Momente (und nichts anderes).
Ich hätte sovieles sein können, hätte sovieles erreichen können, gäbe es dieses hätte nicht, gäbe es mich nicht, würde ich nicht dieses Leben leben, wäre ich nicht da.
Ich hätte so sein können, wie ich schon immer sein wollte, hätte ich mich gewehrt, hätte ich mich nicht belogen, es wär so perfekt, stünde ich mir selbst nicht im Weg.
Wär ich gerannt.
Hätte mich umgerannt.
Mich besiegt.
Wär ich bloß unantastbar.
Wär ich nur Ich.
In jedem, beschissenen Leben gibt es immer wieder einen Punkt, der dich verhindert, der dich zurückhalt und alles mögliche mit dir anstellt, dass du anfängst (so wie ich, mit gebückter Haltung, rotzender Nase und scheiß rotunterlaufenen Augen) zu schreiben (über dein Leben, deine Gedanken, die auch allesamt beschissen sind), weil dieser Punkt dich blockiert, runterzieht. Zurückhalt. (Ich wiederhole mich, aber hey, das Leben wiederholt sich ständig.)
Dich dazu bringt, nach Wörtern zu ringen, zu fassen, aber deine Hände greifen ins Leere, was dir bleibt, ist Luft. Die ist aber verpestet, so sehr, dass du hustest. Aber eigentlich willst du all diese angestauten Gefühle raus husten.
Und was mach ich? Ich atme ein, atme aus.
Atme die Gefühle ein, atme sie aus.
Und genau das tun meine Lungen in diesem Moment auch; ich liege wach in meinem Bett, höre Musik, es ist vier Uhr nachts und ich kann nicht schlafen.
Habe auch keine Lust zum Bad zu kriechen, um zu… ihr wisst schon.
Denn ich warte auf meinen Tod, milde ausgedrückt.
Ich bin aber trotzdem nicht gestorben, stattdessen sitze ich in der Schule, mit lachenden (weinendenweinendenweinenden) und etwas feuchten Augen.
„Was ist los? Deine Augen sind so hell.“, ungelogen, dieses Blau in ihren Augen ist so ehrlich und froh, ich beneide sie. Sie starren mich lange an, ich will wegsehen, will weggehen, nicht mehr sein, bin aber hier. Inmitten meines Lebens.
Zeitgleich hasse ich mich für diese Augen, für diese hellblauen Augen, die leuchten, weil sie die Tränen unterdrücken, versuchen meine Gefühle zu unterdrücken. Ich versteck mich hinter ihnen.
„Ach nichts. Wegen dem bekifften Sommer, weil da ja wieder die Pollen kommen, werden meine Augen immer so wässrig,“, ich blinzle etwas, „und ich hab ja diese scheiß Pollenallergie“, ich schniefe etwas, „deswegen sieht´s dann immer so aus, als ob ich heulen würde.“, ich lache viel und greife nach meinem Stift.
Ich war so eine gute und tadellose Schauspielerin, lüge jedem tagtäglich ins Gesicht, belüg aber am meisten nur mich. Michmichmich.
„Übrigens, ich hab die Mathegleichung gelöst, was´n Wunder, ne?“
Wäre mein Leben wie eine Mathegleichung, hätte ich sie mit meiner Willenskraft gelöst, aber so ist es nicht, es scheint, als wäre alles unlösbar.
Es wäre so ein toller Tag gewesen, wäre diese Angst nicht in mir, während ich die Glückseligkeit in Person affektiere.
Meine Augen pinnen die Bohnen in meinem Teller an.
Und ich frage mich, ob ich überhaupt Bohnen mag.
Und wenn ja, warum esse ich es nicht?
Und wenn nein, warum habe ich mir soviel aufgetan?
(Und was ist der Sinn des Lebens? Haha. Aha, ich lache.)
„Du hast dich wieder so… schwarz geschminkt, Mädchen. Bist du ein Punk, wie diese im Fernsehen?“, ich sehe in ihre braunen Augen, WutundHassundTränenundSchläge reflektierende Augen und spüre immer noch alles. An mir haften. Kann es nicht abwaschen. Meinen Hass. Ich hasse sie. Ich hasse dich wirklich, Mutter.
