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Sommersonnwende

von

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Kapitel 3

Erneut viel Spaß beim lesen. :)
 

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Knisternd fraß sich das Feuer an den Beinen des Strohkerls empor. Die bunten Bänder, die das Stroh zusammenhielten, vergingen unter der Macht der gefräßigen Flammen. Funken stoben in den Abendhimmel und schwebten erkaltet zurück auf Sumus Leib.

Die Dorfgemeinschaft hatte sich in einem Halbkreis um das Feuer versammelt. Alle waren in ihre besten Gewänder gehüllt und starrten mit freudigen und erwartungsvollen Mienen in die Flammen.

Vor dem Feuer stand Niam Peresen in seiner grünen Geweihtentracht. Um seine Schultern hatte er einen breiten Kranz gelegt, der aus ineinander geflochtenen Sommerblumen und Ähren bestand. An seinem Gürtel hing die Sichel, mit denen er die Kräuter des Tempelgartens schnitt. Mit ernster Miene wartete er auf den geeigneten Moment, einige Worte an Peraine richten zu können.

An seiner Seite stand Gilborn Okenheld. Der braunhaarige Haushofmeister betrachtete mit ebenso gespannter Miene das Feuer. Immerhin war dies ein wichtiger Moment, der darüber entscheiden sollte wie die Ernte ausfallen würde. Auch wenn es in den letzten Jahrzehnten nie zu einem tragischen Zwischenfall während des Sommersonnwendenfestes gekommen war, konnte man doch nie vorbereitet genug sein.

Gilborn hatte seine Festtagsgewandung angelegt. Niam mochte sich nicht vorstellen, wie sehr der Mittfünfziger unter dem schweren Samt schwitzen musste. Sein Lehrling Quinn stand einige Schritte abseits. Der junge Mann beobachtete aufmerksam seinen Lehrmeister, sollte er doch in einigen Jahren das Handwerk des Haushofmeisters übernehmen.

Ilkhold hatte mit seinen beiden Kameraden Ullmann und Diethard Position am Rand der Menge bezogen. Mit wachen Augen musterten die Büttel die Anwesenden. Vor allem drei Fremde, zwei Thorwaler und eine Zwergin, behielten sie aufmerksam im Auge.

Das Feuer fraß sich weiterhin durch den Körper des Strohkerls, bis nur noch ein einzelnes Band übrig war. Einen Augenblick später fiel es den Flammen zum Opfer und verging in wenigen Sekunden.

Niam merkte wie die Anspannung von ihm abfiel. Im Nachhinein schalt er sich selbst für die Zweifel, die in ihm aufgekommen waren. Peraine war mit ihm, das spürte er deutlich. Ein wärmendes Gefühl, das nicht vom Feuer herrührte, breitete sich in ihm aus, als er sich umwandte.

Mit einem Lächeln auf den Lippen und der Gewissheit, die Göttin würde auch bei dieser Ernte mit ihnen sein, begann er. Gilborn stieß ein erleichtertes Seufzen aus.

„Herrin Peraine. Gütige Göttin des Ackerbaus und der Heilkunst. Alljährlich bringen wir Dir dieses Opfer dar, um von Dir eine gute Ernte zu erbeten. So auch für den kommenden Götterlauf, der sich langsam seinem Beginn nähert. Peraine, Hüterin und Heilerin all dessen was hier lebt, lass Deine segensreiche Hand weiter ruhen über diesem Land. Auf Dich trauen, zu Dir beten wir. Gib uns auch im kommenden Götterlauf reiche Ernte und eine volle Lese. Dafür danken wir. Peraine Dank!“

Nachdem Niam geendet hatte, erklang ein lautes „Peraine Dank!“ von den Dörflern. Alle Blicke richteten sich nun auf Gilborn. Der Haushofmeister trat einen Schritt vor und breitete die Arme aus.

