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Bis ans Ende der Welt

Das Schwert folgt stets dem Herzen
von

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Das Porträt

An Schlaf war für Tengaar in dieser Nacht nicht zu denken. Sie fühlte sich keineswegs müde oder auch nur ausgelaugt, obwohl sie stundenlang durch das Anwesen gelaufen war, auf der Suche nach einer offenen Tür, durch die sie entkommen könnte.

Die Sehnsucht nach Hix so wie die Ungewissheit, was Dougal mit ihr plante, trieb sie an. Genau wie Faolan, der sich offensichtlich einen Spaß daraus machte, sie zu begleiten und ihr Dinge zu erklären, die er irgendwann in seiner Existenz einmal aufgeschnappt hatte. Er hatte sich ihr ohne Vorwarnung angeschlossen und insgeheim war sie ganz froh über diese Begleitung, die gleichzeitig Ablenkung bedeutete.

„Und diese Insignie steht für Dougals Rolle bei seinem alten Meister... oder war es diese?“

Verwirrt blickte Faolan zwischen den beiden Symbolen auf der Wand hin und her. In Tengaars Augen sahen beide genau gleich aus – abgesehen von einem kleinen Haken. Aber bildete das wirklich einen so großen Unterschied?

„Nun, ist auch nicht weiter wichtig“, lenkte der Wasserspeier schließlich ab. „Immerhin musst du dieses Zeichen ja nicht verwenden. Gehen wir lieber weiter.“

Ohne etwas zu sagen lief sie weiter und rieb sich dabei über den Arm. Die Kleidung, die sie trug, fühlte sich unangenehm auf ihrer Haut an, der schwere Stoff drückte ihre Schultern hinunter. Je länger sie diese Sachen trug desto mehr sehnte sie sich nach ihrer eigenen Kleidung. Würde Hix sie retten kommen, brachte er hoffentlich ihr Gepäck mit.

Was denke ich da überhaupt?

Er wusste nicht einmal, wo sie war, mit Sicherheit würde sie ihn nie wiedersehen, so wehmütig der Gedanke sie auch stimmte. Ihre Brust zog sich schmerzhaft zusammen.

Oh Hix...

Ihr ganzes Leben lang waren sie nie mehr als wenige Schritte voneinander entfernt gewesen und nun lag die halbe Welt zwischen ihnen. Wie sollte er da allein zu ihr finden? Wie sollte sie zurück zu ihm finden?

Von ihr selbst unbemerkt entfuhr ihr ein schweres Seufzen.

Etwas Feuchtes an ihrer Hand holte sie wieder in die Gegenwart zurück. Als sie hinuntersah, entdeckte sie Faolan, der seine Schnauze gegen sie drückte. Besorgnis war in seinem Gesicht zu lesen, Tengaar lächelte leicht, um ihn nicht weiter zu beunruhigen.

Eine Tür, die von ihr zuvor nicht geprüft worden war, da sie nur tiefer in das Anwesen hinein zu führen schien, führte die beiden in einen großen Saal mit einer verglasten Front. Die hellen verschiedenfarbige Fliesen waren blank poliert und schienen ein Muster zu bilden, das sie vom Boden aus nicht erkennen konnte. Ein riesiger Kronleuchter mit unzähligen funkelnden Edelsteinen hing von der Decke herab. Es musste ein wundervoller Anblick sein, wenn bei einer Feier der ganze Saal voller Menschen war, dann das Licht anging und von all diesen Juwelen mehrfach zurückgeworfen wurde und alles in einen bezaubernden Glanz tauchte.

So gern Tengaar das auch einmal gesehen hätte, im Moment stand ihr nicht der Sinn danach.

Hoffnungsvoll begab sie sich an die Glasfront – nur um direkt wieder enttäuscht zu seufzen. Zwar führten die Türen tatsächlich hinaus, aber nur in einen Innenhof, der vom gesamten Anwesen eingerahmt wurde, es gab keinen Fluchtweg.

