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Schattentanz

Das Tagebuch der Vergessenen
von

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Echos

1298 – An einem unbekannten Ort

„Es ist Falsch, aber scheinbar bin ich die Einzige, die das so sieht.“ Es war still geworden, als sie ruckartig aufgestanden war. Natürlich hatte sie den rechten Zeitpunkt abgepasst um ihren Einwand vorzubringen. Selten war es, dass die zierliche Frau ihre Stimme erhob, umso eindrucksvoller war der Klang, als sie von den steinernen Wänden widerhallte. Es blieb still, auch als der Blick dunkler Augen durch die Runde der Versammelt glitt. Zumindest im ersten Moment. „Richtig und Falsch liegen stets im Auge des Betrachters, Schwester.“ Laetizia wollte gerade ansetze etwas zu erwidern, doch der Sprecher erhob das Wort sogleich abermals, während auch er langsam aufstand. Der blonde Mann überragte die Frau gut um Haupteslänge die mit ihrem offenen schwarz Haaren und Augen sein genaues Gegenteil zu sein schien. „Wir wissen um deinen Einwand und wir akzeptiere ihn.“ Leise sprach er, klar und ruhig, ein wenig zu ruhig vielleicht. „Nein Jargo, es ist nicht nur Falsch es ist Wahnsinn.“ Ihre Stimme hatte sich wieder weiter herabgesenkt. Sie wollte sich nicht provozieren lassen. Aber weshalb stand sie hier alleine? Sah denn keiner ein, dass sie damit ihre eigenen Ideale verrieten? Waren sie denn alle so blind? Als Dritter erhob sich der Mann, der die ganze Zeit schon schmunzelnd neben Laetizia gesessen hatte. Im Gegensatz zu den anderen Beiden blieb er nicht stehen, sondern begann zu wandern. Bedächtig, wiegende Schritte, die ihn durch das unterirdische Gewölbe trugen um die Stühle der Versammelten herum. „Verzeih Jargo, aber ich denke ich kann ihr das besser veranschaulichen, als du.“ Er schenkte dem blonden Mann ein Lächeln, ehe sein Blick wieder zu der schmächtigen Frau glitt, die ihn mit funkelnden Augen beobachtete. „Wir wissen genau, dass dieses Vorhaben gegen unsre eigenen Gebote verstößt, deren Brechen wir so hart bestrafen und dennoch wollen wir es tun, damit unsre Tugenden nicht verloren gehen. Sieh... meine Liebe... der Edelmut zeigt sich zumeist nur im Angesicht einer Bedrohung und Ideale werden nur dann verteidigt, wenn es etwas gibt, das ihnen entgegensteht. Eine Herausforderung... ein Bildnis, ein Beweis, dass unsre Normen wichtiges Gut sind... und dafür ist es wichtig einen Gegenpol zu erschaffen.“ „Ihr beschwört unsren eigenen Untergang damit herauf...“ Ihre brüchige Stimme war nunmehr ein Flüstern. Ein Flüstern das rasch verklang, das der Einzige und der letzte Einspruch blieb. Es war beschlossen.
 

Heute – New York

"Scheiße schon wieder einer. Langsam wird das echt gruselig... warum kriegen die diesen Psycho nicht endlich?" Das kleine Cafe war leer. Nunja zumindest wenn man von der Bedienung sowie einem Gast, die an Theke saßen einmal absah. Im Augenblick waren die zwei Augenpaare auf den Nachrichtensprecher des kleinen Fernsehers gerichtet, der in gottergebener Gleichgültigkeit die aktuellen lokalen Ereignisse zum Besten gab und das mit einer Mentalität, die einer einschlafenden Schnecke beim Hundert Meter Lauf alle Ehre gemacht hätte. Dabei waren die Nachrichten nichts

was einen hätte kalt lassen sollen. Der Mann mit den graumelierten Schläfen schnarrte weiter: "Damit beläuft sich die Anzahl an Personen, die dem Serienmörder in diesem Jahr bereits zum Opfer fiel auf Elf Personen. Das New Yorker Police Department steht nach wie vor vor einem Rätsel." Die Bedienung, die eben auch gesprochen hatte, schüttelte den Kopf, zückte die Kaffeekanne um die Tasse der Dame auf der anderen Seite saß noch einmal nachzufüllen. "Hmmm vielleicht ist es ja kein Mensch?", gab die Frau, die ihre gefüllte Tasse aufnahm daran zu Nippen zu

bedenken. Als sie jedoch sah wie sich die Augenbrauen der Bedienung wölbten, setzte sie ein breites Grinsen auf. "Manchmal glaube ich, du tickst nicht richtig, Kaey. Und... du solltest mehr schlafen." Mit diesen Worten reckte sich die Bedienung über den Thresen um ihrem Gast die Tasse wieder zu entwenden, was in einem spielerischen Hick-Hack, begleitet von einigem Gegacker endete. Schlussendlich gewann jedoch die Kellnerin, welche die mittlerweilen halbleere Tasse thriumpfierend in die Höhe hielt. Kaey rutschte mit einem gekicherten "Tse.." vom Hocker und

betrachtete die braunen Spritzer, die das Gerangel auf der hellblauen Jacke hinterlassen hatte. "Ich hab eh' Feierabend... also werde ich gleich gemütlich nachhause fahren, mich in mein Bett legen und darüber freuen, dass meine Kollegen heute die Ehre zu Teil wird sich um das besoffene Partyvolk zu kümmern." Da der Versuch die Flecken loszuwerden lediglich darin mündete, dass sie das ganze noch ein wenig mehr verschmierte, ließ sie es bleiben und lächelte stattdessen Cathrine – die Bedienung – herzallerliebst an. Die lachte leise, während sie einen Lappen zückte um die restliche Sauerrei von der Theke zu wischen. Der Blick wurde jedoch übergangslos ernst, wie auch ihre Worte. "Hast du eigentlich keine Angst? Ich meine... dieser Psycho könnte einer der Fahrgäste sein... du weisst ja vorher nicht, was zu dir ins Auto steigt." "Quatsch. Die Chancen sind in etwa genauso hoch wie im Lotto zu gewinnen. Mach dir mal keine Sorgen." Sie sammelte schmunzelnd ihren Rucksack auf und warf ihn sich über die Schulter. Damit war sie auch schon im Begriff zur mit einem gut gelaunten: "Halt die Ohren steif – Bis Morgen!" durch die Türe hinauszuspazieren.

Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es gerade kurz nach elf war, ein Umstand der ihr vor Augen führte, wie müde sie eigentlich war. Die Zeit, die sie schon auf den Beinen war lag damit circa bei 24 Stunden. Kaey – deren vollständiger Name Kayla Drighten lautete - gehörte zu den Verrückten, die sich im New Yorker Stadtverkehr zurechtfanden und ihre Brötchen mit Taxi fahren verdienten. Gerade hielt sie auf eines der quietschgelben Gefährte zu, dass sie vor etwa einer Stunde vor dem kleinen Cafe geparkt hatte. Weg damit und ab ins Bett. Sie schloß die Fahrerseite auf, warf sich hinters Steuer und währe ihr Blick in dem Augenblick nicht eher zufällig auf den Rückspiegel gefallen, hätte sie es wohl gar nicht bemerkt. Da im Schatten bewegte sich etwas. Es war nur kurz gewesen, eine kleine Regung die sonst nichteinmal annähernd aufgefallen wäre, aber sie konnte es sehen. "Scheiße..:", presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, während sie sich mühte die Türe so leise wie nur möglich zuzuziehen. Kaey wollte gerade den Schlüssel herumdrehen um den Wagen zu starten, da kam Etwas ziemlich donnernd auf der Motorhaube auf. Ein unerwartet Geräusch, das sie merklich zusammenfahren ließ. Etwas – halt, nein vielmehr Jemand war dort aufgekommen, saß nun leicht angehockt auf dem Metall und starrte sie für wenige Herzschläge lang direkt an. Bruchteile von Sekunden, die sich für sie künstlich in die Länge ziehen wollten. Realisieren? Nein um die Situation wirklich zu erfassen genügte es nicht. Einen Lidschlag lang waren es kalte, blaue Augen die sie aus einem blassen, ziemlich jugendlichen Gesicht ansahen, dann polterte es erneut, als die Person sich aufrichtete, sich den Weg über den parkenden Wagen suchte. Kaey wollte ihre Hand bewegen, aber stattdessen irrte der Blick wieder in den Rückspiegel. Die schwarz gekleidete Gestalt zog etwas hervor, das kurz in dem bisschen Licht, das die Straßenlaterne spendete silbern auffunkelte, ehe sie dort im Schatten verschwand. Genau dort wo sich Sekunden zuvor noch etwas gerührt hatte. Stille. Schwärze. Gefolgt von heftigem Gepolter, das die Ruhe wie ein Donnerschlag erschütterte. Schritte. Schritte die hastig davoneilten, langsam verklangen und sich abermals in Ruhe verwandelte. Ruhe, die diesmal jedoch drückend, fast schon gespenstisch wirkte. Dann sickerte langsam ihr Verstand zurück... Das war doch...! Den hatte sie doch schon...! Verflucht, die schon wieder!

Verloren in der Dunkelheit

„Mutter? Was tut ihr dort...?“ Erschrocken fuhr Rosalie de Matjé herum, die Türe rasch hinter sich zuziehend.„Laurent... weshalb bist du nicht im Bett? Es ist spät.“ Die Worte klangen nicht tadelnd, aber das hätten sie in keiner Situation. Man hätte fast meinen können die Marquise sei gar nicht fähig den Sanftmut aus ihrer Stimme zu nehmen. Der junge Mann musterte seine Mutter eine ganze Weile lang ohne auf die vermeintliche Rüge näher einzugehen. Sie verbarg etwas. Doch anstatt sie

bloß zu stellen und weiter nachzufragen lächelte er sie an, den Kopf sogleich senkend – wie man es sich nun einmal gehörte. „Wenn dein Vater dich sieht, wird er dich schelten.“, fuhr sie fort ohne auch nur einen Schritt von der Türe zu weichen. „Ich werde es ihm nicht sagen, aber geh nun... rasch.“ „Natürlich, verzeiht bitte.“ Laurent sah wieder auf, schmunzelte jetzt sogar ein wenig, aber er machte tatsächlich kehrt. Er war kein Kind mehr, er war erwachsen, dennoch behandelte sie ihn als sei er eines. Was er nicht wusste war, dass Rosalie ihn im ersten Augenblick für seinen Vater gehalten hatte, denn die Beiden glichen sich – wenn man den Altersunterschied außen vor ließ –

fast aufs Haar. Das Aussehen und auch das Temperament waren aber auch alles was Laurent und Oscar gemein hatten. Ansonsten war er doch mehr wie seine Mutter, wenngleich die Freundlichkeit

etwas verborgener lag, die Hartnäckigkeit hingegen umso dominanter, denn er hatte keinesfalls vor sich ins Bett zu begeben. Er konnte nicht schlafen, das war auch der Grund weshalb er sich mitten in der Nacht durch das Haus bewegte. Aber seine Mutter hatte recht, wenn er seinem Vater versehentlich über den Weg laufen sollte, dann konnte es ungemütlich werden. Sehr ungemütlich. Deshalb entschied er sich seine Wanderung draußen fortzusetzen.

Er hatte keine Ahnung wie lange er durch das angrenzende Wäldchen gelaufen war, im Grunde genommen war es ihm auch gleichgültig, denn es machte keinen Unterschied ob die Minuten nun verstrichen während er hier einen Fuß vor den anderen setzte, oder sich schlaflos im Bett herum wälzte. Seufzend blieb er stehen, sah zum Nachthimmel auf, der sich klar über ihm ausbreitete. Ruhelos war er dieser Tage, ohne selbst zu wissen was der eigentliche Grund dafür war. Vielleicht war es auch einfach nur der Umstand, dass die arrangierte Vermählung bevorstand, über die er alles andere als glücklich war. Aber alle Einwände hatten nichts gebracht, zumal sein Vater in den letzten Monaten regelrecht aggressiv auf Wiederworte jeglicher Art reagiert hatte. Laurent ging ihm aus dem Weg, seit… nun seit jeher. Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Ein Geräusch das er im ersten Augenblick nicht näher zuordnen konnte, ehe es sich wiederholte. Schüsse? Ja, unweit von hier fielen Schüsse. Wieder… und wieder… dann war es still. Was auch immer ihn dazu veranlasste, das ungute Gefühl dass sich in ihm ausbreitete oder aber der auf die Stille folgende Schrei, er warf jegliche Bedenken über Bord und stürzte los. Fast schon blindlings in das Geäst hinein, ab vom Weg dem er bisher hier her gefolgt war. Es knarrte, es knirschte, es barst unter seinen Schritten und mehr als einmal geriet Laurent ins Straucheln, als er sich in dem Gewirr aus trockenem Holz und niedrigen Setzlingen verhakte. Die Laute waren wieder verstummt, was es schwer machte die Richtung einzuschätzen. Die dichten Baumkronen schienen das fahle Mondlicht beinahe vollständig zu verschlucken, sodass man Mühe hatte den Stämmen der Bäume auszuweichen. So musste er wohl auch versehentlich gegen einen Jener gestoßen sein. Laurent prallte zurück und fiel durch den überschüssigen Schwung rücklings auf den feuchten Waldgrund. War das ein Stamm gewesen? Nein, aber was es auch war, es hatte nicht nachgegeben. Er ächzte leise, versuchte auf zu sehen, doch die eigenen Haare verdeckten ihm zum größten Teil das Blickfeld und wohl auch das Gesicht. Nur schwer erkennbar hob sich die Silhouette einer Gestalt von der Umgebung ab. Erst jetzt nahm er auch den Geruch war, den Geruch von Schwefel, Schießpulver… von Tod der in der Luft lag und sich nur leise, schleichend ins Bewusstsein drängen wollte. Irgendwo in der Ferne knarrten Schritte durch das Dickicht, Geräusche die durch ein dumpfes Grollen verschluckt wurden, einem Grollen das nicht zu einem Menschen passte und doch von dem Ding ausging gegen das er eben gelaufen war. Laurent tastete sich rückwärts, die Augen jetzt entsetzt geweitet, aber im ersten Moment brach kein Laut über seine Lippen, lediglich ein Keuchen und als sich doch ein Ton heraus winden wollte drückte sich eine Hand auf seinen Mund, eine Hand die kalt war wie Eis, deren Griff jegliche Gegenwehr im Keim erstickte und dann kam der Schmerz. Laurent hatte für einen Moment das unsägliche Gefühl, dass ihn irgendetwas bei lebendigem Leibe zerreißen wollte. Es war nur ein Moment, ein Augenblick in dem die Pein das Bewusstsein lähmte, ehe sie sich in dumpfe Dunkelheit verwandelte, die fast schon sanft erschien, verschleiernd als würde man in einen tiefen traumlosen Schlaf sinken.
 

