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C'era una volta...

Oder ein Schal auf Schatzsuche
von

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Das Schicksal schlägt erbarmungslos zu. Besonders gegen Abend!

Es war ein lauer Spätsommertag als das Schicksal mich traf. Ich war von Bord gegangen und wollte mir den Abend in irgend einer Spelunke bei einem einigermaßen annehmbaren Biergemisch um die Ohren schlagen. Oder mich wahlweise mit irgendwelche Besoffenen herumschlagen. Ich war erwartungsfreudig, der Hafen, in dem wir seit heute vor Anker lagen, schien mir vielversprechend und unsagbar reich an verrufenem Nachtleben. Kurzum, ich war in meinem Element.

Im Nachhinein hatte ich mir oft gewünscht, ich wäre an diesem Tag einfach in meiner kleinen Kajüte geblieben, hätte mich über meine Schwestern geärgert und Mordkomplotte gegenüber meinem Vater geschmiedet. Die Alternativen erscheinen mir auch heute noch sehr freundlich.

Nun, das Schicksal traf mich mit der Faust an der Schläfe und blieb mit aufgesprungener Oberlippe auf meinem Tisch liegen. Ich war im ersten Moment zu perplex um zu reagieren, schmerzte doch mein Schädel von einer Sekunde auf die Andere und war mein halbes Gesöff verschüttet.

Das hat dem elendigen Kerl wohl das Leben gerettet, denn normalerweise handle ich eher ohne Gut und Böse meiner Taten abzuwägen. Die meisten Probleme lassen sich mit einem gezielten Stich am besten lösen.

Aber der Mistkerl auf dem Tisch bewegte sich gerade eh nicht und so hoffte ich Irrsinnigerweise, dass die ganze Angelegenheit sich von allein geregelt haben möge.

Verfluchte Socke von Davy Jones... Mittlerweile habe ich gelernt, dass nichts, aber auch gar nichts was diesen Mann angeht, mit Hoffnungen, Wünschen, Plänen oder sonstigen denkbaren Ereignissen kompatibel war. Er war ein wandelndes Phänomen an Widersprüchen gepaart mit einem Sonnenstich.

Nun saß ich da mit einem halbvollen Krug Bier an meinem Tisch, welcher zu voll mit Mensch war als das ich mein Getränk noch hätte abstellen können. Ich wollte gerade den Tisch abräumen, als der Kerl ein Lebenszeichen von sich gab und leise stöhnte. Na wundervoll. Meine Laune war im Keller, denn höchstwahrscheinlich würde der Typ nach seinem Erwachen entweder volltrunken vom Tisch kippen und mir neben die Füße kotzen oder eine weitere Schlägerei anzetteln. Und nach der stand mir auf Grund meiner malträtierten Schläfe nicht länger der Sinn. Also wünschte ich mir meine erstere Variante und kippte den Rest meines schalen Bieres über das blutverschmierte Gesicht vor meiner Nase. Hustend, spuckend und unerwartet schnell setzte sich der Kerl auf und starrte mich mit einem überraschend klarem Blick an.
 

„Äääääh..... Howdy!“
 

„Was?“ Ich war perplex. Auch das noch. Ein Ausländer. Ich hätte ihn ja doch eher dem üblichen Gesindel zugeordnet, irgendwer der eine der Sprachen spricht, die ich so zahlreich beherrsche. Aber Howdy..? Das Wort hatte ich noch nie vernommen. Es klang unfreundlich. Da er kein Hemd sondern nur einen irritierend bunten Schal trug, packte ich ihn an genau diesem äußerst unpassendem Kleidungsstück und raunzte ihn mit meiner unfreundlichsten Gossenstimme an.
 

„Willst du mich beleidigen, Bastardo?“
 

„Nein, eigentlich nicht. Das war ein Gruß.“

Oh, er war doch meiner Sprache mächtig. Er sprach sogar mit einem nördlichen Akzent in seinem Italienisch, was mir wiederum einen unerfindlichen Schauer den Rücken hinabjagte. Ich ließ ihn los und er blieb orientierungslos auf dem Tisch hocken, während er sich die nassen schwarzen Locken aus dem Gesicht wischte.
 

„Du schuldest mir ein Bier.“
 

„Tatsächlich? Nun denn, dann hol dir eines und ich bezahle.“ Er wirkte völlig klar, keine Anzeichen von Alkoholkonsum. Er zuckte zusammen, als seine Finger seine aufgesprungene Lippe ertasteten und murmelte leise Flüche in seinen Schal.
 

„Du kannst es mir holen. Immerhin bist du auf meinem Tisch gelandet und hast es verschüttet.“
 

„Ah, das ändert natürlich alles.“ Er stieg vorsichtig vom Tisch, überprüfte sein Gleichgewicht und wankte dann ein wenig eiernd zur Theke. Außer seinem Schal trug er eine dreckige hellbraune Hose, ein paar grobe Stiefel und eine dünne silberne Kette mit einem winzigen Holzkreuz als Anhänger. Er wirkte völlig deplaziert in dieser stinkenden spärlich beleuchteten Spelunke und ich hoffte, er würde mich nach meinem Bier einfach in Ruhe lassen. Als er sich über die Theke beugte, verrutschte der merkwürdige Schal und gab Teile seiner Schultern frei. Sie war ohne ein erkennbares Muster über und über tätowiert, was wiederum so gar nicht zu seinem Erscheinungsbild passte.

Er kam mit einem breitem Grinsen und zwei Krügen zurück, in denen alles nur kein Bier war. Meine Augenbraue wanderte empor und er begann ob meines fragenden Blickes wie ein kleines Kind zu kichern. Ich wollte ihn am liebsten umbringen.
 

„Hier. Der beste Rum, den der Laden hier zu bieten hat.“
 

„Ich wollte Bier. Cervesa... Oder zumindest die helle Plörre, die hier als Bier verkauft wird.“
 

„Willst du nicht, glaub mir. Ich hab gesehen, wie der Wirt hinter der Kneipe in die Fässer pisst um das Gebräu zu strecken.“
 

„Das sind Tatsachen, die normalerweise einfach nicht angesprochen werden.“ Ich seufzte. „Du bist ein kompletter Neuling, nicht wahr? Was machst du hier?“

Ich war kein undankbarer Mensch und nahm mir den Rum. Er stierte in seinen Krug, zuckte kurz die Schultern und nahm vorsichtig einen Schluck. Es schüttelte ihn und mit einem keuchenden Husten stellte er den Rum etwas zu fest wieder auf den Tisch.
 

„Ich wollte mich etwas amüsieren.“
 

„Ahja... Und darum lässt du dich ohnmächtig schlagen?“ Er mochte ein Neuling sein, aber die Feuertaufe einer jeden Hafenkneipe hatte er schon hinter sich gebracht. Mir fehlt von meiner ersten Schlägerei ein Stück meines linken Eckzahns.
 

„Der schleimige Sohn einer Hündin hat meinen Schal beleidigt!“

Ich verschluckte mich an meinem Rum und hustete ungläubig. Das war der lächerlichste Grund für eine Prügelei, den ich je gehört habe. Selbst für Besoffene. Und angesichts der Tatsache, dass dieser Schal wirklich eine Beleidigung wert war...
 

„Wegen deines... Schals?“ Ich versuchte einen Sinn dahinter zu finden. „Ist der so viel wert, oder was? Ein Erbstück?“

Er schüttelte den Kopf.
 

„Nein, den hab ich mir heute auf dem Markt erstanden. War ein echtes Schnäppchen.“

So vergnügt wie er vor sich hin strahlte, konnte ich nicht anders als meinen Rum in einem Zug herunter zu stürzen.
 

„Also hast du aus Prinzip eine Schlägerei angefangen. Weil er dich beleidigt hat?“
 

„Nein. Weil er meinen Schal beleidigt hat. Ich mag Schals.“

Ich war völlig fassungslos. Mir gegenüber saß ein absoluter Vollidiot! Ich erhob mich.
 

„Danke für den Rum. Man sieht sich...“

... hoffentlich nicht mehr. So lautete mein ergänzender Gedanke als ich mich schickte die Spelunke zu verlassen, doch dieser unfassbare Kerl packte mich an meinem Ärmel und sah mich aus großen Augen an.
 

„Ich bin noch nicht fertig. Das ist nicht sehr höflich!“

Ich gebe zu, es ist nicht schwer mich aus der Fassung zu bringen. Aber kein Mensch beherrschte es von dem ersten Augenblick an so perfekt wie dieser schalvernarrte Typ.

Ich atmete kurz durch, zählte in Gedanken bis zehn und setzte mich wieder.

Er grinste mich über seinen Rum siegestrunken an und streckte mir die Hand entgegen.
 

„Mein Name ist Captain Scarf und ich will dich anheuern!“
 

Nur über meinen toten Körper...

Die Welt ist eine große weite

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Ich hatte ihn gefunden und er war perfekt!

Ich spiele mit den bunten Fransen meines neuesten Schals und strahle zufrieden vor mich hin. Alles läuft genau nach Plan. Nur noch ein wenig taktisches Geschick und ich kann diesen ganzen Tag als Erfolg an sich verplanen.

Der Hafen hier ist überfüllt mit dem Ranz der Menschheit, keine ehrliche Seele soweit das Auge blickt, nur Betrug, Lust und Gier. Mit einem gut gefüllten Geldbeutel habe ich mir hier schnell viele Freunde machen können und habe alles bekommen, was ich gesucht hatte. Inklusive meinen neuen schönen Schal.
 

„Mein Name ist Capitain Scarf und ich will dich anheuern!“

Meinem Gegenüber springt die Fassung aus dem Gesicht. Der Junge ist amüsant, es macht einen unglaublichen Spaß ihn immer wieder aus dem Konzept zu bringen. Er versucht sich seine Gemütsregungen nicht an seinem Gesichtsausdruck anmerken zu lassen, aber wenn man einigermaßen geübt darin ist, dann ist seine Mimik ein offenes Buch.
 

„Wie... nennst du dich?“ Seine Stimme bebt ungläubig. Den Rum hatte er schon zuvor in einem Schluck heruntergestürzt, nun bleibt ihm nichts weiter als sich ohnmächtig an den Krug zu klammern. Er will sich nicht anmerken lassen, dass er mich für denn letzten Dummkopf hält.
 

„Ich nenne mich so, wie ich heiße!“
 

„Keine Mutter ist so unbarmherzig ihr Kind mit einem solchen Namen zu strafen!“

Er glaubt mir nicht und das zu recht. Aber noch lasse ich nicht locker, sondern schniefe theatralisch.
 

„Nicht, wenn sie nüchtern gewesen wäre...“
 

„Das ist nicht dein Ernst.“ Er schüttelt den Kopf und wedelt mit seinem Krug vor meiner Nase herum. Die schmerzt übrigens noch ein wenig von der Prügelei eben. Na ja, eher vielleicht meine Lippe. Dem Herrn sei’s gedankt, dass hier kein Spiegel zugegen ist. Andererseits...
 

„Hörst du mir überhaupt zu?“ Er wirkt irritiert.
 

„Äh, nein. Ich war in Gedanken gerade wo anders.“ Ich blinzle scheinbar ertappt und bemerke freudig, wie die Vene an seiner Schläfe ein wenig anschwillt. „Was war denn?“
 

„Ich frage dich wie dein Vorname lautet, Captain Scarf?“ Seine Stimme trieft vor Sarkasmus und mir läuft ein wohliger Schauer den Rücken herab. Nennt es eine Perversion, ich liebe es die Leute zur Weißglut zu bringen. Nur wütend sind sie mir lieb und teuer!
 

„Wie ich sehe, nennst du mich schon Captain. Freut mich zu hören, erster Maat!“ Ich nicke gewichtig und tausche meinen halbleeren Krug mit seinem aus. Mir schmeckt dieser Rum eh nicht. Ich mag lieber Saft. „Mein voller Name ist Captain Scarf, Captain Charles Scarf!“ Ich strahle zufrieden ob des kleinen Wortspiels. Als nächstes habe ich den verbliebene Rum im Gesicht und verschlucke mich zutiefst daran. Während ich hustend und spuckend um Luft ringe, höre ich wie mein Gegenüber so heftig aufspringt, dass sein Stuhl umkippt und zu Boden knallt. Dieses Mal schaffe ich es nicht, ihn festzuhalten. Er entwindet sich meinen Fingern und läuft zielstrebig aus der Gossenkneipe raus, instinktiv den fliegenden Fäusten einer Keilerei ausweichend. So unwahrscheinlich es auch sein mag, in diesem Moment bewundere ich ihn. An der Beiläufigkeit seiner Bewegungen lässt sich erahnen, wie viel Erfahrung er wohl in diesem Milieu haben mag. Davon kann ich nur träumen. Ich mit meinem verhätschelten Leben, der ich heute zum ersten Mal einen Schlag ins Gesicht abbekommen habe.

Ich will ihn. Seine unbeherrschte Art hinter der sich viel Herzlichkeit verbirgt, sein Wissen, was meines an praktischer Beschaffenheit doch weit übertrifft, ich will ihn unbedingt! Für meine Mannschaft. Und für mich. Er soll mir gehören.
 

„WARTE!“ Meine Stimme klingt panisch, es wird mir in dem Moment bewusst in dem ich schreie. Er dreht sich auch tatsächlich um, ein verwunderter Ausdruck auf dem Gesicht. Vielleicht verwirrt es ihn, dass ich mir eine solche Blöße zu geben scheine. Oder ist es tatsächlich einfach nur die verzweifelte Tonlage in meiner Stimme?

Ich springe ebenfalls auf, will zu ihm rennen, aber ich stolpere über meine eigenen Füße und gerate ins Straucheln. Beinahe wie ein Wunder gelingt es mir nicht zu fallen und so torkle ich ihm unbeholfen entgegen.

Er wirkt wieder gefasst, die Verblüffung ist fort, zurück ist nur noch eine leichte Verärgerung geblieben. Ich fasse wieder seinen Ärmel, stütze mich linkisch mit der freien Hand an meinem Knie an und blinzle ihn von unten hervor an.
 

„Ich... kenne deinen Namen noch nicht!“

Er entreißt mir den Ärmel mit einem Ruck und blitzt mich an. Seine Stimme ist kühl, reserviert.
 

„Ich verrate ihn auch einem Irren wie dir nicht!“

Mit diesen Worten lässt er mich stehen, geht endgültig aus der Spelunke. Ich zähle in Gedanken ruhig bis zehn, dann stiehlt sich ein kleines verräterisches Grinsen über mein Gesicht, welches ich auch bei aller Liebe nicht unterdrücken kann und dann jage ich hinterher.
 

„Hey! Warte! Erster Maat!“

Er dreht sich nicht um, beschleunigt seinen Schritt nur. Ich habe ihn da, wo ich ihn haben will. Er flieht vor mir, jagt mich aber nicht fort. Ich lege noch einen Zahn zu, hole ihn ein, ziehe an ihm vorbei und laufe vor ihm her. Um ihn sehen zu können, drehe ich mich um und laufe rückwärts. In diesen unglaublich groben Stiefeln ist das alles andere als einfach. Meine Füße sind nur weiche Schuhe gewöhnt, Stoff, der sich anschmiegt wie eine willige Magd. Aber nun werden sie von dem rauen Material gepeinigt und geschunden, ich wette, sie sind blutig in den Socken. Aber das ist recht so. Sie verdienen es, diese verdammten verhätschelten Füße!!!
 

„Was willst du?“

Die brüske Frage bringt mich fort von meinen zugegeben merkwürdigen Gedanken, was können meine Füße schon für meine bisherige verwöhnte Vergangenheit?
 

„Deinen Namen.“ Ich lächle sanft, ziele darauf ihn zu irritieren.
 

„Ich sagte dir schon, dass ich ihn dir nicht sagen werde!“

„Dann werde ich dich weiterhin erster Maat nennen!“
 

Er zuckt sichtlich zusammen und ballt die Fäuste zu Händen.
 

„Du willst, dass ich dich windelweich prügle, richtig?“

Seine Wut lässt ihn ein wenig imposanter wirken als er ist. Er gefällt mir wirklich und endlich habe ich mal die Gelegenheit ihn mir näher zu betrachten. Er ist ein ganzes Stückchen kleiner als ich, mindestens einen Kopf. Und jünger schätze ich ihn auch. Seine Haare sind glatt und von einem seltsam schwerem Schwarz, er trägt sie in einem Zopf hinten im Nacken zusammen. Sie fließen an seiner dunkel gebrannten Haut herab und umschmeicheln seine Schultern wie ein samtener Schal. Ich will so gerne meine Finger durch sein Haar wandern lassen, wissen, ob sie so seidig sind wie sie scheinen. Aber das zornige Blitzen seiner eigenwillig geformten Augen hält mich davon ab.
 

„Das meinst du ernst, nicht wahr?“ Es ist keine Frage, es ist eine Feststellung. Ich weiß genau, dass er kurz davor ist mir die Tracht Prügel meines Lebens zu verpassen. Was an sich keine große Herausforderung darstellt, immerhin liegt die letzte Portion Dresche erst eine gute halbe Stunde zurück. Ich hebe entwaffnend die Hände und beginne neben ihm zu laufen, das Gesicht in die gleiche Richtung wie er gewandt.
 

„Hör zu, ich will dich nicht verärgern.“ Ich seufze leise, schlage einen bekümmert klingenden Ton an. „Ich... kenne hier niemanden und hatte gehofft...“
 

„Seh ich aus, als ob ich zur barmherzigen Schwesternschaft gehöre?“ Er schnaubt.

Ich bleibe kurz stehen. Es dauert ein gefühltes Weilchen um zu verstehen, dass er gerade einen Scherz gemacht hat.
 

„Nein. Sonst würde ich einen großen Bogen um dich machen.“ Ich schüttle grinsend den Kopf. „Hör zu, ich erwarte nicht, dass du mir traust oder sonst irgendwas. Ich will kein Essen, keinen Schlafplatz, keine Arbeit. Ich schnorre dich um rein gar nichts an, außer eventuell etwas Gesellschaft!“
 

„Genau das ist der Haken. Ich mag dich nicht.“

Hmmm... Das hatte ich ehrlich gesagt nicht bedacht. Bisher hatte ich noch immer mit einem traurigem Lächeln aus sanften blauen Augen punkten können. Selbst bei Männern. Aber dieser Kerl hier war eine harte Nuss, eine wundervolle Eroberung.
 

„Nun, das liegt daran, dass du mich nicht kennst.“ Ich zwinkere ihm zu. Es ist gut, dass er mich nicht kennt. Wäre es anders, würde er mich wahrscheinlich schon verachten oder gar hassen. „Aber warum gibst du mir nicht einen Versuch?“

Er starrt mich verärgert an und ich kann ihm ansehen, dass es ihn frustriert meine Absichten nicht enträtseln zu können.

Ich strecke ihm meine Hand entgegen.
 

„Nur ein Versuch. Gib mir 24 Stunden um zu zeigen, dass ich nicht so schrecklich bin, wie du denkst.“

Er sieht meine Hand an. Dann mich. Dann wieder meine Hand. Er schüttelt ganz langsam den Kopf und murmelt etwas in einer mir völlig fremden Sprache.
 

„Ich werde es sicherlich bereuen. Meine Mutter sagt stets, man solle keine streunenden Hunde füttern...“

Ich lache, lasse meine Hand erhoben.
 

„Also bekomme ich meine Chance, erster Maat?“

Er schlägt ein.
 

„Mein Name ist Marco.“
 

Ich habe ihn gefunden und er ist perfekt!

Rotkäppchen hatte den großen bösen Wolf, ich einen Vollidioten!

Ich wusste kaum, wie mir geschah. Die logischste Erklärung wäre gewesen, dass mich seine Penetranz, Ignoranz und vollkommene Selbstüberzeugung mich einfach überrumpelten. Aber ich bin mir sicher ich habe damals schon gespürt, dass da mehr hinter steckte.

Dieser Captain Scarf wirkte nicht wie jemand, der viel Seemannsgarn erzählte. Er schien eher von durch und durch ehrlicher Natur zu sein.

Heute weiß ich, dass er ein begnadeter Schauspieler und Trickser war. Auch damals schon! Und ich bin immer wieder auf seine Spielchen hereingefallen.

Dies war das erste Mal und ich war mir schon beim Einschlagen sicher, dass ich es bitterlich bereuen würde. Wie recht ich doch hatte.
 

„Nun denn, Marco.“ Er rieb sich wie ein kleines Kind die Hände und sah mich gespannt an. „Worauf hättest du jetzt Lust?“
 

Er wollte er auf den besten Freund des Universums machen und mich überzeugen, dass ich gar nicht anders konnte als ihn zu mögen und nun sollten wir machen, was ich wollte? Das war eine klare Herausforderung!
 

„Meinen Ausflug in die Kneipe hast du mir ja schon gründlich verdorben. Aber ich hab Hunger. Lass uns auf den Markplatz gehen und ein wenig was zu Futtern klauen.“
 

„Das klingt nach Spaß!“
 

Ich hatte eher mit einer entsetzten Reaktion gerechnet, ein entrüstetes Aufbegehren und eine kleine moralische Predigt. Stattdessen schien er völlig Feuer und Flamme für die bevorstehende Missetat zu sein. Aber ich war skeptisch, wollte ich doch nicht für die Fehler eines Laien büßen müssen. Die Neunschwänzige ist der stete Feind eines unehrlichen Mannes, wenn er einmal mit ihr Bekanntschaft gemacht hat.
 

„Hast du überhaupt jemals zuvor in deinem Leben etwas geklaut?“
 

Er lachte fröhlich und schritt mit weit ausgreifenden Schritten neben mir her. Ich musste mich anstrengen um mit ihm mithalten zu können. Seine Beine waren so viel länger als meine.
 

„Ach, niemals. Ich hab bisher immer alles kaufen können, was ich wollte.“
 

Genau das hatte ich befürchtet. Er war ehrlich bis auf die Knochen, ein reines weißes Blatt.
 

„Aber ich lerne schnell. Und ich kann Leute in ein Gespräch verwickeln, während du die Sachen einsteckst.“
 

Ich revidierte mein Urteil. Er wirkte bloß ehrlich, aber sein Wunsch mit dem Gesetz zu brechen grenzte schon beinahe an Besessenheit.
 

„Wenn du das meinst, dann probieren wir es. Aber ich hoffe für dich, dass du schnell laufen kannst!“
 


 


 

Dieser kleine Raubzug war so ergiebig wie nie einer zuvor. Scarf, ich entschied mich das Captain wegzulassen da es mir eine einzige Pein war, hatte nicht übertrieben. Er konnte den Leuten selbst mit einem Knebel im Maul einen Knopf an die Backe labern. Die Männer und Frauen an den Ständen waren so eingenommen von den Begehren des auffälligen jungen Mannes, dass ich mir die Taschen bis zum Bersten füllen konnte.

Anschließend saßen wir auf einer Hafenmauer, verdrückten das geklaute Essen in wohliger Stille und beobachteten kauend das geschäftige Treiben um uns. Natürlich war es Scarf, der das gefräßige Schweigen durchbrach.
 

„Wir arbeiten gut zusammen.“
 

Er versaute mir meine gute Laune sobald sie aufkam. Ich strafte ihn mit einem genervtem Blick, konnte aber die Wahrheit hinter seinen Worten nicht ignorieren. Also grunzte ich nur unbestimmt und steckte mir ein Stück frisches Backwerk zwischen die Zähne.
 

„Du hast wirklich geschickte Hände. Äußerst nützlich für praktische Arbeiten an Bord...“ Dieser Kerl wagte es doch tatsächlich verträumt zu lächeln und mir kochte die Galle hoch.
 

„Hast du überhaupt auch nur den leisesten Schimmer vom Leben an Bord?“ Ich hätte ihm am liebsten mein Knie in den Magen gerammt.
 

„Ja, hab ich.“ Scarf lächelte mich verschwörerisch an. „Ich kann navigieren und kenne mich recht gut mit der Astronomie aus. Ich verstehe so einiges vom Segeln, womit ich meine einen Kurs befolgen zu können. Die technischen Aufbauten eines größeren Schiffes sowie die Funktionen von Segeln, den ganzen Tauen, Klüvern und allem sind mir ebenfalls vertraut und außerdem...“
 

Ich spuckte auf den Boden.
 

„Und außerdem klingst du wie eine Landratte, die alles trocken gelernt hat, aber noch nie einen Fuß an Deck gesetzt hat!“
 

Zu meinem eigenen Erstaunen nahm sein Gesicht einen ertappten Ausdruck und er zuckte verlegen mit den Schultern.
 

„Das mag sein. Und außerdem habe ich ein Schiff.“
 

Ich konnte nicht anders als den Kopf in den Nacken zu werfen und zu lachen. Dieser Kerl war doch echt ein wandelnder Witz. Wenn auch ein zugegeben manchmal recht trauriger.
 

„Ja.. Wahrscheinlich eine lecke kleine Schabracke. Oder höchstens ein Dingi!“
 

Er schmunzelte gelassen und ließ sich von meiner Provokation kein Stück aus der Ruhe bringen. Wie ich es hasste, dass alle Stichelein und Beschimpfungen an ihm abperlten wie von einem Messingschild!
 

„Nicht ganz. Tatsächlich handelt es sich um einen fünf Jahre alten Zweimaster, gut in Schuss, abgesehen von einer dicken Kruste Muscheln am Kiel. Aber ich habe den Auftrag gegeben ihn zu reinigen, die Decks auszubauen und den Kahn mit ordentlichen Kanonen zu versehen.“ Scarf wirkte wie ein kleiner Junge vor einem neuen Dreidel, den er sich schon gar lange gewünscht und endlich bekommen hatte.
 

„Du... lügst!“
 

Wieder blieb dieser kleine Mistkerl völlig ruhig und lächelte mich mit einer Bestimmtheit und Ruhe an, die mich beinahe aus der Haut fahren ließ.
 

„Nein. Das tue ich nicht.“
 

„Kein abgewrackter Penner wie du besitzt einen Zweimaster, den er mal eben so gemütlich in ein halbes Kriegsschiff umbauen lässt!“ Ich warf erbost meinen angebissenen Apfel zu Boden und zertrat ihn, sodass der Saft nur so um meine schweren Stiefel spritzte.
 

„Hmmm... Wenn du es dir nach den 24 Stunden anders überlegt und eingewilligt hast, mein erster Maat zu werden, dann werde ich dir mein zukünftiges Piratenschiff bereitwillig zeigen.“
 

„Dein... Piratenschiff?“ Meine Stimme rauchte mir vor Wut in den eigenen Ohren.
 

„Ja. Ich habe mir das Schiff zum Zwecke der Piraterie gekauft!“
 

Das war genug. Ich schlug ihn mit der geballten Faust ins Gesicht und zum zweiten Mal innerhalb weniger Stunden platzte seine Lippe auf. Der Mistkerl ging aufstöhnend in die Knie, spuckte etwas Blut neben meinen zermanschten Apfel und hielt sich leise keuchend den malträtierten Kiefer.
 

„Hör auf dich über mich lustig zu machen! Ein Piratenschiff kauft man nicht, du Bastard!“

Ein wenig Genugtuung durchströmte mich, ich hatte die Schnauze gestrichen voll von diesem Sohn einer Kielsau!
 

„Wie kommt man als Pirat sonst an ein Schiff?“

Die Antwort kam gedämpft hinter der blutüberströmten Hand hervor und sein Blick war fest auf den Boden gerichtet. Ich hätte nur zu gerne das Gesicht von diesem Pisser gesehen, seine Qualen, seine Schmerzen und mit etwas Glück seine Tränen. Aber er tat mir nicht den Gefallen aufzusehen. Also war ich gezwungen, meine schweren Stiefelkappen gegen sein Schienbein knallen zu lassen damit ich endlich freie Sicht auf seine leidende Fresse haben konnte. Er steckte den Tritt ohne zu Zucken ein.
 

„Wie ein Pirat an ein Schiff kommt? Er kapert es!“ Dieses Mal trat ich ihn mit deutlich mehr Schwung in die Seite, ich hörte seine Rippen knarren und er ging ächzend zu Boden. Dort blieb er liegen, mit dem Gesicht im Dreck, die besudelten Hände in den Straßenschmutz gegraben. „Er nimmt es sich einfach! So eine Tat macht einen Mann erst zum Piraten!“
 

Scarf rührte sich nicht, ich sah ihn schwerfällig atmen.
 

„Und... wie...?“, begann er seine Frage, unbewegt dort liegend, mit röchelnder Stimme und einem unterdrückten Husten darin. „... wie kommt.... dann der Pirat... an das Schiff, welches er kapern will?“
 

Ich hatte gerade ausgeholt um ihm als nächstes auf die Finger zu treten, erstarrte aber mit angewinkeltem Bein.
 

„Hä..? Was... was meinst du..?“
 

Scarf hustete schwer, rang keuchend nach Atem und ließ sich auf den Rücken fallen. Auf seinem Gesicht lag ein irres Grinsen, in seinen Augen glomm der Sieg und ich war verführt, ihm in die Fresse zu treten.
 

„Wie kann... ein Pirat ein Schiff kapern, wenn er selbst... nicht auf einem ist?“
 

Ich zuckte zurück, stellte den schweren Stiefel wieder auf den Boden.
 

„Ich... verstehe nicht...?“
 

Scarf kicherte heiser, röchelte mit einem Mal merkwürdig und setzte sich hustend auf. Ich wartete den Anfall ab, scharrte im wahrsten Sinne des Wortes aber ungeduldig mit den Füßen, bereit für den nächsten Tritt.

Er räusperte sich von dem Grund seiner Seele aus und spuckte eine ordentliche rotgelbe Lache auf den Boden.
 

„Du verstehst nicht? Denk doch mal nach, du weiser Pirat. Ich bin mein Leben noch nie auf See gewesen. Wie soll ich auf einen Piratenkahn kommen und diesen dort kapern? Wer würde auf eine ahnungslose Landratte wie mich hören und mit mir meutern?“ Seine Finger tasteten grob über seine Rippen, er schnaubte geringschätzig und rappelte sich wieder auf. „Selbst wenn ich mir meinen Anfang derartig erkaufen muss! Ich werde ein Piratencapitain, dessen Name weltweit bekannt wird!“

Sein übliches Lächeln war völlig verschwunden, er wirkte absolut ernst, beinahe manisch. Mit seiner blutverkrusteten Lippe sah er beeindruckend und schon fast furchteinflößend aus. Er verstrahlte eine Aura von Selbstüberzeugung und tödlicher Wut, was mich absolut verwirrte. Ich hatte ihn für einen Idioten gehalten, jemanden ohne Verstand und Reflexionsvermögen.

Nun wurde mir klar, dass er gerissen war, ein perfekter Schauspieler mit klaren gnadenlosen Zielen.

Dennoch... so herauszubrüllen, dass er der Captain einer Piratenmannschaft werden wollte...? Irgendwo war er doch ein Vollidiot, aber so etwas von.

Jeder Mensch ist käuflich, lediglich der Preis variiert

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Eine der wenigen Erinnerungen an mein Vater ist ein gemeinsamer Nachmittag, welchen wir auf dem Markt verbrachten. Damals sagte er mir, dass jeder Mensch käuflich ist, die Huren und Säufer am ehesten. Aber ausgenommen sei keine Seele, manchmal müsse man nur besonders tief in die Tasche greifen.

Und er gab mir damals noch ein Rat: Mein Sohn, selbst wenn dir ein Mann, der nichts hat, seine Tochter als Pfand für die nächste ausstehende Zahlung anbietet, jage ihn zum Teufel und lass ihn seine Göre an ein Bordell verkaufen. Du hast nur Scherereien mit einem solchem Luder und musst hinterher noch mehr Mäuler stopfen.

Ich weiß bis heute nicht, ob er aus Erfahrung gesprochen hat. Damals war ich gerade einmal vier Jahre alt, verstand den Sinn seiner Worte nicht, erachtete sie aber als wichtig und trug sie in meinem Herzen. Und bald erkannte ich, dass er recht hatte. Ob ich mir Freunde mit Süßigkeiten kaufte, die warme Umarmung einer adeligen Maid... nichts war unerreichbar.

Aber jetzt gerade bin ich davor aufzugeben. Der Preis, den dieser Marco da von mir verlangt, ist zu hoch. In einem Moment der Wut hatte ich ihm das Angebot offeriert, aber nun will ich es lieber zurückziehen. Marco verlangt die Wahrheit und diesen Preis bin ich nicht bereit zu zahlen!

Also ignoriere ich die Schmerzen in meinem Gesicht und an meiner Seite und mache mich auf das kommende Feilschen gefasst. Ich spüre, wie sich meine Miene lockert, sich ein Lächeln auf meine aufgesprungene Lippe legt und ich mich wieder unter Kontrolle habe.
 

„Nun... soweit mein Plan. Aber um ein großer Captain zu werden, bedarf es eines fähigen ersten Maats. Und dafür habe ich dich vorgesehen.“

Ich klopfe mir den Dreck von der Hose, beobachte Marcos Minenspiel aus dem Augenwinkel.

Erst scheint er noch erstarrt wegen meines vorhergegangenen Ausbruchs, aber so langsam fängt er sich. Seine Augenbrauen rutschen kritisch nach unten und so nah zusammen, dass sie sich fast berühren. Zwischen ihnen bildet sich eine Falte, die für einen kurzen Moment meine gesamte Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt. Seine Haut ist noch weich, kaum ein Anzeichen von Bartwuchs.
 

„Warum... ausgerechnet ich? Kannst du nicht jemand anderen nehmen und ihm auf die Nerven gehen?“
 

Ich muss zugeben, das ist eine berechtigte Frage seinerseits. Also tue ich ein paar Sekunden so, als würde ich ernsthaft darüber nachdenken und tippe mir dann an meine arme schmerzende Lippe.
 

„Nein, tut mir leid. Die Vorhersehung hat bestimmt, dass du mein erster Maat wirst und niemand anderes! Und dabei bleibt es.“
 

Marco verdreht die Augen, flucht leise vor sich hin und starrt mich leicht erbost an.

„Vorhersehung? Nur Narren glauben an das Schicksal!“
 

Dies wiederum entlockt mir ein aufrichtiges Lachen.
 

„Dann bin ich ein Narr. Ich glaube an so etwas und soweit ich weiß, sind alle Seemänner sehr abergläubig.“
 

„Nur die, die eh nicht lange leben. Aberglaube macht die Männer zu ängstlich und dann sind sie zu nichts zu gebrauchen.“ Er scheint sich beruhigt zu haben, von ihm geht im Moment keine aggressive Ausstrahlung aus und auch sein Ton ist eher einer plaudernden Lage gewichen.

Fast schade. Seine Augen blitzen herrlich, wenn er wütend ist und seine Gesichtsfarbe wechselt schneller als die eines Chamäleon. Abgesehen davon wird seine Körpersprache immer unbeherrschter je mehr er sich aufregt und es macht mir Spaß ihn in diesem Zustand zu beobachten.

Aber ich habe nur einen beschränkten Zeitraum gewehrt bekommen, indem ich Marco für mich gewinnen muss. Und weitere Zwiste sind da nicht gerade förderlich.
 

„Kennst du in diesem Hafen eine Herberge, die für saubere Betten und warmes Wasser bekannt ist?“

Ich muss dringend mein Gesicht waschen, so vollgeblutet und verdreckt wie jetzt im Moment war ich noch nie zuvor in meinem Leben. Und das beschert mir ein nicht gerade wohliges Gefühl. So sehr es mich auch ärgert, aber ich kann ein wenig Eitelkeit einfach nicht abstreifen. In diesem Punkt werde ich niemals so werden können wie der einfache Junge von der Straße.
 

„Ja, da hinten gibt’s so ein Haus, ist jedoch ziemlich überteuert. Aber wenn du solche Ansprüche stellst, dann...“
 

Ich winke ab.
 

„Geld ist nicht das Problem.“ Ich bemerke seine Irritation und muss schmunzeln. „Wirklich nicht. Meinst du etwa, ich wäre ein Hochstapler?“
 

Er schnaubt und zuckte die Schultern. Während er spricht, macht er auf den Hacken kehrt und steuert die besagte Herberge an.
 

„Nein, aber ich denke du bist ein Idiot so lauthals mit deinem Geld zu prahlen. Dir wird noch jemand die Kehle durchschneiden. Und höchstwahrscheinlich werde ich es sein!“
 

Ich schließe schnell zu ihm auf, meine Schritte greifen sehr viel weiter als seine. Er ist ungewöhnlich klein und ich mag es auf seinen Schopf herabzublicken. Ich kann die Wirbel in seinem schwerem Haar sehen, die weiße Haut darunter. Warum faszinieren mich an diesem wildfremden Jungen so belanglose Kleinigkeiten? Mir fallen Dinge an ihm auf, die mir bei keinem Mädchen sonst ins Auge gesprungen sind... Ist es tatsächlich meine neue Lebenslage, die mich so anders empfinden lässt? Ich hätte schon viel viel früher aus meinem Leben ausbrechen sollen.
 

„Es wäre dumm mich wegen des Geldes zu ermorden, welches ich bei mir trage.“ Ich schlage einen lässigen Ton an, wohlwissend dass ein normaler Mann mit meinem Geldbeutel wohl einige Wochen dauerbesoffen sein könnte. „Ich habe woanders noch so viel mehr und tot könnte ich niemandem verraten, wo es ist.“ Ich zwinkere Marco zu. In seinen Augen blitzt eine verschlagene Gier auf. Ich werfe einen Köder aus, habe mehrere aber noch in der Hinterhand. „Willst du das Geld haben?“
 

„Hmm... Willst du um dein Leben betteln?“ Er grinst mich herausfordernd an.
 

„Das hätte wohl kaum einen Sinn.“ So irritiert wie er mich anschaut muss ich kichern. „Ein so gnadenloser Pirat wie du wird wohl kaum so weichherzig sein und mich für ein paar tausend Dublonen am Leben lassen.“
 

„T... tau...send?“ Seine Stimme wird ein Flüstern, seine Augen reißt er ganz weit auf.

Ich gebe mich ertappt, kratze mich linkisch am Hinterkopf und ziehe zerknirscht eine Schnute. Was weh tut, weil ich schon wieder meine kaputte Lippe vergessen habe.
 

„Ahje... Schon wieder verplappert.“

Ich seufze leise und bleibe vor der Herberge stehen. Von Außen sieht sie hochtrabend aus, aber bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es mehr Schein als Sein ist.

Das auf Hochglanz polierte Schild mit der Aufschrift „Zur güldenen See“ hängt etwas schief und die Fenster könnten auch einmal eine Säuberung vertragen. Dieses Haus ist mir direkt sympathisch. Ich trete ein und muss blinzeln, da ich wegen der Helligkeit draußen hier drinnen nicht mal die Hand vor Augen sehen kann. Marco läuft unbeirrt direkt in mich rein und flucht leise über mein Unvermögen ein Haus vernünftig betreten zu können. Aus einer Ecke links von mir erklingt eine rauchige Stimme und langsam kann ich die Figur einer verbrauchten älteren Frau ausmachen.
 

„Was wollt ihr Drecksbengel hier? Die Kneipe ist eine Tür weiter links!“

Ich setze mein freundlichstes Lächeln auf, trete an den Tresen, hinter dem der Schießköter von einer Frau hockt, und schlage einen geschäftlichen Ton an.
 

„Wir haben die richtige Tür gewählt, verehrte Dame. Wir wünschen ein Zimmer für den heutigen Tag und die Nacht, selbstverständlich mit zwei getrennten Betten. Mein Freund und ich haben zudem von Eurer vorzüglichen Küche gehört und begehren daher auch eine warme Mahlzeit zu Abend.“
 

Als Antwort erfolgt erst ein zweifelndes Schweigen, dann geht mein Gesprochenes durch die verkalkten Windungen ihres Hirnes und sie starrt mir mit offenem Mund an. Ich kann mir ein kleines ironisches Aufseufzen nicht verkneifen, da fängt die alte Hexe doch tatsächlich an zu lachen.
 

„Als ob ihr kleinen Bastarde Geld hättet! Raus mit euch, Gesindel! Oder ich hole den Hund!“

Sie schlägt auf den Tresen und baut sich bedrohlich dahinter auf. Sie ist dick und sie stinkt ungewaschen. Nicht unbedingt die beste Werbung jemanden wie die alte Schabracke an den Empfangsplatz zu setzen.

Marco stellt sich neben mich und holt tief Luft um dem Weib irgendetwas Unverschämtes an den fettigen Schädel zu werfen, aber ich habe keine Lust mir noch eine andere Herberge zu suchen. Es gefällt mir hier. Also lege ich meinem Begleiter eine Hand auf die Schulter und beuge mich zu ihm herab, bis meine Lippen beinahe den äußeren Bogen seines Ohres berühren. Seine Haare kitzeln meine malträtierten Lippen und ich spüre ihn jäh unter meiner Hand erschauern. Dummerweise vor Wut, nicht vor Behagen.
 

„Lass mich das regeln“, wispere ich leise und lange in meinen Beutel, der von meinem Gürtel herabbaumelt. „Sieh zu und lerne.“
 

Ich bin mir ziemlich, dass Marco mir für den überflüssigen Körperkontakt später eine reinhauen wird und schon bereue ich die Minuspunkte, die ich mir auf meiner Werde-bester-Freund-Skala eingefahren habe.

Zwischen meinen Fingerspitzen halte ich eine kleine runde silberne Münze, welche ich gut sichtbar für die Alte empor halte. Ich lasse sie langsam zwischen meinen Fingern wandern und nehme meine andere Hand von Marcos Schulter. Die Augen des Weibstücks haben sich an dem Geldstück festgesogen, sie giert und geifert stumm danach und ich spüre ein hämisches Lachen in meiner Brust. Aber ich verkneife es mir, ich will ja schließlich mein Ziel erreichen und hier mein Zimmer haben. Aus dem Augenwinkel zwinkere ich Marco zu, der sich genervt abwendet.
 

„Nun denn. Welches Zimmer dürfen wir beziehen?“
 

Das Weib lässt den Blick nicht von der Münze, sie schluckt laut hörbar und spricht leise:
 

„Nehmt... das Zimmer die Treppe hinauf genau geradeaus. Das ist unser bester Raum, mein Herr!“
 

„Ich danke Euch.“

Anstatt die Münze auf den Tresen zu legen, schnipse ich sie empor und gehe zur Treppe. Ich höre das Metall auf den Boden aufschlagen, gefolgt von dem weichen Geräusch des runzeligen Körpers der Alten, die grunzend die Erde absucht. Als ich mich umdrehe, schaue ich direkt in Marcos angewidertes Gesicht und ich kann nicht ausmachen, ob es der Hexe oder meinem versnobten Benehmen gilt. Ich bleibe am Treppenansatz stehen, verneige mich leicht vor meinem zukünftigen ersten Maat und deute hoch.
 

„Nach Ihnen, der Herr.“
 

„Hör mit diesem dämlichen Theater auf!“

Mies gelaunt stampft er an mir vorbei und ich pfeife fröhlich ein kleines Liedchen. Während ich die Stufen erklimme, drehe ich mich noch mal um und beobachte das hutzelige Weiblein, wie es gierig schnaufend unter einen Tisch robbt.

Mein Vater hatte ja so recht.

Drei Wünsche sind das Maximum in jedem Märchen, nicht in meinem!

Auch wenn ich es niemals freiwillig ausgesprochen hätte, irgendetwas faszinierte mich an Scarfs Art. Nicht unbedingt im positiven Sinne, wohlgemerkt. Er tat unbeirrt das, wonach ihm der Sinn stand und er kam damit durch.

Was an sich nichts Überragendes ist wenn man auf einem Piratenschiff dient, da gibt es eine Menge Kerle, die es mit dem Wollen und Dürfen nicht so genau nehmen.

Aber Scarf beherrschte die Fähigkeit, seinen Willen mit einer eigenartigen Mischung aus legalen und unrechten Mitteln durchzusetzen. Der verdrehte Kerl hatte Geld im Überfluss, aber es war mehr als sonnenklar, dass er seine Reichtümer nicht auf sauberem Wege erworben hatte.

Es stand mir allerdings nicht unbedingt der Sinn danach seine beknackten Aktionen zu hinterfragen, denn solange ich meine Spaß dabei hatte, war ich zufrieden. Und nun hatte ich ein wunderbar weiches Bett in Aussicht, wahrscheinlich ziemlich frei von Wanzen und Flöhen. Nach einem nervlich leicht aufreibenden Nachmittag wie diesem klang es durchaus verlockend. Ich verspürte den Drang Anlauf zu nehmen und mich mit Schwung auf die mit Federn gestopfte Matratze zu werfen, aber diese Blöße wollte ich mir vor dem beknackten Kerl nicht geben. Ich ging lediglich mit etwas schnellerem Schritt auf das Bett am Fenster zu und ließ mich mit dem Hintern voran darauf fallen. Herrlich! Meine Hängematte auf dem Schiff war nicht verachtenswert, immer sauber und weit außer Reichweite der unvermeidlichen Nager, aber das hier war göttlich.

Scarf beachtete mich nicht weiter, sondern wusch sich so gut es ging in der Waschschüssel und so konnte ich ungehindert dem Kind in mir frönen, was mir mit meinen erwachsenen 16 Jahren damals noch nicht vollends entfremdet war. Ich hüpfte mit dem Gesäß ein wenig auf und ab und erfreute mich an der Sprungkraft. Ich bin dem weisen Gott so dankbar, dass Scarf sich in diesem Moment nicht umdrehte, sonst würde ich auch heute noch vor Scham sterben. Was auch immer ich mir dabei gedacht hatte mich so aufzuführen!

Er war dann irgendwann damit fertig sich in der Schüssel zu ertränken und sah auch tatsächlich menschlicher aus denn je. Mein erster Eindruck war schließlich ein blutiger. Abgesehen von der noch recht angeschwollenen und etwas verkrusteten Unterlippe sah man Scarf seine letzten wohlverdienten Peinigungen nicht mehr an und er hatte auch schon wieder dieses ständige debile Grinsen im Gesicht, welches mich ohne wirklichen Grund jedes Mal aufs Neue nervte.
 

„Was?“
 

Anstatt ertappt wegzuschauen, grinste er mich weiter frohen Mutes an und ich überlegte seine Gastfreundschaft zum Teufel zu jagen und mich zu verpissen. Immerhin tat ich mir seine Gegenwart freiwillig an und ich hatte die Möglichkeit das zu ändern. Ich hatte ihm zwar 24 Stunden gegönnt meine Meinung zu ändern, aber die Garantie, dass ich mein Wort auch halten würde, war von Anfang an nicht gegeben.
 

„Dir scheint es hier zu gefallen.“
 

„Ist ganz annehmbar.“
 

Er lachte! Wie konnte er nur meine offensichtliche Erniedrigung mit einem Lachen abtun?
 

„Und hat man auch ne schöne Aussicht?“
 

„Hä?“
 

„Nun, du hast so direkt das Bett am Fenster angesteuert, da dachte ich, vielleicht hast du da draußen schon was oder wen nettes gesehen.“
 

Ich verdrehte die Augen, kniete mich ans Fenster, öffnete es und schaute hinaus. Neben mir bog sich die Matratze etwas tiefer als Scarf zu mir kletterte und ebenfalls einen Blick hinaus warf.
 

„Der Ausblick ist doch ganz hübsch. Man kann bis zum Marktplatz schauen.“

Er freute sich wie ein kleines Kind und ich versuchte ihn mir PROBEWEISE mal als Captain eines Piratenschiffes vorzustellen. Über den Gedanken, wie er wild lachend und jubelnd das Steuerrad hin und her zerrte und somit alles ins Verderben riss ging das Ganze allerdings nicht hinaus und ich schüttelte seufzend den Kopf.
 

„Gefällt dir nichts?“

Scarf klang ein weniger verwundert und hängte sich anschließend hingebungsvoll aus dem Fenster. Es wäre nur ein kleiner Stoß gewesen, der mich von diesem schaltragenden Martyrium befreit hätte, ein winziger kurzer Stoß!
 

„Die Kleine da ist aber eigentlich doch recht süß. Hast du dermaßen hohe Ansprüche?“
 

Es wunderte mich beinahe, dass er tatsächlich so etwas Banales wie ein hübsches Mädchen ansprach. Irgendwie hatte ich das nicht erwartet, sei es wegen seiner Beharrlichkeit meiner Person gegenüber oder einfach nur, weil er völlig lebensunfähig schien. Also schluckte ich meinen Ärger herunter und folgte seinem Blick. Dort unten am Straßenrand standen zwei Mädchen, die Eine war erst gerade dabei fraulich zu werden, die Andere war da schon etwas üppiger bestückt. Aber an sich waren Beide nicht mein Geschmack, zu gewöhnlich, zu fad. Ich war schon immer eher an auffälligeren Mädchen interessiert gewesen, welche, die schwer zu erobern waren da sie sich ihrer Besonderheiten bewusst waren.

Scarf schien sich da aber eher mit dem Durchschnitt zufrieden zu geben.
 

„Die kannst du gerne haben, die mache ich dir nicht streitig.“
 

„So?“ Er klang interessiert. „Was ist denn eher dein Geschmack?“
 

Ich runzelte die Stirn und sah mich genau um.
 

„Hmm... Zum einem bevorzuge ich Mädchen mit Stil. Solche, die nicht für jeden Kerl die Beine breit machen. Zum anderen...“

Ich wurde von seinem abrupten Gekicher unterbrochen und das, obwohl er sich sofort die Hände vor den Mund geschlagen hatte. Ich hoffte, dass es weh tat.

„Was? Warum lachst du?“
 

„Weil Mädchen das käuflichste Volk von allen sind!“
 

Ich starrte ihn an, unsicher ob ich ihm wieder eine aufs Maul geben sollte. Er tat so allwissend, dieses kleine verhätschelte Muttersöhnchen. Hatte wohl schon alles erlebt, schon alles gesehen.
 

„Ahja...!? Und das weißt ausgerechnet du?“
 

„Sicher.“ Er grinste mich überzeugt an. „Ich werd’s dir auch beweisen, wenn du willst.“
 

Nur ein kleiner Schubser. Ich weiß bis heute nicht, was mich bedauerlicherweise davon abhielt.

Ich schnaubte genervt, aber die Herausforderung reizte mich.
 

„Und wie willst du das anstellen, Schwachkopf?“
 

Er deutete mit der Hand aus dem Fenster.
 

„Such dir ein Weib aus, egal welches. Irgendeines, welches dir gefällt und mit du gerne ein paar Stunden in diesem Bette verbringen willst. Und dann werde ich zu ihr gehen, mit ihr kurz reden und sie wird dich mit Vergnügen bespaßen.“

In seinen Augen leuchtete ein merkwürdiger Funke, so als würde er sich gerne messen wollen aber ihn auch gleichzeitig der Unvernunft schelten.

Aber das Angebot war gut. Ich schaute aus dem Fenster und suchte nach einem Mädchen, dass mir sowohl gefallen als auch eine unüberwindbare Herausforderung für den selbstsicheren Idioten darstellen sollte. Es dauerte eine Weile bis ich mein perfektes Ziel entdeckte, aber das war es wert.

Sie war eine richtige Schönheit, langes wallendes dunkelbraunes Haar, blasse Haut und von nicht ganz schlanker Statur. Ihr Gesicht war klar geschnitten, hohe Wangenknochen, volle Lippen und dunkle Augen. Ein Blick genügte und mein Blut geriet in Wallung. Mit einem beinahe dämlichen Grinsen wandte ich mich an Scarf.
 

„Siehst du die Kleine da unten? Mit dem roten Schirm?“
 

Da sie alles andere als unauffällige Kleidung trug, war es ein leichtes selbst für den Deppen neben mir sie zu finden. Er betrachtete sie kritisch.
 

„Eine Neureiche? Na, von mir aus. Und ich dachte, du machst es mir schwer!“ Schulterzuckend stand er auf, richtete den Schal an seinen Schultern und bedachte mich eines strengen Blickes. Ich war bemüht mir meine Verwirrung nicht anmerken zu lassen, schließlich war das Mädchen dort unten eindeutig von adeliger Herkunft und somit unerreichbar für mich Straßenköter. Aber er schien nicht einmal beeindruckt, eher gelangweilt und schon beinahe enttäuscht zu sein. Zum Teufel mit diesem Bastard!
 

„Bleib einfach am Fenster, schau hinaus, meinetwegen auch zu ihr.“ Er gab mir ruhig Instruktionen, wohlwissend, dass ich schon wieder wütend war. „Mach, wonach dir die Lust steht, aber eine Auflage bekommst du. Versuch nicht zu Grinsen. So wie gerade.“ Er schlenderte betont lässig zur Tür hinüber. „Dann siehst du nämlich wirklich hohl aus, mein Freund!“
 

Bevor ich an der Tür war und ihm etwas, vorzugsweise schwer oder sehr scharf, an den verwünschten Schädel werfen konnte, war er schon aus der Herberge raus und ich trollte mich zurück an das Fenster. Ich muss zugeben, ich war mehr als nur neugierig, wie er es anstellen wollte mir dieses Mädchen gefügig zu machen.

Er steuerte ohne Umwege auf sie zu, ignorierte ihre Begleitung, ebenfalls zwei recht hübsche Mädchen sowie einen hochnäsig dreinschauenden Kerl in zu enger Kleidung. Scarf verbeugte sich galant und scheinbar äußerst geübt, doch ich konnte nicht hören was er sagte, da sie zu weit entfernt waren. Er stand mit dem Rücken zu mir, sodass ich das Geschehen anhand der Reaktionen der Mädchen und des Dieners lesen musste. Die Vier wirkten erst irritiert und der streng gekleidete Kerl wollte den selbsternannten Captain wegscheuchen, aber Scarf ließ dessen Bemühungen kalt und schnell wendete sich das Blatt. Er schien Sachen zu sagen, die die Mädchen zum Kichern brachten, wahrscheinlich irgendwelche Komplimente. Nach und nach gingen die Damen auf das Gespräch ein und nach nicht einmal zwei Minuten unterhielten sie sich angeregt. Die Mädchen scharrten sich um den Kauz und ließen ihren Aufpasser links liegen. Sie lachten und scherzten ausgelassen, den Klassenunterschied ließen sie völlig außer Acht, abgesehen von diesem Diener.

Nach einiger Zeit nahm Scarf meine Auserwählte zur Seite, legte den Arm um ihre Hüfte und drehte sie in meine Richtung. Er zeigte mit dem Finger auf mich und flüsterte ihr vertrauensvoll ins Ohr. Ich war zu perplex um auch nur irgend eine Mimik hervorzubringen, konnte ich mir doch einfach nicht vorstellen, was dieser Teufelskerl mit seiner direkten Art da vorhatte. Oder wie er gedachte an sein Ziel zu kommen. Es war mir einfach ein Rätsel.

Scarf strich ihr volles Haar zurück, raunte ihr etwas zu und ihr Gesicht wurde weich. Er griff ihre Hände, drückte sie kurz und wandte sich dann wieder den anderen beiden Mädels zu. Meine Auserwählte machte sich stattdessen unglaublicherweise in meine Richtung auf, blieb kurz unter meinem Fenster stehen und schaut zu mir auf. Sie schenkte mir ein bezaubernd trauriges Lächeln und trat ein. Ich blieb wie erstarrt auf dem Bett sitzen, unfähig zu verstehen, dass Scarf mir tatsächlich dieses Mädchen klar gemacht hatte. Eine aus der Oberschicht, eine Reiche.

Ein letzter Blick aus dem Fenster bescherte mir einen Ausblick auf das breite Grinsen des Schalfanatikers, da klopfte es zaghaft an meiner Tür.

Mein Hals fühlte sich unglaublich rau an und meine Stimme war vor Erregung heiser.
 

„Herrein?“

Manche Dinge lernt man erst beim Aufräumen

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Hach, ich hoffe inständig, dass ich dieses Gesicht niemals vergessen werde. Marco kann nicht fassen wie ihm geschieht. Oder er mag es nicht fassen. Oder doch, er wird es schon fassen wollen, immerhin wird dieses Mädchen ihm nun ein schöne Zeit verschaffen.

Während der aufsichtshabende Schießhund immer noch nicht weiß, ob er mich davonjagen oder der Kleinen in die Herberge folgen soll, mache ich einfach das Beste aus meiner nun anstehenden Freizeit und lade die übrigen beiden Mädchen auf etwas süßes Gebäck ein. Ich habe nichts gegen diese Art von Zeitvertreib, die Beiden sind recht ansehnlich und zumindest eine hat auch wirklich was im Kopfe. Es ist nett mit ihnen zu plaudern und abgesehen davon macht es mir Spaß, den alten Kerl in seinem Stehkragen ordentlich ins Schwitzen zu bringen. Immer wieder linst er zu dem Fenster hoch, an dem Marco noch vor einiger Zeit gesessen hatte, aber er wagt nicht fortzugehen. Da ich kein Unmensch bin, spendiere ich ihm auch ein bisschen Kuchen und schaue zu, wie er das Gebäck verzweifelt in sich hineinmümmelt.

Nach ungefähr zwei Stunden ist die Sonne so ziemlich untergegangen und es wird kühler. Passend zu meiner aufkeimenden Langweile resultierend aus Tatenlosigkeit verlässt die holde neureiche Maid die „güldene See“ und der Herr Anstandswauwau wuselt ihr aufgebracht entgegen. Sie redet beschwichtigend auf ihn ein, während die anderen beiden Weiber auf sie einstürzen und kichernd alles erfahren wollen. Ich muss schmunzeln, irgendwie sind doch die Mädchen aller Schichten gleich gestrickt. Sie werden nun die nächsten Stunden das verbrachte Abenteuer der Einen lang und breit erfragen, jedes Detail, jedes Muttermal meines zukünftigen ersten Maates wissen wollen. Ich schlendere an ihnen vorbei, verabschiede mich freundlich und gebe der Kleinen mit dem vermuteten Grips einen sachten Klaps auf das Hinterteil. Was für ein Abgang...
 

Als ich in das Zimmer trete, sitzt Marco nur mit einer leichten Baumwollhose bekleidet am Fenster und schaut verträumt hinaus. Wahrscheinlich sieht er seiner kleinen Romanze nach. Nichts ist so leicht erobert und gebrochen wie das Herz eines Südländers. Ich verspüre ein gewisses Maß an Mitleid, aber auch Neid. Ich muss zugeben, dass mir ein solches Gefühl recht fremd ist, auch wenn ich durchaus Bedürfnisse und Wünsche habe. Aber ich hatte noch nie zuvor einen solchen Gesichtsausdruck, da bin ich mir absolut sicher.
 

„Na, hast du Hunger?“
 

Er schreckt fürchterlich zusammen und schaut mich entgeistert an. Ich kann nicht anders und pruste los. So ein dummer Gesichtsausdruck ist mir schon zu lange nicht mehr untergekommen. Seit ungefähr 2 Stunden nicht mehr um genau zu sein.
 

„Was?“

Für Marco recht ungewöhnlich bleibt er ruhig, geht sogar auf mein Gelächter ein und schmunzelt. Es macht ihn zu einem ganz neuen Menschen und ich setze mich neben ihn auf das Bett um mir das Spektakel aus der Nähe anzuschauen.
 

„Wa...was?!“

Nun klingt er schon deutlich angefressener.
 