Faolan stieß eine der gläsernen Türen auf und gab ihr mit einem Wink seines Flügels zu verstehen, dass sie ihm folgen sollte. Was sie dort draußen sollte, wusste sie zwar nicht, aber da sie auch nicht wusste, was sie sonst tun sollte, folgte sie dem Wesen nach draußen.

Bei jedem Schritt, den der Wasserspeier tat, erklang ein Geräusch, das Tengaar vergebens seit Beginn ihrer Erkundung einzuordnen versuchte. So etwas hatte sie noch nie zuvor gehört, weswegen sie keinerlei Verbindungsmöglichkeiten fand. Sie wusste nicht einmal, wie sie es beschreiben sollte – es klang ähnlich wie eine... Quietscheente, aber weniger quietschig.

Ein anderer Vergleich fiel ihr beim besten Willen nicht ein.

Faolan führte sie über einen schön gepflasterten Weg durch allerlei verschiedene Pflanzen, von denen sie in ihrem Heimatdorf noch nicht einmal gehört hatte. Doch der Glanz all dieser Neuheiten verblasste im Anbetracht von Hix' Abwesenheit.

Sie stellte sich vor, wann auf diesem Weg der Kriegerlehrling stehenbleiben würde, wie sehr er über das staunen würde, was sein Auge erblickte. Bislang war sie von diesem Verhalten leicht entnervt gewesen – welcher Krieger hielt denn schon inne, um die Natur zu bestaunen?

Aber nun fehlte ihr sogar diese Angewohnheit.

Schließlich blieb Faolan wieder stehen. Tengaar musste erst genauer hinsehen, um zu erkennen, worauf sein Blick gerichtet war. Versteckt zwischen den prächtig sprießenden Pflanzen war ein kleines steinernes Gebäude zu sehen, das an eine Gruft erinnerte.

Es war doch nicht etwa eine?

„Was ist das hier?“, fragte Tengaar.

„Eine Gruft“, bestätigte Faolan ihren Verdacht.

„Und warum zeigst du mir das?“

Der Wasserspeier setzte sich auf die Hinterpfoten und begann sich hinter seinen Ohren zu kratzen. Tengaar beobachtete ihn dabei, ungeduldig tippte sie mit dem Fuß immer wieder auf den Boden, während sie wartete. Das Wesen schien die Antwort hinauszögern zu wollen, offenbar dachte er selbst noch darüber nach, was er antworten sollte.

Doch schließlich beendete er das Kratzen und blickte Tengaar wieder direkt an. So wie er die Lefzen verzog, schien er fast zu lächeln. „Wolltest du nicht schon immer einen Vampir sehen?“

Ihr wütendes Schnauben sagte ihm, dass das keineswegs ihr Wunsch war.

Nein, von Vampiren hatte sie längst genug. Die kurze Zeit, die sie allein mit Neclord in dessen Schloss verbracht hatte, sehnsüchtig auf Hix wartend, hatte ihr lebenslanges Pensum an Begegnungen mit Vampiren bereits gestillt. Wenn es nach ihr ginge, müsste sie nie wieder einem gegenüberstehen.

Fragte sich nur noch...

„Warum beherbergt Dougal einen Vampir auf diesem Grundstück? Ist das hier überhaupt seines?“

Vielleicht gehörte es auch jemand ganz anderem und er hatte es nur an sich gerissen, weil es ihm gefiel und der Vampir lebte schon immer hier.

„Sie sind Verbündete“, antwortete Faolan. „Das geht bis zu Zeiten von Dougals Zeit als Magierlehrling zurück. Angeblich wurde sie nur durch einen fehlgeleiteten Zauber zu einem Vampir – heute lässt er sie bei sich leben und lässt sie Aufträge für sich erledigen.“

Nachdenklich zog sie ihre Stirn kraus. „Was können das denn für Aufträge...?“

Sie verstummte, als ihr bewusst wurde, was man einem Vampir auftragen könnte. „Macht er das oft? Ihr Dinge auftragen?“

Faolan schüttelte sein Haupt. „Nicht wirklich... ich glaube, beim letzten Mal lebten sie noch im Turm von Dougals Meister.“

„Und womit... füttert er sie?“, fragte Tengaar weiter.

