Oyasumi
Ein paar Tage später konnte Yuuki sich das nicht mehr länger mit ansehen und er weihte Tetsu tatsächlich ein.
Er hatte ein ganz schön schlechtes Gewissen Jun gegenüber, schließlich hatte dieser sich ihm anvertraut und nicht Tetsu...
Aber, nun ja, es musste sein! Alleine konnte er Jun nicht helfen, auch wenn er das gerne würde.
Sie hatten gerade fertig geprobt und langsam leerte sich der Raum.
Jun stellte seinen Bass weg und verabschiedete sich von den übrigen beiden, auch wenn er sich einen misstrauischen Blick nicht verkneifen konnte.
Was wollte denn jetzt Yuuki von Tetsu? Oder wollte Tetsu was von Yuuki?
Nein, lieber nicht darüber nachdenken.... Seit ihrem Gespräch benahm sich Jun zwar besser vor den Anderen, aber Yuukis Blick, als er ihm in die Augen gesehen hatte, ging ihm trotzdem nicht aus dem Kopf, was es noch schwerer machte die Anwesenheit des Sängers zu ertragen.
Seufzend lief er zu Shou, der am Auto schon auf ihn wartete, und verdrängte jeglichen Gedanken an die beiden anderen im Proberaum.
"Tetsu, warte mal bitte kurz..." Yuuki stand vor dem Kleinerem, der noch an seiner Gitarre rumnestelte und die anscheinend nicht so wie er wollte.
"Was ist denn? Ich kann grad nicht... Diese Saite lässt sich nicht weiter stimmen.... aber hängen tut sie auch nicht...." Eher mit sich selbst als mit der Person vor ihm sprechend, hing Tetsus Blick fragend auf seiner Gitarre.
"Tetsu, schaust du mich mal bitte an, wenn ich mit dir rede? Unser Bassist ist mal gerade wichtiger als deine verstimmte E-Saite..." Leicht genervt verdrehte Yuuki die Augen, der Schwarzhaarige konnte sich manchmal aber auch verdammt blöd anstellen.
"Was ist den mit Jun? Sag bloß du hast was aus ihm raus gekriegt... Lass mich raten... du hast ihn abgefüllt und dann gefesselt? Oder ihm gedroht, seinen Bass aus dem Fenster zu schmeißen?" Schmunzelnd sah der Kleinere zu Yuuki hoch. Ja, zutrauen würde er das Yuuki sogar.... In die Tat umsetzen würde er das mit dem Bass zwar nicht... aber das drohen konnte der Schwarz-Blonde wirklich überzeugend und gut.
"Nein.... Er kam von sich aus... Na ja, zumindest so halb", fügte Yuuki mit einem Lächeln hinzu. Er überlegte kurz; sollte er es Tetsu wirklich sagen? Jetzt gab es aber kein Zurück mehr, er hatte die Aufmerksamkeit des Gitarristen und der würde jetzt auch keine Ruhe mehr geben, so viel wusste Yuuki.
"Naja... ist dir ja auch aufgefallen, dass er gelinde gesagt mieserabel ausschaut und so.... und er will nicht so richtig mit mir reden... besser gesagt er weicht mir aus... und..."
"...und jetzt willst du, dass ich die Drecksarbeit für dich mache", beendete der Gitarrist Yuukis Satz und blickte den anderen mit verschränkten Armen amüsiert an. "Du bist niedlich, Yu-chan. Okay ich mach's! Aber dafür krieg ich das mega Solo schlechthin!" Verspielt knuffte er Yuuki in die Seite griff sich ohne ein weiteres Wort seine Tabs und seine Gitarre und ließ einen leicht verwirrt drein blickenden Yuuki zurück.
Er und niedlich?
Kopfschüttelnd, aber lächelnd, suchte auch er seine Sachen zusammen und machte sich auch auf den Weg Richtung Auto, Tetsu schaffte es doch immer wieder ihn irgendwie zum Lächeln zu bringen, diese Fähigkeit schätzte er an dem Kleinen sehr.
Yuuki schloß gerade die Haustür auf und hätte sie am liebsten gleich wieder zu gemacht.
Denn Tetsus Geschrei hallte durch die komplette Wohnung "....HÖR AUF DAMIT!!! JUN MACH SOFORT DIE TÜR AUF!! DU TREIBST UNS ALLE IN DEN WAHNSINN! ICH MACH MIR DOCH NUR SORGEN UM DICH!"
So kannte Yuuki den Gitarristen so gut wie gar nicht. Es war selten, dass dieser mal ausrastete, aber wenn es passierte, sollte man dann doch lieber in Deckung gehen - da von dem Schlagzeuger jede Spur fehlte, hatte dieser wohl genau das getan.
Konnte nicht einfach mal ein Tag gut laufen?
Was hatte Jun denn jetzt wieder getan? Oder eher: was tat er?
Langsam lief der Schwarz-Blonde in die Richtung, wo das Geschrei her kam und stoppte vor der Badezimmertür wo Tetsu nur verzweifelt an die Decke schaute und hoffte, die Tür würde sich endlich öffnen.
Vorsichtig legte er Tetsu eine Hand auf die Schulter "Was ist denn passiert?", fragte er den anderen sichtlich besorgt leise. Drehten hier denn nun alle durch?