„Den Worten seiner Gnaden habe ich eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Gesagt sei noch, das ich auch für die kommende Ernte Tagelöhner aus den umliegenden Ortschaften unter Lohn genommen habe. Die genaue Aufteilung der Arbeitskräfte wird Anfang Rondra erfolgen.“ Er machte eine kurze Pause und räusperte sich. „Im Voraus sei unserem guten Alrizio für das Bier und der Edlen, die leider nicht anwesend sein kann, für das Ferkel gedankt. Nun möchte ich nicht noch mehr Worte vergeuden, sondern eröffne hiermit das Fest. Lasst es euch schmecken.“

Jubel brandete unter den Dörflern auf, als Gilborn den letzten Satz sprach. Niam musste grinsen. Die Menge löste sich sofort auf und jeder suchte einen Platz an den Tischen. Alrizio und seine Frau übernahmen den Ausschank, während die Magd Algunde das Fleisch des Spanferkels in Scheiben schnitt und auf die Holzteller der warteten Dörfler legte. Dazu wurde frisches Schwarzbrot und Rübengemüse gereicht.

Niam trat einige Schritt vom Feuer weg. Die Abendluft war immer noch von der Hitze des Tages erfüllt, sodass die Wärme der Flammen nur eine unnötige Belastung war. Außerdem hatte er von diesem Platz einen guten Blick auf das Festtreiben.

Alara, die Frau des Wirts, kam mit einem Krug in der Hand auf ihn zu. Lächelnd überreichte sie ihm das Gefäß. „Hier Euer Gnaden. Ihr sollt der Erste sein, der einen Krug unseres neues Fasses bekommt.“

Niam neigte das Haupt und nickte. „Vielen Dank Alara. Ihr seid zu gütig.“

Die Wirtin winkte ab und lachte. „Dafür müsst Ihr mir nicht danken. Aber entschuldigt mich bitte, die Arbeit wartet.“ Sie wandte sich ab und lief zurück zu ihrem Mann.

Nachdem er einen tiefen Schluck vom süffigen Ferdoker genommen hatte, ließ er seinen Blick über den Platz schweifen.

Ilkhold und seine Männer hatten sich an einem Tisch in der Nähe des Weihers niedergelassen. Die drei Büttel unterhielten sich mit den beiden Thorwalern und der Zwergin die ebenfalls dort saßen. Der Nachbartisch wurde von zehn fremden Männern besetzt. Drei von ihnen waren in bessere Kleidung gewandt, während die sieben anderen schlichte Fuhrmannskleidung trugen. Niam überlegte. Das mussten die drei Händler und ihre Fuhrknechte sein, von denen Alrizio ihm berichtet hatte. Einer von ihnen war ein Schmuckhändler, der bei den Frauen des Dorfes einige seiner Kostbarkeiten losgeworden war. Er sollte sich die Waren des Händlers einmal zeigen lassen, vielleicht fand er ein passendes Schmuckstück für…

Niam ließ den Gedanken unvollendet und stutzte. Sein Blick glitt unwillkürlich zu Karena. Sie saß zwischen ihrem Vater Svartjok und Rondirai an einem der Tische die sich in der Nähe der Schmiede befanden. Die junge Frau lachte. Als sie ihren Becher zum Mund führen wollte und sich ihre Augen dabei hoben, kreuzte sie Niams Blick. Karena hielt mitten in der Bewegung inne. Einige Sekunden starrten sich die beiden einfach nur an. Erst jetzt fiel Niam das lindgrüne, schulterfreie Kleid auf das sie trug und ihre schlanke Figur betonte. Ihre schwarzen Haare hatte sie kunstvoll hoch gesteckt. Eine schmale Halskette war der einzige Schmuck den sie trug. Bei ihrem Anblick machte sich ein angenehmes Kribbeln in seinem Bauch breit.

Als ihm bewusst wurde das er sie anstarrte, senkte er verlegen den Blick. Er spürte wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Um seine Unsicherheit zu überspielen nahm er einen großen Schluck aus seinem Krug und beobachtete weiterhin das Festtreiben, peinlich darauf bedacht nicht mehr Karenas Blick zu kreuzen. Bei Rahja, wieso verhielt er sich gerade wie ein Zwölfjähriger?

„Euer Gnaden. Darf ich Euch noch einmal für diese hervorragende Behandlung danken?“ Die weibliche Stimme erklang zu seiner Rechten. Niam wandte sich um und erkannte die Tulamidin, die mit einem Lächeln auf den Lippen und leicht glasigem Blick auf ihn zulief. Der Geweihte runzelte die Stirn. Hatte er ihr nicht geraten keinen Alkohol zu sich zu nehmen? Neben ihr lief ein junger Mann, wohl Mittelreicher nach seiner Kleidung zu urteilen.