Ich schlucke das Essen hinunter, schlucke den Protest runter.
„Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“, ihre langen, dünnen Finger greifen in mein Haar und ziehen es zu ihrem Gesicht. „Ich habe dir gesagt, dass du dich nicht schminken sollst, dass ist viel zu viel, wieso tust du es dann ständig, huh? Wieso befolgst du nie meine Regeln?“
Innerlich will ich lachen, über dieses profane Problem, dieses bekannte Problem.
Ey, weißt du, da ist ein Mädchen in unserer Klasse, die wird ständig von ihrer Mutter wegen kleinen Dingen geschlagen, wie übertrieben ist das denn?
Aber ich kann es nicht.
Denn ich bin dieses Mädchen.
Dieses Mädchen bin ich.
Aber wer bin ich wirklich?
Willst du mit mir tauschen?
Zu viele Fragen, ich drifte ab.
Wie immer.
(Weil ich vorher einfach geschrieben habe, um zu schreiben, hab Sätze erfunden, nur damit alles ausgefüllt war, mein Leben. Wünsche, Lügen. Lügen.
Aber jetzt will ich einfach ehrlich schreiben, denn diese Unausgefülltheit in meinen Sätzen, dass Stockende, dass Fließende, das macht mein Leben aus.
Manchmal ist es stockend, wegen den Gefühlen.
Manchmal still, wegen den Gefühlen.
Manchmal nichts, weil kein Gefühl da ist.
Manchmal viel, weil einfach zu viel da ist.
Und so wenig, weil ich ehrlich sein will.
Vor allem mit mir.
Vor allem zu mir.
Wieso ich dir alles erzähle? Ganz ehrlich; ich weiß es nicht.
Und wieso liest du es?)
Es klingt kurios, lässt sich kurios lesen, aber das Bad war mein Fluchtort, wenn ich weinen wollte. Wenn ich zergehen wollte, keiner kann gewaltsam in das Bad eindringen, in mich eindringen, mich zerwühlen.
Ich konnte mir die heißen Wangen abwaschen, die Kälte genießen, wenn ich mein Gesicht an die endlosweißen, kaltenkalten Fließen drückte. Schade, dass mein Herz dabei nicht kalt wurde. Ich hasse deswegen den Sommer, die Wärme.
Mir in die hellen Augen schauend, während ich unerbittlich weinte. (Ich kann´s nicht abstellen, diese Melodramatik bringt mich um, kann sie nicht zurück halten; ohne die Dramatik wäre mein Leben kein Leben… denn es wäre viel einfacher. Ich lächle. Bitter.)
Ich drehe den Wasserhahn auf, forme meine Hände zu einer Kuhle und klatsche mir abermals Wasser ins Gesicht, während ich hysterisch weine, während ich hasse, weil ich nicht wüten kann.
Ich bin so feige, ich kann nicht einmal rebellieren.
Und ich lächle, immer und immer wieder, weil ich widerwärtig bin, weil ich mich über mich lustig mache, weil ich mich im Grunde viel mehr hasse und so bin, wie ich nicht sein will, genau so wie sie es will.
Ich schreie lautlos.
(Und breche hier mit dem Schreiben ab. Alles wird zu viel, der Rest wäre nur gelogen.)
Es ist, als würdest du auf Wolken laufen, leichter als Luft sein, aber dein Herz so schwer, dass es dich runterzieht, wenn es schlägt und dann willst du, dass es plötzlich aufhört.
(Aber dann würde ich abkratzen.)
Da gehe ich also, im feinen Nieselregen, die Stöpsel wieder in meinen Ohren, eine braune Mütze auf meinem Kopf, weil meine Haare zu lang sind, glattglänzend, aber formlos.
Sie sind lang, weil es meine Mutter so will.
Ich hasse meine Haare, viele beneiden mich um meine Haare, ich beneide sie aber vielmehr, weil sie frei sind. (Dabei kenn ich sie vielleicht nicht, denke oberflächig, so leicht und theoretisch nach, obwohl ich das verabscheue. Ich bin nicht besser. Meine Augen verschließen sich in meinem Geiste, die Ironie tropft und dringt in mich ein wie Säure, ich spuck sie aus, wenn sich Leute wie er um mich sorgen. Gleich weißt du Bescheid.)