„Nichts. Ich hab dich bisher nur immer verärgert oder richtig wütend gesehen, da wollte ich mir den lächelnden Marco mal aus der Nähe betrachten.“
 

„Bleib mir vom Leib, du Landratte.“

Sein Ton steht allerdings im Gegenteil zu seinem Gesprochenen und ich bemerke ein leicht zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen. So vielschichtig sich die meisten Menschen auch geben, ein aufmerksamer Beobachter kann an einem Gesicht alles wissenswerte ablesen.
 

„Also, wollen wir zu Abend speisen?“
 

„Du hast manchmal eine echt affektierte Sprache, Scarf.“
 

Ich seufze leise auf, er hat einen meiner Schwachpunkte gefunden.
 

„Ja ja, ich weiß. Hast du nun Hunger oder nicht?“
 

Er springt auf, sammelt auf dem Weg zur Tür seine Klamotten auf und schlüpft hinein.
 

„Wie ein Bär! Ich könnte n halbes Schwein vertragen.“
 

Ich folge ihm weniger elanvoll, aber auch mir beginnt der angehende Abend in den Fingern zu kribbeln.
 


 


 

Nach einer guten Mahlzeit schlagen wir uns wieder durch die Kneipen und Marco zecht ordentlich auf meine Kosten. Wäre mein Schiff schon fertig, würde ich ihn einfach shangheien. Mal sehen, was sich ansonsten so mit ihm anstellen lässt, wenn er richtig betrunken ist. Aber er scheint seinen Spaß zu haben und auch einiges zu vertragen. Das ist der beste Zeitpunkt ein wenig mehr über ihn zu erfahren.
 

„Wie bist du eigentlich hier in diesem Hafen gelandet?“

Während er in seinen dritten Rum starrt, scheint Marco erst eine Weile zu überlegen bevor er spricht.
 

„Mein Onkel. Meine ganze Familie steckt in der Piraterie und ich bin quasi im familiären Betrieb an Bord aufgewachsen. Hab mich immer ganz gut durchgeschlagen bei meiner Masse an Geschwistern...“

Er schnaubt abwertend, kippt sich einen langen Zug hinter die Binde und ich rutsche aufgeregt auf meinem Hosenboden herum.
 

„Mehrere Geschwister? Wie viele?“ Familie, welch ein Luxus!
 

Marco stellt das Glas ab und wirft mir einen schwer deutbaren Blick zu, irgendeine Mischung aus Verachtung und zärtlicher Zuneigung. Ziemlich gegensätzlich jedenfalls.
 

„Zu viele. Und alle älter! Am schlimmsten sind diese lärmenden Weiber!“

Er spuckt abwertend auf den Boden und stiert ein paar Sekunden haltlos herum. „Schrecklich, haben mich immer als Spielpuppe missbraucht.“
 

Es braucht ein Weilchen um diese Information sacken zu lassen. Ich schließe genüsslich die Augen und stelle mir einen kleinen Marco hübsch mit Schleifchen im Haar verziert in einem Kleidchen vor. Meine Phantasie bekommt jäh Flügel und verleiht meiner Träumerei einen pastellfarbenen Hintergrund sowie ein wenig seichte Streichmusik. Erst ein schmerzhafter Tritt gegen mein Schienbein bringt mich in die Realität zurück.
 

„Bastard!“
 

„Entschuldige, es lud zu sehr dazu ein.“
 

„Du hast wirklich merkwürdige Anwandlungen.“

Wie recht er doch hat.
 

„Also, jedenfalls hab ich es nicht mehr bei meinen Eltern und Geschwistern ausgehalten, vor allem wegen meines Vaters.“
 

Ich nicke mitfühlend und tätschle sachte seine Hand, die krampfhaft den Bierkrug umklammert.
 

„War er so grausam zu dir?“
 

„Hölle nein!“

Er schlägt meine Hand weg und spuckt wieder angewidert zu Boden. Das ist doch ein wenig eklig und ich beginne zu wünschen, dass er das doch lieber unterlassen möge.
 

„Mein Vater war ein verfluchter Jammerlappen, der sich so leid tat wie ein zweibeiniger Köter! Ich hatte eigentlich vor ihn umzulegen, aber...“
 

Ich werde hellhörig, das ist eine doch recht interessante Wendung.

„Aber..?“
 

„Hmmm... hätte meiner Mutter wohl das Herz gebrochen. Sie hängt an dieser widerwärtigen Transuse.“

Sein ehemals aggressiver Ton ist abgeklungen, seine Stimme viel weicher geworden. Scheinbar hängt Marco an seiner Mutter, ganz im Gegensatz zum Rest seiner Familie. Ich schmunzle, das finde ich doch ein wenig rührend.
 

„Was grinst du so, du Affe?“
 

Abgesehen davon, dass ich sein breites und durchaus abwechslungsreiches Repetoire an Beschimpfungen respektierte, bin ich machtlos gegen die entwaffnende Ehrlichkeit Betrunkener.
 

„Ich mag es, dass du einen weichen Kern hast. Und das trotz deiner ziemlich dicken harten Schale.“

Ich kann dem Bierhumpen gerade noch ausweichen, sonst wäre er direkt in mein Gesicht gekracht. Während ich noch verblüfft nach der Pfütze schaue, die das Bier am Boden der nächsten Wand um den kaputten Krug herum bildet, packt Marco meinen Schal und zerrt mich mit einem Ruck quer über den absplitternden Tisch. Ein leises schmerzhaftes Auszischen stiehlt sich über meine Lippen und ich schimpfe mich selbst ein Weichei.
 

„Was hast du gerade gesagt?“
 

„Nichts. Schon gut. Ich bekomme keine Luft, Marco.“
 

Mein bewusst ruhiger Ton dringt in sein umnebeltes Hirn und er lässt mich los. Ich sinke auf meinen Stuhl zurück und beginne die Splitter aus meiner Brust und meinem Bauch zu puhlen. Na wunderbar.
 

„Ich kann dich nicht ausstehen. Du bist ein grinsendes Arschloch!“
 

„Wäre es dir lieber, ich würde so griesgrämig dreinschauen wie du?“

Ich schmunzle ihn leicht belustigt an und er zischt wütend.
 

„Wäre weniger gespielt. Geh mir n neues Bier holen.“
 

Da ich mich in der Beweispflicht meiner mir gegebenen 24 Stunden befinde, stehe ich brav auf und hole ihm ein neues Gesöff.
 

„Da, bitte sehr. Und nun erzähl mir, wie du auf das Schiff deines Onkels kamst.“
 

„Ach, ich hab mich einfach an Bord gestohlen und bin erst rausgekommen, als wir auf hoher See waren. Dann konnte er mich schlecht zurückbringen.“
 

„Also warst du ein blinder Passagier? Nicht sehr piratig...“

Das enttäuscht mich ein wenig. An seinem sonstigen Verhalten gemessen hätte ich wenigstens angenommen, dass er seinem Onkel eine Pistole an dessen behaarte Brust gesetzt und seine Mitfahrt erzwungen hätte.
 

„Was weißt du schon...? Du warst ja noch nie auf einem Piratenschiff.“
 

„Richtig! Ich war noch auf gar keinem Schiff!“
 

Als Antwort genehmigt er sich lediglich einen tiefen Zug, rülpst männlich und knallt den Krug auf den Tisch.
 

„Angenommen ich komme mit auf dein höchstwahrscheinlich aus Seemannsgarn gesponnenes Schiff, was erwartet mich da?“
 

„Außer Abenteuern, Kaperei und einem großen Schatz?“

Ich strahle vor mich hin und reibe unternehmungslustig meine Finger aneinander.

Marco seufzt, schüttelt den Kopf, gerät darüber leicht ins Schleudern und muss sich am Tisch festhalten um nicht umzukippen. Ich denke, dass war erst Mal sein letztes Bier.
 

„Ja... außer dem ganzen romantischen Quatsch, der überall gesponnen wird.“
 

Ich überlege scheinbar eine Sekunde und zucke ergeben seufzend die Schultern.
 

„Okay, du darfst auch den unromantischen Quatsch machen. Faulpelze auspeitschen, Verwundete amputieren oder auch das Deck schrubben.“
 

In seinen Augen sehe ich, dass er mich wieder treten würde, hätte er noch genug Macht über seine Motorik.

„Du laberst so eine verdreckte Katzenpisse.... Bei dir wäre das Seil fürs Kielholen noch ne Verschwendung.“
 

Kurzerhand nehme ich ihm den Krug ab und trinke den letzten Schluck.
 

„Hey...“, beginnt Marco zu protestieren, aber sein Blick ist schon ziemlich benebelt.
 

„Schlafenszeit für betrunkene erste Maate. Na komm.“
 

Ich greife ihn unter den Schultern und schleife ihn raus aus der Spelunke. Er ist sehr viel schwerer als er ausschaut, immerhin ist er recht kurz geraten. An der frischen Luft atme ich einmal tief durch, ziehe ihn so gut es geht auf meinen Rücken und binde ihn umständlich mit meinem Schal an mir fest. So kann ich ihn einigermaßen leicht zurück zur Herberge schleppen ohne gleich umzukippen. Marco wehrt sich nicht, murrt nur noch ab und zu. Ich hoffe inständig, dass er sich nicht in meinen Nacken übergeben möge und rede munter auf ihn ein, obwohl er mir wohl kaum zuhört. Ich beschreibe ihm mein Schiff, welches noch einen neuen Namen braucht, plappere ungeniert über unsere zukünftigen Abenteuer und Schatzsuchen. Während ich dem besoffenen Kerl auf meinem Rücken das Blaue vom Himmel erzähle, erfasst mich eine seltsame gute Stimmung. Eine Aufbruchsstimmung gepaart mit wilder Vorfreude. Ja, ich werde am Ruder stehen, mein erster Maat Marco wird dabei neben mir Kommandos brüllen und mitsamt unserer mottenzerfressenen Mannschaft werden wir Handelsschiffe mit ordentlich Kanonenfeuer eindecken. Ich kann schon förmlich den Schwefeldunst des Kanonen riechen und die Schreie der Verdammten in den Ohren klingeln hören. Während ich dies Marco detailliert beschreibe, bin ich an unserer Herberge angekommen und schleppe ihn in unser Zimmer. Er kichert besoffen und dümmlich vor sich hin und ich muss mich beherrschen nicht irgendetwas Falsches zu tun.

Marco torkelt auf sein Bett unter dem Fenster zu und will sich direkt schlafen legen, doch ich kann morgen nicht mit einem Mann mit zerknitterten Klamotten an meiner Seite durch die Gegen laufen. Also muss ich ihn wohl oder übel aus seinen Sachen schälen, bevor ich ihm erlauben kann sich endgültig in das Land der Träume zu verkrümeln.

Aber immerhin habe ich etwas Interessantes über Marco gelernt, was mir in Zukunft sicherlich nützlich sein kann. Und ich bin mehr als nur gespannt, wie der morgige Tag sich wohl entwickeln wird. Mit einem breitem Grinsen entledige ich mich meiner Hose, falte meinen Schal ordentlich zusammen und schlüpfe zu Marco unter die Decke.
 


 

Dieses Mal mit einer Widmung:

Meinem erstem Maat und meinem Captain.

In aufrichtiger Trunkenheit,

euer Steuermann

Der erste Eindruck zählt - der Zweite ist bestechlich.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, fielen mir direkt zwei Dinge auf. Einerseits hatte ich einen üblen Kater und meine Zunge lag mir pelzig im Mund. Andererseits hatte sich der alte Penner Scarf wie eine kleine Katze in meine Armbeuge gekuschelt und schmuste sich gemütlich an meine Brust. Meine erste Reaktion war ein entsetzter Schrei, aber er blieb mir stumm in der gepeinigten Kehle stecken. Dieser Bastard!!

Ich musste angestrengt nachdenken, was zuletzt geschehen war, aber meine Erinnerungen endetet definitiv über einem Krug Bier. Und der Abschnitt vom Gesöff bis zum Bett fehlte.

Scarf schnaubte im Schlaf sachte gegen meine Brust. Ein Würgreiz stieg mir die Kehle empor, doch ich unterdrückte ihn und schob den Kerl neben mir so gut es ging weg. Hastige Bewegungen waren wegen meines schwirrenden Schädels nicht die beste Idee und so versuchte ich mich betont langsam aufzusetzen. Doch Scarf dachte wohl nicht im Traume daran sich seines Schicksal zu ergeben. Von meiner Bewegung war der Tölpel wohl erwacht. Von einer Sekunde auf die Nächste griff er nach meinem Handgelenk, zog mich ruckartig an sich und hielt mich mit einer unerwarteten Kraft an sich gepresst. Mein zuvor rebellierender Magen meldete sich mit schmerzenden Krämpfen und mir schoss heiße Säure in den Hals. Mehr einem Instinkt folgend als wirklich beabsichtig, rammte ich mein Knie in Scarfs Rippen, der mich daraufhin losließ und seltsam pfeifend nach Luft schnappte. Während ich noch aus dem Zimmer Richtung Abort taumelte, hörte ich ihn erstickt husten und röcheln.

Nachdem sich mein Magen allen Inhalts großzügig entleert hatte, kehrte ich zurück in unser Zimmer. Mein Kopf schmerzte nun noch schlimmer, aber ich verspürte die ersten Anzeichen auf Hunger, welche eine anfängliche Besserung meines Katers verkündeten.

Scarf lag noch immer zusammengerollt im Bett und hustete ab und an. Ich setze mich auf die Kante und lauschte seinem schweren Atem. Ein Anflug von schlechtem Gewissen bahnte sich an, aber ich hatte keine Lust mir diese Schwäche einzugestehen.
 

„Steh auf! Ich hab Hunger!“
 

Ich knuffte den Decken-Scarf-Haufen nicht unbedingt sanft, aber sein nervendes Gehustete kratzte an meinen Nerven. Als Antwort erhielt ich ein heiseres Krächzen, welches in einem erneutem Anfall überging und angewidert sprang ich auf. Ich suchte mir meine Klamotten zusammen und zog sie an, musikalisch untermalt vom Geröchel.

Als ich fertig war und mich wieder halbwegs menschlich fühlte, hatte die alte Trantüte immer noch keine Anstalten des Aufstehens gemacht und da war ich mit meiner Geduld am Ende. Mit einem Ruck riss ich die Decke weg und schrak zusammen.

Seine Haut war vollkommen bleich. Nicht nur sein Gesicht, wie man es normalerweise kennt. Scarfs gesamter Körper schien alle Farbe verloren zu haben. Seine Tätowierung sprang mir regelrecht mit Wut in die Augen, seine schwarzen Haare ringelten sich gleich einem grausamen Kontrast um die kalkweißen Wangenknochen.
 

„Hey!“
 

Ich schüttelte ihn grob, woraufhin er die Augen aufschlug. Die ganze Szenerie schien noch unheimlicher zu werden, denn aus den eigentlich so lebensfrohen Augen des durchgeknallten Tiefpunkts meines Lebens blickte mich der Tod an. Ich starrte ihn stumm an, unfähig meinen Blick von diesem Anblick abzuwenden. Mir wurde mit einem Mal eiskalt, obwohl es stickig und schwül in dem Zimmer war.

Scarfs Lippen bewegten sich langsam, aber ich konnte nicht entziffern, welche zwei Worte sie formten. Seine Stille ängstigte mich, obwohl ich ihm mehr als einmal den Tod an den Hals gewünscht hatte. Aber in diesem Moment hatte das Ganze einen zynischen Aspekt angenommen und jäh über meine eigene Gedankenlosigkeit erschrocken holte ich aus und schlug Scarf feste mit der flachen Hand ins Gesicht.

Es klatschte förmlich zur Seite und ein Zucken ging durch seinen Körper. Ich konnte ihn kaum halten, wollte ihn aber unter keinen Umständen loslassen. Er rang laut pfeifend nach Luft und erst jetzt viel mir auf, dass er seit meiner Deckenattacke nicht ein einziges Mal geatmet hatte.

Scarf krallte mit einer unerwarteten Kraft seine Finger in meine Oberarme und hustete wie noch nicht zuvor. Sein ganzer Leib bebte von Grund auf und zum ersten Mal in meinem Leben verspürte ich etwas wie Seekrankheit, sosehr schüttelte es mich mit. Mit bloßem Ohr konnte ich hören, wie sich etwas in seinen Atemwegen löste und mit einem letzten röchelndem Huster seine Luftbahnen entlangschoß. Er stieß mich von sich und fiel mehr oder weniger in den Nachttopf, in welchen er geräuschvoll spuckte.

Meine Oberarme schmerzten von seinem Griff und mit einem ungläubigen Blick sah ich, dass sich seine Finger noch immer weiß auf meiner sonnenverbrannten Haut hervorhoben. Ich strich vorsichtig darüber und sog zischend Luft ein als ich einen pieksenden Schmerz verspürte. Kopfschüttelnd robbte ich zum Rand des Bettes um nach dem Kranken zu sehen.

Scarf lag alle Viere von sich gestreckt auf dem Rücken und starrte an die Decke. Man konnte zusehen, wie sein Gesicht und der Rest von ihm nach und nach die übliche Farbe annahm. Er atmete wieder regelmäßig und ich nahm mir vor ein wenig sparsamer und bedachter mit meinen Verwünschungen umzugehen.

Es war ein netter Vorsatz, auch wenn er nicht lange anhielt.

Als ich mich aufsetzte und ihn weiterhin kritisch beäugte, hob er den Kopf und grinste mich müde an.
 

„Ich war ne Runde schwimmen.“
 

Irritiert zuckte mein Augenlid.
 

„Du... bist fast erstickt.“
 

„Ja, ich war ne Runde schwimmen!“

Mit einem gutgelauntem Lächeln setzte er sich etwas unsicher auf und ließ den Kopf im Nacken kreisen. Es krachte laut. „Autsch!“
 

Ich wünschte ihm bereits jetzt wieder die Pest an den Hals.
 

„Du hast eindeutig n Schaden davongetragen. Such nen Quacksalber auf, solange es noch geht. Spinner.“
 

Scarf kicherte.
 

„Ach was. Hast du noch nie vom Styx gehört?“

Er massierte sich die Wange, auf welche ich ihn zuletzt geschlagen hatte und ich verspürte den Drang ihm einen Grund zu geben, sich auch um die andere kümmern zu müssen.
 

„Halt endlich dein verfluchtes Schandmaul und lass uns essen...“

Ich stöhnte gefrustet auf und hatte keine Lust mich mit seinem Wahnsinn herumzuschlagen. Mein Kopf strafte mich auch nach dem Schrecken noch wegen meines gestrigen Saufens, daher war mein Geduldsfaden noch kürzer gehalten als sonst.

Artig stand Scarf auf, belastete vorsichtig mal das eine, mal das andere Bein, schien aber mit dem Ergebnis zufrieden zu sein.
 

„Interessiert es dich gar nicht, wie es dort aussah?“
 

„Nein. Wirklich nicht.“
 

„Also da war halt Wasser und zwei Ufer, ich stand an dem Einen...“

Seine Nahtoderfahrung schien Scarf kein Stück beeindruckt zu haben, er zog sich plappernd an, dabei ausschweifend mit beiden Händen gestikulierend. Ich verließ das Zimmer. Sein Gelaber verfolgte mich die Treppen hinab, er selbst versuchte in seinen zweiten Stiefel zu schlüpfen und dabei zu laufen.
 

„...winkten mir von der anderen Seite aus zu. Ich wollte ihnen was zurufen, aber meine Stimme war weg. Also hab ich versucht meine Grüße zu tanzen...“
 

Ich stopfte mir die Finger in die Ohren und wünschte mir entweder Taubheit oder mehr Geduld. Ich fand es nicht fair ihn nach der Hustenattacke mit einem Tritt gleich wieder zu verletzen.

Als wir in dem Speiseraum der Herberge Platz genommen hatten, redete er noch immer von seinem Abenteuer am Todesfluss und ich sah mich genötigt dringend das Thema zu wechseln.
 

„Wie sieht es mit einer Mannschaft aus?“
 

Von einer Sekunde auf die andere wechselte seine Persönlichkeit und mir gegenüber saß ein ernster Geschäftsmann.
 

„Habe ich größtenteils schon zusammen, aber mir fehlen noch ein paar Männer. Abgesehen von der Tatsache, dass das Schiff wohl erst übermorgen zum Auslaufen bereit ist, steht an sich alles. Proviant habe ich auch schon besorgt und eingelagert, das nächste Ziel bereits geplant und ausgekundschaftet, die letzten Männer such ich heute Abend, mein herrliches weiches großes Capitainsbett ist eingebaut und mein erster Maat so gut wie sicher.“
 

Mein Mund stand unrühmlich offen und ich gaffte ihn fassungslos an.
 

„Ja bitte? Mir scheint du hast Einwände?“
 

„Das.... nicht. Aber ich hätte nicht erwartet, dass du etwas Organisatorisches auf die Beine stellen kannst.“
 

Für einen kurzen Moment sah Scarf mich gekränkt an, dann nahm sein Gesicht wieder das typische nichtssagende Lächeln an.
 

„Doch, alles ist bereit. Oder so gut wie. Du darfst als erster Maat übrigens in meinem Bett schlafen und musst nicht mit den verlausten Gestalten in einer Hängematte unter Deck schaukeln.“
 

„Ich bevorzuge die Hängematte.“
 

„Ach, du bist langweilig.“

Sein Finger zeichnete das Muster des Tisches nach, was mich irgendwie nervös machte. Ich hasse es, wenn Leute beiläufig irgendworan rumfummeln.
 

„Du brauchst n Mädchen, Scarf...“
 

„Mädchen find ich ätzend.“

Sein Schal war interessanter als das Holz und er friemelte am Stoff herum.

Ich für meinen Teil wurde noch nervöser.
 

„Du... findest Mädchen ätzend? Aber... du stehst nicht auf Kerle, oder?“
 

Er sah mich einen Moment an, dann flog eine Augenbraue Richtung Haaransatz und seine Stimme triefte beinahe vor Abscheu.
 

„Wie kommst du darauf?“

Er lehnte sich vor und sah mich ein, seine Augen waren kalt und seine Stimme fest. Ich war vollkommen überrascht von dieser Reaktion, kam sie doch vollkommen unerwartet und scheinbar untypisch für Scarf.
 

„Ich finde Weibsbilder lediglich an sich einfach fürchterlich anstrengend. Ihr Geplapper verursacht mir Kopfschmerzen und sie sind völlig nutzlos.“
 

„Nutzlos..?“

Ich war tatsächlich völlig aus der Bahn geworfen, wenn auch etwas beruhigt angesichts der Tatsache, dass er wohl nicht aus meinen vermuteten Gründen in meinem Bett lag.

Als würde man eine Kerze anzünden erhellte sich von einem Moment auf den nächsten Scarfs Miene und er strahlte mich unbedarft an.
 

„Da kommt das Essen!“

Er rieb sich die Hände und ich mir die Schläfen.
 

„Du bist auch anstrengend.“
 

Während er beinahe manierlich sein Frühstück verspeiste, grinste er mich an.
 

„Wenn wir hier fertig sind, dann zeige ich dir unser Schiff.“
 

„Ich habe noch immer nicht gesagt, dass ich mitkomme.“

Ich hielt seine Pläne schließlich nach wie vor für absoluten Wahnsinn und Selbstüberschätzung. Und auf seine angeblich getroffenen Vorbereitungen gab ich nichts.

Er jedoch schien sich völlig sicher.
 

„Hast du doch. Nicht wörtlich, aber ich hab die Antwort schon verstanden.“
 

Ich hatte Scarf von Anfang an für dumm gehalten, mittlerweile war ich dazu übergegangen, dass er zudem noch verrückt und reich war. Bekanntlich keine gute Kombination. Während ich langsam mein Brot kaute, starrte ich ihn an.
 

„Wenn ich dein erster Maat bin, dann hab ich unter dir direkte Befehlsgewalt, richtig?“
 

„Exakt.“
 

„Wenn ich eine Meuterei anzetteln sollte, dann hast du niemanden der dir den Rücken stärkt.“
 

Er lachte mich vergnügt an.
 

„Das wird nicht passieren. Immerhin hab ich dich dafür, dass du mir im Falle einer Meuterei den Rücken stärkst.“
 

Mir war schleierhaft, warum er soviel auf mich gab, obwohl er mich nicht kannte.
 

„Ich bin der Erste, der dich umbringt. Nur damit du es weißt.“
 

„Es wäre auch eher ein Wunder, wenn es ein Zweiter nach dir schaffen würde mich noch einmal umzulegen.“

Scarf kicherte erheitert in sein Essen und ich fragte mich so langsam, ob es ihm eventuell einfach egal war, ob und wie er sterben würde. Ich jedenfalls war mir sicher, dass es nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis ich ihn erledigen würde.
 

„Fertig?“
 

Ich nickte, mein Hunger war wegen der Saufeskapade eh nicht wirklich riesig.
 

„Dann wollen wir mal.“
 

Er stand auf, zahlte für das Zimmer und das Essen und wir machten uns auf den Weg zum Hafen. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde ich wäre nicht neugierig gewesen. Sollte tatsächlich etwas Wahres an Scarfs Worten und Utopien dran sein, so bestände die Aussicht auf ein wirklich aufregendes Abenteuer. Und so langsam bekam ich Geschmack angesichts der verlockenden Möglichkeit, auch wenn es mir bitter aufstieß, dass der „Captain“ seinen Willen bekommen würde.
 

Widmung geht dieses Mal an meinen geliebten ersten Maat, der meine Sonnenstiche und geistigen Eskapaden stets wacker erträgt!

Ich hab hier noch n Pulle Rum.

Sieg auf ganzer Ebene. Und die Ebene ist ein Tal.

Wow, scheinbar gibbet hier ne neue Formatierung! Auf geht's, nutzen wir das mal! *___*

Sehr geniale Sache das. Endlich sind die Texte besser lesbar! <3
 

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

„Das ist dein Schiff?“ Marcos Kinnlade hängt beinahe auf seiner Brust.

„Unser Schiff“, berichtige ich ihn und schreite majestätisch an der Kaimauer entlang. „Und nein. Das ist nicht unser Schiff.“

Der kleine Schoner, der bemitleidenswert an einem der Pfeiler dümpelte, bekommt von mir nur einen verächtlichen Blick und ich schlendere weiter. Marco macht ein paar Sätze und schließt auf, wobei er noch immer recht blass um die Nase wirkt. Scheinbar ist er doch nicht so trinkfest wie ich angenommen habe. Nun, im Prinzip ist Trinkfestigkeit ja keine Grundvoraussetzung für einen guten Piraten, ich bin mir sicher, Marco ist auch so gut in allem. Nüchtern.

„Das hier... Das hier ist unser Schiff!“

Ich muss zugeben, es sieht in genau diesem Moment nicht wirklich aus wie ein Piratenschiff. Aber nach ein oder zwei Feuergefechten wird von der verschnörkelten und goldbemalten Reling nicht mehr viel über sein und dann kann man sie durch männliches blankes Holz ersetzen. Und die komische Seepferdchenfigur am Rumpf ist auch nicht furchteinflößend, aber ein wenig Farbe gepaart mit meinem außerordentlichen künstlerischem Talent und schnell wird aus dem drolligen Seepferdchen ein furcheinflößender Drache. Ganz zu schweigen von der äußerst gruseligen Totenkopfflagge, welche ich in Auftrag gegeben habe. Nur einen kurzen Moment die Augen geschlossen und ich sehe mein Schiff in aller Pracht vor mir. Zufrieden seufzend sehe ich zu Marco rüber, der gerade die goldene Schrift am Bug entziffert.

Omnia vincit amor*?“ Er starrt mich an und verschränkt abwehrend die Arme.

„Ja, daran muss ich noch arbeiten. Der Name... ist...“ Ich zucke die Achseln und reibe unschlüssig meine Nase. „Ich werd schon was passendes finden, mein Freund.“

„Ich bin nicht dein Freund.“

„Ja ja... Willst du an Bord?“

Er hasst es, wenn man seine Einwürfe einfach übergeht, aber ich habe da meinen Spaß dran. Außerdem bin ich neugierig auf die Fortschritte beim Umbau. Todesmutig packe ich Marco am Arm und schleife ihn seine Antwort nicht abwartend einfach hinter mir her.

An Deck trifft mich die Entzückung mit voller Kraft in Form von Marcos Ellenbogen in meiner Seite.

„Was zum seeuntüchtigen Teufel ist das hier für ein Kahn?!“ Er tritt aufgebracht ein Stück aus den etwas morschen kitschigen Deckenaufbauten, deren Sinn mir eh nicht geläufig ist. Ich grinse, ein Stück weniger zum Abreißen.

„Soweit ich weiß, ist dies hier mal ein Passgierschiff der Engländer gewesen, um reiche Pinkel von England aus nach Indien zu karren.“

„Das erklärt diese abartigen Verzierungen...“ Ein weiteres lautes Krachen ertönt und schon ist das Geländer am Einstig unter Deck einmal aufrecht gewesen.

„Wenn du möchtest, dann gebe ich dir eine Axt und du kannst dich so austoben wie du Lust hast. Ist das nicht ein nettes Angebot?“

Marco knirscht mit den Zähnen und runzelt die Stirn.

„Warum soll ich die Sklavenarbeit machen?“

„Weil du aussiehst, als müsstest du ein gewaltiges Aggressionspotential in dir bewältigen.“ Ich sehe mich kurz um und entdecke schließlich einen schweren unförmigen Hammer, den ich hochhieve und Marco reiche.

„Hä?“

„Du schaust aus, als würdest du gerne Dinge kaputt machen.“ Ich zucke die Schultern und ohne ein weites Wort nimmt er den Hammer.

„Ich bin unter Deck. Viel Spaß.“
 

Während ich es Oben Krachen und Rumpeln höre, steige ich die Treppe zum Zwischendeck hinab und atme flach ein. Es stinkt hier geringfügig, was aber wohl daran liegt, dass sich in diesem Teil des Schiffes mit die Schlafplätze für die Mannschaft befinden. Und wie ich Marco schon erzählt habe, ein paar Mann hatte ich schon angeheuert.

Ich durchquere den Dschungel aus Hängematten und bleibe vor meiner Tür stehen, der Tür zur Kapitänskajüte. Einen kurze Moment lasse ich meine Hand an dem Türknauf weilen, doch dann fasse ich mir ein Herz und betrete den Raum. Licht strahlt durch die geöffneten Holzladen und ich kann kaum etwas erkennen in den ersten paar Sekunden. In meinem Magen tobt die Spannung und ich blinzle aufgeregt.

Schweigend lasse ich meinen Blick umherschweifen und atme tief durch. Es ist so geworden, wie ich es haben wollte. Alle überflüssigen kitschigen Möbel sind entfernt, es steht nur noch ein riesiger schwerer Tisch für Seekarten mitten im Raum, ein breites Bett mit Matratze unter der Fensterfront und die Regale an der Wand steuerbord sind mit Büchern gefüllt. Meine Seekartensammlung ist fein säuberlich zusammengebunden neben dem Tisch gestapelt, auf einem kleinem zierlichen Schreibpult liegen Sextant, Kompass, Feder und Tinte erwartungsvoll bereit. Mit einem entzücktem Lächeln streiche ich mit dem Finger über meine Werkzeuge und drehe mich um. Es gibt noch mehr zu inspizieren und ich bin doch recht neugierig.

Das untere Deck, welches ehemals die prunkvollen Kajüten der zahlenden Passagiere beherbergte, ist nun umgebaut in einige Lagerräume und die Kombüse. Es ist schon reichlich Rum und haltbarer Proviant eingelagert, ein Raum beinhaltet Waffen, Kanonenkugeln und fässerweise Schwarzpulver.

Bei dem Gedanken an die Geschosse fällt mir noch etwas ein und ich stürme wieder auf das Zwischendeck. Noch immer kann ich Marcos Wüten von Oben hören, der Junge hat ein überraschendes Durchhaltevermögen. Anstatt wieder die Seite mit den Schlafplätzen einzuschlagen, wende ich mich dieses Mal dem anderen Teil des Zwischendecks zu. Als ich unter dem Fallgitter hindurchgehe, höre ich Marco erbost fluchen, scheinbar hat er eine kleine unfreiwillige Pause eingelegt. Mein schadenfrohes Grinsen fällt mir aus dem Gesicht, als ich mit meinem Ziel kollidiere. Schweigend leidend lasse ich mich auf der Kanone nieder und massiere mir mein malträtiertes Schienebein. Die Geschütze sind doch unverschämt hart!

Und kalt sind sie auch. Ich kann das kühle Eisen durch meinen Hosenboden spüren und vermag dem Drang nicht widerstehen dem inneren Kind nachzugeben. Also schwinge ich ein Bein über das Kanonenrohr und werfe die Hände in die Luft.

„Hurrah! Ich reite auf der Kanone!!“

Aber ohne das mir jemand sagt, dass ich bescheuert aussehe, bereitet es mir nicht so viel Freude wie erhofft. Und ganz abgesehen davon geht das Getöse an Deck von Vorne los, nun aber gepaart mit mehrstimmigen Geschrei. Da ich nicht davon ausgehe, dass Marco mir sein unglaubliches Talent im Bauchreden verschwiegen hat, muss ich wohl annehmen dass mein erster Maat gerade in Schwierigkeiten steckt.

An Deck bestätigt sich meine Vermutung und ich sehe den völlig verschwitzten Marco in einer bärigen Umklammerung eines dickbäuchigen behaarten Seebären wild strampeln. Unbemerkt von den anderen Männern schaue ich dem Spektakel interessiert zu.

„Lass mich los, du Eingeweide fressender Straßenköter!“

Hmm.. wie immer etwas Neues. Marco ist wirklich kreativ und ich frage mich, ob ich wohl eine Ansammlung der schönsten Beschimpfungen verfassen soll. Und ob Marco überhaupt schreiben kann...

„Halts Maul, du Knilch.“

Gelassen drückt der stämmige Mann seinen Arm etwas fester gegen den Hals des Jungen und schnürt damit jeglichen weiteren Kosenamen die Luft ab. In der Tat beginnt mein Maat eine andere, ungewöhnliche, aber durchaus schmückende Gesichtsfarbe anzunehmen.

„Was meinst du eigentlich hier mit unserem Schiff zu veranstalten? Hast hier ganz schön gewütet...“

„Bronson, er dreht ja schon die Augen nach Innen...“, melde ich mich verhalten aus der Menge und nehme erleichtert wahr, dass mir keine Beachtung gezollt aber Marco wieder mehr Luft gelassen wird.

„Bastard!!“

Nun, der erste Maat scheint mir nicht sehr konfliktfähig. Aber vielleicht tut ihm die kleine Abreibung mal ganz gut. Abgesehen davon gefällt mir sein gequälter Gesichtsausdruck nur zu sehr.

Der ältere Mann schüttelt den Jungen einmal kräftig durch und verpasst ihm anschließend eine Kopfnuss.

„Jetzt gib mir eine gescheite Antwort oder ich prügle dir die Zähne aus der Visage!“ Bronsons Ton ist gefährlich ruhig, geradezu die Verkörperung von Gleich-gibt’s-Senge! Und tatsächlich scheint Marco die leicht aggressiven Schwingungen wahrzunehmen und hält ausnahmsweise mal den Mund.

„Er hatte meine Erlaubnis.“

Alle Mann drehen sich zum mir um und untermalt von dem begreifenden Seufzen und dem resignierenden Kopfschütteln tauscht die Mannschaft Blicke aus.

„Sie haben dem Kurzen erlaubt das Deck zu zertrümmern, Captain?“ Bronson ist mit Abstand der hellste und nüchternste Kopf unter den ungewaschenen Kerlen und so ergreift er das Wort.

„Kommt schon, die Aufbauten waren wirklich hässlich.“

Ein zustimmendes Gemurmel geht durch die Menge und Marco wirft mir einen flehenden Blick zu. Würde ich im Würgegriff der haarigen und verschwitzten menschlichen Verkörperung ein Orang-Utans hängen, würde ich auch den größten Idioten um Hilfe bitten. Das ist schon irgendwie niedlich.

„Bronson, sei so gut und lass den ersten Maat los.“

„Den ersten Maat, Sir?“, blinzelt er mich verwirrt an.

„Nun... Wie viele Leute hältst du gerade fest?“, seufze ich und revidiere mein vorschnelles Urteil über die Hirnaktivitäten des Kerls.

Immerhin scheint ihm ein Lichtlein aufzugehen und er lässt Marco los. Dieser stolpert unsicher auf mich zu und knallt mir die rechte Faust aufs Auge. Sofort schießt ein gleißender Schmerz durch meinen Schädel und ich gehe ohne weiteres Zögern zu Boden. Während ich mich leidend am Boden winde, geht ein erneutes Aufseufzen durch die Mannschaft und Marco atmet schwer.

„Duuu... du... duuuu...!“ Da ihm spontan keine neue Beschimpfung einfällt, tritt er mir kräftig in den Hintern. Nun schmerzen meine beiden Körperenden.

„Warum hast du mich nicht gewarnt?!“ Er packt mich am Schal und zieht mich empor. Mein linkes Auge ist zugeschwollen und ich sehe bunte Pünktchen und Kreisel. Dennoch kann ich es mir nicht verkneifen ihn anzugrinsen.

„Ich hab dir gesagt, dass ich ne Mannschaft hab.“

Als nächstes sehe ich wieder Marcos Faust auf mich zusegeln und danach sehe ich erst mal eine ganze Zeit gar nichts mehr.
 

* Die Liebe siegt über alles.
 

Hmm.. Scarf scheint sich langsam zu einem kleinen Masochisten zu entwickeln. Juhu!!

Zuletzt sei nur gesagt:

Hey ho we'll go

Anywhere the wind is blowing

Hoist the sails and sing!!!

Wenn du glaubst, es geht nicht mehr... dann gib einfach auf!

Ich wachte wohl oder übel an Scarfs Seite und hoffte, dass er nach dem Aufwachen nicht noch heftiger durch den Wind sein würde als vor meinem rechten Haken. Abgesehen davon hatte mir dieser Klops Bronson sehr ans Herz gelegt mich bei seinem Captain zu entschuldigen. Denn schließlich sei er ja auch mein Captain. Bla! Ich war geneigt dies abzustreiten, aber ich war überzeugt, dass ich dann an der Reihe gewesen wäre ein unfreiwilliges Nickerchen zu nehmen.

Also saß ich neben diesem Penner von selbsternannten Captain und piekste ihn gelegentlich mit dem Finger in die nackte Seite. Beim Anblick seines zugeschwollenen Auges bekam ich ein leicht schlechtes Gewissen, aber die Erinnerung an den Ärger trat dem nagenden Gefühl gewaltig in den Hintern.

„Wach auf, du dämlicher Waschlappen!“ Ich zupfte nachdrücklich an Scarfs hässlichem Schal und er gurgelte leise.

„Bin.. wach... Bekomme keine... Luft!“ Er zappelte und ich zog noch einmal an dem Stoff.

„Hast du schön geschlafen?“, grummelte ich und sah Scarf zu, wie er mit schmerzlich verzogener Miene an seinem dicken Auge herumfummelte.

„War schon mal besser.“ Er blinzelte mich so gut er konnte an und grinste dann. „Das war ja mal ne Sache, hmmm?“

In mir kochte schlagartig wieder die Wut hoch und ich packte ihn erneut an seinem Schal.

„Ja, du Bastard! Und das war alles deine Schuld! Du hättest mich warnen müssen, dass du Mannschaft hast, die verständlicherweise sauer wird wenn man das Deck zerlegt. Du hirntoter Penner!“

„Ich hab es ja verstanden,“ murmelte Scarf recht kurz angebunden und entzog mir den Schal. Scheinbar war ihm seine sonstige Dauergutelaune ein wenig abhanden gekommen und ich verspürte eine leichte Zufriedenheit in mir aufsteigen. Er sah sich kurz um und blinzelte mich dann an.

„Dir ist aber nichts passiert?“ Sorge schwang in seiner Stimme mit und ich war etwas verblüfft.

„Nein...?“

Da grinste er wieder und stand sich den Hosenboden abklopfend auf.

„Dann bin ich ja erleichtert!“

Ich ignorierte den Gedanken, dass seine kurze Verstimmung lediglich eine Sorge meinerseits gewesen sein konnte, denn das war absolut abstrus. Immerhin hatte er mich in den ganzen Schlamassel geritten!!

Anderseits war mir durchaus bewusst, dass Scarf mehr als nur einen Sonnenstich abbekommen hatte.

Bronson kam auf den Bekloppten zu, wobei er bei jedem Schritt heftiger schwankte als eine besoffene Schaluppe in einem Taifun. Und er schien mir von dem ganzen Gesocks hier an Bord noch der beste Mann zu sein, mich selbstverständlich ausgeschlossen. Aber ich gehörte ja nicht dazu!

Die Beiden wechselten ein paar Worte die mich nicht interessierten, aber die Blicke, die der fette Kerl mir zuwarf, wurden weniger wütend aber mehr misstrauisch. Meinetwegen hätte er das ganze Geglotze lassen können, ich hatte eh nicht vor auf diesem Dreckskahn zu bleiben. Aber wie immer hatte ich meine Rechnung ohne Scarf gemacht.

„Marco, hey Marco!!“ Er winkte mir ausgelassen wie ein Kleinkind zu und missmutig stapfte ich rüber.

„Was?!“ Ich steckte demonstrativ die Hände in die Taschen und stierte den bärigen Kerl mir gegenüber gefährlich an, was an sich eine Meisterleistung darstellte, maß Bronson doch knapp zwei Köpfe größer als ich. Kein Wunder also, dass er vor unterdrücktem Lachen bebte, was meine Laune noch näher dem Siedepunkt trug.

„Das hier ist Bronson, unser Quartiermeister. Hast ihn ja schon kennen gelernt!“

Scarfs unschuldig begeisterte Ton verursachte mir akute Kopfschmerzen und so linste ich schlechtgelaunt den Herrn der Kojen an.

„Näher als mir lieb ist... N Bad wäre keine üble Idee.“

Der alte stinkende Sack starrte mich kurz fassungslos an und brach dann in schallendes Gelächter aus. Seine riesige Pranke zuckte für seine Körpermasse unerwartet schnell in meine Richtung und ich kniff eine Ohrfeige erwartend die Augen zu.

„Hast echt Mumm, Kurzer.“

Ich blinzelte und sah auf die ausgestreckte Hand vor meiner Nase. Der Quartiermeister grinste mich breit an und ich verbiss mir jeglichen Kommentar. Meine Hand wirkte regelrecht winzig in seiner Pranke und ich ging ein wenig in die Knie, als er herzlich zudrückte. Mir wurde schlagartig klar, dass ich Bronson nie wieder beschimpfen würde, es sei denn, zwischen uns läge eine unüberwindbare Schlucht und ich hätte die einzige Brücke gekappt.

„Nun, da wir das geklärt haben will ich dem ersten Maat mal alles zeigen.“ Scarf rieb sich erwartungsfreudig die Hände und meine innere Stimme schrie verzweifelt, dass ich ob des Postens noch nicht zugestimmt hatte. Aber ich kam nicht dazu dies auch laut zu äußern, da meine Heimsuchung in menschlicher Gestalt mich am Arm packte und einmal um die halbe Achse wirbelte.

„Das hier ist unsere Mannschaft! Zumindest schon mal die ersten beiden Drittel, heute Abend heuere ich hier im Hafen den Rest an! Wir beiden gehen schön durch die Kneipen und halten die Augen offen...“

Untermalt von seinem ständigen Geplapper ließ ich meinen Blick über die torkelnden, verkrüppelten Kerle schweifen. Nicht einer von ihnen war körperlich unversehrt und die Mehrheit von der sogenannten Mannschaft hatte bereits geistigen Tribut an ihre Trunksucht zollen müssen. Ich schwieg und sah Scarf an, der bei meinem Gesichtausdruck verstummte.

„Stimmt etwas nicht?“ Er klang zaghaft, beinahe ertappt.

Ich nickte lediglich und räusperte mich. In mir brodelte es bedrohlich und ich fragte mich, wie ich ihn am schmerzhaftesten umbringen konnte.

„Können wir uns einmal alleine unterhalten? Ungestört?“

Scarf seufzte, sah sich kurz um und lächelte mich schräg an.

„Ja. Dann zeig ich dir mal unsere Kajüte.“
 


 

Ich ließ mich auf die bequeme Matratze des Capitansbettes fallen und schwieg weiterhin demonstrativ. In Gedanken zählte ich Goldmünzen, das allein hielt mich davon ab sofort loszubrüllen. Scarf schenkte derweil Rum in zwei kleine Gläser, reichte mir eines und setzte sich dann neben mich.

„Bist du sauer?“

Die Frage verunsicherte mich etwas und ich nahm einen Schluck. Um mir diesen Gemütszustand nicht anmerken zu lassen, stierte ich den Typen neben mir grimmig an.

„Hmmm...“

„Ich kann es erklären.“

„Da bin ich mal gespannt.“

Er holte tief Luft und räusperte sich ausgiebig, doch ich schnitt ihm unwirsch das Wort ab.

„Keine langen Märchengeschichten, komm auf den Punkt. Warum hast du nur menschlichen Ranz angeheuert?! Planst du etwas eine Suizidfahrt, oder wie?!“

Für eine Sekunde weiteten sich Scarfs Augen enorm und es drang ein Ausdruck an die Oberfläche, welchen ich nicht zu erfassen vermochte, so schnell verschwand er wieder.

„Scarf?“

„Was? Nein, NEIN! Natürlich nicht. Aber mal ernsthaft, wie du doch schon selbst angemerkt hast, welcher vernünftige Seemann würde mir freiwillig folgen?“

Er grinste kurz und schenkte mir nach.

„Hör mal zu, du Spinner! Die Kerle da oben sind völlig kaputt!“

„Es sind alles erfahrene Karperer...“ Er war erstaunlich ruhig und bedächtig dafür, dass ich ihn schon wieder beim Schal gepackt hatte. Ich wünschte eindringlich er würde mal ein Hemd tragen, denn dann hätte diese Geste sehr viel mehr eindrucksvolle Dramatik besessen.

„Die waren eindeutig schon einmal zu viel im Kanonenfeuer! Ich hab keinen gesehen, der noch alle Gliedmaßen hatte! Nicht einen einzigen!“

„Der alte verrückte Sven will ja auch nicht gesehen werden. Er versteckt sich meistens hinter dem zweiten Mast...“

Weiter kam er nicht, da zog ich schon an beiden Schalenden.

„Genau DAS meine ich! Das... Du... bist doch vollkommen hirntot, verdammt!“

Scarf gab sich sichtlich Mühe sein Glas trotz meiner Strangulationsversuche gerade zu halten und mir verging die Lust an dem Gewaltakt. So schnell meine Wut in seiner Gegenwart auch aufbrandete, so schnell ebbte sie mittlerweile auch wieder ab. Es war beinahe zu anstrengend, denn egal wie sehr ich mich an Scarf austobte, es fruchtete eh nicht mal ansatzweise.

„Da oben sind nur Lebensmüde, Krüppel und Beknackte. Wie willst du mit diesem Abschaum bitte eine vernünftige Kaperfahrt machen?“

Und ich begann den Blick, der nun folgte, vom tiefsten Kern meines Herzens aus zu hassen.

Es war das Lächeln der Einheit mit dem Universum, der Gesichtsausdruck der absoluten Entschlossenheit und der Glanz in den Augen, der besagte dass mir keine andere Wahl bliebe, da schon alles beschlossen und besiegelt sei.

„Dafür brauche ich dich.“ Scarfs Stimme war fest, sanft, aber vollkommen unnachgiebig und frei von Zweifeln.

In meiner Kehle löste sich ein Würgelaut und ich sah rot. Ich kam erst wieder richtig zu mir, als Scarfs Nase unter einem Fausthieb leise knackte und er aufschrie. Blut schoss über sein Gesicht und floss zu Boden, auf welchem wir gelandet waren. Er versuchte sich aufzusetzen, aber da ich auf seinem Brustkorb saß und sein Gesicht anstarrte, kam er nicht hoch und sank stöhnend wieder zurück. Wieder Willen rutschte ich ein Stück zurück und ließ ihm den benötigten Platz. Er lehnte seine Stirn an meine Schulter, drückte seine Nase fest zu und war einfach still. Scarf sagte nichts, was mich erneut zum Toben brachte.

„Warum tust du das, du Spinner?“ Ich packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn leicht, aber er blieb stumm. „Was bezweckst du damit?“ Meine Stimme überschlug sich beinahe vor Zorn und meine Hände zitterten, aber ich schlug nicht erneut zu.

„Womit?“, näselte Scarf matt und lehnte sich etwas zurück, nur um mich ein wenig bedeppert anlächeln zu können.

„Warum willst du ausgerechnet mich als deinen ersten Maat? Warum soll unbedingt ich diesen ätzenden Haufen miefender Krüppel befehligen, wenn das überhaupt möglich ist?!“

„Weil du es kannst.“ Er zuckte kurz zusammen und ließ seine Nase dann los. „Aua.“

„Ja, aber es können auch jede Menge andere Leute.“ Mittlerweile spürte ich Verzweiflung in mir aufsteigen, gefolgt von äußerst unmännlichen Tränen. Ich hatte keine Lust mehr auf dieses beschissene Spielchen, aber Scarf ließ einfach nicht zu dass ich alles hinwarf.

Er legte den Kopf schief und schien ein wenig zu überlegen.

„Es ist nicht so einfach. Ich... denke einfach, dass du der Beste bist. Also am besten geeignet für meine Pläne.“

„Deine Pläne?“

Irritierend ruhig tupfte sich Scarf mit dem Schal im Gesicht herum, vorsichtig immer um seine mittlerweile etwas angeschwollene Nase herum. Dank mir hatte er im Moment mehr Ähnlichkeit mit einer Seekuh als mit einem Menschen. Und das hatte er definitiv verdient, der Hund!

„Ja, meine Pläne. Ich habe tatsächlich welche.“

„Ach ja...? Und wie lauten die?“ Nicht, dass es mich interessiert hätte zu wissen, wie konkret Scarf vorhatte sich umzubringen. Aber allein sein Lächeln als Antwort genügte um eine unbändige Neugierde in mir zu entfachen. „Sag schon, verfluchter Mistkerl! Oder soll ich dir noch eine reinhauen?“

Scarf seufzte.

„Abgesehen davon dass ich kaum noch einen Bereich in meinem Gesicht habe der nicht schmerzt, wird Bronson dich an den Mast binden, wenn du mir auch noch ein Veilchen um das andere Auge herum verpasst.“

Ab und an schien der Vollidiot doch noch Herr seiner Sinne zu sein, aber das wirkte nicht gerade beruhigend auf meine aufgescheuchte Laune ein. Ich zog kurz aber feste an seinem nicht blutbesudelten Schalende und knurrte ungehalten.

„Ich könnte dich auch einfach erdrosseln, dann aus dem Fenster dort springen und an Land schwimmen!“

„Nun, es hält dich niemand ab, mein lieber Marco.“

Seine Lässigkeit trieb mich an den Rande der Selbstbeherrschung

„Jetzt erzähl mir schon deinen beschissenen Plan!“

„Nein. Nur der erste Maat erfährt von den Plänen des Captains und du hast noch nicht zugesagt.“

Und ehe ich mich versah, unterschrieb ich den Pakt mit dem Teufel.

„Also gut, ich mach’s!“

Sein strahlendes Gesicht werde ich bis heute nicht vergessen. Ich wünschte, ich könnte gut zeichnen, dann würde ich diese Visage auf Papier bannen und ganz viele Dolche draufwerfen.
 

Ahoi ihr Landratten!

Grüße an meine wackere Mannschaft und Finger weg von Würfelspielen.

Ich glaub, Marco braucht bald eine gute Therapie...

Es erübrigt sich nur die Frage, ob Scarf tatsächlich mit allem durchkommen würde, wenn er nur lange genug nervt?! Wir werden sehen... XD ARRR!

Stehe auf dem Tisch und sag „Captain, mein Captain!“

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Und somit gehört Marco mir. Mit Haut und Haaren, mit seinen Wutausbrüchen und dem niedlichen Lächeln im Schlafe. Absolut anbetungswürdig!

„Nun denn, erster Maat..“

Er zuckt bei den Worten zusammen und ich mache einen inneren Freudenhüpfer. „Als erstes wäre natürlich zu klären auf welche Seite wir uns schlagen...“

Seine Antwort kommt prompt, unmissverständlich und absolut erwartet.

„Bukaniere, was sonst?!“

„Ich denke nicht.“ Ich wappne mich schon mal innerlich auf den nächsten körperlichen Übergriff, aber Marco reißt sich zusammen. Er schaut mich etwas desorientiert an, so als wäre ihm noch nie die Idee gekommen sich einer Seemacht anzuschließen. Und das wird wohl auch der Fall sein.

„Aber... du kannst nicht... nicht wirklich...“ Er schüttelt den Kopf und ich fühle mich genötigt mich zu erklären.

„Mein Lieber, es ist mehr als ersichtlich, dass du dein Leben bisher als freier Bukaniere geführt hast, genauso wie der Hauptanteil der Mannschaft. Und ich bin mir sicher, dass das auch recht lohnend war. Aber aus wirklich zuverlässigen Kreisen weiß ich um die erhöhten Anstrengungen Englands und Frankreichs den gemeinen Piraten das Handwerk zu legen. Und ich schätze mal du weißt was einen verurteilten Piraten erwartet?“

„Der Galgen und dann die geteerte Ausstellung.“ Marco zuckt die Schultern. „Kein Schicksal, das mich abschreckt!“

„Mich aber.“ Und das ist die Wahrheit. „Ich habe nicht vor meine Leiche in einem eisernen Kasten geklebt von Schaulustigen begaffen zu lassen. Das entspricht nicht meinem Sinn von Ästhetik.“

Marco schnaubt und murmelt vor sich hin.

„Er nun wieder...“

„Abgesehen davon hat man mit einem Kaperbrief in der Tasche gleich zwei Feinde weniger. Das ist an sich schon eine ganz praktische Sache, findest du nicht?“

Marco ist eindeutig nicht meiner Meinung, er puhlt mit gerunzelter Stirn an seiner rechten Hand herum.

„Aber man ist das Gespött der Bukaniere. Wer will schon als Pirat so unfrei sein und einen Herren haben?“

„Warum einen Herren haben? Das ist doch Quatsch.“ Man muss nur ein wenig an Standpunkten rütteln, meistens geben sie nach. „Man hat lediglich ein kleinen bescheidenen Anteil der Beute abzugeben...“

„Und man darf nur bestimmte Schiffe angreifen!“, unterbricht mich Marco ungehalten, als ob es eine Todsünde wäre sein Jagdrevier absichtlich einzugrenzen.

„Natürlich. Man darf die verbündeten Warenschiffe nicht angreifen. Eigentlich.“

Jetzt wird er hellhörig und seine Augenbrauen schießen beinahe in den Haaransatz.

„Eigentlich?!“

„Mach das noch mal.“ Ich finde seine Mimik ausgesprochen faszinierend, aber er scheint mir nicht folgen zu können.

„Was noch mal?“

„Das mit deinen Augenbrauen...“

Als Antwort verpasst er mir einen Schlag auf die Schulter. Seine Hand zeichnet sich auf meiner Haut ab und ich reibe mir den zwirbelnden Oberarm.

„Ja, eigentlich. Man kann ja auch nur aus Versehen jemanden angreifen.“

„Damit kommst du nie im Leben durch,“ schnaubt Marco und es steht ihm ins Gesicht geschrieben für wie dumm er mich hält. Das bringt mich zum Kichern und ich handle mir einen erneuten Hieb ein.

„Auaaaaa....!“

Unter Marcos genervten Blicken wälze ich mich auf meiner Matratze hin und her. Er hat nach ein paar Sekunden die Nase voll von meinem Gehabe, erhebt sich und schüttet sich Rum nach.

„Ich komme damit durch, lass mich nur machen.“ Ich zwinkere ihm verschwörerisch zu und verschränke die Beine im Schneidersitz. Er hockt sich einen Meter von mir entfernt auf den Boden und schüttelt misstrauisch den Kopf.

„Wenn du meinst, großer Captain! Immerhin wirst du als Erster gehängt, sollten sie uns kriegen.“

Ich nicke bedächtig, das habe ich längst einkalkuliert.

„Und dich als Nächsten, da du schon dein Leben lang raubend und plündernd über die Meere und durch die Häfen ziehst.“

Marcos Blick wird seltsam weich und zärtlich und in mir steigt Neid empor. Er manifestiert sich in einem beständigen Brennen irgendwo links in meinen Eingeweiden und der Wunsch Marcos Vergangenheit sei die Meinige glüht in meinem Herzen. Ein Leben in Freiheit, niemandem verpflichtet als dem Schicksal und dem Meer. Gut, Skorbut und Kanonenfeuer mögen arge Antagonisten in diesem Stücke sein, aber es klingt so euphorisch in meinem Hirn.

„Dein Blick ist glasig. Es ist gruselig, wenn du mich so anstierst.“ Marco schüttelt sich etwas und ich bemühe mich um ein freundliches Lächeln. Ab und an entgleiten mir meine Gesichtszüge. „Ernsthaft. Du hast mich angeglotzt, als ob du mich am liebsten umlegen würdest.“ Er ist eindeutig ein wenig verwirrt und ich beeile mich, lachend abzuwiegeln und die Hände zu schütteln.

„Ach was. Ich hatte nur ein wenig Darmdrücken.“ Um Haaresbreite weiche ich Marcos Rumglas und es zerplatzt an dem Holzbalken zwischen den Fenstern.

„Manchmal würde ich dich wirklich gerne umlegen, du Bastard!“

Marco hat wieder recht schlechte Laune, dabei will ich ihn doch in meinen Plan einweihen. Also muss ich mich ihm ein wenig entgegenkommend zeigen, ansonsten laufe ich Gefahr meine Schneidezähne zu riskieren.

„Verständlich. Allerdings habe ich nichts davon. Also weder dich umzubringen noch mich umbringen zu lassen. Bist du geneigt weiter meinen Plänen zu lauschen?“

Er streckt die Hand aus und nimmt sich mein Glas. Ich deute dies als Ja.

„Also. Ich plane mich auf die englische Seite zu schlagen...“

Ein erneutes Schnauben von Marcos Seite unterbricht mich unwillig, aber ich ignoriere es und fange mir dafür noch einen bösen Blick ein. Manchmal ist der Gute etwas anstrengend. „... da auf der Seite mehr Beute zu holen ist. Zumindest meinen Nachforschungen nach.“

„Deinen Nachforschungen nach? Das ich nicht lache!“

Wenn ich etwas nun gar nicht ertragen kann, ist es verhöhnt zu werden. Da reagiere ich wirklich empfindlich drauf.

„Jaaa...! Ganz genau! Meinen Nachforschungen nach!“ Meine Stimme klettert weinerlich eine Oktave in die Höhe und Marcos Gesichtszüge entgleisen ungläubig. „Du musst es mir ja nicht glauben, aber so ist es!“ Ich kann mich gerade noch beherrschen ihm nicht die Zunge rauszustrecken. In Gedanken zähle ich rasch bis 10, dann habe ich mich wieder unter Kontrolle. Einmal noch kurz geräuspert und die Welt ist wieder in Ordnung. „Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Wir schließen uns den Engländern an, lassen uns Kaperbriefe geben und gehen dann auf die Jagd nach spanischen Silberschiffen.“

Marco rutscht ungeduldig auf seinem Gesäß herum.