Niam sah den beiden freundlich entgegen. „Das braucht Ihr nicht. Ich habe es in Peraines Namen getan.“

Die Tulamidin schüttelte den Kopf. Beide standen nun direkt vor ihm. „Ihr solltet nicht so bescheiden sein, Euer Gnaden. Immerhin habe ich Euch meine Gesundheit zu verdanken.“ Sie hob ihren rechten Zeigefinger um die Worte zu verdeutlichen. Der Geruch von Rotwein stieg Niam in die Nase. Scheinbar hatte die Tulamidin einen Becher zuviel getrunken. Ihr mittelreichischer Gefährte sah sie erschrocken an.

„Oh, vergebt mir meine Unhöflichkeit. Ich habe euch einander noch gar nicht vorgestellt.“ Sie wandte sich Niam zu und deutete auf ihren Gefährten. „Euer Gnaden, das ist Sieghelm Wulfinger. Lebemann aus Gareth und mein Reisegefährte. Sieghelm, das ist seine Gnaden Niam Peresen, der ortsansässige Perainegeweihte.“ In ihrer Stimme schwang ein leichtes Lallen mit.

Niam lächelte und nickte Sieghelm zu. „Willkommen in unserem schönen Dorf. Wenn ich Euch einen Rat geben darf: Ihr solltet Eurer Gefährtin etwas zu Essen besorgen. Ich glaube sie hat ein wenig zuviel Wein getrunken.“

Der junge Garether sah ihn peinlich berührt an. „Natürlich Euer Gnaden. Entschuldigt bitte ihr Verhalten.“

„Mein Verhalten? Wie verhalte ich mich denn lieber Sieghelm?“ Azina hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah ihren Gefährten herausfordernd an.

„Unangemessen. Und jetzt komm!“ Er packte die Tulamidin am Arm und zog sie in Richtung des Spanferkels. Vorher warf er Niam noch einen um Entschuldigung heischenden Blick zu. Azina ließ sich widerstandslos mitziehen.

Über das Gesicht des Geweihten huschte ein Grinsen.
 

„Hast du etwas herausgefunden?“ Die helle Frauenstimme ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen.

Er nickte. „Ja. Die Wirtstochter ist ein gesprächiges Ding.“

„Dann sprich!“ Die leise ausgesprochenen Worte klangen unendlich laut in dem ansonsten stillen Raum.

Wieder nickte er. „Was du suchst befindet sich im zweiten Stockwerk. Wo genau konnte ich nicht herausfinden, doch muss es dort irgendwo ein Geheimversteck geben. Dafür gibt es keinen Schlüssel, so wurde mir gesagt. Allein mit Magie lässt es sich öffnen. Außerdem gibt es einen Wächter.“

„Einen menschlichen?“

„Ja.“

„Das dürfte kein Problem sein.“

Er nickte.

Sein Gegenüber lächelte kalt. „Gut. Du hast deine Aufgabe hervorragend erledigt.“

Er wollte sich zum gehen umwenden, als ihre Stimme erneut erklang. „Ich habe noch einen Auftrag für dich.“

„Aber…“

Sie schnitt ihm mit einer herrischen Bewegung das Wort ab. „Kein aber. Es soll dein letzter sein. Danach bist du aus meinen Diensten entlassen.“

Er wollte aufbegehren, nickte jedoch nur widerwillig. „Was soll ich tun?“

Sie trat näher an ihn heran und ein triumphierendes Lächeln lag auf ihren Lippen. „Hör mir jetzt genau zu…“
 

Imiloné hetzte atemlos durch die warme Abendluft. Sie konnte das Schnaufen des Orks genau hören. Er war irgendwo hinter ihr und ziemlich nahe.

Die Halbelfin spurtete am Rand eines Kornfeldes entlang. Als sie an einer Trasse vorbeikam, die alle zehn Schritt durch die Felder führten, bremste sie und bog ab. Mit rudernden Armen rannte sie wieder los.

Als sie sich sicher war, den Ork abgehängt zu haben, blieb sie stehen. Mit klopfendem Herz und rasselndem Atem stand sie da und lauschte.

War da nicht gerade ein Geräusch gewesen? Sie ging in die Hocke und blickte sich um. Im Halbdunkel konnte sie nur die Kornähren um sich herum erkennen, die sich leicht im Wind wiegten. Doch halt! Da vorne bewegte sich etwas.

