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In jeder Zeit der Welt

Was die Zeit nicht alles ändert...
von

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Vergangenheit

Mein Name ist Jojo

ich bin 16 Jahre alt,

und werde Moment von meiner etwas leicht nervenden

15 Jahre alten Adoptivschwester Emily,

ich könnte sie auch als meine beste,

beziehungsweise einzige Freundin bezeichnen,

durch die Stadt gezogen.

Von einer Schwester die ich nicht will,

einer Freundin die ich nicht brauche,

in einem Leben,

das von Anfang an dazu verdammt war,

scheiße zu werden!

Mit einer Vergangenheit,

die man nur als beschissen

und nicht erwähnenswert bezeichnen kann,

einer Gegenwart,

die von Ungläubigkeit,

Hass, Wut und vor allem Verdrängen,

geplagt ist.

Und einer Zukunft,

die auch nicht viel besser aussieht!

Also Alles in allem,

einfach Scheiße gelaufen…

Bei der Vergangenheit als Grundlage?

Konnte es ja nicht anders kommen!

Ich möchte euch jetzt die Chance geben,

einen Einblick in mein Leben zu bekommen!

Viel Spaß dabei!
 

Euer Jojo
 


 

„Verdammt, warum schleppst du mich denn auch hier her? In dieses Haus, das ich noch mehr hasse als alles andere auf der Welt?“ Wütend schnaubte ich meine beste Freundin an.

Sie wusste es.

Sie wusste es verdammt noch mal seit sie mich kennt!

Sie wusste wie ich es hasste hier zu sein, die Überreste meines wahren „Lebens“ zu sehen. Ich wollte nicht hier sein. Hier wo alles ein Ende nahm.

Alles was mir mal wichtig war.

Es war nun fast acht Jahre her, dass es geschehen ist, ich war jetzt so alt wie er damals, sechzehn, aber ich konnte mich noch genau daran erinnern, als wäre es erst gestern gewesen.

Als wäre es erst gestern gewesen, dass ich ihn gehört hatte, seine Stimme, sein Lachen. Fast acht Jahre, in denen ich mich nicht mehr so geborgen gefühlt hatte, so willkommen, einfach so geliebt.
 

Der Tag hatte begonnen wie jeder andere.

Ich war aufgestanden, hatte mich fertig gemacht und war runter in die Küche gerannt, wo auch schon das Frühstück bereit stand.

Meine Mutter versuchte zwar immer mich zu belehren, dass ich schon irgendwann sehen werde was das pappsüße ´Zeug´, wie sie es immer nannte, das ich in mich hinein fresse, mal aus mir machen wird. Doch da meine Statur schon jeher eher zierlich gewesen war interessierte mich das nicht sonderlich. Welcher Achtjährige würde sich schon freiwillig das Nutella verbieten lassen und gegen so etwas Gesundes wie Äpfel eintauschen?

Äpfel, wenn ich das schon höre könnte ich kotzen.

Wer isst denn freiwillig so einen Schrott?
 

Emily packte mich an meinem Handgelenk und zog mich mit sich. „Komm schon Jojo du musst damit abschließen! So kann es doch nicht weiter gehen! Ich kenne dich seit dem Tag nach dem das Ganze geschehen ist und du warst seitdem nie glücklich! Ich würde dich so gerne lachen sehen! Nur einmal! Bitte lass uns da jetzt rein gehen und dann kannst du vielleicht endlich alles vergessen! Bitte, tu es für mich!“

Emily war nicht nur meine beste Freundin, nicht nur jemand mit dem ich reden konnte, auf den ich mich eigentlich verlassen konnte, nicht nur irgendein Mädchen das zweifellos total in mich verknallt war, nein sie war auch die 15-jährige Tochter der Familie die mich aufgenommen hatte, nachdem das alles geschehen war.

Das... wo wir wieder beim Thema wären.
 

Na ja, auf jeden Fall ging dieser perfekte Morgen dann weiter, indem mein Bruder Jordan den Raum betrat.

Er war acht Jahre älter als ich und ich bewunderte ihn schon seit ich denken konnte. Immer wollte ich so sein wie er. Und ich war stolz, dass ich solch einen Bruder hatte, der sich soviel mit mir beschäftigte.