„Mit gar nichts. Sie schläft ziemlich viel, da braucht sie anscheinend nicht sonderlich viel – außerdem will er so wohl ihre Effektivität bei den Aufträgen erhöhen.“

Sie nickte erleichtert. Immerhin wurden die anderen Nachfahrinnen von Klift dann wohl nicht diesem Vampir vorgeworfen – und sie hoffentlich auch niemals.

„Können wir dann gehen?“

Am Liebsten hätte sie nie von diesem Ort im Innenhof erfahren, aber nun würde sie sich einfach Mühe geben müssen, es wieder zu vergessen.

Gemeinsam mit Faolan lief sie weiter und betrat den anderen Flügel des Anwesens. Jenseits der Glastür eröffnete sich ganz offenbar ein Jagdzimmer. Das Aroma kalten Zigarrenrauchs erfüllte die Luft und schien damit jedem Besucher bereits beim Eintreten sagen zu wollen, dass es ein Männerraum war – zumindest für jene Besucher, die Zigarren nur mit Männern in Verbindung brachten. Schädel von verschiedenen erlegten Tieren, einige von denen Tengaar nicht einmal die Rasse kannte, waren an den Wänden befestigt, an einer der Wände stand ein aus dunklem Holz gefertigter Schrank, vor einem Kamin befanden sich mehrere, mit braunem Leder überzogene, Sessel.

Doch Tengaars Blick galt dem Kamin selbst, genauer gesagt dem, was über diesem hing. Gold-lackiertes Holz umrahmte kunstvoll ein offenbar mit viel Liebe und Sorgfalt angefertigtes Porträt. Es zeigte eine junge Frau, etwa in Tengaars Alter, die mit einem sanften Lächeln auf einem Stuhl saß. Auf den Hintergrund war nicht sonderlich viel Wert gelegt worden, der Fokus lag vollkommen auf dieser Frau, die mit allerlei Liebe zum Detail ausgearbeitet worden war. Tengaar glaubte fast, jede einzelne Strähne des rosa Haars zählen zu können, die blauen Augen schienen wahrhaft vor Freude über die Abbildung zu glitzern. Wäre die Kontur der Leinwand nicht gewesen, hätte die Haut keinerlei Unebenheit aufgewiesen.

„Wer... wer ist sie?“, fragte Tengaar.

Faolan musterte das Porträt aufmerksam, dabei wedelte er mit dem Schwanz. „Oh~ Das muss Treasa sein.“

Sie erinnerte sich daran, dass Dougal diese Frau bereits einmal erwähnt hatte. Sie war die Nachfahrin von Klift gewesen, mit der Dougal seine Lehrzeit geteilt hatte – und die für ihren Mut mit dem Leben bezahlen musste.

Aber noch etwas fiel ihr ein: Sie war diejenige, für die er einen Ersatz suchte, wie auch immer er das meinte, so ganz verstand Tengaar das noch nicht.

„Wer hat dieses Bild gemalt?“, fragte sie weiter.

„Meister Dougal selbst. Ah~ Du glaubst gar nicht, wie sehr er sie geliebt hat – es muss ihm das Herz gebrochen haben, als sie sich für einen anderen entschied.“

Diesen Teil der Geschichte kannte Tengaar noch nicht. Interessiert blickte sie Faolan an. „Sie entschied sich für einen anderen?“

So wie er über diese Treasa gesprochen hatte, war sie eigentlich davon ausgegangen, dass sie wirklich ein Paar gewesen wären – oder sie zumindest gestorben wäre, ehe er die Gelegenheit bekam, ihr zu sagen, was er für sie empfand.

Der Wasserspeier nickte. „Neben Dougal gab es noch eine andere Person, die um Treasa buhlte und sie entschied sich für eben diesen, obwohl er nicht sonderlich angesehen bei den anderen Schülern war. Er war schlecht im Umgang mit Magie, vergaß enorm viele Dinge und galt alles in allem nicht sonderlich talentiert. In einem Satz: Er war quasi das genaue Gegenteil von ihr.“

Tengaar konnte sich nicht helfen, bei dieser Erzählung musste sie an Hix und sich selbst denken. So in etwa stimmte das ja auch überein.

