Gin
Hallo an alle Lesenden,
und ich hoffe, ihr hattet, so er denn kam, einen spendablen Nikolaus. ;]
Als erstes wieder ein ganz herzliches Dankeschön an die lieben Kommischreiber.
So, nun also endlich zur Antwort auf die Frage, was Gin in dem Buch zu suchen hatte... oder auch nicht. ;p
Um die Frage vorweg zu nehmen, es wird in dieser FF nicht geklärt, was diese Randnotiz wirklich zu bedeuten hat, das ist nur eine kleine Vorbereitung meinerseits für spätere FFs.
Dennoch wird es hier schon einige wichtige Erkenntnisse, im wesentlichen für Ai, geben, und der Übergang gewissermaßen für die weitere Entwicklung der FF aus Sicht Conans geschaffen.
So, dann mal wieder genug geschwafelt, ich überlasse es euch, dem Kapitel seine Informationen zu entnehmen.
Ich melde mich nochmal am Ende,
also bis dann.
LG, Diracdet
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Kapitel 12: Gin
Der kleine Junge hielt das Buch eine ganze Weile in der Luft, nutzte den Augenblick, den anderen drei Personen im Raum einen tiefen Einblick in ihre Augen zu entlocken. Professor Agasa und Ai zuckten nur unruhig in ihrem Blickwinkel, ertstarrten angesichts des Wortes; Angst, ehrliche tiefe Angst hatte sie erfüllt, angesichts von 'Gin'.
'Oder doch als Abkürzung... G.I.N.? Oder noch etwas anders, ich kenne das Buch ja nicht wirklich... Aber... egal was, wieso macht es ihnen so viel Angst?'
Er konnte nur ahnen, dass ihnen das Wort etwas sagte – genau wie im Normalfall auch ihm – das bedeutsamer war als ein paar Tropfen Alkohol... etwas... bedrohliches.
Allerdings schien dieser Aspekt nur für die beiden zu gelten, Kirika reagierte vollkommen unbeteiligt, als sagte ihr das Wort zunächst gar nichts. Im Gegenteil, sie folgte seiner Frage offenbar genau, beugte sich vor in Richtung des Buches, betrachtete, mit dem Zeigefinger am Kinn und die Stirn leicht in Falten gelegt, nachdenklich das Gekritzel neben den sauberen Druckbuchstaben.
„Hm... tja, es ist ein bisschen wenig, aber ich würde meinen, Mireilles Handschrift ist es nicht. Also wirst du es wohl selbst rein geschrieben haben, Conan.“, murmelte sie grübelnd vor sich hin, ohne ihm in die Augen zu sehen.
Er drehte das Buch wieder zu sich, betrachtete erneut den Text samt der Schrift skeptisch.
„Das... soll mein Kommentar sein? So eine Schrift habe ich also? Merkwürdig... sie wirkt schon ziemlich ausgeschrieben... mit sieben Jahren hat man sowas doch normalerweise nicht, oder?“
Auch er murmelte nun mehr, bemerkte die Blicke der anderen nicht. Alle drei wussten, was hinter seiner Erkenntnis steckte, beobachteten fasziniert, wie ihm all die Ungereimtheiten auffielen, die Conan Edogawa ausmachten. Es war als sah man zu, wie jemand ein Rätsel bearbeitete, welches man selbst entwickelt hatte und dessen Lösung man folglich kannte. Man verstand, wann der rätselnde auf der richtigen Fährte war, wann nicht; wann er kurz vor der Lösung stand, wann er im Dunkeln tappte. Nur in Conans Fall... war es lediglich, als wartete man auf das unvermeidliche, als würde er jeden Moment herausschreien 'Ich bin kein Kind!'.
Oder... wartete man da auf das Unmögliche? Er war nun mal immer auf eine plausible Lösung fixiert, auf rationale Erklärungen. Auch wenn er diese Seite an sich nicht bewusst kannte im Moment, es war ihm sicher klar. So sehr, wie man seiner Mimik die Anstrengung entnahm, diese rationale Spur zu finden, war es offensichtlich, dass er längst festgestellt hatte, dass ihm übernatürliches nicht lag. Also würde er die Wahrheit doch von vorn herein als unmöglich ausschließen... ein Aspekt, der ungeahntes Potential für Fehler lieferte, wie Ai gedanklich feststellte, rückblickend auf ihre kurzen Lehrgänge zur Mengenlehre, damals in der Privatschule in den Staaten.