Okay mag sein, dass er keine andere Wahl hatte. Wer hätte es denn sonst tun sollen? Mein Vater? Der jeden Abend betrunken in der nächsten Kneipe lag und auch sonst nur schrie? Die Person die ich am meisten fürchtete? Also bitte, wir wollen es ja nicht übertreiben. Solche Personen sind eigentlich kein Umgang für jemanden in meinem damaligen Alter.

Und meine Mutter? Mh… war wohl ein hoffnungsloser Fall, würde ich sagen. Mein Vater ging zwar zur Arbeit und verdiente dort auch eine Menge, doch da er sich wirklich jeden Tag den Luxus leistete sich in einer der teuersten Kneipen zu besaufen blieb davon am Ende nie viel übrig deshalb musste meine Mutter sieben Tage in der Woche arbeiten und hatte nur sehr selten Zeit für mich oder meinen Bruder.

Also blieb ja nur noch Jordan übrig der sich um den „Kleinen“ kümmert. Mir fällt erst jetzt auf, dass er keinen hatte zu dem er hätte kommen können wenn er ein Problem gehabt hätte.

Ich konnte immer zu ihm egal zu welcher Zeit, egal ob es war, weil ich wieder einen Albtraum hatte oder eine schlechte Note, vielleicht auch nur, weil ich mir wieder irgendeine Ausrede überlegt hatte um bei ihm zu sein. Ich habe ja schon erwähnt, ich bewunderte ihn und nicht nur das, es bedeutete mir so viel bei ihm zu sein, denn er war der einzige der mir je gezeigt hatte, was es heißt, wirklich geliebt zu werden. Ihr wisst schon, so auf brüderliche Art eben!
 

Wieder wurde ich in die Gegenwart zurückgeholt als ich ein Schluchzen hörte. Ich blickte auf und sah in Emilys große runde glitzernde Kulleraugen, die wirklich jedes Herz zum erweichen gebracht hätten. Ich weiß, diese Beschreibung klingt jetzt eher nach der irgendeines Tieres, aber es ist wirklich so ihre Augen waren eindeutig Kulleraugen GROßE RUNDE Kulleraugen! Ich könnte schwören, dass sie in ihrem nächsten Leben einmal irgendein Tier werden wollte, auf das alle zeigen und wie wild schreien SÜÜÜÜÜÜßßßßß! Das würde wirklich zu ihr passen und sie würde es auch in vollen Zügen genießen, wenn alle sie anhimmeln würden. Nur leider hatte sie mit dieser Masche bei mir keine Chancen mehr. Denn nach fast acht Jahren Dackelblick wirkt er irgendwann einfach nicht mehr. Schließlich zog sie nur noch beleidigt einen Schmollmund. „Jojo, ich weiß ich bin nicht dein Bruder und ich bin mir auch dessen bewusst, dass du mir nicht so vertraust, nicht mal nach all der Zeit. Aber lass mich doch verstehen, ich will dir nur helfen. Ich will doch nur verstehen. Verstehen was geschehen ist. Was man dir angetan hat! Du bist der einzige, der es weiß. Keiner außer dir weiß was passiert ist… Bitte teil doch dein Geheimnis mit mir!“…

Geheimnis... wieder eines der Stichwörter, wie so viele andere an diesem beschissenen Tag, die mich an die Vergangenheit erinnern... die die Erinnerungen zurückholen, die ich all die Jahre so mühsam verdrängt und weg geschlossen hatte…
 

Geheimnisse… jah wir hatten so viele Geheimnisse miteinander und soviel Zeit miteinander verbracht. So oft miteinander gelacht, so oft mit einander geweint. Er war für mich meine Familie. Ich hätte ohne Mutter leben können, ohne Vater, die beiden habe ich sowieso so gut wie nie gesehen, aber nicht ohne ihn!

Wenn ich mich so zurückerinnere, hatte ich eine doch recht unbeschwerte Kindheit. Denn egal was war, er hatte mir immer Trost gespendet und mich aufgefangen. Ich hatte in der Schule nie wirklich viele Freunde. Anfangs ja, doch als die Eltern erfuhren, wer ich war und das mein Vater der „Irre“ war, der immer Terror machte, weil er zu betrunken war um noch klar zu denken, wurde kurzerhand den Kindern der Umgang mit mir verboten.