In gebückter Haltung schlich die Halbelfin darauf zu. Ihre Neugier war einfach zu groß, als sie zwei streitende Stimmen vernahm.

„Ich will aber nicht! Das war unfair.“ Sie erkannte die Stimme. Das war der dreijährige Brin von nebenan.

„Jetzt sei nicht so stur. Ich hab dich schließlich gefangen.“ Den überhebliche Klang des anderen konnte sie sofort zuordnen. Ingalf, der siebenjährige Sohn des Stallmeisters der Edlen.

Imiloné schlich vorsichtig weiter und suchte nach einem Platz, von dem sie die beiden beobachten konnte. Als sie einen passenden gefunden hatte, kauerte sie sich nieder und spähte zwischen den Ähren in eine weitere Trasse. Dort standen sich die beiden Jungen gegenüber. Ingalf war fast zwei Köpfe größer als Brin. Er hielt eine Maske in den Händen, die er dem kleineren entgegenstreckte.

„Nimm sie endlich. Oder ich verprügel dich!“

Die Augen des kleinen Brin weiteten sich bei dieser Bemerkung. Er schüttelte den Kopf und machte einen kleinen Schritt nach hinten, die Arme abwehrend erhoben. „Nein. Ich will das Ding nicht!“

„Na gut, du hast es ja nicht anders gewollt.“ Ingalf hob die Hand über den Kopf und wollte Brin schlagen. Imiloné sprang von ihrem Beobachtungsplatz hoch und rannte auf den Älteren zu. Das konnte sie nicht zulassen! Mit einem Sprung warf sie sich auf ihn, sodass beide zu Boden stürzten. Behände erhob sie sich wieder und trat zwei Schritt zurück. Erst jetzt erkannte die Halbelfin, das sie sich nicht auf einer Trasse befanden, sondern auf einem Weg.

Ingalf rappelte sich wütend auf. „Sag mal spinnst du?“

Imiloné sah den Älteren streng an. „Du weißt doch ganz genau, das alle die jünger als fünf Götterläufe sind, die Orkmaske nicht tragen müssen.“ Sie stellte sich schützend vor Brin. „Also lass ihn in Ruhe!“

Hämisch sah Ingalf sie an. „Lass ihn in Ruhe“, äffte er sie nach. „Wieso mischt du dich überhaupt ein, blödes Spitzohr?“

Die Halbelfin sah ihn wütend an.

Brin drängte sich an ihr vorbei. „Nenn sie nicht so! So was sagt man nicht.“

„Halt den Mund, sonst bekommst du heut wirklich noch Prügel.“ Ingalf hatte den jüngeren so angefahren, das er sich wieder schluchzend hinter Imiloné versteckte.

„Na Kinder. Was gibt es denn hier zu streiten?“

Alle drei zuckten erschrocken zusammen, als eine Stimme hinter ihnen erklang. Imiloné drehte sich um.

Vor den dreien stand ein hoch gewachsener, schmächtiger Mann. Seine Kleidung war ein grellbuntes Stoffgemisch. Ein gelbes Hemd, rot-blaue Hosen in Rautenmuster und braune Schnabelschuhe. An seinem Gürtel und den Schuhen waren Schellen befestigt, die bei jedem Schritt leise Töne von sich gaben. Imiloné fragte sich, warum sie ihn nicht bemerkt hatten. Unter der grün-gelben Narrenkappe lugten hellrote Haare hervor. Auf seiner Schulter saß ein seltsames Tier, das keines der drei Kinder kannte.

Ingalf fand als erster seine Sprache wieder. „Das geht Euch gar nichts an Fremder. Wer seid Ihr überhaupt und was wollt Ihr hier draußen?“

Brin wusste nicht so recht, ob er sich mehr vor Ingalf oder dem Fremden fürchten sollte. So presste er sich ängstlich an Imiloné. Die Halbelfin fuhr dem Jungen beruhigend über den Rücken.

Sie selbst fürchtete sich nicht vor dem Fremden. Schon oft waren Gaukler durch das Dorf gereist oder hatten auf einer nahe gelegenen Wiese ein Nachtlager aufgeschlagen. Der Mann vor ihnen sah wie einer von ihnen aus. Außerdem trug er keine Waffe bei sich.