'Die leere Menge..., die Menge die kein Element beinhaltet, ist die Quelle aller Fehler, wie es in dem Buch als ironischer Randkommentar hieß. Wenn man eine Lösung in der leeren Menge sucht, in der es also keine Lösung gibt, dann hat diese Lösung jede beliebige Eigenschaft. Sprich, man landet trotz vollkommener Logik bei sich widersprechenden Aussagen.
Mich würde wirklich interessieren, wie dein Geist auf so eine Situation reagiert, Shinichi.'
„Warum ist dir das aufgefallen?“ Conan sah aufgeschreckt aus seinen Gedanken auf zu Kirika, die ihn, immer noch vorgebeugt, die Hände auf die Knie stützend, eindringlich anstarrte.
„Wie?“
„Du hast doch dein Gedächtnis verloren, also hast du das Buch doch auch erst kurz sehen können. Wie bist du so schnell auf diese Stelle mitten im Buch aufmerksam geworden?“
„Ich... ich...“ Er zögerte kurz, als überdachte er seine Aussage.
„Ich habe nur einmal durchgeblättert, als ich es entdeckte... es ist doch ein merkwürdiges Buch für einen 7-jährigen, finden Sie nicht? Wenn Ihre Freundin es mir gegeben hat, wieso...“, aber Kirika schüttelte ablehnend den Kopf.
„Das ist etwas zwischen ihr und dir, das kann ich dir nicht beantworten.
Allerdings... hast du mir auch nicht meine Frage beantwortet. Wie bist du auf diese Stelle gekommen? Beim durchblättern fällt das doch kaum auf. Und selbst wenn, offenbar weißt du es schon länger, aber hast es nicht gesagt. Zumindest würde ich so die Gesichter von Ai und dem Professor interpretieren.“
Eine leichte Unbehagtheit machte sich in ihm breit. Ja, er hatte diese Frau unterschätzt. Sie wirkte unbeholfen, naiv vielleicht... aber sie war nicht nur versiert in ihrer Beobachtung, sondern auch scharf in der Interpretation. Sie konnte in ihm im Moment lesen, wie in einem Buch, was ihm einfach nicht passte. Und dennoch... schien sie auch die Einzige zu sein, die wenigstens ansatzweise auf seine Fragen einging, wenn auch sie sie meistens ablehnend beantwortete; sie war... ehrlicher als die anderen. Obwohl sie offenbar mehr zu verbergen hatte. Eine für ihn absurde Kombination menschlicher Eigenschaften.
„Ich... bin drauf gestoßen... weil das Wort selbst... also 'Gin', eine Reaktion bei mir hervorrief.“ Er war sich sehr unsicher, wie sinnvoll es war, diese Information preiszugeben. Er war derjenige ohne Informationen – sie hingegen im Krankenzimmer die Wissende. Er konnte einfach nicht abschätzen, wie richtig oder falsch es war. Zwar schienen Kirika und die beiden anderen nicht unbedingt zusammen zu arbeiten, aber vielleicht war auch das nur gespielt, um ihn in Sicherheit zu wiegen...
'Aah... so kommt man doch nicht weiter. Warum zum Geier sollten sie diese Informationen eines Kindes überhaupt interessieren?!'
„Eine Assoziation, meinst du das? Du erinnerst dich an etwas... ein kurzer Augenblick der Vergangenheit, der dir in dein Gehirn eingebrannt ist, und der von dem Wort Gin ausgelöst wurde. Deshalb hast du auch beim kurzen Anblicken der Seite beim Durchblättern es dir merken können, nicht wahr?“
„Mhm.“, nickte er kurz, ohne dabei den Blick von ihr abzuwenden.
„Kälte... und Dunkelheit. Das war die Assoziation. So ähnlich wie die Dunkelheit, die mich während des Komas befiel, welches ich nach dem... Unfall... hatte.“
„Kälte... und Dunkelheit.“, wiederholte Kirika monoton. Sie wusste genau, was diese Assoziation war, ordnete sie in das Muster des Bildes ein, dass sie von ihm hatte.
'Er ist wohl doch noch nicht so weit... nun gut. Ich frage mich... ob du einen Watson erträgst, Sherlock...'
Erneut legte sie nachdenklich den Zeigefinger ans Kinn.
„Mhm... spontan würde ich tippen, hast du vielleicht schlechte Erfahrungen mit Alkohol gemacht?“
Er schaute sie verwundert an. Klang es nicht vor kurzem noch, als wüsste sie genau, wovon sie sprach; nun als wüsste sie es nicht? War das Schauspielerei oder wie?
