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Leben für Gott

von

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Es war eine stürmische Nacht, in der der Fremde auftauchte. Die Bäume auf dem Grundstück des großen Klosters, welches Pavlo sein Zuhause nannte, wurden von dem heftigen Wind nahezu fortgerissen, niemand befand sich dort draußen. Jeder Mönch hatte sich am Abend, als der Sturm begonnen hatte, in die großen Hallen zurückgezogen; der Stein bot Schutz, doch Pavlo selbst hatte sich dort eingeengt gefühlt. Dies war schon immer so gewesen; Menschenansammlungen waren ihm viel zu laut und zu hektisch… Er hatte sich einmal wieder in die Bibliothek geflüchtet, sein eigener kleiner Schutzraum; sein Ruhehort, wenn er den Lärm der Redenden nicht mehr ertrug. Nahezu jeden Tag durchstreifte er die Regalreihen auf der Suche nach neuen Mysterien, doch die meisten der Schriften, die in den Büchern und auf Pergament festgehalten worden waren, zeigten nur immer neue Vorschriften, wiesen an, wie man zu leben hatte. Früher hatte sich Pavlo oftmals in seiner Kindheit hier vor den Lehrmeistern versteckt, die ihn für etwas bestrafen wollten, was er falsch gemacht hatte. Damals hatte er noch viel falsch gemacht, doch hatte sich dies mit den Jahren geändert. Pavlo hatte lange nach Erlösung aus dem Leiden gesucht, welches ihm das Leben in dem Kloster bot, bis er schließlich erkannt hatte, dass er selbst es war, der diese Leiden verursachte. Er hatte krampfhaft versucht, gegen den Strom zu schwimmen, obwohl es doch viel leichter war, sich treiben zu lassen. Viele Schmerzen hatte er erleiden müssen, ehe ihm diese Erkenntnis gekommen war. Doch nun war alles anders und vergessen waren die Stunden, in denen er in der Dunkelheit umhergeirrt hatte. Er hatte das Licht gefunden, so hatten es die weisen Brüder ihm erklärt. Wer sich fügte, der konnte zur Erkenntnis gelangen. Wer nach den Regeln der heiligen Schriften sein Leben ausrichtete, der hatte auch nach dem Tode nichts zu befürchten. Und so hatte auch Pavlo die alten Schriften als seine Lehrmeister anerkannt und führte seitdem ein tadelloses Leben, welches er vollkommen Gott zugeschrieben hatte.