„Aber warum können wir keine Bukaniere sein und uns in die indischen Gewässer verziehen? Dort gibt es jede Menge fette Beute, Gold, edle Stoffe und Jungfern auf Pilgerfahrten!“

„Interessiert mich nicht. Also das Gold und die edlen Stoffe vielleicht schon. Und abgesehen davon würden uns immer noch die Kaperbriefe fehlen und wir wären Freiwild für alle Seemächte und auch Piratenjäger. Das würden wir mit der Dienerschaft der Royal Navy umgehen.“

„Warum bist du so versessen auf nen dämlichen Kaperbrief?“

Marco zeigt keinerlei Einsicht und beharrt kindisch auf seinem Bukanier-Standpunkt, was mich wiederum ein wenig lächeln lässt. Es ist beinahe niedlich, wie sehr er zum Schmollen neigt.

„Ich beharre auf die Möglichkeit des Kaperbriefes, da ein solcher auch ein Leben nach der Piraterie eröffnen kann. Das ist meiner Meinung nach recht praktisch.“

„Ein Leben nach der Piraterie? Wo lebst du eigentlich?“ Marco steht auf, schnappt sich die Rumflasche und genehmigt sich einen ordentlichen Schluck. Es fällt mir langsam sehr schwer ruhig zu bleiben und ganz entgegen meiner sonstigen beschlossenen Verhaltensweisen werde ich immer unruhiger. Ich schaue Marco ein Weilchen zu, wie er die Flasche immer mehr leert und auf eine weitere Erklärung meinerseits wartet, aber ich muss erst meine Gedanken ordnen.

„Du hast ganz schön viele Bücher.“ Der Blick aus seinen dunkelbraunen Augen ist an meinen Bücherregalen hängen geblieben, die die ganze Wand steuerbord verdecken. Mir stiehlt sich ein leichtes Lächeln über die Lippen und ich habe meine Ruhe wiedergefunden.

„Ich lese sehr gerne.“

„Ich nicht.“ Marco schnaubt und stopft den Korken in die nahezu geleerte Flasche.

„Das dachte ich mir fast.“ Ich erhebe mich, ignoriere das heftige Pochen meiner malträtierten Nase und meines Auges und schlendere zu meinen blättrigen Schätzen.

„Du bist sicherlich der erste Captain, der die Märchen von den drei kleinen Fröschen in seiner Kajüte stehen hat.“ Mein erster Maat klingt spöttisch, aber als ich mich umdrehe, zeigt sein Gesicht auch eine sanfte Note.

„Ich kann dir Abends immer eine Geschichte vorlesen, wenn du magst.“

„Sicher nicht!“ Er schüttelt sich scheinbar angewidert, aber ich kann ganz deutlich sehen, dass seine Wangen einen leicht rötlichen Ton angenommen haben. Und das kommt eindeutig nicht vom Rum.

„Magst du Märchen, Marco?“

„Ich bin ein Mann, verdammt!! Meine Mutter hat mir das letzte Märchen erzählt als ich zehn Jahre alt war.“

„Oh, meine Mutter hat mir immer eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt.“ In Gedanken brülle ich mir selbst zu, dass das ein absolut falsches Thema ist. „Kannst du eigentlich auch schreiben?“

Marco zuckt die Schultern.

„So ein paar Buchstaben. Und natürlich meinen Namen.“ Es scheint ihm nicht wirklich was auszumachen, aber mein akademisches Herz weint und schreit vor Pein.

„Na ja, dann kannst du immerhin mehr als der Rest der Mannschaft. Apropos Mannschaft!“ Ich strecke mich und winke Marco auffordernd zu. „Ich wollte ja heute Abend noch die restlichen Mann rekrutieren. Wir brauchen noch mindestens zwölf weitere Paar Hände.“

Mein erster Maat steht auf, schüttelt beinahe betrübt den Kopf und schlurft an mir vorbei.

„Bei dem Zustand dieses Gesocks bräuchten wir noch schätzungsweise weitere dreißig um es wenigstens aus dem Hafen zu schaffen. Aber der Captain ist ja völlig überzeugt von der Fähigkeit der Krüppel.“

Ich grinse und folge ihm ans Deck. Dort lasse ich mich ein paar Sekunden von der warmen Abendsonne bescheinen und sehe mich zufrieden um.

„Ach, du hast ja keine Ahnung wie gut ich es getroffen habe.“ Ohne auf sein missgelauntes Gemurmel gespickt mit neuen Schimpfwörtern zu achten, gehe ich an Land und reibe mir die Hände. „Und jetzt geht der Captain rekrutieren! Folge mir, erster Maat.“

Marco wirkt wenig begeistert, aber er ist zumindest neugierig.

„Aye aye, mein Captain. Aber nur, wenn ich noch n Rum bekomme.“
 

Nun, dies war ein etwas theoretischerer Teil, aber wie es von Scarf zu erwarten ist, kommt er mal wieder nicht zum Punkt. Aber ist es denn überhaupt möglich, dass er tatsächlich Pläne hat? Und wird der verrückte Sven eine Rolle darin spielen?

Arrrrr!!!

Gebt immer gut auf Untiefen Acht, ihr Kielsäue dort draußen!

Nobel geht die Welt zugrunde, ich erhebe zum Toast mein Glas

Es war die reinste Farce.

Wir zogen durch das Spelunken-Viertel, die Bordelle und die Spielstätten. Alle randvoll mit ehrbar ruchlosen Männern, die soffen, mordeten und sündigten sodass es eine wahre Freude war. Scarf schmiss mal hier mal dort eine Runde, plauderte ausgelassen und angstfrei mir nichts dir nichts mit steckbrieflich gesuchten und somit bekannten Piraten und amüsierte sich prächtig.

Ich hingegen bekam immer heftigere Kopfschmerzen und konnte den Rum nicht wirklich genießen. Scarfs Worte gingen mir immer wieder durch den Schädel. Sie rollten hin und her wie schwere Steine, was das Drücken im Hirn noch verstärkte. Ich konnte nicht verneinen, dass etwas an dem Gedanken dran war mit einem Kaperbrief ausgerüstet auf die See hinaus zu ziehen. Allerdings widerstrebte es mir immens den Grundgedanken der Piraterie zu hintergehen und meine Freiheit zugunsten eines Patrons aufzugeben.

Auch wenn die Freiheit nicht der Grundgedanke der Piraterie ist, sondern an sich einfach nur das pure Überleben. Aber Freiheit zählt für mich dazu!

Als der Abend bereits weit fortgeschritten und schon eher der Nacht gewichen war, hatte Scarf noch nicht einmal die Anzeichen irgendwelche Anwerbungsversuche gemacht. Wir befanden uns in einer Kneipe übelster Sorte und selbst ich hätte einen Bogen drum gemacht. Nicht etwa, weil ich eine Prügelei scheute, dafür war ich ohne Frage stets zu haben. Aber ich hatte keine Lust beraubt und in die Sklaverei verkauft zu werden, was jemandem wie mir, der ich irgendwo auf der Schwelle zwischen Junge und Mann stand, durchaus noch in wenigen Augenblicken geschehen konnte. Scarf jedoch schien entweder nichts von der Gefahr zu wissen oder er ignorierte sie erfolgreich.

Mittlerweile ist mir klar, dass es zwischen Halunken eine Art Abkommen gibt. Keiner zieht den Anderen ab, meistens. Und Scarf war für seinen Teil ein verflucht gewitzter Halunke.

Während ich also meinen Gedanken hinterher hing und über meine Zukunft sinnierte, packte mich jäh eine Hand am Kragen und schliff mich zu einem der Tische. Ich versuchte das Gleichgewicht zu halten und nicht hinten über zu kippen, aber mein Störenfried gab nichts darauf dass ich auf meinem Allerwertesten landete und zog mich ungerührt über den Boden. Um den Tisch herum hatte sich eine regelrechte Meute krummbeiniger Piraten und Sklaventreiber versammelt, die mich durch verschwitzen Leiber nach Vorne reichten. Noch bevor ich lautstark protestieren oder jemandem das Nasenbein zertrümmern konnte, stellte man mich neben Scarf auf die Füße. Mein selbsternannter Captain saß lässig feixend auf einem Stuhl und spielte mit der freien Hand an den Fransen seines mittlerweile mitgenommen Schales herum. Mit der anderen Hand ließ er einen Lederbecher kreisen, in dem Würfel trotz des normalen Spelunkenlärmes gut hörbar gegeneinander schlugen. Er kippelte auf den hinteren Beinen des Holzstuhls und dieser knarrte beachtlich, war er doch nicht gerade ein Meisterwerk der Handwerkskunst. Die Tätowierungen auf seinen Schultern sahen im Fackellicht der Kneipe noch nichtssagender und schmutziger aus denn je, aber angesichts von Scarfs Gegenspieler glichen sie fröhlichen Kinderkritzelein.

Der Kerl war ein Monster. Seine fleischigen Pranken lagen flach auf der wurmzerfressenen Tischplatte und er trug an jedem Finger, soweit diese nicht fehlten, mehrerer klobige Goldringe. Sein massiger fetter Leib war überzogen mit drahtigem Haar und obszönen Tätowierungen, sodass selbst ich für einen kurzen Moment vor Schreck die Luft anhielt. Dabei hatte ich schon so einiges an wilden Männern gesehen.

„Das da willste du setzen gegen meine Mädel?“ Die Stimme des enormen Mannes war unerwartet hoch und wies einen harten Akzent auf, welchen ich auf einen eher portugiesischen Hintergrund zurückführte.

Ich war so in die Betrachtung versunken, dass der Sinn seiner Worte mich nicht erreichten. Viel mehr war ich fasziniert von dem riesigen Schnurrbart, dessen Enden kunstvoll aufgezwirbelt waren und bei jedem seiner Worte erzitterten. Seine Züge waren äußerst grob und schwabbelten vor Fett. Abgesehen davon erreichte mich auch über die Distanz sein übler Atem und ich konnte mir sein Gebiss hinter den schwulstigen Lippen direkt vorstellen. Mir drehte sich der Magen um. Und mir wurde noch schlechter als ich das Mädchen neben dem siffigen Kerl stehen sah. Sie war höchstens 12 Jahre alt, von schätzungsweise indischer Abstammung und um ihren schmalen ungewaschenen Hals trug sie eine Kette, welche zu dem Portugiesen führte.

„Genau. Das da wille ich setzen. Aber gegen deine Karten und die Gold mit Verlaub.“ Scarf hatte mehr Ähnlichkeiten mit einem Papageien als mit einem Menschen, so gut imitierte er Tonfolge, Akzent und Ausdruck seines Gegenübers.

Und dann wurde mir klar, dass ich „Das da“ war. Lähmende Panik ergriff mich für Sekunden, dann brannten mir die Sicherungen durch. Ich wollte mich auf Scarf stürzen und die Würfel durch seine Nase in sein Hirn treiben, aber ehe ich auch nur auf dem höchsten Punkt meines Sprunges war, griffen mich einige kräftigen Hände und hielten mich unbarmherzig fest. Mein Schrei wurde abrupt von einer verdreckten Pranke erstickt und ich trat wild um mich.

Scarf schien von dem ganzen Tumult keine Notiz genommen zu haben, er wandte nicht einmal den Kopf in meine Richtung. Ich versuchte nach ihm schlagen und zu treten, aber der einzige Erfolg zeigte sich darin, dass nun auch meine Extremitäten festgehalten wurden und ich mich gar nicht mehr rühren konnte. Wie sehr wünschte ich diesem Bastard den Tod an den Hals! War ihm eigentlich klar, was er da tat? Würfelspiele liefen niemals fair ab! Nicht einmal unter Gaunern und Piraten. Da erst recht nicht, auch wenn sie sonst gewisse Richtlinien befolgten.

Und Scarf, dieser dreckige Speichellutschter, brachte absichtlich das Unheil über mich. Während ich panisch das Mädchen betrachtete, welche dem fetten Penner als Sklavin zur Seite stand, überlief mich ein Schauer bei dem Gedanken, was wohl ihre Aufgaben seien und welche die meinen werden würden. Denn sobald mein Verstand geschaltet hatte, dass mein ach so geliebter Captain mich als Wetteinsatz missbrauchte, so war mir klar geworden das ich verloren war. Und das war nicht in meinem Sinne, so etwas von ganz und gar nicht. Lieber wollte ich erst kielgeholt und anschließend noch bei aufgerissenem Rücken ausgepeitscht werden, lieber möglichst qualvoll schnell sterben als Knabe eines solchen Kerls zu sein. Typen dieses Schlages waren mir durchaus bekannt. Ihnen war egal, was für ein Alter oder welches Geschlecht seine menschlichen Spielzeuge hatten, Hauptsache sie schrieen schön wenn er mit ihnen spielte. Mir stieg vor Ekel die Magensäure empor und ich schmetterte dem schaltragenden Verräter in Gedanken jeden möglichen Fluch an den Kopf.

Aber die Begeisterung war scheinbar beiderseitig.

„Ich nixe will diese hässliche kleinen Jungen. Er nixe aussieht wie gute Arbeiter! Viel zu dünn.“

An sich hätte ich jedem Pisser mein Entermesser in die Rippen gejagt, der es wagte mich wegen meiner geringen Größe und schmalen Statur derart dämlich anzumachen, aber dieses eine Mal war ich wirklich froh so von der Natur als echter Kerl vernachlässigt worden zu sein.

Scarf hingegen amüsierte sich prächtig.

„Ach was, er meerjungfrau hässlich.“

Es folgte ein kurzes verständnisloses Schweigen. Ich hätte Scarf sagen sollen, dass der durchschnittliche Pirat und Haudegen sich zu viele Hirnzellen für Wortwitze weggesoffen hatte. Andererseits gönnte ich es ihm nur zu sehr befremdet angestarrt zu werden. Dummweise schien ihn das nur noch mehr zu erheitern.

Später musste ich es gezwungenermaßen hinnehmen, dass es ihm einfach einen Heidespaß machte mit Worten zu spielen. Wobei er an sich niemals wirklich lustig war.

„Meerjungfraue nixe gibt!“

„Und was gibt sie ihr?“

„Was du redest, kleiner Scheißer?“ Der Fettwanst schlug mit der flachen fleischigen Hand auf die Tischplatte und das Mädchen neben ihn zuckte wimmernd zusammen.

„Egal. Wir wollten eh nicht reden sondern spielen. Also, steht dein Einsatz? Deine Seekarten und dein Gold?“

„Hmm... Nixe Gold, nur Ochos Reales. Aber eine Sack davon und Mädel gegen der Junge und Schiff.“

Mir wurde immer schlechter. Scarf schien es wirklich ernst zu meinen und die Angst wuchs.

„Achterstücke sind auch vollkommen in Ordnung. Haben das alle Anwesenden auch mitbekommen? Die Einsätze stehen. Ich setze meinen wichtigsten Mann und mein Schiff gegen die Achterstücke und gezwungenermaßen die Sklavin. Damit ist der Deal besiegelt, werter Morgados* Tialgo.“

„Du gewiefte Zunge hast, kleiner Schalmann.“

„Das nehme ich als Ja!“ Mit diesen Worten ließ Scarf den Würfelbecher umgedreht auf die Tischplatte knallen und ich schloss die Augen. Mir war weder bekannt welches Spiel sie spielten, ob mein unloyaler Captain gut darin war oder ob er ein Meister des Betruges war, was ich wiederum sehr bezweifelte. Scarf schien sich seiner Sache sehr sicher, andererseits war der Typ auch auf den Trichter gekommen sich ein Piratenschiff zu erkaufen und ohne Ahnung loszusegeln.

„Oha, wir beginnen gleich eindrucksvoll. Ich habe zwei Zweien.“

Mein Herz wagte einen vorsichtigen Hüpfer und ich blinzelte zum Tisch hinüber. Bei dem Spiel ging es darum den Gegner einfach immer nur in Anzahl der gleichen Zahlen zu übertrumpfen. Aber meine Erleichterung währte nicht lange, sie wurde vertrieben von sämtlichen Mordgelüsten. Ich würde Scarf töten, egal wie das Spielchen ausgehen würde, das stand fest.

Dieser Tialgo griff ohne zu zögern nach dem Becher, zog ihn über die Tischplatte und nahm ihn inklusive Würfel mit Schwung auf. Er maß Scarf aus verquollenen, eiterverkrusteten Augen und schüttelte den Becher. Auch er ließ ihn lautstark hörbar auf den Tisch aufsetzen und lugte hinter hervorgehaltener Hand drunter. Dann grinste er ein schmieriges Goldzahngrinsen.

„Es sinde dreie Vieren.“

Die umstehenden Männer lachten rau und pfiffen bewundernd. Scarf blieb gelassen und wippte weiterhin auf den Stuhlbeinen.

„Bei nur sechs Würfeln kein schlechtes Ergebnis, mein Freund. Darf ich?“

Ich hasste ihn, ich verabscheute ihn. Ich wünschte, ich hätte ihm am Morgen so heftig in die Rippen getreten, dass er daran verreckt wäre.

Dieses Mal ließ er den Becher länger kreisen. Dabei spannte er die Schultern an, mehr konnte ich aus meiner Position nicht erkennen. Ich konnte lediglich einen Blick auf das gierige Grinsen seines abartigen Gegenübers werfen.

Es wurde nahezu still in der Kneipe als Scarf einen Blick unter den umgedrehten Würfelbecher warf. Aufatmend stellte er ihn zurück auf den Tisch und verschränkte die Arme.

„Vier Sechser.“

An Tialgos Stirn sprang eine dicke Ader hervor und man konnte das Blut pulsieren sehen. Er starrte den schaltragenden Jungen eine Weile prüfend an, nickte dann aber und griff nach dem Becher. Feine Schweißperlen bildeten sich auf seinem feistem Leib und rannen sein Gesicht und die nackte Brust herab.

„Das wird schwierig, Meister. Du musst mindestens fünf Gleiche haben.“ Scarf feixte ausgiebig und sein Gegenüber knurrte gereizt. Das Mädchen an seiner Seite schien völligst verängstigt, was mich schließen ließ, dass sie unsere Sprache nicht verstand. Sonst hätte sie sich wahrscheinlich gefreut, bald frei zu sein.

Tialgos drahtbehaarte Oberarme schwabbelten ungeniert, während er den Becher energisch schüttelte. Als ihn auf den Tisch treffen ließ, setzten sich die Stoßwellen bis zu seiner Wampe fort, soviel Kraft hatte darin gelegen. Er war ein Schinder erster Güte, der seine Kraft auch unter den eigenen Mannen walten ließ und der auch nicht davor zurückschreckte Kinder und Frauen zu zerstören. Und ich hatte Aussichten auf ein von ihm geprägtes Schicksal.

Im Nachhinein würde ich gerne sagen, dass ich in dieser Situation meine gewohnte Hitzköpfigkeit und unrationale Gewaltbereitschaft an den Tag legte, aber zugegebenermaßen war mir das Herz in die Hose gerutscht. Da zog ich jedes noch so aussichtslose Feuergefecht vor als die Möglichkeit eines Sklavendaseins unter Capitane Tialgo.

Und genau das rückte näher. Nachdem er einen recht langen Blick auf die verdeckt gehaltenen Würfel geworfen hatte, lehnte sich der Widerwart zurück und lachte dreckig.

„So kleine Schalmann. Du haben eine Problem. Ich habe gewürfelte fünf Sechsen.“

Mein Herz setzte aus. Und das nicht nur für einen Schlag. Mir wurde schon ziemlich kalt und zudem noch schwarz vor Augen als mir der Gedanke kam, dass Scarf seinen Gegenspieler der Lüge bezichtigen konnte und auch müsste. Logisch gesehen war es kaum möglich eine solche Kombination zu würfeln. Und Scarf musste ihn der Lüge bezichtigen, denn die einzige Möglichkeit jetzt noch zu gewinnen war mit allen sechs Würfeln eine Sechs zu werfen. In einem Zug. Ich versuchte in die Hand über meinen Mund zu beißen, aber man verpasste mir lediglich einen warnenden Hieb auf den Rücken.

„Ergib dich deinem Schicksal, Kurzer. Der Captain ist ein sehr sanfter Mann...“ Das dreckige Gelächter der mich festhaltenden Männer rann mir wie Säure durch Mark und Bein.

Je länger Scarf still dort am Tisch saß, sein Gegenüber statt es anzuklagen nur gründlich betrachtete, desto mehr kühlte meine Panik ab bis sie sich schlussendlich zu einem eiskalten Klumpen in meinem Magen absetzte.

„Fünf Sechsen also.“ Scarf klang ein wenig unsicher, aber seine Hand legte sich auf den Becher. „Einverstanden großer Morgados, das nehme ich dir ab!“

Das war der Moment in dem mir war, als hätte meine Seele meinen Körper verlassen. Obwohl ich als knallharter Pirat natürlich nicht an so etwas gläubigem wie der Seele festhielt. Ich spürte meinen Körper nicht mehr wirklich, musste ohnmächtig zuschauen wie zwei abartige Sadisten über mein Leben entschieden.

Der Schalträger nahm Würfel und Becher auf, legte die Hand auf den Rand des Gefäßes und schüttelte ihn. Ich wusste nicht, ob er einfach mehr Dramatik erzeugen wollte oder er sich seiner kommenden Niederlage bewusst war, jedenfalls ließ er sich Zeit und schüttelte gründlich weiter. Erst als der Morgados unwillig schnaubte und seine fette Hand erneut auf die Tischplatte knallen ließ, hielt er inne.

„Gemach, gemach. Du wirst noch früh genug verlieren. Aber das braucht eine gründliche und traditionelle Angehensweise.“

Spätestens jetzt wurde allen in diesem Raum klar, dass der Typ mit dem Würfelbecher einen heftigen Schaden hatte.

„Kommen wir zum großen Finale!“ Scarf riss den Becher in die Höhe und stoppte dann abrupt, sodass die sechs kleinen braunen Würfel aus dem Behälter herausflogen, sich auf dem höchsten Punkt ihrer Flugbahn kurz drehten und dann zielsicher alle wieder in dem Würfelbecher landeten. Scarf ließ ihn auf den Untergrund knallen.

Es wurde still, wirklich still in dieser Kneipe. Wahrscheinlich war es in den Räumen selbst nach Ladenschluss zuvor niemals so ruhig gewesen. Scarf räusperte sich, legte beide Hände an den Becher und rutschte zurück. Ohne das jemand einsehen konnte, lugte er unter den Behälter und schwieg.

Im Prinzip war es eh egal. Die Chance, dass er wirklich sechs Sechsen gewürfelt hatte, war nichtig und selbst wenn er versuchen würde zu lügen, dann würde es der Morgados als Schwindel besagen und so gewinnen. Bastard Scarf. Kielsau. Möge der Teufel und die böse Gottheit dich leiden lassen. Qualvoll und auf ewig!

„Sechs Sechsen“, drang Scarfs Stimme leise und beinahe erleichtert durch die Spelunke. Er stellte den Becher wieder zurück und hob den Kopf.

Tialgo lachte beinahe hysterisch und beugte sich über die Tischplatte um einen Finger an den Becherrand zu legen.

„Nette Versuch, winzige Schalmann. Aber ich sage du lüge!“ Mit diesen Worten stieß er den Würfelbecher vom Tisch und ich schloss die Augen.

Ich erwartete Jubel und Gepfeife, aber meine Ohren erreichten nur die Stille. Und da spürte ich wieder etwas, nämlich eine winzige unwahrscheinliche Hoffnung in mir aufkeimen.

„Mein Beileid, aber es ist die Wahrheit.“ Scarf klang belustigt und mir stiegen die Tränen in die Augen. Für diese Seelenqualen würde er sterben müssen, noch heute!

„Das kanne nicht sein!!“ Der fette Verlierer brüllte auf. „Das iste unmöglich!! Du haste geschummelt, du Hurensohn!“

Der Schalträger bewies tatsächlich die Ruhe den Zeigefinger warnend zu heben und tadelnd damit hin und her zu wedeln.

„Aber, aber. Ich muss mir doch sehr verbitten derart über meine werte Frau Mutter zu reden. Oder zu schreien. Und außerdem bitte ich dich zu bedenken was du tust wenn du mich als Betrüger darzustellen versuchst.“

„Das iste deine Tod!“ Der Morgados schrie wutentbrannt und Speichel flog Tröpfchenweise aus seinem schäbigen Maul. Das Mädchen neben ihm war in Tränen ausgebrochen vor Angst. Die übrigen Männer wurden unruhig und ein gereiztes Murmeln ging durch die Menge. Selbst ich teilte die Meinung des Verlierers. Scarf jedoch blieb völlig unbeeindruckt.

„Ja, es wäre mein Tod wenn du mir das Betrügen nachweisen könntest.“

„Du habe manipuliert die Würfel! Du habe sie ausgetauscht während deine Gehampel!““ Der fette Mann sprang unerwartet behände auf und griff sich die Würfel. Triumphierend warf er sie erneut auf den Tisch. „Da, alle zeigen Sechsen.“

„Und wo?“

Erneut kehrte Stille ein. Ein kleiner untersetzter Mann mit Glatze beugte sich über die kleinen braunen Dinger und verkündete weithin hörbar was er sah.

„Die Würfel sind nicht getürkt. Sie zeigen unterschiedliche Zahlen. Der Junge mit dem Schal hat das Spiel gewonnen. Das Mädchen und der Sack Ochos Reales gehören ihm.“

Ich wusste nicht was ich zuerst machen sollte. Jubeln oder Scarf umbringen. Meine Entscheidung wurde mir schnell abgenommen.

Der Gewinner drehte sich zu mir um, lächelte mich dann kurz an und schritt gemächlich zu dem tobenden Monster rüber, der das Mädchen wütend und unbarmherzig meinem Captain entgegenstieß.

„Hör mal, mein werter Morgados Tialgo. Ich bin auch nicht so vollkommen glücklich damit. Du verlierst dein kleines Spielzeug und ich will noch immer deine Seekarten haben. Daher biete ich dir einen Tausch an: Deine Karten gegen meinen ersten Maat.“

Und das Monster schlug ohne zu zögern ein.
 

*Morgados ist die portugiesische Bezeichnung für die Majorate, also das Ältestenrecht. In diesem Fall ist es eine Art Titel.
 

Ha ha ha.... Was gibt es da abschließend noch zu sagen..?! XD

Widmung an meine geliebten Nakamas! Arrrr!! <3

Und die Moral von der Geschichte...?!

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Marcos Schrei erreicht mich auch durch die Hand auf seinem Mund. Es klingt wie eine Art Urschrei, ein Rhinozeros das gerade ein Baby bekommt. Nicht sehr freundlich jedenfalls.

Aber netterweise wird er ja von starken Herren festgehalten, sodass ich vor weiteren körperlichen Übergriffen an diesem Tag geschützt bin. Von denen bin ich nämlich wirklich bedient. Abgesehen davon würde Marco sonst sehen, dass mir noch immer der Schweiß auf der Stirn steht und mir die Knie zittern von der brenzligen Situation gerade.

Schon ewig habe ich mich nicht mehr in so einer verfahrenen Begebenheit befunden, so lange mich nicht mehr derartig lebendig gefühlt. Und doch stehe ich nun vor einem kleinen Problem. Marco hasst mich. Dummweise muss ich wirklich einräumen, dass er dazu jedes Recht hat. Aber anders lässt sich die Situation nicht regeln und eines Tages wird er mir schon alles verzeihen. Das hoffe ich absolut inbrünstig.

„Aber lasse mich dir sagen, werter Mordagos, dass der nicht so deinen Ansprüchen genügende Marco mit durchaus viel freundliche Zuneigung bedacht werden sollte. Er entstammt nämlich einer bekannten Seeräuberfamilie und die sollte man sich nicht zum Feinde machen...“

„Deshalb du ihn loswerden willste?“ Auf dem nicht gerade sehr sympathischen Gesicht von Marcos neuem Besitzer liegt ein etwas angespannter Ausdruck.

„Nö. Aber ich will die Karten haben.“ Ehrlichkeit hat mir noch nie geschadet. „Und abgesehen davon...“, sinniere ich überzeugend und deute dabei auf meine neu gewonnene kleine Sklavin an der hübschen Kette. „... bevorzuge ich wirklich Mädchen. Und da wir erst in ein paar Tagen ablegen, sollte ich mir doch noch ein wenig Spaß gönnen.“

Die Kleine starrt verstört zu Boden, ich würde den Sack Achterstücke darauf verwetten, dass sie kein Wort versteht. Geschweige denn, dass sie weiß dass ihr Schicksal nun in meinen Händen liegt. Ich reiche ihr meine anderen Gewinne und die ertauschten Seekarten, nehme die Kette in die Hand und lächle ihr freundlich zu. Wie freundlich man auch jemandem zulächeln kann, der um den Hals ein Band trägt und ausgeführt wird wie ein Schoßhündchen. Das ist mir in der Tat ein wenig zu morbide. Die Kette wird als Erstes wegkommen.

Aber zunächst schlendere ich noch kurz zu Marco, der wie betäubt in den Armen von Tialgos Männern hängt. Sein Kampfgeist scheint erloschen, aber sobald er registriert dass ich vor ihm stehe, beginnt er wie besessen um sich zu treten.

„Hast dich nicht sehr beliebt gemacht bei deinem ehemaligen Jungen hier“, grinst mich der Kerl an, der seine Pranke über den Mund meines ersten Maates gelegt hat. Ich zucke lediglich die Schultern und deute auf mein vermacktes Gesicht.

„Das wusste ich auch schon vorher.“ Ich seufze leise und sehe Marco ein letztes Mal in seine schönen vor mörderischer Wut pechschwarz verdunkelten Augen. „Bis zum nächsten Treffen, mein Freund. Lass dir die Zeit bis dahin nicht zu lange werden!“

Ein raues Lachen geht durch die Menge und der Mordagos erhebt sich schwerfällig von seinem vor Erleichterung ächzenden Stuhl.

„Dafüre werde ich sorgen.“

Als ich gefolgt von dem verängstigten, aber nun etwas hoffnungsvollen Mädchen die Spelunke verlassen, hallt mir das Gelächter ätzend in den Ohren und ein Plan beginnt sich zu entwickeln.
 

„Bronson, du fauler Sack! Steh auf!" Es ist nicht gerade die feinste Art um träumende Seemänner aus ihrem wohlverdientem Schlafe zu reißen, aber für Diplomatie ist kein Platz in meinem Zeitplan. Ohne weiter zu zögern, ruckle ich an der Hängematte des Quartiermeisters und deklariere weiter mein Begehren. „Bronsoooon!!! Es wird nicht besser dadurch dass du sonor schnarchst! Wach auf, Mann! Es wird sonst nur noch schimmeliges Brot geben! Und keinen Rum!“

Das letzte Argument zieht wie gewöhnlich am Meisten. Neben Bronson springen gleich noch vier weitere Mannen aus den Matten, aber mein Interesse liegt lediglich bei dem Kerl mit der meisten Befehlsgewalt direkt nach meiner.

„Was ist los, Captain?“ Verwirrt reibt er sich die Augen und unterdrückt ein Gähnen.

„Wir haben den Plan geändert. In fünf Stunden muss das Schiff...“

„Captain!! Da!!“

Mein Quartiermeister zollt mir nicht so wirklich die gebührende Aufmerksamkeit sondern zeigt mit dem ausgestreckten Finger auf einen Punkt hinter mir. Selbst im schwummerigen Licht unter Deck fällt mir auf, wie dreckig seine abgekauten Nägel sind. Ich bin für Sekunden unfähig mich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf die schwarzen Halbmonde an Bronsons Fingerenden.

„Captain! Hinter Euch!!”

„Ja?” Ich drehe mich um. „Was ist denn?“

„Ein... Ein Weibsstück! Hier an Bord!!“ Durch Bronsons massiven Körper rollt ein Schauer.

„Hmmm... ja. Hab ich gerade gewonnen.“ Seufzend starre ich auf die Kette in meiner Hand. Ich bin mir nicht so ganz sicher was ich mit dem Mädchen anfangen soll.

„Mit Verlaub, Captain, aber Frauen gehören nicht an Bord! Das bringt Unglück.“

Albernes, abergläubisches Pack. Ich bin kurz davor mir entnervt die Schläfen zu massieren. Ein kurzer Blick auf das Mädchen genügt um sagen zu können, dass es eher ihr Unglück bringt an Bord zu sein als sonst wem.

„Pass auf, Bronson. Das ist völliger Schwachsinn. Frauen an Bord bringen kein Unglück, sondern nur Streiterein innerhalb der Mannschaft wer sich als Nächster an dem armen Ding vergehen darf. Von daher ergeht einfach mein Befehl, dass sich kein Mitglied dieser Mannschaft dem Mädchen auf einen Meter nähern darf. Ende.“

Ich muss zugeben, es gefällt mir sehr Captain zu sein. „Verstanden?!“

„Aye Sir!!“ Noch ein wenig mehr Ehrehrbietung und Bronson würde die Hacken zusammenschlagen und salutieren. Innerlich lache ich lautstark. Doch dann fällt mir wieder ein, dass ja noch einiges zu tun ist.

„Ich werde mich nun mit dem Mädchen in meine Kajüte zurückziehen, Bronson. Ich wünsche ungestört zu bleiben.“

„Aye Sir!!“ Nun steht er noch strammer und ich muss mich fest auf mein schmerzendes zugeschwollenes Auge konzentrieren um nicht loszulachen.

„Weggetreten.“
 

Die Kleine zittert wie Espenlaub als sie mir in meine Kabine folgt. Ich deute ihr Platz zu nehmen und sie lässt sich mit dem Sack Münzen und den Seekarten im Arm ängstlich auf meinem Bett nieder. Dabei hatte ich eigentlich eher auf den Schreibtisch gezeigt. Aber scheinbar wurde sie schon derart erzogen.

Ich spüre eine kalte Wut in mir aufsteigen, der ich mich allerdings erwehre, da für solcherlei Gefühlsregungen kein Bedarf mehr ist.

Betont langsam nähere ich mich ihr und lächle möglichst beruhigend, nehme ihr den Sack und die Karten ab und ziehe mir dann meinen Stuhl hinzu.

„Möchtest du etwas trinken?“

Ihre Antwort verstehe ich nicht, aber sie wahrscheinlich auch nicht meine Frage. Nun, das verspricht sehr amüsant zu werden.

„Nun gut, beginnen wir mit etwas Grundlegendem“, seufze ich leise und lege die Hand an meine Brust. „Scarf.“

Lobpreiset universale Gestik, ich werde verstanden!!

„Tamia...“ Ihre Stimme hat einen wirklich schönen weichen Klang. Unwillkürlich muss ich lächeln, sie erwidert es sogar zaghaft. Das macht mir Mut und langsam, wirklich unfassbar langsam hebe ich die Hände und lege sie an Tamias schlanken Hals. Sofort beginnt sie wieder zu zittern.

„Keine Angst.“

Ihre Furcht macht das Unterfangen nicht gerade einfacher, aber nach kurzer Zeit habe ich ihr Halsband gelöst und werfe die Kette verächtlich auf den Boden. Auf dem Grund des Meeres will ich sie nicht versenken, vielleicht ist sie ja noch einmal irgendwann von Gebrauch.

„So, meine hübsche Tamia. Nun habe ich noch ein paar Fragen und hoffe, dass wir uns irgendwie verständigen können.“

Ihre eigentümlich und faszinierend geformten Augen sehen mich groß an, sie kann noch nicht begreifen von dem unzierlichen Hundhalsband befreit zu sein. Nun, ich beschließe ihr etwas Zeit zu lassen und trage meinen Stuhl an meinen Schreibtisch. Es gilt noch einige Briefe zu schreiben und noch mehr zu planen.
 

So, Scarf macht sich auf zu großen Abenteuern. Aber beinhalten diese auch Marco oder wird Tamia nun neuer erster Maat?

Ich möchte hier kurz auf ein wundervolles Bild zur Story verweisen, welches der Captain der OCI-Crew auf meinen Wunsch hin zeichnete:

http://animexx.onlinewelten.com/fanart/zeichner/47416/1531345/

Desweiteren wünsche ich eine gute Fahrt und ruhige See!

Selbst in der tiefsten Nacht leuchten die Sterne... Erzähl das mal nem Blinden!

Ich wollte schreien, ich wollte kämpfen, ich wollte morden. Aber direkt nachdem Scarf sich mit dem Mädchen und seinen neuen Schätzen von dannen gemacht hatte, fesselte und knebelte man mich äußerst sorgfältig. Ich weiß nicht was Scarf zum Abschluss zu meinem zukünftigen Peiniger gesagt hatte, aber soweit behandelte man mich einigermaßen freundlich. Da ich durch meine zusammengebundenen Füße nicht laufen konnte, wurde ich auf irgendwelche verschwitzen Rücken gehievt und wie einen Sack Mehl zum Schiff getragen. Ich versuchte mich möglichst schwer zu machen damit mein Träger am nächsten Tag doch bitte unter Rückenschmerzen zu leiden haben möge.

Der Abend war schon weit fortgeschritten und so konnte ich im Dunkeln nicht viel von dem Schiff des Morgados Tialgo erkennen. Lediglich das es groß war, viel größer als das kitschige Holzschälchen von dem Penner Scarf. Und besser in Schuss. Und überhaupt viel seeräuberischer. Hätte ich mich nicht in einer derartig miesen Situation befunden, wäre ich sicherlich beeindruckt gewesen.

An Bord wurde ich erst einmal in die Kajüte des Mordagos geschleppt und dort unsanft auf den Boden geworfen. Ich kam mir vor wie ein Fisch an Land, so gründlich war ich verschnürt worden. Und dann lehnte sich der Grund für meine künftigen Albträume über mich. Ich schloss die Augen und versuchte einfach an etwas Schönes zu denken, aber der Gestank, den dieser Mann absonderte, ließ alle Blümchen auf meiner imaginären Wiese prompt verwelken.

„Du also kommste aus einer bekannten Familie?“

Ich nickte mit geschlossenen Augen, antworten konnte ich ja dank meines Knebels eh nicht. Woher er auch immer wissen wollte mit wem ich verwandt war und was er damit bezweckte.

„In die Hafen liegte eine große Schiff von die De Salva Clan. Gehörste du dazu?“

Ich zögerte zu antworten und schon begann er meine Arme nach dem berüchtigten Familienzeichen abzusuchen. Durch die Seile an meinem Leib kam er allerdings nicht sehr weit.

„Deine kleine Capitane hatte gesagte mir dass viele Ärger wird kommen über meine Schiffe wenn du gehste kaputt.“

Wenn Scarf erhofft hatte sich somit ein reineres Gewissen zu erkaufen, so war ich durchaus der Überzeugung meine Verneinung dieser These bei unserem nächsten Zusammentreffen mittels einer glühenden Nadel in seine Haut brennen zu wollen.

Der stinkende fette Kerl packte mein Gesicht mit seinen fleischigen Händen und das abartige Gefühl von fehlenden Gliedmaßen an meinen Wangen ließ mich gegen meinen Knebel würgen. Der üble Mundgeruch des Perversen tat sein Übriges.

„Hmmm... du biste eigentlich eine ganz hübsche Junge.“

Meine Hoffnungen hier heile herauszukommen schwanden immer mehr, auch wenn sie schon von Anfang an gegen Null standen. Es schmerzte dem Morgados beim Denken zuhören zu müssen, schließlich dauerte es unsagbar lang und brachte mir in wohl jedem Falle ein äußerst bedenkliches Schicksal. Ich hatte mich noch nie derart ohnmächtig gefühlt und ich hasste Scarf dafür.

„Also gut. Du wirste bleiben unbehelligt bis wir sinde auf die Meer. Und dann kanne mir niemande mehr gefahrliche werden.“

Bis zum ersten Teil des Planes war ich einverstanden, danach würde ich lieber über die Planke gehen.

Captain Tialgo rief in einer mir fremden Sprache nach seinen Mannen, dann wurde ich grob gepackt und wieder über irgendwelche Schultern geworfen. Endlich wagte ich meine Augen zu öffnen, doch dummerweise sah ich nur den breit grinsenden Morgados mit seinen schäbig grau-grünen Zahnstümpfen. Ich war mir sicher, in dem Moment an dem man mir den Knebel aus dem Maul reißen würde, müsste ich mich hemmungslos und lange bekotzen.

Aber noch war man nicht so weit, mein Mehlsackträger schmiss mich recht rücksichtslos in eine Art Schrank in der Kabine des hässliches Sackes von Schinder. Da er nicht unbedingt den Bedarf eines Kleiderschankes hatte, war das in die Kabine eingebaute Möbelstück vollgestopft mit verrottet riechenden Jutesäcken, splitternden Holzkisten und einem gefesselten Marco. So gut verschnürt wie ich war versuchte ich mein Ohr an die Schranktür zu pressen um mehr über mein Umfeld erfahren zu können. Der fette Captain jedoch schob sich schnaufend Richtung Deck und ließ mich geknebelt und bewegungsunfähig zurück. Stinkwütend begann ich mich gegen die Holztüren zu werfen, aber entgegen ihres maroden Anblicks hielten sie vorzüglich und nach kurzer Zeit war ich müde. Das Zertrümmern der Deckaufbauten hatte viel Kraft erfordert.

Wie lang her mir der Nachmittag mit einem Mal vorkam. Als lägen Äonen zwischen den Ereignissen an Scarfs schwulen Schiff und dem Piratenkahn hier.

Ich schloss die Augen und versuchte krampfhaft nicht solche Sachen zu denken. Es würde die Lage nur schlimmer machen, wenn ich über die Erinnerungen in Verzweiflung geraten würde. Ein kühler Kopf war nun dringend angesagt, irgendein guter Plan um von hier aus zu entkommen und mit Scarf abzurechnen.

Dummerweise war ich nie gut im Pläne schmieden. Dummerweise fiel mir nichts ein nach der Idee die Schranktüren aufzubrechen. Dummerweise stiegen mir doch langsam vor Verzweiflung die Tränen in die Augen. Dummerweise hörte ich die Mannschaft des Morgados ausgelassen zechen und singen.

Ich konnte nicht einmal meine Wut und meinen Hass Scarf gegenüber hinausbrüllen. Mir blieb lediglich die Möglichkeit meinen Knebel voll zu heulen und dazu war ich eindeutig zu stolz. Mit den schrägen Gesängen und dem Gegröhle der Mannschaft im Ohr fiel ich erschöpft in einen unruhigen Schlaf.
 


 

Ich erwachte davon, dass jemand die Schranktüren aufzog und ich, der ich ja dagegen gelehnt eingeschlafen war, ungelenk zu Boden klatschte. Ich stöhnte vor Schmerzen auf, mit den Fesseln an Händen und Füßen war ich nicht in der Lage mich auch nur ein wenig abzufangen.

Flinke Finger machten sich an meinem Knebel zu schaffen und schon bald lockerte sich auch das Seil an meinen Gelenken. Alarmiert blieb ich stocksteif liegen, schließlich wusste ich nicht wer mich da gerade aus meinem Leid erlöste und ob das überhaupt etwas Gutes war. In dem Raum war es stockdunkel, der Morgados hatte die Kerzen und Fackeln gelöscht bevor er an Deck gegangen war.

„Alles in Ordnung?“ Die Stimme über mir war männlich, etwas heiser und angespannt. Jedenfalls kam sie mir nicht bekannt vor und in mir regte sich Misstrauen. „Hey... Ich weiß, dass du lebst und wach bist. Du hast gemurrt als du auf dem Boden aufgeschlagen bist....“ Feuchte kalte Hände tasten vorsichtig prüfend über meinen Rücken und meine geschundenen Gelenke, was mich die Luft zischend vor Schmerz einziehen ließ.

„Oje... das klingt schmerzhaft. Kannst du laufen?“

Ich versuchte angestrengt in die Dunkelheit zu starren und meinen Erlöser irgendwie auszumachen, aber es war unmöglich. Dafür schoss mir jedoch der unverwechselbare Eisengestank von Blut in die Nase und nach der Intensität des Geruches musste es sich um wahre Mengen von geflossenem Blut handeln. Unwillkürlich erschauderte ich.

Mein Retter in der Not beugte sich erneut über mich und mir tropfte etwas schwer und warm ins Gesicht. Meine Hand drohte zu zittern als ich sie an die Wange hob, aber ich kämpfte um jedes Quentchen Macht über meine Gliedmaßen. Der Tropfen war zähflüssig, ich verrieb ihn zwischen meinen Fingern und leckte dann prüfend die Kuppen ab. Blut.

„Wir sollten langsam los, Kleiner. Sonst könnten wir in arge Bedrängnis kommen...“

Mit einem Mal war ich mir nicht mehr ganz so sicher ob mein Helfer auch tatsächlich auf meiner Seite stand und so sah ich mich genötigt Klarschiff zu machen.

„Wer bist du?“

„Wir haben wirklich keine Zeit...!“ Ungeduldig packte er mein geschundenes Handgelenk und zog mich grob hoch. Er legte meinen Arm um seine Schultern und packte mich an der Hüfte, sodass ich auf ihn gestützt laufen konnte. Meine Beine fühlten sich noch immer taub an und ich schwankte wie bei heftigem Seegang. Der ganze Typ war schmierig und vor meinem inneren Auge sah ich den Kerl völlig mit Blut beschmiert einen armen Marco durch die Gegend schleppen.

„Du bist... ganz......“ Mir fehlten die richtigen Worte, hoffte ich doch, dass meine Befürchtungen unbestätigt blieben.

„Klebrig?“, half er mir aus. Ein stummes Lachen ging durch seinen Körper und er setzte sich in Bewegung. „Wir sollten ein Bad nehmen, wenn das alles vorbei ist. Geronnenes Blut und angetrocknete Gedärme sind nicht so angenehm!“ Er klang amüsiert, mir jedoch lief ein kalter Schauer über den Rücken. „Oh, keine Sorge. Ist nicht mein Blut.“

„Um dich mache ich mir keine Sorgen. Eher um mich.“ Ich wünschte mir mein Entermesser oder wenigstens meine Dolche herbei, aber der Morgados hatte mir alle Waffen abnehmen lassen sobald ich halbwegs gefesselt war.

Wieder ging ein lautloses Lachen durch den Anderen.

„Ich verstehe. Aber sei unbesorgt, das Blut ist um deinetwegen vergossen worden. Dir droht von meiner Person aus keine Gefahr. Es wird nur brenzlig, wenn irgendwer noch leben und uns erwischen sollte.“

„Du hast sie... wegen mir umgebracht?“ Ich traute meinen Ohren nicht.

„Ja.“

Eine einfache Antwort mit hartem Inhalt. Ich versuchte zu begreifen was geschehen sein mochte während der Namenlose mich die Treppe empor schleppte und wir an Deck traten. Und hier traf mich das Geschehen wie ein Hammerschlag.

Das Schiffsdeck war voller schlaffer Körper und der Untergrund war rutschig von Blut. Kaum tat ich meinen ersten Schritt auf die Holzdielen, da rutschten mir schon die Füße unter dem Leib weg und mein Begleiter musste ächzend mein Gewicht abfangen. Ich hatte schon vielerlei Schlachten erlebt, schon einige Männer und Frauen selbst getötet, aber ein solches Massaker ließ meinen Atem stocken.

„Aber... wie...so... ganz alleine?“

„Sie waren recht betrunken. Ich habe den Meisten im Schlaf die Kehle durchgeschnitten.“

Mir lief es kalt den Rücken hinab, war der Andere doch bar jeglicher Emotionen. Er sprach sachlich, vollkommen unberührt. Ganz so, als sei dies nicht sein erstes Mal gewesen Menschen hinterrücks umzubringen. Und er schien meine Gedanken lesen zu können. „Ich hab darin schon etwas Übung.“

„Oh...!“ Mir fehlten wohl zum ersten Mal in meinem Leben die Worte. Wir humpelten über das rutschige Deck, gingen von Bord und ließen das schaurig stille Totenschiff hinter uns. Ich wollte unwillkürlich tief durchatmen, aber mir stieg nur der Geruch des besudelten Kerls neben mir in die Nase und ich atmete möglichst flach.

„Wohin gehen wir?“, presste ich so gut wie kaum Luft holend hervor. Mein Verhalten schien den Anderen zu amüsieren, ich konnte das Schmunzeln aus seiner Stimme heraushören.

„Wir gehen an Bord, den Hafen sollten wir möglichst schnell hinter uns lassen. Der Morgados hatte eine Menge Freunde und...“

„Hatte?“, unterbrach ich ihn hellhörig. „Heißt das, du hast ihn auch...?“

„Ja.“ Er schien kein Mann großer Worte zu sein und zum ersten Mal an diesem Abend machte mein Herz einen schadenfrohen erleichterten Hüpfer.

Ich konnte im Dunkeln des Hafens nicht sehen welches Schiff er ansteuerte. Es war schon so spät, dass die Stadtwache bereits alle Straßenlampen gelöscht hatte, doch mein Führer schien seinen Weg genau zu kennen. Irgendwann begann er leise zu keuchen.

„Ich kann auch alleine laufen.“ Mein Gewicht schien ihn zu behindern und mittlerweile fühlte ich mich wieder Herr meiner Gliedmaßen.

„Sicher?“ In seiner Stimme schwang Sorge mit, was mich wirklich irritierte.

Ich nickte unwillkürlich, aber dann wurde mir klar das Mimik in dieser Dunkelheit nicht viel brachte.

„Ja, völlig sicher. Du musst doch ziemlich geschafft sein von dem.. Massaker vorhin.“

„Wohl wahr.“ Er zeigte keine weitere Regung, sondern fasste mich bei der Hand und zog mich zielsicher zu einem Schiff. „Hier hinauf. Dort kannst du in Sicherheit schlafen.“

Schlaf klang in meinen Ohren himmlisch und der Zusatz Sicherheit tat sein Übriges. Ohne mir weiter Sorgen zu machen, erklomm ich die Planke, ließ mich unter Deck führen ohne auch hier viel sehen zu können. Auf Bord herrschte ein geschäftiges, aber vollkommen lautloses Treiben.

„Was machen die?“

„Sie machen das Schiff bereit zum Ablegen.“

„Was? Aber wohin..?“ Ich war nicht unbedingt begeistert von dem Gedanken mit irgendwelchen mir unbekannten, nicht anschaubaren Leuten gen Ungewiss zu schippern.

„In Sicherheit.“ Wer auch immer er war, er war völlig überzeugt.

Ich konnte gar nicht anders als ihm zu vertrauen. Ehrlich gesagt wusste ich auch nicht wohin ich hätte gehen sollen. Zu meinem Onkel wollte ich nicht zurück, der würde mich nur wieder meinen Eltern ausliefern. Scarf wollte ich nur noch tot sehen und der Mordagos war es freundlicherweise bereits. Also folgte ich dem Unbekannten, wurde durch die Dunkelheit zu einem Schlafplatz geführt und war schon eingenickt noch bevor mein dreckiges Gesicht das Kissen berührte.
 

Arr, langsam starten wir in das richtige Piratenleben, ihr Landratten! Wohlan! Volle Fahrt vorraus!

Und seid gespannt, eine kleine Meermaid hat mir geflüstert, dass es vielleicht schon ganz bald ein neues Bild zu Scarfs und Marcos Reise geben wird! Ich bin jedenfalls schon seeeehr gespannt, ho ho ho!

Der Weg ist mitunter das Ziel

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Warum hat mir nie jemand gesagt, dass Seekrankheit der Tod ist? Mir ging es im Leben selten so dreckig und ich verliere langsam den Spaß daran über der Reling zu hängen und mir die Seele aus dem Leibe zu spucken. Ab und an kommt einer aus der Mannschaft zu mir rüber und klopft mir mitfühlend auf die Schulter. Es sind wirklich nette Männer, auch wenn Marco sie nicht mag.

„Bronson...?“, krächze ich matt, meine Stimmte ist vom Kotzen völlig hinüber.

„Ja, Captain?“

„Wann hört das Geschaukel auf?“ Mir ist so jämmerlich zumute, so schwächlich, kränklich und am liebsten würde ich mich in das endlose Wasser stürzen und alles beenden.

„Nun, gar nicht, Captain.“

„Oh... Wird es besser?“

„Im Gegenteil. Im Moment ist es beinahe windstill.“

Ich stöhne gequält auf und möchte mir gar nicht erst vorstellen, wie es dann bei einem Sturm oder nur bei einer stärkeren Brise ausarten wird. Trübsinnig würgend schaue ich auf das weite Meer rings vor mir und inhaliere die salzige Seeluft. Mit der Zeit lerne ich meinen Magen ein wenig zu regulieren, dass das Geschaukel mit offenen Augen besser zu ertragen ist und wie man sich am sichersten bei Seegang fortbewegt. Ich beginne Spaß an der ganzen Wellensache zu haben, auch wenn ein mulmiges Gefühl in meinem Bauch zurückbleibt. Bronson behält mich bei meinem wackeligem Rumgestrauchle kritisch im Auge und versucht sich jedes Lachen zu verkneifen.

„Wohin segeln wir nun eigentlich, Captain?“

„Ein Stück die Küste hinab, würde ich sagen. Wir müssen bald einen Hafen anlaufen und noch ein paar Mann suchen. Das Schiff lässt sich zwar so segeln, aber für ein Seegefecht wären noch ungefähr acht Mann von Nöten.“

„Ein Seegefecht, Captain?“

„Wir sind schließlich Piraten, Bronson. Da müssen wir nun mal andere Schiffe überfallen und im besten Falle gehört eine ordentliche Salve Kanonenfeuer mit dazu!“ Ich spüre wie die Begeisterung den Platz der Seekrankheit einzunehmen beginnt und strahle den Quartiermeister an, er jedoch erwidert meine Freude mit eher verhaltener Freude.

„Mit Verlaub, Captain, aber derart spektakulär wie du dir das vorstellst ist so ein Kapergang gar nicht.“

„Ich lass mir doch von dir nicht den Spaß verderben.“

„Captain, der sogenannte Spaß hat mich ein Bein gekostet...“ Bronson stampft mit seinem Holzbein auf und ich muss wohl eingestehen, dass er ein wenig Recht hat.

„Dennoch. Spielverderber.“

Bronson seufzt leise und schüttelt zweifelnd den Kopf, aber ich ignoriere ihn einfach.

„Wo ist eigentlich die Kleine von gestern, Captain?“

„Schläft noch, denke ich.“ Allmählich habe ich keine Lust mehr auf ein Gespräch und so fingiere ich eine Ausspähung der Meeresoberfläche. Es dauert eine Weile bis ich ein Teleskop ausfindig machen kann und noch länger bis ich auch tatsächlich den Horizont damit abzusuchen vermag. „Hmm... alles blau soweit das Auge...“

„KREPIER, BASTARD!“

Die Stimme würde ich unter Tausenden wiedererkennen, da bin ich mir absolut sicher. Und auch die Art, wie Marco mir mit seinem schwer beschuhten Fußwerk in die Rippen tritt, auch das würde ich jederzeit ihm zuordnen können.

Dieses Mal spüre ich tatsächlich etwas in mir brechen und ein unsäglicher Schmerz schießt durch meinen Leib. Bevor ich es wirklich realisieren kann, schlage ich bereits auf dem Boden auf, Marco kniet auf meinem Brustkorb und drückt mich an der Schulter auf die Planken. Da erst schalten sich meine Sinne wieder etwas ein und schicken mir äußerst konstruktive Schmerzenangaben. Schon knallt Marcos Faust auf meine eh völlig malträtierte Gesichtshälfte und ich bin überzeugt davon, dass meine Stirn zerbirst. Mit einem leisen Seufzen auf den Lippen kracht mein Schädel auf den Boden und ich kämpfe um mein Bewusstsein. Einerseits erscheint es mir äußerst verlockend derart dem rasenden Schmerz in meinem Kopf und meiner Brust zu entgehen, aber andererseits fürchte ich wirklich nicht mehr aufzuwachen, wenn ich Marco nun keine stichhaltigen Argumente für mein Weiterleben geben würde.

Ich kann ihn sehen, wie er mir mit der flachen Hand links und rechts ins Gesicht zimmert, ich höre seine Beschimpfungen wie durch Watte, aber im Prinzip fühle ich nichts. Selbst der Schmerz in meiner Brust ist zu einem seltsam dumpfen Pochen abgeklungen und hält mich nicht mehr bei wachem Verstand.

Ach verdammt. Ich bekomme es nicht einmal hin zu atmen, irgendwie verliere ich völlig die Kontrolle über meinen Körper. Und das jagt mir eine wirklich verfluchte Angst ein. Eine Panik, wie ich sie noch nie jemals zuvor erlebt habe. Ich muss nicht immer Herr über die Situation sein, ich finde ein wenig Anarchismus in der Tat sogar sehr amüsant und inspirierend, aber keine Gewalt mehr über den eigenen Leib zu haben, das ist wirklich gruselig.

Und dann zieht Bronson den rasenden Marco von mir. Ich kann immer noch nicht atmen, aber der Schmerz kehrt langsam zurück. Wenn ich jetzt nicht eingreife, dann segnet Marco noch eher das Zeitliche als ich. Und das will ich nicht, das ist nicht der Plan.

Unter Aufbietung aller Willenskraft schaffe ich es tatsächlich mich aufzusetzen und schon sind meine Mannen bei mir. Bronson presst derweil meinen ersten Maat mit dem Gesicht an den Hauptmast, während der verrückte Sven immer um ihn herumläuft und Marco festbindet, wohlweislich bei jedem zweiten Schritt einen elfengleichen Hüpfer machend. Er hat recht, ich hab wirklich nur Beknackte angeheuert. Aber exakt das ist ja der Witz an der Sache.

„Captain, alles in Ordnung?“

Ich blinzle verwirrt in das besorgte Gesicht eines Einarmigen, ich glaube er nennt sich ‚Der ziemlich geschickte Jack’. Offensichtlich war er nicht geschickt genug. Ziemlich benebelt vom Sauerstoffmangel, den Hieben ins Gesicht und resultierend aus meiner leicht ironischen Selbstjustiz beginne ich keuchend zu kichern und der nicht wirklich so geschickte Jack wirkt noch besorgter.

„Bronson, ich glaub der Captain hat echt was abbekommen.“

„Ich seh’ schon. Dafür wird der Kleine büßen!“

Marco schreit auf, scheinbar hat der Quartiermeister zugelangt.

„Geht schon, Jack...“, würge ich atemlos hervor, obwohl ich mich nach einem Atemzug sehne.

„Jim, Captain.“

„Hä?“ Mir wird ziemlich schwarz vor Augen.

„Ich heiße Jim, Captain.“

„Oh.... auch schön. Äußerst... melodisch.“ Ich knalle zurück auf das Deck und endlich löst sich die Blockade in meiner Lunge. Gierig schnappe ich nach Luft, auch wenn es unendlich weh tut. Ein weitere Schmerzenschrei schallt über das Schiff, ich bin mir nur nicht sicher ob er aus meiner oder Marcos Kehle stammt.

„Bron... Bronson...!“

„Zur Stelle, Captain!“ Der Mann hat wirklich Potential sich zu meinem Mannschaftsliebling aufzuschwingen.

„Lass.. den ersten Maat und...“

„Aber er hat dich schon wieder verprügelt!“, unterbricht mich der Quartiermeister äußerst unehrbietig. Dummweise hat er ja recht.

„Jaaa... Aber es war gewissermaßen verdient.“

„Captain?“ Er versteht die Situation nicht, eigentlich müsste er Marco für den Übergriff wohl auspeitschen oder so etwas. Ich sollte bei Gelegenheit mal den Verhaltenscodex an Bord studieren.

„Ist schon gut.“ Meine Seite schmerzt heftig bei jedem Atemzug, aber es tut einfach nur gut die Lungen wieder füllen zu können. „Haben wir eigentlich auch einen Arzt an Bord?“ Das erscheint mir momentan etwas dringlicher.