Ich wurde abgekapselt von der Bevölkerung, ohne es zu merken und ohne zu wissen warum, ohne selbst Schuld daran zu sein.

Jordan hingegen hatte da lange nicht so viel Glück. Er tat alles um mich zu beschützen. Alles, damit ich nicht merkte, wie viele Probleme es in unserer Familie gab.

Es waren nicht nur Geldprobleme, oder dass der Haussegen an einigen Tagen verdammt schief hing. Es war die Tatsache, dass mein Vater immer mehr begann sich zu betrinken. Seine Rauschzustände immer schlimmer wurden. Und was das Schlimmste war, er immer häufiger jemanden suchte, dem er an diesen Tagen die Schuld daran geben konnte.

Anfangs war es meine Mutter. Sie war schon immer eine zierliche Frau, die sich nicht traute etwas gegen ihn zu sagen oder gegen ihn die Hand zu erheben.

Ich glaube bis zum Ende hatte sie immer noch gehofft, dass es wieder so wird wie früher.

Doch das wurde es nicht… aber das begriff sie erst, als es längst zu spät war.

Und als sie es begriff stellte sie sich blind. Immer wenn sie das Grölen ihres Mannes auf der Straße vernahm schickte sie uns schnell in unsere Zimmer und bat uns darum leise zu sein; auch sie selbst legte sich dann in ihr Bett und tat so, als würde sie schlafen.
 

Ich seufzte, hatte ich mir nicht geschworen nicht weiter darüber nach zu denken?

Hatte ich nicht beschlossen, dass es besser wäre nie wieder daran zu denken?

Ich war noch nie ein Mensch gewesen, der sich gerne an Regeln hält aber warum denn nicht mal an meine eigenen? Ich hatte sie doch selbst so festgelegt um mich zu schützen.

Ich blickte auf Emily, die mein Handgelenk noch immer fest umschlossen hielt. „Kommst du jetzt freiwillig mit oder muss ich dich auch noch tragen?“ langsam schlich sich ein genervter Unterton in ihre Stimme. Ich wusste, dass sie das alles nur für mich tat, aber war ich denn wirklich schon bereit dafür?

Langsamen Schrittes ging ich schließlich auf das Gartentor zu und öffnete es.

Es quietschte immer noch, nach all den Jahren. Naja okay, es ist auch unwahrscheinlich das es irgendjemand geölt hatte, wenn das Haus doch seitdem leer stand.

Ich wusste nicht mal, ob es von jemandem ausgeräumt worden war, oder ob noch alles so war wie ich es in Erinnerung hatte.

Ich blickte über das verwahrloste Grundstück und begutachtete das Haus.

Doch mein Blick blieb an einem Fenster hängen… mein altes Zimmer.
 

An einen Vorfall konnte ich mich noch genau erinnern... damals war ich sieben oder vielleicht gerade acht Jahre gewesen. Es war also etwa ein Jahr vor der Katastrophe. Meine Mutter hatte schon lange das Warten aufgegeben und sich auch nicht mehr schlafend gestellt. Sie hatte eine neue, ´bessere’ Methode gefunden unserem Vater, ihrem Mann, aus dem Weg zu gehen. Schlaftabletten!

Jeden Tag schluckte sie einige von den weißen Tabletten und wenn es besonders schlimm war und sie extrem große Angst hatte sogar mit Wein, sodass sie noch schneller wirkten.

Wie sie zu der Zeit aussah? Schrecklich einfach grauenvoll!

Jetzt nichts Falsches denken, ich hatte nichts gegen das Aussehen meiner Mutter… ich fand schon immer dass sie eine recht attraktive Frau war. Schon immer etwas blasser als die anderen... schon immer etwas dünner, zierlicher. Aber verdammt hübsch mit ihren mandelförmigen warmen dunkelbraunen Augen und dem ebenholzfarbenen Haar, das ihr Gesicht immer leicht umspielte. Es passte einfach alles an ihr.

Doch nach dem sie damit angefangen hatte die Tabletten zu nehmen, wurde sie noch bleicher, ihre Haut nahm eine geradezu unnatürliche Farbe an.