Der Gaukler hatte Ingalfs Frage wohl überhört. Er ging in die Hocke und lächelte Brin an. „Hab keine Angst vor mir. Schau her.“ Er streckte den Arm aus und das seltsame Tier sprang herunter. Imiloné musterte es neugierig. Es schien, als sei das Wesen die kleine, bepelzte Ausgabe eines Menschen. Es trug eine zierliche, bestickte Weste aus dunklem Stoff. Die dunklen, klugen Augen blickten den Kindern entgegen. „Sein Name ist Sahib Malkillah. Er ist ein Moosäffchen aus dem Süden Aventuriens. Du kannst ihn ruhig streicheln wenn du willst.“ Er deutete auffordernd auf das Tier.

Brin trat vorsichtig einen Schritt nach vorne, hielt sich aber immer noch an Imiloné´s Kleid fest. Mit großen Augen betrachtete er das Äffchen. Er blieb stehen und sah den Gaukler an. „Beißt er?“

Der Mann schüttelte den Kopf. Dabei klingelten die Glöckchen die an den Enden der Narrenkappe angebracht waren. Er sagte etwas in einer fremden Sprache, worauf das Äffchen zu Brin lief. Nicht auf vier Beinen, sondern auf zwei. Imiloné staunte. Bei den Kindern angekommen hob es die dünnen Ärmchen, so wie es ein Kleinkind tat, wenn es von den Eltern hochgehoben werden wollte.

Brin sah Imiloné schüchtern an. Sie lächelte. „Mach nur.“

Durch ihre Worte ermutigt, hob er das Tier vorsichtig hoch. Als sich das weiche Fell an seine Wangen schmiegte und die kalte Nase sein Ohr streifte, musste er lachen. Auch von Imiloné fiel die Anspannung ab.

Der Fremde grinste. Im nächsten Moment stand er auf und sah die Kinder ernst an. „Sagt, wisst ihr wo ich den Turm des Magiers finden kann?“

Imiloné sah erstaunt auf. Schließlich nickte sie und deutete nach Westen. „Ihr müsst einfach dem Weg folgen. Was wollt ihr denn dort?“

Der Mann lächelte nun wieder und zuckte mit den Schultern. „Ich habe so ein Gebäude noch nie gesehen. Wollte einfach einen Abstecher dorthin machen und es mir näher ansehen.“

„Da werdet ihr Pech haben. Der Edle Magister ist nicht anwesend. Außerdem hat er einen Wächter, der seinen Turm bewacht.“ Ingalf mischte sich nun auch wieder ein. Scheinbar hatte er seine Sprache wieder gefunden.

„Das ist Schade. Nun gut, dann werde ich ihn zumindest von außen betrachten.“ Der Gaukler lächelte schief. „Wenn ihr mich nun entschuldigen würdet. Sahib!“ Das Äffchen machte sich von Brin los und lief, nun auf vier Beinen, zurück zu seinem Herrn. Ohne ein weiteres Wort bewegten sich beide in Richtung Westen.

Die Kinder sahen sich verwundert an.

Ingalf ergriff als erster das Wort. „Seit wann interessieren sich abergläubische Gaukler für den Turm des Magiers?“

„Woher willst du denn wissen das er abergläubisch ist?“ Brin sah den Älteren neugierig an.

„Von meinem Vater. Er sagt, dass das Gauklerpack immer einen großen Bogen um die schwarze Katze der alten Ornella macht. Außerdem meiden sie Leute mit roten Haaren und tragen immer allerlei Schutzzeug mit sich rum. Hasenpfoten, Amulette und so.“

Imiloné verdrehte die Augen. Ingalf war scheinbar entgangen, das der Mann selbst rote Haare besessen hatte. Außerdem hatte er keine Amulette oder sonstige Glücksbringer mit sich getragen. „Du solltest nicht immer von dich auf andere schließen. Komm Brin, gehen wir zurück zum Fest.“

Der Junge sah sie freudestrahlend an und nickte eifrig. Beide wandten sich um und liefen zurück zum Dorf. Den verdutzten Ingalf ließen sie stehen.
 

Karena trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Nervös kontrollierte sie den Sitz ihres Kleides. Passte auch wirklich alles? War da nicht ein Faden gezogen?

Mit einem genervten Seufzen verschränkte sie die Arme vor der Brust. So konnte sie wenigstens nicht in Versuchung geraten erneut an ihrem Kleid zu ziehen. Sie ermahnte sich selbst zur Ruhe, sonst könnte sie ihr Vorhaben gleich vergessen.