Jezz blinzelte ein wenig. Irgendwann während dieser stupiden, blöden Warterrei musste sein Hirn sich ausgeknipst haben und jetzt war es wieder angesprungen. Nur das Bild vor seinen Augen hatte sich nicht verändert. Er hockte hinter dem Steuer des Vans, naja eigentlich lümmelte er mehr auf der Fahrerseite herum. Die Lehne nach hinten gestellt, die schweren Stiefel auf dem Lenkrad überkreuzt und die Arme im Nacken verschränkt. Eben wie jemand der es sich nach einem langen Tag gemütlich machen wollte. Das saphierblau gefärbte Haar stand wild in alle Richtungen ab, etwa genauso unordentlich wie der Rest der schwarzen Klamotten. Alles im Allen bot er einen ziemlich zerknitterten Eindruck, aber man hatte ihm ja auch nicht wirklich viel Zeit gegeben sich wenigstens einigermaßen Straßen tauglich zu machen nur um dann hier zu versauern. „Hättest… du jetzt vielleicht die Güte mir endlich zu erklären, was wir hier genau machen?“, murrte er nachdem sein Verstand wieder ganz in das Jetzt zurück gefunden hatte, das kein dunkler Wald im neunzehnten, sondern eine schäbige, aber genauso dunkle Straße in der New Yorker Bronx im Einundzwanzigsten Jahrhundert war. „Warten.“ Genau die trockene Antwort, die Jezz auf seine zynisch bissige Frage hin erwartet hatte. Er verdrehte die ebenfalls blauen Augen und warf seinem Beifahrer einen nicht wirklich begeisterten Blick zu. Auch da hatte sich nichts verändert. Der Mann mit den langen schwarzen Haaren starrte immer noch unverändert ausdruckslos durch die Windschutzscheibe nach vorn auf die Straße auf der rein gar nichts passierte, als wäre die Nachbarschaft ausgestorben. „Gehts auch… genauer?“, hakte Jezz nach. Um zu versauern hätten sie nicht her fahren müssen, das wäre auch in seinem Zimmer gegangen und vor sich hin schweigen konnte er auch ganz gut alleine. Aber nein. Eigentlich hielt der Blauhaarige sich was nörgelige Beschwerden anging zumindest bei Cherufe etwas zurück, aber gerade ging ihm die Sache hier ziemlich auf den Wecker. Das merkte wohl auch der Andere weshalb dann doch endlich zumindest Ansatzweise etwas wie eine Erläuterung erfolgte, die allerdings recht allgemein gehalten begann. „Wir waren schon einmal hier.“ „Glaubst du ich merk mir jede beschissene Straßenecke an der ich irgendwann rein zufällig einmal gewesen bin?“, fiel Jezz ihm dann eher leise vor sich hinmurrend ins Wort, was lediglich den Effekt hatte, dass der Andere jetzt den Kopf etwas wand und sich ein schmales, eigentlich kaum wahrnehmbares Lächeln auf den aschfahlen Lippen ausbreitete. „Wenn du etwas wissen möchtest, dann lass mich aussprechen, ansonsten erspare ich dir und mir die Mühe.“ Oh Mann… Jezz presst die Lippen fest aufeinander, rollte nochmals mit den Augen, aber er hielt den Mund. Wenn der Lächelte wurde ihm irgendwie unheimlich, allein deshalb weil der das so selten tat. Der Griesgram schwieg nun und so ergriff Cherufe abermals das Wort. „Erinnerst du dich an den Vorfall mit der Polizistin vor zwölf Jahren? Sie war die Einzige Überlebende. Allem Anschein nach führt sie jetzt einen privaten Kreuzzug, gegen…“ Jezz schwieg für genau dreiundvierzig Sekunden, ehe er den irgendwie langweilig klingenden Vortrag mit seinen eigenen Worten fortsetzte. „Ach die Tussi wieder. So langsam aber sicher geht mir die auf die Nerven. Aber da wir ihr bisher nicht den Hals umgedreht haben, wollen wir wohl mit ihr reden… oder besser gesagt du, weshalb wir hier jetzt Häuserfassaden anstarrten und Däumchen drehen.“ Cherufe schloss auf diese doch sehr freie Interpretation hin die Augen und seufzte schwer. Manchmal strapazierte Jezz seine Geduld doch gewaltig und das obgleich er sehr, sehr lange, sehr sehr ruhig blieb, sogar jetzt obwohl der ihn abermals unterbrochen hatte. Was er nicht sehen konnte, war dass sich ein ziemlich spöttisches Lächeln auf Jezz Gesicht schlich in dessen Körper jetzt auch wieder Bewegung kam, als er die Wagentüre öffnete um irgendwie ein bisschen umständlich aus zu steigen. „Ich weiß was du meinst und ich weiß auch, dass ich das machen soll, ansonsten hättest du mich daheim gelassen. Dafür weißt du, dass ich da keinen Bock drauf hab… und ignorierst das natürlich. Wie immer.“ Cherufe sagte kein Wort mehr, aber er nickte bestätigend. Damit warf Jezz die Fahrertüre zu, steckte die Hände in die Hosentaschen und schlenderte jetzt ein ziemlich angesäuertes Gesicht ziehend die Straße nach unten. Er hasste das, er hasste so einiges, genauer gesagt gab es nur wenig das er nicht hasste. Warum musste eigentlich er das machen? Eigentlich war er dafür alles andere als der Richtige. Na gut… na gut… er legte sich einen Plan zurecht. Nein eigentlich nicht. Rein, Person einpacken, Raus, Fertig. Gut es mochte an Details mangeln, aber zumindest konnte niemand behaupten er ging vollständig planlos vor. Mit Jedem Schritt den er tat und vermeintlich brummig vor sich hinstarrte musterte er jedoch die Umgebung. Tatsache er war hier schon gewesen, aber man hatte die Häuser modernisiert. Nein man hatte die alten Häuser abgerissen und neue genauso unschöne Klötze hingestellt. Masse statt klasse. Er bog in eine Seitengasse ein – dort wo sich der Hintereingang zu dem Haus befand – und blieb stehen, als er in den Lauf einer Pistole blickte. Gangster? Nicht wirklich. „Ich habe darauf gewartet euch in die Finger zu kriegen“, zischte ihm eine Frauenstimme entgegen, deren Besitzerin man Dank der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze nicht wirklich ausmachen konnte. Aber er hatte da so eine Ahnung. Jezz fixierte das Metall, zog eine Augenbraue in die Höhe und blickte dann darüber hinweg zu der Lady. „Pass auf Missi… Erstens pack’ die Knarre weg, Zweitens…“ Nein, Missi wollte anscheinend nicht reden, sie drückte aber auch nicht ab, sondern zog es vor ihm das Ding mit Schmackes gegen die Schläfe zu donnern, was den Effekt hatte, dass Jezz für einen Moment lauter bunte tanzende Kreise vor seinen Augen sah, ehe auch etwas Zeit verzögert der Schmerz einsetzte. Heißa! Ungemütliches Frauenzimmer. „Fahr zur Hölle, Blutsauger!“, fauchte es ihm wütend entgegen, aber der einzige Ort zu dem Jezz heute noch fahren wollte war sein Zimmer und da war es definitiv angenehmer temperiert. Was auch immer sie gerade tun wollte, er hatte den Vorteil, dass er einfach schneller war. Ehe diese Furie sich versah hatte er sie grob am Handgelenk gepackt, sodass sie mit einem kurzen Aufschrei die Waffe einfach fallen ließ, einige Male um die eigene Achse gewirbelt und schließlich frontal an die Wand gedrückt wurde, den Arm dabei fest auf den Rücken verdreht. Während dieses eher grotesk anmutenden Tanzes war ihr die Kapuze vom Kopf gerutscht sodass man jetzt den blonden Schopf erkennen konnte, der sich darunter verborgen hatte. Doch ja, das mochte die ältere Version der Frau sein, die sie vor einigen Jahren zwischen irgendwelchen menschlichen Überresten entdeckt hatten. Zugegeben, sie hatte sich lange gehalten. Sie zischte etwas unverständliches, die Zähne fest aufeinander gepresst um einen weiteren Aufschrei zu vermeiden. Gott, was würde Jezz für ein Schmerzmittel geben, dass er einnehmen konnte und das auch wirkte. Musste die dämliche Ziege ihm was gegen den Kopf semmeln? Die Quittung dafür hatte sie ja eben erhalten und da die Lady gerade auch nichts weiter machen konnte als zu kurren und sich kurz unsinniger Weise aufzubäumen, griff er das was er vorhin gesagt hatte auch wieder auf. „…Zweitens kann ichs nicht leiden wenn man mir was um die Ohren wirft…“ Okay das war nicht der vorgesehene Wortlaut gewesen, aber man musste flexibel sein. „Drittens habe ich nicht vor dich umzulegen und Viertens habe ich mit dem was damals vorgefallen ist rein gar nichts zu tun.“ Er lockerte den Griff ein wenig, nur ein klein wenig um ihr zumindest nicht mehr weh zu tun als unbedingt nötig. Jezz war normal schon alles andere als die Freundlichkeit in Person und wenn man ihn dann auch noch so begrüßte konnte er sogar richtig unfreundlich werden – durfte er nur nicht. Aber er hatte sein Temperament im Augenblick unter Kontrolle. „Lass mich los, Arschloch!“ Das waren die ersten zwar noch gepressten aber doch wieder verständlichen Worte, der Frau, deren Gegenwehr doch zusehends abnahm ohne jedoch gänzlich zu versiegen. „Glaubt ihr ich bin blind? Ich hab gesehen, dass ihr mich beobachtet habt… findet ihr das etwa lustig?!“ Ja klar, er hatte die ganze Nacht nichts besseres zu tun als irgendwem hinter zu glotzen und das wahnsinnig komisch zu finden. „Du bist nicht mein Typ.“ Das mit dem ‘zu alt’ klemmte er sich jetzt, weil es faktisch nicht richtig war, aber die vorherigen Worte reichten wohl schon um sie zu reizen. Nicht, dass er es jetzt doch noch als witzig empfunden hätte, das war falsch, es war lediglich seine Art. Mit der die Meisten nur bedingt zurecht kamen, bis überhaupt nicht. Dennoch ließ er von ihr ab, trat fast schon rasch einige Schritte zurück. Reine Vorsichtsmaßnahme. Im selben Moment drehte sich auch die Lady herum, nur um sich mit dem Rücken gegen die Wand zu pressen. So konnte man auch mehr von ihr erkennen. Sie sah müde aus, abgekämpft, während sich in den Augen eine Mischung aus unterdrückter Wut und Furcht spiegelte. Augen deren Blick über den Boden huschten, ganz als würde sie nach der Waffe suchen, die sie vorher hatte fallen lassen. „Das wäre eine ziemlich blöde Idee, außerdem habe ich schon gesagt, dass ich dir nichts tue.“ Jezz lehnte sich an die gegenüberliegende Mauer, kramte eine Schachtel Zigaretten aus der Hosentasche und zündete sich auch eine Davon an. „Die wissen von dir und wenn du außer dem Ding und der ganzen Wut in deinem Bauch nicht mehr zu bieten hast, dann hast du ein ziemliches Problem.“, fuhr er nüchtern fort. Genau genommen klang es mehr gelangweilt. Was interessierte ihn schon diese Zimtzicke, die hatte ihm eben ziemliche Kopfschmerzen beschert, aber er sollte ja… also machte er auch, nur eben auf seine charmante Art und Weise. „Oder lass es mich anders sagen, Missi: Dann hattest du ein ziemliches Problem weil du Harfe spielend auf einer Wolke sitzt und dir über den ganzen Dreck keine Gedanken mehr machen musst.“ Jezz konnte sich zig Dinge ausmalen, die er jetzt lieber getan hätte, als hier in einer gottverdammten Gasse zu stehen und mit dieser Schreckschraube zu diskutieren, die es wahrscheinlich sowieso nicht mehr lange machen würde. Aber er hatte ja schon das ein oder andere Mal festgestellt, dass sich niemand für das interessierte was er wollte. Sie hingegen sog die Luft scharf ein, riss den Blick von der Pistole los, die sie nach einigen Sekunden auch ausgemacht hatte und fixierte den Blauhaarigen mit leicht zusammengekniffenen Augen. Was erzählte der da eigentlich? Sie fand es nicht lustig, überhaupt nicht. Andererseits wirkte der auch nicht unbedingt wie Jemand der fröhlich vor sich hin witzelte, außerdem hatte er unglücklicher Weise recht. „Ich heiße nicht Missi, mein Name lautet Kayla du Mistkerl und ich komme gut allein…“ Die Entgegnung der blonden Frau wurde ruppig unterbrochen, als irgendetwas großes, irgendetwas schweres neben ihnen auf dem Boden aufschlug. Dem Laut nach klang es wie ein nasser Sack, in dem just im Augenblick des Aufpralls etwas brach das wie Holz klang oder auch Knochen. Jezz’ Blick rutschte zur Seite, auf eben jenes Objekt, das allerdings kein nasser Sack war sondern etwas das lediglich noch entfernt mit einem menschlichen Körper gemein hatte. Dieses Ding wirkte seltsam deformiert – was nur bedingt von der Bruchlandung her rühren mochte – und etwas entscheidendes fehlte, etwas das sich sonst zwischen den Schultern befand. Den Bruchteil einer Sekunde später landete etwas weiter entfernt noch etwas, etwas das den Fall allerdings ziemlich galant abfederte und sich in einer fließenden Bewegung erhob, etwas das deutlich mehr Ähnlichkeit mit einem Menschen, genauer gesagt mit einer Frau hatte als das Objekt das zwischen ihnen auf dem Asphalt lag. Sie strich sich mit den Fingern das lange, zerzauste Haare aus dem Gesicht, was jedoch den Effekt hatte, dass Beides mit dunklen Flecken verunstaltet wurde. Kayla blinzelte, starrte das ‘Vieh’ von Frau an, den verunstalteten Körper und schließlich wieder Jezz. Sie schloß die Augen wieder und hatte das schiere Verlangen lauthals loszuschreien, ein Reflex den sie nur mit Müh und Not niederkämpfen konnte, gemeinsam mit dem Brechreiz, der ihr auf der Zunge lag. Jezz indessen knurrte übellaunig, fixierte den Neuankömmling, deren urplötzliches Auftreten irgendwie gerade zu nach Ärger stank. „Die haben ein ziemlich mieses Timing.“ Allem Vorweg war wohl die übel zugerichtete Leiche der Vorbote des sich anbahnenden Unheils. „Wie viele sind es, July?“ „Fünf…“ Die Stimme der Frau klang seltsam heiser, fast schon unverhältnismäßig tief und wollte so gar nicht zu ihrem Äußeren passen. Sie drehte den verstümmelten Klumpen Fleisch mit ihrem Fuß auf den Rücken, fast als sei es eine Trophäe. „…mit denen sollten wir fertig werden.“ „Hier? Zu riskant… lenk sie ab. Und wir, Herzchen, wollen mal sehen wie schnell du laufen kannst.“ Kayla hatte kaum Zeit zu reagieren, denn noch ehe die Worte in ihren Verstand drangen wurde sie abermals an der Hand gepackt und der Blauhaarige zog sie regelrecht mit sich davon. „Wa… Mo… he..!“ Sie strauchelte, stolperte im ersten Augenblick mehr hinterher, als dass sie tatsächlich aus eigener Kraft ging und es wollte ein ganze Weile lang dauern, bis ihre Schritte in einen gleichmäßigen Takt fielen. Fünf? Fünf…was? Wollte sie das überhaupt wirklich wissen? Ja! Nein… eigentlich, wenn sie genug Zeit hätte genauer darüber nachzudenken, sie wäre zu dem Schluss gekommen, dass nicht wissen manchmal deutlich besser war als wissend zu sein. Dumm nur, wenn man dann doch immer alles wissen wollte, da man sonst das schiere Gefühl hatte vor Neugier zu platzen. „Vor was laufen wir eigentlich weg?“ Ihre Stimme war dünn und kam lediglich stoßweise zwischen dem keuchendem Atem. Kayla hatte Mühe mit dem scharfen Tempo mitzuhalten, das Jezz vorgab und hätte der sie nicht immer noch am Arm gepackt, sie wäre deutlich langsamer geworden. So allerdings lief sie in Gefahr auf die Nase zu fallen, wenn sie langsamer wurde. „Ungemütlichen Zeitgenossen“ Die Antwort war so überflüssig, dass er es eigentlich gleich hätte ganz lassen können etwas zu sagen. Wenigstens empfand sie es so, ganz zu schweigen davon, dass sie dieses Gerenne satt hatte – und fast keine Luft mehr bekam. Sie hetzten die Strecke zurück, die Jezz vorhin gekommen war und das Ziel, der Wagen, war auch recht rasch in Sicht. Jezz zog die Augenbrauen ein wenig zusammen, als er sehen konnte, dass dieser leer war. Ja klasse das machte es natürlich einfacher, wenn sie nun in alle Richtungen versprengt waren. Wenige Schritte vom Auto entfernt blieb er dann auch stehen, ließ den Arm der Frau los, während sein Blick über die gleichbleibend graue Betonlandschaft glitt. Kayla ließ sich hängen, stützt die Arme auf den Oberschenkeln auf und versuchte durchzuatmen, nur dass sie dabei unweigerlich das Gefühl hatte, dass ihre Lungen bei jedem Atemzug zu zerreissen drohten. Sobald sie wieder Luft kam, würde sie dem Kerl erzählen was sie davon hielt, wenn man sie einfach so durch die Gegend schleifte. Nämlich gar nichts! Sie richtete sich langsam wieder auf, sog die Luft tief ein und erstarrte. Zeitgleich weiteten sich ihre Augen einen Deut und als Jezz sich ihr wieder zuwand um etwas zu sagen, stockte auch er, als er das Entsetzen darin erblickte. Ruckartig wirbelte er herum – zu langsam – denn er sah nicht einmal genau was ihn da traf, aber es hatte eine solche Wucht inne, dass es den Blauhaarigen von den Füßen riss und er nur haarscharf an der blonden Frau vorbei auf den Asphalt prallte. Es war eines dieser… dieser… Kayla starrte das Ding an, das mehr gehockt auf der Motorhaube des Wagens saß und sie aus leeren Augen anglotzte. Sie hatte so etwas ähnliches schon einmal gesehen. Es war etwas, das mit viel Phantasie noch aussah wie Mensch, was primär daher rührte, dass die skurriles Form des Leibes unter den weiten Kleidungsstücken verborgen lag. Aber das Gesicht allein genügte schon… es war noch ein Gesicht, ein Gesicht das so aussah als hätte man Haut über blanken Knochen gespannt. Sie wollte etwas tun, etwas machen, mehr als dieses Vieh einfach nur anzustarren, aber sie konnte nicht… selbst das Missmutige Knurren, das von etwas weiter hinten her erklang sickerte nicht ganz in ihren Verstand. Jezz war wieder auf die Füße gekommen und fixierte das Ding gleichermaßen, allerdings spiegelte sich in seinem Blick kein Entsetzen, sondern aufkeimende Wut. Zu seinem Glück war das Ding nur mit mangelnder Intelligenz gesegnet, was nur nichts daran änderte, dass es kräftig zuschlagen konnte. Es rührte sich nicht, machte auch keine Anstalten sie noch einmal anzugreifen. Im Gegenteil, das Ding fuhr herum, richtete sich auf und sprang eilends über den Wagen davon. Jezz sah ihm hinterher und sein Gesicht hatte einen deutlich fragenden Ausdruck angenommen. Was war denn das nun bitte? Normalerweise wäre er hinterher, er machte auch einen Schritt in die Richtung, bloß um wieder stehen zu bleiben und den Kopf zu schütteln. Ihm tat der Rücken weh und zwar tierisch… dabei hatte das Ding nur einmal zugetreten und er hatte das Gefühl, dass nicht mehr viel gefehlt hätte um ihm das Kreuz zu brechen. „Ihr könntet einsteigen.“ Die Stimme erklang nicht hinter, sondern neben ihnen und kurz darauf wurde auch eine der Autotüren geöffnet. Jezz’ Kopf flog herum. Zuerst sah er Cherufe, der wie aus dem Nichts aufgetaucht schien, verständnislos an, ehe der Ärger wieder die Oberhand gewann. „Wo zum Henker kommst du jetzt bitte her?!“ „Von dort hinten.“ Der Schwarzhaarige deutet dem Kopf in Richtung einer Seitengasse. „Einsteigen.“, wiederholte er und setzte die eigene Aufforderung in die Tat um. Jezz knurrte leise, packte die noch immer lethargisch wirkende Frau an den Schultern und bugsierte sie auf die Rückbank, bevor er selbst wieder hinter dem Steuer platz nahm, die Wagentür ruppig zudonnernd. „Du hast das gewusst, eh? Wenn du jetzt ja sagst fahre ich gegen die nächste Wand… und irgendwohin gehe ich mit dir auch nicht mehr. Scheisse nochmal! Denk nicht mal dran mich noch einmal zu fragen. Ich bin doch kein Pausenclown!“ Der Wagen wurde gestartet, nahm auch recht rasch an Fahrt auf. Jezz verhinderte es zur Seite oder gar in den Rückspiegel zu sehen, die Funken sprühenden blauen Augen waren starr auf die Straße gerichtet. Er hätte eine mordslust gehabt etwas umzufahren, ganz egal was es war, aber die Fahrbahn blieb leer, allgemein wirkte die Gegend wie ausgestorben. „Nein“, entgegnete Cherufe ruhig. „Zumindest nicht direkt.“ „Nicht direkt?! Was soll das jetzt heißen?! Wie wäre es wenn du die Dinge einfach mal genauer erläuterst anstatt mich mit Bröckchen an Informationen abzuspeisen, eh? Ich kann Überraschungen nicht ausstehen.“ Jezz schrie nicht, eigentlich schrie er so gut wie nie auch wenn ihn etwas auf die Palme bracht. Er konnte sich in Rage reden – wie er es gerade tat – aber es blieb dabei, dass seine Stimme lediglich einen fauchenden, keifenden Ton annahm. Er zog die Luft bereits wieder ein um fortzufahren, wurde dann jedoch unterbrochen. „Weil du nicht zuhörst. Weil du nicht zuhören willst, wenn man dir etwas erklärt, weil du dich für das was man dir sagt nicht interessierst… und ich nicht die Lust habe Jemandem etwas zu Erläutern, der sich wie ein störrisches Kind benimmt.“ Jezz warf einen kurzen Blick zur Seite, rollte dann mit den Augen und ließ den soeben neu aufgestauten Ärger am Gaspedal aus, das er regelrecht durchtrat. Zum Glück für alle beteiligen blieben die Straßen, durch die der schwarze Van preschte nahezu gespenstisch leer. Auch im Wagen selbst herrschte nach dieser kurzen Rüge stille, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, da die Lethargie von der Frau die bis zu diesem Zeitpunkt ziemlich regungslos auf dem Rücksitz gesessen hatte abfiel. “Lasst mich aussteigen..:”, drang es erst recht leise hervor, dann wurde die Stimme wieder lauter, fordernder. “Ich will hier raus habe ich gesagt! Macht auf der Stelle die Türe auf!” Obwohl die Betonlandschaft nurmehr als wirrer Schemen an den Fensterscheibe vorbeiflog, begann sie am Griff herumzurüttel. Vergeblich. Das Ding blieb fest verschlossen. “Miss Drighten, ich bitte sie beruhigen sie sich, wenn wir ihnen tatsächlich etwas hätten antun wollen, dann wären andere Gelegenheiten durchaus günstiger gewesen. Dass wissen sie auch.” Cherufes Stimme übertönte das Geräusch des Motors nur unwesentlich, dennoch hatte sie etwas an sich, dass man gar nicht anders konnte als zuzuhören. Der Blick des Schwarzhaarigen glitt nach wie vor durch die Windschuchtzscheibe, hinaus in das düstre Zwielicht, das die magre Straßenbeleuchtung hinterließ. Eigentlich war das Ganze anders geplant gewesen. Allerdings konnte man sich selten darauf verlassen, dass alles wirklich so lief wie man es sich erdacht hatte. Nein, in Wahrheit sollte man sogar felsenfest damit rechnen, dass es nur schiefgehen konnte. Zwar hatte er die Wahrscheinlichkeit, dass die andere Seite auftauchte einkalkuliert, aber dennoch gehofft, dass es nicht eintrat. Es war eingetreten. “Hören sie…”, fuhr er nach einer kurzen Kunstpause fort, in der Kayla auch aufgehört hatte den Türgriff zu malträtieren. Stattdessen saß sie nun stocksteif da, im Blick eine seltsame Mischung aus Furcht und unterdrückter Wut, die Beide um die Oberhand rangen. “…ich denke, dass wir auf der selben Seite stehen.” “Wir tun was?!”, fiel sie ihm regelrecht ins Wort. Das konnte ja wohl nur ein schlechter Scherz sein! Dieser Freak hatte wohl einen Clown gefrühstückt und das Dumme war, dass man das bei diesen verdammten Blutegeln auch noch wörtlich nehmen konnte! “Halt, langsam… das waren doch…” “Ja.” “Und ihr seid auch….” “Ja.” “Und ihr seid nicht…” “Exakt.” Für einen Moment zog Kayla ein Gesicht als wäre sie gegen eine Mauer gelaufen, nur um im Nächsten in schallendes Gelächter auszubrechen. Nur klang es absolut falsch, fast schon hysterisch. “Ja ganz Klasse, jetzt ist bei der eine Sicherung durchgebrannt…”, murrte es übellaunig von der Fahrerseite. Jezz hatte die ganze Zeit über den Mund gehalten, diesen Kommentar konnte er sich dann doch nicht verkneifen. Es war so klar gewesen. Er hätte es zumindest prophezeihen könen, aber hey, wann hörte man denn schonmal auf ihn? “Soll ich nicht doch lieber vorher bei der Irrenanstalt halten…?” Die Frage war natürlich rethorisch gemeint, wohl ein Grund aus dem er auch keine Antwort darauf erhielt. Das Fahrzeug wurde merklich langsamer, während die Geräuschkulisse im Inneren auch langsam aber sicher wieder abnahm, bis man nur noch ab und an ein leises Schnauben hörte, das nur sehr, sehr entfernt an ein Kichern erinnerte. Schließlich kam der Wagen auch zum stehen und Jezz stellte den Motor ab, ließ sich seufzend im Sitz zurückfallen. “Das wars dann…”
 

Anders. Etwas war anders, aber das war es nicht was seltsam war. Nur was da genau nicht stimmte, das konnte er bisher nicht ausmachen, sickerte das Bewusstsein nur tropfenweise in den Körper zurück. Vorsichtig versuchte er die Finger zu bewegen, nicht viel, nur ein kleines Stückweit. Der Boden über den die Fingerspitzen glitten war hart, fühlte sich eisig an und kalt. November. Es war November gewesen. Ein Bruchteil Realität an den sich der Verstand klammerte, sich langsam zurück in die Realität ziehen konnte. Und sonst? Er wagte es nicht sich zu rühren. Tot… er hätte tot sein müssen. Das war es was ihm seine letzten Erinnerungen mitteilen wollten, die sich allmählich nach oben kämpften, die klamm nach dem regungslosen Leib griffen. Vielleicht war es auch das, was anders war, diese Tatsache, die doch keine war? Die Finger tasteten sich weiter vorwärts. Zentimeter für Zentimeter, ehe sie auf Widerstand trafen. Es war weich. Die Fingerspitzen glitten langsam weiter. Stoff, weicher Stoff, der sich stellenweise nass anführte. Mühe, es kostete soviel Mühe die Augen zu öffnen, soviel Kraft, als bestünden die Lider, wie der gesamte Körper aus Blei. Es gelang, selbst wenn die Zeit die es dafür brauchte wie eine kleine Ewigkeit erscheinen wollte. Das Bild, das sich ihm bot war klar. Erstaunlich klar, ganz als hätte er die Welt zuvor lediglich durch eine milchige Scheibe betrachtet. Dass er auf dem Rücken lag war ihm zunächst gar nicht wirklich bewusst gewesen, doch jetzt konnte er es sehen. Über ihm erstreckten sich die teilweise kahlen Wipfel der Bäume, die sachte im Wind wogen. Äste und kleine Zweige an denen vereinzelt noch dunkel verfärbte Blätter hingen tanzten in den frostigen Wogen, die behutsam über die Kronen strichen. Die Umrisse hoben sich gestochen scharf von dem sternklaren Himmel ab. Unzählige wie es schien funkelnde Punkte, die grell aus dem Schwarz der Nacht hervorleuchteten. Laurent sog die kühle Nachtluft bedächtig ein. Das erste Mal, es war das erste Mal dass er seit seinem Erwachen spürte wie sein Brustkorb sich merklich hob und wieder senkte, als hätte er die ganze Zeit über den Atem angehalten. Anders… alles kam ihm seltsam anders, befremdlich vor… selbst der Geruch. Das Bewusstsein sickerte weiter zurück. Da waren Laute gewesen… Schüsse… Schießpulver. Es war Schießpulver, das er roch und noch etwas… der süßliche Gestank von Tod. Von frischem Tod. Langsam hob er die Hand, die eben noch den Grund erfühlte. Es war nur eine kleine, unscheinbare Bewegung, eine bei der er das schiere Gefühl hatte, dass sie seine Kräfte überstieg. Es dauerte, es dauerte noch etwas Länger als das öffnen der Augen, doch es gelang. Laurent hob die Hand vor sein Gesicht, die ihm mehr wie ein Fremdkörper, denn Teil seines Leibes vorkam. Etwas fiel, etwas fiel auf sein Antlitz, benetzte die Wange. Einen Moment dauerte es, bis das Auge sich für kurze Distanzen scharf genug gestellt hatte um mit entsetzlichem Detailreichtum zu erkennen.Blut, die im fahlen Sternlicht fast unnatürlich helle Haut war zu einem großten Teil mit Blut bedeckt, das jetzt in zähen Tropfen von den Fingern auf sein Gesicht fiel. Und mit einem Mal fuhr der Verstand ruckartig in den Leib zurück, damit auch das bisschen an zerissenen Erinnerungen das an die letzten Moment hatte, bevor er in die Schwärze geglitten war. Plötzlich von unsäglichem Grauen erfasst, richtete er sich auf. Die Schwere in dem Moment abgefallen indem sein Denken wieder einsetzte. Vielleicht hätte er besser daran getan liegen zu bleiben, denn das was seine Sinne nun erfassten, flutete die zuvor herrschende Leere mit Entsetzen. Es sah wie ein Schlachtfeld… er lag inmitten von unzähligen Toten. Toten, die man nur mit Mühe noch als Menschen identifizieren konnte, als wären sie durch eine Bestie zerissen worden. Laurents Lippen bebten, doch nach wie vor drang kein Laut über sie. Der Mann neben ihm war zum größten Teil noch erhalten, zumindest vom Oberkörper abwärts. Ein Uniformierter. Wachen… es waren die Wachen seines Vaters, die hier einen schrecklichen Tod gefunden hatten. Sie waren nicht dagewesen, als er das Bewusstsein verloren hatte… und er… er lebte doch noch, oder?
 