„Ja, Captain! Hey, flinker Flint, kümmere dich bitte um die Verletzungen des Captains.“

Manchmal frage ich mich, ob nicht vielleicht ich ihnen diese dummen Namen gegeben habe. Aber er scheint zu passen, flink wie eine Ratte ist Flint an meine Seite gehuscht und ich versuche angestrengt nicht darauf zu achten, dass sein übrig gebliebenes Auge trüb vor grauem Star ist. Aus Ermangelung seiner Sehkraft tastet mir der sogenannte Schiffsarzt über meinen schmerzenden Brustkorb und mir bleibt vor lauter Qual wieder die Luft weg.

„Gebrochene Rippen, mein Captain.“

„Schon wieder?“, ächze ich atemlos und fluche leise in Gedanken. „Wie viele denn?“

„Schätzungsweise zwei.“

„Na gut, damit kann ich leben. Verbinde mich, damit ich mich dennoch bewegen kann.“ Selbst im Eingeständnis meiner Schuld bin ich durchaus etwas verärgert. Gebrochene Knochen sind äußerst hinderlich. Geduldig und die Pein so gut wie möglich ignorierend lasse ich den halbblinden Kauz meinen Oberkörper bandagieren, bis der Schmerz ein wenig nachlässt. Währenddessen werde ich wachsam von Bronson gemustert, in dessen rechter Pranke ich nun eine Peitsche wahrnehme. Ich räuspere mich.

„Bronson, guter Mann. Hast du damit gerade den ersten Maat versohlt?“

„Ja, Captain. Ein Übergriff auf den Captain bedarf einer solchen Strafe. Und abgesehen davon dürfen sich nach den offiziellen Richtlinien die Männer an Bord nicht schlagen.“

„Aber in Anbetracht der Tatsache dass es durchaus berechtigt war, könnte man die Bestrafung doch eigentlich ausfallen lassen, oder?“

Bronsons Augenbrauen wandern beinahe bis zu seinem Haaransatz, wenn er denn noch einen hätte. Seine Antwort kommt recht zögerlich und Unmut schwingt in ihr.

„Wenn du das meinst, Captain. Immerhin bist du der Geschädigte.“ Schulterzuckend steckt er die 9-Schwänzige wieder in seine Bauchbinde und scheucht lautstark die Mannschaft wieder an die Arbeit. Ich rapple mich auf, während rings um mich herum das geschäftige Treiben losbricht und humple leise ächzend zum Mast nebst festgezurrtem ersten Maat.

Marco hat die Stirn fest an das Holz gepresst und schweigt. Auch als ich mich laut und vernehmlich räuspere, ignoriert er mich rigoros.

„Tut’s weh?“

Keine Antwort.

„Hör mal, ich kann mich weder entschuldigen noch erklären, wenn du nicht mit mir sprichst.“

Stille.

„Maaaarcooooooo!“ Ich beginne quengelig zu werden wie ein kleines Kind, das seinen Willen nicht bekommt. Und das ist ja auch genau die gegebene Situation.

Ich tänzle also um den Mast, stolpere dabei beinahe über den verrückten Sven und verweise ihn unter der Auflage, dass es hier nun zu voll wäre, an den zweiten Mast.

Marco lässt die Augen geschlossen, selbst als ich mein Gesicht neben seines an das Holz presse.

„Komm schon, ist doch alles gut gegangen.“ Er springt auch nicht auf meinen versöhnlichen Ton an und so langsam nervt es mich. Ich schleiche langsam wieder um meinen ersten Maat herum, bleibe hinter ihm stehen und betrachte die blutigen Striemen unter dem aufgerissenen Stoff seines Hemdes.

„Sieht ganz schön schmerzhaft aus...“, sinniere ich.

Und endlich bekomme ich eine Antwort in Form eines warnenden Knurrens.

„Wag es nicht....!“

„Oha, geht doch. Nur zu deiner prekären Situation: Du solltest mir nicht drohen, wenn du angebunden bist.“

„Halt’s Maul, Klugscheißer! Bind mich los!“

„Und dann?“ Ich hocke mich neben Marco auf den Boden, was aufgrund meiner Bandagierung und meiner schmerzenden Rippen ziemlich lange dauert. Aber von hier aus kann ich in die zornesfunkelnden Augen meines ersten Maates schauen.

„Dann bring ich dich um!“

Seine Sturrheit und seine nachtragende Art machen es mir nicht gerade einfach und ich muss frustriert seufzen.

„Das ist nicht unbedingt die beste Bedingung dich dann loszubinden, weißt du? Du solltest ein wenig an deinem taktischen Geschick feilen.“

„Sei einfach still, Scarf! Ich hasse dich und du gehst mir mit jedem deiner Worte auf die Nerven!“

„Meinst du, das weiß ich nicht?“ Ich muss lächeln. „Meinst du, das bezwecke ich nicht?“

Marco blinzelt mich etwas irritiert an.

„Du... machst das alles mit Absicht? Du WILLST, dass ich dich hasse?“

„Na ja, es muss nicht unbedingt Hass sein... Aber ja, ich mache es mit voller Absicht.“ Ich seufze erneut, erhebe mich vorsichtig, so schnell es meine Verletzungen zulassen und fasse Marcos Kinn. Er zuckt zurück, nur um heftig mit der Nase gegen den Mast zu knallen. Er flucht und schimpfte eine Weile, ich warte derweil und überlege. Er ist wirklich sauer und ich kann das auch tatsächlich nachvollziehen. Dummerweise wird er mir so nicht mehr mit mir arbeiten, geschweige denn mir vertrauen, also muss ich mir etwas einfallen lassen. Oder ihm ein wenig mehr von meinen Plänen verraten.

„Marco, ich will nicht, dass du mir verzeihst.“

„Ich würd’ mich auch lieber über Bord schmeißen.“

„Das ist nicht in meinem Sinne.“

„Is’ mir scheißegal!“

„Hör zu, ich werde dich nun losbinden. Und dann wirst du dich ganz gesittet verhalten und hier keinen Stress machen.“

„Ja zum ersten Teil, nein zum zweiten.“

„Dann mache ich dir ein Angebot, erster Maat.“ Ich senke meine Stimme etwas und er wird hellhörig. Misstrauen blitzt in seinen Augen auf, aber auch Neugier gepaart mit Habgier.

„Ein Angebot?“

„Genau das. Du willst mich doch noch immer töten, richtig?“

„Exakt.“ Er schnaubt und zieht dann kräftig die Nase hoch.

Ich beuge mich vor um ihm ins Ohr wispern zu können.

„Nun, dann biete ich dir an, dass du mich töten darfst. Aber erst, wenn ich einen bestimmten Schatz gefunden habe, welchen ich suche.“

„Du.. suchst einen Schatz..?“ In Marcos Stimme liegt Hohn und ich sehe mich gezwungen ihn auf den Hinterkopf zu schlagen.

„Ganz genau. Ich habe eine Karte und die Beweise, dass dieser Schatz tatsächlich existiert.“

Mein erster Maat schweigt ziemlich lange.

„Also sobald wir den Schatz gefunden haben, darf ich dich umlegen. So übel und so langsam ich will?“

„Genau.“

„Dann hast du nicht sehr viel von diesem Schatz. Das ist völlig unlogisch!“

Punkt für Marco, das ist wirklich unlogisch.

„Ich will ihn nur finden. Das Danach ist mir egal.“

„Gut, ich werde mich zusammenreißen und dich nicht umbringen sobald du mich losbindest, aber wenn wir den Schatz gefunden haben bist du totes Fleisch.“

„Einverstanden.“

Und wieder habe ich meinen Willen.
 

Arrr, so langsam aber sicher kommt Story ins Spiel. Und Scarf offenbart immer mehr Sprünge in seiner geistigen Schüssel! Ha! XD

Und wenn ihr Scarf und Marco mal in ihrer natürlichen Umgebung bei ihren üblichen Querelen sehen wollt, dann werft mal einen Blick auf Captns herrliches Werk http://animexx.onlinewelten.com/fanart/1537913/! <3

Wahre Männer weinen nicht bei einem Kratzer!

Man hätte es nicht für möglich halten sollen, aber ich beherrschte mich. Ich stand still an meinem Mast und wartete so geduldig wie möglich darauf, dass Scarf mich los band und das schmerzende Pochen meiner Nase nachließ. Ich schwieg, massierte mir die unterdurchbluteten Handgelenke und bot alle Willenskraft auf mich nicht auf Scarf zu werfen.

Ich hatte dem elenden Mistkerl nicht verziehen, dass er mich für ein paar Seekarten verschachert hatte und ich hatte es auch nicht vor. Aber es gab dennoch ein paar Ungereimtheiten, die mich stutzig machten.

„Du scheinst ein paar Fragen zu haben...?“ Scarf wickelte das Seil betont bedächtig auf und warf mir immer wieder angespannte Blicke zu. Er erwartete wohl einen erneuten Ausfall meinerseits, aber den Gefallen wollte ich ihm nicht machen. Der Geschmack der Neunschwänzigen lag noch zu gut auf meinem Rücken.

„Ja... Durchaus.“

Er räuspert sich und blinzelt vage über das Deck. Sein eines Auge war noch immer geschwollen und er schaute insgesamt sehr mitgenommen aus. Soviel Dresche wie ich ihm in den letzten zwei Tagen verpasst hatte, hatte er wohl noch nie zu spüren bekommen. Das machte ihn vorsichtiger, aber nicht weniger nervig.

„Also, du willst sicher wissen, warum ich dich gegen die Seekarten eingetauscht habe?“

„Nein.“

„Pass auf, das ist an sich vollkommen logisch. Seekarten sind für die Navigation unglaublich wichtig und nur wer gute Seekarten hat, hat überhaupt eine winzige Überlebenschance in den unendlichen Weiten des Meeres. Daher hütet jeder Captain seine Karten besser als irgendwelche belanglosen Schätze aus Gold, Silber und Edelsteinen. Und wie hätte ich sonst in den Besitz davon kommen sollen? Der Morgados ist ein bekannter Pirat und da er noch lebt, ist das ein Beweis für die Qualität seiner Seekarten. Anders hätte ich nicht rankommen können, denn selbst wenn ich ....“

„Das ist mir vollkommen egal“, unterbrach ich unwirsch Scarfs wirres Geschwafel und brachte etwas Abstand zwischen uns. Nach einem prüfenden Tritt gegen die Reling und der Überzeugung, dass sie meinem Gewicht standhalten würde, lehnte ich mich dagegen und maß den selbsternannten Captain mit scharfem Blick. „Mich interessiert viel eher wer der Teufelskerl war, der mich da von dem Schiff befreit und die Mannschaft ausradiert hat.“

Scarf blinzelte mich ehrlich überrascht an.

„Wovon redest du?“ Er legte die Stirn in Falten und hängte das Seil an einen Haken.

„Da war doch so ein Kerl, ne Ecke größer als ich, recht schlank gebaut, der hat die ganzen Männer nebst Captain gemeuchelt, mich befreit und wieder hergebracht, verdammt!“

„Ich hab nicht den leisesten Schimmer, wovon du redest.“ Anstatt seines üblichen Grinsens lag nun ein wirklich verwirrter Ausdruck auf seinem Gesicht und ich begann an meinem Verstand zu zweifeln.

„Aber wie bin ich denn bitte hierher gekommen?“ Ich sah mich um, es war keine Landmarke weit und breit zu sehen und die Sonne stand noch nicht allzu hoch am Himmel. Wir waren also schon eine gute Weile unterwegs, was durchaus deckungsgleich mit meinen Einschätzungen von dem Geschehen her sein konnte.

„Als ich heute morgen aufgewacht bin, lagst du in meinem Bett.“ Für den Schwachsinnigen schien dies das Natürlichste der Welt zu sein.

„Und du hast dich nicht gefragt, wie ich da hingekommen bin???“ Ich schnaubte ungläubig.

Er zuckte jedoch nur vage die Schultern, erstarrte mit schmerzverzerrtem Gesicht und presste zwischen dünnen Lippen hervor: „Nun, ich ging davon aus, dass du getürmt seiest.“

„Und ich hatte nichts besseres zu tun als zu dem Pisser zurückzukehren, der mich an einen elenden Schinder übelster Sorte vertickt hat?“ Die Ironie troff aus meinen Worten und Scarf wand sich unbehaglich.

„Jetzt wo du es sagst, ist das Ganze tatsächlich etwas mysteriös.“

„Du willst mir also sagen, dass der Typ, wer immer er auch war, nicht Bestandteil dieser Mannschaft ist?“

Er hatte die Ruhe seinen Blick über die Mannschaft schweifen zu lassen, gerade so, als würde er bei jedem einzelnen der Krüppel abwägen, ob er der Erretter aus meiner Schilderung sein konnte.

„Hmm... Also ich wüsste jetzt auf Anhieb keinen...“ Entschuldigend schüttele der Verräter vorsichtig den Kopf und blinzelte mich an.

„Na, du warst es höchstwahrscheinlich auch nicht!“, schnaubte ich nur noch entnervt, aber da tauchte das senile Grinsen schon wieder in seiner vermackten Fresse auf.

„Wenn ich es gewesen wäre, würdest du mich dann toll finden?“

Ich trat nach ihm; so viel zu meiner Selbstbeherrschung!

„Du weißt doch bestimmt nicht einmal, an welchem Ende man einen Säbel anpackt! Du verfluchter Saftsack!“ Um ihm nicht abermals zu verletzen, blieb ich auf Abstand und beschränkte mich darauf ihn zornig anzufunkeln. Zu meiner Verblüffung begann der Wahnsinnige zu kichern.

„Doch, doch, das weiß ich tatsächlich. Ehrlich gesagt kann ich sogar recht gut fechten.“

„Fechten...?“ Meine Augenbrauen wanderten zweifelnd empor, doch ihm war nicht der Wind aus den Segeln zu nehmen.

„Ja, exakt. Ich habe es über viele Jahre erlernt und nahezu perfektioniert. Und unten in meiner Kajüte ist auch mein Degen verborgen.“

Ich schüttelte den Kopf und spürte eine beinahe körperlich schmerzliche Verzweiflung.

„Scarf...“

„Captain Scarf, wenn ich bitten darf, erster Maat.“

„Geh sterben, verflucht!“ Mein Ton wurde schon lauter und ich war kurz davor die Fassung zu verlieren. „Du kannst mit deinem schwuchteligen Degen nichts gegen ein Entermesser ausrichten, du grottige Landratte. Und was bist du eigentlich, dass du Unterricht im Degenkampf bekommen hast?“

Er überging absichtlich meine Frage und zwinkerte mir zu.

„Willst du es ausprobieren?“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.
 

Die Sonne war bereits ein Stück höher gestiegen und die Spiegelung stach etwas in den Augen. Aber das war natürlich kein Umstand über den ein wahrer Pirat sich mokieren würde. Abgesehen davon war ich solche erschwerten Situation ganz im Gegensatz zu dem Landgänger Scarf gewöhnt, der nicht nur immer noch mit dem Wellengang und dem Unwohlsein zu kämpfen hatte, sondern auch äußerst skeptisch vom Bordsarzt beäugt wurde.

Um die Sache noch unerklärlicher zu machen, hatte ich heute beim Aufwachen in der Capitainskajüte auch mein Entermesser und meine Dolche vorgefunden, die mir der Morgados ja hatte abnehmen lassen. Anstatt Antworten auf meine tausend Fragen zu bekommen, hatten sich noch einige mehr dazu gesellt. Und es bestand wohl erst einmal keine Aussicht darauf, dass es in näherer Zeit weniger werden würden. Das nervte mich und ich sehnte mich danach ein wenig von meiner Aggression abbauen zu können. Dankenswerterweise hatte mir Scarf eine wundervolle Möglichkeit gegeben.

Da mir der selbsternannte Captain nur mit einem Degen in der Hand gegenüber stand, beschränkte ich mich auf mein vergleichsweise klobiges Entermesser, welches mir schon treue Dienste erwiesen hatte. Ich war sehr zuversichtlich Scarf, mit voller Erlaubnis und ohne Konsequenzen aus den Reihen der Mannschaft befürchten zu müssen, so richtig eine Abreibung verpassen zu können. Schließlich war ich geübt darin mit meinen Brüdern kleine Übungskämpfe auszutragen und so auf langen ereignislosen Fahrten nicht aus der Routine zu kommen.

Um uns herum hatten sich diejenigen Männer versammelt, die nicht mit den Manövern oder dem Schlafen beschäftigt waren und Bronson mimte uns den Richter. Ich ließ mein Entermesser ein wenig kreisen, dehnte Finger, Handgelenke, Arme und Beine. Scarf hingegen vollführte eine Art Tänzchen und murmelte dabei seltsam geschwollene Worte, ich schätzte mal, dass es Französisch sein sollte. Ich hatte mich stets geweigert diese Sprache zu erlernen, aber mein Gegner hätte auch Schweinisch sprechen können, es war mir egal. Ich wollte ihm lediglich eine satte Portion Senge verpassen.

„Bist du jetzt endlich fertig oder brauchst du noch ’nen zweiten Akt für dein Gehüpfe?“ Ich verdrehte entnervt die Augen und ließ meine Klinge leise zischend um mein Handgelenk sausen. Der Griff lag mir vertraut in der Hand und allmählich begann Vorfreude in mir aufzusteigen.

„Bin soweit!“ Scarf band sich gewissenhaft seine schulterlangen Locken zusammen und stellte sich drei Schritt weit von mir entfernt auf. Er schob das linke Bein etwas zurück und setzte den Fuß schräg auf, hob die Rechte mit dem Degen auf seine Bauchhöhe und grinste mich an. „En Garde, mein Lieber.“

„Friss meine Klinge, du Spinner!“ Ich wusste genau dass er mich mit seinem dämlichen Lächeln provozieren wollte, aber ich hatte dem nichts entgegenzusetzen. Mit einem Wutschrei machte ich einen Satz nach vorn und ließ mein Entermesser auf Scarf zuschnellen. Er grinste noch ein wenig breiter, verlagerte sein Gewicht auf den linken Fuß und drehte sich mit einer eleganten Pirouette aus meiner Angriffsbahn. Dass ich ihn nicht getroffen hatte, auch wenn mir das beinahe schon bodennahe Niveau des Angriffs durchaus bewusst war, machte mich wütend. Aus dem Schwung heraus riss ich meine Klinge herum und schleuderte sie in Scarfs Richtung. Dieses Mal musste er parieren, war doch nicht mehr genug Platz zum Ausweichen und klirrend prallten unsere Waffen aufeinander. Eigentlich hätte ich erwartet, dass das dünne Eisen von Scarfs Degen unter der Wucht und der Masse meines groben Entermessers brechen würde, aber er bog sich lediglich elastisch unter dem Treffer und ich kippte durch den Schwung vorn über. Scarf nutzte die Lücke und zersäbelte mir das eh schon recht zerrissene Hemd an der Seite. Ich erstarrte vor Schreck, nur wenige Millimeter mehr und es hätte meine Haut statt des Stoffes zerfetzt. Während ich tief Luft holte und schnell ein wenig Platz für den nächsten Angriff zwischen mich und meinen Gegner brachte, fiel mein Blick auf Scarfs Gesicht. Das dämliche Lächeln war wie weggewischt, er wirkte hochkonzentriert und seine Miene war bar jeder Emotion. Hätte er nicht schwer geatmet und sich so behutsam bewegt, hätte man ihm die Anstrengung und die Schmerzen ob der gebrochenen Rippen gar nicht angesehen. Ich schluckte und konzentrierte mich. Ich hatte nicht vor mich von diesem Pisser derart vorführen zu lassen. Vorsichtig das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagernd begann ich Scarf zu umkreisen. Er hielt die Degenspitze auf meiner Augenhöhe und ließ die Waffe allen meinen Bewegungen folgen. Ich sah mich aus den Augenwinkeln um und bastelte in sekundenschnelle einen Plan nach dem Anderen zusammen als mir der Zufall zu Hilfe kam. Die Sonne reflektierte sich auf meiner relativ matten Klinge und stach der Landratte in die Augen, sodass der selbsternannte Captain reflexartig blinzelte. Ich nutzte meine Chance, sprang vor und ließ den Handschutz meines Entermessers unter Scarfs Kinn knallen, der von dem Schlag wankte und zu Boden gehen schien. Siegesgewiss schrie ich auf als mir die Füße unterm Hintern weggezogen wurden und ich völlig überrumpelt mit dem Kopf aufs Deck knallte. Die Luft entwich zischend meinen Lungen als ich auf dem harten Grund aufschlug und ich schnappte vergebens nach Atem. Durch den Sturz bekam ich keine Luft, ließ panisch mein Messer fallen und wollte mich aufsetzen, als ich etwas Spitzes sich in meine linke Schulter bohren spürte. Vor Schmerz schrie ich auf und die Blockade in meinen Atemwegen löste sich. Während ich gierig nach Luft rang, trat Scarf schon beinahe lässig meine Klinge außer Reichweite und drückte die Degenspitze ein wenig tiefer in mein Fleisch. Erneut brüllte ich los und mir schossen Tränen in die Augen. Betont langsam kniete sich Scarf neben mich und beugte sich herab, ohne den Degen auch nur ein winziges Stück zurückzuziehen. Da die Sonne nun mich blendete, konnte ich sein Gesicht nicht erkennen und so war es mir nicht möglich die Lage der Situation einzuschätzen. Mir blieb lediglich übrig zu warten und so gut wie möglich jegliche Schmerzbekundung zu unterdrücken.

Etwas zähflüssiges tropfte mir auf die Wange und nun konnte ich sehen, dass Blut aus Scarfs Maul triefte. Es wurde deutlich erkennbar, dass ich dieses Mal nicht seine Lippen erwischt hatte als er zu grinsen begann. Seine Zähne waren rot vor Blut und er musste erst einmal kräftig neben mich rotzen um Sprechen zu können.

„Glückwunsch, du hast mich ziemlich erwischt. Mal wieder,“ seufzte er und Ironie schwang mir gepaart mit dem unverwechselbaren Eisengeruch frischen Blutes entgegen. „Aber ich hab gewonnen.“

„Ich weiß.“ Ich ächzte leise auf, als er die Degenspitze noch ein wenig fester in meiner Schulter drückte. Wäre ich nicht in einer ernsten Lage gewesen, dann hätte ich Scarf am liebsten in die Eier getreten. Ich musste offiziell meine Niederlage zugeben. „Aber bei einem richtigen Kaperkampf siehst du mit deinem Degen wirklich alt aus.“

„Machst du dir etwas Sorgen um mich?“ Er grinste breit und das Blut floss aus seinen Mundwinkeln sein Kinn herab. „Wie süß.“

Ich wollte ihn gerade anbrüllen, da zog er die Spitze aus meiner Schulter und ich sah mich gezwungen einen Schmerzensschrei zu unterdrücken.

Scarf stand auf und ich blieb erst einmal liegen, bewegte vorsichtig meine Schultergelenk und atmete gegen die Pein. An sich war es erträglich, jetzt wo das Metall nicht mehr in der Wunde steckte und die Wut begann wieder Oberhand über meine Sinne zu gewinnen. Ich war furchtbar enttäuscht von mir selbst, wütend auf Scarf wegen der Demütigung und ziemlich verunsichert bezüglich seine Kampffähigkeiten. Es war nur ein kurzes Gerangel gewesen, aber mir war klar geworden, dass der Beknackte durchaus wie ein Pirat kämpfen konnte.

Und nun erschienen mir die Geschehnisse auf dem Schiff des Mordagos noch ein wenig unerklärlicher als zuvor.

Hatte er oder hatte er nicht...?
 


 

Hat er oder hat er nicht? Hätter er überhaupt gekonnt? Und warum konnte er gehabt haben, wenn er nicht gekonnt hätte?

Hä?? Genau!

Es ist zu warm und ich wünschte mir, ich könnte in See stechen und mir eine frische Brise um die Nase wehen lassen... Arrr! Auch wenns schreiben bei den Temperaturen schwer fällt, es wird weitergehen. Piratenehrenwort!

Man sagt, eine Seereise sei gesund...

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Mir tut alles weh. Aber so richtig. Mein Gesicht ist eine einzige pochende Fläche, meine Lippe und meine Nase beinahe bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen. Durch Marcos wirklich gut gezielten Treffer mit dem Handschutz seines Entermessers habe ich drei lockere und einen zersplitterten Zahn sowie ein dickes Loch in der Zunge. Ganz zu schweigen von meinen gebrochenen Rippen.

Also habe ich beschlossen mir erst einmal eine kleine Ruhepause zu gönnen und mich ein wenig zu kurieren. Als erstes erlege ich mir selbst die Auflage auf, mich möglichst von Gefahren fernzuhalten, sprich Marco bei mieser Laune zu meiden.

Dann gebe ich die Order eine abgelegene natürliche Bucht anzulaufen und Trinkwasser zu organisieren. [...]
 

Ungefähr zwei Wochen später

[...] Wir liegen mittlerweile seit zwei Wochen vor Anker und es geht mir wieder recht apart. Zwar machen mir meine Rippen noch immer zu schaffen, aber so langsam darf ich mich mehr bewegen und auch wieder feste Nahrung zu mir nehmen.

Marco hat kapituliert und schläft mittlerweile fest in meinem Bett, nun also unser Bett, da er es partout nicht zulassen wollte, dass ich mit in seine Hängematte klettere. Er schob als Grund die geringe Belastbarkeit vor, aber ich bin mir sicher, er will einfach nur nicht mit einem Kerl auf so engem Raum schlafen und in dem Capitansbett ist definitiv genug Platz. Der erste Maat ist in den letzten Tagen sehr umgänglich gewesen und ich beginne zu glauben, dass wir uns langsam aber sicher aufeinander zu bewegen.

Nach unserer kleinen Rangelei an Deck scheine ich mir auch tatsächlich etwas Respekt erkämpft zu haben, aber es ärgert mich, dass ich zu solchen Mitteln greifen musste. Ich bin kein großer Kämpfer, auch wenn man mich mein Leben lang trainiert hatte. Genaugenommen zwang mein Vater mich diverse Kampfkünste und auch jede Menge anderen Kram zu lernen der meinem gesellschaftlichen Stand entsprach, aber bis auf das Degenkämpfen habe ich rigoros alles aus meinem Gedächtnis gestrichen. Auch das Kämpfen ist nicht unbedingt mein Steckenpferd, aber für meine piratigen Pläne leider unerlässlich. Und ich muss sagen, ich habe es durchaus formidabel gemeistert meinen Lehrbuchkampfsstil auf ein piraten- und schurkenwürdiges Niveau anzupassen.

Marco hat scheinbar eine Bezugsperson gefunden. Ich muss ja ein wenig Rücksicht auf meiner momentan recht angeschlagene körperliche Konstitution nehmen, daher habe ich den Gesprächigen John gebeten sich ein wenig um Marco zu kümmern, zumindest solange wir vor Anker liegen. Es ist äußerst amüsant die Beiden zu beobachten, denn der Gesprächige John sagt nichts außer „Arrr“, was Marco fürchterlich aufregt. Ich wollte John ja „Humble Mumble“ nennen, aber die Mannschaft war einstimmig dagegen und so tauften sie den Mann, der als seinen Namen nur ein Arrrr angab, auf „Der gesprächige John“! Als ob wir nicht schon genug Jacks und Johns an Bord hätten... Aber auch als Captain muss ich mich dem Willen meiner Männer beugen und so bleibt es bei deren Wunsch.

Es wird Zeit aufzubrechen.
 

„Bronson.“ Ich stehe an Deck und halte meine Nase in den leichten Wind. An den Wellengang habe ich mich gänzlich gewöhnt, ich laufe bereits breitbeinig und sicher wie ein besoffener Seebär. „Unsere Rumvorräte gehen zuneige und uns fehlen noch ein paar Mann. Lass uns heute einen Hafen anfahren und danach stechen wir in See.“

Marco hat meine Worte gehört, er schaut aus seiner angeregten Plauderei mit dem Gesprächigen John auf und spitzt die Ohren.

„Mit Verlaub, Captain. Hier setzen bald die Sommerstürme ein. Wir sollten uns entweder einen sicheren Hafen suchen oder uns gänzlich in andere Gewässer begeben.“ Bronson nestelt unruhig an seinem Hemd herum. Es behagt ihm sichtlich nicht mir Widerworte zu geben. Aber ich lächle ihn freundlich an, schließlich erzählt er mich nichts, was ich nicht bereits weiß.

„Keine Sorge, wir liegen perfekt im Zeitplan.“

„Im Zeitplan, Captain?“

„Ja, im Zeitplan. Genau in dem Zeitplan, den ich erstellt habe!“

Bronson runzelt kritisch die Augenbrauen und zuckt hilflos die Schultern.

„Aber ich weiß nichts von einem Zeitplan...“

„Ahhh!! Zeitplan, Zeitplan!! Ist hier irgendwo ein Papagei?“ Vom vorderen Deck ertönt ein zustimmendes Krächzen aus einer Vogelkehle. „Ach verdammt. Wenn ich sage, ich hab ’nen Plan mit Zeitrahmen erstellt, dann hab ich das. Ich bin der Captain, ich muss den kennen!“

Marco kugelt sich vor Lachen am Boden. Und Bronson scheint dieses Mal wirklich die Geduld mit meiner wirren Befehlsgewalt zu verlieren, er packt mich recht behutsam an der Schulter und schüttelt mich. Natürlich nur sachte, schließlich nimmt der gute Mann Rücksicht auf meine angeschlagenen Rippen.

„Einspruch, Captain, aber als Quartiermeister solltest du mich schon ein wenig in deine Vorhaben einweihen. Es geht hier alles drunter und drüber. Die Männer sind auch noch immer ganz aus dem Häuschen, erst hast du das Frauenzimmer angeschleppt und mit einem Mal ist sie verschwunden. Als wir schon lange wieder auf See waren, tauchte dafür der erste Maat wie von Geisterhand wieder an Bord auf. Die Mannschaft ist abergläubisch und sie wittern Spuk!“ Der gestandene Kerl von Bronson erbleicht merklich bei den letzten Sätzen und senkt seine Stimme zu einem Flüstern. Marco hingegen ist hin und hergerissen zwischen einem erneuten Lachanfall und seiner Neugierde.

Ich bin von Narren umgeben! Unter Aufbietung allen Willens unterdrücke ich den Drang mich wie ein kleiner Junge auf den Boden zu werfen und aufbegehrend um mich zu strampeln. Auch wenn Marco dabei sicherlich noch sehr viel mehr lachen würde.

„Nur falls es dich beruhigt, ich lasse keinen Spuk hier an Bord zu, Bronson. Die kleine Tamia hat auf mein Geheiß hin das Schiff verlassen und für sie ist gesorgt. Das darf als Information reichen. Und das Marco wieder bei uns ist, ist doch eigentlich eine Feier wert! Wenn wir heute neuen Rum gekauft haben, werden wir erst einmal ordentlich einen auf die Rückkehr des ersten Maates begießen!“

„Das kannst du schön vergessen. Schließlich bin ich nicht gerade freiwillig wieder hier gelandet.“

„Schade. Nun gut, zurück zum... Zeitplan.“ Ich räuspere mich betont energisch und sehe Bronson an. „Bei unserem momentanen Wind ist der nächste Hafen ungefähr zwei Stunden weit entfernt. Wir sollten langsam ablegen, damit wir noch vor Anbruch des Abends dort einlaufen.“

„Sehr wohl.“ Der Quartiermeister rafft sich zusammen, streckt die müden Schultern durch und wendet sich zur Mannschaft. „Wie sollen wir die Segel setzen, Captain?“

Ich blinzle kurz, wedle unbestimmt mit der Hand nach links und versuche nicht Marcos spöttischen Blick zu beachten.

„Da so lang. Steuerbord!“

„Das wäre allerdings Backbord, du verdammter Nichtskönner!“ Mein erster Maat spuckt verächtlich auf den Boden und schüttelt angewidert den Kopf. „Du kannst dir wirklich nicht einmal die einfachsten Grundsachen merken, eh? Du bist ein Versager, großer Möchtegerncaptain!“

Getroffen erstarre ich zur Salzsäure und lasse die harten weisen Worte sacken. Da er Recht hat, kann ich Marco darauf keine für mich so typische allwissende Antwort geben und so trolle ich mich etwas schmollend auf die Brücke zum Steuermann. Der Gute hört auf den Namen Adlerauge Smith, hat bemerkenswert scharfe Augen und ist taub wie ein Fisch überm Feuer. Außerdem hat er keine Zunge mehr, warum werde ich wohl nie erfahren. Er kann es schließlich nicht mehr erzählen.

Neben Adlerauge Smith zu stehen bereitet mir ein wenig Freude, auch wenn ich tief in meinem Herzen gerade recht betrübt bin. Aber hier herrscht ein sachtes Lüftchen, welches den Gestank der Männer zerweht.

„Die Kombüse ist auf der linken Seite des Schiffes.“ Marco steht hinter mir und räuspert sich ertappt.

„Ja, ich weiß.“ Ich verstehe nicht so ganz, worauf er hinauswill. Und er wird wegen meiner offensichtlichen Banalität ungeduldig.

„Küche links, also Kochen und Backen links. Backbord ist links... Du Depp!“

Überrascht ob der netten Geste kann mir ein kurzes Lächeln nicht verkneifen, auch wenn ich genau um die Bredouille weiß, in welche ich Marco damit manövriere.

„Danke.“

Zur meiner vollkommenen Überraschung läuft mein erster Maat etwas rot an und beginnt wie ein Teekessel zu fauchen.

„Glaub ja nicht, dass ich das aus Nettigkeit mache! Es geht nur nicht an, dass unser idiotischer Captain nicht einmal Steuerbord von Backbord unterscheiden kann!!“ Er schnaubt wütend und tritt mit den schweren Stiefeln gegen das Geländer vor dem Steuerrad, welches bedrohlich knarrt. „Schrottkahn!“

„Dennoch... danke.“ Auch wenn ich mir sicher bin, dass unter seiner harten Schale ein kleiner weicher Kern steckt, so werde ich wohl noch lange gießen und gärtnern müssen, bis ich eine kleine Pflanze sprießen sehen kann.

„Ach, halt dein dreckiges Maul!“

Sehr sehr lange...
 

Der Hafen, in dem wir am frühen Abend anlegen, scheint eine Ecke gesitteter zu sein als der in dem ich auf meinen ersten Maat gestoßen bin. Ich muss zugeben, dass ich mich hier nicht ganz so wohl fühle, wir werden recht misstrauisch beäugt und mehr denn je wie Abschaum behandelt.

Gut... wenn ich so den Blick über meine Männer schweifen lasse, dann ist es eventuell verständlich. Drei von ihnen werden von einem einzigen Papageien an Land gejagt, ich bin der festen Überzeugung dass der Vogel nach Marco und mir der beste Kämpfer an Bord ist.

Bronson bleibt auf mein Geheiß hin an Bord, ich will die restliche Mannschaft selbst aussuchen und brauche keinen Quartiermeister im Nacken, der mir meine Wahl auszureden versucht. Aus diesem Grund überlasse ich auch meinen ersten Maat den schweigsamen Händen vom Geschwätzigen John, welcher den Jungen auch einfach mal ohne zu Zögern ins nächstbeste Bordell schleppt. Soll mir recht sein, dann habe ich meine Ruhe und kann meinen Plänen nachgehen. In Gedanken mache ich mir eine kurze Liste welche Punkte ich abarbeiten muss und lasse mir die Proviantliste vom Sanchez Santo Sansasalsa, unserem Smutje mit nur noch vier Fingern, aushändigen. Ich seufze, außer Rum und Dörrfleisch kann ich nicht viel entziffern, also werde ich einfach kaufen wonach mir der Appetit steht. Und Sanchez Santo Sansasalsa kocht gutes Essen, auch wenn alles recht scharf ist und jedes Gericht den Namen Sansasalsa Nummer Was-auch-immer trägt, sodass es sich eh niemand merken kann. Aber solange es schmeckt, ist ja alles in bester Ordnung.

„Captain, brauchst du Hilfe beim Tragen der Sachen?“

Bronson ist wirklich zuverlässig und denkt sehr vorrausschauend, aber ich kann keine Begleiter gebrauchen. Besonders keine, die Instruktionen von Quartiermeister bezüglich der merkwürdigen Kaufgewohntheiten des Captains haben.

„Nein, ich schicke es alles hierher.“

„Soll dich wirklich niemand begleiten?“

„Ich denke, ich bin durchaus in der Lage alles alleine zu regeln.“

Bronsons Blick ist anzusehen, dass er mich durchaus nicht für fähig hält ein paar Schritte zu gehen ohne über meine eigenen Füße zu stolpern. „Wirklich, mach dir keine Gedanken.“

„Dann schleppt bitte nicht wieder irgendwelche Weibsstücke oder Choleriker hier an.“

„Choleriker ist ein wenig hart. Marco hat nur ein wenig überschäumendes Temperament.“

„Du weißt genau, was ich meine, Captain.“ Die Miene des Quartiermeisters ist eindringlich und ich habe Anflüge eines schlechten Gewissens. Kleinlaut nicke ich also und winke noch zum Abschied.

„Versprochen! Ich werde nur gutes Essen kaufen und ideale Männer anwerben!“

Bronson sieht noch unglücklicher aus als zuvor, aber bevor ich noch mehr Einschränkungen auferlegt bekomme, schreite ich fröhlich pfeifend die Gangway hinab und inhaliere den Mief des Hafens. Vorfreudig reibe ich mir die Hände und lasse meinen Blick über die hübschen kleinen Häuschen an den Enden der Gassen schweifen.

„Auf geht’s zum Gouverneur!“
 

Wäre ich Bronson, so würde ich diesen Captain lynchen, arrr. Der hört für keine 3 Dublonen. Was er wohl beim Gouverneur will, abgesehen von einem heißen Schaumbad und weichen Plüschpantoffeln? Wir werden es wohl nie erfahren. Oder eventuell doch.

Das Wetter ist momentan etwas durchwachsen und auch wenn mein Schiff gerade im Hafen der Insel Urlaub ankert, so hat der Navigator hier recht viel zu tun. Dennoch werde ich mich um meinen üblichen Kurs bemühen und mich direkt ans nächste Kapitel setzen. Aber ersteinmal brauch ich noch eine Flasche Rum!

Von Mythen, Sagen und jeder Menge Seemannsgarn (bedingt durch zuviel Rum)

„Marco! Marco!! Wach sofort auf!!“

Ich wurde unsanft hin und hergeschüttelt und Scarfs Stimme drohte mir den Schädel zu sprengen.

„Was...is’?“, maulte ich ziemlich scheintot in mein Kissen. Der Verrückte rüttelte nicht länger an meiner Schulter, dafür hopste er aufgeregt auf der Matratze herum und alles wackelte. „Wehe ’s is’ nicht wichtig....!“

„Doch! Es ist total wichtig! Absolut unglaublich!“ Er fing tatsächlich an vor Begeisterung zu kichern und ich stöhnte lustlos auf. In der Stimmung in der er gerade war, hätte er niemals Ruhe geben.

„Also gut.“ Widerwillig wälzte ich mich herum und starrte den Plagegeist aus schweren Augen an. Die letzte Nacht war lang gewesen und an das Meiste konnte ich mich eh nicht mehr erinnern. Das Letzte war, dass ich mit dem Geschwätzigen John nach dem Bordellgang eine Kneipentour begonnen hatte, aber nach der dritten Kneipe kam direkt als Nächstes der nervende Scarf. Und da ich mit meinem dicken Kopf gerade keine Lust verspürte diese Pest von Mensch noch länger derartig aufgedreht ertragen zu müssen, würde ich es einfach hinter mich bringen. Kurz und schmerzlos. „Was ist denn passiert?“

Er ignorierte meinen genervten Ton vollkommen und strahlte mich so sehr an, dass es mich blendete.

„Ich habe eine Meerjungfrau gesehen!“

Ich schwieg. Und wartete. Aber das Strahlen verschwand einfach nicht und wäre Scarf ein Hund gewesen, so hätte er sich vor Begeisterung bepisst.

„Eine... Meerjungfrau...?“

„Ja!“

„Hast du gesoffen?“

„Nein. Das war...“

„Einen Sonnenstich?“

„Nein, also das war so...“

„Irgendwas geraucht? Der verrückte Sven vermischt seinen Tabak mit so komischen Grünzeug.“

„Nein, hab ich nicht. Also pass auf...“

“Hast du wieder von den gegorenen Früchten genascht?“

„Ein biss... Nein, hab ich nicht! Jetzt hör mir doch mal...“

„Oder etwa wieder das bereits pelzige grüne Brot gegessen?“

„Nein. Lass mich doch erzähl...“

„Hast du dir den Kopf angehauen?“

„Marco, halt dein Maul!“

Vor Verblüffung blieb mir tatsächlich der Mund offen stehen und ich starrte Scarf an wie ein toter Fisch. Es war eine ungewohnt heftige Reaktion von meinem Gegenüber gewesen und dessen Begeisterung war ein unheimlich kaltes Glimmen in den Augen gewichen.

„Ich hab wirklich eine Meerjungfrau gesehen.“ Scarf sprach leise, ernst und er war vollkommen von seinen Worten überzeugt. Mir war die Lust vergangen ihn zum Narren halten zu wollen, aber es behagte mir nicht ihn derart manisch zu sehen.

„Scarf, es gibt keine Meerjungfrauen. Ich bin mein ganzes Leben schon auf See und habe noch nie eine gesehen!“

Er schüttelte beinahe trotzig den Kopf und ganz allmählich drang wieder der verpeilte, idiotische und dennoch gerissene Quälgeist an die Oberfläche.

„Doch, ich hab es doch mit eigenen Augen gesehen. Es war eine männliche Meerjungfrau mit grüner Haut und ganz orangenem Haar. Und er hat mir eine sehr rüde Geste mit der rechten Hand gezeigt!“

„Eine männliche Meerjungfrau? Alles klar.“

„Du glaubst mir nicht...“ Scarf klang eindeutig enttäuscht.

„Natürlich nicht!“, fauchte ich und versuchte mir die Decke über den Kopf zu ziehen, was allerdings nicht funktionierte, da die Nervensäge draufsaß. „So was wie Meerjungfrauen gibt es ja auch nicht.“

„Doch, gibt es!“

So langsam verlor ich die Geduld und da ich mittlerweile gelernt hatte, das Scarf sich nicht durch rohe Gewalt vertreiben ließ, es aber hasste verarscht zu werden oder ihn spüren zu lassen, dass man ihm nicht glaubte, verlegte ich mich auf die ironische Abfuhr.

„Natürlich. Und sie bewachen einen großen tollen Schatz...“

„Nein, das nicht...“

„Dann kacken sie Perlen?!“

„Wohl eher nicht.“

„Schade, das wäre ja noch recht praktisch gewesen.“

„Wenn man ihr Herz isst, wird man unsterblich.“

Sein bemühter Plauderton ließ mich aufhorchen und ich linste ihn über den erkämpften Bettenrand aus an. Mit einem Mal schien er sich seiner Sache unsicher zu werden und begann herum zu drucksen.

„So... sagt man zumindest.“

„Und daran glaubst du? An ewiges Leben?“

Scarf legte den Kopf erst schief als würde er nachdenken, doch dann schüttelte er ihn heftig.

„Nein. Daran nicht. Und ewiges Leben stelle ich mir recht grausam vor.“

Das verwunderte mich nun doch, schien er doch das Hier und Jetzt unglaublich zu genießen. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass er den Anschein machte jemals damit aufhören zu wollen was er ununterbrochen tat. Er wirkte für mich wie ein kleines Kind auf einem riesigen Spielplatz mit vielen Spielkameraden und er war der Held von allen.

„Du bist ein wandelnder Widerspruch, Scarf. Von wem hast du nur immer solche merkwürdigen Geschichten?“

„Von meiner Mutter.“

Der eigenartige Klang seiner Stimme ließ mich mal wieder aufmerken. Es war schon fast nervig, was für eine Wirkung Scarf durch seine Betonung erzielen vermochte.

Seine Miene war seltsam gelöst, eine Mischung aus Sehnsucht, bedingungsloser Liebe und endloser Qual lag auf seinen Zügen. Ich schwieg. Ein hämischer Kommentar schien selbst mir unangebracht, so verletzlich wie der selbsternannte Captain sich gerade zeigte.

„Sie hat mich früher unterrichtet. Und sie wusste so viel mehr als alle anderen Menschen.“

Es erklärte zumindest, warum Scarf so merkwürdig geworden war. Er hatte einen riesigen Mamakomplex! Und dummerweise war dies der erste und einzige Punkt, den wir gemeinsam hatten. Dementsprechend zog ich ihn nicht auf, im Gegenteil. In mir erwachte Interesse.

„Was hat sie dir denn beigebracht?“

Er blinzelte erst und überlegte eine geraume Weile. Ich hatte schon den Eindruck das er mich nicht gehört hätte und wollte meine Frage ungeduldig wiederholen, da zuckte er die Schultern und lächelte mich verlegen an.

„Ich denke, sie hat mir vorwiegend beigebracht das Leben zu schätzen.“

„Ist sie tot?“

„Ja.“

Gut, ich hatte nichts anderes erwartet, dennoch traf es mich.

„Wie alt warst du?“

„Ich war ungefähr neun. Mein Vater hat kurz darauf wieder eine neue Frau geehelicht, ich bekam Geschwister und hatte wieder eine Familie.“ Scarf schnaubte unwillig und schien das Thema wechseln zu wollen. „Nicht so schlimm, ich bin ein super Kerl geworden und alle alle alle sind zufrieden.“

Ich seufzte, ließ es aber dabei bewenden. Immerhin war es kein einfaches Thema und wenn Scarf damit besser zurecht kommen würde, dann sollte es so sein.

„Und was war das jetzt mit den Meerjungfrauen?“

„Nur eine belanglose Geschichte. Du glaubst mir ja eh nicht.“ Er war eindeutig angefressen, wir hatten beinahe die üblichen Verhaltensmuster getauscht. Aber ich hatte keine Lust seine ätzende Psychonummer durchzuziehen, sondern beschloss ein paar meiner unerschöpflichen Fragen zu klären.

„Scarf, du hast doch erzählt, du würdest einen Schatz suchen,“ begann ich und beobachtete seine Reaktion genau. „Du weißt schon. Wegen der ganzen ‚Erst muss ich den Schatz finden, dann darfst du mich umlegen’-Geschichte.“

„Ja, ich erinnere mich dunkel.“ Er grinst mich unpassend breit an, so als wäre sein versprochener Tod etwas ungemein amüsantes.

„Woher weißt du von diesem Schatz, Scarf?“

Er zuckt die Schultern.

„Hab ne Karte.“

„Mehr nicht??“

„Doch, ich hab noch nen Kompass, ein Schiff, eine Mannschaft und einen Papageien.“ Er zählte die Dinge seelenruhig an seinen Fingern ab und ich verspürte den Drang sie ihm zu verbiegen.

„Und keine Garantie, dass die Karte echt ist?“ Ich atmete betont tief und gleichmäßig, der Verrückte Sven hatte mir ein paar Ratschläge zur Stabilisierung meines Geduldsfadens gegeben. Unter anderem wollte er mich an das Rauchen merkwürdiger Pflanzen bringen, die angeblich meinen Geist beruhigen und mein inneres Auge erweitern sollten. Das war bisher mein einziges und auch mein letztes Gespräch mit dem verwirrten alten Mann gewesen.

„Doch, die hab ich.“

Aber warum suchte ich nur immer wieder das Gespräch mit dem verwirrten jungen Mann? Ich zählte in Gedanken langsam bis Zehn und versuchte angestrengt jedwede Gewaltvorstellungen mit Scarf in der Hauptrolle aus meinem Kopf zu verbannen.

„Schätzungsweise willst du mir aber nicht verraten woher du die Karte und die Garantie für ihre Glaubwürdigkeit herhast?“

Scarf lachte leise und zwinkerte mir zu.

„So langsam scheinst du mich zu kennen.“

„Ja, so langsam kann ich es quasi riechen wann ich dich als nächstes verprügeln möchte!“ Ich ballte die Faust und Scarf rutschte vorsichtshalber etwas zurück und erhob sich.

„Ich... sollte an Deck und besser mal den Kurs im Auge behalten!“

„Jetzt tu nicht so als ob. Bronson schafft seine Schicht sehr gut alleine.“ Ich war noch immer zu müde und verkatert um länger wütend zu sein.

„Meinst du?“ Scarf räusperte sich. „Nun, dann kann ich ja noch etwas hier bleiben und mit dir plaudern.“

„Muss das sein?“ Ich wollte eigentlich noch etwas schlafen. Aber so wie ich den Plagegeist kannte, war die nächste Möglichkeit auf ein Nickerchen erst für die Siesta eingeplant. Also ergab ich mich meinem Schicksal. „Verrätst du mir denn wenigstens wohin wir gerade unterwegs sind?“

Scarf zog sich den einzigen Stuhl des Raumes an das Bett, ich weigerte mich strickt es als unser Bett zu benennen, und faltete eine Karte auf seinen Knien auseinander.

„Ja, das kann ich machen.“ Er drehte das Papier so, dass ich die Zeichnungen darauf sehen konnte. „Aber dazu musst du dir erst ein wenig geschichtlichen Hintergrund anhören, mein Lieber.“

Es war schon klar, das man von Scarf nichts ohne eine Gegenbedingung bekam. Aber ich wollte wissen was mich erwarten würde und ich gebe freiwillig zu, dass meine Neugierde eines Tages mein Tod sein wird. Höchstwahrscheinlich. Oder auch der Strick. Die Chancen stehen ausgeglichen.

„Ich bin nicht dein Lieber, aber lass mal hören.“ Innerlich stellte ich meinen Geist auf Durchzug, schaltete auf routiniertes Nicken und das wenig interessierte ‚Jaaa’ und ‚Hmmm’.

„Du weißt ja sicher, dass die Welt eine Kugel ist, nicht wahr?“ Scarf ging sofort völlig auf in seiner Rolle als Lehrer.

„Ja, das weiß jeder, du Aas!“ Und ich in meiner Position als unwilliger Schüler.

„Das war aber nicht immer so, wie du eventuell auch weißt. Gegen Ende des 15ten Jahrhunderts hat selbst der starrköpfige Papst eingesehen, dass die Erde keine Scheibe ist und sah sich 1493 gezwungen die sogenannte Neue Welt zwischen den damals größten Mächten Spanien und Portugal aufzuteilen, damit die nicht mehr darum Krieg führen und die anderen europäischen Mächte gar nicht erst irgendwelche Besitztumsansprüche stellen konnten. Klar soweit?“

„Jaaa.... Hmmm...“

Scarfs Blick traf mich beinahe eisig, aber unbeirrt und beinahe stoisch fuhr er fort.

„Papst Alexander VI zog auf einem Längengrad quasi eine Linie, alles westlich davon ging an Spanien, alles östlich davon an Portugal.“ Sein Finger fuhr eine selbst eingezeichnete Linie auf der Karte entlang und zu meinem Erstaunen konnte er den Westen und den Osten fehlerfrei aufzeigen.

„Scheint mir nicht so fair. Die ganze neue Welt ging ja an Spanien.“ Ich zuckte die Schultern, der Papst schien mir damals recht parteiisch gewesen zu sein.

„Das liegt nur an der Karte. Sie zeigt lediglich die Hemisphäre des Occident. Wir befinden uns gerade in der Hemisphäre des Orient, da wo man auch Europa drauf verzeichnet sieht. Da könnte man dann erkennen, dass der Kontinent Afrika oder auch das Gewürzparadies Indien an Portugal fiel. Also war die Aufteilung gar nicht so schlecht.“

„Jaaa... Hmmm...“ Es machte mir Spaß Scarf ein wenig aus der Fassung zu bringen und insgeheim genoss ich es ihn seine eigene bittere Medizin schlucken zu lassen. „Was hat das jetzt mit unserem neuen Kurs zu tun?“

Er räusperte sich erst gründlich bevor er mir antwortete, ganz so als würde er den Sinn und Zweck hinter unserem Gespräch noch einmal abwägen müsste.

„Unser Kurs hat insofern etwas damit zu tun, dass wir uns auf die spanische Seite der Linie begeben werden. Erinnerst du dich an unseren kleinen Disput auf wessen Seite wir uns schlagen sollten?“

„Jaa...“

„Ich war ja für die englische Seite, während du dem inneren unzivilisierten Hund nachgeben und dich zu den Bukanieren zählen wolltest...“

„Pass mal auf, du....!“

„Ach, du passt ja doch auf.“ Scarf lehnte sich zufrieden grinsend zurück und ich hatte mein Kielwasser verlassen. „Wie gesagt, englische Seite weil Feind von Spanien. Zumindest auf dem Wasser, auf Land herrscht ja angeblicher Frieden. Und ich möchte auf die englische Seite, da ich auf der Spanischen fettere Beute sehe.“

„Sicher.. logisch... Und bei den Engländern ist dann nichts zu holen, oder wie?!“ Ich schnaubte abfällig.

„Doch, doch. Aber wir sichern uns mit Angriffen auf die Spanier erst die Rückendeckung der Engländer und gehen dann auf Generaljagd.“ Er lehnte sich entspannt zurück und lächelte mich beinahe milde an, gerade so wie ein Großvater, der seinem Enkel eine weise Fabel mit glasklarer Moral erzählt hatte.

„Und dazu hast du schon einen konkreten Plan?“ Ich machte mir nicht die Mühe den Zweifel in meiner Stimmer zu verbergen. Wozu auch? Scarf sollte schließlich wissen was ich von seinen Schnapsideen hielt, bisher hatte er ja noch keinen wirklich guten Plan geliefert. Oder zumindest keinen, an dem nicht als Ende das große Fiasko bevorstand.

„Sagen wir, eine vage Vorstellung. Aber die vage Vorstellung ist schon ziemlich konkret.“

Ich ließ meine Hand lautstark gegen mein Gesicht klatschen, aber er ignorierte es und fuhr ungestört fort.

„Wir machen uns nun also auf zur spanischen Seite der Ligne de Demarcation und platzieren uns in der Nähe der Floridastraße. Weißt du, was das ist?“

Ich konnte den Drang nicht unterdrücken die Augen zu verdrehen.

„Nein, ist mir auch ziemlich egal. Solange es Beute gibt, schert es mich wenig wo ich mich gerade befinde.“

Scarf ließ doch allen ernstes ein pikiertes Hüsteln vernehmen und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.

„Es grenzt an ein Wunder, das dein Schädel sich noch auf deinen Schultern befindet, mein Freund.“

„Jetzt langt es langsam, du....!“ Ich beugte mich gerade vor um ihn ein wenig mit dem Schal zu würgen, da schlug er mir doch tatsächlich mit einem Lineal auf die ausgestreckten Finger. Blitzschnell schob ich sie mir in den Mund und versuchte die Tränen zu unterdrücken, die sich in meinen Augenwinkeln sammelten. Das hatte verdammt weh getan!

„Nein, jetzt spitze einmal die Ohren, Marco.“ Zum ersten Mal seit ich ihn kennen gelernt hatte, legte Scarf ein capitainswürdiges Verhalten an den Tag. Und auch wenn ich mir dachte, dass er den Beruf verfehlt und einen ausgezeichneten Schinder im Lehrstock abgegeben hätte, so kam ich nicht umhin instinktiv respektvoll seinen Worten Gehör zu schenken. „Solange ich Captain dieses Schiffes bin, segeln wir nach meine Plan. Und diese vage Vorstellung besagt, dass wir in der Floridastraße Position beziehen, den letzten Konvoi dieses Jahres abwarten und uns einen der Nachzügler schnappen. Hast du schon einmal von dem Konvoi der Neuen Welt gehört, erster Maat?“

Ich schüttelte stumm den Kopf, dann wurde mir bewusst, dass ich noch immer an meinen ziependen Fingern lutschte und steckte sie schnell unter meinen Hosenboden.

Scarfs eine Augenbraue schob sich ein wenig empor, aber der eine Mundwinkel zuckte kurz.

„Nun, dann präge es dir gut ein. Man nennt die Passage zwischen Florida, also dem Festland, und der Insel Cuba Floridastraße. Dort gibt es eine natürliche Strömung, bei der man ohne gesetzte Segel bis zu fünf Knoten schnell werden kann. Dementsprechend ist das Dagegensteuern schwierig, zumal es dort noch viele Untiefen und Riffe gibt. Es hat sich daher eine Art Einbahnstraße der Schiffe entwickelt.“

Sein Finger zeichnete eine Kurve auf der Karte. Wider Willen betrachtete ich versunken die vielen kleinen Inseln der Antillen, entdeckte Cuba und wartete dann auf mehr Informationen.

„Die Spanier plündern seit jeher die Neue Welt, auch wenn sie mittlerweile schon viele Kolonien dort haben. Aber noch immer stechen die sogenannten Silberschiffe von dort aus in See um ihre reiche Beute in die reiche Heimat zu verfrachten. Es hatte sich damals allerdings schnell herumgesprochen, dass die Schiffe derart überladen waren, dass man auf viele Bordkanonen verzichtete und somit kamen auch nur wirklich wenig Silberschiffe jemals an ihrem Bestimmungsort an. Von daher wurde der sogenannte Konvoi eingerichtet.“

Ich hing an seinen Lippen. Silber... leichte Beute... vieeeel Ladung. Das waren die Worte die meine Aufmerksamkeit schlussendlich gebannt hatten. Auch wenn ich es niemals freiwillig zugegeben hätte.

„Erst wenn eine bestimmte Menge an Schiffen zu einem bestimmten Zeitpunkt zusammengekommen war, brachen diese gemeinsam unter dem Schutz von Militärschiffen auf. Aber noch immer sind die Silberschiffe so stark überladen, dass immer mal wieder eines Probleme bekommt, zurückfällt und somit ohne Unterstützung der Marine eine leichte Beute ist. Und das genau ist unser Ziel.“

Scarf lehnte sich zurück und abermals lag ein zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen. „Wie mir scheint, bist du nun auch für den Plan.“

„Eher für die vage Vorstellung,“ wiegelte ich ab und streckte mich. „Wann kommen wir an?“

Scarf erhob sich und ging zur Tür.

„Ich gebe Bronson eben unser Ziel durch und dann werden wir uns auf ein paar nette Tage voller Rum und Gesang freuen können.“

Das war eine recht interpretierbare Antwort, aber andererseits konnte auf offener See immer was dazwischen kommen. Ich erhob mich und begann mich anzukleiden.

„Einverstanden, aber du singst beschissen.“

Der selbsternannte Captain lachte gut aufgelegt und wandte sich zum Gehen.

„Dann erzähl ich dir halt Geschichten. Kennst du die von der kleinen Meerjungfrau?“
 

Arrr....! Mal wieder ein wenig geschichtlicher Hintergrund und Landratten, haltete euch fest, es gibt Plott! XD Ich bin begeistert... *hust*

So, das große Cosplay-Basteln ist vorbei, ich werde wieder Zeit fürs Schreiben haben. Hallelujah! An die Federn und Tintenfässer, ihr unwürdigen Finger!

Kija, ich hoffe der Insider springt dich an, mit Anlauf. XD

Sieg auf ganzer Linie. Oder auch mehrere hundert Meilen daneben.