Ich würde die ersten beiden Stunden schwänzen, einfach mal krank sein, weil ich schon lange im Kopf krank war, aber unbemerkt, still und leise, so raffiniert, dass ich mir manchmal selber glaubte, ich wäre gesund.
Ungesehen und unbemerkt tragen mich meine Füße zum Skaterpark, schnell schaue ich mich um und steuere auf die Brücke zu.
„Hey!“
Ich bleibe stehen.
„Haley, wieso.. warum schwänzt du?“
Es ist berauschend, dass ihr so erfährt wie ich heiße, dieser dumme Mensch hat mich leider enttarnt. Ich drehe mich nicht um und gehe weiter.
„Bleib geschmeidig. Ich brauch ein bisschen Ruhe.“, ich hatte deutlich die klitzekleine Panik in seiner Stimme gehört. Ich hasse es, wenn man sich um mich sorgt. Ich hasse seine Stimme. Ich hasse es, wenn sich die Falschen um mich sorgen.
Langsam folgt er mir und zusammen setzen wir uns unter die Brücke und ich weiß das er mich anstarrt, mich hübsch und so unnahbar findet, ich weiß, dass er versucht mir in die Augen zu schauen, um zu erahnen, was los ist.
Ich blicke durch ihn hindurch.
„Was ist los?“
Ich hatte den Fehler gemacht, mich bei ihm ausgeweint, meine Wut hatte mich dazu getrieben ihm zu beweisen, wie beschissen mein Leben ist, neben seinen leichten Problemen, er sagte, er fühle alles bis unter die Haut.
(Er ist so ein Heuchler, kommt mir zu nah, zerwühlt mich mit seiner Sorge, dieser unbegründeten Sorge, weil ich ihn nicht mehr an mich ran lassen werde, weil er nichts versteht, weil er es so viel leichter hat, sich aber alles zu schwer macht. Meint mich studieren zu müssen, denkt, wir wären gleich.)
„Jeremy, ich bin anders.“
Wie vor den Kopf gestoßen, wie vor seinen dämlichen Kopf gestoßen, seine grünen Augen mit blutenden Herzen. Ich weiß, er liebt mich.
„Wie meinst du das?“
„Ich bin der Regen, die Sonne, der Wind. Du bist Jesus, der Buddha, oder Mohammed. Es geht mit uns nicht.“
„Erklärs mir genauer, ich komm geistig nicht mit.“
„Du versuchst die Menschen zu erleuchten, ich zerstöre und stoße alles von mir, wenn ich wütend bin.“
„Hab ich dich erleuchten können?“
„Nein.“
„Willst du mich manchmal zerstören? Mich abstoßen?“
„Ja.“ Es fällt mir so schwer, so schwer das ständige Arschloch zu sein, so schwer. (Ich lach mich aus.)
Er seufzt gequält und greift sich in die Haare, zerdrückt sein Gesicht, damit er sein Herz nicht zerdrückt.
„Sag mir dann wenigstens warum.“
„Weil wegen darum.“
Wir lachen, weil wir weinen.
Dann war ich aufgestanden, war gegangen, aber eigentlich bin ich gefangen und der leise Abschied füllte ringsum die Luft, legte sich unsichtbar zwischen uns, würde uns für immer voneinander fernhalten, wie eine Wand, er lief kopflos dagegen und fiel, lief kopflos dagegen und fiel, lief kopflos dagegen und fiel.
Er fällt.
(Ich liege schon am Boden.)
Ich könnte nicht offen und ehrlich über mich sprechen, dir dabei in die Augen sehen, denn sie offenbaren zu viel, du schaust mich nicht mehr an, sondern siehst mich.
In mich hinein.
Deswegen kennst du mich nicht.
Die Fröhliche und Unpünktliche in der Schule, dass bin ich nicht.
Die gute und ehrliche Freundin, das war ich nicht.
Die helfende und tröstende Hand, das will ich nicht sein.