„Aber das Wichtigste war: Man sagte ihm nach, ein Sohn des schrecklichen Magiers zu sein. Da seine Mutter ihn als Kleinkind ausgesetzt hatte, blieben es Gerüchte, aber alle Schüler waren sich absolut sicher.“

Der Sohn des Magiers kam mit der Frau zusammen, die sich gegen diesen stellte? Ah! Dann war er möglicherweise der Verräter, von dem Dougal sprach!

„Jedenfalls sah Treasa über all das hinweg und entschied sich für ihn – nur um von ihm getötet zu werden, worauf Meister Dougal wiederum ihn umbrachte.“

Ich wusste es.

Wieder stellte sie sich die Frage, was dieser Mann damit meinte, er suche einen Ersatz für Treasa. Etwas in ihr sagte ihr aber, dass es auch etwas mit den Angestellten im Anwesen zu tun hatte – waren sie möglicherweise andere Nachfahrinnen, bei denen das mit dem Ersatz fehlgeschlagen war?

Kalte Schauer liefen über ihren Rücken, als sie sich vorstellte, eines Tages auch so zu enden. Sie musste irgendetwas dagegen tun, irgendwie musste sie es schaffen, zu entkommen, bevor er ihr etwas antun konnte.

„Faolan... gibt es wirklich keinen Weg nach draußen?“

Nachdenklich neigte das Wesen den Kopf. Es rief sich das bereits Gesehene und jeden passierten Raum ins Gedächtnis, nur um schließlich zu seufzen. „Ich fürchte, Dougal hat jeden Raum gesichert oder unbetretbar gemacht. Er will wohl kein Risiko eingehen, ein paar Mal schon sind ihm Frauen abhanden gekommen, weil sie es schafften, zu fliehen.“

Das elende Gefühl, das Tengaar beschlich, verdarb ihr gründlich ihre Entdeckerlaune. Hoffnungslosigkeit übermannte sie.

Als sie sich das letzte Mal in solch einer ausweglosen Situation befunden hatte, war Hix zu ihrer Rettung geeilt – doch erneut wurde ihr bewusst, dass sie dieses Mal nicht damit rechnen durfte.

Ohne Anhaltspunkt, wo sie war, noch dazu jenseits des Ozeans...

Ein schweres Seufzen entfuhr ihr, Müdigkeit übermannte sie und ließ ihre Lider schwer werden.

„Ich will ins Bett“ murmelte sie, als sie an Faolan vorbeilief, um den Raum zu verlassen.

Der Wasserspeier trottete hinter ihr her.

Schon nach wenigen Schritten hielt sie allerdings wieder inne, als sie plötzlich Dougal gegenüberstand. Überrascht blickte der Mann sie an. „Was tust du hier?“

„Wir haben uns umgesehen“, antwortete Faolan an ihrer Stelle, als sie nichts sagte. „Tengaar konnte nicht schlafen, jetzt scheint es aber wieder zu gehen~“

Dougal kam ein wenig näher, er musterte sie eindringlich, sie erwiderte seinen Blick mit halb geschlossenen Augen.

„Tut mir Leid, dass du dich mit all dem abgeben musst“, sagte er auf einmal, was sowohl sie als auch Faolan überraschte: „Was?“

„Es ist nicht leicht“, fuhr er fort. „Für niemanden von uns. Aber bald ist es vorbei, keine Sorge.“

Mit leicht gehobenen Mundwinkeln, die zeigten, wie zufrieden er war, lief er weiter. „Schlaf gut – es wird deine letzte Nacht als Tengaar sein.“

Ohne weitere Worte und ohne auf eine Antwort zu warten, ging er davon. Tengaar sah ihm mit einem unguten Gefühl hinterher.

Meine letzte Nacht als... Hix, bitte hilf mir!



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