Es war das selbe trübe Bild wie üblich, wenn man durch das teilweise mit Holz verschlagene Fenster blickte. Da sich das Zimmer im Erdgeschoß des fünfstöckigen Hauses befand konnte man nicht wirklich weit sehen, lediglich die karge Betonfassade der gegenüberliegenden Gebäudes, die windschiefe, ramponierte Straßenlaterne, die Straße selbst, die vor Löchern im Asphalt nur so strotzte. Alles in Allem trübe Aussichten und keine Menschenseele auf der Straße, aber das lag wohl am schlechten Ruf und der doch überwiegend eher kargen Besiedlung dieses Viertels. Nun man konnte niemandem verübeln, wenn er nicht hier her ziehen wollte und die die hier lebten verkrochen sich in ihren Wohnungen, die mit zig Schlößern gesichert war. Schuld daran war mitunter die hohe Kriminalitätsrate der Stadt. In einigen Vierteln bekam man das weniger zu spüren, in anderen mehr und der Name dieses Stadtteils indem sie wohnten war das Sinnbild für den städtischen Verfall. Das kleine Haus befand sich schon fast im Randgebiet der Bronx, das einzige Stück von New York, das nicht auf einer Insel lag und dem Verfall hatten sie zusehen können… Viel zu viel Leid in den Straßen, viele Schicksale ein bemitleidenswertes Trauerspiel, das sich den Launen des Lebens ergeben musste.
 

Nein, sie waren natürlich zu keiner Irrenanstalt gefahren und die blonde Schreckschraube hatte sich sogar davon überzeugen lassen, dass sie sich zumindest einmal anhörte worum es hier überhaupt ging. Ganz ehrlich – Jezz zweifelte manchmal ein wenig am Sinn der ‘Sache’, welche auch immer das war. Sie waren alle drei ausgestiegen, hatten das Haus betreten, das sie ihr Eigen nennen durften und sich dort dann auch aufgeteilt. Nicht, dass er traurig war, dass ihm weitere Vorträge erspart blieben. Eigentlich war er ganz froh darum. Im Augenblick stand er in etwas, dass man grob, ganz grob als eine Art Wohnzimmer der Belegschaft betitel konnte. Zumindest standen da ein paar durchgesessene Sofa, Sessel und Tischchen herum. Der Griesgram hatte davon abgesehen das Licht anzuschalten, war ohne umschweife auf das Fenster zugestiefelt um nach draußen zu sehen. Dabei mussten seine Gedanken abermals abgeglitten sein. Nicht seine Nacht. Absolut nicht seine Nacht und irgendetwas lief da verdammt schief. Er war doch sonst nicht so gedankenverloren, zumindest nicht so sehr. Umso besser, dass von den Anderen noch niemand hier. Jedenfalls war es ungewohnt still in dem scheinbar baufälligen Haus am Rande der Bronx. Wohin die Anderen verschwunden waren wusste er nicht. Vielleicht waren sie ebenso unbemerkt gefolgt wie July, denn die war nicht mit den Wagen gestiegen als sie zu Beginn der Nacht mit dieser seltsamen ‘Operation’ begannen. Brummend lehnte er den Kopf gegen das leicht milchige Glas des Fensters, ohne einen merklichen Termperaturunterschied wahrzunehmen. In letzter Zeit war alles ziemlich daneben gelaufen, ob das jetzt besser wurde? Jezz hatte was das anbelangte seine Zweifel… Sie hatten Seve und Jeremy verloren als sie in einen Hinterhalt getappt waren, dafür war wenige Tage darauf Cherufe mit einem seltsamen Kauz im Gepäck wieder aufgetaucht, als wäre er nie verschwunden gewesen. Mit einer ungesunden Portion Ironie konnte man das als fliegenden Wechsel bezeichnen. Oh Jezz war sauer gewesen, eigentlich war er sogar stinksauer – und das immer noch. Kurz nach dieser Geschichte vor zwölf Jahren war sein Mentor ohne eine nähere Erläuterung nach Frankreich verschwunden. Dort wäre etwas aufgetaucht, das er verloren glaubte und sie sollen doch bitte ein Auge auf diese Frau haben, die den Angriff überlebt hatte. Es folgte… Nichts. Kein Brief, kein Anruf, kein Gar nichts… und dann stand er vor wenigen Wochen erneut vor der Türe. Abgesehen davon saß er sich jetzt mit dieser nervenaufreibenden Person im Zimmer nebenan unterhielt.
 

Jezz konnte sich mit dem Gedanken nicht anfreunden, aber wenn er näher darüber nachdachte. Warum war er selbst eigentlich noch hier? Jeder der Anderen hatte sich aus einem persönlichen Grund heraus angeschlossen, weil dieses Feindbild für sie nicht nur ein hypothetisches Konstrukt war, sondern weil sie für sich selbst eine direkte Bedrohung gesehen hatten. Aber er? Er hatte mit diesem Konflikt nichts zu tun. An ihn war Niemand herangetreten… und dann war er doch einer derjenigen die schon am längsten in der Geschichte steckten. Für was? Weshalb? Aus Verbundenheit. Wenn das den Anderen erklären würde, die würden wohl Lachen und es nicht glauben. Jezz löste den Kopf vom kalten Glas, lehnte sich stattdessen mit dem Rücken dagegen um langsam nach unten zu rutschen und dort am Boden zum Sitzen zu kommen. Ein kurzes, spöttisches Lächeln schlich sich auf die Lippen. Vielleicht war er hier ja doch der Pausenclown…
 

Draußen auf dem Flur ging eine Türe. Nein nicht die zum Raum gegenüber, es war die Haustür, die um einiges schwerer war und nun mit einem tiefen Seufzen wieder in ihre Ausgangsposition fiel. Das Knarren der Dielen war etwas leiser, aber in dem im Moment so stillen Haus drang es beinahe ohrenbetäubend laut durch die dünnen Wände. Noch eine Türe wurde geöffnet, diesmal war es jene, die in das mehr oder minder gemütliche Wohnzimmer führte und kurz darauf wieder geschlossen. Hatten sie ihn entdeckt? Wohl kaum, aber da auch sie den Lichtschalter nicht betätigten war es wenig verwunderlich. Jezz konnte sie von seiner Position relativ gut erkennen, aber er machte sich nicht die Mühe etwas sehen zu wollen, im Gegenteil er schloss mit einem gedanklichen Seufzer die Augen. “Das ist nicht wirklich zu unsrem Vorteil. Nein eigentlich sind die Aussicht sogar recht schlecht. Ich bezweifle, dass er einem Gespräch zustimmen wird.” Die Stimme, die erklang war glatt, trug den typisch steifen englischen Akzent und gehörte ziemlich eindeutig einem Mann: Steven Coldoor. Vermutlich war es auch dieser, der sich jetzt durch den Raum bewegte, wenige Sekunden später folgte ein leises Knarzen als er auf einem der Sitzgelegenheiten platz nahm. Als Jezz die Augen wieder aufschlug konnte er Steven sogar genauer erkennen. Dieser hatte den Laptop auf dem schmalen Couchtisch abgestellt, war gerade dabei ihn aufzuklappen, die tiefbraunen Augen sogen sich über die schmalen Brillengläser hinweg auf dem Display fest, während er sich auf dem Sofa ein wenig zurück lehnte, ohne dabei tatsächlich lässig zu wirken. Das war eines der ‚Talente‘, das er besaß. Unglaublich steif zu wirken, was auch immer er tat. Vielleicht hatte er irgendwann einmal einen Besen verschluckt. “Ich… würde es auch nicht tun, wenn ich die Wahl hätte.”, antwortete eine melodisch klingende Frauenstimme, etwas zeitversetzt und Steven ließ sich dazu herab den Blick wieder anzuheben. Dabei schlich sich ein schmales Lächeln auf die dünnen Lippen. Die Antwort missfiel ihm, wie ihm wohl der ganze Abend nicht gefallen hatte, aber Steven war zu professionell um sich Ärgernisse wirklich anmerken zu lassen. Aber man kannte ihn gut genug um zu sehen, dass dieses Lächeln kein echtes Lächeln war, sondern ziemlich abfällig wirkte. Wieder Schritte die sich über den alten Teppich des Wohnraums bewegten und aus den Konturen der zweiten Person wurde eine Frau, ebenso adrett gekleidet wie Steven, dennoch besaß sie eine gänzlich andere Ausstrahlung. Zwar distanziert, doch freundlich, was wohl auch an ihrem Äußeren lag. Sally McDean war eine kleine, zierliche Person mit langem, welligen Haar das wie fließendes Feuer über ihre schmalen Schultern fiel. Das Gesicht glich dem einer handgearbeiteten Porzelannuppe und Sally verstand es diesen Ausdruck noch weiter zu verstärken. Helle Haut, große grüne Augen und rote geschwungene Lippen, die sich jetzt zu einem schwachen Lächeln kräuselten. Die Ernsthaftigkeit in ihrem Blick wich dadurch allerdings kein Stück. “Diplomatie ist eine Sache, aber mit Bestien verhandelt man nicht und du Steven weißt ganz genau zu was er fähig ist…” “Natürlich.”, fiel er ihr ins Wort, die Hände vor dem Bauch faltend. “Dennoch halte ich es für ratsam zumindest den Versuch zu unternehmen, zumal Mister Resory mit Sicherheit nicht sehr begeistert sein wird, wenn wir seinen Wünschen nicht entsprechen.” Langsam, aber beständig hatte sie sich dem Tisch genähert, bis sie nun weniger als einen Meter von ihrem Gesprächspartner entfernt stand. Eine Hand in die Hüften gestützt, mit der anderen klappte sie jetzt das Gerät zu, auf das Stevens Blick wieder gerutscht war. Es gab ein leises Klacken von sich, als der Monitor einrastete, das künstliche Licht damit wieder verlosch. “Mister Resory ist nicht hier und du hast nicht das sagen.”, schnitt ihre eigentlich sanfte Stimme jetzt durch den Raum. Es war offensiv, für Sallys Verhältnisse eigentlich sogar mehr als das. Ihr Gegenüber erhob sich daraufhin langsam, zog die trockene Luft tief ein, während der Körper sich unter dem Stoff des Anzugs spannte. “Du… solltest aufpassen welche Worte du wählst, sonst…” Steven wollte gerade um den Tisch herumgehen, doch hinter ihm scharrte etwas über den Boden, sodass der Engländer regelrecht herumwirbelte, eine Hand unter das Jacket fuhr. Jezz war mit einer fließenden Bewegung auf die Füße gekommen, schlenderte die wenige Schritte die es bedurfte zum Sofa um sich dann mit beiden Händen auf der Rückenlehne des Sofas abzustützen. Es war ein offenes Geheimnis, dass er Steven auf den Tod nicht ausstehen konnte. Der Typ gehörte zu den Leuten mit denen er nicht konnte und im Moment hatte Jezz wahnsinnige Lust Coldoor seine Krawatte in den Mund zu stecken, sich umzudrehen und zu gehen. Tat er aber nicht. Stattdessen lehnte er sich ein wenig vor, neigte den Kopf zur Seite und musterte Steven Zentimeter für Zentimeter von unten nach oben, sodass es mehr als nur provozierend wirken musste. Eigentlich hatte er sich ja vorgenommen da sitzen zu bleiben bis die zwei wieder verschwunden waren, ganz einfach um nicht mit ihnen reden zu müssen, aber dann hatte er doch Bedarf gesehen einzugreifen. Ein schwaches, beinahe herablassendes Lächeln zeichnete sich auf Jezz’ Lippen ab, als er bei Stevens Gesicht angekommen war, das für einen Moment tatsächliche Überraschung spiegelte. Scheinbar hatte er nicht erwartet belauscht zu werden. Jedoch dauerte es nur wenige Lidschläge, dann hatte der Engländer sich wieder vollkommen unter Kontrolle, ließ die Hand wieder sinken. “Seit wann spielen wir den Mäuschen…?” Die Belustigung in der Stimme klang aufgesetzt und Steven setzt bereits wieder sein geschäftsmäßig schmieriges Lächeln auf. Die Antwort war ein halbherziges Schulterzucken. “Was kann ich dafür, wenn du keine Augen in Kopf hast…” Coldoor verengte die Augen ein wenig, griff urplötzlich nach seinem Hemdkragen und zog den Blauhaarigen ein Stückweit zu sich über das Sofa, sodass nurmehr wenige Zentimeter zwischen ihren Gesichtern lagen. Für einen Moment wirkten Stevens Augen stechend, fast schon bösartig. Dem stummen Kräftemessen, dem Blick hielt Jezz stand, ohne auch nur eine Miene zu verziehen. „Lass mich auf der Stelle los.“, erwiderte er leise in gewohnter Manier, doch der frostige Unterton in der ansonsten desinteressiert klingenden Stimme war nicht zu verkennen. Und Steven ließ tatsächlich ab, wieder mit diesem öligen Lächeln im Gesicht, das in Jezz fast schon Abscheu hervorrief. “Tse…” Jezz trat einen Schritt zurück, nahm noch einmal abschätzend Maß, ehe er um das Sofa herumging, an dem ätzenden Engländer vorbei, auch an Sally, bei der er für einen kurzen Moment inne hielt. Er wollte noch etwas sagen, aber dieser seltsame Blick in ihren Augen. Er konnte nicht.

Hinter dem Vorhang

Verflucht nochmal! Es wäre besser gewesen, wenn sie nicht gewartet hätte! Es wäre bessergewesen, wenn sie einfach in den Häuserschluchten verschwunden, einen Umweg genommen und dann nachhause gefahren wäre. Nun war sie in ihrer kleinen Wohnung, wenige Stunden nach dieser seltsamen Unterredung. Kaey hockte eingesunken auf dem Sofa, das Gesicht in den Händen vergraben, die Zähne so fest aufeinandergepresst, dass es fast schon wehtat. Warum war sie nicht gegangen? Sie hätte sogar noch gehen können, nachdem der Wagen zum stehen gekommen war. Sie hätte nicht mit diesem Freak reden müssen. Verdammt, sie hatte nicht einmal das getan, was sie sich vorgenommen hatte: Ihnen allen den Gar auszumachen. Es war so ähnlich gewesen wie damals, als sie solchen Kreaturen zum ersten Mal begegnete. Jeglicher bewusster Einfluss auf ihr eigenes Handeln erlahmte, gleich einem Schleier der sich über sie legte, der jede Regung, jeden Widerstand im Keim ersticken ließ. Sie hatte sich hingesetzt, sie hatte zugehört, sie hatte solange zugehört, bis ihr Gegenüber geendet hatte. Ohne etwas zu hinterfragen, ohne auch nur einen einzigen Ton von sich zu geben, ohne vielleicht den wirklichen Sinn der Worte zu erfassen und dann… dann hatte sie gehen können – sie hatte die ganze Zeit gehen können. Niemand hatte sie festgehalten, niemand hatte ihr gedroht. Trotzdem sie war geblieben, obgleich sich etwas tief in ihr dagegen gesträubt hatte. Langsam schoben sich die Finger von ihrem Gesicht und Kayla schlug langsam die Augen auf, blinzelte in das trübe Licht der Dämmerung, das sich im Glas der Fenster brach. Ein fahler, tanzender Lichtschein, der kaum genug Kraft zu haben schien um die Dunkelheit der Nacht zu vertreiben. “Ich bin so dumm… so unendlich dumm..:”, murmelte sie zu sich selbst. Dabei rutschten

ihre Füße vom Sofa auf den Boden und Kaey ließ sich mit einem tiefen Seufzen seitlich auf das Polster fallen. Einen klaren Gedanken fassen. Sie musste versuchen ihr Denken zu strukturieren, in klare Bahnen zu leiten, aber es fiel so unendlich schwer. Die Müdigkeit steckte nicht nur in ihren

Gliedern, sondern auch in ihrem Kopf. Die Lider hatte sie zur Hälfte gesenkt, betrachtete durch einen Tränenschleier die tanzenden Staubkörner im Schein der aufgehenden Sonne. Warum durfte sie, sie nicht einfach weiter hassen? Das wäre leichter gewesen. Sie gegen den Rest der Welt. Bislang hatte es doch funktioniert. Sie war noch hier, sie atmete noch, sie lebte noch. Und so? Einmal mehr das Weltbild über den Haufen geworfen. Nicht so tiefgreifend, so einschneidend wie das erste Mal, aber deshalb schmerzte es nicht minder weniger in der Seele. Kaey streckte eine Hand aus um mit den Fingerspitzen nach den winzigen Partikeln zu tasten, die träge durch die Luft rieselten. Noch einmal schloss sie die Augen, kniff sie fest zusammen, ballte die Hand zur Faust um sich im nächsten Moment regelrecht auf die Füße zu katapultieren. Raus. Sie musste hier raus, sonst würde die Last ihrer Gedanken sie einfach zerquetschen. Es änderte nichts, wenn sie sich jetzt verkroch. Nein. Das Chaos in ihrem Kopf würde sich damit nicht lösen lassen. Natürlich um eine Entscheidung zu fällen, dafür musste sie in Ruhe nachdenken, aber niemand hatte von ihr Verlang das von Jetzt auf Gleich zu tun – niemand hatte irgendetwas von ihr verlangt, lediglich einen Ratschlag hatte sie erhalten. Und darüber würde sie auch nachdenken, nur nicht jetzt.
 

„Was? Schon wieder ein Toter? Ja, ich bin unterwegs.“ Seufzend legte Kim den Hörer auf die Gabel. Das war jetzt schon der Zwölfte Tote in diesem Jahr, der diesem Psyhopatem zum Opfer

gefallen war und in Anbetracht der Tatsache, dass es gerade mal Anfang März war, schönte es die Sache nicht unbedingt. Viel unangenehmer war jedoch die Tatsache, dass es keinerlei Anhaltspunkte auf den Täter gab und das Ganze wohl nur die Weiterführung einer Mordserie der vergangenen Jahre war. Kim hatte den Fall damals nicht bearbeitet, er hatte sich lediglich letzte Wochen die Akten darüber rausgesucht und angefangen sie durchzulesen – eine langwierige Sache. Der Kollege der zuständig war, der saß mittlerweilen in der Psychatrie. Seltsame Geschichte. Gähnend stopfte seinen Dienstausweis, seinen Geldbeutel, den Autoschlüssel und eine Packung Zigaretten in die

Taschen und machte sich auf den Weg. Dabei war er doch vor wenigen Stunden erst von seiner Schicht nachhause gekommen, aber Verrückte achteten unglücklicherweise so selten auf Dienstzeiten. Vor sich hin brummelnd stieg er die Treppen nach unten. Die unzähligen, schlaflosen Nächte, die er damit zugebracht hatte, hinter dem Schreibtisch zu sitzen machten sich bemerkbar und sein Körper fing langsam an gegen die Überstunden zu protestieren.