„Soll das ein Scherz sein? Mit 7 Jahren? Und dann wieso kalt und dunkel?“
„Na, wenn man in den Bergen verunglückt und gefunden wird, wird einem doch kurz Alkohol verabreicht, um den Körper zu erwärmen. Wenn du also unter einer Lawine oder so begraben warst...“
Er schüttelte nur bedächtig den Kopf. In seinem Gehrin sprudelte förmlich die Information heraus.
„Das sind doch alte Kamellen, die gar keine Gültigkeit mehr haben. Alkohol bewirkt nur ein kurzzeitiges Gefühl der Erwärmung, danach kühlt der Körper durch die schnelle Verbrennung und vor allem die durch die kleine Molekülstruktur des Alkohols bewirkte schnelle Ausbreitung im Körper, sogar noch mehr aus, weshalb er seit sicher 50 Jahren nicht mehr eingesetzt wird.“
„Na schön...“, konterte sie verlegen, aber auch mit einer gewissen Genugtuung.
„Aber die Assoziation bleibt, also vielleicht ein anderes Erlebnis... mit einem Alkoholiker, oder allgemein mit einer Flasche Gin...“
Er zuckte kurz nach hinten, visierte sie dann aber noch schärfer.
„Was soll dieses Ratespiel, wenn Sie sowieso wissen, was hinter der Assoziation steckt? Dann sagen Sie es gefälligst, oder lassen Sie es!“
Am Ende wurde er so laut, dass auch Kirika verängstigt zurück schreckte.
„Wie, aber... ich meine...“
„Ich sprach von Kälte und Dunkelheit und Ihr erster Gedanke war auch meiner, eine schlechte Erfahrung mit dem Alkohol, die man mit 7 besser noch nicht hätte. Eine bestimmte Person habe ich nie erwähnt, aber... ja, ich sehe dann auch immer ein Lächeln vor meinem geistigen Auge. Eine Person, die hämisch grinst... ein Grinsen... wie vom Sensenmann persönlich...“
'Als ob du ahnen würdest, wie der Sensenmann grinst, Shinichi Kudo...' Kirika durchfuhr dieser Begriff mit einer gewissen Selbstironie.
„Aber das ist definitiv eine weitaus unrealistische Interpretation von Kälte und Dunkelheit. Also, wie kamen Sie, wenn Sie nicht wissen, dass es um eine Person geht, ausgerechnet auf so etwas?“
Der nötigende Blick des kleinen Detektivs hatte nun zum ersten Mal wieder die Festigkeit und Überzeugung angenommen, mit der er normalerweise Tätern gegenüber trat. Kirika hatte dieses Feuer in ihm entfacht, ohne dass er es so richtig merkte.
Einer kurzen Stille folgte ein resigniertes Lächeln. Sie beugte sich wieder auf, nahm ihre Hände vor den Bauch und klatschte langsam und leise vor sich hin, sah ihm verschmitzt lächelnd in diese Augen.
„Bravo, mein Kleiner, wirklich gut. Ich hab mich... wohl verraten. Ja, es ist eine Person. Gin ist doch auch kein so unüblicher Name in Japan, oder.
Jedenfalls... du bist mit dieser Person nicht ganz grün... das ist alles. Mehr brauchst du da im Moment nicht wissen, du erinnerst dich bestimmt bald von alleine.“
Ai fing an, an sich selbst zu zweifeln. Was für einem Gespräch hörte sie hier zu? Noir, die sich selbst als eine fast naive junge Frau ausgab sprach mit einem Meisterdetektiv,der unter Amnesie litt über die großen Fragen der Menschheit, und über die Organisation, quasi... nebenbei!
Und das eben war der Gipfel:
'..'du bist mit dieser Person nicht ganz grün'... mit Gin?!? Sollte das eine scherzhafte Untertreibung sein?'
Sie erahnte eine dunkle Erkenntnis, die ihr übel aufstieß... Conans Wissen, jenes, das er für sich behielt, seine Einsichten zur Organisation... dazu Noir hier, die fast wie auf einem Niveau mit ihm sprach.
'Wir verlieren ihn... aus den Augen?'
Sie musste es wissen, und nahm all ihren Mut zusammen, um in diese Runde hinein zu fragen.