Die junge Frau stand an der efferdwärtigen Seite des Perainetempels. Die hellen Mauern des Gebäudes und die göttergefälligen Malereien strahlten eine angenehme Ruhe auf sie aus. Zwei dunkle Fenster, die auf Kopfhöhe angebracht waren, starrten leer in die Nacht. Die grün gestrichenen Läden waren nicht geschlossen. Karena ließ ihren Blick an der Mauer nach oben schweifen. Das Dach war mit dunklen Ziegeln gedeckt, von denen sie jedoch nur die ersten Reihen sehen konnte. Auf dem Dachfirst hatte eine Storchenfamilie ihr Quartier bezogen. Im Schein des vollen Madamals konnte Karena nur die Umrisse des Nests ausmachen. Die Tiere selbst machten mit einem gelegentlichen Klappern auf sich aufmerksam. Die Geräusche des Festtreibens drangen nur gedämpft an ihr Ohr.

Karena hatte gerade beschlossen zum Eingang des Tempels zu laufen, als sie eine Stimme vernahm. Erschrocken blieb sie stehen und sah sich um. Wer mochte zu dieser späten Stunde im Dorf unterwegs sein, wo doch alle auf dem Fest waren?

Die Stimme kam näher und ein Lichtschein tauchte vor ihr auf. Die Schwarzhaarige beeilte sich um die Ecke des Tempels zu schleichen. Sie wollte nicht unbedingt einem der anderen Dörfler in die Arme laufen und sich erklären müssen.

Im nächsten Moment trat eine kleine, dunkelhaarige Frau in ihr Blickfeld. Sie war in eine lange, schwarze Robe gehüllt und hielt eine Fackel in der rechten Hand. Die Flamme hatte einen seltsam bläulichen Schimmer. Auf dem Gewand der Frau spiegelte sich an einigen Stellen das silberne Licht des Madamals wieder. Karena kniff die Augen zusammen. Sie meinte auf der Robe silberne Symbole zu erkennen, von denen dieses Glitzern ausging. Um die Schultern der Frau hing ein prallgefüllter Tuchbeutel. Wahrscheinlich war sie eine Reisende die im Dorf nächtigte.

Die Unbekannte blieb stehen und sah sich nach allen Seiten um. „Taraxis?“ Ihre Stimme war hell und klar, hatte aber einen befehlenden Unterton.

Karena überlegte. Diesen Namen kam ihr irgendwie bekannt vor. Hatte Hesindiane ihn nicht erwähnt? Ihre Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als sie Schritte von rechts vernahm. Ein leises Schellen erklang mit jedem Tritt. Die Dunkelhaarige vor Karena setzte sich plötzlich in Bewegung. Und zwar genau auf sie zu!

Panisch sah sich die junge Frau um. Wenn man sie jetzt entdecken würde, hätte sie mächtigen Ärger am Hals. So leise wie möglich versuchte sie zum anderen Ende des Tempels zu gelangen. Dort angekommen verharrte sie regungslos. In ihrem Rücken befand sich die Umzäunung des Boronangers, der direkt an den Perainetempel angrenzte. Als sie sich sicher war, das keiner der beiden sie bemerkt hatte, ging sie in die Hocke und lehnte sich gegen den Zaun. Hoffentlich wurde ihr Kleid nicht schmutzig.

Ihr Blick richtete sich auf die beiden Gestalten, die nur ein Dutzend Schritt von ihr entfernt standen. Unbewusst hatte sie einen Beobachtungspunkt gewählt von dem sie die zwei gut mustern konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Wer mochten die zwei Personen sein? Und wieso schlichen beide so heimlich durch die Nacht? Sie schüttelte den Kopf. Das konnte sie sich ebenso gut fragen. Schließlich war sie diejenige, die vor den Fremden geflüchtet war und beide nun wie ein Dieb beobachtete. Sie vertrieb diesen Gedanken aus ihrem Kopf. Ein schlechtes Gewissen konnte sie sich später auch noch einreden.

Ein großer Mann in Narrenkleidung stand vor der Frau und redete leise auf sie ein. Er überragte sie um gut eineinhalb Spann. Karena lauschte angestrengt, konnte aber nicht mehr als ein paar Wortfetzen aufschnappen. Sie standen zwar nicht allzu weit weg, hatten ihre Stimmen jedoch zu einem Flüstern gesenkt.