Aus dem Tagebuch des Captain "Charles" Scarf
 

Wider Erwarten ist die Überfahrt glatt verlaufen und wir haben die kleinen Antillen ohne große Verluste passiert. Bemerkenswert ist jedoch, dass unser Bordpapagei, wir nennen ihn Mr. Peacemaker, sich als Vorzugsweise-Fleischfresser erwiesen hat, er hat auch nichts gegen eine nette Portion Menschenfleisch einzuwenden. Ich würde zu gerne wissen ob er bei einem Kannibalenstamm aufgezogen wurde. Jedenfalls fehlt dem Hinkenden Jim nun noch ein bisschen Ohr mehr und mir ein Stückchen von meinem Zeigefingernagel. Dabei wollte ich das undankbare Exemplar von Federvieh nur unter seinem schönen bunten Hals kraulen. Mr. Peacemaker ist wirklich herrlich anzusehen. Marco mag das Tier, wahrscheinlich weil der Papagei mich als Einziger aus der Mannschaft verachtet. So ein Hohn.
 


 

Es ist sehr angenehm mit der Strömung zu segeln. Ich stehe an Deck, halte die Nase in den Fahrtwind, rufe ab und an irgendetwas von angeblich nicht geschrubbten Dielen und gelegentlich pokere ich mit dem Verrückten Sven. An guten Tagen erkennt er, dass wir nur zu zweit sind, an noch besseren Tagen lästert er mit mir über sich selbst. Bisher hab ich nicht eine Partie gewinnen können.

„Aaaaachtung!“ Bronsons tiefe Stimme knarrt in einem angenehm Bass über das Deck, der einem das Rückrat zum Vibrieren bringt. „Alle Mann bereit machen zum Ankern!“

Ich lege meine Karten weg, mein Blatt ist unerhört mies. Ich bin der festen Überzeugung das der Verrückte Sven beim Austeilen mogelt, aber mir ist noch nichts aufgefallen. Dabei kenne ich so ziemlich alle Tricks.

„Na, hat der alte Sven dich wieder abgezogen?“ Marco steht feixend neben mir und wirft einen nicht allzu großen Schatten auf mich. Der Knabe ist wirklich klein für sein Alter und ich schätze mal nicht, dass er noch viel wachsen wird. Das ist beinahe niedlich, aber ich hüte mich natürlich etwas derartiges zu sagen, denn ein Nasenbruch wäre dann mehr als wahrscheinlich.

„Er spielt nicht fair.“ Eine andere Erklärung gibt es nicht, er kann nicht derartig oft soviel Glück haben.

„Ach, aber du?“, schnaubt Marco und greift sich ein paar Seile um die Segel festzuzurren.

Ich lehne mich gemütlich zurück und sehe ihm beim Arbeiten zu.

„Nun, wir spielen ja ohne Einsatz.“ Ich gebe ihm ein paar Sekunden das zu verdauen, stehe auf und stecke die Spielkarten in das Säckchen. Normalerweise ist Glücksspiel an Deck strengstens verboten, aber ein Spiel ist kein Glücksspiel wenn es keinen Gewinn gibt. So sehe ich das zumindest und die Männer sind für manche Abwechslung auf hoher See sehr dankbar.

„Warte!“ Marco lässt die Taue fallen und packt mich bei der Schulter. Seine Augen sind vor Wut verdunkelt, aber man kann ihm ansehen, dass er sich mit aller Mühe zusammenreißt. „Was soll das heißen?“ Seine eine Hand vergräbt sich in meinem Schal und zurrt den Stoff enger um meinen Hals. „Willst du damit sagen, du hast betrogen als du mich damals zum Wetteinsatz erkoren hattest?“

Ich lege meine Hände an seine, ziehe den Schal etwas lockerer und mache mich innerlich darauf gefasst einem Angriff auszuweichen.

„Ja.“ Ich winde mich unbehaglich in seinem Griff.

„Wie genau?“, stößt Marco durch zusammengebissene Zähne hervor und knurrt leise wie ein wildes, aufgebrachtes Tier. „Wie bescheißt du beim Würfelspiel??“

Bronson kommt herbeigehumpelt und legt seine schwere Pranke einem Schraubstock gleich auf Marcos Schulter, welcher unter dem harten Griff ein wenig in die Knie geht.

„Gibt es ein Problem, Captain?“

Ich schüttle langsam den Kopf und ringe mir ein entspanntes Lächeln ab.

„Nein, wir diskutieren nur ein paar Grundeinstellungen aus. Nicht wahr, erster Maat?“

„Halt’s Maul und sag mir wie du betrogen hast!!“

„Ich kann nicht meinen Mund halten und dennoch reden.“

Marcos Augen sprühen beinahe Funken, aber der Griff des Quartiermeisters verstärkt sich warnend und mein erster Maat dreht sich leise aufstöhnend unter Bronsons Hand. Dazu muss er wohl oder übel von mir ablassen und ich kann wieder problemlos atmen.

„Ich kann es dir gerne zeigen, aber dafür gehst du mir nicht wieder an die Gurgel, verstanden?“

Seine Antwort ist nur ein Knurren, aber immerhin enthält es keine weiteren Beleidigungen. Ich taste zielsicher nach einem der Säckchen, welche sich so zahlreich an einem meiner vielen Gürtel tummeln. Das Abknoten gestaltet sich ein wenig schwerer, da ich nicht geneigt bin den Blickkontakt mit dem ersten Maat abzubrechen. Ich habe mal gelesen, dass man wilde Tiere in bedrohlichen Situationen am besten gar nicht in die Augen starrt, da es sie reizt, aber bei Menschen funktioniert das meist sehr gut und einschüchternd.

Nach schier endlosen Sekunden ohne erlösendem Blinzeln kann ich endlich aufatmen.

„Streck einmal die Hand aus,“ fordere ich Marco auf und nestle das Säckchen auf.

Widerwillig tut er wie ihm geheißen und starrt mich weiterhin lauernd an. Ich lasse die Würfel in seine Hand kullern, exakt die kleinen braunen Teile welche ich gegen den Morgados benutzt habe. „Fällt dir etwas auf?“

Mein erster Maat schweigt, er zieht die Augenbrauen zusammen und es bildet sich eine Furche dazwischen. Ich bin geneigt meinen Finger gegen die Falten zu drücken, aber dann würde Marco mir sicherlich eine reinhauen.

„Dafür, dass sie so klein sind, sind die Würfel ziemlich schwer.“

„Sehr richtig. Magst du schätzen aus was für einem Material sie bestehen?“ Ich verfalle abermals in meine Lehrermasche, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Aber ich bin mit Leib und Seele eine Klugscheißer, ich vermag es einfach nicht abzustellen.

„Anker setzeeeeeen!!“ Bronson organisiert das Anlegen, Marco ist viel zu versunken als dass er die Befehle mitbekommt. Das Schiff kommt mit einem sanften Ruck zum Liegen und wir werden nur noch von seichten Buchtwellen hin und hergeschaukelt. Nach so viel Zeit auf dem offenen Meer fehlt mir sofort das Gefühl des Fahrtwindes und die großen Wogen, welche meine Nussschale tanzen lassen.

„Sie sehen aus, als wären sie aus Holz. Aber das Gewicht stimmt nicht und sie fühlen sich auch anders an.“

Ich nicke zufrieden, da hat jemand gute Arbeit geleistet.

„Wirf sie einmal.“

Marco tut wie ihm geheißen und die sechs kleinen Würfel kullern über den Boden. Sie kommen mit unterschiedlichen Zahlen zum Liegen und ich nestle ein weiteres Säckchen auf. Daraus hole ein flaches Stück Metall hervor und werfe es dem ewigen Zweifler zu.

„Was ist das?“

„Halt es mal über die Würfel...“

Mit kritischer Miene hebt Marco das gefangene Ding über die braunen Würfel und prompt drehen sie sich mit der Eins nach oben. Er schnaubt mit einer Mischung aus Verwunderung und Verärgerung, sammelt die Spielstücke ein und gibt sie mir zurück.

„Ein Magnet und gezinkte Würfel. Das war riskant. Hätten sie das herausgefunden, dann hätten dich die Männer des Morgados noch in der Kneipe getötet.“

„Ich weiß. Aber wer nicht auf Risiko setzt, der gewinnt auch nicht so hoch.“ Ich räume sorgfältige meine kleine Schummelein fort und zwinkere meinem verstimmten ersten Maat gutgelaunt zu. „Und jetzt wollen wir uns mal auf die Lauer legen.“
 


 

Es ist eine wirklich laue Nacht, ich studiere gerade meine Karten bei gedämpften Licht und zugezogenen Vorhängen als Bronson klopft und möglichst leise eintritt.

„Captain, wir haben ein Schiff gesichtet. Es hat nur langsame Fahrt, viel Tiefgang, aber mehr ist nicht ersichtlich. Es wird uns bei gleichbleibender Geschwindigkeit in wohl gut einer Stunde passieren.“

Marco setzt sich auf unserem Bett auf und die Gier glitzert in seinen Augen. Exakt das ist die Emotion, hinter der ich her bin. Zufrieden falte ich meine Karten zusammen und nicke entspannt.

„Sehr gut, wir werden es passieren lassen und ihm dann folgen. Im richtigen Moment starten wir einen Überraschungsangriff und schon sind wir reiche Männer.“

„Sie werden uns sehen. In der Dunkelheit können wir ihnen unmöglich folgen, ohne dass unsere Lichter nicht meilenweiter zu sehen sind. Und nach Sonnenaufgang werden sie schon zu weit entfernt sein, als das wir sie noch in für uns sicheren Gewässern angreifen können.“ Bronson hat einen wundervollen Onkelton drauf, so als würde er geduldig einem kleinen Kind die Begebenheiten einer Kuhschlachtung erklären. Nur weniger blutig.

„Dann segeln wir halt ohne Licht.“ Ich zucke die Schultern und die groben, nicht gerade augenumschmeichelnden Gesichtsausdrücke meines Quartiermeister entgleisen.

„Ohne Licht?“

„Aye, ohne Licht!“

„Wir werden auflaufen, wenn wir nicht sehen wohin wir segeln.“

„Selbst wenn wir Licht haben, werden wir nicht soweit sehen können als dass wir Riffen ausweichen können.“

Bronson schweigt, so langsam keimt Verzweiflung in ihm auf.

„Das wäre dann wohl reiner Selbstmord.“

Immer diese Kleingeister. Ich drehe mich zu Marco um, dieser blinzelt mich vage interessiert an. Er schnaubt lediglich und ich kann mir ein kurzes, äußerst männliches Kichern nicht verkneifen.

„Nein, Quartiermeister, das ist ein Abenteuer. Und du wirst mir schon vertrauen müssen. Ruf mich in einer Stunde, wenn uns das Silberschiff passiert hat. Sag den Männern, sie sollen sich bereithalten.“

Bronson trollt sich rebellisch vor sich hinmurmelnd und vom Bett aus kommt ein äußerst seltsames Geräusch. Marco kichert.

„Ein Abenteuer?“

„Jawohl, genau das.“

„Du trägst dicker auf als alte reiche Frauen ihre Schminke.“

„Wie würdest du es denn titulieren?“

„Wahnsinn?“

„Sag ich doch, ein Abenteuer.“ Zufrieden weiche ich dem Kissen aus, welches der erste Maat nach mir wirft und vertiefe mich wieder in meine Kartenstudien.
 


 

Es könnte sein, das dieses Abenteuer doch eine Spur zu groß geplant ist. Mehrfach haben wir schon kleinere Riffe haarscharf umkurvt und mehr als einmal ging ein beunruhigendes Ruckeln durch den Rumpf. Aber bisher schlage ich mich gut. Ohne Licht, nur mit Hilfe der Sterne.

„Du wirst uns alle umbringen, du Penner!“

Marco verpasst mir einen Hieb auf die nackte Schulter und ich werde aus meiner anstrengenden Konzentration gerissen.

„Aua... Wenn du mich ablenkst, dann kann das gut der Fall sein!“ Ich atme tief durch und starre wieder in den Himmel. „Etwas mehr Richtung Steuerbord.“

Das Schiff dreht sich sachte weiter nach rechts und ich muss mich in Gedanken selbst loben.

„In einer halben Stunde beginnt die Dämmerung, wir setzen in ungefähr zehn Minuten alle Segel und bringen uns an das Silberschiff ran. Da sie genauso wenig sehen wie wir, fahren sie äußerst langsam. Mit der aufgehenden Sonne wird das Schiff unser sein.“

„Sollen die Männer die Kanonen bereit machen?“ Bronson bringt Erfahrung mit, man merkt es deutlich. Er wird immer blasser, auch wenn man das eigentlich in der Dunkelheit nicht sehen dürfte. Es geht um den literarischen Inhalt!

„Ja, das auch. Und hol die Musiker!!“

Dieses Mal bekomme ich einen Schlag in die Rippen und jaule leise auf.

„Musiker?“, zischt Marco aufgebracht. „Bist du völlig von Sinnen?“

So langsam kränkt mich der ständige Zweifel an meiner Person und meinen Plänen, von daher schlage ich einen maulenderen Ton an.

„Bisher hat doch alles gut geklappt!“

Mein erster Maat erhebt sich und wendet sich zum Gehen.

„Wohin willst du?“

„Mein Entermesser holen.... und beten.“

Das verwundert mich nun doch.

„Du betest?“

„Seit heute.“ Und damit lässt er mich stehen. Auch gut! Ich schmolle und sage das nächste Mal recht spät Bescheid, dass da ein kleines Riff lauert.

Zehn Minuten später läuft alles nach meinem Plan, die Mannschaft versammelt sich an Deck. Hektisch werden Segel gesetzt, wir gewinnen prompt an Fahrt. Wenn meine Berechnungen stimmen, und das müssen sie, da ich sie seit einigen Monaten immer und immer wieder überprüft habe, müssten wir uns nun in gefahrloseren Gewässern befinden. Ideales Territorium für einen Angriff. Meine Vorfreude auf mein erstes Seegefecht beginnt mir zu Kopfe zu steigen und ich summe vergnügt vor mich hin, was mir seitens der Männer äußerst kritische Blicke einbringt. Mir egal, ich lasse mir den Spaß nicht verderben!
 


 

Als es beginnt, geht alles recht schnell. Wie geplant schließen wir in der Dunkelheit nah auf und erst als die Morgendämmerung einsetzt, werden unsere Opfer unserer gewahr. An Bord des Silberschiffes bricht Panik aus, ich hingegen weise meine Mannen gelassen an uns steuerbord neben unsere zukünftige Rente zu bringen. Der Captain wird aus dem Schlaf gerissen und er stürmt sich noch im Laufe ankleidend an Deck. Seine Mannschaft ist unstrukturiert, durch die Überraschung bekommen sie keine rechte Strategie zustande. Zeit für meinen Auftritt. Auf meinen Wink hin beginnen die Musiker zu spielen, es ist eine Kakophonie erster Güte, welche selbst dem tapfersten Seemann den Urin in die Hose treibt. Die Drei an den Instrumenten bestärken die andere Besatzung nur noch mehr in ihrer Gewissheit, dass die Apokalypse über sie einbricht.

„Seid gegrüßt, meine Freunde. Wir sind Ihr persönliches Empfangskomitee aus der Hölle und machen Sie sich nicht die Mühe sich zu wehren. Das ist unnütz und könnte meine Männer lediglich zu unnötigen Gewaltakten inspirieren.“

Ein lautes Raunen und böses Lachen weht über mein Deck, als Antwort bekommen wir ein verängstigtes Jammern und trotziges Aufbegehren und Fluchen. Der andere Captain drückt dramatisch die Schultern durch und starrt mich möglichst einschüchternd an.

„Höre, Knabe! Wenn ihr Pack dort nicht Bekanntschaft mit unseren Kanonen und Säbeln machen wollt, dann dreht schleunigst bei und seht zu, dass ihr Abstand bringt zwischen uns und eure ungewaschenen Hälse. Auf die wartet doch eh nur der Strick.“

Ich gähne betont gelangweilt, ich habe ja was ich will.

„Es ergibt sich also niemand und ihr wollt euch nicht eurem endgültigen unausweichlichem Schicksal fügen?“

„Zur Hölle, nein!! Meine Männer sind gute Kämpfer, du hast da doch nur Abschaum!“ Der arme namenlose Captain ist nicht nur sehr verstimmt, er ist auch nicht in der Lage seine prekäre Situation auch nur annähernd korrekt einzuschätzen. Mitleidig zucke ich die Schultern.

„Aber es ist gruselig singender Abschaum, der für das Silber auf deinem Schiff dem schwarzen Gott persönlich den Dreck aus den Fußnägeln kratzen würde. Pech für dich.“

„Du legst es also drauf an, Knabe?!“ Der erfahrene Seebär linst mich misstrauisch über die Reling an und schüttelt beinahe traurig den Kopf. „Dann wirst du sterben.“

„Nicht heute. Erst später und um ein Silberschiff reicher!“ Ich habe die Schnauze voll.

Marco tritt wie zur Bestätigung neben mich und klatscht mir fies die flache Hand an den nackten Rücken.

„Wie lange willst du noch labern? Die haben doch in der ganzen Zeit schon ihre Kanonen fertig gemacht! Vollidiot!“

„Das weiß ich doch,“ flöte ich gutgelaunt und kassiere noch einen Hieb. „Aua.... Also denn. Möge der reine Gott nett über dich und deine Mannen richten!“ Ich winke dem Captain freundlich zu, der einmal kurz zusammenzuckt und grinse dann Bronson neben mir an. „Quartiermeister, erteile den Befehl zum Feuern!“

„FEUEEEER!“ Bronsons Stimme dröhnt über und unter Deck und alsbald verwandelt sich die Welt um mich herum in die real gewordenen christliche Interpretation der Hölle. Da das Silberschiff uns sehr nah ist, regnen kleine und große Holzsplitter, einige brennend, andere verflucht spitz, aus allen Richtungen auf uns hernieder. Meine Männer gehen in Deckung, der alte Sven johlt fröhlich hinter seinem Mast und stimmt eine Arie im Sopran an. Er singt besser als meine Musiker, das gibt mir zu denken. Seine Stimme geht jedoch schlagartig in den Explosionen unter als sich eine weitere Salve durch die Breitseite des zu erobernden Schiffes und durch dieses hindurch schlägt. Unsere Treffer haben die eh schon recht kleine Anzahl der feindlichen Kanonen noch zusätzlich dezimiert, aber ich verbiete den Einsatz unlauterer Geschosse. Aus der geringen Entfernung wäre es ein Leichtes das Schiff zum Sinken zu bringen, aber dann wäre auch das Silber für die Fische. Und außerdem freue ich mich schon seit Ewigkeiten auf einen vernünftigen Schwertkampf auf Leben und Tod. Daher bin ich auch der Erste, der sich auf das gegnerische Deck schwingt. Ich atme tief durch, lasse den Eindruck von gezündetem Schwarzpulver, Rauch, brennendem Holz und frischen Fleischwunden kurz auf mich wirken, dann ziehe ich meinen Degen. Marco landet neben mir, schaut meine Waffe geringschätzig an und zischt leise.

„Pass auf, dass du nicht abkratzt. Dein Tod ist mein Privileg!“ Mit diesen Worten schmeißt er sich mit gezücktem Entermesser in der einen und dem schweren Dolch in der anderen Hand ins Getümmel. Wie süß, ihm scheint etwas an mir zu liegen und sei es auch nur mein Ableben.

Mir bleibt nicht viel Zeit mich über die ungewollte Zuneigungsbekundung zu erfreuen, ich werde nämlich angegriffen. Die Besatzung des Silberschiffs stellt sich aus vielen Seemännern, ein paar Sklaven, wenigen Marinesoldaten und noch weniger freiwilligen Übersetzern zusammen. Die Sklaven schätzen die Lage ganz gut ein, die Meisten laufen ohne zu Zögern zu uns über. Das Leben eines Piraten mag beschwerlich und recht kurzweilig sein, aber kaum etwas ist menschenunwürdiger als das Dasein eines Sklaven auf einem Schiff. Die Soldaten hingegen nehmen ihren Beruf fürchterlich ernst und geben ihr Bestes. Mein erster Gegner kämpft so sehr nach Lehrbuch, dass er nach zwei Angriffen tot ist. Sehr langweilig und uninerteressant. Als ich ihn näher betrachte, schaut mich das verzerrte Gesicht eines Mannes an, der kaum älter ist als ich. Schulterzuckend wende ich mich meinem nächsten Kontrahenten zu, welcher zwar auf mich zustürmt, mich aber nie erreicht, da ihm Bronson von hinten seinen Säbel in die Brust treibt. Gutgelaunt verneige ich mich in die Richtung meines Quartiermeisters und halte Ausschau nach einem würdigem Gegner.

Ich liebe das Schicksal, Dramatik und die richtige Beleuchtung. In Momenten, in denen alle drei Sachen zusammentreffen, werde ich schwach. Die Sonne bricht über das Meer hinweg auf, erste Strahlen lecken über die beiden Schiffe und theatralisch fällt ein Sonnenfinger auf den Captain, welcher schwertschwingend auf einem Deckenaufbau steht und Befehle in seine Meute brüllt. Wenn das mal kein Fingerzeig des Schicksals ist...?!

Ein wackeres Liedchen vor mich hinpfeifend, irgendwelche grünschnäbeligen Anfänger ohne großes Interesse links und rechts niederstreckend, wandle ich zielstrebig auf meinen nächsten großen Etappensieg zu. Der Captain erblickt mich als ich nur noch wenige Meter von ihm entfernt bin und gerade meine Waffe durch den Brustkorb eines Mannes steche und ich kann Unglaube auf seinem Gesicht erkennen. Die Vorfreude schwillt in mir an und mein Herz springt mir jauchzend in die Kehle. Ich weiß, dass Hochmut stets vor dem Fall kommt, aber ich kann nichts gegen diesen Schub in mir tun. Ich will kämpfen, mich mit einem richtigen Gegner messen, jemand der mir nicht nur vom Körper her ebenbürtig ist. Und dann will ich mit ihm den Boden wischen, ihn sein eigenes Blut saufen lassen. Eine sehr angenehme Vorstellung.

„Du bringst Tod und Verderben über uns alle, Knabe.“

„Nur über den Verlierer, der Sieger hat nichts zu befürchten.“

„All die unnütz verschwendeten Leben....“

Ich zucke die Schultern angesichts solcher Melodramatik.

„Willst du nun um das Deine kämpfen oder soll ich dich einfach so umbringen?“

Dies scheint den Mann mir Gegenüber wieder ein wenig in Fassung zu bringen, der Kampfgeist kehrt in ihn zurück und er strafft seine Muskeln.

„Wie du willst, Knabe! So werde ich dein Henker sein!“

Dass ich noch einmal jemanden treffen würde, der noch geschwollener redet als ich...? Nun, man wird immer seinen Meister finden. Ich werfe noch einen raschen Blick in die Runde, Marco schmeißt gerade einen Halbtoten über Bord, Bronson schlägt sich tapfer und Mr. Peacemaker rupft an etwas in bonbonsahnecremefarbenem Tüllstoff herum. Besser einfach nicht fragen.

„Dann wollen wir mal.“ Mit aller mir verbliebener Ruhe platziere ich mich vor dem Mann auf dem erhöhtem Aufbau und bringe mich in Position. Mein Degen hängt still und erwartungsfreudig in der Luft, er zittert nicht. „Alter vor Schönheit, du darfst anfangen!“

Ich erwarte noch eine hochtrabende Antwort, aber ohne ein weiteres Wort springt der gegnerische Captain auf mich zu und es gelingt mir nur mit unerwartet viel Mühe diesen Angriff zu parieren, wenngleich ich auch damit gerechnet hatte. Es wird schlagartig klar, dass der Kerl sich seinen Posten in der spanischen Marine wohlverdient hat und dass dies ein heißes Tänzchen wird.

Die Hiebe meines Partners sind hart, sein Kampfstil ist nicht aus dem Lehrbuch sondern aus dem Leben gegriffen. Die ersten paar Streiche kann ich ganz gut parieren, aber es ist unerwartet schwer mit einem Degen dagegen zu halten. Gut, logisch ist es schon, aber ich hatte es mir dennoch einfacher vorgestellt.

Der Säbel fliegt beinahe auf meine Brust zu, ich kann mich in letzter Sekunde zur Seite drehen, bekomme aber schon einen Tritt in die Rippen, welcher mich aus der Bahn wirft. Ich verfluche meine eigene Unkonzentriertheit und rufe mich innerlich zur Ruhe, während ich mich aufrapple und sofort einem erneutem Vorstoß ausweichen muss. Zugegebenermaßen, der Schmerz ist nötig um mich von meinem hohen Ross runterzuholen. Dies ist kein Späßchen, dies ist bitterer Ernst. Von uns beiden wird maximal einer lebend aus dem Zweikampf hervorgehen und ich habe vor eben dieser zu sein. In mir braut sich eine grimmige Entschlossenheit zusammen, legt sich beruhigend um mein Herz und bringt meine Gedanken zur Raison.

Mein Degen liegt mit einem Mal schwer in meiner Hand, so als würde an ihm das Gewicht meiner Entscheidung hängen. Ich verlagere mein Balance auf das hintere Bein und das Geschehen um mich herum wird undeutlich und langsam, lediglich mein namenloses Gegenüber tritt beinahe schmerzhaft scharf aus als den Schemen hervor. Ich atme tief durch, schließe kurz die Augen und lasse meinen Degen vorschnellen. Beinahe ohne Widerstand dringt er in den Oberschenkel des Captains, welcher ebenfalls einen Angriff startet. In einer fließenden Bewegung ziehe ich meine Waffe wieder zurück, pariere im gleichen Zug den schweren Säbel und schlage dem Mann mit aller Kraft die Faust ins Gesicht. Ich kann Knochen brechen spüren, nur ist nicht ganz klar wem sie gehören. Meine Linke schmerzt sofort, aber aus der Nase des Anderen schießt eine Blutfontäne und benommen sackt er in die Knie.

Es ist die ideale Gelegenheit den Kampf für mich zu entscheiden, aber ich zögere im entscheidenden Moment. Nicht dass ich ein Problem damit hätte zu töten, ich habe schon einige Seelen auf dem Gewissen und es werden sicherlich noch mehr. Aber ihm gebührt es irgendwie wenigstens im Stehen zu sterben. Und so rappelt er sich wieder auf, die Kämpfernatur. Er blinzelt ungewöhnlich oft, scheinbar hat mein Hieb ihn ein wenig nachhaltenden Schaden verursacht.

„Ich bring dich um, du Bastard!“

„Oha... Ich scheine einen Nerv getroffen zu haben. Gerade warst du noch um einiges höflicher, alter Mann.“ Manche Leute können einfach nicht damit umgehen, ihren Meister zu finden.

„Das verdienst du nicht, bei weitem nicht!“ Er schwankt, hebt aber seinen Säbel wieder höher.

„Wie du meinst... toter alter Mann.“

Meine Provokation bringt ihn noch mehr in Rage und mit einem Aufschrei stürzt er vor. Ich drehe mich weg, steche dieses Mal meinen Degen tief in seine Seite. Als sich das Metal aus dem Körper zurückzieht, folgt ihm eine schmale Spur an Blut. Es wirkt malerisch, aber der Säbel zuckt wieder vor und hinterlässt einen schmerzhaften, aber nicht weiter gefährlichen Schnitt knapp oberhalb meiner Hüfte. Eines muss ich dem Mann lassen, er gibt nicht auf. Und ich muss auch weiterhin auf der Hut sein, wahrscheinlich wird er noch in seinem letzten Atemzug versuchen mich zu töten.

Es wird Zeit die Sache zu beenden. Um mich herum ersterben die Gemenge, Marco brüllt Flüche und scheucht meine Mannen unter Bronsons Mithilfe durch die Gegend.

„Ihr seid geentert. Ergib dich.“

„Ich habe keine Gnade zu erwarten.“ Es ist eher einer Feststellung, keine Frage.

Ich nicke.

„So ist das wohl. Wie gesagt, der Sieger hat nichts zu befürchten... Und ich eh nichts zu verlieren.“ Ich muss grinsen. Allerdings ist es nicht fair den armen Mann noch weiter leiden zu lassen. „Leb wohl.“

So wie er mir gegenüber steht, ist es mir ein Leichtes meinen Degen in seine Brust zu stoßen. Zielsicher treffe ich sein Herz, das Blut scheint mir förmlich aus der Wunde entgegenzuspritzen. Es landet beinahe heiß auf meinem Oberkörper, es fühlt sich zähflüssig und klebrig an. Ziemlich abstoßend. Als ich meine Waffe aus meinem Feind ziehe, stolpert dieser bis zur Reling zurück. Er lehnt dagegen, hebt den Blick und winkt mich kraftlos zu sich. Einem Sterbenden erfüllt man seinen Wunsch, seinen Säbel hat er schon längst verloren.

„Ja..?“ Ich bin doch etwas neugierig.

„Komm näher...“ Sein Ton ist gebrochen und das leise Röcheln macht seine Worte noch unverständlicher.

„Scarf!“ Marco erklimmt hinter mir die Treppe zum oberen Deck, ich höre seine schweren Stiefel auf dem Holz. Er ist Zeuge meines Sieges und ich freue mich heftig darauf, dass er mir wohl dafür ein wenig Bewunderung zollen wird. Oder ob er gar stolz empfinden wird? Jedenfalls sollte es sein Bild von mir aufbessern.

„Scarf, geh weg von ihm, du Volldepp!“

Ich drehe mich halb um, sehe gerade noch wie mein erster Maat die Hand ausstreckt und mich fassen will, da wird mein Schal mit einem enormen Ruck nach Hinten gerissen. Mir schnürt es die Luft ab, ich taumle zurück, aber das Gewicht an meinem geliebten Schal lässt nicht locker, sondern stranguliert mich unbarmherzig weiter. Ich versuche mich umzudrehen, nach dem Sterbenden zu schauen, aber alles was ich sehen kann ist die Reling über die ich kippe. Unter mir stürzt der Captain in die wogenden Wassermassen, seine Hände im Todeskampf in meinen Schal gekrallt. So ein unvorhersehbarer Mist! Er reißt mich doch glatt mit sich in die Verdammnis.

Vom Kampf übermäßig erhitzt bricht das Meer eiskalt über mir zusammen und zusätzlich zu meinem kleinem Atemproblem spüre ich genau wie mein Herz aufhört zu schlagen. Während mir schwarz vor Augen wird, schießt mir noch der Gedanke durch den Kopf, dass das doch alles so einfach hätte sein sollen... Na ja, ein Ziel hab ich wenigstens erreicht: Das Silberschiff ist nun in Marcos Hand.
 

Arrr... ich muss zugeben, dass mir dieses Kapitel unerwartet schwer gefallen ist. Ich weiß nicht genau woran das gelegen haben mag, aber ich denke Scarfs Psyche ist im Kampf eher hinderlich als vernünftig zu gebrauchen.

Liebste Anni, ich habe mein Versprechen gehalten und es bis heute geschafft. Aber auf deinen gewünschten dramatischen Tod und die Action musst du bis zum nächsten Kapitel warten. Aye, tut mir leid...

Und warumw erden die Kapitel immer länger?! Man weiß es nicht genau, aber kichern wir doch einmal kurz und männlich. Thihihi! XD

Arrr, bis bald meine Landratten!

„Dunkel ist des Seemanns Grab, daher nimm eine Leuchte mit hinab!“

Dieser Idiot von einem Captain! Dieser Beknackte von einem Anfänger! Dieser Versager von einem Scarf!!!

Ich könnte mich selbst jetzt noch unwahrscheinlich über diesen Kerl aufregen, der uns immer wieder mit strahlender Miene ins Verderben führte.

An sich war ja alles unerwartet gut für uns Verlaufen. Nachdem Scarf ein unnötiges Pläuschchen mit dem Captain der anderen Mannschaft geführt hatte, war unversehens das ersehnte Handgemenge und allgemeine Abschlachten ausgebrochen. Ich fühlte mich wie ein Fisch in seinem Element, die Gegenwehr war schon beinahe ein Trauerspiel. Ein paar ausgebildete Matrosen, der Rest nur jämmerliche Landratten. Sie hatten unserer Mannschaft nicht das Geringste entgegenzusetzen und so war das Deck des Silberschiffes schon mit ihrem Blut benetzt als die Sonne aufging. Unsere eigenen Verluste waren nicht nennenswert, wenn jemand bei dem Angriff gestorben war, dann hatte ich mir seinen Namen zuvor eh nicht gemerkt. Dementsprechend entspannt wagte ich mich auszutoben, die Zuversicht des Sieges beflügelte mich. Der merkwürdige Papagei schlug sich bemerkenswert an meiner Seite, er war tapferer als viele unserer Männer, dafür aber legte er einen besorgniserregenden Blutdurst an den Tag.

Ab und an warf ich mal einen Blick in die Runde, spähte nach Scarf, Bronson oder dem gesprächigen John, aber alle drei schienen sich nicht das Geringste nehmen zu lassen. Bis Scarf sich mit den gegnerischen Captain anlegen musste.

Ich hatte mir ja schon gedacht, dass ein Wahnsinniger seines Kalibers ein großes Ego besitzen musste, aber diese Zielstrebigkeit verblüffte mich dann doch. Und ihn scheinbar auch, denn er erwies sich als relativ erbärmlicher Gegner. Der Captain behielt von Anfang an die Oberhand, kein Wunder angesichts des offensichtlichen Kraftunterschiedes der Beiden. Scarf wollte spielen, der andere Mann am Leben bleiben und seine Ehre wahren. Da spielte die Entschlossenheit auf der einen Seite eine nicht unerhebliche Rolle. Allzu lange konnte ich dann dem Kampf doch nicht zuschauen, schließlich musste ich mich um meinen eigenen Hals kümmern, und auch wenn die Gegenwehr gering war, sie war da. Nachdem ich mein letztes Opfer ohne wirkliche Anstrengung aus dem Leben und über Bord geschafft hatte, stellte ich mit Verwunderung fest, dass Scarf mittlerweile als Sieger aus dem Zweikampf hervorgegangen war, wie auch immer er das angestellt haben mochte. Der Captain lehnte sterbend an der Reling und kramte den ältesten Trick eines verreckenden Seefahrers hervor, den es gab. Und der schaltragende Vollidiot fiel darauf herein...

Irgendwas in mir arbeitete schneller als mein Hirn und bevor es mir bewusst wurde, rief und griff ich nach dem Kleingeist um ihn zurückzuhalten, aber es war zu spät. Der Captain riss Scarf mit sich ins Meer und ins Verderben. Mit einem großen Schritt stand ich an der Reling und starrte hinab in das tosende Schwarz unter mir, doch keiner der beiden Männer kam wieder an die Oberfläche. Ich blieb ungläubig dort stehen, irgendwann nahm ich Bronson neben mir war, der ebenfalls fassungslos hinunter blickte. Ich schluckte schwer.

„Er... taucht nicht wieder auf.“ Nun, die Bemerkung war überflüssig, aber ich wusste nicht recht was ich sagen oder tun sollte.

Bronson nickte langsam, räusperte sich schwer und sprach mit dem Blick weiterhin gen dunklem Wasser gewandt.

„Es ist nun deine Aufgabe das Schiff als geentert zu erklären. Lass es im Namen des Captains verlauten, erster Maat.“

Es war merkwürdig. Ich hätte niemals gedacht, dass mir Scarfs Ableben doch irgendwie nahe gehen würde, aber es tat es dann doch. Ich schritt langsam die Stufen herab, sah in die erwartungsvollen Gesichter der Männer und sammelte mich kurz. Meine Stimme war fest, mein Geist kam wieder zur Ruhe. Wir hatten einen wirklich dicken Fang gemacht, auch wenn wir unseren Captain verloren hatten. Das war ein verhältnismäßig geringer Preis, Bronson würde mit Abstand einen besseren Captain abgeben.

„Das Silberschiff ist unser! Geht unter Deck und schaut nach, was wir alles erbeutet haben! Bringt alle Edelmetalle, Stoffe und alles, was sich in Münzen umsetzen lassen lässt rüber auf unser Schiff. Wenn ihr Weibsvolk findet, dann vergnügt euch mit ihnen, lasst aber keines am Leben! Gleiches gilt für Kinder und jeden Mann, der nicht überlaufen will!“

Ich sah zu wie sich die Meute johlend und grölend unter das Deck des Silberschiffes verzog und verspürte zum ersten Mal in meinem Leben nicht den Wunsch das geenterte Schiff zu plündern und weiter zu morden.

Scarf ging mir nicht aus dem Kopf. Auch wenn ich den Bastard nicht gemocht hatte, ich spürte eine Wut in mir. Es war mein Recht gewesen ihn umzubringen! Und dieser verdammte Pisser war mir zuvorgekommen. Ich wurde immer wütender und sah mich dringend nach einem Ventil um.

Als das triumphierende Gegröl harter Seebären, begleitet von dem entsetzten Gekreische aus Frauenkehlen, aus dem Inneren des Silberschiffs drang, schlich sich mir ein breites böses Grinsen über das Gesicht. Die Lust nach etwas blutrünstigem Vergnügen kehrte zurück und ließ das Blut schneller durch meine Adern schießen. Mit fliegenden Schritten eilte ich die wenigen Stufen hinab, folgte der Geräuschkulisse von Verderbnis und Nötigung und spürte die Gier in mir aufflammen. Gerade als ich an der Treppe war, schleppte einer der Männer ein Mädchen herauf. Er schleuderte sie vor meine Füße und grinste mich äußerst breit an.

„Das hübscheste Weib als Tribut an den Captain!“

Ich schluckte und sah mich nach Bronson um. Der blickte nicht gerade drein, als ob ihm nach einem weinenden, flehenden Weibsstück war. Also ging dieser Hauptgewinn wohl an mich. Ich nickte dem Kerl zu, es handelte sich bei ihm um den Wackeren Johnny, ein Mann der zu narkoleptischen Anfällen neigte.

„Ich übernehme von hier an. Danke, Wackerer Erik.“

Der Mann nickte knapp, sackte von einer Sekunde auf die Andere schlafend weg und schlug lang hin. Ich seufzte lediglich, packte das heulende Ding wenig zimperlich am Arm und riss sie hoch. Sie war erstaunlich leicht und zitterte am ganzen Körper, schwere Tränen hingen in ihren hellen Wimpern und ihr sonst wahrscheinlich weiches, gepflegtes Haar hing zerzaust in blonden Strähnen herab. Aber was mich wirklich faszinierte, waren ihren großen blau-grauen Augen, aus denen sie mich verschreckt und flehend ansah.

„Bitte.... Bitte, ich bin wichtig...“ Unpassend hoch und wie ein kleines Vögelchen sprang ihre Stimme über ihre vollen Lippen und ich brauchte ein paar Sekunden bis ich die Frequenz der Tonlage empfangen hatte.

„Ach... bist du? Und das soll dich nun vor deinem Ende retten?“ Ich schüttelte sie ein wenig aus Spaß, aber irgendwie fühlte es sich nicht richtig an. Auch wenn sie erwachsen aussah, ihre ganze Ausstrahlung glich der eines Kindes. So verging mir jede Stimmung mich an ihr zu vergehen. Aber genervt von dem ganzen Kram, welcher am heutigen Tage schon schief gegangen war, sah ich nicht ein die Sache einfach auf sich beruhen zu lassen und gab der Aktion noch eine zweite Chance. „Wer bist du denn so Wichtiges?!“

Sie rappelte sich etwas auf, wandte mir ihr weniger üppiges Dekollete zu und versuchte mich angestrengt einschüchternd anzustarren. Ich bemühte mich nicht zu lachen, auch wenn mir eigentlich nicht danach zu Mute war. Doch die Situation entpuppte einfach sich als zu lächerlich, da diese Tusse tatsächlich versuchte mich einzuschüchtern.

„Mein Name lautet Kana Tharia und ich bin die Tochter des Gouverneurs von...“

Ihre Stimme ging mir mächtig auf den Nerv und ich schmierte ihr eine bevor sie den Satz zu Ende bringen konnte.

„Und ich bin Pirat, keine sehr glückliche Kombination, Täubchen!“, knurrte ich und fing ihren entsetzten Blick auf.

„Du hast mich geschlagen, du Unhold!“ Mit einer ihrer zerbrechlichen Hände fuhr sie mir durchs Gesicht und zerkratzte mir dabei die Wange.

Ich schlug sie erneut, ihr aufmüpfiges Gehabe ging mir mehr denn je auf den Nerv. Und wenn ich ehrlich war, mir war die Lust vergangen mich zusammen zu reißen. Scarf durfte ich seine unglaublich anstrengende Arte nur in einem gewissen Rahmen zurückzahlen ohne mir Ärger mit Bronson zuzuziehen, aber dieses Mädchen sägte erfolgreich an meinem eh schon äußerst dünnen Geduldfaden.

„Es reicht, du dreckiges Miststück. Du wirst dir gleich wirklich wünschen, du wärest nie geboren worden!“ Die Abgedroschenheit dieser Phrase war mir durchaus bewusst, aber ganz ehrlich, sie enthält viel Wahres.

Meine Säbel hatte ich weggesteckt und ich musste die dumme Göre gut festhalten, damit sie mich nicht trat oder floh. Daher blieb mir nicht viel Freiraum in der Wahl ihres Ablebens. Während ich noch grübelte, blinzelte die kleine Gouverneursschlampe an mir vorbei.

„Vogel?“

Mr. Peacemaker zischte an meinem Ohr vorbei und knallte in das überraschte Gesicht der Kuh, die kreischend und um sich schlagend zu Boden ging. Der Papagei hackte erbarmungslos auf das Mädchen ein und ich massierte mir deprimiert die Schläfe. Sogar um den Spaß war ich gebracht worden...

Ich wandte mich ab und schlurfte zur Reling zurück, während die kläglichen Schreie hinter mir langsam erstarben. Bronson hatte eine Gangway zu unserem Schiff gelegt und frustriert begann ich das Silber aus dem Bauch des gekaperten Wracks auf unser unversehrtes Deck zu verfrachten.
 


 

Es war schon beinahe Mittag, als an Bord des Silberschiffes kein Leben und kein Schatz mehr war. Erschöpft und zerschlagen beschloss ich mir eine Mütze Schlaf zu gönnen, in der Nacht war ich schließlich nicht dazu gekommen auch nur mal für fünf Minuten die Augen zu schließen. Müde torkelte ich zu der Captainskajüte, wollte gerade die Tür öffnen und hielt inne. Ich überlegte, ob es überhaupt noch mein Recht war darin zu schlafen oder ob ich das überhaupt noch wollte jetzt wo Scarf nicht mehr da war? Andererseits hatte ich auch nie freiwillig mit dem Captain in einem Bett schlafen wollen, sondern hatte das nur getan, weil ich sonst vor Beklemmungen niemals hätte pennen können. Dennoch zögerte ich. Und dann begann ich mich dafür zu hassen, dass ich tatsächlich darüber nachdachte, dass mir das Ableben dieses Wahnsinnigen doch scheinbar etwas ausmachte.

Wild entschlossen dem ganzen sentimentalen Schwachsinn Lüge zu strafen, riss ich die Tür auf und stürmte in die Kajüte. Über den Stuhl waren nasse Sachen gehängt, auf dem Boden bildete sich eine Pfütze. Alarmiert lauschte ich in die Dunkelheit, doch alles was ich wahrnahm, war das leise Platschen der Tropfen aus den triefenden Klamotten. Ich verhaarte bewegungslos und strengte meine Ohren an, aber abgesehen von dem stetigen tropfen war nichts zu hören. Kein Atemzug, keine Bewegung. Derjenige, der seine nassen Sachen also hier deponiert hatte, war von dannen. Der anfängliche Schrecken fiel ein wenig von mir und ich drehte mich langsam, aber immer noch bis an alle Grenzen aufmerksam, herum. Nach und nach entspannte ich mich immer mehr, die Kajüte war ja recht übersichtlich und ich konnte niemanden entdecken. Ich spürte allmählich die Müdigkeit wieder in meine Knochen schleichen und schlurfte mit schwerem Schritt zum Bett. Als ich die Decke zurückschlug, schrie ich wie ein junges Mädchen auf.

Scarf lag schlafend darin. Er musste wirklich tief pennen, wenn er von meinem peinlichem Gekreische nicht wach geworden war.

Und dann kochte die Wut in mir hoch. Wie konnte dieser wahnsinnige Penner es zustande gebracht haben, mich derart in Sorge um seinen wertlosen Arsch zu versetzen! Und wie konnte ich es verantworten, dass ich mich überhaupt nen Deut um die abartige Landratte geschert hatte!? Damit war nun eindeutig Schluss!

Ich griff nach dem Kissen unter Scarfs Kopf, zog es mit einem Ruck hervor und schlug sofort damit zu. Zugegeben, keine besonders fiese Waffe, aber eigentlich sehr effektiv. Vor allem, wenn man den Kissenwecker mit einem lauten Ruf und Beschimpfungen untermalte, so wie ich es nun auch tat.

„Wach auf, du Pisser! Nur damit du es weißt, am nächsten Hafen geh ich von Bord!“

Scarf lag weiter still dort, weiß wie Schnee, die Haare feucht. Er bewegte sich nicht, er atmete nicht. Ich stand einfach da und starrte den leblosen Körper vor mir mit unbewegter Miene an.

„Oy, Scarf...“ Ich räusperte mich, beugte mich über das Bett und stieß ihm grob in die Seite. Er war weder kalt noch warm, irgendwas halbtotes dazwischen. „Hey, Weichei!!“ Ich schluckte, mein wundervoller Captain gab stur wie immer kein Lebenszeichen von sich. „Oh scheiße...“

Sollte er in dem Bett verreckt sein, so würde ich da nicht mehr drin schlafen wollen! Das stand fest.

Ich war unschlüssig was ich tun sollte. Mein Verstand rief mir zu, ich sollte doch bitte ganz sicher stellen, dass der Bastard endlich wirklich tot sei. Mein Magen betete, dass dies nicht der Fall sein möge, da sich sonst seine Gedärme ziemlich bald entleeren würden. Mein Mitgefühl war schon vor Jahren verstummt und meine Müdigkeit wollte, dass ich mich in die nächstbeste Hängematte verzog.

Ich wählte eine ungefähr mittlere Option aus all den Dingen und schlug mit der flachen Hand in das bleiche Gesicht. Scarfs Kopf flog zur Seite und es blieb weiterhin still. Meine Finger zitterten mittlerweile etwas, als ich sie an seinen Hals legte um einen Puls zu erspüren. Aber da war nichts. Ich schluckte schwer, zählte in Gedanken langsam bis zehn und schlug erneut zu. Scarf zeigte keine Reaktion.

„Scheiße!“

Meine Glieder fühlten sich bleiern als ich aufsprang und mit wenigen Sätzen den Weg bis zur Tür hinter mich brachte. Ich war mir durchaus bewusst, dass der selbsternannte Arzt hier wohl nicht mehr viel ausrichten können würde, aber als erster Maat war es immerhin so etwas wie meine Pflicht den Mediziner zu rufen. Als Mensch war’s mir herzlich gleich, aber es drohten deftige Strafen bei unterlassener Hilfe einem Kameraden gegenüber.

Gerade als ich die Kajütentür aufriss, vernahm ich hinter mir einen pfeifenden Atemzug. Ich schnellte herum und stürzte zum Bett zurück. Von dem ganzen Hin- und Hergehopse war mir ziemlich schwindelig und so musste ich erst konzentriert blinzeln um Scarf scharf sehen zu können.

Er zog röchelnd und pfeifend Luft ein, allein diese Laute ließen auch meine Lunge schmerzen, aber immerhin atmete er.

„Scarf?“ Ich räusperte mich ungeduldig und ich stopfte schnell das Kissen wieder unter seinen Kopf.

Seine Lider flatterten und hoben sich unglaublich langsam. Es dauerte eine ganze Weile, ehe er mich erkannte und mühevoll lächelte.

„Marco...“, krächzte er mir mit brüchiger Stimme zu und ich legte ihm die Hand auf die Stirn. Sie wurde allmählich wieder etwas wärmer.

„Halt lieber dein Maul. Spar deine Kräfte und werd wieder gesund.“, raunte ich ihm unwirsch zu.

„Aber... ich hab sie... gesehen...“ Das selige Lächeln auf seiner dummen Visage wurde noch breiter und ich stöhnte innerlich auf.

„Wieder deine Meerjungfrauen? Ich sagte doch, du sollst still sein.“

„Nein... nicht die Meerjungfrau.“ Er versuchte den Kopf zu schütteln und bekam einen absolut erbärmlichen Hustanfall. Sein ganzer Körper schüttelte sich und ich konnte gerade noch die Morgenschüssel greifen, als er Blut erbrach. Mir wurde mulmig.

„Jetzt sei endlich still, du dummer Penner! Du bringst dich noch mit deinem wahnsinnigen Gefasel um.“

Scarf sank müde in sein Kissen zurück und blinzelte mich an.

„Aber es ist wahr.“ Obwohl er nahe am Rand des Todes stand, lag absolute Überzeugung in seinem Blick. „Ich habe sie gesehen. Captain Nimz und seine unbärtige Crew.“

„Wen???!“ Bevor ich mich versah, war mir die Frage entfahren. Was versuchte ich Scarfs unsinniges Fiebergefasel zu hinterfragen?

„Captain Nimz und seine unbärtige Crew.“ Er flüsterte und hob schwankend die Hand. „Kennst du nicht... die Mär dazu?“

Ich seufzte leise und schüttelte den Kopf. Er würde eh nicht aufhören zu reden und ich überlegte ihn kurzerhand ohnmächtig zu schlagen.

„Captain Nimz und seine unbärtige Crew führen eine epische Schlacht gegen Chuck Norris um das Recht die Initialen C.N. nutzen zu dürfen. Auch noch nach dem Ableben geht der verfluchte Kampf am Grund des Meeres weiter, wo die Körper der Mannschaft verrotten und der Halbgott Chuck Norris seine Macht ausspielt.“

Ich schwieg. Was sollte ich auch zu dem ganzen Müll sagen? Scarf schaute mich an, so als wäre einer seiner sehnlichsten Wünsche in Erfüllung gegangen.

„Und ich hab sie gesehen.“

Dann wurde er erneut zu meiner grenzenlosen Freude ohnmächtig und seine Stirn begann unter meiner Hand zu glühen. Innerhalb weniger Sekunden breitete sich das innere Feuer über seinen gesamten Körper aus und nun gestand ich mir selbst zu etwas Sorge um meinen Captain zu verspüren.
 

Ahoi, ihr liebenswerten Seeschnecken dort draußen!

Es hat dieses Mal ein wenig länger gedauert, aber verdammt, von nun an bin ich erpressbar... Daher widme ich dieses Kapitel meinem Captain Nimz und sage: Mein Part ist getan, lad das Bild hoooch! Har har harrr! XD

„Wähle deine Waffe!“ – „Ich wähle das Wort.“

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Egal wie sehr ich mich bemühe, ich kann mich an nichts mehr aus diesen Tagen erinnern. Dabei scheine ich eine wahre Legende unter den Seemannsschmonzetten gesehen zu haben und welch Ärgernis, mein Gedächtnis streikt rigide ab dem Moment an dem ich unter Wasser das Bewusstsein verlor.

Laut meinem treuen Bronson dümpelte ich vier Tage im Fieber vor mich her und rang um mein Leben. Laut Marco stellte ich mich nur ab und an einfach tot um die Belastbarkeit der Nerven meiner Mannschaft zu strapazieren.

An sich klingt Marcos Variante mehr nach meinem Geschmack.

Ich befinde mich endlich auf dem Weg der absoluten Genesung und seit gestern lässt Bronson mich auch wieder an Deck. Ich muss mich zwar immer noch in meinen Schal einwickeln und zu meinem Bedauern ein dickes Hemd tragen, aber in ein paar Tagen bin ich wieder frisch und frei.

Die Beute unseres kleines Raubzuges hat sich als äußerst annehmbar entpuppt. Wir steuern gerade den nächstbesten englischen Hafen an und setzen dann dort das Gold, Silber und die Stoffe erst einmal schön in Dublonen um. Bronson hat erste Schätzungen gemacht und ehrlich gesagt, mir blieb die Spucke im Halse stehen. Selbst Marcos Gesichtszüge entgleisten vor Entzückung, ein wahrlich seltener Anblick. Nach harten Verhandlungen hat Bronson mich überredet, die Beute einzuteilen und den Männern so ihren Anteil zu überlassen, dabei wollte ich eine Art Wettbewerb darum starten. Wer eine Jury, bestehend aus Bronson, dem Papageien, Marco und mir am ehesten hätte begeistern können, hätte sich reich bedienen dürfen. Aber mein Quartiermeister ist der Überzeugung, dass dies kein piratiges Benehmen sei und so habe ich dem nachgegeben. Dabei stelle ich mir das äußerst spaßig vor.

Unter Deck kommt es mir mittlerweile drückender vor denn je und ich ertrage es nicht länger eingesperrt zu sein. Allen Vorurteilen meines ersten Maates zum Trotz befinde ich mich bei bester geistiger Gesundheit, aber dieses ewige Herumlungern in der Kajüte beginnt mich allmählich in den Wahnsinn zu treiben. Also genaugenommen noch mehr Wahnsinn als zuvor.

Ich komme gerade pünktlich an Deck um Marcos Ruf zu hören, dass die Insel in Sicht ist. Wohlbedacht darauf, dass Bronson mich nicht bemerkt, pirsche ich mich an die Reling und starre mit freudiger Erregung auf den Horizont, an dem ich langsam die Silhouette des karibischen Eilandes auszumachen vermag.

„Was machst du hier? Du gehörst ins Bett!“ Marco fegt mir grob mit der Handfläche über den Hinterkopf, aber ich weiß seine Andeutung der Sorge sehr zu schätzen.

„Es geht mir schon viel besser“, lächle ich ihn erfreut an und unterdrücke einen Hustkrampf, welcher mir schmerzlich im Halse hängt.

„Hmm.. sicher. So knapp, wie du am Tod vorbei geschrappt bist, ist man nach der halben Woche wieder absolut gesund.“ Mein erster Maat schnaubte abfällig und ich zuckte nur die Schultern.

„Das macht die äußerst gesunde Seeluft, mein Freund.“

„Manchmal habe ich wirklich den Eindruck, du legst es auf einen möglich spektakulären Abgang an, Scarf.“

Darüber muss ich erst nachdenken. Sogar eine ziemliche Weile, denn im Grunde hat Marco da recht.

„Keine Widerrede?“ Marco sieht mich doch ein wenig erstaunt an. Peinlich berührt muss ich lächeln und sehe zu, wie wir uns unserem Ziel nähern.

„Nein. Tatsächlich keine Widerworte. Wenn ich eines Tages abtrete, dann soll das ein ganz großer Auftritt sein.“

Mein kleiner Zögling stellt sich neben mich und starrt ebenfalls aus Meer hinaus.

„Das ist wieder typisch. Selbst wenn du endlich die Güte hast abzukratzen, muss das noch ein groß inszeniertes Theaterstück sein, oder wie?“ Er versucht ein hämisches Grinsen, aber es will ihm nicht gelingen. Ganz offensichtlich behagt ihm diese Thematik nicht. Er schluckt immer wieder unruhig.

„Ja, meinst du nicht? Wenn ich nun schon mein Leben zu einem großen Abenteuer mache, dann sollte doch das Ende ein krönendes Finale sein.“

„Das wäre dir mit deinem fiebrigen Husten wirklich phänomenal gelungen.“

Ich seufze kleinlaut.

„Das war wirklich nicht so das Beste. Da muss ich dir recht geben.“

Marco knufft mich grob gegen den Oberarm.

„Können wir endlich mal das Thema wechseln?“

Ich gebe mir größte Mühe nicht zu jammern, aber mein Arm tut doch ziemlich weh.

„Meinetwegen.“ Erneut steigt mir ein quälendes Brennen den Rachen empor und ich schlucke krampfhaft. Es schmerzt mittlerweile nahezu unerträglich und schlagartig ist mein Arm vergessen.

„Warum steuern wir gerade diese Insel dort an? Wir sind doch schon an vielen Anderen vorbei gekommen.“ Marco lehnt sich mit dem Rücken an die Reling und mustert mich prüfend.

„Weil es eine Insel unter englischer Besatzung ist.“

„Den Plan hast du also noch nicht aufgegeben?“ Mein erster Maat klingt ein wenig enttäuscht und ich muss grinsen.

„Natürlich nicht! Bei der Vorarbeit?!“

„Vorarbeit?“

„Ja doch. Aber das wirst du später erfahren. Also, wenn es dich interessiert...“ Betont beiläufig male ich die Maserung der Holzes nach. Der kitschige Anstrich der Reling blättert ab und gibt allmählich den markanten Untergrund frei.

Marco springt spontan auf meine Beiläufigkeit an und räuspert sich neugierig.

„Deine Vorarbeit im Sinne von ich-falle-auf-den-ältesten-Trick-seit-Menschengedenken-rein war ein ziemlicher Reinfall, aber ich würde schon gerne wissen, wie du das Desaster noch als Erfolg werten kannst.“

Ich lasse mir meine Unmut so gut wie gar nicht anmerken, auch wenn ich einen trotzigen Flunsch nicht ganz verhindern kann, reiße mich dann aber zusammen und rufe mir ins Gedächtnis, dass ICH derjenige von uns beiden bin, der den Anderen mit seinen Worten zur Weißglut treibt.

„Hmmm. Wie sehr willst du das wissen?“

Er wird hellhörig und schaut mich alarmiert an.

„Wirklich sehr. Das wäre nämlich ein grandioses Kunststück. Wieso?“

„Nun, es gibt das was, was du dafür tun müsstest...“ Mit einem breiten Grinsen wende ich mich von ihm ab, unterdrücke mit aller Gewalt einen stimmungszerstörenden Hustanfall und entschwinde ohne ein weiteres Wort Richtung Kabine.
 


 

„NIEMALS!! Vergiss es!“

Ein Glas zerschellt knapp neben meinem Gesicht an der Wand und die Splitter prasseln ziemlich fies gegen meine Schulter. Äußerst vorsichtig schüttle ich sie aus meinem Schal, das gute Stück hat schließlich keine Schuld an dem Geschehen.

„Eher sterbe ich, du Wahnsinniger!!! Scarf, das kannst du nicht von mir verlangen!“

Möglichst gleichmütig schlendere ich zu unserem breiten weichen Bett hinüber und beuge mich über Marco.

„Ich dachte, du würdest es soooo gerne wissen...“ Ich kann nicht verhindern, dass meine Stimme mir rau und säuselnd über die Lippen kommt.

„So sehr dann doch wieder nicht, du kranker Mistkerl!“ Grob packt er mich am Arm und schubst mich zur Seite, rennt aber nicht hinaus.

Neugierde ist keine Tugend, sie macht aus dem standhaftesten Manne einen zwiegespaltenen Besessenen. Bei Frauen ist das etwas anderes, die Neugierde gehört zu ihrem Naturell und besessen sind sie eh.

Mein erster Maat beginnt hin und her gerissen in der Kabine auf und ab zu schreiten, auch wenn er recht kurze Beine hat, der Weg ist nicht sehr lang und so zähle ich seine Kehrtwendungen.

„Können wir uns nicht anders einigen?“, fleht er mit einem flackernden Leuchten in den Augen.

„...sechs...sieben... Nein. Acht...“

„Das kannst du einfach nicht von mir verlangen, verdammt!“

„Zehn.... elf.. Wie du siehst... dreizehn... mache ich die Bedingungen und damit kann ich das sehr wohl verlangen.... siebzehn...“

„Ich bring dich um!“ Er bleibt abrupt stehen und starrt mich mordlüstern an. Ich kann mir ein provozierendes Grinsen kaum verkneifen.