„C-Conan? Wenn... naja, wenn du die Notiz mitten in das Buch gemacht hast, dann doch sicher an einer bestimmten Textstelle. Die ist doch sicher relevant für die Notiz. Dürfte ich fragen, welche Stelle?“
Der kleine Junge blickte zur Seite auf, weg von Kirika, sah verwirrt zu dem kleinen Mädchen.
„Hm... habe ich auch schon gedacht... es ist ein recht gehaltvolles Stück, aber so richtig hilft es mir nicht weiter.“
Er blickte kurz zu der Notiz. Daneben begann ein Absatz, der eine halbe Seite füllte. Der erste Satz war sicher irrelevant. Dahinter begann der eigentlich interessante Text.
„Nun ja...“, räusperte er sich kurz, bevor er anfing, so gut wie möglich die Stelle vorzulesen. Ein leichter Schauer befiel Kirika bei dem Gedanken.
'Er... er wird es doch nicht wirklich ahnen...'
„Zu wissen und nicht zu wissen, absoluter Wahrhaftigkeit inne zu sein, während man sorgfältig konstruierte Lügen erzählte; gleichzeitig zwei einander ausschließende Ansichten zu vertreten, zu wissen, dass sie widersprüchlich waren, und an beide zu glauben; die Logik gegen die Logik ins Feld zu führen, die Moral abzulehnen und sie für sich in Anspruch zu nehmen; an die Unmöglichkeit der Demokratie zu glauben und daran, dass die Partei die Hüterin der Demokratie war; zu vergessen, was vergessen werden musste, um es sich dann wieder ins Gedächtnis zu rufen, wenn es gebraucht wurde, und es dann gleich wieder zu vergessen; und vor allem, eben dieses Verfahren auf das Verfahren selbst anzuwenden. Das war die höchste Finesse: bewusst die Unbewusstheit herbeizuführen und sich dann wieder des eben vollbrachten Hypnoseaktes bewusst zu werden. Allein schon das begreifen des Wortes 'Doppeldenk' beinhaltete den Gebrauch von Doppeldenk.“
Allen dreien blieb bei diesen Worten ein Kloß im Halse stecken. Man hörte Kirika, wie sie kurz schluckte, sich zum Fenster wandte.
'Das... das kann doch nicht sein. Ist er wirklich... so gut schon? Das wäre... zu schön, um wahr zu sein. War Mireilles Tipp zu einfach, oder war es doch, was Vermouth ihm auf dem Schiff verraten hat? Oder hat er es tatsächlich schon vorher geahnt? Wenn ja... Shinichi Kudo... du bist ein Monster, weißt du das?'
Monster traf auch in etwa Ais Gedanken. Ihre Befürchtung hatte sich auf grausame Weise bestätigt. Was der Absatz im Buch aussagen wollte, war ihr nach nur einmaligem hören kaum klar, aber was noch viel weniger Sinn ergab war der Zusammenhang zu Gin. Er konnte nichts anderes meinen, als den einen Mann in Schwarz. Der, dem der Vergleich zum Sensenmann für Ai noch am nächsten kam, abgesehen halt von Noir. Aber wenn sie sich diese Frau betrachtete, zweifelte sie, ob nicht doch Gin die Rolle besser ausfüllte.
Aber Conan... Shinichi... hatte irgendeine absurde Assoziation zwischen dem Buch und Gin herausgefunden, obwohl er Gin vielleicht fünf- oder sechsmal nur kurz begegnete, während sie ihn seit Jahren genau kannte, all seine Gedankengänge meinte, zumindest in groben Zügen umranden zu können. Aber hier verstand sie nichts, was schlicht und ergreifend bedeutete, Shinichi hatte sie um Meilen überholt. Er hatte Vermuth durchschaut, die sie nur dank der Kassetten ihrer Mutter richtig einschätzen konnte, und nun wusste er wohl schon mehr über Gin als sie... dazu Noir, Takagi, Sonoko, Ran...
'Du bist uns entrückt, Shinichi. Du bist jetzt auf einem ganz anderen Level, auf einem... ebenbürtig zu Noir und Gin. Ein Level, auf dem wir wohl nur noch... störender Ballast sind, oder? Hast du es deswegen... nie verraten?'
Sie hatte diese Momente nur kurz, für Augenblicke erlebt und, doch sie wusste wie sehr sie einen... beeinflussten, wie sie fast süchtig machen konnten, aber vor allem, wie weit man sich plötzlich von anderen Menschen entfernt vorkam.