Ihre Augen wurden immer mehr unterlaufen, immer röter wurde der Ton darunter und das Strahlen wurde immer weniger, bis es irgendwann ganz erloschen war. Ihre seidig glänzenden Haare wurden stumpf, matt und sahen kaputt aus. Ihre zierliche Figur wurde einem Skelett immer ähnlicher. Und auch das warme herzliche Lachen verschwand schließlich… sie sah aus wie eine Irre, wenn man es sich so recht überlegt... aber wie sollte man auch nicht irrewerden, bei solch einem Mann? In der ständigen Angst wieder geschlagen zu werden? Mit einem Mann, der nur Probleme machte, einem Job der nicht viel Geld brachte, einem älteren Sohn, der auf sie einredete sie solle ihn endlich verlassen und einem kleinen Kind, das von all dem nichts wissen durfte…

Es durfte nicht… wusste es aber doch…
 

Mein Blick wanderte weiter über die Fassade des alten Hauses, die schon langsam begann abzubröckeln, über die dunklen Ziegel, die schon lange hätten erneuert werden müssen, die eingeschlagenen Fenster, die mutwillig zerstört worden waren.

Doch schon das Zimmerfenster direkt neben meinem zog wieder meine volle Aufmerksamkeit auf sich, als wollte es sagen `denk weiter nach… Vergiss uns nicht!`

Erzähl doch endlich was alles Verbotenes geschehen ist in diesem Haus,

erzähl endlich was der kleine Junge, der das alles nicht wissen sollte, eben doch wusste,

erzähle uns von deinem Schicksal und den Tränen die du in deinem Zimmer vergossen hast,

dem Schmerz, den du erleiden musstest…
 

Ich erinnerte mich zuerst wieder an jene Nacht ein Jahr vor dem eigentlichen Geschehnis... Meine Mutter war schon früher in ihr Schlafzimmer verschwunden und man konnte noch lange ihr Schluchzen hören.

Ich konnte in dieser Nacht nicht mehr einschlafen, da ich wieder einen Alptraum hatte. Denselben, den ich zu der zeit sooft hatte und der mich auch heute noch manchmal in meinen Träumen quält. Erst durch Jordans warme, weiche Stimme wurde ich aus dem Schreckenstraum gerissen und öffnete schweißgebadet die Augen.

Jordan fragte nie was ich träumte, und es war auch besser so. Er meinte immer, es wäre besser, wenn man nicht noch mal nachdenken müsste um sich daran zu erinnern, sondern den Traum lieber gleich vergessen würde.

Tränen flossen über meine geröteten Wangen, er nahm mich in seine Arme und wiegte mich unter sanften Worten. Langsam strich er mir mit der einen Hand über den Rücken, die andere vergrub er genau wie seinen Kopf in meinen dunklen Haaren. Als ich mich beruhigt hatte und sich die Unruhe in mir auch wieder gelegt hatte, atmete ich ganz ruhig und Jordan schien anzunehmen, dass ich schlief und legte mich zurück in mein Bett. Ich weiß nicht, ob ich mich geirrt hatte oder ob er, als er mein Zimmer verließ, wirklich geschnieft und sich eine Träne von seiner Wange gestrichen hatte. Was ich sicher noch wusste war, dass er mir noch ganz leise eine gute Nacht gewünscht hatte und dann in sein Zimmer gegangen war.
 

Ich schüttelte mich erschrocken, musste das denn jetzt sein? Bisher war noch alles so gut verlaufen... hätte die Nacht nich einfach so enden können? Hätte nicht auch der Tag der so wundervoll begonnen hatte ein Jahr später auch einfach so wundervoll weiter gehen können? Hätte mir das nicht alles erspart bleiben können?

NEIN anscheinend nicht…

Ich blickte kurz zu Emily, die immer noch wortlos neben mir stand und genau zu wissen schien, dass ich Zeit brauche um das alles zu verarbeiten.

Doch konnte man das alles was geschehen ist wirklich verarbeiten?
 