„Sag bloß, du hast Angst...?“

Mit weniger als zwei Schritten ist er bei mir, zerrt wüst an meinem Schal und schneidet mir so die Luft ab.

„Halt dein Schandmaul, du Hurenbock von einem Captain!!!“

Scheinbar habe ich ihn wirklich sauer gemacht. Geistig verfasse ich mir eine Notiz Marco nie wieder mit einer möglichen Angst zu ärgern.

„Ganz ruhig“, krächze ich ob des Luftmangels und versuche den Stoff um meinen Hals zu lockern. „So schlimm ist es nun auch wieder nicht, oder?!“

Nun sehe ich Verzweiflung in Marcos dunkle Augen treten und langsam frage ich mich, ob ich ihn nicht doch zu arg trieze. Ein erneutes Rucken an den Schalenden bekräftig mich in diesem Gedanke.

„Du kannst mich nicht zwingen den Mädchenpart zu übernehmen!“

Allmählich beginnen meine Lungen heftig zu schmerzen und kleine Pünktchen tanzen vor meinen Augen. Leicht panisch wedeln meine Hände vor dem gepeinigten Gesicht meines ersten Maats herum, der mir dann auch endlich wieder die Luft zum atmen gönnt. Ich verbringe eine kleine Weile mit Röcheln und Husten bevor ich wieder zu sprechen vermag.

„Was für einen Mädchenpart, lieber Marco?“

„Die Schuhe haben einen ABSATZ!!“ Wütend schmeißt er das werte Schuhwerk durch den Raum und stiert mich empört an, als ob das allein meine Schuld wäre.

Ich versuche nicht allzu aufreizend zu seufzen, aber prompt habe ich wieder einmal eine Faust im Gesicht. Mir die blutende Nase haltend sinke ich zu Boden und blinzle zu dem vor Wut bebenden Marco empor.

„Das hat nichts mit Frauenbekleidung zu tun, das ist einfach eine Modeerscheinung.“ Ich taste nach der Tischdecke um mir das Blut aus dem Gesicht zu wischen, die teuren Kleider auf dem Bett sollen schließlich nichts abbekommen. „Ich kann ja verstehen, dass du als lebenserfahrener Bukaniere solche Schuhe bestenfalls verachtest, aber wenn du das Haus einen Gouverneurs betreten willst, musst du auch entsprechend gekleidet sein.“

Seine ganze Gestalt strahlt unmissverständlich eine Mixtur aus Unwille und Zorn aus als Marco sich mit einem erbitterten Seufzer aufs Bett fallen lässt und die Kleidungsstücke genau unter die Lupe nimmt.

„Ich bin mir nicht mehr so sicher, ob ich jetzt noch an dem Abenteuer teilhaben will. Die Umstände haben sich beschissen entwickelt!“ Angewidert zupft er an den Rüschen und schmeißt das Hemd zurück auf die Laken. „Es ist ein Wunder, dass der Adel sich noch fortpflanzt bei diesen Klamotten! Ich zieh den Mist jedenfalls nicht an, da wird ich ja nur ausgelacht für.“

Ich lasse seine Worte kurz auf mich wirken und drehe mir gedankenverloren aus Stofftüchern zwei Stopfen für meine noch immer blutende Nase. Er scheint auf eine Reaktion meinerseits zu warten, aber mein schmerzendes Gesicht lässt den Gefallen nicht zu. Ich picke mir aus den wertvollen Kleidungsstücken die in meiner Größe heraus und beginne mich umzuziehen. Es ist ein merkwürdiges Gefühl wieder Stoff an den Armen zu spüren, höhere Absätze zu haben und eine Hose an den Beinen zu spüren, die enger kaum sitzen kann. Ich atme tief durch bevor ich an mir herunterblicke und komme arg ins Zaudern.

Ein Gefühl überkommt mich. Die Vergangenheit schwappt mit einem Mal über mich und schnürt mir die Luft ab. Beinahe kann ich die warme Brise spüren, den Duft der Blumen im Garten riechen und die Stimmen meiner Geschwister hören. Es ist alles wieder da, worum ich mich so hart zu vergessen bemüht habe.

„Deiner Visage nach zu urteilen scheinen die Sachen ja nicht sehr bequem zu sein.“

Marcos Stimme reißt mich aus meiner kurzen Depression und noch einigermaßen belämmert sehe ich zu ihm hinüber. Er starrt mich wachsam und ein wenig skeptisch an und ich bemühe mich möglichst schnell wieder um meine übliche Fassade.

„Ach, nein nein. Das sitzt wie eine zweite Haut, äußerst bequem. Der Stoff ist ganz weich und kratzt kein Stück!“

Nichts, wirklich nichts ist unangenehmer als rauer Stoff im Schritt!

„Sicher...“ Marco schnappt sich eine Hose und zieht sie auseinander. Dann begutachtet er kritisch den Sitz des Kleidungsstück an meinem Exampel und seufzt schwer. „Darum sahst du auch so glücklich aus.“

„Es erinnert mich einfach... an früher...“ Die Thematik ist nicht meine, zu ernst, zu weit weg und mit viel zu viel Schuld beladen. Und ich hab sie eigentlich hinter mir gelassen. Davon war ich bisher überzeugt gewesen und es irritierte mich ungemein, dass so wenig wie ein paar Anziehsachen ausreicht um meine Mauern mühelos niederzureißen. Beinahe hilflos stehe ich da und sehe durch meinen ersten Maat hindurch.

Aber Marco rettet mich.

„Hmm... Es passt nicht mehr. Wer oder was auch immer du früher warst, jetzt stehen dir die Klamotten nicht sonderlich. Deine Haut ist zu braun, zu blutverschmiert. Du bist ein Pirat geworden.“

Ich muss lächeln angesichts seiner versteckten Sentimentalität.

„Danke.“

„Halts Maul! Zeig mir lieber wie ich diese schwuchteligen Sachen anbekomme!“ Ungehalten wirft er mir die Hose entgegen und springt auf. Immer noch lächelnd löse ich die Schnüre und helfe ihm sich anzuziehen.

Ich muss nicht extra erwähnen, dass Marco in den Adelsklamotten ziemlich unglaubwürdig ausschaut, aber im Kontrast zu ihm werde ich definitiv überzeugen können. Während er noch geschockt an sich herunter blickt, empfehle ich mich kurz vor die Tür. Es gelingt mir auch hier noch durch festes Beißen in die Hand meinen Lachkrampf zurückzuhalten, der sich dann auch schnell in einen Hustanfall wandelt. Aufmerksam wie eh und je kommt mein besorgter Quartiermeister herbei und ich lege ihm nah der Mannschaft aus bestem Interesse an ihrer Gesundheit einzubläuen, dass doch lieber niemand lachen solle wenn Marco und ich uns in Montur ans Deck wagen. Ich für meinen Teil würde betreffende Lachsäcke auspeitschen und dann aufknüpfen lassen und ich bin mir sicher, im Gegensatz zu Marco bin ich da noch sehr human. Bronson trabt mit noch besorgterer Miene von dannen und zufrieden summend gehe ich meinen ersten Maat abholen, der sich mit Gesichtszügen aus Stein mit mir auf die nächste Mission begibt.

Ich liebe meine Überzeugungskraft.
 

Willkommen, willkommen zum heutigen Nachwort!

Ich muss sagen, ich hab einen doch recht stressigen Monat hinter mir und man merkt, dass ich dieses Kapitel immer mal so zwischendurch weitergeschrieben habe. Ich tue Buße und freue mich auf den kommenden Monat, in dem ich endlich wieder ganz viel Zeit für die Thematik habe.

Ich widme meine ewige Seeräuberliebe mal wieder meinem Captain und meinem ersten Maat. <333

Arr, der Navigator

Wäre das Leben doch nur frei von Überraschungen...

So, nun stand ich da also in einem völlig erbärmlichen Aufzug und einem hustenden wahnsinnigen Pulverfass neben mir. Innerlich verfluchte ich mich selbst, dass ich mich auf diese ganze Sache eingelassen hatte, schließlich lief sie ganz klar auf meinen Nachteil hinaus. Aber unerklärlicherweise begann ich mich für diesen vollidiotischen Captain verantwortlich zu fühlen, obwohl der Gedanke allein schon ausreichte mir die kalte Panik in die Glieder zu jagen. Ich wusste auch nicht so genau woran ich es fest machen sollte, aber seit seinem Abgang über Bord alarmierte mich etwas an Scarfs Verhalten. Wahrscheinlich war es einfach sein verfluchter Leichtsinn, welcher uns eines Tages allen das Genick brechen würde.

Bei mir war es heute Abend so weit, meine Ehre lag röchelnd in den letzten Zügen am Boden und ich zupfte an meinen Rüschen am Hemd herum. Es war unglaublich erniedrigend. Einfach nur unbeschreiblich und im Grunde war ich fassungslos, dass ich tatsächlich auf Scarfs Bedingung eingegangen war.

„Wärest du bitte so freundlich und bindest mir diese Schleife um den Zopf?“ Ungeachtet meiner leicht explosiven Lage wedelte mir mein persönlicher Tyrann mit einem Stoffband vor der Nase herum.

„Du hast richtig Spaß an der Sache, nicht wahr?!“, knurrte ich ihm warnend zu, aber er ignorierte die eindeutige Mitteilung mal wieder rigoros. Ich riss ihm die Schleife aus der Hand und machte Anstalten sie um seinen dunkelbraunen gewellten Zopf zu binden. Widerspenstig kringelten sich die Locken überall hervor und ich räusperte mich. „Dein Zopf schaut aus wie der eines Fünfjährigen.“

„Oh, es tut mir wirklich leid, dass meine popelige Frisur nicht Euren Ansprüchen standhält, der Herr!“ Gespielt pikiert näselte Scarf und wich meinem halbherzigen Hieb aus.

„Halt’s Maul! Als Seemann kannst du so verlaust rumtaumeln, aber so gehst du niemals auch nur ansatzweise als Adelsmann durch. Glaub mir, ich hab genug reichen Pennern die Kehle aufgeschlitzt um zu wissen, wie affig die ihre Haare tragen!“ Etwas grober als unbedingt notwendig zog ich den Quälgeist an seinem Zopf zu mir zurück und begann die wirren Zotteln mit einem grobzinkigen Kamm zu bändigen. So konzentriert wie ich war, bemerkte ich erst nach einiger Zeit, dass Scarf vor Behagen summte. Ich gab mir größte Mühe diese leicht verstörende Tatsache einfach zu ignorieren und beendete mein Werk mit der perfekten Schleife.

Neugierig tastete Scarfs Hand über seine Frisur und völlig begeistert strahlte er mich an.

„Das kannst du wirklich gut!“

Angesichts seiner aufrichtigen Begeisterung unterließ ich es ihm das Grinsen aus der Fresse zu schlagen und zuckte nur möglichst beherrscht die Schultern.

„Ich hab ein paar Schwestern, da lernt man das notgedrungen. Können wir jetzt das ganze Theater hinter uns bringen oder wartest du auf einen besonders günstigen Zeitpunkt um uns am effektvollsten bloßzustellen?“

„Nein, du hast recht. Wir sollten los. Bei beginnender Dunkelheit wird der Gouverneur wohl keine Fremden mehr in sein Haus lassen.“ Er bedachte mich mit einem leicht amüsierten Blick. „Andererseits müssen wir so bei Tageslicht zu seinem Hauptsitz gehen...“

Bevor ich es mir noch überlegen konnte doch lieber auf dem Schiff zu bleiben, hatte er mich schon am Handgelenk gepackt und halb aufs Deck geschliffen. War dort zuerst noch ein leises Raunen über die Planken geweht, herrschte bei unserem Betreten mit einem Mal ein peinlich berührtes Schweigen. Ich knurrte ungehalten und mir lagen Tausende von Flüchen auf der Zunge, da begann der beknackte alte Sven zu kichern und Scarf stimmte fröhlich mit ein. Nun war ich an der Reihe den Anderen am Handgelenk hinter mir her zu ziehen. Er jammerte ein wenig ob meines festen Griffes, aber ich gab mir alle Mühe meine Wut nicht laut hinauszubrüllen, sondern einfach nur Scarf gezielt weh zu tun.
 


 

Wir erreichten den Gutshof des Gouverneurs ohne weitere Zwischenfälle oder Tote. Ab und an glaubte ich ein unterdrücktes Gelächter zu vernehmen, aber aus irgendwelchen Gründen verstummten sie meist schon vor dem von mir befürchteten Ausbrechen. Ich wurde immer wütender darüber, dass mir so das Ventil für einen Wutausbruch genommen wurde und stakste auf diesen verdammten hohen Hacken ungelenk den Weg entlang. Neben mir türmten sich Statuen und protziges Buschwerk, welches jemand trotz der karibischen Vegetation in einem europäisch angehauchten Schick gezähmt hatte. Mir wurde schlecht vor so viel Kitsch.

Scarf stiefelte gut gelaunt neben mir her, ein gelegentliches bewunderndes „Ah“ oder „Oh“ seufzend. Selten habe ich ihn so sehr gehasst wie in diesen zehn Minuten, die wir für die Durchquerung des abartig aufgetakelten Stück Parks benötigten. Als wir endlich die große marmorne Treppe des Anwesens erreichten, war ich so dankbar wie selten zuvor.

Instinktiv sah ich mich nach versteckten Wachen um, ich hatte schon mehr als eines solcher Herrenhäuser auf einem Raubzug geplündert und manche reichen Bastarde waren erstaunlich kreativ im Platzieren von Waffen und Wachen. Aber niemand trat mit einer Pistole in der Hand hervor, keine Hellebarde zeigte auf uns, von nirgendwo her erklang das Geräusch eines ziehenden Schwertes. Es blieb ruhig. Und ich wurde nervös. Stille bedeutete meistens nichts Gutes, zumindest nicht meinen Instinkten nach. Ein wenig unsicher sah ich zu meinem noch immer fröhlich summenden Captain hinüber und schlagartig übernahm wieder die Wut Herrschaft über meine Gefühlswelt. Er strahlte wie ein alter Seebär vor einem Gratisfass Rum. Als er dann auch noch die Dreistigkeit bewies mir vergnügt zuzuzwinkern, brannte mir beinahe die Beherrschung durch. Dem großen Gott sei Dank, zumindest der von Scarf, erschien am oberen Ende des geschwungenen Aufstieges ein livrierter Diener und hüstelte uns willkommensheischend zu.

„Dü werten ’erren wünschen?“, näselte er mit einem abartigen französischen Akzent.

- Hierbei muss ich wohl anmerken, dass ich keine Franzosen mag. Es kann sein dass diese Einstellung auf der Grundfehde um die Herrschaft der Ozeane beruht, aber das muss es nicht. Ich bin auf meinen Fahrten vielen französischen Schiffen begegnet, natürlich haben wir sie angegriffen, denn nur die Menschen verachtet man, nicht ihre Ware, und ich habe mit eigenen Augen gesehen, dass die Schinder der Franzosen die Schlimmsten sind. Da kommt kein Engländer, kein Spanier und auch kein Holländer auch nur annähernd ran. Daher sollte man von nun an ein wenig von meiner negativen und unfreundlichen Grundeinstellung absehen, aber was soll man machen? Schon mal deinen besten Freund kielhohl lassen gesehen? Nein? Dann frag mal einen französischen Bootsmann, der erledigt das mit Freuden! -

Zurück zum eigentlichen Grund des Übels. Scarf deutete eine elegante Verbeugung an, die mich ein wenig in Erstaunen versetzte. Ich hatte zwar mittlerweile verstanden, dass der Wahnsinnige an meiner Seite wohl auch ein anderes Leben geführt hatte, aber als ich mich ebenfalls an der kleinen Ehrerbietung versuchte, fiel ich beinahe um. Das richtige Verbeugen war gar nicht so einfach.

„Wir würden gerne Gouverneur Spendwell mit einem kleinen Gespräch beehren...“

Während Scarf die scheinbar normalen Floskeln herunterbetete, betrachtete ich ihn ausnahmsweise etwas genauer. Er wirkte seriös, sein dümmliches Strahlen war verschwunden und es ließ ihn weitaus erwachsener wirken. Seine Gestik und Mimik schien präzise, auf ein freundliches, aber absolut angemessenes Minimum reduziert und sprang einen aus jeder Pore mit Gewohnheit an. Er wirkte überraschen erhaben, wie ein geborener Anführer. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass er auf diese Art einen beinahe vertrauenswürdigen Captain abgeben würde und schalt mich stumm einen Idioten. Schließlich war das jetzt nur Theater.

Oder? Was wäre, wenn der übliche, dumm-dämliche Scarf eine einzige Maskerade wäre? Der alles, seines und unsere Leben, auf Spiel setzt für.... Ja, für was denn dann eigentlich? Er hatte kein Ziel, zumindest keines welches einen Sinn ergab.

Ein leises Hüsteln riss mich aus meinen verschwörerischen Gedanken und mit seinem üblichen Grinsen in der Visage sah Scarf mich erwartungsvoll an.

„Wir werden angekündigt.“ Mit bemessenen Schritten begann er die große Treppe zu erklimmen und ich folgte ihm so schnell wie möglich. Normalerweise war es meinem unfreiwilligen Partner ein Leichtes mich auf Grund seiner sehr viel längeren Beine einfach abzuhängen, aber sein Husten machte ihm noch immer sichtlich zu schaffen. Er wurde immer blasser, seine Tritte immer unsicherer und gegen Ende des Aufstieges stütze er sich schwer gegen das vergoldetet Schnörkelgeländer.

Nicht mal dem Tode nahe würde ich so einen ekligen Prunk zur Hilfe nehmen!

Ich folgte ihm schweigend, mir waren die richtigen Worte einfach abhanden gekommen. Auch wenn ich innerlich den Drang hatte ihn wild zu beschimpfen, ich konnte es einfach nicht verhindern dass ein wenig Sorge in mir hochstieg. Bronson würde mich die Neunschwänzige ordentlich schmecken lassen, sollte Scarf abkratzen...

Aber er schaffte es, irgendwann stand er an der breiten Holztür, welche reich verziert den Eingang in das Heim des Gouverneurs kündete und verbiss es sich keuchend die Hände auf die Oberschenkel zu stützen.

„Scarf?“ Ich räusperte mich ein wenig betreten. „Geht’s?“

Er holte die Luft, dann überkam ihn ein heftiger Hustanfall, welcherr ihn schüttelte und beinahe auf die Knie fallen ließ. Ich machte einen Satz auf ihn zu, fing ihn an den Schultern auf und hielt ihn fest. „Hey!“

Als er anfing blau anzulaufen, sah er mir in die Augen und diesen hilflosen, ängstlichen Blick werde ich niemals vergessen. Noch heute begegnet er mir in Träumen und das sind dann auch eher die Albträume.

Ohne weiter zu überlegen holte ich aus und schlug Scarf mit mehr als nur notwendiger Gewalt auf den Rücken. Er kippte vor, steckte den Kopf durch das Brüstungsgeländer und kotzte aus, was auch immer seinen Atemweg verstopft hatte. Ich blieb ein wenig auf Abstand, schließlich wollte ich nichts von dem Gerotze abbekommen. Scarf hörte auf zu zittern, er rang immer weniger pfeifend nach Atem und ich begann mich ein wenig zu entspannen.

„Danke.“ Seine Stimme klang nach raschelndem Laub, brüchig, aber immerhin verständlich.

„Kannst du aufstehen?“ Sentimentalitäten lagen mir fern, hatte ich trotz, oder vielleicht gerade auch deswegen, mehrerer Schwestern niemals wirklich erlernt. So ein Quatsch ist in unserem Gewerbe nur hinderlich, entweder überleben deine Mitmannen oder nicht.

Er stand ohne ein Wort zu verlieren auf, klopfte sich die Knie sauber und lächelte mich bemüht gelassen an. Scarf nickte möglichst vorsichtig und nahm Haltung an.

„Sicher...? Es wird keinen besonders guten Eindruck machen, wenn du vor dem Gouverneur zusammenbrichst.“

Bevor er mir antworten konnte, kam der livrierte Diener zurück und verneigte sich.

„Dör öhrenwörte Gouverneur wird Eusch nun empfangen.“

Unwillkürlich atmeten sowohl Scarf als auch ich einmal tief durch und traten neben den Speichellecker der Obrigkeit, der uns nun mit nasalem Tonfall und leichtem Kieksen ankündigte.

„Und ’ier wünscht seinö Gouverneurschaft su sehen Sir Rainär zu Fall. An seinör Saitö ischt Fürst Türgäht auf und su Mitälärm!“

Scarf lag wieder zitternd am Boden, dieses Mal vor unterdrücktem Lachen und ich glaubte innerlich zu sterben. Es kostete mich all meine Beherrschung dem absoluten Vollidioten neben mir nicht dermaßen in die Rippen zu treten und so kniff ich fest die Augen zusammen in der Hoffnung, dass es sich nur um einen ungnädigen Traum handeln möge. Weit gefehlt.

„Hast du... hast du das gehört?“ Scarf rannen vor Lachen Tränen das Gesicht herab während er sich aufrichtet und sich an meinem Ärmel festhielt. Seine Beine wackelten wie bei einem Säufer und er stütze die Hände in die schmerzenden Seiten.

Der Franzose starrte ihn vollkommen verwirrt an, ein solch ungebührliches Verhalten war ihm sicherlich noch nie untergekommen und ich machte mich schon einmal zur Flucht bereit. Jeden Moment rechnete ich mit alarmierten Wachen, doch stattdessen vernahm ich heiseres Lachen jenseits der Tür.

„Nun, da scheinen wir ja endlich mal interessanten Besuch zu haben. Francoise, lassen Sie die jungen Männer doch bitte in den Salon kommen!“

Ich vernahm weit ausgreifende Schritte und wurde den auffordernden Blicke des Dieners gewahr. Scarf lachte sich schon wieder stumm zum Teufel und schwankte neben mir her.

„Eines Tages werde ich dich töten, du Bastard!“, knurrte ich ihm ins Ohr während ich ihn augenscheinlich besorgt beim Gehen stützte. „Du bist einfach nur wahnsinnig!“

„Gnihihi... sein Name! Francois! Stereotypischer geht’s ja kaum...!“ Unbeeindruckt kicherte er weiter und ich sah mich gezwungen ihn durch sanften Druck auf seine noch von unserer kleinen Keilerei an Deck lädierten Rippen ein wenig zur Raison zu bringen. Nun keuchte Scarf vor Schmerzen auf und ich konnte mir ein kleines gemeines Grinsen nicht verkneifen.

„Wirklich lustig, da hast du recht.“

Unter Scarfs leisem Gejammer wurden wir dann zum Salon geführt und mir blieb erneut die Spucke fest.

Ich war festgetretenen Dreck als Boden gewöhnt, vielleicht noch ein paar Holzlatten. Aber in diesem Raum strahlten Wände und Fußboden weiß vor edlem Marmor, die hohe Decke war stuckverziert und die riesigen Fenster verspielt mit Gold verziert. Die Gier stieg mir schlagartig in den Rachen und meine Finger begannen zu jucken. Als wir an einem kleinen Schränkchen vorbeigingen, ließ ich ein vergoldetes Schälchen in den Aufschlägen meines Ärmels verschwinden. Dies bereitete mir wenigstens ein kleines bisschen Genugtuung. Immerhin musste ich dieses dämliche Theater hier ertragen. Scarf bedachte mein Tun mit einem amüsierten Blick und ich nahm mir vor ihm das Schälchen später an den hohlen Schädel zu werfen.

Der Gouverneur entpuppte sich als gut genährter, etwas ältere Mann, der es sich in einem samtbeschlagenen Sessel bequem gemacht hatte. Er deutete lächelnd auf eine ähnlich gefertigte Sitzmöglichkeit ihm gegenüber und unter vielem „Ah, zu freundlich“, „Herzlichesten Dank!“ und „Es ist mir eine große Freude, dass...“ schafften wir es nach einigen Minuten Platz zu nehmen. Ich schwieg und überließ Scarf das Reden.

„Ihr habt recht interessante Namen, meine Herren. Sehr schwer auszusprechen für meinen guten Francois.“ Die Stimme des Gouverneurs war tief, wohlklingend und er sprach in einem so breiten Englisch, dass es mir schwer fiel seinen Worten zu folgen. Ich runzelte konzentriert die Stirn und schaute zu meinem Wortführer hinüber, der bei der Erwähnung des Namens abermals in stummes Gelächter ausgebrochen war. Ich sah uns bereits auf dem Weg zum Galgen.

„Sagen Sie, Fürst....“, fragend wandte er sich an mich und ich zuckte etwas zusammen.

„Äh...“ Wie hatte Scarf mich noch vorgestellt, zum besoffenen Seemannstod?!

„Tirgit, Sir. Tirgit auf und zu Mittel Ärm.“ Der Grund meines zukünftigen Ablebens lächelte mir entspannt zu und mir blieb nichts weiter übrig als dem mit einem Nicken beizupflichten.

„Genau das.“

„Sind Sie zufällig verwandt mit den Mittel Ärms von Jamaica?“ Der Gouverneur schien Gefallen an dem Spiel zu finden und mir wurde immer heißer. Ich glaubte schon den Strick am Halse zu spüren.

„Nein. Erhm... Meine Verwandtschaft stammt von Little Colombia, Sir.“ Mir brach der Schweiß aus.

„Ach, dann kommen Sie aus der Familie des alten Samuel auf und zu Mittel Ärm.“ Scheinbar neugierig erfreut beugte sich der beleibte Mann zu mir vor und ich sah ein gefährliches Funkeln in seinen Augen.

Ich wurde beinahe ohnmächtig.

„Ja. Ja, genau,“ stammelte ich und versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren. Ich wagte es nicht zu Scarf hinüber zu schauen aus Angst, die Situation noch mehr zuzuspitzen. Warum konnte ich nicht ein Messer ziehen und es dem alten Mann mir gegenüber in sein wabbeliges Tripelkinn rammen? DAS wäre meine Art von ... Politik oder was auch immer. Nicht dieses dünne Eis, das gerade unter meinen Füßen zerschmolz wie Butter in der karibischen Sonne! „Er... ist der Großonkel meiner Mutter.“

„Freut mich zu hören. Wie geht es denn dem guten Sir Matthews?“

Die rauen Strickfasern zogen sich immer enger um meinen Hals und ich bekam kaum noch Luft.

„Gut. Er hat sich recht schnell von seinem Jagdunfall erholt,“ flüsterte ich und glaubte vor Hitze und Panik einfach nur zu sterben.

„Ausgezeichnet! Ich wusste doch, dass den alten Haudegen nichts umbringen kann!“

Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen und sah nun doch zu Scarf hinüber, der sich entspannt auf seinem Sessel zurücklehnte. Er nickte zufrieden und rieb sich die Hände.

„Es ist immer wieder schön alte Bekannte zu treffen, nicht wahr, Sir?“ Mein selbsternannter Captain hatte sichtlich Spaß an der Sache und ich starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Also endgültig.

War ihm nicht klar, dass wir uns aufgrund seines lächerlichen Wortspieles in größter Gefahr befanden, dass uns der Gouverneur ganz nach seiner Laune einfach an das Gesetz ausliefern konnte? Wir würden schneller am Galgen baumeln als dass ich mir diese Schuhe noch einmal binden könnte.

„Sehr richtig. Und woher stammt Ihr Name, Sir zu Fall?“

„Nun, meine Familienverhältnisse sind ein wenig kompliziert. Leider habe ich keine bekannten Vorfahren, mit denen ich protzen könnte, werter Gouverneur.“ Scarf besaß doch tatsächlich die Dreistigkeit dem Herrn dieser Insel verschwörerisch zu zu zwinkern. „Meine Eltern sind beide einflussreiche Händler und die Familie meines Vater hat einen Schlag aus Deutschland, daher darf ich diesen doch recht interessanten Namen mein Eigen nennen.“

Ich sah mein Leben vor meinem inneren Auge vorbeiziehen und verstarb auf der Stelle.

„Doch, doch. Ich meine von Ihren Eltern gehört zu haben, Sir zu Fall. Und ich bin mir sogar sehr sicher noch vor wenigen Monaten recht einträgliche Geschäfte mit ihnen gemacht zu haben. Ihre Mutter ist eine Koryphäe im Handeln, dass muss man ihr lassen!“

Scarf klopfte sich vor Lachen auf die Schenkel und ich glaubte wahnsinnig zu werden.

„Ja, das ist sie wie sie leibt und lebt.“ Er strahlte über seine ganze Visage, ein merkwürdiger Stolz lag darauf und in seinen Augen war abzulesen, dass diese Hochstaplerei ihm sichtlich Vergnügen bereitete.

„Nun denn! Francois, würdest du bitte gehen und meinen Gästen einen guten Tee zubereiten? Mit Zucker, Gentlemen?“

„Aber mit dem größten Vergnügen!“ Scarf gestikulierte seine Begeisterung frei heraus, ich nickte lediglich.

Der Diener gab seinen Posten an der Tür auf, verneigte sich kurz und säuselte im schönst-schaurigen Akzent los:

„Wohin darf moi den Teei denn bringöhn?“

Moment mal? Wir... sollten den Raum verlassen? Wahrscheinlich standen die Wachen eh schon mit gezückten Schwertern hinter der Tür! Ich witterte sofort eine Falle.

„Wir ziehen uns in mein Arbeitszimmer zurück.“

Scarf sprang direkt auf, ich erhob mich wesentlich schwerfälliger da mir die Angst die Glieder lahm machte. Reflexartig suchte ich nach einem Fluchtweg, aber abgesehen von einem Sprung durch die großen Fenster sah es schlecht aus. Und ich war und bin dummerweise keine Katze.

Eine Hand legte sich beruhigend auf meine Schulter und ich konnte mich gerade eben noch davon abhalten sie wegzuschlagen oder mich der Berührung zu entziehen.

„Ganz ruhig, Marco. Es ist alles in bester Ordnung.“

Auch der Gouverneur stand etwas schwerfällig auf und das freundliche Lächeln, welches er mir schenkte, war echt. Und das war der Punkt des Tages, an dem ich nicht mehr hätte verwirrt sein können. Ich wartete, bis der Gouverneur uns passiert hatte und vorging, dann packte ich Scarf an seinem Schal – es sei angemerkt, dass er sich einen Neuen umgelegt hatte – und zischte ihm möglichst leise und giftig zu.

„In bester Ordnung? Du erzählst einen Scheiß, der uns noch enttarnt bevor wir auch nur angefangen haben uns neue Existenzen zu erlügen und dieser Geldsack auf zwei Beinen macht sich noch lustig über alles!“

„Wäre mir nicht aufgefallen.“ Scarf grinste mir breit ins Gesicht. Bevor ich es zu realisieren vermochte, hing mein Knie schon in seinem Magen. Er ging röchelnd zu Boden und der alte dicke Mann drehte sich um.

„Alles in Ordnung?“

Hätte ich nur einen Säbel dabei gehabt, dann hätte das reiche fette Schwein schon längst in seinem eigenen Blut gelegen, Scarf daneben und ich wäre mit den handlichsten Schmuckstücken auf und davon gewesen. Aber ich durfte ja keine Waffe mitnehmen, nicht mal einen Dolch. Höchstwahrscheinlich hatte Scarf meine kurze Frustrationsspanne in diesem Affentheater genauestens bedacht.

„Mir... war nur etwas... schwindelig.“ Scarfs Hand krallte sich in den Schoß meines Oberteils und hielt mich so zurück, bevor ich noch handgreiflich werden konnte. Er zog sich hoch, ein bisschen blass um die Nase. „Entschuldigung. Wir sind direkt hinter Ihnen, Sir.“ Sein warnender Griff wurde fester.

Ich blieb still, kochte aber innerlich wie wahnsinnig. Erst als wir das sogenannte Arbeitszimmer betraten und ich mir tatsächlich sicher war, dass es sich auch um das handelte was es darstellen sollte, beschloss ich meine Wut ein wenig zu begraben und mich an das Verstehen der Situation zu wagen. Nicht, dass mich diese Psychospielchen der Reichen, Adeligen und sonstigen Geisteskranken interessierten. Nein, meiner Meinung nach waren Probleme mit Leichen einfacher zu lösen.

Aber ich riskierte in dieser Sache mein Leben, oder zumindest meinen Stolz. Ich wollte eine verdammte Begründung dafür, dass ich mich zu Rüschenhemden und Absätzen und deren öffentliche Zurschaustellung hatte überreden lassen. Und ich wollte eine verflucht GUTE Begründung.

„Also, was soll dieses Wahnsinnstheater nun? Willst du uns umbringen?“

„Nein.“ Scarf massierte sich noch immer die Rippen, aber er setzte sich relativ ungezwungen an einen geschwungenen Konferenztisch. „Das ganze Theater war nur für den Diener. Auch wenn gewisse Gouverneure gegen gewisse Beträge gewisse Gegenstände erlassen, heißt das noch lange nicht, dass ein Bediensteter aus einer verfeindeten Monarchie nicht vielleicht auch ein eingeschleuster Spitzel sein könnte.“

Ein Punkt für Scarf und den Gouverneur. Aber die Sache hatte definitiv einen Haken.

„Wenn der livrierte Sack ein Verräter sein könnte, warum hat ihn der Gouverneur denn dann überhaupt eingestellt?“

Scarf sah mich eindeutig entrüstet an.

„Machst du Witze? Wie könnte man sich einen Lakaien mit einem derartig witzigen Akzent entgehen lassen?“

Ich wurde schon gar nicht mehr wütend. Ein wenig erschrocken bemerkte ich, dass ich gegen Scarfs Irrsinn zu resignieren begann. Und das war ein verdammt schlechtes Zeichen. Aber so langsam wurde mir der Tag auch zu lang, diese ganzen Absurditäten zuviel. Ich würde einfach nur noch alles anschauen und aus Rache sämtliche gereichten Kekse wegfressen.

„Nun denn, jetzt sind wir weitaus ungestörter, mein lieber Sir zu Fall. Ich denke mal, es handelt sich bei Eurem Besuch um eine geschäftliche Angelegenheit?“

„Erst einmal möchte ich mich bedanken, dass Ihr mich und meinen ersten Maat empfangen habt, Gouverneur Spendwell. Und natürlich liegt Ihr richtig, ich...“

Hatte ich bis dahin noch alles Englisch einigermaßen verstehen können, so wurde es nun langsam schwierig für mich. Ihr Slang wurde immer breiter und breiter und irgendwann hatten sich so viele Fachausdrücke aus den Bereichen Finanzierung und Bestechung dazwischengeschummelt, dass ich nichts mehr verstand obwohl ich die Worte verstand.

Scheinbar war mein Geist nicht auf derartige Geschäfte konzipiert – sieh an, auch ich beherrsche Fremdwörter – und daher schaltete er auf Sparflamme. Den Schluss der ganzen Aktion, Scarf und der Gouverneur wurden immer ernster und waren sich scheinbar einig, mein beknackter Captain versuchte nicht einmal zu handeln, bildete der Tausch eines dicken Sacks voller Münzen gegen ein in Leder gebundenen Umschlag. Meine Langeweile verpuffte kurz bei dem Geräusch des klimpernden Goldes, aber mein Magen war gut gefüllt von den ganzen gereichten Keksen und so ignorierte ich die Fortgabe des Schatzes.

Scarf verstaute den Lederumschlag sorgfältig in einer Innentasche seiner Jacke und endlich stand er auf. Das war der Startschuss, ich wollte endlich wieder hier weg aus dem ganzen Prunk und Protz und mich umziehen. Diese engen scheußlichen Klamotten wurden immer unangenehmer zu tragen, daher war ich wirklich glücklich, als Scarf das Angebot eines reichlichen Abendmahls inklusive Weinprobe ablehnte. Ich hätte zwar nichts gegen ein hervorragendes Essen gehabt, aber ich fühlte mich so unmännlich wie noch nie in meinem Leben und das war kein Zustand, den ich länger ertragen wollte als nötig!! Nicht mehr lange und ich fürchtete, dass meine Gewaltausbrüche in Kratzen, Kneifen und Beißen ausarten würden. Unvorstellbar!

„Habt vielen Dank für Eure Gastfreundschaft, werter Gouverneur.“ Mit diesen Worten verneigte sich Scarf und ich befürchtete, dass das inhaltslose Wortgeplänkel von Neuem starten würde.

„Nein, nein, es war mir eine Ehre, dass Ihr mich aufgesucht habt, die Herren.“ Scheinbar würde das Ganze in eine Art Wettbewerb der leeren Phrasen ausarten und ich rieb mir gestresst die Schläfen.

„Nun denn, werter Fürst auf und zu Mittel Ärm. Ich hoffe doch sehr, dass Sie mir Sir Matthews grüßen, den alten Haudegen. Ich vermisse die guten alten Seeschlachten an seiner Seite.“ Der alte Mann zwinkerte mir verschwörerisch zu, ich konnte mir nur ein hölzernes Grinsen abringen.

„Werde ich machen, Sir.“

Und dann endlich waren wir draußen.
 

Mast- und Schotenbruch! Was für Untiefen galt es wieder zu überwinden, aber arrr. Nichts kann uns aufhalten!

Mein lieber Capitain, wann steuern wir endlich mal wieder den Hafen Freizeit an?

Nichts in Aussicht, so eine Skorbutsauerei.

Aber Seemann wäre kein Seemann, wenn es nicht auch ein laues Lüftlein gebe, nicht wahr?

Leute, ich gehör ins Bett! XD Bis demnächst!

Jeder Anfang ist schwer. Oder einfach nur übergewichtig!

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Mein Herz schwebt in enormen Höhen. Ein großer Schritt ist getan, ich habe einen Kaperbrief ergattert und bin somit vor dem Zugriff der Royal Navy geschützt. Für Franzosen und vor allem Spanier sind wir noch immer eine willkommene Beute, aber das macht ja schließlich den Reiz aus. Und abgesehen davon ist es viel amüsanter ein solch temperamentvolles Völkchen auszurauben als die stocksteifen Engländer, die lieber noch ne Tasse Tee trinken statt die Bordkanonen zu feuern.

Der letzte Abend ist nach einigem Gefeiere recht ausgelassen zu Ende gegangen, Marco hat heute einen sensationellen Kater und daher eine unbeschreiblich miese Laune. Ich schätze mal, er wollte durch den Suff die Erinnerungen an seine hohen Absätze verdrängen. Er wackelte mit den Schuhen wie eine Ente mit dem Hintern und ich musste wirklich an mich halten nicht zu lachen. Das wäre sonst wohl recht schmerzhaft geworden.

Merkwürdigerweise bin ich heute mit zahlreichen blauen Flecken aufgewacht. Sie schmerzen gerade so als wären es die Bezeugungen exzessiven Kneifens. Aber ich bin mir nicht wirklich sicher, ob Marco in der Nacht noch klaren Kopfes genug war eine derart subtile Rache zu nehmen. Nichts desto trotz bin ich heute mehr gefleckt denn je. Vielleicht will mein erster Maat mir eine neue Art von Körperbemalung verpassen?

„Maaaaarco. Maaaaarco! Wach aaaauf.“ Gut gelaunt rüttle ich an dem Berg Decke mit Füllung, aber er gibt nur ein qualvolles Grunzen ab. „Heute ist ein wichtiger Tag, komm schon!“

„Für dich Aas ist jeder Tag wichtig...“, stöhnt es gequält aus den Tiefen des Stoffes. „Immerhin könnte jeder Tag dein Letzter sein, so dumm wie du bist!“

Ich lache begeistert, immerhin ist dies ein zusammenhängender Satz und das bedeutet wiederum, dass Marcos Kater nun doch ein erträgliches Maß zu haben scheint.

„Freundlich, mein werter erster Maat, wie eh und je. Willst du denn nicht wissen warum der Tag so wichtig ist?“

„Nein!“

„Bist du dir sicher?“

„Jaa!“

„Wirklich ganz sicher?“ So schnell lasse ich nicht locker.

Aus dem Deckenhaufen schält sich Marcos zerknittertes Gesicht hervor und mit einem angewiderten Schmatzen blinzelt er mich aus verquollenen Augen an.

„Ich bin mir absolut sicher. Als ich das letzte Mal etwas wissen wollte, hast du mich in Rüschen gesteckt und jetzt hab ich das Gefühl im Mund als hätte ich an einem Hühnchen rumgelutscht.“

„Malerisch. Will ich mir nicht vorstellen.“ Ich runzle die Stirn und warte einen Augenblick.

Mein erster Maat zieht sich eine Feder aus dem Mund, starrt erst sie und dann mich entsetzt an. Ich zucke lediglich die Schultern.

„Du warst gestern ein recht resoluter Schläfer, unter anderem hast du einen Ringkampf mit deinem Kissen veranstaltet. Ich glaube, es hat aufgegeben als du es besonders feste gebissen hast.“

„Du lügst doch“, stöhnt Marco gepeinigt auf, doch scheinbar sagen ihm seine langsam wiederkehrenden Erinnerungsfetzen etwas anderes.

„Mitnichten, ich hatte leider auf das Kissen gesetzt und dre Silbermünzen an den Geizigen Smithsmitty verloren!“

„Ich hoffe, dein Ende ist grausam.“

„Zweifelsohne! Sieh dir die ganzen blauen Flecken an. Übergriffe auf den Ringrichter.“ Meine gute Laune steigert sich noch etwas und ich weiche mittlerweile mehr als geübt dem nach mir geworfenen angesabberten Kissen aus. „So, und nun werde ich dir verkünden warum der heutige Tag so wichtig ist.“

„Lass mich raten... Du bist auf eine Goldader gestoßen?“

„Nö, das wäre bestenfalls erheiternd, aber nicht so wichtig!“

„Nicht wichtig? Deine Werte sind aber ganz schön verschoben, du reicher Scheißer!“

„Ja ja, aber das ist egal. Wir treiben jetzt hier bitte keine Grundsatzdiskussion, da letztendlich die gesetzten Werte von Piraten und Mördern nun mal nicht gerade die mit dem größtmöglich ethischen Gehalt sind, richtig?“

„Halt dein Maul, du elender Besserwisser!“

Irgendwie komme ich nicht zum Punkt. Marco scheint mir nun doch recht kleinlich nachtragend zu sein und so beschließe ich, ihm ein wenig Zeit für sein äußerst männliches Schmollen zu lassen. Schnell rutsche ich in Hose und Schuhe, meinen wundervollen Schal lege ich selbst zum Schlafen nicht ab, stecke mir ein Hemd für den Notfall in die Bauchbinde und verlasse die Kabine.
 


 

Wir haben wieder gut Fahrt aufgenommen, der Hafen liegt bereits weit hinter uns und das Land ist nur noch als eine dunkle Linie am Horizont zu erkennen. Meine Erkältung ist nun auch endlich soweit abgeklungen, dass Bronson mich frei herumlaufen lässt und solange er mich nicht sieht, muss ich nicht mal ein Hemd anziehen. Freiheit für den Scarf, nichts geht über meinen in Fahrwind fliegenden Schal auf nackter Haut!

Genug der merkwürdigen Ausführungen, ich halte mal ein Pläuschchen hier und mal dort, verliere zwei Runden im Kartenspiel gegen den Verrückten Sven und genieße einfach das geruhsame Treiben an Deck. Wir haben guten Rückenwind, müssen kaum manövrieren und liegen daher problemfrei im Kurs. Es ist eine Bilderbuchfahrt will man meinen.

Ich langweile mich fürchterlich und wünsche mir aus vollstem Herzen, dass etwas geschehen möge!

Ich überlege eine Weile, ob ich nicht einfach nur aus Jux und Dollerei ein Wendemanöver befehlen soll, aber dann drohe ich mir den Zorn der Mannschaft zuzuziehen.

Im Allgemeinen wird ein Captain von der Mannschaft gewählt, ist auf deren Gedeih und Verderben angewiesen, aber ich für meinen Teil finde das zu unsicher. Besonders, da ich meine Mannen doch ab und an mal gerne reize. Ich bezahle sie lieber neben ihren üblichen Anteilen an der Beute, so gibt es für meine Mannschaft mehr als gewöhnlich zu holen, und so kann ich mir schlussfolgernd auch mehr erlauben. Aber irgendwann ist Ende der Fahnenstange, irgendwann würden selbst meine treuen Männer mich lynchen. Und das wahrscheinlich mit Freuden. Also sollte ich mein Glück besser nicht überstrapazieren.

Die Langweile macht mich rastlos, der lange Genesungsprozess allein hat mich schon beinahe an den Rand des Wahnsinns getrieben. Ich schreite das Deck entlang, immer auf und ab, aber nicht zu schnell um meine angekratzten Lungen nicht zu reizen. Ein vereinzelter Huster und Bronson steckt mich sofort wieder ins Bett.

Vielleicht sollte ich noch einmal zu Marco gehen um ihn in meine weiteren Pläne einzuweihen, aber ich habe das Gefühl, dass er gerade nicht sehr aufnahmefähig ist. Verfluchter Alkohol!

Ich bleibe an der Reling stehen, hier ist man dank eines Aufbauten aus Kisten, Tauknäueln und Fässer vor Wind und skeptischen Blicken geschützt. Das Meer und der Himmel scheinen sich in einer endlosen Weite zu vereinen, ich schmelze bei dem Gedanken an die grenzenlose Freiheit ein wenig vor mich hin.

„Hatschi!“

„Gesundheit.“

„Danke sehr.“

„Keine Ursache.“

Ein verklärtes Lächeln liegt auf meinem Gesicht und summend richte ich den Blick weiter auf den Horizont als mir bewusst wird, dass ich mich gerade mit einem Haufen Deckenaufbauten unterhalten habe. Ich stutze. Niesende Kisten bedeuten stets das Eine.

Ein wenig alarmiert pirsche ich mich an die Wand aus Kram heran, linse möglichst unauffällig über ein Fass hinüber und sehe in die verrotze Visage eines Jungens, der noch nicht wirklich den Kinderschuhen entwachsen ist.

„Was zum gut verdienenden Henker tust du hier???“

Er starrt mich bemüht gleichgültig an, aber das Zittern seiner Hände verrät seine Nervosität.

„Ganz offensichtlich bin ich ein blinder Passagier, mein Freund! Eine lange Geschichte verbindet mich mit dieser Tat und glaube mir, sie ist wirklich tragisch. Von daher flehe ich dich um dein Erbarmen als aufrichtiger Mann an und bitte dich mich nicht an den Captain dieses formidablen Schiffes zu verraten, denn es ist wohl ersichtlich, welch grausames Schicksal mich dann erwarten würde. Aber meine Vergangenheit ist von solcher Schrecknis angefüllt, dass dieses Wagnis es mir alle Male wert ist!“

Erschlagen von diesem unerwarteten Wortschwall glotze ich ihn an wie eine bärtige Dame. Er spricht nicht komplett akzentfrei, aber es ist eine wundervolle Schulbuchaussprache.

„Hä?“

Quatscht mich dieser dreiste Kurze da unglaublich zu?

„Ich... Verpetz mich bitte einfach nicht, ja?“ Er rollte die großen blauen Augen, hält mich scheinbar für etwas minderbemittelt. Aber im Moment bin ich auch etwas platt, dass muss ich ganz ehrlich zugeben. Doch ganz langsam finde ich zu meiner Hochform zurück.

„Und...äääh... warum nicht?“ Gut, könnte noch etwas dauern mit der Hochform.

„Weil der Captain mich dann wegen unerlaubter Mitfahrt auspeitschen lassen würde. Oder Schlimmeres!“ Er verdreht wieder die Augen. „Weißt du denn gar nichts?“

„Doch, schon. Aber das ist sehr inspirierend. Erzähle mir mehr!“

Ich klettere auf das Fass und sehe ihn gespannt an, er hingegen wird noch nervöser.

„Sag mal, spinnst du? Das ist verdammt auffällig, du Einfaltspinsel! Die Kante von Captain patrouilliert hier immer wieder entlang!“ Er schaut sich hektisch um, linst ängstlich über den Rand der nächsten Kiste.

„Bronson ist nicht der Captain.“ Ich schmatze leise und schnalze lässig mit der Zunge.

„Ach nein?“ Der Knabe ist sichtlich überrascht und streicht sein fettiges braunes Haar zurück. „Wer dann?“

„Der Captain der Omnia Amor Vincit sitzt direkt vor dir!“ Ich brüste mich ein wenig, doch das durch seine Rotznase geschnodderte Lachen des Kurzen nimmt mir schnell den Wind aus den Segeln.

„Ja sicher! Und ich bin die Königin von England!“

Nun gut, ich werde doch ein wenig betrübt.

„Gar nicht wahr. So hässlich ist die nicht!“

„Willst du Prügel?“ Der Knirps springt auf, er geht mir nicht einmal bis zur Schulter.

Ich schnipse ihm nur lässig gegen die Stirn und grinse breit.

„Ups, das war wohl weniger unauffällig, meinst du nicht auch?“

Bronson kommt mit schnellen Schritten herbei und der Junge erbleicht fürchterlich.

„Oh Scheiße!“
 


 

Bewaffnet mit einer dampfenden Schüssel voll bestem Eintopf, was auch immer das heißen mag, betrete ich meine Kabine. Ich wage einen neuen Vorstoß in Marcos Aufmerksamkeit und das Essen sollte zumindest die instinktgesteuerten Lebensgeister wieder zu wecken vermögen.

„Schatz, dass Essen ist fertiiiiiig!“

Meinem freundlichen Hausfrauenflöten folgt nur ein gereiztes Knurren und vor mich hinträllernd stelle ich die Schüssel auf den Tisch. Schnell stelle ich fest, dass Singen noch keine so gute Idee ist, mein Hals beginnt erneut fürchterlich zu kratzen und ich muss husten.

„Kannst du nicht endlich mal still sein, du beschissener Störenfried?!“

Während ich mich röchelnd und ächzend am Boden winde und um Luft ringe, steht Marco genervt auf, tritt mit einem großen Schritt über mich drüber und setzt sich mich ignorierend an den Tisch. Eine von den Tränen, die gerade recht zahlreich mein Gesicht herablaufen, ist aus Trauer um sein Desinteresse an meiner Person geboren.

„Vergiss es, das zieht nicht. Du willst nur Aufmerksamkeit, du Aas!“

Ganz schön grausam.

„Hast du kein Brot mitgebracht? Das ist doch keine Mahlzeit. Also echt, was kannst du eigentlich?“

Wirklich verdammt grausam. Von einem letzten gepeinigten Aufächzen untermalt beginnt die Ohnmacht ihre Finger nach mir auszustrecken, doch kräftige Hände setzen mich auf und schlagen mir nachdrücklich auf den Rücken bis ich wieder einigermaßen atmen kann. Mein Hals brennt wie Feuer und mir ist der Spaß daran vergangen Marco ärgern zu wollen.

Ein Schatten schiebt sich über mein Gesicht und ich blinzle vorsichtig für den Fall, dass dem Schatten eine Faust folgt. Stattdessen schwebt über meinem Gesicht ein Becher, von dem einzelne Wassertropfen herabrinnen. Ich setze mich auf und trinke gierig das recht kühle Nass, welches angenehm meinen Rachen hinuntergleitet. Es dauert eine Weile bis das Feuer in meinem Hals sich wieder legt, in der Zeit lausche ich still den Lauten meines speisenden ersten Maates. Es ist ein nahezu friedlicher Augenblick, ein wenig abstrakt, aber durchaus angenehm.

Der beinahe heilige Moment wird durch ein unüberhörbares Getöse an Deck beendet. Marco räuspert sich genervt und sieht mich dann mit mildem Erstaunen an.

„Wie kann das sein? Dort oben ist die Hölle los und du bist hier?“

Ich ziehe einen Flunsch und verschränke die Arme. Meine Stimme klingt so beleidigt wie ein Reibeisen beleidigt klingen kann.

„Ich bin nicht grundsätzlich die Ursache allen Chaos’!“

Sein Blick spricht Bände.

„Dieses eine Mal hat es einen anderen Grund!“

„Ach.... Und der wäre?“

„Ein... nicht eingeplanter Neuzugang.“

„Wir haben einen blinden Passagier an Bord? Und du als Captain bist hier? Hast du die Strafe etwa schon verhängt?“

„Nö.“ Ich lasse mich auf die federnde Matratze fallen und grinse milde. „Ich hab was Besseres vor.“

Marco runzelt alarmiert die Stirn, ich kann förmlich sehen wie ihm das Misstrauen in die Augen steigt.

„Was Besseres? Mit einem blinden Passagier? Der rein theoretisch ein Spitzel sein könnte?“

„Genau das.“ Ich zucke gut gelaunt die Schultern.

„Das kann nur Tote geben.“

„Und?“ Beinahe gelangweilt muss ich ein Gähnen unterdrücken. „Solange es niemanden trifft, den ich noch brauche, also nicht angestellte Seeleute eingeschlossen, ist das doch nun wirklich kein Grund um sich den Kopf zu zerbrechen.“ Ich drehe demonstrativ die Däumchen. „Weißt du, er ist noch sehr jung und ich denke, da ist ne Menge Geld zu holen...!“

Mein erster Maat spitzt offensichtlich die Ohren, aber sein Argwohn bleibt.

„Warum habe ich nur das Gefühl, dass dieser Kerl dich zu neuen Wahnsinnstaten inspiriert hat?“

„Weil es der Wahrheit entspricht!“ Ich bin begeistert, der heutige Tag wird immer besser.

Marco stöhnt indes gequält auf.

„Warum nur? Nach gestern dachte ich, es könnte nicht mehr viel schlimmer kommen. Aber jetzt muss ich erkennen, dass da selbst Besaufen nichts mehr bringt...“ Unter gepeinigtem Seufzen lässt er sich neben mich aufs Bett fallen und wickelt sich in seine Decke ein. Ich lasse ihn gewähren, für den Moment habe ich ein anderes Spielzeug.

Voller Tatendrang stehe ich auf, breite eine meiner Karten auf dem Tisch aus und studiere sie genau. Nach kurzer Zeit finde ich was ich suche und rolle das empfindliche Papier behutsam zusammen. Mit großen Schritten stürme ich an Deck, das unwillige Knurren meines ersten Maats hinter mir lassend.

„Bronson?!“ Ich stürme auf den bärigen Quartiermeister zu, der den blinden Passagier am Kragen gepackt hat und warnend beutelt.

„Captain! Du hast ja schon wieder keine Jacke an.“ Sein vorwurfsvoller Blick wandert über das lose Hemd an meinem Leib, welches der Wind nach Belieben herumzerrt.

„Was?! Dieser Kerl ist tatsächlich der Captain? Ich hab gedacht, das wäre ein schlechter Scherz... Ahhhh! Nicht schütteln!“ Der Junge wird etwas grün um die Nase und er würde mir fast leid tun, wenn er nicht so entsetzlich nervig wäre.

Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich da gerade meine eigene Medizin zu schmecken bekomme. Das ist ziemlich unangenehm und ich beschließe diese Angelegenheit völlig souverän zu klären.

„Ahahahaaaa.. Sehr amüsant. Bronson, sei so gut und schüttle noch mal richtig feste.“

Der Junge kotzt mir vor die Stiefel und ich muss mich mit einem wenig eleganten Sprung aus der Spritzzone schaffen. Sehr souverän.

Der Wacker Erik hat weitaus weniger Glück, er ist mal wieder eingeschlafen und nun besprenkelt. Ich seufze leise und unterdrücke ein angewidertes ‚Urgh’, schließlich sieht man sich als tapferer Pirat bei üblem Seegang mehr ausgesetzt als nur das bisschen Kotze.

Meine Gedanken sind ein wenig abgeschweift, ich reiße mich zusammen.

„Aber nur zu deiner Beruhigung, lieber Bronson, es geht mir schon viel besser. Wirklich! Und ich habe einen neuen Kurs.“

Mir entgeht das verhaltene Aufstöhnen der Mannschaft keineswegs, aber es klingt eher nach Katerstimmung als nach Rebellion.

„Da gibt es wundervollen Rum, hab ich gehört!“

Das Murren wird ein wenig begeisterter und ich nicke zufrieden. Ich schreite zum Steuerrad hinüber, Bronson überholt mich mit klackernden Holzbein und schubst Adlerauge Smith zur Seite um sich selbst an dem Holzrad aufbauen zu können. Eine gewitzte Finte, dem Quartiermeister kann ich nicht einfach das Ruder absprechen und das weiß er. Wahrscheinlich hätte sich Adlerauge Smith auch sonst nicht vertreiben lassen, aber jeder an Bord weiß um mein Unvermögen zu steuern. Dabei habe ich mittlerweile gelernt Backbord und Steuerbord auseinander zu halten, aber Lob habe ich scheinbar keines zu erwarten. Das ist nicht unbedingt motivierend.

Mir bleibt also nichts anderes übrig mich an den Deckenaufbau vor Bronson zu stützen, natürlich nicht zu feste, das Holz kann schließlich jederzeit nachgeben, und entschlossen auf den Horizont zu zeigen.

„Auf geht’s, Männer! Auf zu einem neuen Abenteuer.“

„Wir sind so tot... Warum musste ich mir unbedingt das Schiff aussuchen, dass von einem Irren befehligt wird?“ Der Junge kämpft verzweifelt gegen seine Fesseln und ich schaue ihm eine Weile vergnügt zu. Er murmelt auf Französisch, aber ich habe ja das seltene Glück in vielen Sprachen recht bewandert zu sein. Die meisten Seemänner beherrschen einige Sprachen, aber ich hab den Vorteil, dass sich mein Wortschatz nicht nur auf Schimpfworte beschränkt sondern sich auch über das geschäftliche und alltägliche Vokabular erstreckt.

„Weil der große Gott wollte, dass du was fürs Leben lernst.“ Ich grinse ihn von oben herab an, präge mir seine entgleisten Gesichtszüge ein und zucke die Schultern. „Und weil er wusste, dass ich durch dich schneller an mein Ziel komme.“

Ich laufe langsam die Stufen zum Mitteldeck hinunter und weide mich nach wie vor an seinem entsetzten Mienenspiel. Ich wüsste zu gerne, was er sich sein zukünftiges Schicksal vorstellt. Einen Meter vor ihm bleibe ich stehen, begutachte skeptisch seine Fesseln und trete dann erst näher. Ich habe von Marco viel gelernt, zumindest was die Sicherheitszone vor Schlägen betrifft.

Mit spitzen Fingern hebe ich sein Kinn an, mustere sein Gesicht und fahre an seiner Wange entlang.

„Du hast kaum Bartwuchs, ich würde dich auf höchstens vierzehn Jahre schätzen. Deine Haut ist noch recht weich, du bist also noch nicht allzu lange auf See. Auch von der Statur her bist du beinahe mehr Kind als Mann und ich wette meinen Schal darauf, dass du bisher nicht schwer körperlich gearbeitet hast.“

Ich wiege den Kopf hin und her.

„Kannst du schreiben?“

„Nun.... nicht wirklich.“ Er schüttelt beeindruckt den Kopf.

„Dann aber zeichnen?“

„Ja, schon. Woher....?“

„Du hast Tintenreste an den Fingern. Perfekt!“ Ich sehe zu Bronson hoch. „Bereit für den neuen Kurs?“

„Aye aye, Captain! Ich nehme an, unser neues Ziel ist der markierte Punkt auf der Karte?“

Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt davon wie gelassen mein Quartiermeister bleibt.