Es war so, wie er es sich gedacht hatte. Von weitem sah er schon, die unzähligen Gaffer, die auf der Straße herumstanden, dazwischen ein paar Beamte, die vergebens versuchten die Leute davon zu scheuchen. Kim parkte den Wagen irgendwo abseits und ging das letzte Stück zu Fuß. Auf halbem Weg, kam ihm ein etwas jüngerer Polizist entgegen, der aufgeregt Gestikulierte. „Detective Rouklin, wir haben schon auf sie gewartet. Es ist genau, wie die letzten Male.“ „Ganz ruhig Officer, sie sollten jetzt am besten nach Hause fahren und sich etwas schlafen legen. Sie sind schon ganz blass.“ Kim kannte den Mann und war der Ansicht, dass er seinen Beruf verfehlt hatte und besser als Verkehrspolizist aufgehoben sei, als in seiner Abteilung. Naja gut rein vom Äußerlichen her würde man dem jungen Mann den Polizisten wohl eher abnehmen als ihm selbst, denn Kim passte nicht so ganz in eine der Schubladen in die man Gesetzeshüter so gerne steckte. Zu den Donought fressenden Streifencops passte er nicht, dafür fehlte der dicke Bauch, zu den akkuraten Bürokraten

des Departments allerdings auch nicht, dazu war er nicht schmierig genug, obwohl er im Dienst meist mit einem hellgrauen Anzug und einem Trenchcoat herumstiefelte. Für einen Aktenschubser war er allerdings zu groß, durch das Kampfsporttraining wohl auch zu athletisch, selbst wenn man um letzteres zu erkennen wohl zweimal hinsehen musste. Viel offensichtlicher störend wirkten dann eher die wasserstoffblonden Haare, die im Licht manchmal beinahe weiß erscheinen wollten, was ihm in Kombination mit der hellen Haut und den kleinen Gläsern der Sonnenbrille einen fast schon unheimlichen Touch verlieh. „Natürlich, Sir. Wie sie meinen.“ Der Officer schien etwas geknickt, huschte jedoch artig davon.
 

Das Haus sah ziemlich erbärmlich aus. Der Putz blätterte an etlichen Stellen und die Fenster schienen schon mehrmals ausgebessert worden zu sein. Im Großen und Ganzen wirkte es nicht

besonders einladend, oder gar freundlich. Murrend stieg Kim die Treppen zum dritten Stock empor, wo sein Kollege schon wartete. „Siehst ja nicht gerade munter aus.“ „Halt die Klappe Marty, sag mir lieber, was hier los ist.“ Kim sah seinen Kollegen Martin Cannon giftig an. Marty war gut einen Kopf kleiner als Kim, war mit mitte Dreißig auch sechs Jahre älter als er, hatte kurzes, schwarzes Haar und ein rundes, freundliches Gesicht. Sie kannten sich schon lange und eigentlich machte sich Kim nicht mehr viel aus Martys sanften Spott, aber augenblicklich war nicht in Stimmung zum Witze reißen. „Das selbe wie bei den beiden letzten Malen. Das Opfer konnte man ausnahmsweise sogar schon identifizieren. Andrew Carlsan 45 Jahre, allein stehend. Ach ja, du solltest da besser nicht reingehen, kein besonders schöner Anblick… ähnelt einem schlechten Horrorfilm.“ Kim

machte eine abwertende Handbewegung und betrat die Wohnung. Hier sah es aus, als wäre seit Jahren nichts mehr aufgeräumt worden. Überall lagen Klamotten, Unrat und dreckiges Geschirr herum, dazwischen sah man einiges Getier unter anderem auch eine Ratte, die neugierig auf ihn zukrabbelte. Er verscheuchte sie mit einem kurzen Aufstampfen. „Niedliche Hausgesellen hatte der…“ Sein Blick streifte durch die Wohnung und klammerte sich schließlich an dem Körper fest, der regungslos auf dem Boden lag – oder vielmehr an dem was davon übrig geblieben war. Marty hatte recht, die Szenerie erinnerte an einen dieser schlechten Splatterfilme bei denen mit viel zu viel Kunstblut gearbeitet wurde. Klar es war hier in der Realität weniger, dennoch möchte man meinen, dass in den kläglichen Überresten des Mannes jetzt nicht mehr vorhanden sein durfte, nachdem das meiste auf dem Boden und an den Wänden verteilt war. Sogar die Kleidung des Opfers war mit der roten Flüßigkeit, die teilweise schon eintrocknete regelrecht durchtränk. Kim zog ein Taschentuch aus der Tasche, drückte es sich auf Nase und Mund und trat einige Schritte näher um sich langsam in die Hocke niederzulassen, die Überbleibsel mit konzentriertem Blick zu mustern. Wiederlich. Über die These, dass es sich bei dem Killer um einen Metzger handelte war schon mehr als einmal aufgestellt worden, aber es war einfach nicht Stimmig. Langsam glitt sein Blick über die kleinen, runden Gläser hinweg über die Gestalt, beim Gesicht angefangen, das im Gegensatz zu sonst beinahe unberührt geblieben war, glitt den Hals hinab, der seltsam verdreht wirkte, hin zum Oberkörper, der wohl bei der ganzen Geschichte den höchsten Ekelfaktor besaß: Das seidene Hemd war nicht nur durchtränkt, es war aufgerissen, regelrecht zerfetzt, wie auch der Leib selbst. Ganz als hätte jemand unfachmännisch den Oberkörper aufgeschnitten um den armen Kerl dann ausgeweidet. Klar, Kim war kein Gerichtsmediziner, aber er hatte genug Ahnung um zu sehen, dass man kein Messer oder etwas ähnliches verwendet hatte. Es sah aus, Gott es sah aus als wäre die Leiche Stellenweise angefressen worden, wie von einem wilden Tier. Das war der Punkt, an dem sogar Detectiv Rouklin spürte wie die Übelkeit fast übermächtig wurde. Rasch erhob er sich, machte einige Schritte zurück, drehte sich weg. Für einen Moment glaubte er den Brechreiz nicht bezwingen zu können und es kostete einige Augenblicke bis er sich weitestgehend wieder unter

Kontrolle hatte. Es wäre nicht nur peinlich gewesen sich an einem Tatort zu übergeben, sondern auch Verunreinigung von Beweismitteln. Kim hielt noch einen Moment Inne, ehe er doch zum

taktischen Rückzug überging, die Wohnung mit raschen, ausgreifenden Schritten wieder verließ, wo Marty nach wie vor Stellung bezogen hatte. Der musste unweigerlich grinsen, als er bemerkte, dass sein Kollege um einiges blasser um die Nase war als sonst. Kim indess nahm das Taschentuch vom Gesicht, atmete einige Male tief durch, ehe er sich räusperte und in fast schon geschäftsmäßigen Ton zu sprechen begann, wenn auch die Stimme ein klein wenig belegt klang: “Die Kleidung… Der Mann trägt einen Anzug von Armani, das… Etikett war am Hosenbund zu sehen. Bist du sicher, dass der Kerl hier gewohnt hat?“ „Todsicher, wir haben einige andere Hausbewohner befragt und eine Anfage an die Behörden rausgegeben, denn sie Sache mit dem Anzug kam uns auch seltsam vor. Die Spurensicherung müsste auch jeden Augenblick eintreffen “ Martys Grinsen war zum Großteil bereits verblasst, gewann gerade jedoch wieder an neuer Kraft. “Tja und du scheinst ja auch genug gesehen zu haben, eh?” Kim verdrehte die Augen und verpasste Marty einen sanften Klaps auf den Hinterkopf. Einen Moment später war er auch schon wieder dabei die Treppen nach

unten zu nehmen, auf halber Höhe im Treppenhaus stehen bleibend. Kim lehnte sich über das Geländer, sah durch die offenstehende Vordertüre hinaus durch die er das Gebäude zunächst betreten hatte und zog eine Grimasse. Neben dem bläulichen Schein der Polizeifahrzeuge konnte man dann und wann auch ein kurzes Aufblitzen ausmachen, das sehr deutlich eines sagte:

Sensationsgeile Zeitungsschmierer. ‘Wie die Geier…’, dachte Kim, griff mit den Händen nach der Brüstung und schwang sich ohne groß Federlesen darüber. In dem Moment indem er auf dem Boden aufkam, hörte er noch etwas. Ein leises Schaben, gefolgt von Scharren das klang als würden Schuhe über Beton gleiten. Der Detectiv wirbelte herum, als er aus den Augenwinkeln einen Schatten wahrnahm – kurz darauf wurde die Hintertüre die sich am Ende des Flures befand ins Schloss gezogen. Kim hielt für einen Augenblick den Atem an, während sich seine Gedanken überschlugen den Bruchteil einer Sekunde später setzte setzte sein Instinkt ein, der ihm sagte, dass das was da gerade heimlich hinausgehuscht war, keiner der Hausbewohner war.
 

Er flog nahezu über den bröckeligen Asphalt, der wohl vor Jahrzehnten das letzte Mal ein Straßenbauteam gesehen hatte. Immer wieder musste er langsamer werden um nicht gegen eine

Betonwand zu rennen, denn die Biegungen in den schmalen Gassen zwischen den maroden Häusern waren sehr scharf, manchmal erst im letzten Moment zu erkennen, wenn man schon befürchtete in einer Sackgasse gelandet zu sein. Abermals sprang er über eines der vielen Hindernisse hinweg, über umgestürzte Mülltonnen, liegen gelassenen Unrat, leere Flaschen. Schnaufend rang er nach

Atem, aber er durfte nicht anhalten, obwohl er jeden Moment das Gefühl hatte, dass seine Lungen kollabierten. Der dünne Stoffmantel flatterte im Wind, die zotteligen schwarzbraunen Haare hatten sich schon vor längerer Zeit aus dem zuvor gebunden Zopf gelöst. Wieder hastete der Blick gehetzt über die Schulter und obgleich er im Moment niemanden sah, so wusste er doch ganz genau, dass er den Verfolger noch nicht abgeschüttelt hatte. Ein Block trennte ihn noch vom nächsten, zumindest halbwegs sicheren Versteck, aber bis dahin durfte er nicht stehen bleiben. Zu seinem Glück war hier niemand unterwegs. Es hätte Fragen aufgeworfen, selbst bei den Obdachlosen die hier herumlungerten. Dass er auf der Flucht war, das wäre eine leicht zu machende Feststellung, so wie er sich gebärdete, viel wichtiger war da wohl das Detail, dass er aussah als hätte ihm jemand Tomatensaft über Hände und Kleidung geschüttet.
 

Irgendwas roch hier seltsam, aber der Geruch störte ihn weniger als der Muskelkater, der sich just in dem Moment bemerkbar machte, als sein Bewusstsein sich aus dem Schlummer löste. Er fühlte sich als hätte er am Marathonlauf, Iron-Men-Wettbewerb und den Olympischen Spielen gleichzeitig teilgenommen. Ganz zu schweigen davon, dass sein Zeitgefühl sich verabschiedet hatte. Der Untergrund auf dem er lag war hart. Kein Wunder, es war ein leerstehendes Haus gewesen in das er sich zurückgezogen hatte. Mit einem leisen ächzen auf den Lippen drehte er sich auf den Rücken, nuschelte Schlaftrunken etwas vor sich hin und rümpfte die Nase. Roch er selbst so komisch? Wieso…? Ach doch! Ruckartig schlug er die Augen auf, wollte sich aufsetzen – RUMS – mit dem

Ergebnis, dass sein Schädel gegen die Tischplatte schlug unter der er sich zusammengerollt hatte. “Căcat!”, zischend beeilte er sich unter der wie er eben feststellen musste noch ziemlich stabilen Holzkonstruktion hervorzukrabbeln. Sehen konnte er noch nicht wirklich viel, denn der Blick war von einem trüben Tränenschleier bedeckt. Dann stieß er abermals mit dem Kopf gegen etwas. Fühlte sich aber nicht so hart an wie der Tisch eben. Die eine Hand griff nach oben um festzustellen ob er sich gefahrlos aufsetzen konnte, die Andere tastete an dem Etwas entlang gegen das er eben gerempelt war. Hm mit Stoff überzogen, zumindest weich. Polstermöbel hatte er hier aber gar keine

gesehen, oder? Sonst wäre er wohl kaum unter den Tisch gekrochen… Was es auch immer war, es musste groß sein und es bewegte sich?! Vor ihm raschelte etwas, die Dielen knarzten. Er kniff die Augen zusammen, ruderte mit der Hand vor sich herum, ehe die Finger wieder etwas fanden nachdem sie greifen konnten. Glatt. Er rieb die Fingerspitzen ein wenig aneindaner. Glatte Fäden, die sehr dünn waren… Haare! Moment – Haare?! Er riss die Augen regelrecht auf und stockte für einen Moment, während sein Blick sich langsam aber sicher schärfte. Oh Fu…! Tatsache, unweit

von seinem eigenen Gesicht entfernt erspäte er ein weiteres Antlitz, das er jetzt regelrecht anstarrte. Die Hand mit der er eben herumgefuchtelte, hatte sich in den langen, schwarzen Haaren seines Gegenübers verfangen, dessen grüne Augen ihn aus einem fast schon kalkweißen Gesicht entgegenstarrten ohne dass er etwas darin hätte lesen können. Seine Mundwinkel zuckten ein wenig, aber er war weder fähig sich zu rühren, noch etwas zu sagen. Dafür tat das sein Gegenüber, dessen Stimme für die weichen Gesichtszüge fast schon ein wenig zu tief klingen wollte. “Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du das unterlassen könntest, Celester.” “Äh…”, brachte dieser hervor, zog recht rasch die Hand zurück. “Es ist schon wieder Nacht…?” Natürlich war er sich der Dussligkeit dieser Frage bewusst, es war auch eher ein Versuch abzulenken. Mittlerweilen hatte Celester sogar begriffen, dass er es war der so seltsam roch. Kein Wunder, er war nach wie vor zum Großteil mit Blut besudelt, das jetzt allerdings eingetrocknet an seiner Kleidung – und seinen Fingern haftete. Sein Gegenüber ignorierte die dumme Frage, richtete sich nun aus der Hocke wieder auf, die zerzausten Haarsträhne hinters Ohr streichend, während er sich langsam umwand, einige Schritte durch das baufällige Zimmer gehend. “Da du nicht am vereinbarten Treffpunkt warst bin ich hier her gekommen. Was ist passiert?” Celester holte tief Luft, zog es aber vor lieber tief zu Seufzen anstatt zu antworten, während auch er seine Körperteile aussortierte und auf die Beine hüpfte. Neben Cherufe wirkte Celester wie ein abgebrochener Gartenzwerg, der in einem Schweinestall hauste. Das lag aber daran, dass der andere einfach ziemlich groß und er verhältnismäßig klein war, ganz zu schweigen davon, dass er einen deutlich rosigeren Teint vorweisen konnte, dunkelbraune Augen hatte von denen eines rein theoretisch fehlen müsste, bedachte man, dass sich eine breite unschöne Narbe darüber erstreckte. Aber nein, beide Augen steckten fest im Kopf und die huschten jetzt fast schon peinlich berührt durch den Raum. “Ahm… einer der Cops hat mich verfolgt…” Rasch hob er die Hände in einer beschwichtigend wirkenden Geste an. “… aber nicht gesehen und wie man sieht auch nicht erwischt. Aber ich konnte es erledigen – wenn auch knapp.” In Kombination mit dem verlegenem Lächeln sah es fast so aus als wolle er um Verzeihung heischen. Das stimmte nicht ganz, jedenfalls nicht was diese Sache anbelangte. Es war ja glatt gegangen und das war die Hauptsache. Vielmehr kam er sich wegen der Blinden-Kuh-Sache dämlich vor. Ach Schwamm drüber! Langsam ließ er die Hände wieder sinken, fischte ein Band aus der Tasche, mit dem er den wilden Haarwust zu bändigen suchte. “Was meinst du, wie lange wird das noch so gehen?”, fragte der kleine Mann nach einer Weile mit der vagen Vermutung auch diesmal keine Entgegnung zu erhalten. Cherufe war stehen geblieben, die Lider gesenkt und auch weiterhin war es schwer auf den bleichen Zügen eine Regung auszumachen, doch dann als er die Augen wieder aufschlug konnte man ein schwaches Lächeln erkennen, das es trotz allem nicht schaffte die Seelenspiegel zu erreichen. “So lange wie die Umstände es unumgänglich machen.”
 

Es war eines der größten Zimmer in diesem Haus, was aber nicht hieß, dass es deshalb irgendwie hübscher wirkte. Kalt war eigentlich der treffendere Ausdruck. Man hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht auf dem tristen Betonboden einen Teppich auszurollen und die spärliche Ausstattung hatte etwas von Gefängnisflair. Da war der große, weiß lackierte Tisch um den zig Stühle herumstanden, sowie ein Aktenschrank, der fast die gesamte rechte Wand ausfüllte und ansonsten… ansonsten waren da eigentlich nur die heruntergelassenen Jalousien. Licht. Dafür hatte man hier scheinbar auch nicht viel übrig, denn von der Gestalt, die am Kopfe der ‚Tafel‘ saß konnte man nur dank des künstlichen Lichts des Laptops etwas erkennen, über dessen Rand ihn nun ein Blick traf, den korrekt zuzuordnen Mühe machte. Coldoor’s tiefbraune Augen hatten ihn genau ins Visier genommen, akkurat jeden Zentimeter musternd, bis sie sich zum Gesicht hochgetastet hatten, was ein schmales verziehen der Mundwinkel zur Folge hatte. Freundlich wirkte es nicht gerade, aber darauf legte Jezz auch keinen Wert. Ebenso wenig auf die Worte, die fast schon schneidend an seine Ohren drangen. „Ach, lässt der Herr sich doch dazu herab hier zu erscheinen. Ich bin begeistert.“ Von Begeisterung… keine Spur. Nicht einmal ein klein wenig. Jedenfalls rührte sich der Blauschopf keinen Zentimeter. Nicht, weil er nicht wollte, sonder eher weil er zu Steven soviel Abstand halten wollte wie nur irgendwie möglich. So schwiegen sie sich eine geraume Zeitlang einfach nur an, da Jezz die trockene Antwort nicht kommentierte. Oh er hasste das und von dem sollte er sich auch noch etwas sagen lassen. Ewig würde er dieses Spielchen nicht mitspielen, seine sieben Sachen packen und sonstwohin verschwinden. Ehe er den Gedanken zu Ende spinnen konnte, begann sein Gegenüber aber auch schon wieder zu sprechen und brachte ihn so mehr oder minder sanft in die Gegenwart zurück. „Es geht um folgendes…“, setzte Steven an, während er sich auf dem harten Stuhl ein wenig zurücklehnte. „… Mister Resory ist von unserem tun derzeit nicht wirklich angetan.

Ich nehme an du verstehst weshalb. Wir müssen etwas unternehmen, ehe weitere Morde geschehen und die Stadt in heller Panik versinkt… sonst gedenkt er unser hiersein lediglich als Balast anzusehen..“ Na das würde dir ja wohl so in den Kram passen, du siehst dein Hiersein ja sowieso nur als Last an. Das wurde auch nicht laut ausgesprochen, da es nur zu unsinnigen Diskussionen führen würde auf die Jezz im Moment – eigentlich generell – ungefähr soviel Lust hatte, wie es ihm Freude bereitete hier zu stehen. So beließ er es dabei Steven gelangweilt anzusehen und hoffte stillschweigend, dass er schnell wieder gehen konnte. Nur im Moment sah es nicht danach aus. "Wir müssen unsre Anstrengungen verdoppeln, sonst…“ Steven nahm die eckige Brille ab und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „… bekommen wir Probleme. Daran sollten wir arbeiten, oder was meinst du?“ Ja, ganz toll und was hatte er jetzt bitteschön damit zu tun? Steven ging ihm just in diesem Moment einfach nur tierisch auf die Nerven. Jezz wollte seine Ruhe haben, mit niemandem reden und schon gar nicht mit dem Kerl da, dem es wohl auch noch amüsierte. „Komm zum Punkt.“, murrte er leise. Das ganze wurde abermals mit einem schmalen Lächeln quittiert. „Nun, er hat einen Termin für ein Gespräch vorgeschlagen, damit wir einen Handel mit Mister McKenion abschließen können.“ Der Idiot hat was?! Jezz‘ Augenbrauen rutschten etwas nach oben, aber er schwieg immer noch. Mit ‚Mr McKenion‘ verhandeln? Hatte der sie nicht mehr alle? Aber gut… mal hören wie das Ganze weitergeht. „Es könnte zur Lösung dieses Problems beitragen, an der wir doch alle interessiert sind..“, fuhr Steven leiernd mit seinen Ausführungen fort, während er ein Kuvert aus seiner Brusttasche zog und es auf der metallenen Oberfläche des Tisches ablegte, einige Zentimeter in Jezz‘ Richtung schiebend. „Genaueres kannst du dem Schreiben hier entnehmen. Schließlich will ich deine Nerven nicht überstrapazieren.“ Jetzt musste er doch wohl oder übel näher treten, wenn auch erst nach einigem Zögern, die Hand nach dem weißen Papier ausstreckend, der auf dem gleichfarbigen Grund kaum zu sehen war. “Ist das abgesprochen?” Sein Blick rutschte von dem Umschlag wieder zu Steven. Dier lächelte nach wie vor sein schmieriges Lächeln, stützte die Ellenbogen seitlich am Tisch auf, das Kinn auf die gefalteten Hände legend.