Der junge Mönch blickte in den Schein der Kerze, die auf dem alten Holzpult vor ihm brannte und ihr Wachs auf den Kerzenständer tropfen ließ. Seine Augen brannten schon nach Sekunden, doch starrte er weiter in die hellen Flammen, bis ihm die Tränen in die Augen traten und ihn wieder etwas wacher machten. Erst jetzt wandte er den Blick schließlich ab und fuhr sich über die müden Augen. Er hatte die Kerze nach dem abendlichen Gebet entzündet und die Tatsache, dass sie nun beinahe bis zum letzten Strich heruntergebrannt war, bedeutete ihm, dass es nun zwei Uhr in der Frühe sein musste. Sein Blick fuhr nun über das Buch, welches aufgeschlagen vor ihm auf dem Pult lag, er besah sich die kleingeschriebenen Worte, doch vermochte er nicht mehr, sie zu entziffern. Seine Augen waren einfach zu übermüdet und so klappte er das Buch vorsichtig wieder zu und erhob sich. Er nahm eine kleinere Kerze an ihrem Halter und entzündete sie an der größeren Zeitkerze, dann nahm er das Buch in die Hand und durchschritt die Regale, um das Buch wieder an seinen Platz zu legen. Als er dies getan hatte, strich er noch einmal sanft über den Einband, als plötzlich ein Blitz am Himmel erschien und das Zimmer für den Bruchteil einer Sekunde erhellte, wobei die Schatten für Pavlo aussahen wie verzerrte Kreaturen, die auf der Erde krochen und sich ihren Weg zu ihm bahnten. Doch nein, dies war bloße Einbildung; etwas, dass Pavlo sich abgewöhnen musste. Phantasie war nicht erstrebenswert; sie bereitete einem nur Schwierigkeiten. Dies hatte der junge Mönch schon erleben müssen, doch war er sich dennoch unsicher, ob die Schatten, die er gesehen hatte, wirklich nur von den Regalen kamen. Er drehte den Kopf langsam, sodass er aus dem kleinen Fenster blicken konnte, welches die Bibliothek am Tage mit etwas Licht füllte, doch sah er dort bloß die alte Trauerweide, die im Wind mit ihren dünnen Ästen die Luft zu peitschen schien. Dieser Anblick beruhigte Pavlo etwas; es war also wirklich niemand dort am Fenster gewesen und auch der nun folgende Donner konnte ihn nicht weiter ängstigen. Er ging zurück zu dem Pult und blies dort die große Kerze aus, sodass nur noch der flackernde Schein seiner kleinen Kerze die Dunkelheit erhellte. Mit der freien Hand hob der Mönch nun die Schiefertafel auf, die er immer bei sich trug und blickte noch einmal über die Buchrücken, die in den Regalen zu sehen waren. Sein Blick glitt dabei einmal wieder durch den Raum und blieb schließlich erneut am Fenster hängen. In der Dunkelheit, die draußen vorherrschte, schien sich etwas davon abzusetzen; ein heller Fleck, dicht bei dem kleinen Fenster. Pavlo verengte die Augen, um etwas Genaueres zu erkennen. Zögerliche Schritte brachten ihn nun näher ans Fenster, bis ein erneuter Blitz aufkam. Pavlo zuckte zurück, hatte er doch nun mit Sicherheit die Silhouette eines Mannes erkannt; der helle Fleck, den er bemerkt hatte, stellte sich als das Gesicht des Fremden heraus, welches in starkem Kontrast zu dessen schwarzer Kleidung stand. Pavlo zögerte, nicht wissend, was er nun tun sollte, doch schien der Fremde keines Falls bedrohlich und so trat der Mönch nun an die Seitentür und entriegelte diese. Er öffnete sie und trat aus der Tür. Der Fremde, der ihn wohl beobachtet haben musste, drehte den Kopf zu ihm, doch machte er keinerlei Anstalten, sich zu ihm zu bewegen. Erst, als Pavlo ihn hereinwinkte, trat er schließlich mit großen, jedoch langsamen Schritten näher, bis er schließlich zusammen mit Pavlo ins Innere des Steingemäuers trat.

„Vielen Dank, dass du mich hineingelassen hast.“ sagte der Fremde und schenkte Pavlo ein kleines Lächeln. Dem Jüngeren fiel nun auf, wie stattlich der andere wirkte und fragte sich, wieso ein solcher Mann zu einem Kloster kam.

„Ich habe in dieser Nacht kein Obdach und wollte erfragen, ob ich hier im Kloster eventuell einen Unterschlupf erhalten könnte.“ sagte dieser dann, als habe er die Frage des Mönches schon erwartet. Pavlo zögerte kurz, dann nahm er seine Schiefertafel auf und schrieb darauf:

Dieses Kloster gewährt jedem Fremden Asyl, doch lege deine Waffen ab, falls du solche mit dir führst.

Der Fremde las zunächst schweigend, ehe er seinen Blick wieder auf Pavlo richtete.

„Ich trage keine Waffen bei mir. Doch wieso lässt du mich nicht deine Stimme hören? Ist es ein Gelübde, welches du dir gabst?“ Ein Nicken war die Antwort Pavlos, welcher sich dann umdrehte und dem Fremden bedeutete, ihm zu folgen. Sein Weg führte hinaus aus der Bibliothek und durch einen langen, hohen Korridor, welcher an den Seiten von Fackeln spärlich beleuchtet war. Das Kloster hatte viele kleine Zimmer, in welchen Suchende einen Unterschlupf finden konnten. Die Zimmer waren nicht allzu groß, doch reichten sie aus und waren besser als die kalte Erde vor dem Kloster. Pavlo öffnete eine Tür und präsentierte dem Fremden den Raum, welcher ihn betrat und ihn musterte.