Selten, seit sie sich damals aus den Fängen der Organisation befreien konnte, fühlte sie sich so hilflos. Sie sah ihren Freund, der, der sie schützte, in der Position, die sie sich nur in ihren kühnsten Träumen vorstellte, die sie nur als Wissenschaftlerin in einigen seltenen Momenten der Erkenntnis erlebte.
Dann, wenn man... 'verstand'; wirklich etwas verstand. Es war, wie sie sich als Assoziation immer vorstellte, wie der Moment, den Whitney Houston einst den Siegern bei Olympischen Spielen in Seoul antitulierte. Der Moment in der Zeit, in dem man wirklich frei war, in dem man wirklich jenseits des Restes der Welt stand und dieses Universums kurzzeitig in sich zu spüren glaubte. Sie hatte es erlebt, nicht zuletzt bei der Entwicklung des APTX. Dieses Gefühl, etwas zum ersten Mal, vor allen anderen auf der Welt zu verstehen. Es ist ein unheimliches Gefühl von Stärke, ein gar tödliches Licht in uns drinne.
Und es... machte einsam. So sehr es Conan auch in ihren Gesprächen früher überspielte, er wusste genau, dass es war, wie Ai vermutete. Er konnte so nicht länger mit ihr und dem Professor, wohl nicht mal mit Heiji so offen über diesen Fall reden. Er war auf einer anderen Ebene angekommen, auf der es noch gefährlicher war, noch überlegtere Schritte und Vorsichtsmaßnahmen nötig waren... und wo er es nicht mehr riskieren wollte, auch nur eine Person mit hinein zu ziehen.
Und das bedeutete kurz und knapp: sie konnte ihm nicht helfen. Ai war zur machtlosen Zuschauerin degradiert worden, ohne dass sie es überhaupt gemerkt hatte.
Der Professor schließlich sprach das Wort aus, dem dieser Text gewidmet war.
„Doppeldenk.“
Ai sah erstaunt zu dem alten Mann. Es klang, als würde er sich an dieses Wort erinnern.
„Haben Sie... das Buch gelesen?“
„Mhm... ist aber schon ne Ewigkeit her, deshalb habe ich mich auch nur dunkel erinnert. Doppeldenk ist die Philosophie hinter der Welt von 1984. Es ist schwer zu erklären, weil die Beschreibung eine Art... Wahnsinn darstellt aus Sicht des normalen Menschen. Aber nur scheinbar, denn es funktioniert, den Menschen diesen Gedankengang aufzuzwängen.
Es heißt... einfach gesagt, zu akzeptieren, das etwas richtig ist, was richtig sein muss, egal, ob die Realität diesem offensichtlich widerspricht oder nicht.
Die Partei hat immer Recht, sozusagen kurz gefasst. Das Wesen der Gesellschaft in dem Buch fusst darauf, dass man bewusst akzeptiert, dass alles, was von der Partei kommt wahr ist und damit verbunden, da selbst sie nicht die Zukunft vorhersagen können, unter anderem, dass die Vergangenheit stets ihren Aussagen angepasst werden muss.“
Es knarrte sichtlich im Gehirn Agasas, als er anfing darin nach den Informationen zum Buch zu kramen.
Verlegen blickte er schließlich auf, kratzte sich am Hinterkopf.
„Das ist... so ungefähr auch alles, woran ich mich diesbezüglich erinnern könnte. Was das... mit dieser Person zu tun hat... weiß ich allerdings auch nicht...“
Damit stand er nicht alleine da. Auch Ai konnte höchstens vermuten, wie dieser Zusammenhang aussah.
'Entweder ist es offensichtlich, oder absurd. Dass Gin andere Leute nach seiner Pfeife tanzen lassen kann und diese gar nicht mitbekommen, dass sie ausgenutzt werden ist, so sonnenklar, dass Kudo dafür niemals einen Kommentar in so ein Buch schreiben würde. Im Gegenteil, er würde das eher als Verschwendung von Zeit ansehen, und vor allem gefährlich.
Nein, es müsste ihn eine Erkenntnis wie ein Schlag treffen, die es wert wäre, es dahin nieder zu schreiben. Die zweite Interpretation wäre, Gin täusche sich auch bewusst selbst, wie es in dem Absatz hieß, was schlicht und ergreifend Schwachsinn ist. Wenn man ihm eines nicht vorwerfen kann, dann dass er nicht die Realität kennen würde. Er ist doch genauso rational wie Kudo selbst, sonst könnte er gar nicht so gut sein, wie er definitiv in seiner Arbeit ist...
Also sprich...'