"Wenn ich das wüsste, wäre es erheblich einfacher...." Er sah den Sänger verzweifelt an. "Er ist da schon seit ich da bin drin und.... irgendwas stimmt nicht... Yuuki, ich fühle das... Ich hab Angst, dass er sich was antut! Oder es schon hat..." Den letzten Satz brachte er nur sehr leise hervor und Tränen bildeten sich in den großen Augen des Gitarristen. "Yuuki, ich ertrage das nicht, ihn so zu sehen... Er ist mein bester Freund, ich weiß... aber... oh Gott, es tut mir so Leid..." Ohne ein weiteres Wort lief Tetsu aus der Wohnung und ließ sich auf die Treppe sinken, abhauen würde er nicht, aber dort nur rumzustehen und zu wissen, dass alles, was er sagte oder tat, nichts half, war einfach zu viel. Außerdem heulte er nicht vor den anderen. Als er sicher gehen konnte, dass Yuuki ihm nicht nachgelaufen war, kamen die Tränen auch schon von ganz allein.
Was zur Hölle war nur mit seinem Jun los?
Verzweifelt vergrub Tetsu sein Gesicht in seinen Händen und hoffte, dass die letzten Wochen nur ein ziemlich langer böser Traum waren.
Seufzend blickte Yuuki dem Gitarristen nach. Er konnte dessen Reaktion nur zu gut verstehen, er würde ja am liebsten selbst weglaufen, aber das ging nun einmal nicht.
Vorsichtig klopfte er an der Tür. "Jun? Du musst nicht reden, aber ein Lebenszeichen wäre angebracht, sonst hol ich dich da mit Gewalt raus..." Er konnte auch ruhig seiner Stimme ordentlich Nachdruck verleihen. Wenn Schreien bei Jun nichts brachte, sollte er es wohl doch mal lieber auf die sanfte Tour versuchen, die hatte ja auch schon das letzte Mal ein bisschen was erreicht.
Aber eine wirkliche Reaktion kam trotzdem nicht. Wenn Jun nicht wollte, holte er ihn da eben raus. Es wäre nicht die erste Tür die er eingetreten hatte.
Yuuki musste sich nur drei-vier mal ordentlich gegen die Tür schmeißen, bis diese auch schon verdächtig zu knacken begann und er sie ohne Weiteres öffnen konnte.
Er sah Jun auf den ersten Blick gar nicht. Bis er einen Schatten in der Dusche wahr nahm.
Und dieser Schatten bewegte sich nicht wirklich.
Yuuki konnte sich schon ausmalen, was ihn erwartete, trotzdem saß der Schock, als er die Tür zur Seite schob, dann doch noch mal richtig.
Von der eigentlichen Farbe der Dusche war nicht mehr all zu viel zu sehen. Es war alles rot. Blutrot. Und zwar von Jun, der mit geschlossenen Augen an der Wand lehnte und offensichtlich nicht wach zu sein schien. An seinen Armen klafften jeweils zwei tiefe Wunden, aus denen hell rot Blut sickerte und sich seinen Weg Richtung Abfluss suchte.
"Jun..." Sein Verstand schaltete sich auch wieder ein. Mit einem Satz war er bei Jun in der Dusche und rüttelte diesen leicht "Jun...", rief er erst leiser. Keine Reaktion. "JUN, VERDAMMT WACH AUF!" Jun zuckte kurz mit seinen Augenliedern... Er war nicht tot.... Yuukis Erleichterung ließ ihn auch wieder vollständig klar denken und er suchte verzweifelt nach etwas, was er um Juns Arme wickeln konnte. Bevor er das Klopapier von der Rolle gewickelt hätte, wäre Jun vollends verblutet. Kurz entschlossen zog er sein Shirt aus und wickelte dieses fest um Juns einen Arm. Um den andere konnte er sich gleich kümmern, der Schnitt war nicht ganz so tief... Er hob Jun hoch und stellte mit Entsetzten fest, dass dieser so gut wie gar nichts mehr auf Waage brachte.
Yuuki trug Jun in das Wohnzimmer, wo er ihn auf dem Sofa ablegte und dort lag auch glücklicherweise Shous Schal herum... Die Unordnung das Drummers konnte doch zu was nütze sein...
Schnell wickelte Yuuki dem immer noch nicht wachen Bassisten den Schal um den anderen Arm und zog diesen fest zu, ohne das er aufhörte auf Jun einzureden. Er durfte ihm einfach nicht wegsterben! Wie egoistisch konnte man sein? Yuuki wurde langsam wütend auf Jun. Das hätte er ihnen doch nicht etwa wirklich antun wollen? Sich einfach so ohne ein Wort zu verpissen... So was duldete Yuuki nicht, er fand Leute, die sich umbrachten, einfach nur feige. Jun bestätigte da keine Ausnahme.
"SHOU, BEWEG DEINEN ARSCH AUS DEM ZIMMER UND RUF NEN KRANKENWAGEN, WENN DU KEINE LUST HAST, NEN MITBEWOHNER WENIGER ZU HABEN!!!!!" So laut er konnte schrie Yuuki nach dem Drummer, das hatte bestimmt auch noch Korea gehört, aber das war ihm egal. Er konnte hier jetzt nicht weg.