“Abgesprochen? Ach du meinst mit Mister Lapage. Nun… seit er zurück ist hat er sich nicht wirklich um diese Angelegenheit gekümmert, von daher…” ‘Mistkerl’, schoss es Jezz durch den Kopf., aber er fiel Steven nicht mit wüsten Beschimpfungen ins Wort, stattdessen krampften sich seine Finger kurz um das Kuvert und er knurrte leise: “Ich glaube nicht, dass Cherufe sehr begeistert ist, wenn du hinter seinem Rücken krumme Dinger drehst.” “Oh keine Sorge das tue ich nicht. Ich bin auch nicht derjenige, der es nötig hat sich aus dem Haus zu schleichen.” Es klang fast schon beiläufig, als würde Coldoor über das miserable Märzwetter sprechen, dabei wand er sich auch wieder seinem Laptop zu, als hätte er noch etwas wahnsinnig wichtiges zu erledigen. Jezz presste die Lippen aufeinaner, drehte sich daraufhin auch wortlos um. Er wollte nur noch hier raus und das schnell, ohne dass es nach einer Flucht aussah. Fast schon bewusst langsam setzte er einen Fuß vor dem Anderen, berührte den Türknauf, öffnete selbige, nur um sie dann hinter sich

zuzuschlagen.
 

Die Kiefer so sehr aufeinander gepresst, dass man das Knirschen der Zähne auf dem ganzen Flur hören könnte. Das war zumindest vorerst die einzige Lautäußerung, denn wie er selbst gerne emängelte… die Wände in diesem Hause waren nicht die Dicksten und wie Steven auf sein Gefluche wohl reagieren würde, das wollte Jezz gar nicht erst herausfinden. Zumindest war der Gang verwaist. Fast schon eine gespenstische Stille. Einen Momentlang zumindest, ein Augenblick, der nicht mehr als einen Herzschlag messen mochte, dann wurde wieder eine Türe geöffnet – diesmal war es jedoch die Haustüre. Der Blauschopf hob eine Augenbraue, als er feststellte, dass es tatsächlich Cherufe war, der ihn für einen Moment auch starr anblickte, ehe er die Türe hinter sich

vorsichtig ins Schloss gleiten ließ. “Wird das ein Empfangskomitee?” Jezz blinzelte, neigte den Kopf ein wenig zur Seite. Was bitte hatte Steven mit seiner Bemerkung andeuten wollen? Scheinbar hatte er recht gehabt, nur das der Schwarzhaarige nicht wirklich ertappt wirkte. Ganz davon abgesehen, dass der prinzipiell aussah als könne ihn rein gar nichts auch nur irgendwie beeindrucken. Dann wurde Jezz doch etwas stuzig, als er seinen einstigen Mentor genauer unter die Lupe nahm. Er atmete einmal kurz bewusst ein, ehe er die Nase kräuselte. “Ähm, du… hast da was im Gesicht und… insofern nicht vor hast gleich wieder zu verschwinden fände ich es ganz toll, wenn du kurz ein wenig… Zeit entbehren könntest” Cherufe war gerade im Begriff an Jezz vorüberzugehen, als er dann doch inne hielt, mit den Fingern einer Hand nach seiner Wange tastete, deren Fingerspitzen er daraufhin besah. Das musste kleben geblieben sein. Nein eigentlich war das nicht der Grund weshalb er stehen blieb, vielmehr dass Jezz’ Stimme sich senkte, die einen seltsamen Ton annahm, der irgendwo zwischen Sarkasmus und Ernsthaftigkeit lag ohne konkret zuordenbar zu sein. “Oben.”, war die einsilbige Antwort und damit setzte er seinen Weg auch schon wieder fort.
 

Müde gähnte sie vor sich hin. Nach scheinbar ewigem hin und her, einigen sinnfreien Spaziergängen um den Block hatte die Müdigkeit sie doch überwältigt. Zumindest für wenige Stunden. Kayla schlief zwar nie wirklich viel und wenn dann nur sehr unruhig, aber diesmal war es eindeutig mehr als zuwenig gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass sie beinahe zu spät zu ihrer Schicht erschien. Nicht weil sie verschlafen hatte, sondern weil sie schlicht und ergreifend ziemlich durch den Wind war. In ihrem Kopf herrschte ein heiloses durcheinander, das sie zwar immer wieder zurückschieben wollte, das sich aber beharrlich an ihr Bewusstsein klammerte. Im Augenblick war nichts los. Ja gut es war mitten in der Nacht, dazu stand sie noch in einem Viertel indem sich selten das Partyvolk herumtrieb. Sollte ihr nur recht sein, denn mehr als nur einmal fielen ihr die Augen beinahe zu. Seufzend tastete sie nach dem Schalter für das Radio. Die CDs die sie sonst bei Laune hielten hatte sie in der Hektik vergessen, dann also doch das übliche Gedudel. Schließlich fand sie auch den Knopf, der das Gerät zu sprechen überredete. Promt säuselte ihr die monotone Stimme einer Nachrichten Sprecherin entgegen: „ …nun zu weiteren Meldungen. Heute morgen wurde das vermutlich dreizehnte Opfer des Serienmörders gefunden, dabei handelt es sich um einen weißen Mann mittleren Alters, die genaue Identiät wollte das Department den Medien nicht Preis geben. Die Übergriffe beschränken sich nach wie vor auf den Stadtteil Bronx, ein wirkliche Muster konnte noch nicht erkannt werden. Doch zum ersten Mal scheint es einen konkreten Hinweis zu geben. Beobachtungen zufolge floh ein unbekannter Mann vom Tatort. Die Polizei konnte ihn zwar nicht stellen, doch eine Fahndung wurde bereits herausgegeben. Die Person gilt als potentiell verdächtig und dementsprechend gefährlich…“ Kayla starrte das Radio beinahe perplex an. In der Gegend war sie doch letzte Nacht gewesen? Ein kalter Schauer jagte ihren Rücken hinunter, ließ sie unwillkührlich die dünne Stoffjacke etwas enger um sich ziehen. Nicht, dass diese Information sie jetzt weiter gebracht hätte. Als ein Geräusch das Gesäusel der Nachrichtensprecherin durchbrach, fuhr sie regelrecht zusammen. Nur wenige Herzschläge später wurde ihr bewusst, dass es die Beifahrertür war, die sich geöffnet hatte. Natürlich, Gottverdammt sie war ja auch Taxifahrerin! Kaey presste die Lippen zusammen, die sie kurz darauf zu einem leichten Lächeln verzog, das mehr einer Grimasse ähnelte, das allerdings verblasste als sie die Gestalt, die neben ihr Platz nahm musterte. Es war ein schmaler Mann, der in einem hochgeschlossenen Mantel steckte, sodass man von ihm nicht mehr sehen konnte als das Gesicht. Selbst die Hände waren von Handschuhen verborgen, die Augen hinter einen breiten Sonnenbrille versteckt. Das Antlitz selbst wollte von Farbe wie auch Beschaffung an das einer Porzellanpuppe erinnern. Beinahe reinweiß ohne einen einzigen Makel oder Unebenheit. Die Haare unter einem breitkrempigen Hut versteckt, nur hier und dort verirrte sich eine Strähne, die so fein war, dass man sie für dünne, weiße Wattefäden halten konnte. Sachte zog er die Türe wieder zu, lehnte sich zurück, die Hände vor dem Bauch faltend. „Wohin… darf’s denn gehen…?“, fragte sie nachdem sie sich einigermaßen gefangen hatte, den Zündschlüssel bereits herumdrehend. Im ersten Moment beschlich sie das Gefühl, dass an dieser Person etwas nicht stimmte, ohne dass sie hätte sagen können was es war – abgesehen von dem seltsamen Erscheinungsbild. „Zum Woodlawn Cemetery.“ Die Stimme des Mannes klang leise, teilweise verzerrt, teilweise von einem dumpfen rauchigen Klang untermalt der ettliche Metatöne verschluckte. Aus den Augenwinkeln warf sie ihm noch einen kurzen Blick zu, startete dann aber den Motor, das Taxameter und lenkte den Wagen auf die Straße. Nachts auf einem Friedhof… wie passend. „…Recherchen zufolge ist dieses Opfer zwar das Dreizehnte in diesem Jahr, da es allerdings Jahre zuvor schon eine Serie von Morden gab, die mit dieser Reihe wohl in Verbindung stehen, ist es das Achtundfünfzigste. Psychologen vermuten…“ Der Mann streckte eine Hand aus um das Radio zum verstummen zu bringen, zeitgleich konnte man wieder die Stimme vernehmen, die einem gleichsam das Blut in den Adern gefrieren lassen wollte. „Sie waren dabei.“, flüsterte er, ohne dabei jedoch den Kopf zu wenden. „Sie waren beim Ersten dabei, sie sind die Einzige, die wissen wie er aussieht… eine von Wenigen die weiß, was er ist und dennoch sind sie nach wie vor am Leben.“ Kaylas Finger krampften sich um das Lenkrad und es kostete sie alles an Kraft was sie aufbringen konnte um ihren Blick nicht von der Straße zu nehmen und den Fremden anzustarren. Den Kloß in ihrem Hals schluckte sie herunter, konnte es jedoch nicht vermeiden, dass ihre Stimme belegt klang. „Was erzählen sie bitte für einen Quatsch..?“ Die Antwort war ein kurzes, heiseres Lachen. „Sie werden nicht nur von einer Seite beobachtet… Beide wollen sie vereinnahmen… Beide möchten verhinden, dass sie sprechen. Über diese Geschichte… über andere Dinge… jene die hinter dem Vorhang der Weltbühne der Öffentlichkeit ablaufen.“

Knockout. Die Reifen des Wagens wollten nicht sofort greifen, als Kaey das Bremspedal beinahe durchtrat, sodass das Taxi ettliche Meter über den Asphalt schlitterte. Funken stoben, als die metallene Seite am Bürgersteig entlang schrammte. Sie hatte Mühe zu das Fahrzeug weitestgehend unter Kontrolle zu halten, damit es nicht ausbrach und auf die andere Fahrbahn geriet. Die Sekunden die es bedurfte ehe der Wagen zum stillstand kam schienen sich endlos in die Länge zu strecken, aber doch er hielt an. Kayla hielt sich am Lenkrad fest, als wäre es der letzte Ankerpunkt auf Erden, während ihr Körper halt darüber gebeugt war, das Gesicht hinter den Haarsträhnen versteckt. Wieso? Wieso mussten die nun mit ihr sprechen?! Warum hatte es nicht einfach den gleichen Gang wie bisher nehmen können?! „Raus…“, flüsterte es unter dem blonden Haarwust hervor. Indess zeigte sich der Fremde von dieser seltsamen Anwandlung nur wenig beeindruckt. Er hatte eine Hand nach dem Amaturenbrett ausgestreckt um sich dort teilweise abzustützen, während sich die wenigen sichtbaren Gesichtspartien keinen Deut bewegt zeigten, erst im nachhinein bildeten die schmalen aschgrauen Lippen ein dünnes Lächeln ab. Lässig zog er die Finger wieder zurück, förderte einen Geldschein aus der Manteltasche zutage, den er schon beinahe liebevoll stattdessen dort ablegte. „Die Welt ist ein einziger, großer Maskenball. Man muss nur lernen darauf zu tanzen. Die grundlegenden Schritte haben sie bereits gelernt, nun müssen sie auf das Parkett, die Frage ist nur… von wem wollen sie sich führen lassen?“ Mit diesen Worten öffnete er die Türe um nach nur wenigen Blocks wieder auszusteigen. Ehe er sie wieder ins Schloß gleiten ließ, erklang die rauchige Stimme noch einmal, diesmal hatte sie jedoch einen fast schon beiläufigen Ton angenommen. „Sie… sollten auf ihre Freundin achtgeben. Cathrine, wenn ich mich nicht irre.“
 

Das Klingeln des Telefons riss Kim ruckartig aus seinen Gedankengängen und ließ ihn erschrocken zusammenzucken. Hastig stand er auf, wobei er sich das Knie an der Tischkante stieß. Fluchend humpelte er ins Wohnzimmer, nahm den Hörer von der Gabel und stöhnte ein gequältes „Ja?“ in die Sprechmuschel. Die Antwort war ein prustendes Lachen, das zweifelsohne zu Marty gehörte. „Habe ich dich bei irgendwas gestört?“ „Nein…“, entgegnete Kim knapp, wobei ihm das Blut ins Gesicht stieg und es puderrot verfärbte. „Was willst du?“ „Ach ich wollte dir nur sagen, dass du heute frei bekommst. Ich habe den Chef ein bisschen gequält und außerdem hat er eingesehen, dass du überarbeitet bist. Ach wenn du schonmal wach bist schau ich auf dem Heimweg schnell bei dir vorbei. In fünfzehn Minuten bin ich da. Setz doch schonmal Kaffee auf.“ Damit war das Gespräch beendet. Typisch für Marty, einfach aufzuhängen ohne ein Tschüss oder etwas der Gleichen, aber Kim hatte sich daran gewöhnt. Seufzend hinkte er zurück in die Küche.
 

Es hatte keine fünfzehn Minuten gedauert, wie Marty gesagt hatte, sondern fast eine Stunde. Aber das gehörte zu Marty wie sein irgendwie schräger Humor. Ein Zwischending gab es da nicht. Auch das entschuldigende Grinsen war nichts besonderes mehr für Kim, außerdem grinste Marty beinahe die ganze Zeit, deswegen trug er den Titel ‘Detective Grinsekatze“ auch nicht zu unrecht. Obwohl Honigkuchenpferd wohl besser gepasst hätte. Kim stellte eine Tasse Kaffee vor Marty au die Tischplatte, zündete sich eine Zigarette an und setzte sich. „Du sollst nicht soviel rauchen. Du wirst noch zum Kettenraucher, weisst du das?“, tadelte Marty, wobei er – wie immer- grinste. „Worüber wollen wir jetzt reden? Über meine Angewohnheiten oder über diesen Fall?!“, gab Kim nun gereizt zurück. „Ok, ok.“ Sein Kollege hob lachend die Hände, als wolle er einen wütenden Stier von sich fern halten. „Na dann sperr mal die Lauscher auf, Andrew Carlsan war ein kleiner Promi in der Drogenszene. Diese komische Bruchbude war nicht sein Hauptwohnsicht. Dort hat er nur seine schmutzigen Geschäfte abgewickelt. Eigentlich wohnt er in einem recht vornehmen Virtel, hat Frau und Kind.“ Marty schüttelte den Kopf. „Er war ein Dreckskerl um den ist es wirklich nicht schade, aber wir haben immerhin eine Spur.. das erste Opfer mit Angehörigen. Wenigstens in dieser Mordserie…“ Damit schien Martys Redefluß auch vorerst ein Ende gefunden zu haben. Kim sah ihn eine Weile lang an, drückte dann seine Zigarette aus und fuhr sich seufzend durch die Haare. Sein Kollege machte sich zuviele Gedanken. Er selbst stand dem beinahe gleichgültig gegenüber. Zumindest wohl gleichgültiger als die meisten Menschen. In jeder Stunde, jeder Minute, jeder Sekunde starben Menschen. Dennoch war es ein Verbrechen, wenn Jemand gewaltsam zu Tode kam und so mies dieser Typ auch gewesen sein mochte, es konnte nicht ungesühnt bleiben. „Ich werde die Tage mal Akten wälzen… und du fühlst Carlsans Familie auf den Nerv.“

Verhandlungen

„Bitte... Was ist geschehen...?“ In der Regel nahmen sie für ein Gespräch Platz, im Augenblick zog Cherufe es allerdings vor seinen Kopf nach den gesprochenen Worten unter den Wasserhahn zu stecken. Das Haus beherbergte einstmals etliche kleine Ein-Zimmer-Appartements. Natürlich tat es das jetzt zum Großteil auch noch und im Augenblick befanden sie sich auch in einem Solchen. Es war ein großes, geräumiges Zimmer, das insgesamt fast an einen Raum in einer Bibliothek erinnern wollte. Zumindest waren die Wände mit decken hohen Regalen ausgestattet, die unter der Wucht der Folianten fast in Gefahr liefen zusammenzubrechen. Ausgespart waren nur das Fenster, ein Kleiderschrank der genauso antik wirkte wie die Bücher selbst, sowie eine Nische in der ein Bett stand. Inmitten des Raumes befand sich noch ein kleiner Tisch mit einigen Stühlen, von denen Jezz jetzt einen heranzog um sich darauf fallen zu lassen. Der Blick drang durch die schmale Tür in das kleine Bad hinein, indem es gerade so aussah als wolle Cherufe sich mithilfe des Waschbeckens ertränken. Erst nach einer ganzen Weile drehte dieser den Wasserhahn wieder zu, strich die nun nassen Haare hinter die Ohren. Bislang hatte Jezz ihm eigentlich keinen übertriebenen Reinlichkeitsdrang zugeschrieben, schließlich hätte es ein feuchtes Tuch auch getan, weshalb ihm das Verhalten irgendwie... merkwürdig vorkam. Der Schwarzhaarige durchschritt den Raum, nahm ein Haarband aus dem Regal um die nassen Strähnen halbwegs zu bändigen, erst dann striff er den schweren Mantel ab, der auf dem Bett landete. Dem folgte noch der Schwertgurt, der unter dem fast bodenlangen Leder gut verborgen war. Nachdem Jezz es weiterhin vorzog beharrlich zu schweigen, drehte Cherufe sich langsam um. „Hast du es dir nun doch anders überlegt?“ „Ahm... nein, eigentlich nicht.“, murmelte der Blauschopf leise, lehnte sich zurück und parkte die Füße auf dem Tisch, wobei er es schaffte sein Gewicht auf jetzt nur mehr zwei Beinen des Stuhls zu balancieren. „Weißt du... es brennt mir regelrecht auf der Seele zu erfahren ob du dich für das alles hier... überhaupt noch interessierst.“ Ja klar, Jezz hatte dieses Gespräch gewollt, allerdings führt er so was immer auf seine Art und Weise. Eine mit der nur Wenige zurecht kamen, wie mit ihm selbst als Person, aber das spielte hier gerade keine Rolle. Es ging nicht um die Art wie man etwas erzählte, sondern lediglich um den Inhalt. Antwort erhielt er nicht, stattdessen trat Lapage langsam wieder näher, ließ sich ihm gegenüber auf dem Stuhl nieder, den einstigen Schüler aus grünen Augen musternd, die wie das ganze Gesicht nicht einen einzigen Gedanken verrieten, als würde er eine passgenaue Maske tragen. „Ich will dir ja nicht auf den Schlips treten, aber... es sieht irgendwie nicht so aus. Seit du aus Frankreich zurück bist habe ich den Eindruck es wäre dir ziemlich egal... und Steven nutzt das aus.“ Jezz schlug brummend die Füße übereinander, wieder auf eine Entgegnung wartend, die wie auch zuvor aus blieb. „Ich glaube der Typ will deine Autorität untergraben, ganz zu schweigen davon, dass er Bockmist erzählt, ich meine...“ „Mister Coldoor erledigt seine Arbeit.“, ließ Cherufe sich dann doch zu einem Satz herab, wenn er Jezz damit auch in seinen Ausführungen unterbrach, welcher daraufhin gekonnt die Augen verdrehte, während der nächste Satz regelrecht aus ihm herausplatzte. „Steven ist ein verdammtes Arschloch! Hallo?! Der Kerl hat einen Verhandlungstermin vereinbart... mit diesem Mistvieh!“ Zum ersten Mal zeigte Lapage eine Regung, selbst wenn diese nur aus einem sehr sachten verziehen der Mundwinkel bestand, die andeutungsweise ein Lächeln formten, während die Augen davon jedoch unberührt blieben. „Hat er das...“ „Ja! Hat er! Willst du mit dem Mistkerl verhandeln?! Ich will das nicht, das riecht nach einer...“ „...einer Falle, ja.“ Jezz starrte seinen Gegenüber beinahe fassungslos an. Jetzt sag nur nicht, dass der das schon wieder vorher gewusst hatte, dann würde er sich nämlich reichlich verarscht vorkommen – einmal mehr. Der Blauhaarige zog eine Augenbraue in die Höhe, während er in seiner Manteltasche zu kramen begann um den Briefumschlag zu Tage zu fördern, den Steven ihm vorhin gegeben hatte um ihn auf den Tisch zu werfen. „Woher...?“, begann Jezz zu sprechen, wurde diesmal jedoch abermals unterbrochen. Sollte das jetzt ein 'Racheakt' für das Gespräch im Wagen von vorheriger Nacht werden...? „Miss McDean war so freundlich mir gestern noch von dem Gespräch mit Mister Resory zu berichten, dabei ging es auch um diesen... Verhandlungstermin. Und ja auch ich gehe davon aus, dass es sich dabei um eine Falle handelt, denn ich denke, dass er genauso wenig bereit ist diese Geschichte in einem Gespräch zu klären, wie ich es bin.“ Vorsichtig las er das Kuvert von der hölzernen Platte auf, zog den kleinen Zettel der sich darin befand heraus, die wenigen Zeilen überfliegend. Dabei zeichnete sich das schwache Lächeln auf den Lippen noch etwas deutlicher ab, gewann mehr an Ausdruck, der jedoch nichts freundliches tragen wollte. Nein, es war etwas das mehr an Bitterkeit grenzen wollte.