„Danke für dieses Zimmer, doch verrate mir zumindest, wem mein Dank gebührt.“ sagte der Mann dann mit einem erneuten Lächeln. Pavlo fuhr einmal über die Schiefertafel, um sie grob zu reinigen, ehe er vier Buchstaben auf die Tafel schrieb.

Gott.

Dies brachte den Fremden nun zum Lachen und er schüttelte kurz den Kopf.

„Ich wollte auf diesem Wege nur deinen Namen erfragen. Wirst du ihn mir verraten?“ wollte er nun wissen. Erneut nahm der Mönch die Tafel zur Hand und schrieb nun seinen Namen darauf und zeigte diese dem Fremden.

„Pavlo.“ las dieser. „Ein schöner Name. Wenn ich mich vorstellen darf, mein Name ist Luthiel.“ Pavlo nickte daraufhin nur, dann trat er langsam rückwärts und aus dem Raum heraus.

„Ich wünsche dir eine gute Nacht, Pavlo..“ verabschiedete ihn der Fremde und Pavlo nickte daraufhin nur, ehe er die Tür vor sich schloss. Schritte waren auf dem Gang zu vernehmen und der junge Mönch sah sich einem seiner Brüder gegenübergestellt.

„Pavlo, was tust du zu so später Stunde hier?“ wollte dieser wissen.

„Haben wir wieder einen Besucher?“ erkundigte sich der Mönch, woraufhin Pavlo nickte.

„Nun, es ist zwar etwas spät, doch war es gut, dass du ihm geholfen hast. Doch ruhe dich nun lieber aus, immerhin musst auch du ruhen.“ sagte der Bruder. Erneut gab Pavlo ein Nicken von sich und drehte sich um, dann schritt er rasch durch die Korridore, bis er schließlich an seiner eigenen Zimmertür ankam, welche er öffnete und, leise und verstohlen, als habe er etwas Verbotenes getan, durch diese ins Innere des Zimmers schlüpfte. Nun in seinem eigenen kleinen Reich angekommen, legte er als erstes die braune Kutte ab, die ihn verhüllte. Danach streifte er sich die dünne weiße Kleidung ab, die seine Haut etwas vor dem rauen Stoff der Kutte schützen sollte. Nun trug er nur noch einen kurzen Stoff, welcher seine Lenden bedeckte und den Gürtel am Oberschenkel, welcher sich in den vergangenen Stunden tief in seine Haut gebohrt hatte. Vorsichtig legte er seine Finger an den Verschluss und biss die Zähne zusammen, als er den Gürtel etwas enger ziehen musste, um ihn auszuziehen. Des Nachts zum Schlafen legte er ihn ab, doch tagsüber trug er ihn mehrere Stunden am Tag, um Buße zu tun. Er besah sich die Dornen, die an der Innenseite des Gürtels befestigt waren und erneut erinnerte er sich an die Worte, die man ihm mitgegeben hatte, als ihm dieses Geschenk überreicht worden war.

‚Damit kannst du nun selbst Buße tun; zeige Demut vor dem Herren, indem du seine Schmerzen mit ihm teilst. Je länger du dieses Geschenk trägst und je fester du es ziehst, umso größer wird sein, was dich im Leben nach dem Tode erwartet.’

Lange schon hatte Pavlo diesen Gürtel und viele Narben an seinen Oberschenkeln zeugten davon. Er war stolz auf sie, waren sie doch ein Zeichen seiner Demut. Auch heute war seine Haut stark gerötet und schmerzte, doch brauchte der Mönch diesen Schmerz zur Erlösung und so genoss er auch diesen. Nun allerdings war es Zeit, sich zur Ruhe zu begeben. Pavlo gähnte einmal und legte sich ins Bett, dann schloss er die Augen und war nach kurzer Zeit schon eingeschlafen. Seine letzten Gedanken galten dem vornehmen Fremden und der Frage, wer er wohl war und was ihn hier in die Gegend verschlagen hatte, doch um darüber nachzudenken, war der Mönch schlichtweg zu erschöpft.



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