„…. keine Möglichkeit … öffnen… überrascht worden.“ Der Mann hatte geendet und trat von einem Fuß auf den anderen. Dabei erklang wieder das leise Schellen.

Auf den ebenmäßigen Zügen der schwarz gewandten Frau erschien eine steile Zornesfalte. „Unfähig! Wieso habe ich mich überhaupt auf dich verlassen.“ Sie schien nicht mehr auf Heimlichkeit bedacht zu sein, denn ihre Stimme war laut geworden und ein zorniger Ton schwang darin mit. „Ständig bin ich von Dilettanten umgeben, die meine von Satinav gegebene Zeit unnütz verschwenden. Geh mir aus den Augen Taraxis von Schellenquax. Du bist entlassen.“ Sie sprach einige Worte in einer fremden Sprache, bevor sie sich umdrehte und mit großen Schritten davon eilte.

Der Mann blieb stehen. Karena kniff die Augen zusammen um im schwachen Licht der Sterne sein Gesicht zu erkennen. Er schien erleichtert zu sein.

„Ich denke, wir können unser Leben nun wieder selbst bestimmen, Sahib.“ Ein Keckern, ähnlich dem eines Eichhörnchens, erklang im Dunkeln. Langsam setzte er sich in Bewegung und war nach wenigen Schritten in der Dunkelheit verschwunden.

Die junge Frau blieb verwirrt zurück. Über was auch immer die beiden gesprochen hatten, es ergab für sie keinen Sinn. Langsam erhob sich Karena und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Sie wollte sicher gehen das niemand in der Nähe war, wenn sie ihr Versteck verließ. Erleichtert atmete sie auf, als sie weder das Klingen der Schellen noch etwas anderes vernahm. Allein die Geräusche des Festes waren zu hören.

Mit wenigen, schnellen Schritten war sie am Eingang des Tempels angekommen. Dort setzte sie sich auf die unterste Stufe und dachte nach.

Sie versuchte in Gedanken noch einmal das Gespräch durchzugehen. Beide hatten sich durch ihre Heimlichtuerei verdächtig gemacht. Das der Mann geflüstert hatte war ebenso auffällig. Wer sollte schon vermuten, das sich während der Festlichkeiten jemand außerhalb des Dorfplatzes aufhielt. Also hatte er wohl auf Nummer sicher gehen wollen, das auch wirklich niemand das Gespräch mitbekam. Der Wutausbruch der Frau machte sie nachdenklich. Scheinbar war dem Mann etwas aufgetragen worden, wobei er aber gescheitert war. Aufgeregt spann Karena ihre Gedanken weiter. Ob er etwas stehlen sollte? Sie konnte sich nicht vorstellen was in ihrem Heimatdorf so kostbar war, das es sich zu stehlen lohnte. Hatte die Edle vielleicht wertvolle Güter in ihrem Hof gelagert? Nur wer wäre so töricht eine Edle des Mittelreiches zu bestehlen?

Karena kam ein Geistesblitz. Der Turm des Magiers! Die Frau hatte schließlich fast dieselbe Kleidung wie der Edle getragen. Ob sie vielleicht von dort etwas stehlen wollte? Einen magischen Gegenstand oder etwas ähnliches?

Ein Geräusch ließ sie aufschrecken. War einer der beiden etwa wieder zurückgekommen? Hastig sah sie sich um und konnte eine Gestalt vor sich ausmachen, die auf den Tempel zulief. Karena beruhigte sich, als sie die Umrisse im Sternenlicht erkannte. Es war seine Gnaden Niam Peresen.

Der Geweihte lief mit bedächtigen Schritten auf sie zu. Er hatte den Kopf gesenkt und schien über etwas nachzudenken. Karena wurde nervös, als sie ihn beobachtete. Ihr Vorhaben kam ihr wieder in den Sinn. Er war schließlich der Grund, wieso sie seit geraumer Zeit vor dem Tempel wartete.

Da er sie noch nicht bemerkt hatte, räusperte sie sich. „Euer Gnaden.“

Niam blieb erschrocken stehen und sah auf. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er sie erkannte. „Karena. Wieso sitzt Ihr hier im Dunkeln auf den Stufen des Tempels?“

Wie konnte er nur so ruhig bleiben? Als sich ihre Blicke vorhin begegnet waren hatte sie erkannt, das auch er gewissen Gefühle für sie zu hegen schien. Diese Gewissheit hatte ihr neuen Mut gemacht und sie in ihrem Vorhaben bestärkt.

