche zu brodeln schien, irgendwo am Rande ihrer eigenen Wahrnehmung. Ihre Augen waren starr und leer auf das Madamal gerichtet, das sie als dünne Sichel anzugrinsen schien. Hagen war kein guter Lügner. Nicht einmal wenn es darum ging, kleine Mädchen zu beruhigen. "Ich bringe dir eine größere Kerze.", sagte er. "Falls sie nochmal zufallen, wird es trotzdem hell bleiben." Seine Pranken fuhren durch ihr kurzes Strubbelhaar, welches um seine Finger herum zu knistern schien. Die Geste ließ sie erst zusammenzucken, dann schloss sie für einen rührenden Moment die Augen und schob ihren Kopf seiner Hand entgegen wie ein Kätzchen. Ein beruhigtes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Jetzt wo sein eigener Sohn in der Ferne weilte, um eine Ausbildung zu genießen, war es sehr schön, eine kleine Ersatztochter zu haben. "Versuch, wieder einzuschlafen.", sagte er freundlich und machte sich daran, das Zimmer zu verlassen.

"Ja.", folgte ihm die helle Mädchenstimme. "Danke Hagen. Und gute Nacht."

"Gute Nacht, Kleines." Er zog die Tür hinter sich zu.
 

Als er wieder zurückkehrte, war Tomi tatsächlich zusammengerollt eingeschlafen. Er zupfte ihre Decke etwas zurecht und strich ihr noch einmal sacht über das Haar bevor er das Zimmer endgültig verließ.

Ungesehen von ihm schlug sie die Augen wieder auf und starrte ins Leere, während ihre Finger an ihren Wangen kratzten. Sie fühlte das Blut noch immer daran kleben - und die Last zweier Menschenleben auf ihrem Gewissen ließ sich nicht von einer Kerzenflamme vertreiben.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Rowanna
2011-09-29T19:25:27+00:00 29.09.2011 21:25
Die Arme! Man kann gar nicht anders als mit der kleinen Tomi zu leiden. Du hast eine sehr schöne und stimmungsvolle Geschichte erzählt. Man sah die Kerzen, die du beschrieben hast, regelrecht mit eigenen Augen auflackern. Die Charaktere wirkten glaubhaft und lebendig, dein Schreibstil ist einfühlsam und trotzdem schlicht genug, um die Gefühle der Figuren glaubhaft widerzugeben. Sehr schön! Bleibt nur zu hoffen, dass ein paar Abenteuer mit treuen Gefährten an der Seite Tomi zu neuem Lebensmut verhelfen werden.


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