„Es ist zweiseitig.“
Ihre Gedanken wurden von Kirika unterbrochen, die sich nun wieder am Fenster platziert hatte, aber mit dem Rücken an dieses gelehnt, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt. Stur starrte sie vor sich hin, während sie sprach.
„Das eine ist, dass die wahre Überzeugung dieser Methode, die andauernde Neuerfindung der Wahrheit zugunsten dessen, was man wahr haben möchte, auch für diejenigen zutrifft, die diese Doktrin einführen. Damit erhebt man sich selbst über Zweifel, die einen ereilen könnten.
Aber auf der anderen Seite... kann man auch damit Menschen manipulieren... und sich selbst ausschließen.“
Bei diesem Satz wurden nun alle besonders hellhörig.
„Es ist dieser Gedanke... der anvertrauten Wahrheit an eine... höhere Weisheit. Wenn eine Person eine andere davon überzeugt, schlauer zu sein als man selbst, so wird diese zweite Person in gewissem Sinne abhängig von der ersten.
Wie Sie sagten, Herr Professor, wenn unumstößliche Meinungen herrschen, kann man alles ablehnen, was dieser Meinung widerspricht und allem zustimmen, was ihr zustimmt. Die Geschichte lehrt, wie in Darius' Fall, dass es möglich ist. Und allein das erlaubt es, alles anzuzweifeln, was es gibt. Daher... suchen sich die Menschen andere Wissensquellen, Vertrauen. Erwirbt sich jemand dieses Vertrauen, kann er diese Leute manipulieren, indem er ihnen Unsinn als Logik verkauft. Auch das ist ein Teil von Doppeldenk.
Eine scheinbar logische, aber fehlerhafte Argumentation aufstellen zu können... und damit durchzukommen.“
„Halt stopp! Wollen Sie behaupten... Gin zwingt anderen Leuten eine Lüge auf? Das ist so nicht wahr, er...“ Ais Protest wurde kurz unterbrochen vom ironischen Lächeln Kirikas, gefolgt von einem kurzen Kopfschütteln.
„Ich sagte nicht, er macht es, lediglich, dass es für ihn möglich wäre. Und zumindest nach außen hin macht er das doch, oder?“
Sie unterließ es, 'außerhalb der Organisation' zu sagen, um Conans Fragen aus dem Weg zu gehen. Dennoch war Ai sofort klar, was gemeint war.
'Ja... stimmt schon, er lässt die Leute, die nichts von der Organisation wissen auch in diesem Glauben... weil sie es glauben wollen. Nur deswegen kann er sie auch überzeugen. Aber das wäre dann doch auch... eine offensichtliche Nebensächlichkeit und nicht bedeutsam genug für den Eintrag.'
Es war wirklich zum aus der Haut fahren. Selbst wenn sie nun im Ansatz verstand, worauf der Textabschnitt im Buch hinauswollte, und egal wie viel sie über Gin nachdachte, sie fand den Zusammenhang nicht. Sie war wirklich abgeschlagen, fern von Shinichi, zumindest vom 'wissenden' Shinichi.
„Nun ja... wenn du das so unrealistisch findest, Ai... er ist doch nicht der Einzige, dem so etwas erstaunlich gut gelingt, oder?“
Sie sah erschrocken zu der Frau am Fenster auf.
„Leute mit scheinbar logischen Argumenten von einer Lüge zu überzeugen... Wenn Logik wirklich das ist, wofür man es hält, wenn es... eine Frage korrekt beantworten muss, wenn man wirklich sauber argumentiert...“
Die Augen Agasas weiteten sich, glitten schlagartig zu Conan, der kerzengerade im Bett saß und sie beobachtete.
„Hm. Wie... ich?“
„Tu nicht so, Conan. Du weißt längst selbst, dass auch du ein ziemlich schlaues Bürschchen bist. Und ja... du bist in einigen Dingen... Gin gar nicht so unähnlich.“
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Hallo nochmal,
wie versprochen, ich wollte noch was sagen.
Es geht um eine Weihnachtspause, die nicht zu letzt zustande kommt, weil ich selbst nicht da sein werde. Daher wird nächste Woche das letzte Kapitel für dieses Jahr kommen, und am 23. und 30.12. kein Kapitel. Dafür wird das (sehr wahrscheinlich) die letzte Unterbrechung sein und ab Januar dann die restlichen Kapitel folgen.
Nur dass ihr schon mal Bescheid wisst.^^
Also, bis nächste Woche.
Liebe Grüße,
Diracdet