Die Hübsche und Kluge, das war ich nicht.
Das Mädchen mit den Träumen und vielen Talenten, der guten Laune und der Unbeschwertheit, das lachende Gesicht und die freundliche, singende Stimme, die Ratgeberin und der Querkopf, sie beschreiben mich nicht. Sie lügen dich an.
Das Mädchen mit dem Herz aus Stein. Wollte ich schon immer sein.
Es ist neun Uhr abends, ich laufe am Kanal entlang, meine Eltern sind nicht da, sie ist nicht da. Für einen kurzen Moment kommt der Gedanke ich wäre frei und im nächsten weiß ich schon, dass mit der Freiheit die Lüge angekrochen kam.
Ich lächle.
Und bade mich im Wind.
Ich würde irgendwann (ich glaubte an dieses irgendwann) mit ihr (sie war viel mehr als eine Freundin, wir waren verbunden, unser Leben war beschissen, ich hatte aber sie. Sie stand nie hinter mir, wir waren meilenweit entfernt voneinander, aber ich hatte stetig das Gefühl, sie stünde immer neben mir) an genau dieser Stelle entlang gehen, auf die Brücke zusteuern und auf jeden hinabsehen. Sie würden lachen, unsere Augen würden funkeln, ich würde alles dafür geben ihre hellbraunen Augen funkeln zu sehen. Gold würde bestimmt in ihnen auftanzen. Sie ist eine Freundin, aber mehr als das. Sie weiß es besser.
Kurze und immer wiederkehrende Gedanken kommen in mir auf, wenn ich mich in solchen Momenten alleine fühle, aber ich weiß, dass wir alle immer in Gedanken mit einander verbunden sind.
Ich bin nie wirklich allein.
Wieso aber fühle ich mich dann so allein?
Ist das Wissen wie Fühlen, sind diese beiden Dinge gleichzusetzen?
Ich weiß, der Schmerz ist noch nicht vorbei.
Ich fühle, der Schmerz ist noch nicht vorbei.
Ich stutze und lächle.
Beides ist schlimm.
Das Leben ist immer noch beschissen.
(Wie eine Freundin von mir immer sagte und mich jedesmal zum Lachen bringt… das Leben ist ein Arschloch. Hat das Arschloch einen besten Freund? Ich glaube, ich bin ihm begegnet.)
Die Tage laufen an mir vorbei, schneller als eine U-Bahn, schneller als ein Herzschlag, schneller als ihre Ohrfeigen, ich hab viel zu wenig Zeit, dennoch… sind die Nächte lang.
Ich habe mich damit abgefunden.
Ich bin kaputt, hohl, leer.
In mir ein zäher Klumpen aus Sorge und Angst, der nicht verschwindet.
Äußerlich diese Attitüde der Unantastbarkeit.
Gedanklich hasse ich mich.
Alles ist so wie immer, nichts hat sich verändert.
Ich stehe mir im Weg, kann mich nicht besiegen.
(Du fragst dich bestimmt, was mich noch belastet. Begreifst du es denn nicht, denn darüber schreiben, dass kann ich nicht!)
Ich öffne meine Zimmertür und reib mir die Augen, blicke auf mein Bett und fahre mir über die Augen. Noch einmal und noch einmal. Ich will klarer sehen.
Ich habe Wünsche, du hast Wünsche, ich weiß nicht, ob ein Wunsch jemals Wünsche hat, aber ein kleiner Teil meinerseits geht in Erfüllung.
Da liegt eine Gitarre auf meinem Bett, die Gitarre.
Ich verharre an der Türschwelle, schließe die Augen, aber nicht vor der Wahrheit, sondern gegen die Wahrheit.
Ich würde all meine Emotionen mit der Gitarre spielen lernen. Alles raus spielen, einfach nur raus spielen.
(Es tat weh, kroch mir unter die Haut, berührte mein Herz.)
Jeremy. Lief gegen die Mauer. Kam an.
„Haley, ich weiß es nun.“
Ich. Stand da. Hinter der Mauer.
„Es war nie die Allergie gewesen.“
Wir weinen, weil wir lachen.
© Rebell