Ein sachtes Klopfen durchbrach die nun vorherrschten Stille und wenige Augenblicke später öffnete sich die Türe. Herein trat die Dame, deren Namen eben erwähnt wurde: Sally und ihr Gesichtsausdruck versprach nichts Gutes. „Entschuldigen sie die Störung.“, begann sie leise. „Aber es gab letzte Nacht, während ihr unterwegs wart wohl ein weiteres Opfer.“ Die hübsche Frau schob sich durch den Türspalt, die sich daraufhin mit einem leisen Klacken wieder schloss. Anstatt in den Raum zu treten zog sie es vor an der Tür stehen zu bleiben, die Hände vor dem Bauch gefaltet. „Es stand in den Zeitungen, auch die Nachrichten sind einmal mehr voll mit Berichten. Die Abstände zwischen den Vorfällen minimieren sich, aber diesmal... haben sie wohl eine Spur. Jemand floh vom Ort des Geschehens, als die Polizei bereits anwesend war. Wer ist scheinbar noch unbekannt, jedenfalls konnte ich keine Hinweise darauf finden.“ Sie schüttelte leise seufzend den Kopf, löste sich dann doch von der Türe um auf den Tisch an dem die Beiden anderen saßen zuzugehen. „Und der Typ glaubt ernsthaft, dass wir mit ihm verhandeln wollen, während er mir nichts, dir nichts mit seinem Treiben fortfährt, als wäre die Stadt sein persönlicher Schlachthof?“ Jezz schnaubte verächtlich, den Blick starr auf das Fenster gerichtet um weder Sally noch Cherufe ansehen zu müssen. Eigentlich wäre das der Moment gewesen in dem er aufgestanden und gegangen wäre – obwohl das Gespräch noch lange nicht beendet war. Es war weil... Nun ja... „Vermutlich möchte er auf diese Weise einfach unsre Motivation steigern bei dieser Farce zu erscheinen.“, murmelte Lapage vor sich hin, während er das Schriftstück abermals überflog, ehe er es auf der Tischplatte ablegte. „Und... hat er damit Erfolg...?“ Jezz meinte die Antwort auf diese Frage bereits zu kennen, als dann aber nach einigen Momenten des Schweigens ein „Ja“ erklang, flog sein Kopf regelrecht herum und er starrte Cherufe fassungslos an. Irgendwann als dieser in Frankreich war, mussten die letzten Sicherungen durchgebrannt sein. Der wollte doch jetzt nicht wirklich... „Bitte?“, fragte Jezz. „Spinnst du?“ Es klang sehr ruhig und obgleich Jezz meist eher in dieser Tonlage sprach, so war es doch ein wenig zu ruhig, zu bar. Im nächsten Moment sprang er regelrecht auf die Beine, sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn tippend. „Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du das tun willst... das ist nicht dein Ernst. Das ist doch...“ Er stockte, als er den sanften Druck auf seinen Schultern spürte. Sally war noch näher getreten, stand nun dicht hinter ihm, die Hände dort abgelegt, wohl um jenen Effekt zu erzielen, der eben eingesetzt hatte. Jezz war verstummt, schnaubte nochmals leise, aber er schüttelte sie nicht ab, selbst wenn ein kurzer Ruck durch seinen Körper gegangen war. „Ich..:“ Cherufe lehnte sich auf dem Stuhl zurück, blickte seinen einstigen Schüler eine Weile lang an, ehe er den Kopf abwendete, einen imaginären Punkt weiter hinten im Raum fixierend. „...habe nicht die Absicht mit dir darüber zu diskutieren, Laurent“ Ein leises Knurren war die Antwort. Ob es nun den Worten oder der Erwähnung des Namens galt war nicht ganz ersichtlich. Vermutlich Etwas von Beidem. Schließlich, als Sallys Finger von dem glatten Leder des Mantels abglitten machte Jezz auch einen großen Schritt zur Seite, widerwillig den Kopf schüttelnd. „Ich kenn' dich nicht mehr... oder ich habe dich nie wirklich gekannt... das ist doch... ich meine... ich glaub' das nicht.“ Mehr an sich selbst, denn an die Anderen gerichtet und tatsächlich in der Stimme klang etwas mit, das sehr deutlich machte, dass es nicht nur gespielte, sondern ehrliche Fassungslosigkeit war. Noch einmal schüttelte er den Kopf, während er seine Schritte bereits zur Türe hin lenkte. „Laurent...“ Es war ein leiser Einwurf, der kaum durch das Knarren der Dielen drang und doch hielt Jezz, der bereits eine Hand nach der Türklinke ausgestreckt hatte kurz inne, wenn er auch den Kopf nicht wand. Cherufe hatte die Augen geschlossen, er war auch nicht aufgestanden. „Es gibt stets mehr als eine Möglichkeit einen Weg zu beschreiten und ein Ziel zu erreichen.“ Die Finger, die sich um den Griff gelegt hatten, schlossen sich langsam darum, dann so fest, dass man meinte ein leises Stöhnen des Metalls zu hören. Jezz lächelte. Kein freundliches Lächeln, kein Fröhliches, nein in den Augen lag Hohn. Ein Ausdruck den keiner der beiden Anderen sehen konnte. „Schon klar... aber man kann auch den falschen wählen.“ Antwort gab es darauf keine mehr und selbst wenn, Jezz hätte sie wohl nicht mehr gehört, denn im nächsten Augenblick öffnete er die Türe um sie kurz darauf auch wieder lautstark zu schließen.

Nein keine weitere Entgegnung, auch wenn Cherufe die Augen wieder öffnete, jetzt die Stelle betrachtend an der Jezz bis vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte. So hatte diese Unterredung wohl nicht enden sollen. Nein so hätte sie ganz und gar nicht enden sollen, aber er würde sich wieder beruhigen und vielleicht hatte er später noch Gelegenheit sich zu erklären. Im Moment konnte er es nicht, wollte er es nicht. „Über kurz oder lang, werden sie ihn auf diese Weise verlieren.“ Auch Sallys Blick lag auf der Türe, glitt nun langsam wieder zu Lapage. Sie hatte keinerlei Anstalten gemacht den Griesgram aufzuhalten und sich auch die ganze Zeit über mit Äußerungen zurückgehalten, nicht nur weil es unschicklich gewesen wäre, sondern auch weil es kaum zur Entspannung der Situation beigetragen hätte. In ihrer Stimme lag kein Tadel, es war vielmehr Bedauern, das darin verborgen lag ohne vollends zu Tage zu treten. „Früher oder später verlieren wir nicht nur einander, sondern auch uns selbst.“ Eine flüsternde Antwort, die ebenso kühl und nüchtern war wie auch alles Andere was er zuvor gesagt hatte, dabei griffen die Finger wieder nach dem weißen Briefumschlag, der eine ganze Weile lang achtlos auf dem Tisch gelegen hatte. „Das klingt...“, setzte sie vorsichtig an, im ersten Moment unschlüssig ob sie den Satz vervollständigen sollte. „... als würden sie resignieren wollen.“ Cherufe sah zu ihr nach oben, schweigend, während die Finger über das glatte Kuvert glitten, bis er die Hand fast schon ruckartig schloss, sodass das Papier darin zerknüllt wurde. Raschelnd fiel das Knäuel auf dem Tisch, einige Zentimeter über das abgegriffene Holz rollend. „Nein.“, antwortete er weiterhin ruhig. „Das will ich nicht, aber es wird unweigerlich geschehen. Es ist ein Faktum.“ Die hübsche Frau schwieg daraufhin, die braunen Augen auf die Papierkugel fixiert, ehe sie langsam nickte. Sie verstand, sie glaubte zumindest zu verstehen. Und damit ging auch sie mit federnden Schritten auf die Türe zu, wand sich noch einmal um, den Kopf noch kurz ein wenig neigend. „Ich... kümmere mich um die Angelegenheit mit der Frau, sie hat sich bislang noch nicht wieder gemeldet.“ Ein kaum sichtbares Nicken, sollte die einzige Reaktion auf ihre Worte bleiben.
 

Es war ein Gefühl, das er nicht näher identifizieren konnte. Es war klamm, aber das konnte auch die alles umfassende Kälte sein, die dünnen Nebelschwaden die sich wie Spinnweben zwischen dem Geäst ausbreiteten. Kälte die durch die feuchte Kleidung in die bleiernen, kühlen Glieder kroch. Die Orientierung hatte er verloren. Sooft er die Augen geschlossen und wieder geöffnet hatte, das Bild war das Gleiche geblieben. Die entstellten Körper, die in teilweiser grotesken Haltung auf dem Boden lagen. Der Geruch von Schwefel, frischem Blut und süßem Tod. Das war das einzige das etwas in ihm berührte, das etwas berührte, was vorher noch nicht da gewesen war. Zuerst hätte man meinen können es wäre Erschrecken obgleich der Szene, doch es war etwas anderes. Etwas tiefer liegenderes, etwas grauenvolleres. Er war gelaufen, gestolpert, weggelaufen, davongelaufen, vor der Szenerie, vor dem was sich da zu regen begann. Die Beine waren schwer, so schwer dass er Mühe hatte weiterhin aufrecht zu gehen. Mehr als einmal strauchelte er, fiel auf die Knie, doch Laurent stemmte sich wieder in die Höhe. Weiter immer weiter durch das Unterholz, bis seine Beine ihm erneut den Dienst versagten. Warum war hier Niemand? Warum hörte man nichts? Nicht einmal die Tiere, die sonst den Wald bevölkerten? Nichts. Nichts bis auf das beständige Raunen des Windes, der durch die Baumwipfel strich. Ganz als sei die Umgebung tot, als wäre das um ihn herum nicht mehr als ein zunehmend verbleichendes Zerrbild der Realität.Vielleicht war er doch gestorben und der Vorhof der Hölle die sterbende Umgebung in der man sich zuletzt befand. Seine Finger glitten in das lockere Erdreich, doch es war nicht nur Erde, das die Fingerspitzen ertasteten. Langsam hob er den Blick an, der erstaunlich scharf jedes Detail wahrnahm, ganz als hätte jemand die Umrisse nach gezeichnet um jedes Objekt, jedes Korn hervorzuheben. Jedes Strähne des gelockten Haares das stellenweise, dort wo das fahle Mondlicht es traf rötlich schimmerte. Die feinen Gesichtszüge einer Frau mittleren Alters. Die seidigen Wimpern der geschlossenen Augen. Das schmale Lächeln, das sich in den Mundwinkeln zu feinen Fältchen kräuselte. Die fließenden Falten des hochgeschlossenen, langen Kleides, das hier und da von Schmutz bedeckt war. Die blutigen Flecken auf dem Oberkörper, Stellen an denen der Stoff aufgerissen, ja teilweise angesengt erschien, wie das Fleisch das sich darunter befand. Die Lache von Blut, die sich unter ihr gesammelt hatte, das bereits im Erdboden versickert war. Laurent streckte eine Hand nach dem Gesicht aus, fuhr mit den Fingerspitzen über die bereits erkaltete Haut. Sie war stets freundlich gewesen, aber noch nie hatte er ein derartiges Lächeln auf ihren Lippen gesehen. Eines das so ehrlich, so warm wirkte, so voller Zuversicht. Seine Finger glitten zitternd durch das lockige Haar, das dem seinen so unähnlich war. Und doch handelte es sich um Rosalie de Matjé, um seine Mutter die regungslos, die tot auf dem Boden lag. Plötzlich begann die Leere sich zu füllen, rasend schnell, als würden als die zuvor erstickten Emotionen nun mit einem Schlag explodieren. Ein grässlicher Schmerz, der nicht körperlichen Ursprungs war begann sich auszubreiten, mit atemberaubender Geschwindigkeit, die jegliches denken lähmte. Laurent keuchte zunächst, ehe im nächsten Moment ein Brüllen über seine Lippen brach, dessen Echo weit durch den gespenstisch stillen Wald drang. Das davon getragen wurde und von Sekunde zu Sekunde an menschlichen Klang verlor.
 

Zeit. Zeit ist etwas sehr relatives, besonders wenn man meint das Gefühl dafür verloren zu haben, als auch das Gespür für den eigenen Leib, die eigenen Gedanken, das eigene Bewusstsein. All das war ihm entglitten. Die Zeitspanne zwischen dem, was sich in dieser Nacht im Wald abgespielt hatte und jetzt, da sein Verstand abermals nur zäh den Rückweg in das Jetzt fand war für ihn verloren. Wie ein dichter Nebel aus Schwärze, der sich nur ganz langsam zu lichten begann. Stück für Stück zog sich der dunkle Schleier, der sich über seine Augen gelegt hatte zurück, gab den Blick frei für das was um ihn war, im Gleichen Zuge indem er auch wieder ein bewusstes Gefühl für den Körper erlangte. Nicht wie da, als er auf dem feuchtem Waldgrund erwachte, nein diesmal ging es schneller und binnen weniger Sekunden war sein Geist klar. Mit Mühe stemmte er sich eine sitzende Position. Es fiel schwer und Laurent fühlte sich seltsam benommen, eine seltsame Mischung aus einer Art Schlaftrunkenheit und der selben Schwere die Jemandem inne war, der Tagelang fiebernd im Bett lag. Ja, er hatte auch in einem Bett gelegen. Diesmal war es nicht der dunkle Wald, der in seinen Kindertagen ein Spielplatz gewesen war. Er befand sich in einem geräumigen Zimmer, dessen weitläufige Fenster mit schweren Gardinen verhangen waren, sodass der Raum in vollkommener Finsternis gelegen hätte, wären nicht weiter hinten auf einem schmalen Tisch Kerzen entzündet, deren Schein, wenn man geradewegs hinsah direkt blendete.Wie war er hier hergekommen? Und wo war dieses... hier? Laurent schob die Bettdecke beiseite. Das Aufstehen jedoch wollte nicht beim ersten Anlauf gelingen, es dauerte ein wenig, ehe die Beine das eigene Gewicht trugen, als hätten sie ihren Dienst länger nicht getan. Jeder Schritt war schwer fällig, ein kleiner Balanceakt für sich und Laurent vermochte die Zeit nicht einzuschätzen, die es dauerte, bis er bei der kleinen Kommode angekommen war auf der er sich abstützte. So sehr er es auch versuchte, die Erinnerungen blieben verloren. Was war geschehen? Langsam sah er auf, blickte in das spiegelglatte Glas, das die Wand schmückte, blickte in das Gesicht, das ihm daraus entgegensah, das sein eigenes war und doch so befremdlich wirkte. Auch hier kam es ihm so vor, als hätte man jede noch so feine Linie scharf nach gezeichnet, jedes der hellblonden Haare scharfkantig hervorgehoben. Das jugendliche Gesicht wirkte kränklich blass, die Lippen fahl, lediglich die saphierblauen Augen stachen regelrecht hervor. Die Kleidung die er trug war nicht seine eigene, zwar aus weichem Stoff, aber sie waren ein wenig zu groß, sodass er darin beinahe verloren wirkte. Laurent konnte sich nicht erinnern sich umgezogen zu haben, so wie er sich an nichts erinnern konnte was geschehen war, nachdem er sie gefunden hatte. Ja, die Erinnerung an das Vorangegangene war klar, sehr klar und doch blieb eine ähnlich heftige Reaktion diesmal aus. Irgendwo hinter ihm ging eine Tür. Ein laut den er sonst nie wahrgenommen hätte, der jetzt jedoch in seinen Ohren regelrecht kreischte. Ja, ganz langsam schob sie sich auf. Schritte scharrten über die Holzdielen, dann wurde die Türe wieder geschlossen. Laurent drehte sich nicht um, stattdessen suchten seine Augen im Spiegel. Tatsächlich dort weiter hinten, bei der Tür wo der Raum am dunkelsten war rührte sich etwas. Eine Gestalt die langsam näher trat, dabei mehr und mehr vom fahlen Kerzenschein erfasst. Es war ein Mann, der deutlich größer war als er selbst, mit fließendem pechschwarzem Haar, das ihm fast bis zu den Hüften reichte. „Du bist wach.“ Er hatte innegehalten um zu sprechen, eine leise, dunkle Stimme die weniger als Flüstert und die doch glasklar an Laurents Ohren drang. Nein, er konnte sich nicht erinnern diese Person je gesehen zu haben und doch... etwas fühlte sich vertraut an, ohne dass er hätte sagen können was, ohne dass er sein Gesicht näher sehen konnte, denn dafür stand der Mann noch zu weit im Schatten.

Laurent drehte sich nicht um, blickte weiter in das Glas des Spiegels und suchte. Was er genau suchte das hätte er nicht sagen können, vielleicht war ihm selbst nicht einmal bewusst, dass er es überhaupt tat. In seinem Kopf hatten sich soviele Fragen aufgetan, auf die er keine Antwort hatte, auf die es wohl zum Teil auch keine geben würde, aber... er stellte sie nicht, stattdessen begann der Fremde wieder zu sprechen. „Du bist der Sohn des Marquis, nicht wahr? Zumindest dem Siegelring nach, den du trugst.“ Während dessen trat der Mann langsam näher, Bewegungen die jetzt da er weiter ins Licht trat beinahe kraftlos wirkten, manchmal ein wenig ungelenk und es waren nicht viele Schritte, ehe er abermals anhielt, sich auf einen der Stühle niederlassend, die bei dem kleinen Tisch standen. Selbst als er den Arm etwas anhob um de kleinen, goldenen Ring auf dem Holz abzulegen, sah es aus als würde es ihn unendlich viel Mühe kosten. Laurent schwieg, aber er drehte sich langsam um, nun selbst auf den Tisch zugehend, den Fremden, jetzt da er ihn sehen konnte näher betrachtend. Er hatte Männer die so wirkten wie er schon gesehen, es waren die wenigen, die frühzeitig aus dem Krieg heimgekehrt waren mit dem der Kaiser das Land zugrunde richtete, die sich eine Weile in den Händen des Feindes befunden hatte. Männer deren Blick gebrochen, deren Körper für den Rest ihres Lebens von Schlachten gezeichnet waren. Der Fremde sah langsam auf und auch wenn die grünen Augen glanzlos wirkten konnte man sehen, dass auch hinter ihnen etwas nicht gebrochen, aber einen bleibenden Knacks erlitten hatte. Es war nicht leicht das Alter zu schätzen, das aber wohl irgendwo zwischen Ende Zwanzig und Anfang Dreißig liegen mochte. Bei näherer Betrachtung konnte man Linien erkennen, die sich durch die helle Haut zogen, ähnlich zerbrochenem Glas, das man bereits wieder zu einem Gefäß zusammengefügt hatte, oder eine Maske von Porzellan die Risse bekam. „Ja...“, war die Entgegnung. „...Laurent de Matjé, Sohn des Marquis Oskar de Matjé und der Marquise Rosalie de Matjé.“ Soviele Fragen wirbelten durch seinen Kopf, unschlüssig welche er zuerst stellen sollte, ob er es überhaupt tun konnte, geschweige denn ob der Mann hier sie überhaupt beantworten konnte oder würde. Er zögerte. „Wer sind sie?Was... was ist passiert?“
 