„Ganz genau! Die Hafenstadt, um die ich das Herzchen gemalt habe!“

Der Junge vor mir stöhnt leise auf und sichert sich somit wieder meine Aufmerksamkeit. Ich beuge mich zu ihm, ziehe aus meinem Gürtel ein mehr oder weniger stumpfes Messer und setze es an den Seilen um seine Handgelenke an.

„Nun denn, kommen wir zu unserem ersten kleinen Abenteuer....“
 


 

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das... ist weiß!“

„Hmm, das Segel?“

„Nein! Und das ist eher schmandig cremefarben.“

„Okay... dann die Wolke da!“

„Verdammt.“ Ich seufze und hänge meine beiden Arme über die Reling während ich gelangweilt das Kinn auf das splitternde Holz presse. „Du bist dran.“ Der Kurze ist echt gut.

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist braun!“ Ein irres Gekicher ertönt hinter uns und wir seufzen synchron auf.

„Der Mast, Verrückter Sven. Es ist der Mast!“

„Woher wisst ihr das nur immer?“

„Du rufst es nun schon zum achten Mal dazwischen... Kleiner, du bist dran.“

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist blau.“

„Der Himmel.“

„Nein.“

„Das Meer.“

„Richtig. Du bist dran.“

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist braun!“

„SVEN!!“

„Was zum Henker treibt ihr da?!“ Die lieblich angefressene Stimme meines ersten Maates reißt mich aus meinem Frust.

„Uns ist langweilig bei der Flaute, daher spielen wir ’Ich sehe was, was du nicht siehst’. Willst du mitmachen?“

„Lass mich nachdenken... NEIN!“ Angesäuert tritt mir Marco gegen die Hüfte. Er verschränkt die Arme und betrachtet den Neuzugang kritisch. „Und das ist also der Schmarotzer, ja? Sieht nicht gerade aus, als könnte er viel hinbekommen!“

Ich verkneife mir zu sagen dass Marco gerade mal eine Handbreit größer ist als der Junge und dieser ihm mit größter Wahrscheinlichkeit noch innerhalb des nächsten halben Jahres über den Kopf wachsen wird. Aber es liegt mir so auf der Zunge, dass ich mir tatsächlich den Mund zuhalten muss.

„Was soll dieses dämliche Gehampel jetzt schon wieder?!“ Marcos Laune steigert sich immer mehr einem Wutanfall entgegen und er zieht schon wieder mit einer Hand an meinem Schal.

„Bist du seine Mutter oder sein Liebhaber?“ Der Junge stellt die Frage ohne Hintergedanken, zumindest klingt sein Tonfall weder spöttisch noch abwertend, eher neugierig. Als Antwort trifft ihn eine Faust im Gesicht und er landet heulend auf dem Deck.

Ich beuge mich ein wenig über ihn und halte Marco mit dem ausgestreckten Arm mehr oder weniger auf Abstand.

„Blinder Passagier, darf ich dir meinen cholerischen ersten Maat Marco vorstellen?“

„Ich bin nicht cholerisch!!!“

Bevor ich mich versehe, habe ich mir einen schmerzhaften Tritt gegen das Schienbein eingehandelt.

„Mein Fehler,“ ächze ich noch bevor ich neben dem Neuen zu Boden gehe. Ich schaue aus tränenden Augen in sein blutüberströmtes Gesicht, zumindest in die Teile, die er nicht jammernd mit den Händen bedeckt. „Mein Name ist Scarf und wie heißt du?“

An meinem Schienbein bildet sich ein wild pochendes Ei und ich verfluche den Halunken, der Marco ein derart verstärktes Schuhwerk verkauft hat.

„Robert...“

„Freut mich sehr, Robert. Ab heute gehörst du in meine Mannschaft.“

„WAS?!“ Seine angehauene Nase scheint vergessen, der Knabe starrt mich aus großen Augen entsetzt an. Und er hat in meinem ersten Maat unerwartete Unterstützung.

„Ja, genau. WAS?!“

„Nuschle ich? Robert gehört nun zu uns.“

„Und wenn ich gar nicht will?!“ Er schnaubt möglichst trotzig und wimmert dann wehleidig auf. Eine Lektion, die ich schon gelernt habe.

„Dann verkauf ich dich auf dem Sklavenmarkt oder lasse dich solange Kielholen, bis deine Haut in Fetzen hängt.“ Ich zucke gelassen die Schultern. „Wie man das nun mal so mit blinden Passagieren macht, nicht wahr?“

„Na wenn das so ist. Freut mich bei euch mitmachen zu dürfen.“ Robert streckt mir gequält grinsend die Hand entgegen und ich schüttle sie nachdrücklich.

„Herzlich willkommen an Bord der Omnia Amor Vincit!“

Marco stöhnt auf und verpasst uns noch jeweils einen Tritt bevor er laut fluchend abhaut.

„Wie süß, er ist eifersüchtig!“ Ich grinse, erhebe mich etwas umständlich und strecke Robert die Hand helfend hin, welche ich ja gerade eben erst losgelassen habe. Hachja, immer diese Dramatik in den kleinsten Gesten. „Und nun zu deiner wichtigsten Aufgabe hier an Bord.“

Ich sehe endlich das Ziel meiner Reise etwas näher rücken. So jemand wie Robert hat mir noch gefehlt, er ist das letzte kleine Steinchen in meinem Puzzle und nun kann ich anfangen es zusammenzusetzen. Ich weiß schon genau wie das Bild aussehen wird, aber es noch liegt vieles im Argen. Aber ab jetzt geht es mit Meilenstiefeln dem Ziel entgegen.
 

Avast, meee beloved Hearties!

Jetzt sind sie eine große Familie. Mama Scarf, Papa Marco und der kleine Robert. Das ist doch mal putzig, nicht wahr? Vorweihnachtliche Glücksstimmung...

AHHHH!!! Weihnachtspause ist nun angesagt, ich muss nun vorwiegend meine Geschenke fertig bekommen, daher wird NUV erst mal ein wenig zurückgestellt. Aber soweit mich die Muse geküsst und beflügelt hat, stechen wir in neue Seen! MUHAHAHHA! <3

Ein Künstler braucht nicht unbedingt eine Leinwand, manchmal reicht ein Taschentuch

Hatte ich bisher gedacht Scarf sei völlig wahnsinnig, so wurde ich durch Roberts Anwesenheit an Bord eines Besseren belehrt. Eine Erfahrung im Übrigen, auf die ich wirklich gerne verzichtet hätte.

Scarf blühte auf, hingebungsvoll. Mir war ja schon vorher der Gedanke gekommen, dass unserer an der Grenze des Schwachsinns entlang tänzelnde Captain eventuell jüngere Geschwister haben könnte, doch nun war dies offensichtlich. Er scharwenzelte um den Knaben herum wie eine Glucke und absolvierte mit ihm ein Beschäftigungsprogramm vom Feinsten. Er versuchte dem kleinen Kostschleicher ein wenig das Navigieren beizubringen, redete aber größtenteils nur unnützes Zeug. Anschließend benannte er ihn einfach um, da ihn Robert zu sehr an verschiedene Tiere erinnerte (immerhin ging es um die französische Aussprache „Robbäääähr“ – kein Wunder also, dass das dämlich klang) und verkündete, dass unser Neuzugang von nun an mit „Holluschick“ anzusprechen sei.

Einerseits war ich unendlich froh den Vollidioten endlich nicht mehr ständig in meiner Nähe haben zu müssen und mich vollquatschen zu lassen. Andererseits rannten nun zwei Vollidioten übers Deck und quatschten sich gegenseitig so lautstark voll, dass mir meine beinahe schon gewohnte Pein verdoppelt erschien. Ganz abgesehen von dem gesteigerten Risiko von Kopfschmerzen, egal ob durch erhöhten Alkoholkonsum verursacht, oder aber die größere Lautsstärke sowie die Tatsache, dass ich meinen Kopf öfter gegen massive Gegenstände knallen ließ.

Ich hatte Zeit für mich, irgendwie zum ersten Mal in meinem Leben. Bevor ich an Bord dieses verdammten Schiffes ging, hatte ich in der Flotte meines Familienclans immer alle Hände voll zu tun gehabt. Von klein auf. Hier verteilte Bronson seine Befehle und er sparte mich nach besten Kräften aus. Ich war mir nicht sicher, ob er nicht damit Scarfs Aufmerksamkeit auf mich zurücklenken wollte oder ob er meine Wutausbrüche als zu störend empfand. Und so begann ich mich in meiner Freizeit zu langweilen und so oft wie möglich den gesprächigen John aufzusuchen. Das war nicht gerade das, was ich unter Freizeitbewältigung verstand, denn es artete immer mehr zu Eigentherapiestunden aus. John schwieg, ich schüttete ihm mein Herz aus, er sagte „Arrr!“ und ich ging nahtlos zu meinem nächsten Problem über. Bald fühlte ich mich derart erleichtert und positiv, befreit von allen meinen Sorgen und Urängsten, dass ich mit einem breiten Grinsen am Bug stand und in den Fahrtwind jubelte. Ich war ausgeglichen, mit mir und meinem Umfeld im Reinen und stürmte zu Scarfs Kajüte, um ihn die freudige Nachricht zu unterbreiten. Mit einem leisen Trällern auf den Lippen riss ich die Tür auf und erstarrte.

Scarf lag nackt auf dem Bett, den Hintern leicht angehoben (und den Göttern sei dank war seinen Arsch mir abgewandt). Der kleine Blindgänger saß neben dem Bett und zeichnete. Scarfs Hintern. Mit Kohle auf Papier.

PENG!! Meine Aggressionen und meine unkontrollierte Wut waren mit einem Schlag wieder da. Ich schmiss die Tür schnell wieder zu, zu sehr verschrocken von den Dingen, die ich gesehen hatte. Das Bild würden mir auch noch so viele Sitzungen beim Gesprächigen John nicht mehr aus dem Geist treiben können! Es war eingeätzt.

Mein erster Impuls war mit gezückten Säbel und Pistole zurückzukehren und mir ein für alle Mal das Problem Scarf vom Halse zu schaffen. Doch irgendetwas war merkwürdig gewesen an der Situation und ließ mich nicht sofort Amok laufen. Also merkwürdig abseits des Offensichtlichen. Bei den Gottheiten, was zum bestochenen Henker hatte ich da gesehen?! Die Szenerie hatte keinen Sinn gemacht, oder aber ich wollte einfach keinen Sinn darin sehen. Am allerliebsten hätte ich einfach gar nichts davon gesehen, denn dann wäre mir nicht so verdammt schlecht gewesen. Scarf hatte mehr Probleme als ich je geahnt hätte.

Und so ging ich wieder an Deck um mich zu besaufen und die gnädige Gottheit Delirium um Vergessen zu bitten.
 

Als die Sonne unterging ankerten wir an einer gottverlassenen winzigen, ich kann mich beim besten Willen nicht mehr an den Namen des Eilandes erinnern. Sofern es überhaupt einen Namen hatte. Jedenfalls war es unbewohnt, hatte eine Süßwasserquelle, Wild und Kokosnusspalmen. Ein kleines Paradies wenn man so will. Inseln wie diese hatte ich schon zahllose gesehen, daher war ich nicht wirklich bezaubert, ganz im Gegensatz zu dem kleinen Mistbraten von blindem Passagier.

Holluschick nämlich stand fasziniert an Deck als wir Nameless-Island anliefen und staunte mit offener Futterluke. Ich warf ihn meinen Becher an den Schädel. Leider war er aus Holz und hinterließ nicht mehr als eine kleine Beule. Aber immerhin hatte ich ihn trotz erhöhtem Alkoholspiegels noch getroffen, was mich in eine winzige Hochstimmung versetzte.

„Erster Maat, hilf dem Elefanten-Miguel und Ein-Ohr-Kurt die leeren Wasserfässer zur Quelle zu bringen und sie neu zu befüllen.“ Bronsons Ansage ließ meine gute Laune wieder auf den Boden der Tatsachen zurückkehren, murrend schnappte ich mir eines der Fässer und beförderte es in Schlangenlinien zu seinem Ziel. Scheinbar war der Auftrag speziell etwas für die nicht mehr ganz Nüchternen gewesen, denn trotz meines unsicheren Ganges war ich mit Abstand als Erster an der Wasserquelle. Ich erinnere mich daran, dass ich Elefanten-Miguel auf dem Weg überholt hatte als er kopfüber in sein leeres Fass gekippt war.

Ich stellte das Holzfass ab, beugte mich über das klare Wasser und verspürte mit einem Mal einen unbändigen Durst. Ohne weiter zu zögern steckte ich den kompletten Kopf in das wundervolle Nass, genoss kurz die eiskalte Erfrischung und tauchte auf. Gierig trank ich.

Ich liebte schon immer den reinen unverfälschten Geschmack von Wasser, aber an Bord war daran leider nicht lange zu denken. Innerhalb weniger Tage kippte es in den Fässern, wurde brackig und ungenießbar. Schnell begannen sich Fliegen und Gestank daran zu sammeln und dann war es bestenfalls abgekocht nur noch als Waschwasser brauchbar und für so was konnte man auch Salzwasser benutzen, welches nun mal keine wichtigen Fässer und Platz einnahm sondern stets verfügbar war.

„Versuchst du gerade dich zu ertränken?“ Ein Schatten schob sich über mich und die Stimme würde mich unter Tausenden heimsuchen.

„Wenn ich es jemals vorgehabt hätte, dann hätte ich nicht auf Süßwasser gewartet und mich schon ins Meer gestürzt,“ knurrte ich ohne aufzublicken und schöpfte mit der hohlen Hand weiter Wasser an meinen Mund. „Abgesehen davon würde ich eher alle anderen umbringen, die mich nerven. Und du bist der Erste auf meiner Liste!“

Scarf lachte bloß und ging neben mir in die Knie. Er hüstelte nach wie vor leicht, die Erkältung schien sich hartnäckig zu halten und ich war sehr froh darüber. Bis auf das Husten war eigentlich kaum etwas von seinen vergangenen Strapazen übrig geblieben und das ärgerte mich. Ich sah ganz gerne die Ergebnisse meine Ausraster an ihm, das war pure Genugtuung. Aber er tat ja eh immer sein Bestes um mich zu ärgern, also gönnte er mir nicht einmal diesen Triumph.

Scarf löste den Schal von seinen Schultern, einer der wenigen Augenblicke, an denen ich ihn ohne eines dieser schrecklichen Dinger sah. Wie immer zuvor fielen mir dabei seine merkwürdigen Tätowierungen auf, von denen er üblicherweise mit seinen auffälligen Schals ablenkte. Andererseits hatte ich mit einem Mal die Eingebung, dass ich unterbewusst mit den Malen etwas aus näherer Vergangenheit verband, aber mir kam ums Verrecken nicht die Erinnerung wobei es sich dabei handelte. Mir war nur klar, dass es um nicht an Scarfs Schultern gehandelt hatte.

„Scheint dir zu gefallen, hm?“

Ich zuckte aus meiner grübelnden Betrachtung und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.

„Wer von euch zweien war beim Stechen besoffener, du oder der Tätowierer?“ Ich legte möglichst viel Aggression in meine Frage, aber die prallte an dem Idioten ab wie Wasser an einer Scheibe.

„Wahrscheinlich ich, sonst bekommst du einen 5-jährigen nur schwerlich tätowiert.“ Er schöpfte ebenfalls mit der hohlen Hand Wasser aus der Quelle und schlug es sich ins Gesicht. Wohlig aufseufzend wusch er sich Gesicht und Nacken, während ich ihn misstrauisch anstarrte und abzuwägen versuchte, ob das sein Ernst war.

„War das ein Scherz?“

„Nein.“ Er zuckte einfach die Schultern und sah mich aus seinen grässlich ehrlichen braunen Augen an.

„Also ist es tatsächlich dein Ernst, dass man dich als halber Knirps tätowiert hat? Und dann auch noch mit so ner Scheiße?? Hätte man da nicht irgendwas einigermaßen Ansehnliches nehmen können statt das komische Gekröse da?“ Ich schüttelte ungläubig den Kopf und schnaubte abwertend. „Und ich dachte echt du kämest aus besserem Hause, aber scheinbar waren deine Eltern gottverdammte Säufer und Wahnsinnige.“

Was wiederum einiges erklärt hätte.

Scarf schwieg, schien nachzudenken. Dann zog er wie immer sein dämliches Grinsen aus seinem Mimik-Repertoire.

„Nein. Nein, eigentlich nicht. Säufer nicht, wahnsinnig dagegen schon manchmal. Aber welcher Mensch hat nicht mal einen Moment der Schwäche?“

Ich räusperte mich und deutete auf seine Schultern.

„So etwas zählt nicht zu einem beschissenen Moment der Schwäche.“

„Ja, mag sein.“ Mein persönlicher Plagegeist zuckte die Schultern und wusch sich die Arme und besagte Schultern. „Aber es hat einen Sinn.“

„Das Gehäksle? Das sind einfach nur besoffene Würmer mit Magenkrämpfen!“

„Da sieht man mal wieder, dass der Pöbel keine Ahnung von Kunst hat.“

Es klatschte laut als meine Hand auf seiner nackten Schulter auftraf und dann platschte Scarf kopfüber ins Wasser.

„Der Pöbel versteht sich eher auf die Kunst im Nahkampf, du Pisser!“

Mit einem schmerzverzerrtem Gesicht richtete sich der Plagegeist wieder auf.

„Au....“ In seinen großen braunen Augen sammelten sich Tränen.

„Vergiss es, das zieht nicht! Ich hau dir höchstens noch eine rein!“

Daraufhin zuckte Scarf nur die Schultern und war von einer Sekunde auf die Andere völlig ungerührt.

„Zurück zum Thema. Das sind keine Würmer, Maden oder sonstiges Kriechgetier. Es... ist ein Hinweis.“

Das war der Moment in dem ich auflauschte und meine Wut einfach Wut sein ließ.

„Ein Hinweis? Worauf?“

„Das... nun, auf einen Schatz. Ich hatte ja mal Andeutungen gemacht, dass ich eine Karte habe, nicht wahr?“ Scarf sah mich ein, der Blick eines Geschäftsmannes traf mich. Wieder einmal verspürte ich dieses gewisse Bisschen Erfurcht vor ihm, was naturgemäß ein wenig Übelkeit in mir auslöste. Ich wollte ihn nicht respektieren oder bewundern, Scarf war einfach nur ein Idiot. Aber ab und an legte er tatsächlich etwas wie Weitsicht oder einen Plan an den Tag und erschreckenderweise waren gerade diese abstrusen Pläne meist ebenso wahnwitzig wie erfolgreich.

„Ja, ich erinnere mich. Und daran, dass ich dich umlegen darf, sobald wir den Schatz haben!“ Ein vorfreudiges Knurren entsprang meiner Kehle, denn genau das war der Grund warum ich überhaupt an Bord blieb. Doch dann wurde ich misstrauisch. „Und du willst mir jetzt nicht sagen, dass deine Wurmzeichnungen da die Karte zum Schatz darstellen.“

„Nein.“

„Das erleichtert mich ein wenig.“

„Sie sind ein Hinweis. Nicht die Karte... glaube ich.“ Scarf räusperte sich ein wenig peinlich berührt. Ich hingegen spürte eine eisige Ruhe in mir aufsteigen.

„Du... hast die Karte also gar nicht?“

„Nun, doch. Die dafür nötigen Dinge habe ich schon, ich muss es nur irgendwie zusammenpuzzeln.“

„Und?“

„Ich arbeite daran.“

„Du stehst einfach drauf mich zum Ausrasten zu bringen, nicht wahr?“

„Normalerweise schon, aber dieses Mal ist es wirklich nicht beabsichtigt!“ Eine Falte entstand auf Scarfs Stirn und ein leichtes Maß an Frustration lag in seiner Stimme. Ich hörte das zum ersten Mal bei ihm und es belustigte mich ohne Ende.

„Heißt das, wir schippern hier durch die Gegend bis du in dem Gekröse auf deinen Schultern einen Sinn siehst? Oh warte, das geht ja anatomisch gesehen gar nicht.“ Ich legte möglichst viel Spott in meine Worte und genoss es unheimlich zu sehen, wie sehr es den Idioten an meiner Seite traf.

Ohne einen Ton von sich zu geben, erhob sich Scarf und ehe ich mich versah, hatte er seinen Gürtel gelöst. Seine Hose rutschte zu Boden und ich will nicht kommentieren, welches Körperteil meines Captains sich vor meinem Gesicht befand! Unwillkürlich zog ich meinen Säbel um diesem Bastard ein für alle Mal den Gar auszumachen, da drehte er sich linkisch einmal um die Achse und ich hatte stattdessen seinen Arsch vor Augen. Keine wirkliche Besserung will man meinen, aber dann machte es irgendwie einen Sinn.

Über sein Gesäß zogen sich ebenfalls diese merkwürdigen Tätowierungen, schwärzliche Würmer von verschiedener Dicke und ohne erkennbares Muster. Dann fiel mir ein, was ich anstarrte und sprang mit einem würgenden Schrei auf.

„Du widerlicher Scheißkerl! Wie kannst du es wagen?!“ Mit erhobenen Säbel stürzte ich mich auf ihn und da ihm seine Hose um die Knöchel hing, war seine Bewegungsfreiheit merklich eingeschränkt. Er versuchte sich mit einem Satz aus der Gefahrenzone zu bringen, stolperte aber und flog der Länge nach in die Quelle. Scarf wälzte sich im Wasser herum, ich hatte mich derweil mit einem Sprung über ihn gebracht, hob meinen Säbel über den Rücken um dem Ganzen endlich ein Ende zu setzen und brach stattdessen haltlos in schallendes Gelächter aus.

„Du siehst einfach nur bescheuert aus! Ich kann keinen Mann mit runtergelassener Hose töten...“ Ich schob meinen Säbel zurück in meine Bauchbinde und starrte Scarf an. Dieser erwiderte meinen Blick misstrauisch, streckte mir dann aber die Hand entgegen und ich zog ihn hoch. Im Gegensatz zu allem was mich vorher so an diesem Wahnsinnigen aufgeregt hatte, dies war die Spitze von allem und mir war dennoch nur nach Lachen zumute.

Scarf humpelte etwas auf Abstand, machte sich dann erst wieder daran sich anzukleiden und ich konnte einfach nicht anders als zu kichern. Irgendwann knickten mir die Knie ein und da stimmte Scarf in mein Lachen ein. Es dauerte eine Weile bis ich mich beruhigte, ich war mir nicht ganz sicher ob auch mein Zorn verraucht war, aber ich fühlte mich ruhiger. Nun, sagen wir, ruhig genug um die Angelegenheit zu klären ohne Scarf töten zu wollen.

„So, welchem Umstand verdanke ich die Tatsache mit diesen beschissenen... nein, warte! Falsches Wort. Öhm, mit diesen albtraumhaften Anblick bestraft worden zu sein?“

Mein Gegenüber sah mich nicht an, seine Augen fixierten einen Punkt neben meinem Gesicht und weilten dabei in großer Ferne.

„Genau da liegt der Hund begraben. Ich weiß, wo in etwa der Schatz liegt und ich habe die Teile der Karte. Das Problem ist, ich kann sie nicht zusammensetzen!“ Scarf schnaubte frustriert auf, hob einen kleinen Stein und pfefferte ihn in das seichte Wasser der Quelle. „Wie du schon sagtest, ich sehe meinen Rücken nicht. Meine Schulter sowie meinen Hintern, das hab ich einfach nicht alles gleichzeitig in Sicht. Sehr gewitzt eingefädelt, muss ich schon sagen.“ Und dann begegneten sich unsere Blicke. Seine Augen waren ernst, musternd, so als würde er auf eine bestimmte Reaktion von mir warten. „Wenn ich also den ganzen Batzen Gold haben will, dann brauche ich Hilfe.“

„Und dafür brauchst du mich? Um dir zu helfen?“ Ich war ein wenig fassungslos.

„Nun, nein. Ich brauche jemand, der zeichnen kann. So jemanden wie Holluschick.“

Nun war es an mir wirklich verblüfft dreinzuschauen.

„Was? Aber warum zwingst du mich dann zu dem ganzen Scheiß? Macht es dir einfach Spaß?“

„Unter anderem. Aber...“, geübt wich er einem Stein aus, den ich nach ihm warf und hob die Hand. „Lass mich doch mal zu Ende sprechen, du Ungeduldsbolzen!“ Das Planungsgenie verdrehte mit einem mild genervtem Grinsen die Augen, hustete mit schmerzlich verzogenem Gesicht und setze dann seine grandiose soziale Vernetzung fort. „Aber eigentlich bestehe ich unter anderem darauf dass wir uns ein Bett teilen, weil ich einerseits nicht alleine schlafen kann und andererseits weil....“ Scarf räusperte sich und wirkte mit einem Mal seltsam unsicher. „...nun weil ich einen Freund in dir sehe.“

Ich muss zugeben, dass mir in diesem Augenblick die Kinnlade runterklappte.

„Ich....dein Freund?“

„Ja.“ Die tätowierten Schultern zuckten etwas zögerlich empor. „Was meinst du, warum du derjenige bist, den ich in alles einweihe?“

„Also, wenn du das ‚in alles einweihen’ nennst, dann will ich nicht wissen, wie wenig Informationen Bronson dann bekommt!“ Ich schnaubte ungläubig.

„Nun, sie genügen ihm. Er fragt nie nach.“ Scarf grinste mit einem Mal. „Ich hab vielleicht nicht viel auf dem Kasten was die Schifffahrt angeht, aber ich habe ein Händchen dafür mir die richtigen Leute zu suchen um meine sonstigen Unfähigkeiten auszubügeln.“

Dieses Geständnis löste bei mir nur ein unwilliges Stöhnen aus.

„Ich will eigentlich meinen Part in deinem Spiel doch lieber nicht wissen.“

„Keine Chance, du hast gefragt. Wie ich schon sagte, ich brauche dich um den Schatz zu finden.“

„Was soll ich bitte machen? Ein Stöckchen werfen um den Weg zu bestimmen?“ Ich schnaubte, das grenzte mich mal wieder zu nah an Schwachsinn!

„Nein.“ Scarf lächelte mich an. „Nun, einerseits brauche ich schon ein bisschen piratische Ahnung und Kreativität um das Rätsel um den Schatz zu knacken. Aber den genauen Anteil daran werde ich dir morgen erklären.“

Ich hasste dieses jähe Umschwenken, erst ja, dann nein! Erst ein ich weihe dich ein, dann ein, mach ich, aber morgen!

„Was?“

„Mir ist gerade noch was Wichtiges eingefallen. Ich hatte die Männer, also die, die noch fit und ihrer Glieder mächtig sind, angewiesen auf die Wildschweinjagd zu gehen. Es wird Zeit den Bukanieren alle Ehre zu machen.“ Mein persönlicher Albtraum begann mein Wasserfass zu befüllen und sah mich an. „Na komm schon, ein ausgelassenes Saufgelage am Strand. Schön mit einem großen Feuer, rauen Seemannsliedern und jeder Menge Rum!“ Er rieb sich die Hände und grinste mich auf die Art und Weise an, die niemals etwas Gutes verhieß.

Dementsprechend misstrauisch beäugte ich auch sein begeistertes Lächeln.

„Gibt es einen besonderen Anlass zu Feiern?“

„Es gibt im Prinzip immer einen Anlass, oder? Gerade für uns Piraten! Schau dich um, wir sind auf einer Insel, weit und breit keine Marine oder Feinde. Wir haben fette Beute gemacht, einen Kaperbrief zur Not in der Tasche und Rum. Ganz zu schweigen von weißem weichen Sand und warmen Temperaturen selbst bei Nacht. Was hält dich da vom Feiern ab?“

„Nun, du.“ Ich verdrehte die Augen.

„Du bist zu misstrauisch.“

Scarf zuckte die Schultern und deutete mir an ihm bei dem Wasserfass zu helfen, was ich eher widerwillig tat.

„Nein, bin ich nicht. Das sind stets berechtigte Zweifel.“

Als wir in die Nähe des Strandes kamen, kroch mir der Duft von brutzelndem Fleisch über einem offenem Feuer in die Nase und das ausgelassene Gegröle von betrunkenen Seemännern. Schlagartig war ich in Feierlaune und beeilte mich das Fass abzuliefern. Nach den ersten zwei, drei Humpen Rum verdrängte ich die Geschehnisse des Tages.
 


 

Am nächsten Morgen wachte ich davon auf, das Scarf mir Sand in den offenen Mund streute. Meine erste Reaktion war, dass ich aufspringen und ihn ertränken wollte, letztendlich übergab ich mich einfach auf seine Füße. Musste als Rache reichen, zu mehr war ich gerade nicht in der Lage.

Während der Penner jammernd ins Meer stapfte und sich die Stiefel wusch, erwachten auch die Anderen um uns herum und das morgendliche, schwer versoffene Stöhne begann. Wir machten uns bereit zur Abfahrt und mit der körperlichen Betätigung kamen auch die Lebensgeister zurück. Selbst Scarf fasste mit an und so waren recht schnell die angebrochenen Rumfässer an Bord geladen, ebenso das übriggebliebene gebratene Fleisch und ein paar Früchte, welche eine willkommene und schmackhafte Alternative zu Dörrfleisch und Schiffszwieback darstellten. Nur mein bester Kumpel Holluschick war weit und breit nicht zu entdecken, ich ging davon aus, dass er seinen ersten heftigen Rausch unter Decke zubrachte.

Es hatte gestern eine kleine Auseinandersetzung zwischen Bronson und dem Rest der Mannschaft gegeben, ob das Büblein überhaupt was trinken dürfte. Schließlich war ihm anzusehen, dass er alles andere als trinkfest war und unser Quartiermeister wollte am nächsten Tag wohl nicht mit einem Dauerkotzer gesegnet sein. Der Captain beendete die Meinungsverschiedenheit einfach damit, dass er dem dämlichen Schnorrer einen Krug in die Hand drückte und ihm vergnügt zuprostete. Dafür war es dann auch seine Aufgabe den kleine Nichtsnutz, dem nach nem halben Krug der Kopf auf die Brust sank, aufs Schiff zu schleppen um ihn dort in Ruhe pennen zu lassen.

Ich verschwendete keinen weiteren Gedanken mehr an den Störenfried und half lieber nach wiederkehrenden Kräften das Schiff aus der seichten Bucht zu befördern, was wirklich eine beschissen anstrengende Arbeit darstellte. Schließlich steckten Teile des Rumpfes im Sand, also so, wie wir das Schiff gestern an und auf Land gelegt hatten. Demnach war Ziehen und Schieben in der knallenden Morgensonne angesagt.

Nach einigen Strapazen konnten wir endlich die Segel aufziehen und die meiste Arbeit dem Wind überlassen. Ich hing über der Reling und starrte zurück auf die Insel, da trat Scarf neben mich und schaute mit zurück. Noch war jede einzelne Palme gut zu erkennen.

„Na, geht’s dir besser?“

„Halt’s Maul, Mann. Wo hast du deine Freizeitbeschäftigung gelassen?“

Just in diesem Moment tauchte eine Gestalt zwischen den Palmen auf und rannte etwas schlingernd und mit den Armen rudernd an den Strand. Ich war mir ziemlich sicher dass es sich dabei um eben besagten Holluschick handelte und fuhr mit offenem Mund zu Scarf herum. Der lächelte lediglich milde amüsiert und nickte mir zu.

„Ach, der bleibt auf der Insel.“

Abgesehen von uns beiden waren alle Mann beschäftigt und niemand bemerkte die immer kleiner werdende Gestalt auf dem Eiland.

„Willst du ihn dalassen?“ Ich hatte nichts dagegen, eine Nervensäge weniger.

„Ja, ich brauch ihn nicht mehr. Und er hat ja Frischwasser und genügend Wild und Früchte, da wird er also durchhalten.“

Das war selbst in meinen Ohren ziemlich hart und gerade bei seinem vorhergegangen geschwisterlichen Verhalten erschreckte mich seine Aussage umso mehr. Dann fiel mir wieder ein um wen es sich da auf der Insel handelte und ich grinste.

„Du hast ihm gestern irgend ein Schlafmittel in den Rum gemischt.“

Scarf warf mir einen amüsierten Blick zu.

„Ich schäme mich auch beinahe.“

„Du bist ein Arsch. Warst so nett zu ihm bis du deinen Willen bekommen hast.“

„Und dann war er wertlos für mich und hätte sich später als Hindernis entpuppen können. Ich denke, wir können noch viel von ihm erwarten, und nicht viel Angenehmes von Robert Surcouf.“ Kaltes Kalkül schwang in seinen Worten mit und dies verwunderte mich mehr als die nicht gerade ehrenwerte Tat an sich.

Auf einer Insel ausgesetzt zu werden war die verbreitetste Strafe für Meuterer und Diebe innerhalb der Mannschaft. Normalerweise wurden die Bastarde auf einem öden Eiland ausgesetzt, eine Ration Trinken und eine geladene Pistole, mehr gab es nicht zum Abschied. Der letzte Schuss war für den Verräter des Kodex vorbehalten und das Aussetzen stellte neben dem Kielholen die grausamste Bestrafung dar. Holluschick, den Namen den Scarf benutzt hatte war mir zu französisch um ihn über die Lippen zu bekommen, hingegen hatte es mit seiner bewachsenen Insel mit fließend Wasser noch sehr human getroffen.

„Ich hätte kaum gedacht, dass du derart berechnend bist.“

„Hast du Mitleid mit ihm?“

Ich schnaubte bloß abfällig und schüttelte mit angewiderter Miene den Kopf.

„Eine unerträgliche Nervensäge an Bord ist schon zuviel!“

„Der Meinung war ich auch!“, nickte mir mein Captain zu und wandte sich summend ab um an das Ruder zu schlendern.

Ich verspürte die ersten Anzeichen von Kopfschmerzen, war mir aber nicht sicher, welchen Ursprung sie hatten. Rum oder Scarf. Beides hatte einen schalen Nachgeschmack.
 

Avast, das erste Kapitel im neuen Jahr! Große Abenteuer stehen an, ich hoffe doch, dass sie mit Erfolg gesegnet sind.

Und nun höret, es gibt wieder ein Kusterwerk zu bestaunen, ein weiteres Bild ziert meine Wand. Natürlich die Wand, auf die ich starre wenn ich gerade nicht weiter weiß. Lobpreisen wir zusammen Captnund schauen wir uns ihre Bilder an!

Arrr, auf in frische Gewässer, meine werten Seeräuber!

Manchmal erlangt man Weisheit erst, wenn man mit seinem Wissen am Ende ist

Aus der Tagebuch das Captain Scarf
 

So, nun stehe ich also hier in meiner Kabine und hantiere mit meinen zwei Blatt Papier herum. Die erhoffte Offenbarung bleibt mir fern und ich spüre die ersten Anzeichen von Verzweiflung.

Die Zeit beginnt mir langsam knapp zu werden und immer wieder spüre ich die kalten Finger des Schicksals nach mir greifen. Verdammt! Was hat sich der alte Sack dabei gedacht so einen unmöglichen, völlig unentwirrbaren Kram aus einer Schatzkarte zu machen? Verdammt!

Es gibt keinen Grund sich wegen so einer Lappalie aufzuregen, wozu kann ich mich auf Marcos recht eigenwillige Hilfe verlassen? Ich muss ihn nur dazu bringen, mir bei des Rätsels Lösung behilflich sein zu wollen. Und das sollte nicht schwer sein. Marcos Schwachpunkt ist seine Neugierde und ich habe bisher glänzende Vorarbeit geleistet. Also, auf ins Gefecht!

Zuerst begebe ich mich an Deck, wo ich dann just erfahre, warum das Schiff so merkwürdig schlingert und ich beim Laufen ab und an ohne Alkoholkonsum gegen die Wände pralle. Wir befinden uns in einem kleinen tropischen Sturm mit recht zerstörerischen Wellen und unberechenbaren Böen. Ich seufze leise auf, das hat mir gerade noch gefehlt. Etwas schlingernd, aber durchaus zielsicher, trete ich zu Bronson an das Ruder.

„Haben wir bereits Verluste?“

„Drei Mann sind über Bord gegangen, vom hinteren Mast ist das oberste Rahsegel abgebrochen und hat ein Loch ins Deck geschlagen sowie einen weiteren Kameraden erwischt.“ Trotz seiner lauten Bassstimme sieht sich Bronson gezwungen gegen den Wind anzuschreien und ich nicke bedächtig.

„Sind Rahsegel wichtig?“ Dieser morsche Kahn scheint nun doch nicht die beste Investition.

Bronson sieht mich verstört an, scheinbar ist die Gewichtung meiner Gedanken nicht ganz die korrekte Reihenfolge.

„Erhm... ich geh mal den ersten Maat suchen.“ Vielleicht weiß Marco, was ein Rahsegel ist.

Ich schreite die wenigen Stufen zum unteren Deck herab, völlig unbeeindruckt von dem ganzen Geschaukel und den herum stürzenden Männern. Meinen ersten Maat entdecke ich pendelnd an einem Seil, welches er zu vertäuen versucht.

„Soll ich dir helfen?“

„Ja, verdammt!“

„Ja, bitte verdammt! Mein Captain.“ Ich weiß, dass ich das später sehr bereuen werde, aber solche Notsituation reizen mich stets mein Glück zu strapazieren. Postwendend tritt Marco mir in die Seite und ich gehe ächzend zu Boden. Ein weiteres Mal verfluche ich sein festes Schuhwerk, aber ich bin selbst schuld, habe ich doch versäumt seine Stiefel gegen Stoffschlappen auszutauschen während er selig schläft.

„Hilf mir gefälligst, du dummer Penner! Dein Arsch hängt schließlich mit im Boot!“

Ich gebe mich geschlagen und packe mit an, hänge mein ganzes Gewicht an das Seil. Erst als die Füße meines ersten Maats wieder den Grund berühren und mich somit schwerer erneut treffen können, setze ich zu neuer Klugscheißrei an.

„Mittlerweile solltest du wissen, dass wir uns auf einem Schiff befinden und nicht auf einem Boot. Es ist kein sehr bedrohliches Schiff, aber es ist ein Schiff.“

„Und es wird dein Sarg sein, wenn du mich weiter nervst!“

„Hmmm, du bist meine Muse.“ Ungelogen, manchmal bringt Marco mich auf wundervolle Ideen. Ein Sarg in der Form eines Schiffes, das ist doch ein angemessenes Behältnis für einen großartigen Captain wie mich.

„Deine... was?“ Marco starrt mich Zornes blitzend an, scheinbar ist er sich nicht sicher, ob ich ihn gerade ernsthaft beleidigt habe. Bevor ich mir einen weiteren Hieb einfange, lenke ich ihn lieber ab.

„Was ist ein Rahsegel und wie wichtig ist das?“

„Rahsegel sind alle Segel, die du da oben am Mast siehst.“

„Die, die horizontal hängen?“

„So kann eine erbärmliche Landratte das ausdrücken, ja!“ Marco schnaubt angewidert und vertäut das Seil mit groben, aber gründlichen Handgriffen.

„Ist das jetzt wichtig?“ Immerhin ist ein Teil meiner Frage nicht beantwortet worden, da lohnt es sich doch etwas weiter nachzubohren.

„Wir haben noch ein paar, aber grundsätzlich sind die wichtig! Und gut ist es nicht, dass es runtergekommen ist. Dieser ganze scheiß Kahn ist total morsch! Wir werden diesen Sturm niemals überleben, denn du Bastard hast uns in den Tod geschickt!“

Ich muss angesichts Marcos übertriebener Melodramatik eine Augenbraue empor ziehen.

„Denkst du nicht, du übertreibst?“

„Ich übertreibe?? Das Rahsegel hat einen aus der Mannschaft erschlagen! Weil du es nicht glauben wolltest, als Bronson sagte, dass es zur jetzigen Jahreszeit auf diesem Breitengrad von tropischen Stürmen nur so wimmelt! Du wolltest auch mir nicht glauben, obwohl ich dich davor warnte! Du wolltest niemandem glauben und nun...“

Zu diesem Zeitpunkt sehe ich mich gezwungen meinem keifenden ersten Maat das Maul zu zuhalten.

„Und jetzt atmen wir erst einmal ganz tief ein... und wieder aus.“

Seine Versuche mich zu beißen enden fruchtlos, ich bin nämlich kein Anfänger darin kleinere Typen in die Mangel zu nehmen.

„Ich möchte gerne klarstellen, dass ich euch durchaus geglaubt habe, was die Stürme angeht. Aber das hättet ihr mir nicht erzählen müssen, ich bin in unserer Zielgegend aufgewachsen. Von daher weiß ich, wann da Stürme toben.“

Seine unweigerlichen Tritte auf meine Füße und gegen meine Schienenbeine kontere ich damit, dass ich mich mit weiter gespreizten Beinen hinstelle als es ihm mit seinen kürzeren Staksen möglich ist. Außerdem ist ein solcher Stand bei einem derartigen Seegang wie dem unsrigen nur von Vorteil und wirkt beinahe elegant. Wie ein Elefant beim Kacken.

„Also rege dich bitte ab, Marco. Ich habe durchaus damit gerechnet, dass wir in turbulente See kommen. Und dass wir das ein oder andere Opfer zu beklagen haben werden.“

Mein erster Maat wehrt sich nicht mehr, er scheint meinen Worten zu lauschen. Gerade als ich ansetzen will mich weiter zu erklären, schlägt er mir den Hinterkopf ins Gesicht, dass ich meine Nase und Zähne krachen höre. Dem schmerzhaften Impuls folgend lasse ich Marco los und fasse mir an mein malträtiertes Gesicht, Blut fließt wie Wasser zwischen meinen Fingern hindurch. Nasal aufstöhnend knicken mir die Beine unterm Leib weg, denn obwohl ich mir von ihm schon so viele Blessuren eingehandelt habe, dies ist eindeutig die schmerzhafteste. Schlimmer noch als die angebrochenen Rippen oder die mehrfach aufgeschlagene Lippe. Weitaus schlimmer.

Und er ist noch nicht fertig. Am Boden kniend gebe ich das perfekte Ziel für Marcos Tritte ab, einer seiner schweren Stiefel trifft mich erneut mit unglaublicher Wucht an meinen angeknacksten Rippen, ich spüre sie in meinem Leib brechen. Aber noch immer ist der Schmerz in meinem Gesicht schlimmer, er verdrängt die Pein in meinem Oberkörper nahezu. Mir bleibt die Luft weg und ich sehe mich bereits dramatisch in einem schwarzen Sack über Bord gehen, zu Tode geprügelt von dem ersten Maat. Da trifft eine besonders heftige Woge das Schiff und die Omnia Amor Vincit knarrt und quietscht wie ein weidwundes Tier. Oder wahlweise wie ich. Nur dass ich nicht quietsche, sondern erstickt heule.

Jedenfalls bringt der Aufschlag Marco aus dem Konzept, er verliert das Gleichgewicht und landet auf mir. Was ihn nicht daran hindert mich mit bloßen Fäusten zu bearbeiten. Ich versuche irgendwie mein Gesicht zu schützen, verschränke bestmöglich die Arme darüber und hoffe, dass ihm die Kraft ausgeht möglichst bevor ich krepiere.

Und tatsächlich. Irgendwann hört er auf, verharrt stillschweigend und schwer atmend auf meinem Brustkorb, der wegen der gebrochenen Rippen dumpf pocht und schmerzt. Kraftlos lässt er ein letztes Mal beide Fäuste auf meine Unterarme fallen, dann vernehme ich nichts mehr von ihm und werde beinahe von der Pein in meiner Visage in die Ohnmacht gezwängt. Mir schwirrt der Schädel und in meiner Nase pocht das Blut so heftig, dass ich selbst das Getöse des Sturmes nicht mehr wahrnehme, da der Schmerz einfach nur alle Sinne für sich beansprucht.

Und dann höre ich ein leises Schluchzen.

Es ist nicht meines, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es von Marco stammt, ist gleich Null. Oder? Die Schmerzen scheinen mich halluzinieren zu lassen.

Eher zögernd lasse ich meine Arme sinken und was ich sehe, ist verstörender als jeder gebrochene Knochen in meinem Leib. Marco weint. Er heult, dem harten Kerl laufen die Tränen und der Rotz wie Wasser vom Gesicht. Vielleicht ist es auch Wasser, schließlich regnet es in Strömen.

„Du… scheiß Penner!! Das sind deine Männer, die da sterben! Und nur, weil du… weil du unbedingt hier langschippern musstest mit deinem erbärmlichen theoretischen Wissen, nur darum ist der Gesprächige John jetzt tot! Der Einzige hier an Bord, der nicht vollständig vom Wahnsinn umkrallt war!“

Von diesem Moment an fühle ich mich schlecht. Dass der alte kauzige Kerl tot ist, berührt mich eher weniger, aber meinen ersten Maat, den knallharten, cholerischen Marco derart aus der Fassung zu sehen, dass trifft mich. Und ich glaube die Prügel verdient zu haben. Das nächste Mal werde ich Bronson fragen, wer die Typen waren, die das Zeitliche gesegnet haben, dann erst werde ich mein loses Mundwerk von der Leine lassen. Also habe ich selbst Schuld an meinen gebrochenen Knochen.

„Es tut mit leid, Marco.“

„Tut es dir nicht!“

Ich seufze auf, soweit man mein blutgurgeln seufzen nennen kann.

„Nein, tut es mir nicht. Oder vielleicht die Tatsache, dass es dir nahe geht. Aber ich habe dieses Pack von Krüppeln nicht umsonst angeheuert.“

Marco lässt erneut seine Faust gegen meine Schulter knallen, was mir einen weiteren blauen Flecken bescheren wird.

„Und warum hast du die Krüppelorgie angeheuert? Um sie alle in den Tod zu führen?“

Ich sehe ihn einen Moment an, räuspere mich dann.

„Würde ein gesunder, geistig klarer Seemann, egal ob Sklave, Pirat, Freibeuter oder Berufsseemann, ganz egal, würde der mir folgen? Würde der sich einem dämlichen unwissenden Chaoten wie mir unterordnen?“

„Nein.“ Marcos Stimme gleicht einem Flüstern. Er scheint zu verstehen, aber in seinen sonst so feurigen dunklen Augen schwelt nur mattes Glimmen.

„Nein, würde er nicht.“ Ich sehe empor, irgendwie habe ich das Gefühl zu schielen. Oder aber mein Nasenbein hat sich so deformiert, dass es mir merkwürdig im Blickfeld liegt. „Also hatte ich beschlossen meine Mannschaft aus Männern zusammenzusetzen, denen auch der Tod nicht mehr den größten Schrecken bereitet und die mir folgen würden, selbst wenn meine Pläne noch so undurchdacht erscheinen mochten.“

„Das hast du... so geplant, ja?!“ Marcos Augen bekommen wieder Feuer, aber einmal mehr entzündet sie der blanke Hass. „Dass wir alle krepieren? Dass du das Recht hast uns in den Tod zu reißen, nur weil die Meisten hier einfach nicht mehr erste Ware sind!?“

„Nein, nicht alle.“ Der größte Teil von den Krüppeln, ja. Das war mir schon klar gewesen, als ich sie angeheuert hatte. Damals zählte ich an den Fingern ab, wer das Abenteuer wohl überstehen würde und wer nicht. Oder wer wie lange. „Du nicht.“

Marco langt mir erneut an.

„Na herzlichen Dank! Denk dran, dass du am Ende auch krepieren wirst! Du hast mir den Schuss versprochen.“

Mir schwirrt nach dem Schlag endgültig der Schädel, das ewige Auf und Ab des Schiffes fördert meine Orientierung zudem nicht unbedingt.

„Hab ich. Ich halte mich an mein Wort, keine Sorge. Und nun.... hol bitte den Arzt.“

Dann werde ich mit dem schönen Gefühl, dass mir die Nase ins Gehirn wandert, ohnmächtig.
 


 

„Das ist mal wieder typisch für diesen Schwächling, sich einfach mit einer Ohnmacht aus der Affäre zu ziehen!“

Der freundliche Tonfall meines ersten Maats erweckt mich aus der Düsternis und der Schmerzfreiheit. Die Tonlage des Flinken Flints gibt ihm bedauerlicherweise Contra, sodass das Erwachen keinen einzigen schönen Aspekt hat außer laut zu sein.

„Was denkst du denn, du Wahnsinniger? Brichst ihm ein paar Rippen und verschandelst sein edles Antlitz und dann beschwerst du dich auch noch?“

Ich muss einräumen, dass mir der Schiffsarzt in dem Moment sehr sympathisch ist.

„Ich seh keinen Unterschied!“ Marco zickt weiter herum, doch Bronsons Bariton unterbricht ihn gnädigerweise.

„Wie steht es nun um ihn, Schiffsarzt?“

„Schwer zu sagen. Die Brüche werden schmerzhaft sein, aber so gerichtet und geschient werden sie gut heilen. Was mir mehr Sorgen macht ist der Husten, den er einfach nicht los wird. Ist auch keine schöne Sache jetzt noch mit den gebrochenen Rippen. Tut sicher höllisch weh.“

„Na hoffentlich.“ Ich kann Marcos Stimme irgendwo in der Nähe meines Schreibtisches ausmachen, während Bronson und Flint den Stimmen nach zu urteilen an meinem Bettlager stehen müssen.

„Ich denke, das reicht langsam, Marco. Vielleicht solltest du besser ein wenig an Deck gehen.“

„Wozu, es ist doch eh nichts zu tun.“

Und jetzt wo er es erwähnt, fällt mir auf, dass das Schiff nicht mehr wie ein Spielball durch die Gegend geschleudert wird, sondern ohne zu schwanken einfach still liegt.

„Dennoch denke ich, dass du dir eine Auszeit in der stillen Ecke gönnen und über deine Verfehlungen gegenüber dem Captain nachdenken solltest, erster Maat.“ Die Autorität in Bronsons Stimme erzeugt unwillkürlich eine Gänsehaut auf meinen Unterarmen, doch Marco geht nun erst recht an die Decke.

„N Scheiß werd ich tun! Bin ich ein kleines Kind, dass ich mich so behandeln lasse?!“

Stuhlbeine kratzen über den Boden und den Geräuschen nach schließe ich, dass sich Marco schmollend auf meinen Schreibtischstuhl fallen lässt und die Arme verschränkt. Irgendwie possierlich dieses Schauspiel ohne Bild.

Aus zwei Männerkehlen dringt ein leicht entnervtes Seufzen und ich muss wirklich an mich halten nicht zu grinsen. Was mich wiederum wundern lässt, wie viele Schmerzmittel mir der Flinke Flint verpasst hat.

„Quartiermeister, ich weiß, dass du besorgt bist um den Captain, aber die anderen Männer benötigen auch meine Hilfe.“

„Natürlich, geh nur. Ich werde dich stellvertretend für Captain Scarf begleiten und ihnen gut zusprechen. Erster Maat, ich hoffe, du weißt dich in unserer Abwesenheit gut zu benehmen.“

„Als ob meine Mutter es nötig gehabt hätte mir so was wie Benehmen beizubringen!“

Marco muss in seiner Trotzphase ein unglaublich niedliches Mistkind gewesen sein. Genaugenommen hat er die Phase noch nicht verlassen, niedlich ist mittlerweile allerdings keine in Frage kommende Eigenschaft mehr.

Bronson seufzt und zuckt die Schultern.

„Da magst du recht haben, aber ich appelliere an deine Ehre keine Schlafenden zu töten.“

„Darauf können wir uns einigen,“ brummt mein erster Maat und scharrt trotzig mit den Füßen. „Dann wecke ich ihn erst und dann leg ich ihn um.“

Ich lausche, wie die beiden Männer sich erheben und mich mit meinem finsteren Schicksal allein zurück lassen, welches aber weiterhin schlecht gelaunt an meinem Schreibtisch sitzen bleibt. Nach einer Weile höre ich Papier rascheln, dann leises Murmeln. Ein vorsichtiges Blinzeln zeigt mir, dass Marco relativ verkrampft versucht ein paar wenige Zeilen meiner Aufzeichnungen zu entziffern. Erst nach einiger Zeit geht mir auf, dass seine Mühe weniger an meiner Schrift, mehr an seiner mangelhaften Lesefertigkeit liegt, was mich aus unerfindlichen Gründen sehr wurmt.

„Ich kann dir beibringen zu lesen.“ Ich erschrecke selbst über den rauen Ton meiner Stimme, welche ungewöhnlich krächzend klingt. Marco fährt ebenfalls zusammen, aber wohl eher im Stöbern ertappt.

„Ich kann lesen, du Klugscheißer.“

„Nur nicht sehr flüssig, wie mir scheint.“ Ich komme dem Impuls die Schultern zu zucken nicht nach, kraftlos wie ich bin, vermag ich mich nicht einmal aufzusetzen.

Entgegen meiner Erwartung geht mein erster Maat nicht wie ein Zündpulverfass in die Luft, er scheint viel mehr gründlich über mein Angebot nachzudenken. Dann nickt er.

„Einverstanden. Du bringst mir lesen bei, unterlässt dabei aber deine dämliche altkluge Art, sonst schlag ich dir die Blätter um die Ohren. Und hör auf so glücklich zu grinsen, du Bastard!“

Ich kann aber nicht anders. Für ein paar Minuten hatte ich wirklich Angst nutzlos an mein Bett gefesselt zu sein bis zu meiner Genesung, aber nun kann ich ja dennoch etwas tun. Was auch mir zugute kommt.

„Ich gebe mir Mühe. Dann beginnen wir am besten mit etwas Einfachem. Hol dir doch bitte einen Stuhl hier ans Bett und bring das Buch von der Kommode da mit.“

Ohne zu fluchen tut er wie gebeten und schleppt mit kritischem Blick Stuhl und Buch an.

„Das sind Märchen!“

„Ich weiß.“, lächle ich und sehe ihn erwartungsvoll an.
 


 

Es muss schon gegen Abend sein, als Marco die Augen vor Bemühungen tränen. Meine Vorschläge, einfach mehr Kerzen anzuzünden und somit den Raum zu erhellen, ignoriert er vehement. Ich lasse ihn gewähren, kann er doch seine Verleser dann auf das schlechte Licht schieben und muss sich ihrer nicht schämen. Ab und an kommt Bronson rein, schüttelt kurz den Kopf und geht, was ich persönlich sehr schade finde. Marco beweist ungeahnte Talente, seine stimmliche Interpretation der drei kleinen Schweinchen ist unbeschreiblich erhebend.

Aber auch ich werde müde, was Marco nicht entgeht. Er schlägt mit mittlerweile kratziger Stimme das Buch zu und mustert mich geringschätzig.

„Scarf, was ist eigentlich aus deinen Schatzkarten geworden?“

Widerwillig grummelnd bemühe ich mich wach und klaren Geistes zu bleiben.

„Sie bestehen nach wie vor aus zwei Bögen mit vielen komischen Würmchen drauf.“

Sein schadenfrohes, überhebliches Grinsen ist tatsächlich spürbar.

„Ohhhh... kann der Besserwisser, der unheimlich gebildete, schier Allwissende die Karte nicht zusammenbringen?“ Er kichert unverhohlen und ich spüre trotz der langsam nachlassenden Schmerzmittel ein wahrlich unangenehmes Stechen im Bauch. Ich kenne das Gefühl nur zu gut und es behagt mir rein gar nicht.

„Was ist denn los? Liege ich denn dabei wirklich richtig? Oh, wie kann das denn nur sein?“

Marcos Stimme wandelt sich in meinem inneren Ohr in den ätzenden Tonfall meines Vaters bei den wohlbekannten Worten. Ich muss mich mit aller Macht zusammenreißen um diesem Tagtraum die Stirn zu bieten. Ich muss tief durch atmen, mich zusammenreißen, erst dann vermag ich wieder zu sprechen ohne zu schreien.

„Du... liegst richtig. Aber ich werde es schon noch hinbekommen.“ Meine Worte klingen weitaus sicherer als ich es bin. Aber soll ich um Hilfe bitten? Niemals. Wenn ich etwas gelernt habe, dann ist es alles mit eigener Kraft zu erreichen. Irgendwie.

Er wird es schon sehen. Garantiert.
 

Wohooot, endlich mal wieder ein Kapitel zu Ende gebracht, ich Schlunz. Schande, schande. Aber ich krieche weiter, eines Tages wird das nächste Kapitel schon kommen. Beware! XD

Achja, der piratige Randkommentar: WHYDDAAAA!

Würdige den Moment – es ist nicht gesagt, dass ein weiterer folgen wird!

Man sagt ja immer so schlau, ein Unglück kommt selten allein.

Ich überlegte ernsthaft eine Art Prioritätenliste zu führen, sobald ich vernünftig schreiben gelernt haben würde. An erster Stelle würde natürlich Scarf stehen, der mich nun zu einer mehr als undankbare Schülerrolle verdammt hatte. Was es nicht nur unerträglich machte, dass er mir in der Lehrerrolle eh schon überlegen war, nein! Er war einfach der unübertroffene Herrscher der Klugscheißer!

Ich gab es nicht gerne zu, aber er war ein durchaus fähiger Lehrer. Zwar behandelte er mich ab und an bei unseren Lesestunden, als würde er einen 6-jährigen unterrichten, aber ich schob diesen Umstand einfach auf die Tatsache, dass er immer wieder vor sich hin fieberte.

Es war gleichermaßen merkwürdig wie gruselig, aber die Verfassung des Captains spiegelte den Zustand unseres Schrottkahns wieder. Nach dem Sturm dümpelten wir mit verhedderten Tauen und gebrochenen Masten mitten in einem Windloch, es gab kein Vor und kein Zurück. Scarf war, dank meiner lobenswerten Fleißarbeit, an das Bett gefesselt. Wofür ich ihn dann noch mehr verabscheute. Aber wenn er da so in seinem aufgerüschten Bett saß, bleich wie sein Laken, von Schüttelfrost schwitzend und bibbernd sowie abwechselnd Blut und Schleim spuckend, da gab mir mein schlechtes Gewissen dann doch ab und an mal den Gedanken ein, das ich an diesem Elend schuld war.

Nicht, dass die ganze Situation einfach nur zum Kotzen war, von wegen! Am schlimmsten war die Tatsache, dass der Querkopf mir dennoch vertraute. Dass er seine dämlichen, höchstwahrscheinlich unnützen Schatzkarten offen für meine Augen herumliegen ließ, wohl wissend, dass ich nur zu gerne einen Blick drauf werfen, es mir aber zeitgleich nicht erlauben würde. In mir entbrannte immer mehr der Wunsch das Rätsel zu lösen, an dem Scarf scheiterte. Aber ich wollte der Neugier in mir nicht nachgeben, denn ich wusste genau, das Scarf sich viel von meiner Schwäche erhoffte. Abgesehen davon war einzig und allein meine verdammte Neugierde schuld an meiner Anwesenheit hier.

Und diese Blöße konnte ich mir selbstverständlich kaum ein weiteres Mal geben. Aber ich nahm mir fest vor, diesem Idioten eins auszuwischen und so lernte ich mit größter Mühe Lesen und auch etwas später Schreiben. Um mir selbst etwas zu beweisen oder ihm, mittlerweile weiß ich es nicht mehr so genau. Fest stand, ich verbrachte recht viel Zeit mit Scarf, genaugenommen alle Zeit, die ich neben meinen Strafaufgaben erübrigen konnte.

Natürlich war das Vertrimmen des Captains nicht ohne Folge geblieben, obwohl es bewiesenermaßen verdient gewesen war. Bronson war für meine Sicht der Dinge nicht sehr empfänglich und ließ knurrend verlauten, dass Scarf viel zu nachsichtig mit mir umgehen würde. Aber mich fragte keiner!