Karena erhob sich und stand nun direkt vor ihm. Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie antwortete. „Ich habe auf Euch gewartet.“

Niam blinzelte und sah sie mit einem undeutbaren Blick an. Das Madamal war hinter dem Tempeldach verschwunden, sodass sie sein Gesicht nur vage erkennen konnte. „Auf mich?“ Die Worte waren zwar nur gehaucht, ließen Karena dennoch einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. „Wenn ich mir die Frage erlauben darf: Warum?“

Ihr Mund war vor Aufregung wie ausgetrocknet. „Ich muss Euch etwas sagen.“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr. „Etwas, das ich Euch schon seit längerem sagen wollte.“ Ihr Herz pochte in ihrer Brust, als würde es gleich zerspringen.

Niam nickte. „Dann lasst uns in den Tempel gehen, dort haben wir wenigstens etwas Licht.“

Panik stieg in Karena auf. Sie wusste, wenn sie es nicht jetzt sagen konnte, würde sie der Mut verlassen. Deshalb trat sie auf Niam zu, der sich gerade umwandte, und hielt ihn am Arm fest. Als ihr bewusst wurde, was sie da gerade tat, ließ sie ihn los und trat einen Schritt zurück. „Entschuldigt.“ Sie sah auf und versuchte seine Augen zu erkennen. „Ich möchte es Euch lieber hier sagen, Euer Gnaden.“

Niam wandte sich ihr zu. Seine Stimme klang sanft und sie bemerkte eine Hand, seine Hand, die sich auf ihre Schulter legte. „Nun gut, sprecht!“

Seine kühle Hand brannte auf ihrer nackten Haut. Ein angenehmes Kribbeln machte sich in ihrem Bauch breit, als sie antworten wollte. Mehr als ein Krächzen brachte sie aber nicht zustande. Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss. Nach einem Räuspern versuchte sie erneut zu sprechen, was ihr diesmal auch gelang. „Bei Rahja, ich wollte es Euch schon lange sagen, Euer Gnaden. Doch habe ich bisher nie den Mut aufgebracht, an Euch heranzutreten und Euch von meinen…“ Sie unterbrach sich.

„Ja?“ Niams Stimme hatte immer noch diesen warmen Ton, der sie dazu bewegte weiter zu sprechen.

„…Euch von meinen Gefühlen zu berichten. Es ist nun schon einen halben Götterlauf her, als ich mir darüber klar wurde was dieses Kribbeln, das ich in Eurer Gegenwart verspürte und immer noch spüre, zu bedeuten hatte. Doch ich habe aufgrund Eures Standes nie gewagt Euch deswegen anzusprechen und Euch zu sagen, das ich…“ Sie atmete tief durch, bevor sie die verhängnisvollen Worte aussprach. „Ich mich wohl in Euch verliebt habe, Euer Gnaden.“ Scheu senkte sie den Blick. Sie war erleichtert, die Worte endlich gesagt zu haben die ihr schon so lange auf der Seele lagen. Dennoch hatte sie Angst vor seiner Reaktion.

Karena konnte hören, wie sich der Geweihte räusperte. Seine Hand lag immer noch auf ihrer Schulter und sandte heiße Wellen durch ihren Körper.

„Karena, ich…“ Sie schloss die Augen. Welche Worte auch immer seinen Mund verlassen würden, sollten über ihre Zukunft entscheiden. Auch wenn sie Niams Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen konnte, wollte sie seine Worte lieber mit geschlossenen Augen vernehmen.

Als sich seine Hand von ihrer Schulter löste, sank ihr der Mut. Sie hatte seinen Blick auf dem Fest wohl doch falsch gedeutet. Im nächsten Moment spürte sie eine federleichte Berührung an ihrem Kinn. Sachte hob er ihren Kopf an, damit sie ihm in die Augen sehen musste. Sein warmer Atem strich über ihre Wange.

„Ich muss Euch sagen, das es mir nicht anders ergangen ist.“ Seine Worte zauberten ein Lächeln in Karenas Gesicht. Sie spürte eine hauchzarte Berührung an ihren Lippen, der sie sich völlig hingab. Beide sanken in das weiche Gras vor dem Perainetempel.



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