Eine Dusche und neue Klamotten können Wunder bewirken. Gut, sicher Kleider machen Leute, aber vor allen Dingen machen sie sie sauber. Die Hände in den Hosentaschen vergraben, ein pfeifendes Liedchen auf den Lippen schlenderte Celester durch die Straßen oder vielmehr auf das kleine Café zu. Nein, er musste keine Angst haben, dass die Bullen in aufsammelten, schließlich hatte ihn niemand gesehen, bis auf diesen Einen und darum würde er sich später noch kümmern. Gerade stand ihm der Sinn nach etwas Anderem. In der Regel stand nie ein Wagen davor, ganz einfach weil es nicht gut besucht war, aber diesmal parkte da eines... und da saß sogar Jemand drin, soweit er das erkennen konnte. Celester ging um das gelbe Gefährt herum, blieb vor der Fahrertüre stehen, einige Male gegen Selbige klopfend. - Keine Reaktion – Aber da war doch Jemand! Er neigte sich kurzerhand zur Seite und schielte durch die Scheibe um einen genaueren Blick auf die Person zu erhaschen. Sah ziemlich eingeschlafen aus... Die Dame – wenigstens ging er davon aus – hatte die Arme auf das Lenkrad gelegt, den Kopf darin vergraben, sodass man nicht mehr als einen blonden Haarschopf sehen konnte. Ungemütlich wie er selbst befand und da man ja freundlich ist... Celester fasste nach der Klinke um die Türe aufzuziehen, was ein kreischendes, quietschendes Geräusch nach sich zog, was ihn dazu brachte das Gesicht ziemlich zu verziehen. Da brauchte etwas mal dringend einen Ölung. Im nächsten Moment riss er auch schon die Augen auf, stolperte zurück, dabei mussten sich seine Füße irgendwie verknotet haben, sodass er auf dem Hosenboden landete. Die Schlafende besaß zu seiner Überraschung ziemlich gute Reflexe, denn kaum war das erste Geräusch erklungen, wirbelte sie regelrecht herum und statt in ein Gesicht, blickte Celester in die Mündung einer Waffe, die ihm auch folgte, als er da jetzt auf dem Boden saß und ziemlich verwirrt nach oben blinzelte. Warum mussten hier eigentlich immer alle so aggressiv sein? „Ich bin ganz harmlos...“, nuschelte er hastig, dabei die Hände etwas anhebend. Meine Güte, er hatte doch nur nett sein und die Frau wecken wollen. Undank ist der Welten Lohn. Kayla merkte, dass ihre Finger zitterten und nur mit Mühe konnte sie es soweit unterdrücken, dass man es nicht gleich an der ganzen Hand sah. Eine Mischung aus Müdigkeit und Anspannung, die sich mit den blanken Nerven ganz und gar nicht vertrugen. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich ärgerte eingeschlafen zu sehen. Sie sagte nichts, ließ die Waffe aber nach einer Weile sinken, was Celester dazu brachte sich langsam wieder aufzurappeln. Soviel zum Thema saubere Klamotten. „Sorry...“, kam es dann doch und Kaey schickte sich an, sich aus dem Wagen zu schälen. Wenn sie so aussah wie sie sich fühlte, dann hätte sie eine prima Dekoration in einem Gruselkabinett abgegeben. Indes beschäftigte er sich emsig damit die Hosen abzuklopfen, was ein ziemlich sinnloses Unterfangen war. „Wieso... schlafen sie im Auto?“ Naja würde schon gehen. „Haben sie kein Zu hause?“ Dabei grinste er so windschief, das man es fast schon hinter dem Kopf wieder zusammen-knoten konnte. Von ein wenig Dreck musste man sich nicht die Laune verderben lassen und eigentlich hatte Celester bereits wieder sehr gute Laune, was auf die Lady nicht so ganz zutreffend schien. Gut, er wurde auch nur ungern so unsanft geweckt. „Doch.. aber das passt nicht ins Auto.“, antwortete sie, steckte die Waffe jetzt ganz weg um dann die Wagentüre zu schließen und abzusperren. Der Witz der darin verborgen liegen sollte ging verloren, aber Kaey schaffte es doch ein wenig zu schmunzeln, drehte sich um, das kleine Kerlchen jetzt erstmals überhaupt musternd. Irgendwo hatte sie den doch schon gesehen, oder? Ja... nein... sie war sich nicht sicher, oder viel mehr sie konnte sich nicht ganz erinnern. „Ich brauche jetzt einen Kaffee... und weil ich sie ungewollt auf den Boden befördert habe, lade ich sie ein. Deal?“ Sie hatte ohnehin noch in das Café gehen wollen anstatt auf dem Parkplatz davor ein Nickerchen zu machen, so gesehen war sie ihm irgendwo sogar dankbar dafür. Er grinste noch ein wenig mehr – wie auch immer das funktionierte – und nickte. „Sachen die Gratis sind sollte man sich nicht entgehen lassen.“
 

Alle Arten von Krieg sind nicht nur unschön, sondern ein regelrechtes Gräuel und er befand sich gerade in einem Solchen. In einem den man Außen gesehen als den saubersten und harmlosesten bezeichnen würde. Der Papierkrieg. Seiner Meinung nach hatte er sich wacker geschlagen, aber die Ausbeute insgesamt war Mau. Mehr als Mau. Es waren Berge von Akten, die sich auch jetzt noch auf dem Schreibtisch türmten, aber nur mit einer davon konnte er etwas anfangen und das auch nur vielleicht. Kim kaute auf dem Ende des Bleistifts herum, während er die wenigen Notizen auf dem Block betrachtete. Pessimistisch gesehen hatte er den ganzen Tag umsonst vergeudet. Für einige Erkenntnisse die er vorher schon hatte und den Namen einer Person die mit Sicherheit in der Irrenanstalt saß. Da half nur das Beste daraus machen. Es war bereits mitten in der Nacht, das Department so gut wie verwaist, abgesehen von den Wenigen die für den Nachtdienst eingeteilt waren und die brachten die meiste Zeit damit zu in der Kaffeeküche herumzustehen. Im nächsten Augenblick wurde die verglaste Türe zu dem kleinen Büro aufgerissen und Marty steckte den Kopf herein, grinste, und einen Moment später folgte auch der Rest des kleinen Mannes. „Na wie sieht's aus an der Papierfront?“ Manchmal wenn Marty auftauchte konnte man meinen die Sonne ging auf, nur für Kim blieb es diesmal Zapfenduster, da konnte sein Kollege noch soviel gute Laune versprühen. „Schlacht geschlagen... ich warte noch auf ein letztes Aufbegehren.“, murmelte er leise vor sich hin, während der Blick sich kurz zum Monitor des Computers verlief, der im Suchlauf vor sich hinratterte. Konnte sich nur noch um Wochen handeln bis das Ding was ausspuckte. „Hm.“ Marty schob die Türe zu, ging auf den Schreibtisch zu, gegen den er sich lehnte um erstmal ausgiebig zu gähnen. „Die Carlsans wissen natürlich von Nichts. Nix von den dubiosen Geschäften, nix von überhaupt nix und das schlimme ist... ich glaube ihnen das sogar.“ Detectiv Rouklin stöhnte leise und ließ sich schwungvoll auf dem Schreibtischstuhl nach hinten fallen, der daraufhin einige Zentimeter vom Schreibtisch wegrollte. Schöne Aussichten waren das. „Damit sind wir dann genauso schlau wie vorher...“, seufzte er. „Den Knirps den ich verfolgt habe hat natürlich auch niemand gesehen.“ Das Holz des Bleistifts knirschte zwischen seinen Zähnen. Das war ohnehin kurios gewesen, der Kleine war plötzlich im Nirgendwo verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Kim hatte alles abgesucht, jede Ecke jeden Winkel, aber der Kerl war weg gewesen und warum sollte jemand weglaufen, wenn er nichts zu verbergen hatte? Das Piepen des Computers riss ihn dann aus seinen Gedanken und Kim griff nach dem Schreibtisch um sich, sowie den Stuhl wieder heranzurollen. Hatte das Ding doch etwas gefunden. Ein Lichtblick? Marty tappte um den Tisch herum, stützte sich auf die Stuhllehne und schielte über den wasserstoffblonden Schopf seines Kollegen hinweg auf den Monitor. „Na, wer sagt's denn.“, meinte er versöhnlich, hob dann die Augenbrauen etwas an, während das Grinsen in seinem Gesicht wieder breiter wurde. „Ach, frisch geschieden und schon wieder auf Brautschau, oder was soll das werden?“ Auf dem Monitor blinkte die Personalien einer Frau, nämlich die, die mit der alten Akte übereinstimmten. Also nicht im Sanatorium – nicht mehr. „Ach sei still... das hier ist neben der Familie von Carlasan... eine Angehörige von einem der Opfer. Allerdings während der letzten Mordserie und im Gegensatz zu denen war sie eine Augenzeugin, das muss ihr ziemlich zugesetzt haben.“ Kims Augen flogen über den Monitor. Nach dem Vorfall war sie wegen des labilen geistigen Zustandes für zwei Jahre in die geschlossene Abteilung der Payne Whitney Clinic Klinik gekommen, demnach jetzt wieder draußen. Das war logisch und auch nachvollziehbar, was ihn mehr verwunderte war die Tatsache, dass ihm der Name irgendwie bekannt vorkam, ohne ihn näher zuordnen zu können, ein Bild war leider nicht dabei. „Hmm wir sollten mit ihr reden. Morgen.“ Marty nickte und klopfte Kim auf die Schulter. „Guter Plan und du...“ Ohne eine Entgegnung abzuwarten beugte er sich über den Stuhl und knipste den Monitor aus. „... gehst jetzt nach Hause schlafen. Ich habe genau gesehen, dass du die letzte Nacht hier auf dem Sofa geschlafen hast.“ Detectiv Rouklin seufzte, stemmte sich aber in die Höhe, den angekauten Bleistift in die Brusttasche des Anzugs steckend. „Ja Papa, du hast ja recht...“
 

Klack. Die behandschuhten Finger des Mannes klopften im Takt gegen die hölzerne Oberfläche des wuchtigen Tisches an dem er saß, als würde er eine Melodie wieder geben, die niemand außer ihm hören konnte. Klack. „Wisst ihr... besondere Umstände, erfordern besondere Maßnahmen.“ Klack. „Aber das muss ich euch wohl kaum erläutern.“ Die Stimme des Mannes war tief und grollend, hatte manchmal einen Beiklang der heißer wirkte und trug einen harten Akzent. Man konnte ihn nicht wirklich erkennen, denn das Gesicht des Mannes lag im Schatten. Zu sehen war nur die Hand und ein Stück des Oberkörpers, der in einem dunkelbraunen Anzug steckte. Nein er war nicht alleine, weiter hinten am Tisch saß noch eine Gestalt, die man im Gegensatz zu ihm recht gut erkennen konnte. Ein junger Mann Mitte Zwanzig mit schwarzen Haaren, die ihm teilweise ins Gesicht fielen, mehr sah man nicht, denn der Rest des Körpers steckte im schwarzen Leder, das matt das nur spärlich vorhandene Licht reflektierte. Hinter ihm noch Jemand, Jemand von dem man nur die Mundpartie sehen konnte, da er einen breitkrempigen Hut trug. Klack. „Sebastien...“, wand der Anzugträger sich an den Schwarzhaarigen, dessen ebenso schwarzer Blick vom Tisch dorthin glitt wo er das Gesicht seines Gegenübers vermutete. Noch ein letztes Klack und der Mann hob die Hand ein wenig an, winkte ihn mit wenigen Bewegungen der Finger heran, was ein leises, fast klapperndes Geräusch erzeugte das klang als würde es durch das Leder gedämpft werden. „...komm. Komm her.“ Sogleich erhob er sich, trat mit raschen, wiegenden Schritten näher um dann doch in gebührendem Abstand anzuhalten. „Noch... näher...“ Zögernd tat er noch einige Schritte, bis ihn nur wenige Zentimeter von der anderen Gestalt trennten, von der er nun Schemen in der Dunkelheit ausmachen konnte, so wie ein schwaches rötliches Glühen, das dann auftrat, wenn sich der schwache Lichtschein doch kurz die Augen traf. Ein Anblick, der Sebastien für einen Moment so befangen hielt, dass dieser gar nicht merkte, dass der Anzugträger auch die zweite Hand angehoben hatte, deren eiserner Griff sich jetzt um seinen Hals legte. Harte Finger die ihn umfassten, bei denen man befürchten musste sie würden jeden Moment durch die Handschuhe dringen wie Messer. Er zog das Gesicht des Schwarzhaarigen zu sich nach unten. „Sie... alle. Ich will sie alle... ich will, dass sie alle – jeder Einzelne von ihnen– verschwinden. Jeder, der auch nur eine Silbe des Wissen in sich trägt. Aber sie sollen nicht nur vergehen... ich will dass sie die Gleiche Schmach erfahren, bevor sie vom Schleier des Vergessens bedeckt werden...“ Die Stimme war ein heiseres Flüstern geworden und mit jedem Wort schlug Sebastien der Geruch von feuchter, frischer Erde entgegen. Würde er atmen müssen, er wäre unter dem Griff seines Gegenübers erstickt, der ihn jetzt noch ein Stück näher heranzog, sodass man ihm in die Augen sehen konnte. Augen die falsch wirkten, die falsch waren. Es sah aus als würde sich die Iris immer wieder aufs Neue wandeln, verwoben sich dort ständig schwarz, braun und rot Töne neu, als wollen sie ein unheilvolles Gewitter heraufbeschwören. Keine Konstante, wie ein tobender Ozean aus glühendem, flüssigen Gestein. Sebastien öffnete die Lippen ein wenig um zu antworten, doch er konnte es nicht, sollte es auch nicht, denn die Kehle wurde weiter zugedrückt. Ein seltsames Geräusch erklang, das Ähnlichkeit mit dem hatte, wenn man eine Orange zerquetschte und man konnte sehen, wie der Schwarzhaarige Mühe hatte sich nicht gegen den Griff aufzulehnen. „Verstehst du... was ich sage?“, flüsterte der Anzugträger leise weiter, ohne eine wirkliche Antwort zu erwarten. „Wir sind dem Ziel Nahe... wir haben lange dafür gekämpft. Aber sie dürfen nicht erstarken... das dürfen sie nicht. Nein...“ Langsam lösten sich die Finger wieder vom Hals. Stück für Stück, bis die Hand sich unter das Kinn des Schwarzhaarigen legte, während die Andere sachte über dessen Wange strich. „Du... hast die Ehre diese Aufgabe zu erfüllen, ich werde mich nicht Näher einmischen. Noch nicht. Sollte ich es tun, wäre das ein Armutszeugnis für dich, denn ich sollte keinen Grund haben an deiner Arbeit zu zweifeln... mein Kind.“ Sebastien konnte nicht sprechen, auch nicht Nicken, deshalb blieb ihm keine andere Möglichkeit als es mit den Augen anzudeuten. Natürlich würde er tun, was der Andere verlangt. Er würde fortfahren, wie bisher. Im Schatten konnte man ein Lächeln ausmachen, ein Lächeln das nicht freundlich wirkte, dem etwas anhaftete, das es vermochte Abscheu hervorzurufen. „Du tust es nicht für mich... sondern für ihn... und sein Andenken.“, sprach er nun wieder in normaler Lautstärke, dabei die Hände ganz zurückziehend, wieder auf dem Tisch ablegend. Klack. Sebastien trat einen Schritt zurück, griff sich mit einer Hand an den Hals, die zerdrückte Kehle, die brannte als hätte man flüssiges Feuer hineingeschüttet, aber er merkte wie sich die Quetschungen bereits wieder Lösen begannen. „Ich... kümmre... mich... darum...“, die sonst sehr klangvolle Stimme des Franzosen brach heißer, stockend über seine Lippen und bei jedem Wort glaubte er, dass seine Stimmbänder gleich zerrissen. Er deutete noch eine Verbeugung an, machte kehrt um den Raum mit weitgreifenden Schritten zu durchqueren. Der Anzugträger sprach nicht mehr, aber er glaubte von dem Mann mit dem Hut ein dumpfes, leises Lachen zu hören, als er vorbeiging.
 

Jezz war in sein Zimmer gegangen, oder vielmehr war er es jetzt, der in dem kleinen Badezimmerstand, das eigene Spiegelbild feindselig fixierend. Es war das gleiche Gesicht seit beinahe zweihundert Jahren das ihm ebenso feindselig entgegen blickte. Das jugendliche Gesicht eines Mannes der nicht einmal zwanzig Jahre messen mochte. Mantel als auch das Hemd lagen draußen irgendwo auf dem Boden, er hatte sich nicht die Mühe gemacht den Krempel ordentlich zu verstauen, zwei Dinge mehr die jetzt zwischen Papier und Büchern auf dem dunklen Teppich lagen. Jezz hob eine Hand, presste die Handfläche auf die kalte, glatte Oberfläche des Glases. Verflucht das durfte nicht wahr sein! Das durfte nicht wahr sein, das konnte es einfach nicht! Wie konnte sich Jemand der über ein Jahrhundert immer gleich geblieben war, innerhalb weniger Jahre so verändern!Er war enttäuscht, er war wütend und vor allem verstand er es nicht. Er kapierte nicht was das sollte. So lange, so lange schon haben sie sich ihrer erfolgreich erwehrt und jetzt wollten die sich an einen Tisch setzen und verhandeln?! Oder viel mehr sehenden Auges in eine Falle laufen?! „Verdammt nochmal!“ Jezz holte aus und schlug zu, schlug mit voller Wucht auf das kalte Glas ein, das sich dieser Kraft nicht erwehren konnte und splitternd in zig Stücke zebarst. Ein wahrer Scherbenregen prasstelte auf Jezz, das Waschbecken und den gefliesten Boden nieder, was ein Klirren hinterließ, beinahe melodische Töne als das Glas auf Widerstand traf. Die Augen hatte er geschlossen, die Zähne so fest aufeinander gepresst, dass sich ein leises Knirschen zu dem Klimpernden Geräusch der Scherben gesellte. Die Aktion hatte ein zunächst scharfes, stechendes Gefühl in der Hand verursacht, das allmählich zu einem leisen Pochen wurde.

Langsam hob er die Lider wieder an, besah das nun glitzernde Waschbecken, auf dessen Rand einige dunkelroten Tropfen abperlten, ein Muster auf dem weißen Grund hinterließen. Sachte ließ er die Hand sinken, drehte sie herum um einen scharfkantigen Splitter aus dem Fleisch zu ziehen, was dazu führte, dass er die Luft zwischen den Zähnen einzog, ein weiteren Laut unterdrückend. Das Glas wanderte ins Becken, während er zusah, wie sich die Wunde erst langsam dann immer schneller schloss, sodass nurmehr das dunkle Rinsaal übrig blieb das daraufhin versiegte. Er erachtete es schon lange nicht mehr als 'Wunder'. Es war der Beweis dafür, dass sein Körper tot war, genauso tot wie Laurent der in dieser Novembernacht nahe des Familienanwesens durch einen Wahnsinnigen ums Leben kam. Sollte er je herausfinden wer ihn zu diesem Mist verdammt hatte, würde er persönlich dafür sorgen, dass diese Person nie wieder auch nur irgendwem etwas zu Leide tun konnte. Knurrend ballte er die Hand zur Faust, drehte den Wasserhahn auf um zuerst die Hände, dann den gesamten Kopf unter das fließende Wasser zu stecken. Etwas das zur Folge hatte, dass sich das sonst so durchsichtige Nass hellblau verfärbte, als sich die saphierblaue Farbschicht von den Haaren löste. Nach einiger Zeit kam ein helles Blond zum Vorschein.
 

„Bitte... nimm Platz.“ Der Mann deutete auf den freien Stuhl auf der anderen Seite des Tisches und nach einigem zögern tat Laurent wie ihm geheißen. Er sah nicht auf, aber er konnte deutlich spüren, dass der Mann ihn schweigend musterte. Langsam, Stück für Stück. Fast erschien es ihm so, als wolle er nicht Antworten oder die Entgegnung einfach hinauszögern, aber dann begann er doch zu sprechen und obgleich die Stimme so leise klang, konnte Laurent jede einzelne Silbe verstehen, als würde sie direkt in seinem Ohr erklingen. „Es war vor beinahe einer Woche, der dritte Tag des Novembers... du bist durch den Wald geirrt auf dem Weg in Richtung Stadt, ohne tatsächliches Bewusstsein, ohne bei Verstand zu sein... ich habe dich mitgenommen, ehe ein weiteres Unheil geschieht.“ „Unheil?“ Laurent blickte ruckartig auf, seinen Gegenüber verständnislos fixierend. „Ich erinnre mich nicht daran... ich weiß nur... da waren die Wachen meines Vaters... zerrissen wie von einer Bestie... und meine... meine Mutter. Sie ist... sie ist tot.“ Die Stimme wurde immer leiser, brüchiger, während die Lippen des jungen Marquis bebten, die Finger sich in den Stoff der Hose vergruben. „Oh Gott... sie sind tot. Sie sind alle tot... sie sind...“ Ja, er hatte sich doch eben schon erinnern können, er wusste um die Bilder, aber in diesem Momente kehrte das Grauen zurück – unvorstellbares Grauen das ihn mit einem Mal wieder schüttelte, die gähnende Leere ausfüllend die sich in seinem Inneren breit gemacht hatte. Laurent begann zu zittern, zu schluchzen, ehe er einfach wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel, zusammen gesackt dort auf dem Stuhl saß. Fort, sie waren fort, tot und sie würden nicht wieder kehren. Nie mehr.