Nein, stattdessen durfte ich als Bronsons Laufjunge herhalten, das arg angekratzte Deck schrubben, Taue entheddern und Segel stopfen. Alles in allem eigentlich völlig normale Aufgaben nach einem Sturm, aber es nervte mich tierisch, dass ich damit „bestraft“ wurde. Ich hätte es ja auch so alles getan, immerhin wollte die ganze Mannschaft unser Schrottschiff so schnell wie möglich wieder seetüchtig sehen. Wir trieben immerhin irgendwo abseits unseres eigentlichen Kurses sonst wo auf den Gewässern herum, unfähig zu navigieren und den Kurs zu beeinflussen. Zu allem Übel hatte sich das Ruder verkantet, was auf offener See ein wirklich großes Problem darstellte.

Um auf Bronsons Befehl hin dieses Hindernis mit Scarf zu besprechen, suchte ich ihn unangekündigt in seiner Kammer auf. Ohne zu klopfen trat ich ein und erwischte ihn außerhalb des verordneten Bettes an seinem Schreibtisch. Ertappt sah Scarf mich an, keine Spur von Schuld auf seinen blassen Zügen.

„Sag Bronson nichts...“

„Ich sag ihm nichts, wenn ich deine blöde Hausaufgabe nicht machen muss.“

„Doch, du musst das Gedicht lesen und mir den Inhalt darlegen! Immerhin willst du Lesen lernen, oder nicht?“

„Und du willst gesund werden, oder nicht?“

Ich hockte mich eher verstimmt auf das Bett und starrte ihn missmutig an. Er erwiderte den Blick ausdruckslos, zuckte die Schultern.

„Fein, dann lass es sein.“

„Gedichte stinken!“

„Marco, Prosa ist der Weg zu einem Mädchenherz.“

Ich schnaubte angesichts dieser Quacksalberei.

„Bisher hat dafür auch mein blanker Hintern gereicht.“

Scarf schnaubte verhalten und zuckte beinahe gekränkt die Schultern.

„Die Poesie deines Gesäßes. Ich bin völlig begeistert. Am liebsten würde ich Reime dazu verfassen.“

Sprachs und begann in sein Buch zu kritzeln. Ich langte nach vorn und versuchte ihm den Stift abzunehmen, was Scarf ein gepeinigtes Aufstöhnen ab rang.

„Du schreibst kein Gedicht über meinen Hintern, du Irrer!“

„Wollt ich nicht...“, kam krächzend die Antwort und mein schlechtes Gewissen meldete sich erneut bei seinem spontanen Erbleichen bis zu einem ungesunden Ton leicht grünlicher Milch.

Ich konnte zusehen, wie die Farbe aus den Stellen seines Gesichtes wich, die nicht durch meine Schläge bunt verfärbt waren. Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn und er begann zu schwanken.

„Du solltest zwischendurch atmen.“

Ich muss an dieser Stelle einräumen, dass ich bei Notsituationen nicht unbedingt verbal glänze. Aber dieser Satz entlockte Scarf trotz seiner schlechten Verfassung ein kurzes Grinsen, was mich wiederum beruhigte.

„Ich helfe dir zum Bett, du hast dir mal wieder ne Auszeit verdient, großer Captain!“

So behutsam wie möglich verfrachtete ich Scarf zurück auf sein weiches Lager, wo er schweigend und kreidebleich in seine Kissen zurück sank. Erst langsam schien er sich zu entspannen, seine beinahe übliche Gesichtsfarbe kehrte allmählich zurück und das leise Rasseln seiner Atmung wurde stetiger. Das Geräusch an sich war wenig beruhigend, aber wenn es lauter rasselte, dann atmete Scarf auch tiefer. Ob das nun gut war, war eine ganz andere Sache.

„Soll ich den Arzt holen?“

„Nein. Geht schon fast wieder.“

„Wie du meinst.“ Ich hatte nicht die Lust gegen seinen offensichtlichen Dickkopf anzukämpfen. Ehrlich gesagt, war ich durch die anhaltenden Reparaturarbeiten ziemlich geschafft und gereizt wie ein Franzose, dem man sein Baguette in Tee getränkt hatte. Ich angelte mir also eines der Märchenbücher und schlug wahllos eine Seite auf. Als ich den Blick hob, begegnete ich Scarfs erwartungsvollen Blick und seufzte.

„Eigentlich sollte ich dich fragen, was wir angesichts des blockierten Ruders machen sollen, aber stattdessen spiele ich den Märchenonkel.“

„Nun, du hast es mir soeben gesagt, ich arbeite daran. Und das mache ich, während du liest. Also bitte.“
 


 

Letztendlich wurde es natürlich meine Aufgabe irgendwie an einem Seil befestigt immer wieder unter Wasser zu tauchen und das Ruder wieder funktionstüchtig zu machen. Den Göttern sei Dank hatte sich nur ein Stück Holz in dem ganzen Muschelschlick verkantet und war recht problemlos zu entfernen. Aber ich gewann den Eindruck, dass ich der Einzige an Bord war, der tauchen konnte. Gut, die wenigsten Seemänner können schwimmen, aber es wunderte mich dennoch ein wenig.

Nach getaner Arbeit ging ich zu Scarf um ihm von dem kurzweiligen Erfolg zu berichten.

„Du stinkst wie eine alte Fischverkäuferin.“

„Ich weiß.“

„Du stinkst so übel, dass ich das trotz meiner gebrochenen Nase rieche.“

„Ich weiß.“

„Das ist schon kein Stinken mehr, das ist eine neue Lebensform...“

„Wenn du nicht gleich die Fresse hältst, dann breche ich dir auch noch den Kiefer!“ Mein schlechtes Gewissen hielt mich nur in Maßen davon ab, Scarf mit körperlicher Gewalt zu drohen. Ich knurrte angewidert, denn leider entsprachen seine Nettigkeiten der Wahrheit.

„Sag mal, bist du etwas stinkig drauf?“ Vom Bett her kam ein leises Glucksen.

„Es reicht!“ Ich machte mir nicht mehr die Mühe einfach nur bedrohlich zu klingen, ich brüllte lieber.

„Ist ja gut.“ Scarf grinste mich wenig überzeugend an. „Also sind wir nun wieder in der Lage weiter zu segeln, ja?“

Ich nickte mies gelaunt und er begann heller zu strahlen als der Vollmond.

„Sehr gut! Ich muss Bronson den Kurs durchgeben.“

„Du bleibst verdammt noch mal liegen, ist das klar?“, knurrte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch und begann seinen Kompass, die Karten und allen möglichen anderen Firlefanz zum Bett zu schleppen.

„Ich kann sehr wohl aufstehen...“ Er klang etwas beleidigt, aber es schwang nach wie vor ein Rasseln in seiner Atmung mit.

„So wie vorhin, ja? Solange du noch Blut rotzt, bleibst du liegen.“ Einfühlsam, ich weiß.

„Ja... danke auch. Reichst du mir dann freundlicherweise das Lineal. Nein, das andere. Genau. Dann bräuchte ich noch den Kohlestift, nein, nicht den! Den auch nicht, den... nein, das ist ein Pinsel, du Stinktier!“

Und dann traf der Pinsel Scarf an die Stirn. Ich kochte vor mich hin, versuchte aber doch nach Kräften mein Temperament im Zaum zu halten.

„Das machst du doch mit Absicht.“

„So offensichtlich? Schande über mich.“ Scarf strahlte gut gelaunt vor sich hin und massierte den roten Fleck an seiner Stirn eher beiläufig. „Und nun setze dich bitte zu mir, damit ich...“ Er würgte kurz. „Hab's mir anders überlegt. Geh dich bitte erst waschen.“

Ich schwöre, dass ich diesen Bastard kichern hörte, als ich wutschnaubend die Tür hinter mir ins Schloss schmiss und an Deck stapfte. So schlecht konnte es ihm also gar nicht gegangen sein.
 

Auszug aus dem Tagebuch des Captain Scarf

Jetzt, da Marco das schlechte Gewissen plagt, ist es noch viel einfacher ihn aus der Fassung zu bringen. Und auszunutzen. Er würde es sich selbst gegenüber niemals zugeben, aber mein Anblick schlägt ihm aufs Gemüt. Und weil es ihm leid tut, hält er sich viel in meiner Nähe auf statt zu fliehen. Worüber ich sehr froh bin, es ist sterbenslangweilig hier. Und wann immer ich allein bin, beginne ich zu grübeln.

Ich habe zwei Blatt Papier mit schwarzen Würmern drauf. Irgendwie ergeben sie eine verfluchte Schatzkarte, aber ich weiß nicht wie. Ich habe sie übereinander gelegt, in alle Richtungen und Möglichkeiten geschoben, aber nichts, rein gar nichts kommt dabei herum. Ich hab so viel über die Verschlüsselungscodes der bekanntesten Größen der See gelesen, aber warum musste sich dieser elende Haudegen von einem Großvater einen ganz neuen ausdenken? Ich wage fast zu denken, dass sein Alter ihn leichtsinnig gemacht hat. Gelangweilt. Und kreativ. Ich kann ihn nur zu gut verstehen, aber verdammt!

Es nervt mich so an das Bett gefesselt zu sein. Ich fühle mich rastlos, mir rennt die Zeit davon. Einerseits genieße ich es ja auch mit Marco zu flachsen, ihn zu ärgern. Aber es steht zu viel auf dem Spiel, gerade jetzt wo es in die Endphase geht. Immerhin ist das Schiff wieder einigermaßen flott und wir können wieder auf Kurs gehen.

Das Ziel ist mir bekannt. Ich weiß genau, welche Insel wir ansteuern müssen um dort den Schatz zu finden. Das Problem an der Suche ist das unterirdische Höhlenlabyrinth. So stereotypisch es auch klingen mag, ich war einmal da drin und bin nur mit viel Glück gerade eben wieder lebendig aus der endlosen Schwärze entkommen.

Also steht das Enträtseln der komischen Kartenwürmer auf meiner Liste ganz weit oben. Und da komme ich nicht weiter. Vielleicht wird es langsam wirklich Zeit Marco um Rat anzubetteln...? Natürlich geschickt, aber ich denke, es brennt dem kleinen Haudegen schon von ganz alleine unter den Nägeln.
 

An Bord ist es gerade mal möglich einen Eimer Meerwasser an Deck zu ziehen und sich damit bestmöglich zu reinigen. Natürlich bestand die Option ein Stück Seife zu Hilfe zu nehmen, aber richtige Männer stinken nun mal mit Würde. Scarf, das verweichlichte Muttersöhnchen, hatte selbstverständlich keine Ahnung davon, wen wunderte es noch? Mich jedenfalls nicht. Ich verzichtete bei dem Waschgang bewusst auf die Wohlgerüche der Seife und kehrte triefend und nach Meerwasser stinkend in die Kajüte zurück. Wäre ja gelacht gewesen, hätte ich klein bei gegeben.

Um so erstaunter war ich, Scarf aufrecht sitzend und grübelnd in seinem Bett vorzufinden. Das machte mir schlagartig schlechte Laune, immerhin neigte der Querkopf dazu sich in solchen Situationen irgendwelchen Schwachsinn auszudenken, welcher später garantiert zu meinen Lasten ging.

„Bin wieder da.“

„Hmmm..“ Scarf hob nicht einmal den Kopf, vielmehr strafte er mich mit einem Mal mit Desinteresse. Zwar war der Gedanke kindisch, aber es wurmte mich, dass er meine Trotz-Waschverweigerung nicht bemerkte. Ich blieb demonstrativ vor der Tür stehen und starrte ihn an.

„Wie lange machst du das jetzt?“

„Was genau?“ Seine Stimme klang nach wie vor eher gelangweilt, er malte mit dem Finger Muster auf die Decke.

„Die Wand anstarren?“

„Stört es dich?“

„Wohl kaum, du hälst ja endlich mal dein Maul.“

„Na dann...“ Und damit schwieg Scarf wieder.

Ich wartete. Und wartete länger. Währenddessen überlegte ich angestrengt, ob ich ihn nicht doch endlich umbringen sollte. Ich entschied mich aber dann dazu mich an den Schreibtisch begeben und ihn meinerseits zu ignorieren. Einige wenige Übungen ohne irgendwelche bescheuerten hochmütigen Verbesserungen taten mir zur Abwechslung mal ganz gut, denn mein nicht gerade sehr entspannter Geist reagierte da immer recht empfindlich und unkonzentriert drauf.

Auf dem Schreibtisch lag ein Wust aus Papier, ich feixte überdeutlich.

„Du bist aufgestanden... Mal wieder. Bronson wird alles andere als begeistert sein.“

„Bronson ist nicht meine Mutter, das wäre grotesk. Ich sehe ihm kein Stückchen ähnlich.“ Scarf schüttelte sich leicht, ächzte dann aber dank der Bewegung auf und hielt sich die Rippen. Das ersparte mir wenigstens die nötige Handgreiflichkeit.

Stattdessen fegte ich mit einer einzigen Handbewegung den Stapel Papier von der Platte und knurrte angefressen.

„Witzig, wirklich witzig.“

Scarf sah beinahe gelangweilt zu, wie die Blätter langsam zu Boden trudelten, dazwischen das dicke Pergament der von Scarfs Findelkind gezeichneten Schatzkarten. Ich folgte seinem Blick und schnappte nach Luft. Die Erkenntnis traf mich wie der sprichwörtliche Blitz.

„Das ist es!“

Scarf saß aufrecht im Bett, nun völlig gespannt. Beinahe, als wäre etwas eingetroffen, auf das er insgeheim spekuliert hatte.

„Ah ja?“

„Die Lösung des Rätsels!“

Ich hob beide Blätter so hoch, wie sie dort gelegen hatten und grinste meinen Möchtegerncaptain triumphierend an.

„Ich kann die Karte lösen...“
 


 

Arrrrrr.... ich werde lahm!

Dafür habe ich, statt hier weiterzuschreiben, meinem Captain Scarfs Schatzkarten nachgemacht und ich warte noch immer darauf, ob sie lösbar sind. Muhahaahhha...

Also, meine Landratten, auf zur Schatzsuche, oder so! Arrr!

Btw. ist heute der "Talk like a pirate-Day". Sehr schöner Tag, muss ich schon sagen! XD

Man trifft sich im Leben immer zweimal, daher benehme dich beim ersten Treffen so, dass dir beim nächsten Male keine Nachteile daraus erwachsen mögen

Aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Es war damals ein Wink des Schicksals gewesen, als ich mich entschieden hatte Marco mit an Bord zu nehmen. Im Nachhinein haben sich die vielen barmherzigen Akte meinerseits für mich ausgezahlt. Und wiedereinmal entdecke ich in mir die Lehren meines Vaters. Deprimierend.

Aber was soll ich meckern, das Ziel ist näher gerückt. Die Karte ist mit viel handwerklichem Geschick gelöst worden, das Labyrinth unter der Erde ist erkennbar, Schatz und Eingänge gut zu sehen. Wir haben Kurs genommen auf unser weit entferntes Ziel.

Marco hat beim Enträtseln der Karte eine wirklich unerwartete Besessenheit an den Tag gelegt. So langsam glaube ich unter seiner dreckigen, jähzornigen und steinharten Schale einen großen Denker sehen zu können. Den noch hervor zu kitzeln wird schier unendlicher Arbeit bedürfen, aber ich denke, ich werde nun den Grundstein legen. Schwierig könnte sich nur erweisen, ihn irgendwie von seiner geliebten Seefahrt weg zu bekommen. Allerdings muss ich sehen, ob sich der eine Plan nicht mit dem anderen verbinden lässt. Ich hab da so eine Idee.
 


 

Golf von Siam. Südchinesisches Meer. Weiter weg hätte es natürlich nicht sein können!

Wenn Scarf die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten hatte, so wählte er mit absoluter Sicherheit natürlich genau die, die am meisten Ärger und Arbeit bedeutete. Genau aus diesem Grund durften wir uns nun also in Richtung südchinesisches Meer stechen, da Scarf den Schatz, von dessen Existenz ich immer noch nicht so ganz überzeugt war, im Golf von Siam wähnte. Und natürlich befanden wir uns ja nur fast auf der entgegengesetzten Seite der Erde...

Zunächst stand allerdings eine kleine Überholung und eine Zwangspause für Schiff, Mannschaft und Captain an. Scarf war zwar unbedingt der Meinung, dass ein solcher Umweg nicht von Nöten sei, aber ich schlug ihn kurzerhand bewusstlos und bekam dieses Mal sogar keinen Ärger von Bronson. Wahrscheinlich glaubte er Scarf im Fieberwahn oder ähnliches. Jedenfalls bekam der Captain strengste Bettruhe aufs Auge gedrückt und wir fuhren in den ersten Hafen ein, der keine Marineflagge gehisst hatte. Auch wenn wir unsere Jolly Roger zwecks Tarnung gegen eine normale Flagge der Royal Navi ausgetauscht hatten, so verriet uns der Kahn in gewisser Hinsicht doch. Kein englischer Captain würde jemals freiwillig mit einer solchen Touristenschaluppe kreuzen!

Scarf verblieb also an Bord unter der gestrengen Aufsicht des Quartiermeisters und ich verließ allein und frei das Schiff. Aus welchen undankbaren Gründen auch immer war ich mit allen möglichen Aufgaben bedacht worden, die ich nun in getreuer Vertretung des Captains und seiner rechten Hand erledigen durfte.

In Gedanken an meinen Kumpel, den gesprächigen John, versunken, führte mich mein erster Gang allerdings zu einer kleinen Kapelle. Eigentlich kein Ort, den ich normalerweise aufsuchen würde, aber irgendwie hatte ich das Bedürfnis um den alten Mann trauern zu wollen. Gut, es hätte jede Stelle getan um kurz an ihn zu denken und sich zu verabschieden, aber ich war mir verdammt sicher, dass mich in einem solchen Gebäude keine abergläubische Seeratte aus der Mannschaft antreffen würde.

Es war unerwartet heiß für diese Jahreszeit, der Schweiß ran mir den Nacken herab während ich die staubige, verlotterte Straße zur Kapelle entlang schritt. Es war eine kleine Hafenstadt wie so viele auf diesem von der Justiz alleingelassenen Flecken Erde, dreckig, heruntergekommen, volle fragwürdiger Gestalten. Mit der Hälfte hätte ich verwandt sein können. Man beäugte sich misstrauisch und ich fühlte mich mit einem Mal sehr heimisch.

Als ich die schwere, splittrige Tür der ungestrichenen Kirche jedoch aufzog, beschlich mich ein fremdes, nasskaltes Gefühl. Wie mit toten Fingern strich mir ein Schauer den Nacken und die Wirbelsäule herab. Da wo gerade noch Schweiß war, gefror mir die Haut augenblicklich und verwandelte sich in eine nervöse Gänsehaut. Kühle, mit abgebrannten Kräutern verseuchte Luft schlug mir entgegen und nahm mir kurzzeitig den Atem. Für einen Moment zögerte ich auf der Schwelle, fühlte mich merkwürdig falsch und verboten an diesem Ort. Dann aber kam die Erkenntnis, dass ich mich wie ein Idiot benahm. Immerhin war es nur ein Gebäude wie andere auch. Wahrscheinlich nur besser gebaut als die, die ich normalerweise betrat. Aber im Grunde genommen nur Steine, Holz und schlecht gemischter Mörtel.

Ich schnaubte leise, ärgerte über mich selbst. Einerseits war ich inzwischen zu genervt von dem ganzen Glaubenskram, aber ich hatte keine Lust klein bei zu geben und entschloss mich, das ganze Theater zu Ende zu bringen. Ich schalt mich ebenso abergläubisch wie diese Deppen auf dem Schiff, die sich vor ihrem eignen Schatten um Mitternacht fürchteten.

Mit einem Schritt durchbrach ich trotzig den Zauber des Gebäudes und trat ein. Die Kapelle war kühl, klein, schmucklos. Und leer bis auf eine einzelne Besucher ganz vorne in der allerersten Bank. Mir war ein wenig mulmig und ich fühlte mich in diesem Haus winzig und unwichtig, was mich nur weiter gegen den Humbug aufbegehren ließ. Trotz allem wollte ich eine kleine Kerze für den gesprächigen John entzünden und so ging ich den Gang mit einer Mischung aus Trotz und Ehrfurcht in mir. Mir war nie ein Glauben ans Herz gelegt worden, eine wahrhaft unnütze und hinderliche Sache für einen Piraten. Dennoch beeindruckte mich die intensive Atmosphäre gegen meinen Willen. Immer mal wieder nach links und rechts schauend, schritt ich nach vorn und verweilte kurz vor dem kleinen Altar. Nach einem formlosen kleinen Stoßgebet zugunsten des gesprächigen John entzündete ich eine Kerze und steckte sie in die dazu vorgesehene Halter.

Dann vernahm ich eine Stimme, so leise, dass ich unmöglich zu sagen vermochte, ob sie zu einer Frau oder einem Man gehörte.

„Du hast dein Schicksal nicht zum Guten beeinflusst. Du wirst Geschätztes verlieren.“

Ich wirbelte kampfbereit herum und sah mich dem anderen Kapellenbesucher direkt gegenüber. Kein angenehmer Anblick, muss ich da erwähnen. In das bläulich schimmernde, ebenmäßig geschnittene Gesicht hatte wohl ein Wahnsinniger eine Augenklappe eingenäht.

Unwillkürlich machte ich einen Schritt zurück, stieß dabei gegen den Kerzenhalter. Es schepperte laut, geistesgegenwärtig gelang es mir irgendwie das instabile Metallgerüst vor dem endgültigen Sturz zu bewahren. Zwei, drei Kerzen fielen zu Boden und erloschen zischend. Ein wenig auf Distanz konnte ich mehr von der merkwürdigen Gestalt wahrnehmen. Etwas größer als ich, von schmaler, zerbrechlicher Statur. Die Haare reichten beinahe bis zur Hüfte und schienen weiß zu sein. Dennoch war er oder es vielleicht zwei, drei Jahre älter als ich, obwohl seine seltsame Farbgebung und Stimmlage etwas anderes vermuten ließen. Instinktiv wägte ich meine Chancen bei einem Kampf ab, aber mich beschlich dabei kein gutes Gefühl.

Alles in allem schien mir der Typ, oder was auch immer es sein mochte, von einer sehr eigenartigen Gestalt, aber am erstaunlichsten war sein übrig gebliebenes Auge. Es war von einem stürmischen grau und die Pupille war wie ein Stern mit ungleichmäßigen Streben geformt. Ich erschauderte erneut und schüttelte beinahe benommen den Kopf.

„Wie bitte?“

„Du solltest den Weg nicht weiter fortsetzen.“

Ich blinzelte und versuchte das Gesagte einzuordnen.

„Ich verstehe, Bruder. Scheinbar hattest du heute schon etwas zu viel Weihrauch...“ Langsam wandte ich mich zur Seite, ließ vorsichtig den Kerzenhalter los und brachte etwas Platz zwischen mich und den Irren. Er folgte mir nicht, sah mich nur eindringlich an.

„Es ist nur ein Rat, aber du wirst eh sehen, was kommen wird.“

„Genau, ich werde es sehen!“ Als ob ich mir von irgend einem Spinner in ner Kirche was sagen lassen würde. Da hätte ich nicht mal meinen neunten Geburtstag erlebt.

Also nickte ich dem Kerl knapp zu und entfernte mich von ihm, wobei ich peinlich darauf achtete, ihm in keinem Fall den Rücken zu zu drehen. Er jedoch zuckte nur die Schultern und wandte sich in einer fremdartig klingenden Sprache murmelnd wieder dem Altar zu.

Ich hatte die Schnauze gestrichen voll von Wahnsinnigen und beschloss den weiteren Tag und die Nacht ganz bestimmt nicht zum Schiff zurück zu kehren und mir sehr, sehr, seeeehr viel Zeit bei meinen Erledigungen zu lassen.
 


 

Erneuter Auszug aus dem Tagebuch des Captain Scarf
 

Nachdem Marco mich schlafen geschickt hat, wache ich bei Sonnenuntergang völlig allein in irgendeinem von meiner Seite aus nicht eingeplanten Hafen auf. Schlecht für den Plan, gut für mich, ich kann mich endlich wieder ohne eine Amme bewegen. Und genau das plane ich auch im großen Format direkt umzusetzen. Mit einigen Schwierigkeiten schleppe ich mich aus dem Bett, mein Kopf hämmert nach Marcos letzter Attacke noch heftiger als zuvor. Aber dieses Mal hat er immerhin meine mal Nase verschont.

Das Ankleiden fällt mir erschreckend schwer und ich muss mir mit einem bitteren Nachgeschmack eingestehen, dass ich es nicht von Bord schaffen werde. Schon das Verlassen meiner Kajüte macht mich kurzatmig und als ich an der Treppe zum Deck stehe, scheinen meine Rippen meinen Brustkorb verlassen zu wollen. Die Schmerzen sind betäubend, störender ist nur noch das erneute bitterliche Kratzen in meinem Hals. Eine ganz fieser Hustanfall will sich gerade seinen Weg bahnen, als mich ein leises Schnarchen alarmiert. Ich bin also doch nicht so alleine, wie ich gedacht und gehofft hatte. Um unentdeckt zu bleiben, lasse ich einfach Husten und Atmen sein und lausche angestrengt. Nach dem sonoren Tenor zu urteilen, gönnt sich mein Quartiermeister eine kleine Pause. Auf Zehenspitzen bewege ich mich vorwärts, erklimme Stufe um Stufe in einem sich steigernden Wahn mangelnden Sauerstoffs. Mir ist auf der Hälfte der Treppe bereits völlig schwindelig, die letzten Stiegen ziehe ich mich nur noch mit letzter Kraft empor, als mir die Arme versagen. Mit einem nicht gerade leisem Poltern rutsche ich gut vier Stufen wieder herab, auf jede Stiege schlage ich schmerzhaft auf. Ein gepeinigtes Aufstöhnen bahnt sich seinen Weg aus meinem Mund, aber ich schlucke es verbissen. Bronson darf nicht aufwachen, ich will nicht wieder ins Bett gesteckt und bevormundet werden. Davon hab ich so die Nase voll, ich könnte ausrasten!

Beinahe panisch lausche ich nach dem Schnarchen meines Quartiermeisters, aber meine Ohren versagen ihren Dienst. Mir wird schwindelig, langsam trübt sich meine Sicht zu einer grauschwarzen Masse, mein Umfeld tarnt sich gut in einem dunklen Einheitsbrei. Da endlich dringt ein kurzes Aufschnarchen zu mir, welches einem besoffenem Seemann alle Ehre macht. Auf dieses Startzeichen hin will ich meinen Weg nach Oben fortsetzen, aber ich vermag meinen Arm nicht mehr zu heben. Entkräftet liege ich da auf den Treppen, spüre mich allmählich in eine Ohnmacht abtauchen. So langsam kenne ich mich damit aus, wie sich dieses eklige Gefühl in einem ausbreitet und ich weiß, mir bleiben nur noch wenige Sekunden zu Handeln. Aus purer Verzweiflung entwickeln sich neue Kräfte und ich schaffe es irgendwie mich die letzten Stufen ein zweites Mal empor zu schleppen.

Nach einem letzten Kraftakt bleibe ich halb auf das Deck gehievt erst einmal völlig erledigt liegen und muss mich beherrschen, nur ganz langsam einzuatmen. Doch schon der erste Atemzug löst letztendlich einen nie erlebten Anfall aus. Erst nach einigen Minuten kontinuierlichem, dicke Schleimbatzen produzierendem Husten komme ich mehr oder weniger wieder zur Besinnung. Auch wenn ich mir in diesem Moment nichts sehnlicher wünsche als tot zu sein, so heftig tobt der Schmerz in meiner Brust.

Schließlich höre ich auf mich selbst zu bemitleiden und setze mich langsam auf. Ich versuche die pochende Pein so gut es geht irgendwie auszublenden, aber einfach ist es nicht. Ausnahmsweise verfluche ich mich für den Geniestreich, Marco erneut provoziert zu haben. Mein momentaner Zustand stellt einfach ein zu großes Hindernis dar, welches ich nicht auszutricksen vermag. Zumindest mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln nicht.

Ich schleppe mich zur Reling und ziehe mich an dem splitternden Holz empor. Der Verband erweist sich erstmals als nützlich und beschützt mich vor neuen Verletzungen. Ich könnte mich über meinen schwächlichen Zustand schwarz ärgern. Jetzt endlich geht es zum interessanten Teil der Schatzsuche über und ich bin dermaßen ausgeschaltet, dass ich die Expedition vom Bett aus beobachten darf. Das verdammte Abenteuer geht an mir vorüber und alles, wirklich alles, was ich hinter mir gelassen habe, ist damit umsonst. Nicht gänzlich, bis vor ein paar Tagen war alles gut und schön und aufregend. Aber jetzt bin ich an einem Punkt, der mich hilflos sein lässt.

Die ganze Melodramatik um meine Person macht mich ganz weich und bescheuert in meinem Kopf. Für einen Moment überlege ich, ob ich mich nicht einfach ins Meer fallen lassen und damit Schicksal Schicksal sein lassen soll. Aber da kommt mein kleiner innerer Ehrgeiz und tritt dem Selbstmitleid gehörig in den Hintern. Noch eine Wunde mehr, ich armer Tropf.

Leise schnaubend hebe ich den Kopf und starre in das dunkle Wasser, welches träge und gleichförmig an die Seite des Schiffes schwappt. Ich ekle mich beinahe vor mir selbst, so wenig erkenne ich mich gerade in meinem Gejammere wieder. Das ist nicht mehr mein endloses dummes Gelaber, meine Gedanken nerven mich selbst. Und es wird Zeit, dass ich etwas unternehme.

Eine kaum sichtbare Bewegung im Wasser erregt meine Aufmerksamkeit, alarmiert starre ich im letzten Licht der untergehenden Sonne in die Wellen. Erst will ich an meinem Verstand zweifeln, glaube noch Nachwirkungen des Anfalls zu durchleben, aber was spricht gegen eine gepflegte Kommunikation mit einer Einbildung?

„Bist du uns gefolgt oder ist es ein Zufall, dass ich dich hier sehe?“

Ich lehne mich möglich bequem gegen das pieksende Holz, sofern mir das irgendwie möglich ist und lächle in die dunkle, nasse und schwappende Masse herab.

„Ich meine, wie viele Menschen sehen schon so jemanden wie dich? Und ich habe bereits gleich zum zweiten Mal die Ehre! Oder... irre ich mich vielleicht und ihr seht euch alle ähnlich?“

Die Sonne sinkt weiter, das Meer wird immer schwärzer. Umso deutlicher hebt sich der rote Schopf ab, der sich langsam aus dem Wasser erhebt, bis ich recht deutlich einen Kopf ausmachen kann. Aus der Distanz sind nicht unbedingt Einzelheiten zu erkennen, aber ich denke, dass ist auch ganz gut so. Der Meerjungmann, zumindest nehme ich an, dass es einer ist, immerhin war der Letzte einer und ich bin mir recht sicher, dass es sich um den Gleichen handelt, hat eine dunklere Färbung, schätzungsweise grün oder grau. Es ist nicht leicht auszumachen in der Dunkelheit. Seine Haarfarbe ist allerdings unverwechselbar, sie gleicht tanzenden Flammen auf dem Wasser. Seine Mähne ist lang und verdeckt wie eine Matte aus brennendem Tang die obere Hälfte des Gesichtes, nur eine beachtliche Nase teilt die rote Fläche. Die untere Hälfte des Gesichts scheint dagegen nur aus einem riesigen Mund zu bestehen, dessen Winkel ebenfalls irgendwo in den Vorhängen der Haare verschwinden.

Ich bin fasziniert von dem Wenigen, was ich sehen kann, so abstrus es auch aussieht. Leise seufze ich und schaue auf den mit den Wogen auf und absteigenden Kopf herab.

„Ich wünschte, du könntest mit mir reden... Ich würde so gerne wissen, ob an den Geschichten über dein Volk etwas Wahres dran ist.“

Ein kurzes Gurgeln ertönt und der Meerjungmann spukt einen Schwall Wasser gegen das Schiff.

„Aber natürlich! Wir wohnen alle in einem riesigen goldenen Schloss am Meeresgrund und feiern schillernde Feste mit allem Getier, was da kreuzt und fleucht. Nur ich darf nicht mehr zurück, weil ich meine wundervolle 28-Tonlagen-Singstimme für zwei Beine an eine fette Meereshexe verkauft hab.“

Ich blinzle perplex. Er spricht. Seine Stimme ist voll und tief, ein lauernder, sarkastischer Ton schwingt mit. Also scheint er Humor zu haben.

„Oh... das.. erhm... klingt dramatisch.“

„Ich kann nichts dafür, wenn Menschen so beschissen darin sind sich vernünftige Geschichten auszudenken. Mal ganz ehrlich, kein Meeresbewohner würde sich für einen Menschen so malträtieren.“

Ich muss erneut blinzeln und räuspere mich.

„Ah so...“

Ich bin zugegebenermaßen etwas sprachlos. So viele Geschichten mir meine Mutter auch über das Meervolk erzählt haben mag, dass sich einer von ihnen mit Menschen so trivial unterhält, davon war nie die Rede.

„Also, wie.. ist das Leben so unter Wasser?“

„Nass. “

„Ich verstehe. Und was treibt dich dann an die Oberfläche?“

Er schnaubt erneut und eine riesige Pranke von Hand hebt sich aus dem Wasser. Zwischen den langen dünnen Fingern spannen sich durchscheinende Schwimmhäute. Mit einem angewiderten Gurgeln klopft er gegen das Schiff.

„Dieser hässliche Schrottkahn hier hat es mir angetan. Ich bin euch gefolgt um dir einen Handel zu unterbreiten.“

Ich beginne zu strahlen.

„Wusste ich es doch, dass du der von früher warst.“

Er stöhnt leicht entnervt.

„Sehr gut beobachtet. Völlig unerwartet sehen meine Brüder und Schwestern recht individuell aus, besonders was die Färbung angeht. Ihr Menschen seid da recht eintönig, mein herzliches Beileid.“

„Nicht so schlimm, dafür haben wir einen Charakter.“

„Auch das tut mir sehr leid.“

Ich muss leise husten und runzle die Stirn.

„Du sprachst gerade von einem Handel?“

„Ja, ich will dein Schiff.“

„Das brauch ich aber noch, tut mir aufrichtig leid. Willst du nicht traditionell meinen Erstgeborenen haben?“

„Hmm, verlockend.“ Er scheint einen Moment zu überlegen. „Aber so lange machst du es eh nicht mehr.“

Seine Worte treffen mich härter, als ich es mir eingestehen will. Ich räuspere mich ausgiebig, was nur zu einem erneuten Hustenanfall führt. Ich muss würgen und spucke Schleim.

„Geht's noch?“

„Entschuldige. Ich hoffe, ich hab dich nicht getroffen.“

„Es war wirklich knapp. Das ist ja eklig!“

„War keine Absicht.“

„Ich weiß, sonst wärst du auch schon tot.“

Ich blinzle hinab in das dunkle Wasser, mit Verschwinden der Sonne ist mein Gesprächspartner dort unten immer schwerer auszumachen. Ein leichtes Misstrauen beginnt sich in mir zu regen, immerhin gibt es nicht nur nette Geschichten über Meerjungfrauen und Anhang.

„Ich nehme an, ich gehe Recht in der Annahme, dass du gefährlich bist?“

Etwas schlägt gegen das Schiff, ich vermute, es ist sein Kopf.

„So naiv. Ihr Menschenvolk seid wirklich verblüffend unbedarft. Natürlich bin ich gefährlich! Ich esse Menschen. Danke übrigens für die Toten, die ihr über Bord geschmissen habt.“

„Gern geschehen, denke ich.“ Auch wenn ich mir da nicht so sicher bin. „Wo hätten wir auch sonst die Leichen hin tun sollen?“ Es behagt mir dennoch nicht, dass der gesprächige John im Magen eines Fischmannes zersetzt worden soll. Ich beschließe diese Information für mich zu behalten, sie könnte Marco seelisch doch sehr belasten.

„Also bevor uns das Gespräch jetzt an einen Punkt bringt, an dem ich mich übergeben möchte: Was willst du von mir?“

Aus der Dunkelheit empor tönt ein leises, böses Kichern und er schnalzt vergnügt mit der Zunge.

„Ich will dein Schiff, wie ich schon sagte. Ich brauche es nicht jetzt sofort. Aber mir ist zu Ohren gekommen, dass du ein bestimmtes Abenteuer erledigen willst.“

In der Stimme des Meermannes ist ein gewisses Maß an Genugtuung heraus zu hören und ich beginne mich zu fragen, wie er genau an dieses Wissen gelangt ist.

Ich überlege meine nächsten Worte ausgiebig, denn so langsam reift in mir der Verdacht, dass selbst ich bei meinem tropfenden Gegenüber wohl auf der Hut sein muss.

„Du bist demnach erpicht darauf das Schiff zu übernehmen, sobald dieses Abenteuer beendet ist?“

„Nun, wenn ihr vorher alle abkratzt, hätte ich es auch gerne vor dem Ende der Misere.“

Ich runzle die Stirn, das alles erscheint mir doch etwas merkwürdig. Nicht, dass ich mit einem Menschen mit Fischunterleib verhandle, eher ist mir der Terminus und die Haken des Vertrages eine Beunruhigung wert.

„Nur, damit ich das alles richtig verstehe: Du willst mein Schiff, sobald ich es dir überlassen kann?“

„Richtig. Scheinbar bist du ja nicht ganz so stumpfsinnig wie gedacht.“

Ich reiße mich zusammen, immerhin kenne ich diese Art von Diskussion nur zu gut von Marco.

„Was mich nur daran verwundert ist der Umstand, dass es sich dabei scheinbar um ausgerechnet mein Schiff handeln muss. Was ist daran so besonders?“

„Es ist hässlich und kitschig.“ Der Meeresbewohner spricht es aus, als wäre dieser Grund eine omnipotente Antwort und ich schweige einen Moment verblüfft.

„Kein Geheimnis? Keine, hmm, versteckten Räume oder Rätsel oder so etwas in der Art?“

„Nichts dergleichen. Es ist einfach hässlich.“

„Ach so,“ murmle ich zugegebenermaßen etwas enttäuscht, stutze dann, da sich mir immer noch nicht der Sinn dahinter offenbart. „Und was ist so gut daran, dass es so einzigartig speziell ist?“ Denn hässlich ist es nun wirklich nicht, mein kleines Schiffilein. Nur marode, schlecht eingerichtet und undankbar verschnörkelt. Aber hässlich ist ein so böses und niederschmetterndes Adjektiv, sogar für ein Schiff.

„Niemand käme auf die Idee mich in so einem Ding zu suchen“, bekomme ich als trockene Antwort.

„Klingt einleuchtend. Du wirst gesucht? Bist du etwa ein Verbrecher?“

„Verbrecher, Mörder, Verräter meines gesamten Volkes, such dir was aus.“ Sein Ton klingt gelangweilt, jedoch glaube ich einen merkwürdigen Unterton mitschwingen zu hören, welchen ich aber nicht einzuordnen vermag. Ist es Wut? Oder eventuell gar Trauer?

„Nun, jedenfalls klingt es nicht unbedingt nach einem vertrauenswürdigem Geschäftspartner. Ich habe auch noch kein Gegenangebot vernommen oder wird es eine Sache von wegen, überlasse mir das Schiff oder du bist tot?“

„Nein,“ tönt es leicht angefressen empor und ich stiere tiefer in die mittlerweile absolute Schwärze. „Nein, das ist ja das Dumme dabei, dass kann ich nicht. Das Meervolk ist an gewisse Regeln gebunden, wenn es um Tätigkeiten an der Oberfläche geht. Bis auf Menschen können wir nichts gegen den Willen der Besitzer entwenden, daher brauche ich deine Zusage, großer Captain.“

Interessant. Ich lausche mit spitzen Ohren.

„Dein Gegenangebot ist also?“

„Ein Heilmittel.“

Mit einem Mal höre ich nichts mehr. Das Rauschen des Meeres ist verstummt, die lallenden Gesänge der besoffenen Seemänner werden nicht mehr vom Hafen zu mir rüber getragen. Meine Stimme liegt brach.

„Ein... ein Heilmittel?“

„Ich kann es dir gerne pantomimisch darstellen, aber dazu müsste ich aus dem Wasser kommen und du solltest niemals einem Meermenschen an Land begegnen wollen, es sei denn, du willst einen Vertrag mit ihm abschließen.“ Er seufzt tief und lange harte Krallen kratzen gemütlich über das Holz des Schiffes. „Aber ja, ein Heilmittel. Es kann dich nicht wieder komplett herstellen, aber die Knochenbrüche sollten nach der Einnahme innerhalb weniger Stunden verheilt sein. Dein Husten jedoch...“ Er bricht ab.

Aber was habe ich auch Anderes erwartet? Wunder fallen schließlich nicht vom Himmel, da muss man sie nehmen, wie sie kommen. Daher gibt es auch nicht viel zu bedenken, der Entschluss steht fest.

„Gut, einverstanden. Dein Heilmittel gegen mein Schiff, wenn wir den Schatz gefunden und geborgen haben. Aber erst, wenn ich das Abenteuer als abgeschlossen betrachte, nicht vorher.“

„Du bist vorsichtig.“ Der ominöse Besucher im Wasser schmollt ziemlich offensichtlich. „Kommst wohl aus dem Gewerbe, hmm?“

„Mein Vater. Nicht ich. Ich bin ein einfacher Piratencaptain.“

„Natürlich.“ Das Rollen der Augen hinter der roten Haarmatte ist quasi zu hören.

„Das ist dann der ganze Vertrag?“

„Scheint ganz so. Ziemlich simpel, wenn man drüber nachdenkt. Wenn du mir dein Einverständnis gibst, werde ich meinen Teil der Vereinbarung sofort einlösen.“

„Soll ich dir einen Eimer oder so etwas runter lassen?“

„Und wozu soll das wieder gut sein?“

So langsam beginne ich am Verstand des Anderen zu zweifeln.

„Nun, damit du mir das Wundermittel geben kannst.“

„Sag einfach: 'Ja, ich bin einverstanden' und den Rest regele ich.“

„Ja, ich bin einverstanden.“ Und an dem meinigen Verstand zweifle ich von Minute zu Minute mehr.

Erst recht, als ich das Kratzen höre. Einen ungläubigen Blick über die Reling werfend, wird mir klar, dass der Meermann sich aus dem Wasser am Holz des Schiffes emporzieht. Mit bloßen Fingern, oder Schwimmhautkrallen...dingern...teilen, was auch immer.

Es ist zu dunkel um etwas Genaueres erkennen zu können, aber ich vermag so gerade eben Silhouetten ausmachen zu können. Mein unsympathischer Besucher hat erschreckend viel Kraft und mir fällt siedend heiß ein, dass Bronson meinen Degen beschlagnahmt hat um mich von körperlicher Betätigung abzuhalten. Mir wird ziemlich flau im Magen, langsam trete ich von der Reling zurück. Ich überlege zu fliehen, aber Rennen ist mir in meinem Zustand unmöglich und so schnell, wie sich das merkwürdige Wesen dort empor wuchtet, habe ich kaum eine Chance auch nur die Hälfte des Decks an Abstand zu gewinnen. Allen Überlegungen zum Trotz legt sich schon eine nasse Hand an die Reling, während ich nun eher instinktiv zurück taumle. Eine unbestimmte Angst lähmt meine Gedanken, macht mich handlungsunfähig und ein eiskalter Schauer nach dem nächsten jagt mir die Wirbelsäule herab. Alles in mir schreit und drängt mich los zu laufen, zu fliehen, möglichst viel Abstand zwischen mich und das Verderben zu bringen, aber meine Glieder sind wie gelähmt.

Und dann steht er vor mir. Ungläubig wandert mein Blick zu seinen Füßen, zwei nasse grünliche Füße mit Schwimmhäuten zwischen langen Zehen. Und die Füße gehen über in zwei lange Beine, denen mein Blick folgt. Den Teil zwischen Knien und Hüfte lasse ich aus, aber es ist offensichtlich, dass der Meeresbewohner die Statur eines normalen Mannes hat. Erstaunlicherweise kein Fischschwanz, er hat tatsächlich Beine. Auch wenn sie grün sind.

In meinem Kopf beginnt es protestierend zu summen, als ein heiseres Lachen den Tumult in meinem Schädel unterbricht.

„Du siehst ein wenig fassungslos drein, mein Lieber. Hast du etwas Anderes erwartet? Mehr Flossen vielleicht?“

Ich bekomme keine Worte zustande, nur ein schwaches Nicken. Ich will noch immer weg von hier, raus aus der Reichweite der riesigen nassen Hände mit der tödlichen Kraft.

Der Kerl ist riesig, er überragt mich um gut einen ganzen Meter. Er trägt nichts an seinem Leib, nur eine Kette mit einem kugeligen Anhänger baumelt an seinem Hals. Der grünliche, durchtrainierte Körper ist mit zahllosen teils nur halb verheilten Narben übersät und aus jeder Pore schreit es mir entgegen, dass ich einem Krieger, einem nassem, übermächtigem Todesbringer gegenüber stehe.

„Oh, keine Sorge. Ich hab dir gesagt, du solltest einem Meermenschen nie ohne einem Vertrag gegenüber stehen. Aber wir haben einen. Es würde mir nichts bringen dich nun zu töten. Du hast also noch einmal Glück gehabt.“ Er zuckt die gewaltigen Schultern und das Spiel seiner Muskeln löst eine erneute Welle von hilfloser Panik in mir aus.

Ich versuche erneut zurück zu taumeln, aber meine weichen Knie versagen mir ihre Dienste und so sinke ich wenig tapfer auf meinen Hintern. Ich fühle mich erbärmlich von meinem Schneid verraten, normalerweise überschlägt sich mein Hirn in Gefahrensituationen mit irrwitzigen Beiträgen. Aber dieses Mal nicht, dieses Mal lässt es mich in einer Wüste summender panischer Leere im Stich.

„Wenn du dich gleich einnässt, überlege ich es mir eventuell doch noch anders. Das ist ja erbärmlich!“

Die Verachtung des merkwürdigen Kerls trifft mich tief. Ich habe diese Worte in diesem Tonfall schon zu oft gehört, zu oft einfach versucht zu verdrängen. Aber ich habe meinem Vater die Stirn geboten, ich habe ihn und seine dämlichen Prinzipien für Recht, Geld und noch mehr Ehre um die Ecke gebracht. Und das habe ich nicht getan um mich von diesem... diesem Monster genau so behandeln zu lassen.

Der Trotz in mir vermöbelt innerhalb von Sekunden die Panik und ich starre empor, bereit mein Schicksal anzunehmen.

„Ich habe mich wieder gefangen.“

Das Wesen aus dem Meer grinst und entblößt dabei eine Reihe spitzer, langer Zähne.

„Beeindruckend. Die meisten Menschen winden sich wimmernd und zuckend in ihrer eigenen Pisse wenn sie unsereins begegnen. Instinkte, du verstehst?“

Er zuckt die breiten grünen Schultern, ein seltsam buntes Blitzen und Glitzern leuchtet dabei unter seinen Haaren hervor.

„Du meinst so ähnlich wie bei, ähm, wie bei einem Raubtier?“

„Nein, gänzlich genau so wie bei einem Raubtier. Ich bin eines, bitte beleidige mich nicht.“

„Natürlich, entschuldige vielmals.“ Irgendwie schaffe ich es mich wieder aufzurappeln und kaum habe ich mich wieder im Griff, beginnt mein Kopf auch wieder mitzuspielen. Ein ungemein beruhigendes Gefühl, muss ich doch wahrlich einräumen. „Nun denn, Mister Raubtier...“

„Gil“, unterbricht er mich mit einem unwilligen Knurren. „Mein Name lautet Gil.“

„Oh, sehr hübsch. Weiter im Text.“ Immer diese Unterbrechungen. „Ich fordere also meinen Part der Abmachung ein und verspreche hiermit feierlich, dass du das Schiff bekommst, wenn der rechte Zeitpunkt gekommen ist.“

„Das hoffe ich doch sehr, sonst muss ich leider alle fressen, die dir lieb und teuer sind. Und glaub mir, ich kann deinen Geruch noch an Orte verfolgen, an denen du vor Jahren warst.“

„Ich stinke nicht!“ Langsam aber sicher werde ich doch etwas sauer.

„Zumindest nicht mehr als jeder andere Mensch.“ Der sogenannte Gil winkt ungeduldig ab und streicht sich eher beiläufig die Haare aus dem Gesicht.

Mir stockt erneut der Atem. Ich erhasche nur für eine Sekunde den Blick auf seine Augen, aber die winzig kurze Zeit reicht, damit meine arme Seele sich vergewaltigt fühlt. Mein Herz rast wie auf der Flucht und ich versuche den alles durchdringenden Blick aus diesen Raubtieraugen irgendwie wieder zu verdrängen. Giftgrün, mit einem unregelmäßig gezackten Stern um die Pupille. Böse, wie der alte Gott selbst.

„Wenn wir das geklärt haben,“ meine Stimme kiekst und ist vor Schreck hoch wie die eines Chorknaben, sodass ich mich zunächst gründlich räuspern muss. „wenn wir das also geklärt haben, dann können wir weitermachen, richtig?“

Der grüne Mann nickt, hebt seinen Arm an seinen Mund und beißt ohne zu zögern knapp unterhalb seines Handgelenks hinein. Mir dreht sich der Magen um als ich Haut, Sehnen und Fleisch reißen höre, aber er streckt den stark blutenden Arm von sich ohne eine Miene zu verziehen.

„Einen kräftigen Schluck trinken, das ist alles.“

Ich sehe ihn entsetzt an, meine Stimme piepst erneut.

„Von... deinem Blut?“

Er schüttelt nur den Kopf, als hätte er diese Reaktion erwartet und seine unverletzte Hand schnellt auf mich zu, reißt mich an ihn heran und bevor ich schreien kann, presst er mir die Wunde in den Mund. Ich kann gar nicht verhindern, dass mir die heiße, merkwürdig nach Gras schmeckende Flüssigkeit die Kehle herabrinnt. Und mir mit einem Schlag die Sinne raubt.
 


 


 

Randbemerkung:

Was macht man, wenn einem der Hauptcharakter unter der Feder wegstirbt?

Richtig. Tief in die Märchenkiste greifen!

In diesem Sinne: Allen einen frohen Nikolaustag! Yohohoooo!



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Kommentare zu dieser Fanfic (44)
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Von:  Captn
2010-12-12T17:43:11+00:00 12.12.2010 18:43
Arrrrr!
jetzt habe ich es auch endlich gelesen. >__<
Ein Kapitel voller Meerjung...männer.
Leicht verwirrend. Aber ich finde es gut, dass Scarf vor dem Rotschopf Angst hat (Er hat ja doch einen Überlebensinstinkt!).
Und jetzt ist er unter die Vampire gegangen.... Er wird sich nirgendwo mehr anschleichen können, weil man ihn meilenweit glitzern sieht. xD
Jetzt müsste eigentlich Marco auftauchen, das würde Marco sicher zutiefst verstören.
Hmmmm, wenn Scarfs Husten nicht mal mit Meermannblut geheilt werden kann, dann muss es ja was furchtbar ernstes sein.... Lungenkrebs? Zu viel geraucht? Loch inna Lunge?

Argh, jetzt ist die Schatzkarte entschlüsselt, und ich weiß immernoch nicht wie >___<.
Spätestens wenn sie aktiv auf Schatzsuche sind musst du es aber den Lesern verraten!

Das Gespräch zwischen Scarf und dem Fisch-Typ fand ich übrigens sehr gut, eine schöne Szene. Bravissimo!
Von: abgemeldet
2010-12-07T18:09:47+00:00 07.12.2010 19:09
Yaaaaay, neues Kapitel!
*abfeier*
Diese... "Gestalt" in der Kirche ist furchteinflößend. Aber cool dabei ist, dass Marco sich - trotz seiner Meinung dass alles seinen festen Nutzen haben muss - in die Kirche begibt.
Scarf ließ mal wieder ein bisschen die Dramaqueen raushängen~ sehr schön, wie auch sonst; Scarf ist kein Mann für's Piratenleben, aber genau deswegen ist der Charakter so toll!
Letztendlich dieser ... Arielle-Mann, der ist wirklich faszinierend, vor allem die sarkastische Ader~
ich könnte das ganze Kapitel zusammenfassen; ich mag diese Story einfach so furchtbar gerne ^^°
- deswegen: auf neue Kapitel freue ich mich mööörderdooooll!
lG ^^
Von:  Captn
2010-09-21T22:03:59+00:00 22.09.2010 00:03
ARRRRRR!

Ich werde meine Karten auf den Boden werfen und hoffen, dass ich die gleiche Epiphanie bekomme wie Marco! >___<
Rabs hat auch schon ne Kopie bekommen, und zusammen werden wir die Karte entziffern!

Aaaawwwww, Marco hat ein schlechted Gewissen. Endlich haut er Scarf nicht mehr für jeden Satz, den er sagt.
Mal ehrlich, manchmal ist diese "WIr verprügeln Scarf bis ihm alle Knochen brechen"-Sache ein biiiisschen übertrieben.
Ich mag die Athmosphäre, die gerade so herrscht x3.
Ey, riechen nicht auf hoher See in einem Schiff voller Ungewaschener Seemänner ALLE irgendwie ziemlich übel und nach Fisch?
Wo is da der Unterschied, wenn man mal tatsächlich ins Wasser springt?
Dann riecht man doch genauso, wie vorher...

Aber schön, dass Marco besser im Rätselknacke ist, als Scarf. Juhu, er ist zu was nütze! xD

Von:  Captn
2010-05-17T19:52:58+00:00 17.05.2010 21:52
JOOOOHN! ;_______; NOIIIIN!
Wie soll ich denn ohne den gesprächigen John weiterleben???
Mensch, diese Dramatik in dem Kapi.....
...Also, dieses mal dachte ich wirklich, das Marco es doch ein bisschen sehr übertreibt mit seinen Gewalltausbrüchen.
Und Scarf braucht bessere Flucht und Ausweich-Reflexe. U_U
Wo ist denn die "Stille Ecke" des Schiffes? xD
Aber ich finde, Marco müsste eher mal in die "Wuthöhle".
Ihhhhh. jetzt haben die nach Nach-hilfe-Beziehung >__<.
Du weißt doch, welches Genre von Nachhilfe-Geschichten nur so lebt, Mann!
xD Das machst du doch extra!

Da bin ich mal gespannt, wie die zwo das endlich schaffen werden, die Karte zu entziffern.

Schreib weitaaaaaa! Jetzt haste Urlaub, looooos!


Von:  Captn
2010-05-15T22:20:19+00:00 16.05.2010 00:20
NOOOOIN, ich habe es immer noch nicht gelesen ;____;
Aber dafür hab ich das erste Kapitel-Kommentar! >__<
Das Schicksal hat etwas gegen dieses WOchenende......
Mon Cherrie, isch werde disch nischt vergessen....bald bischt du moi!
Von: abgemeldet
2010-03-10T18:06:18+00:00 10.03.2010 19:06
Haaa, gefunden. Ich sitze hier schon seit mind.10 min und versuche das Ding zu finden wo man die Kommentare schreibt.

Also, als erste, es geht doch weitr oder?! Bitte, bitte, bitte ja!
Die Geschichte is so geil.
Ich kanns garnicht beschreiben, aber sie übertrifft FdK in Humor, skurrilität, Fantasie, blutrünstigkeit, Charakteren usw bei weitem!!!

Ich bin seit deiner Geschichte totaler Piratenfan geworden.

Übrigens ist Scarf so heiß, ich musste mir erstmal einen neuen Schal kaufen ^^

LG
Von:  Captn
2010-02-16T00:12:17+00:00 16.02.2010 01:12
"Rum oder Scarf. Beides hatte einen schalen Nachgeschmack."
*prust* wie kannst du nur so einen Satz am ende eines Kapis bringen, da kräuseln sich ja all meine Homo-Sinneszellen.

Marco wird tatsächlich immer ausgeglichener. Hat er sich einfach mit Scarf abgefunden, oder haben seine Therapiestunden beim Gesprächigen John auf dauer Früchte getragen?
Ha! Du Klischee-Tante! Also echt, Tattoo als Schatzkarte, zezeze....
Aber schöne Idee mit dem Po.
Ich dachte ja im ersten Augenblick, das es vielleicht mal sinn gemacht hatte, als er Fünf war. Und das sich dann nach seinen Wachstumsphasen das Bild so merkwürdig verzerrt und ausgedehnt hat, dass es jetzt keinen sinn mehr zu ergeben scheint...
Also Muss Marco jetzt versuchen, Scarf Arsch- und Rückenbild an den richtigen Stellen wieder zusammenzufügen...na, davon ist er bestimmt wahnsinnig begeistert....
xD
Find ich schön, das du Robbääääär ausgesetzt hast xD. Der wär eh bei der nächsten Seeschlacht hopps gegangen oder hätte alle verraten oder so. Ich trau dem Blach nich...


Von:  Captn
2009-12-05T20:00:12+00:00 05.12.2009 21:00
SOoooooo, fertig!
Oooch, wie süß, Scarf hat n kleinen nervigen Kumpanen gefunden. xD
Jetzt können sie zusammen in trauter Zweisamkeit von Marco verprügelt werden.
Ey, Üsch hab ne Frage: Wenn der Typ Franzose ist und Robert heißt, wie spricht man das dann aus? Röbääähr'? Ich hoffe nich...
ABer Scarf ist in diesem Kapi leiiiiiicht tuntig rübergekommen. Vielleicht noch überreste der schwulen Kleidung des lezten Kapis?
Das "Ich sehe was, was du nicht siehst"-Spiel war süß. Lang lebe der verrückte Sven!
Er erinnert mich an Herr Riebmann (diesen Typen da, der in der Wand wohnt).....
Hmmm, Scarf braucht einen Zeichner an Bord? Was hat er vor, siene Lebensgeschichte als Grafic Novel niederzuschreiben? xD
Oder nein, lass mich raten, er will einen Schatz auf einer wahnsinnig schwer zu erreichenden Insel verbuddeln und braucht jemanden, der eine hübsche Schatzkarze zeichnen kann!
Oder er will seine gesegelte Rute auf eine rgroßen, selbstgemalten Karte haben....
Ist es überhaupt irgendwas mit na Karte? xD
Hach, ich mag die beziehnung von Scarf und Marco...die sind wie zwei kleine, flauschige Kätzchen...
ARKSSSSSS!!!!
*gerade von Marco an die nächste Wand gekickt wurde*
Ich gebe zurück in Studio...
*gargel*
Von:  Captn
2009-12-05T14:29:27+00:00 05.12.2009 15:29
ALta.... xD Ey, ich geh so getsern auf die Fanfic, sieh nur
"Oh, das letze Kapi hat schon n Kommi, dann hab ich das ja schon gelesen, Böh, dann muss ich wohl noch n bissl auf die Freischaltung vom nächsten Kommi warten >_<"
XDDDDD Altaaaaaaaaaaa
Kija, also wirklich, wegen dir musste ich einen Tag lang zum lesen warten!
Schäm dich zutiefst! xD
Jetzt muss ich aber trotzdem erst merlin gucken und NUV heute abend lesen.....
Von:  James
2009-12-04T19:17:22+00:00 04.12.2009 20:17
scharf is auf drogen na na na na na naaa......
gil is hamma. ,,I,,


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