… Einige zeit später war ich wirklich dem Schlaf nahe, da hörte ich ein Poltern, durch das ich wieder hellwach war. Ich musste den Geräuschen nicht lange zuhören um zu wissen, dass es mein Vater war, der nachhause gekommen ist. Nur was wollte er oben bei unseren Zimmern? Normalerweise quält er sich nicht erst die Treppen hoch, sondern legt sich ins Wohnzimmer aufs Sofa um zu schlafen. Vor allem da auch meine Mutter kein Grund mehr war, dass er hoch kommen würde, um sich wieder an ihr zu vergreifen…

Ich weiß noch, dass mein Herz fast stehen blieb, als ich begriff, dass er nur zu einem von uns wollen konnte. Meine Tür war die vordere und wie ich es schon befürchtet hatte, begann meine Klinke genau in diesem Moment sich langsam nach unten zu bewegen…
 

Ich kniff meine Augen zusammen um nicht noch mal zu sehen was danach passierte…

Nicht noch mal den Schmerz und den Schrecken zu durchleben…

Ich hatte es ja schon öfters vermutet, nur damals war es das erste Mal, dass ich es wirklich mitbekam.

Der Film, der in meinem Kopf vor sich hinlief, stoppte einfach nicht, egal was ich versuchte. Ich bekam die Bilder nicht aus meinem Kopf…
 

… Die Tür öffnete sich einen Spalt um dann jedoch sofort wieder zu zufallen, denn ich hörte ein kurzes entsetztes Quieken. Kurz, ja wirklich verdammt kurz, denn danach hallte nur noch das dreckige, verrauchte Lachen meines Vaters durch den Flur. „Na, wen haben wir denn da?

Den großen Helden, den großen Bruder, der alles tun würde, jeden Schmerz auf sich nehmen würde um den Kleinen zu beschützen? Alles tun würde, damit Jojo nicht dieselbe grausame Kindheit durchleben muss wie du es musstest?“

Ich konnte nicht begreifen mit wem er redete, dazu war ich damals zu klein und zu müde, doch auch schon damals hörte ich es an der Stimme, dass es Jordan sein musste der meinem, unserem Vater gegenüberstand. Das alles, obwohl seine Stimme dünn und ängstlich klang.

„Tu ihm nichts Vater, bitte verschone ihn, er ist doch noch so jung!“

„Ach papperlapapp als ich so alt war musste ich schon fast auf die Arbeit gehen und das hat auch niemanden interessiert, ich musste hart schuften und wenn ich nicht gespurt habe gab es eins hinter die Löffel. Am besten auf den blanken Hintern mit meines Vaters Ledergürtel!“

„Nimm mich statt ihm oder Kate!“

Danach vernahm ich noch ein Brummen, dann irgendetwas genuscheltes wie „Na dann mach dich auf etwas gefasst!“

Das nächste was ich hörte, war ein Klatschen und einen dumpfen Aufschlag, dann etwas Schleifendes… ich wusste genau, was im angrenzenden Raum geschah und ich wusste auch, dass mein Vater weiter zuschlagen würde, egal ob Jordan bewusstlos war oder nicht…

Und die Tatsache, dass Jordans Gesicht am nächstem Morgen angeschwollen und seine Augen blau waren… und ich meine damit nicht seine sonst so blaue Iris…bestätigte meine Vermutung nur noch mehr…
 

Ich musste einmal schwer schlucken und die Tränen aus meinen Augenwinkeln blinzeln, bevor ich wieder zu Emily sah.

Sie hatte Recht mit dem was sie sagte…

Sie hatte Recht, dass ich vergessen musste!

Hatte Recht, dass es nicht anders ging, dass es mich immer weiter verfolgen würde, bis ans ende meiner Tage.

Ich sah sie an und nickte ihr einmal zu, jetzt war es so weit, jetzt war der Tag gekommen, an dem ich endlich, auch wenn es schmerzhaft werden wird, ins reine mit der Vergangenheit kommen werde und endlich abschließe mit dem was war.

Wir liefen ein Stückchen den Kiesweg entlang, der zu dem alten Haus führte. Meine Beine fühlten sich immer mehr an wie Wackelpudding, und dann, als mein Blick auf die Veranda fiel, war da wieder so ein Gefühl von Anziehung, wie oft ich dort gesessen hatte, wie an jenem verhängnisvollen Tag, wie oft ich mit Jordan geredet und gelacht hatte wie an jenem Tag...