„Es gab ein Unglück... ein schreckliches Unglück“, fuhr der Mann nach einer Weile leise fort. Er hatte sich nicht von seinem Platz gerührt, nicht einmal einen Finger bewegt oder geblinzelt, lediglich den Blick ein Stückweit gesenkt, sodass er Laurent nicht mehr direkt ansah.“Dabei sind zwölf Männer des Marquis ums Leben gekommen, wie auch seine Frau. Die Wachmänner müssen sie wohl nicht erkannt haben, denn es waren deren Kugeln die sie töteten. Neun fand man im Wald, wie von einem Tier zerrissen, drei am Wegesrand... auf ähnliche Weise zugerichtet.“

Laurent schlang die eigenen Arme um die Schultern, die Luft keuchend einziehend, während die trockenen Worten sich nur schleichend einen Weg in sein Bewusstsein bahnten. Sie haben sie getötet...? Die eigenen Leute...? Von einer Bestie? Er sackte noch ein wenig mehr in sich zusammen. Und warum, warum berührte es diesen Mann nicht? Wie konnte er einfach so davon sprechen wo sie doch tot waren! Als gäbe es nichts anderes, als... Laurent presste die Hände auf seine hören. „Hören sie auf! Seien sie Still, seien sie Still! Bitte...“ Er rutschte vom Stuhl, fiel davor auf die Knie. Am Wegesrand. Da waren mit einem Mal Bilder in seinem Kopf, vielmehr Fetzen von Bildern. Er war gelaufen, er war einfach nur gelaufen und da waren sie. Sie hatten ihn erkannt, sie wollten ihn mitnehmen, aber er... er hatte... Sachte legte sich ihm eine Hand auf die Schulter, eine Hand die sich anfühlte als bestünde sie aus Eis, als würde die Kälte durch den Stoff der Kleidung kriechen. Durch einen rötlichen Tränenschleier blickte Laurent auf, die Lippen noch immer bebend, zitternd, unfähig ein Wort hervorzubringen. Ohne dass er es gemerkt hatte, war der Mann aufgestanden, hockte nun neben ihm auf dem Boden und zum ersten Mal seit er in den Raum gekommen war, seit sie sich unterhielten vermochte er etwas in den glanzlosen Augen erkennen. Mitgefühl und etwas das aussah wie aufrichtiges Bedauern. „Ich habe sie umgebracht... sie wollten mich nach Hause bringen und ich habe sie umgebracht... mit meinen Händen. Die Anderen haben geschossen... da habe ich auch sie... ich habe... ich müsste tot sein. Sie haben mich getroffen, aber... ich bin... ich bin nicht tot, ich...“ Der Fremde hob eine Hand um sie dem jungen Marquis auf die Lippen zu legen. Ein Zeichen, das er nicht zu sprechen brauchte.“Du trägst keine Schuld, Laurent.“

Der erste Takt

Trotz des Kaffees - es fehlte nicht mehr viel und sie würde während sie lief einschlafen. Es war auch nichts passiert, gar nichts, überhaupt nichts. Vielleicht hatte der Kerl, der zu ihr in den Wagen gestiegen war sie einfach verarscht. Kayla war sich nicht sicher, ob sie sich wirklich freuen würde, wenn dem so wäre, aber enttäuscht war sie mit Sicherheit nicht. Irgendwann hatte Cathrine den Laden dicht gemacht und sie und diesen kleinen Mann freundlich hinauskomplimentiert. Nur Kaey hatte darauf bestanden noch ein wenig zu warten, denn selbst wenn tatsächlich alles in Ordnung war, so wollte sie die Freundin nur ungern allein lassen. Was auch immer der Freak mit dem Hut hatte erreichen wollen, zumindest hatte er es geschafft ihr einen Floh ins Ohr zu setzen, der ihre Paranoia gerade ziemlich anstachelte. „Du musst das wirklich nicht machen... ich werde doch gleich abgeholt.“ Cathrine trat gerade durch die Türe, die sie daraufhin hinter sich absperrte. „Naja dann kann ich die wenigen Minuten auch noch warten, ob ich hier einschlafe oder im Auto ist doch egal.“ Kaey rang sich ein schiefes grinsen ab, das ihre Freundin lediglich mit einem mahnenden Blick quittierte. Hastig wechselte sie das Thema, ehe sie einen weiteren Vortrag über ihre Schlafgewohnheiten über sich ergehen lassen musste. „Du hast gesagt du wirst abgeholt – von wem denn?“ „Ach hatte ich dir das noch gar nicht erzählt?“ Die Kellnerin wand sich um, strahlte Kayla jetzt regelrecht an. „Ich habe da Jemanden kennen gelernt...“ Das war der Punkt an dem Kaey zwar ein Verdrehen der Augen unterdrücken konnte, aber da änderte nichts daran, dass sich ein Teil ihres Hirn in den lange ersehnten Tiefschlaf legte und sie somit nur die Hälfte der Schwärmerei überhaupt mitbekam, So sehr sie Cathrine auch mochte, ihre teeniehaften Schwärmereien konnten immens an den Nerven zehren, besonders wenn es dabei jedes Mal um einen Anderen ging. Das war der Teil an ihr, der Kayla am unsympathischsten war, vielleicht weil sie es nicht nachvollziehen konnte. Aber bitte, jedem das Seine. „... und er kann auch nicht dieser Psycho sein, schließlich ist er Anwalt.“, schloss Cathrine ihren Vortrag – der Punkt an dem Kaey wieder zuhörte. Zwar mochte ihr die Vorangegangene 'Argumentation' entgangen sein, aber die Logik an sich hinkte schon. Sie kam nur nicht wirklich dazu nachzuhaken, den just in de Moment wurde der kleine Parkplatz vor dem Café von den Strahlen der Scheinwerfer eines ziemlich teuer aussehenden Wagens erhellt. „Ah, da ist er ja schon.“ Ohne auch nur eine Sekunde zu verlieren stürmte sie regelrecht los und fiel der Person, die aus dem Auto stieg nahezu um den Hals. Die Mühe das Licht oder zumindest den Motor auszuschalten hatte er sich natürlich nicht gemacht. Zumindest erlaubte das, sich den Mann dort einmal näher in Augenschein zu nehmen. Nunja ihr musste der Zeitpunkt entgangen sein, da Cathrine gefallen an öligen Schlipsträgern gefunden hatte, denn der da sah aus wie der Stereotyp eines wandelnden Anzuges. Nicht einmal das aufgesetzt aussehende Lächeln sowie die akribisch nach hinten gegeelte Frisur fehlten, selbst wenn die Haare schon grau aussahen. Der Höflichkeit wegen machte auch Kayla einige Schritte auf den Wagen zu um wenigsten 'Guten Abend und Tschüss' zu sagen. Seltsamerweise wurde ihr immer mulmiger zumute während sie auf die Beiden zuhielt. Als würden unsichtbare Hände versuchen nach ihr zu greifen und sie zurückzuziehen. Wahrscheinlich nur die überspannten Nerven in Kombination mit viel zu wenig Schlaf. Sie versuchte es abzuschütteln – mit mäßigem Erfolg. „Ah, ist das deine Freundin, Cathy?“ Gut im Gegensatz zu seinem Äußeren klang die Stimme tatsächlich sehr nett. „Ich hoffe sie entschuldigen, wenn wir nicht lange bleiben können, aber wir haben noch etwas vor heute Abend, Misses...?“ „Drighten... und Miss langt voll und ganz.“ Kaey rang sich ein Lächeln ab. Inzwischen war sie stehen geblieben, weiter weg als eigentlich beabsichtigt und sie hatte auch bereits den Weg zu ihrem eigenen Auto eingeschlagen, damit es nicht ganz so unhöflich aussah. Dieser Mann hatte etwas an sich, das ihr eindeutig Unbehagen bescherte. So sehr, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte, obgleich sie es wollte. „Ich will euch auch nicht aufhalten.“, fuhr sie rasch fort. „Bis morgen Cat und ihnen noch einen schönen Abend Mister...“ „Stewardt. - Ebenso.“ Lächelnd hielt er Cathrine die Beifahrertüre auf, ehe er selbst hinter dem Steuer Platz nahm. Wenig später waren sie auch schon verschwunden. Und mit ihnen auch dieses seltsame Gefühl. Sie konnte es sich nicht erklären, schon allein deshalb nicht, weil es ihr vollkommen fremd war. Grübelnd starrte sie in die Dunkelheit, an den Punkt an dem der kleine Lichtkegel schließlich verschwunden war, ehe sie nach den eigenen Autoschlüsseln suchte. Es war still geworden mittlerweilen. Nun kein Wunder, schließlich war es schon fast fünf Uhr morgens und wahrscheinlich war das 'Blue Moon' das einzige Cafe überhaupt das so lange geöffnet hatte. Ganz still war es nicht, wenn man beachtete, dass der Wind scharf um die Häuserecken blies und ein leises, fast pfeifendes Geräusch hinterließ, zudem sich etwas anderes mischte...
 

Sieh dich vor – hinter dir!
 

Wenige Meter hinter ihr schepperte es gewaltig und wenige Sekundenbruchteile später flog etwas haarscharf an ihrem Kopf vorbei, schrammte über den Wagen hinweg und kam polternd dahinter auf dem Asphalt auf. Hätte sie sich nicht instinktiv weggedreht wäre dieses Etwas gegen ihren Hinterkopf geknallt. Kaey wirbelte ruckartig herum um zumindest in die Richtung sehen zu können aus der das Wurfgeschoss – oder was auch immer es war gekommen war und tatsächlich dort hinten im Schatten zeichnete sich eine Silhouette ab, die mit viel Phantasie noch etwas menschliches an sich haben konnte. Also doch! Sie ging leicht in die Hocke, versuchte die Wagentüre zu öffnen um in das Innere des Wagens zu gelangen und nach ihrer Waffe zu tasten. So hatte sie keine Chance gegen dieses... Ding. Nur keine hektische Bewegung mehr, mahnte sie sich in Gedanken. Die Augen geschlossen glitten ihre Finger über den Boden des Wageninneren. Wo steckte sie nur?! Sie musste doch... - Schlagartig hielt Kayla inne, als etwas nach ihr griff. Etwas Körperloses, das über den Boden schwappte, langsam ihre Beine hinaufkroch und ein dumpfes Gefühl hinterließ, das ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Etwas das sie kannte und doch anders war... wie ein schwaches Zerrbild des Grauens, das sie vor zwölf Jahren schon einmal erfasst hatte. Langsam tastete es sich empor, fast als wolle es in jede Faser dringen. Ruckartig zog sie die Hand zurück, riss die Augen auf und im gleichen Moment schnürte sich ihr die Kehle zu. Zuerst durch eine Hand, die sich um ihren Hals gelegt hatte und dann durch Fetzen von Erinnerungen, die mit einem Male durch ihren Kopf preschten.
 

Den ersten wirklichen Arbeitstag hatte sie sich eigentlich ganz anders vorgestellt. Irgendwie spannender. Aber nein sie wurde von irgendwelchen Bürohengsten durch das Department geschickt. Kopieren sie dies, tippen sie das ab, kochen sie Kaffee. Spitze. Den ersten Tag hatte sie hinter sich gebracht, es würde schon besser werden. Kayla blieb vor dem teilweise marode wirkendem Haus stehen, die bröckelige Häuserfassade nach oben schielend. Sie und ihre Eltern waren die Einzigen die hier noch lebten, aber nicht mehr lange. In zwei Wochen stand der Umzug bevor und dann würde der schäbige alte Betonklotz einem moderneren Betonklotz weichen müssen. Generell war sie froh hier weg zu kommen, die Gegend war mies... Aber darüber wollte sie heute nicht mehr nachdenken, sie war müde vom Nichtstun und hungrig. Wenigstens hatte ihre Mutter ihr sicherlich wieder was vom Abendessen aufgehoben und in der Mikrowelle gebunkert. Das war ihr Rettungsanker für diesen Tag, gemeinsam mit der Aussicht auf eine heiße Dusche und ihrem Bett. Das Licht im Hausflur war schon lange kaputt, aber den Weg nach oben würde sie wohl auch im Schlaf finden... Eine Hand an die Wand legend tastete sie sich Stufe für Stufe nach oben. Altbau... Fünfstöckig, kein Fahrstuhl... und die Wohnung lag unter dem Dach. Sport ist Mord - zum Glück war das nicht unbedingt ihre Devise. Trotzdem fühlten sich ihre Beine bleiern an und irgendwas roch hier verdammt komisch... Licht war auch weiter oben keines, aber da sich die Augen mehr und mehr an die Dunkelheit gewöhnten konnte sie zwischenzeitlich wieder etwas erkennen. Die Wohnungstür stand offen. Hatten ihre Eltern vergessen...? Nein eigentlich nicht, dafür kannten sie diese Gegend zu gut. Normalerweise wäre sie wohl jetzt zur Türe gerannt, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Etwas das wie eine schwere Woge über den Boden schwappte, wie zähflüssiger, doch unsichtbarer Nebel, etwas dass ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagen wollte. Die Schritte waren langsam. "Ma'?" Vorsichtig schob sie Türe auf. Weiter hinten brannte ein Licht, das einen fahlen Schein durch eines der Zimmer hin auf den Flur warf. Die junge Polizistin tastete sich langsam den Flur entlang, in Richtung des Lichtscheins. "Dad?" Noch ein Schritt, ehe sie urplötzlich in Augen sah. Augen die rot waren, die ein seltsames Eigenleben besaßen, als bestünden sie aus pulsierendem Magma. Ein fast weißes Gesicht, wohl nichteinmal wirklich abstoßend, aber das gleichzeitig so schrecklich künstlich wirkte, dass es fast wehtat hinzusehen. Das Gesicht eines grinsenden Mannes, der aus dem Nichts auftauchte, urplötzlich. Mit einem erstickten Schrei auf den Lippen prallte sie zurück. "Jonathans Tochter nehme ich an." Die Stimme klang dunkel, hatte etwas kratziges an sich und eine Akzetfärbung die sie nicht wirklich zuordnen konnte. War das ein Freund ihres Dads? Derartige Gestalten passten nicht wirklich in eine Bowlinggruppe. "Was..." Sie kam nicht weiter, denn der Fremde fiel ihr sogleich ins Wort, trat wieder einen Schritt näher um sie an der Schulter zu fassen und in Richtung des Lichtscheins schieben zu wollen. "Hat er nicht von mir erzählt? Natürlich nicht..." Ein kurzes, fast schon grollendes Lachen. "Komm, es ist schon angerichtet." Sie war sich sicher, dass sie diesen Mann noch nie gesehen hatte. Sie wollte auch gar nicht mit, aber sie schaffte es auch nicht sich aus dem Griff zu winden und einfach davon zulaufen. Nicht einmal der Gedanke konnte vollständig erwachsen, ganz als sei jeglicher Widerstand im Keim erstickt. "Essen? Ist es dafür... es ist..." der Rest des Satzes blieb ihr im Halse stecken, die Worte einfach verloschen, als sie die Küche betraten. Es war still, lediglich das Schlagen des eigenen Herzens dröhnte in diesem Moment fast schon ohrenbetäubend laut. Küche? Nein es erinnerte nurmehr entfernt an eine Küche, mehr an ein Schlachthaus, wie auch das Ding nur noch wenig Ähnlichkeit mit einem Menschen hatte, das dort vor dem Tisch stand. Es sah auf. Es trug das Gesicht eines Mannes, wohl gegen Ende vierzig, der Blick glasig, verklärt, der Rest... den Rest will man am ehesten einen deformierten Klumpen aus Fleisch und Knochen nennen. Die Gliedmaßen sahen aus als wären sie mehrfach gebrochen, in einer schier unmöglichen Haltung erneut verheilt. Das Ding hatte die zu groß geratene, klauenhaften knöchernen Hände in etwas vergraben, das man nur aufgrund einiger Körperformen noch als den zerfetzten Leib einer Frau erkennen konnte. Zerrissen, wie von einem wilden Tier, nur das Gesicht war unberührt geblieben. Das Gesicht einer Frau ende dreißig mit großen, grünen Augen, hübschen geschwungenen Lippen und langem hellen Haar, das jedoch an einigen Stellen durch dunkles Blut zusammen klebte. Entsetzen war in die Totenmaske geschrieben und Schmerz. Die Kreatur zog eine der furchtbaren Finger aus dem zerstörten Leib. Kayla war regelrecht erstarrt, jegliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. „Dad...?“ Man hörte die zittrige, gebrochene Stimme kaum. Verstand er sie? Jonathan – oder das was von ihm übrig geblieben war ging langsam auf die Beiden zu, streckte eine Hand aus von der einige rote Perlen auf den Boden tropften. Noch ein Stück näher und die verkrümmten Krallen berührten ihre Wange. Kaey öffnete bebend den Mund um etwas zu sagen, wollte ihre eigenen Hänge nach oben reißen um diesen... Ding zu entgehen, doch das Einzige was ihre Lippen formten war ein lauter, gellender Schrei, ehe sie von der beinahe erlösenden Ohnmacht eingelullt wurde. Da war noch etwas... eine Stimme, ein Flüstern, das in tiefster Schwärze verschwand...
 

Sekundenbruchteile später nahmen ihre Augen wieder die Realität wahr. Nein, das was sie ergriffen hatte war nicht dieses Monster von damals, selbst wenn die Ausstrahlung eine Ähnliche wahr. Es war auch keines dieser schrecklichen Dinger. Nein, es war ein junger Mann mit schwarzen Haaren und ebenso schwarzen Augen, der sie am Hals gepackt hatte. Instinktiv griffen ihre Finger nach seinem Handgelenk, während sie einige Male heftig nach Luft schnappte, als er leicht zudrückte. Mühelos zog er sie nach oben, zwang sie auf ihre Füße – die Deckung aufgebend. Es folgte kein weiterer Angriff, aber aus den Augenwinkeln konnte sie sehen wie drei oder vier dieser Kreaturen aus dem Schatten wankten. „Sie meine Liebe... werden mich jetzt begleiten.“ Es war eine an sich wohlklingende Stimme, die von französischem Akzent geprägt war. In jeder anderen Situation hätte sie sie auch als angenehm empfunden. In jeder Anderen... im Augenblick war da nur tiefgreifende Furcht, die sich zäh mit aufkeimendem Zorn mischte. Die Lippen des Mannes öffneten sich erneut, aber statt weiterer Worte erklang ein schmerzerfüllter Schrei.
 

Irgendetwas war schon wieder los. Eigentlich war hier immer etwas los und wenn es nur kleinere Zankereien oder Streitereien waren, wirklich Ruhe hatte man diesem Tollhaus nie. Leidlicher Weise hatte der Erbauer dieses Gemäuers, die Wände derartig dünn gestaltet, dass man jedes Getrampel, Gekeife und Geschrei sofort mitbekam. Zum Leidwesen von Jezz, der den Architekten schon zig tausend Mal dafür verflucht hatte. Aber es brachte ja nichts... der gute Mann war vermutlich schon längst tot. Seit einigen Stunden verbrachte er die Zeit damit rücklings auf dem klapprigen Sofa zu liegen, die Augenlider geschlossen, die Hand über selbige gelegt, damit er zumindest ja nichts sehen konnte, sollte irgendeiner dieser Idioten auch nur auf die Idee kommen hereinzuplatzen und das Licht anzuschalten. Wenn er etwas nicht ausstehen konnte, dann war es dieser ständige Lärm und insbesondere, dass dauernd jemand den Flur entlang trampelte. Immerhin – es war besser sich stumm über soetwas aufregen zu können, als den eigenen Gedanken nachzuhängen, die in letzter Zeit immer wieder in die Vergangenheit flohen ohne dass er es bewusst gewollt hätte.

Das kleine Zimmer, das er sein Eigen nannte, befand sich wie sooft im Halbdunkel, war es lediglich das Mondlicht, das ein wenig Helligkeit spendete. Es war äußerst spärlich eingerichtet, denn nebst der Couch befanden sich hier noch ein Bett, ein einsames Bücherregal und ein Sammelsurium an Papier, das sich auf fast den gesamten Boden breit machte. Von Ordnung hielt er also auch nicht viel. Aber es war ihm egal. Hier hatte sowieso niemand außer ihm etwas verloren und wenn doch, so würde dieser Jemand hochkant hinausfliegen. Wieder ein Poltern... dann schien sich jemand die Treppen nach unten zu walzen. Wehe sie dachten nur im Traum daran... die Schritte wurden lauter... Er hatte ihnen schon mehr als nur einmal klar gemacht, dass er seine Ruhe haben wollte... Wehe dem, der - RUMS - Die Tür wurde aufgerissen und ein fast schon gleißender, künstlicher Lichtstrahl brach herein, zusammen mit der Verursacherin des Lärms. Kurz ließ sie ihren Blick durch die kleine Kammer streifen um dann doch die Gestalt auf dem Sofa zu mustern, die just in diesem Moment ein missbilligendes Knurren von sich gab. Noch ehe der Störenfried etwas sagen konnte, machte er seinen Unmut über diese Störung Luft... auf die übliche trockene Art und Weise. "Egal um was und wen es geht... es interessiert mich nicht und du störst... hau ab." Und dabei machte er nicht einmal Anstalten auch nur in die Richtung der Tür zu sehen, geschweige denn die Hand vom Gesicht zu nehmen. Er hatte schon mit dem Gedanken gespielt ein Schild anzubringen, aber das würden sie sowieso übersehen, als wäre es Luft. Er hatte nicht damit gerechnet, dass seine Worte auch nur in irgendwie Beachtung fanden, dafür kannten die Anderen ihn mittlerweile wohl zu gut. Leider. "Wir sind heute aber wieder gut gelaunt... es gibt übrigens Stress... auch wenn es dich nicht interessiert...", murrte die Frau. July Harperd. Wer sonst würde so einen Lärm veranstalten? "Wir haben immer Stress, also verpasse ich auch nichts. Sonst noch etwas? Nein? Danke. Auf Wiedersehen." Selbstverständlich ließ sie sich auch davon nicht beeindrucken, also machte sie sich daran durch das Zimmer zu stapfen, das Papier dabei achtlos unter den schweren Stiefeln zerknitternd, ehe sie sich leicht über die liegende Gestalt beugte. Das zerzauste, braune Haar trug sie ausnahmsweise nach oben gesteckt, was wohl in diesem Falle ihr Glück war. "Wenn... du mir irgendwie zu nahe kommst, werfe ich dich eigenhändig aus dem Fenster." Jezz schob die Hand ein wenig nach oben und öffnete die Augen, um die Frau eher desinteressiert zu betrachteten. "Ach... ist das ein Versprechen?", gurrte sie kehlig, die Lippen dabei zu einem schelmischen Grinsen verzogen. Aber das schien ihn auch nicht wirklich zu beeindrucken. "Eine Garantie." Und damit raffte er sich doch auf. Ruckartig, die Frau fast schon grob beiseite schiebend, er hatte noch nie viel übrig gehabt für Julys schrägen Humor. Dauernd dieses Theater hier... er nahm sich fest vor bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit 'Urlaub' zu nehmen und für längere Zeit aus dieser widerlichen Stadt zu verschwinden... New York war ätzend, aber eigentlich war alles irgendwie ätzend. In letzter Zeit noch mehr als ohnehin schon. Aber wenn man von der Welt und dem Schicksal gehasst wird, kann man die Beiden ja zurück hassen, oder ignorieren.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  vanilla_quicksand
2010-12-12T13:54:49+00:00 12.12.2010 14:54
Alter o.O
Die Geschichte ist verdammt gut; besser als einiges, das ich gedruckt gesehen hab. Mach die fertig und schick sie irgendeinem Verlag. Will mehr lesen!


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