Und warum musste es genau hier anfangen? Das Ende vom Glück?
 

An dem Abend an dem der Schlamassel seinen lauf nahm, hatte ich auch hier gesessen an den Pfeiler gelehnt, da er erst spät nachts von einem Freund nachhause gekommen war. Ich hatte lange auf den Stufen vor unserer Haustür gesessen und auf ihn gewartet und musste dann wohl irgendwann eingeschlafen sein. Als ich durch ein Kitzeln unter meiner Nase niesen musste und schließlich wach wurde, blickte ich ihm verschlafen direkt in seine aufgeweckten strahlend blauen Augen. Mit schief gelegtem Kopf saß er mir gegenüber und sah mich mit einem warmen Grinsen auf den Lippen an. „Na, was machst du denn noch so spät auf, mein Kleiner?“ etwas verschlafen blinzelte ich ihn einige Sekunden an, bevor ich dann schließlich kurz und knapp antwortete „Na warten, was denn sonst?“ er setzte sich neben mich auf die Stufe und sah mich wieder an, diesmal grinste er noch breiter. „und auf wen wartest du zu so später Stunde noch so sehnlichst? Hast dich wohl mit deiner Freundin hier verabredet, was? Mein kleiner Bruder, der Aufreißer!“ auch wenn ich damals nicht verstand, was er mit diesen Worten genau meinte, merkte ich wohl an seinem Tonfall, dass es anscheinend nicht sehr nett war. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass ich meine Arme vor meiner Brust verschränkte und bockig in die andere Richtung sah, als ich mich dann trotzig rechtfertigte: „Ich habe auf dich gewartet, du Blödi!“ Statt das er zu triefst getroffen war, hörte ich nur ein lautes Lachen neben mir. Fragend drehte ich meinen Kopf in seine Richtung. Er grinste bis über beide Ohren und meinte dann schließlich „Du bist so süß mein Kleiner, als würde ich das nicht wissen!“ mit diesem Satz sprang er auf, wuschelte mir noch mal durch meine dunklen Haare, nahm mit einem großen Satz zwei Stufen auf einmal, drehte sich mir dann doch noch einmal zu und rief schließlich „Na los Jojo, wer zu erst oben ist kriegt ein Eis!“ eigentlich hätte ich zu müde sein müssen, um mir mit meinem sechzehnjährigen Bruder ein Wettrennen zu liefern. Doch wer hätte bei dem verlockenden Angebot schon ablehnen können? Also lief ich ihm hinterher und direkt in mein Unglück!
 

Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich mich zurückerinnerte, die Gänsehaut auf meinen Armen bestätigte das nur. Ich blickte noch einmal auf den Boden vor mich, die Stufen vor der Veranda, auf denen ich soviel erlebt hatte.

Noch einmal durchzog einer meiner Seufzer die Abendluft.

Sollte ich es wirklich tun? Sollte ich wirklich noch einmal das Grauen jener Nacht durchleben? Noch einmal so viele Schmerzen durch machen?

NEIN ich soll nicht, ich MUSS!

Noch einmal spannte ich jeden Muskel an, ich war nicht fähig noch irgendetwas zu Emily zu sagen, ich nickte ihr nur zu und sie nickte wohl wissend zurück und lief etwas nach mir die Treppe nach oben. Ich wusste, was nun kommen würde, ich wusste nur zu genau was noch alles passiert war und ich wusste auch, dass das vor meinem inneren Auge noch mal passieren würde… hier und jetzt!

Behutsam legte ich meine Hand auf die Klinke und öffnete die alte, morsche Tür.

Ein modriger Geruch stieß mir entgegen und entgegen meiner Hoffnungen war das Haus noch so wie ich es verlassen hatte… es war nicht ganz zerstört worden... leider…

Mein Blick fiel auf die Treppe direkt neben dem Eingang und schon ging es los, die Geschichte wiederholte sich… ging weiter…
 

Er stürmte vor mir die Stufen hoch und über die Veranda, bis er schließlich an der Haustür angekommen war die er schwungvoll öffnete und auch gleich die knarrende Treppe hoch stürmte. „Na los, komm Kleiner sonst kriegst du kein Eis!“ meinte er vom oberen Absatz aus und zog absichtlich eine Schmollippe als er oben wartete „Ich will doch nicht das mein toller kleiner Lieblingsbruder kein Eis kriegt bevor er schlafen muss!“ ich verdrehte genervt die Augen spurtete die Treppe hinauf und rief ihm im vorbeirennen zu „Ich bin dein einziger Bruder und das weist du!“ darauf folgte noch ein siegessicheres Präsentieren meiner tollen Zunge und kurz darauf ein freudiges Quieken als ich in der Küche angekommen war und vorm Kühlschrank stand.
 

Vorsichtig und Schritt für Schritt lief ich die Treppe hoch, um möglichst wenig Druck auf die zerbrechlichern Stufen auszuwirken.

Wollte ich das wirklich? Noch mal an Schönes erinnert werden und zugleich an den Schmerz, der von dieser oberen Etage aus ging, in der sich nur das Schlafzimmer meiner Eltern, die Küche, ein kleines Badezimmer und unsere beiden Zimmer befunden hatten?

Naja so schlimm konnte es nicht werden! Hoffe ich... ich war doch sonst immer so stark und gefühlskalt... warum jetzt nicht? Jetzt, wo ich es wirklich gebrauchen könnte… jetzt wo ich nur vergessen will, immer in den falschen Momenten…

Oder doch den Richtigen? Denn genau in den Moment legte sich Emilys Hand ermutigend auf meine Schulter. Ich bin alt genug, ich schaff das.

Ich öffnete die Tür zu meinem alten Zimmer, alles war noch so wie das letzte Mal als ich es betreten hatte… Nur staubiger. Selbst die zerwühlte Bettdecke lag noch an Ort und Stelle.. wieder ließ ich mich in Erinnerungen abdriften.
 

„Jordan kommst du endlich, ich bin doch zu klein um mir allein ein Eis zu hohlen!“ nörgelte ich vor mich hin, als er sich nicht mal ansatzweise dazu bewegt hatte in die Küche zu kommen. „Schh Jojo, sei leise Vater kommt bald nachhause! Komm, schnell, mach dich fertig für dein Bett, ich bringe dir dein Eis gleich in dein Zimmer!“ Störrisch machte ich mich auf den Weg ins Badezimmer und beeilte mich in froher Aussicht auf mein Eis extra schnell fertig zu werden. Als ich dann endlich fertig war und mein Zimmer betrat, war ich begeistert, denn Jordan saß auf meinem Bett, mit zwei Schüsselchen mit Eis in der Hand. In jeder war zwar nur eine Kugel, was die meisten Kinder in dem Alter sicher ernüchternd gefunden hätten, jedoch war das für mich schon eine Sensation, so selten wie es doch die eiskalte Speise gab. Und dann auch die Tatsache endlich wieder mit Jordan zusammen zu sein, nach dem Tag in der Einsamkeit war wundervoll…

Wir aßen beide unser Eis auf und Jordan räumte danach die Schüsseln in die Küche. Als er wieder kam blickte er etwas bedrückt zu mir „was ist denn los?“ fragte ich mit meiner kindlichen Naivität, durch die Jordan kurz ein Grinsen übers Gesicht huschte. Langsam kam er einige Schritte auf mich zu und umarmte mich. „Dad kommt nachhause... du musst jetzt schlafen gehen! Ich gehe auch in mein Zimmer und morgen hast du mich dann wieder nur für dich!“ mir war erst an diesem Abend aufgefallen, wie sehr Jordan sich verändert hatte, wie still er geworden war, wie nachdenklich!

Meine Augen füllten sich mit Tränen. „Du kannst mich nicht alleine lassen! Bitte nicht Jordan! Er soll dich nicht wieder schlagen obwohl er vor meiner Tür steht... ich bin doch schon groß ich schaffe das doch!“

Mein Bruder wurde bleich. „D-Du weißt also davon?“ fragte er mit entsetzt und zugleich tief trauriger Miene. Ich konnte nicht antworten, ich schlang meine Arme um ihn und drückte ihn fest an mich. Sanft strich er mir durch die Haare. „Ganz ruhig, bald ist es vorbei, dann wird er das nicht mehr tun, versprochen!“ ich hörte ihm nicht zu, zu groß war die Angst, die Angst er könnte wieder verletzt werden. „Du hast doch deinen Teddy Leo, der bleibt bei dir… wo hast du den eigentlich?“ ich sah mich auf meinem bett um bis mir auffiel, dass ich ihn wohl auf der Veranda vergessen haben musste, mit tief traurigem und beschämten Blick sah ich zu meinem Bruder auf „Den hab ich unten vergessen… ich wollte doch das Eis haben!“ murmelte ich kaum hörbar vor mich hin. „Okay, dann hole ich ihn dir jetzt und du bleibst schön da, okay?“ Ohne meine Antwort abzuwarten, war er schon aufgestanden und zu meiner Zimmertüre gelaufen. „Ich liebe dich, Jojo!“ flüsterte er mir noch zu, ehe er die Tür hinter sich schloss…
 

„Dieser verfluchte Teddy!“, murmelte ich vor mich hin, ehe ich mich wieder zur Tür drehte, und zu Emily, die mich nur fragend ansah. „Schon fertig?“ ich gab ein leises Knurren von mir zu schockiert war ich über das so eben erkannte…

Ich war schuld es war ganz alleine meine Schuld! Ohne mich wäre das alles nie passiert!

Dann wäre es so weiter gegangen… der Schmerz… die Trauer…. die Sorge… einfach alles.

Aber es wäre weiter gegangen! Ich war glücklich.

Auch wenn meine Situation das Gegenteil spricht, aber ich war verdammt noch mal glücklich…

Nicht wegen Mutter, schon gar nicht wegen meinem Vater… nein, wegen Jordan!

Er war ein so guter Bruder… und ich durfte nicht mal danke sagen….

Ich lief wieder zur Treppe, dem nächsten Schauplatz...

Mir graute es innerlich davor, da hier das Schlimmste geschehen war…

Ich sah auf die Stäbe des Geländers und wusste genau, was jetzt kommen würde...
 

Ich wartete artig auf meinem Bett darauf, das Jordan wieder kommen würde, meinen Teddy in der Hand und vor Freude strahlend, so wie jeden Abend mir noch einen gute Nacht Kuss auf die Stirn gegeben hätte und dann in sein Zimmer gegangen wäre, ich wäre eingeschlafen und der Tag hätte sich wiederholt wie jeder andere davor auch… wie immer eben!

Doch so war es nicht…

So war es ganz und gar nicht!

Ja ich wartete… ich wartete bestimmt fünf Minuten, bis ich plötzlich Stimmen hörte!

„Ah, wartet mein Lieblingssohn jetzt schon darauf, dass ich nachhause komme und ihm seine täglichen Hiebe verpasse?“, grölte mein Vater, der eben nachhause gekommen sein musste.

Vorsichtig schlich ich mich zur Treppe und setzte mich von oben gesehen auf die dritte Stufe, meine Hände an den Stangen links von mir und die Augen fest auf die Schatten vor mir fixiert.

„Ich bin nicht dein Sohn!“, zischte Jordan schließlich als Antwort „und das weißt du ganz genau!“ „Pah du bist unter meinem Dach groß geworden und hast von meinem hart verdienten Geld gelebt! Du bist mein Sohn, wenn auch nicht auf Papier, auch wenn wir dich nur adoptiert haben!“ „Du gibst es also zu?“, hörte ich nun Jordans erschrockene Stimme, nachdenklich sprach er weiter: „Es war ja eigentlich nur eine Vermutung, aber anscheinend lag ich damit ja richtig!“ Entsetzt überschlugen sich meine Gedanken. Jordan ist nicht mein Bruder?

Mein Vater hat ihn nur adoptiert? Mich etwa auch? War er gar nicht mein Vater?

Hatte ich mich umsonst so viele Jahre mit ihm gequält?

Ich konnte nicht mehr, ich musste zu Jordan, ich wollte hören, dass alles wieder gut wird, dass alles nur ein schlimmer Traum war.

Ich stürmte die Treppe hinunter und klammerte mich an Jordans Bein.

„Nein Jojo, du solltest doch oben bleiben….“, hörte ich ihn noch leise flüstern.

Dann spürte ich wie sich seine Muskeln anspannten. „So, jetzt reichts! Ich gehe, ich halte das hier nicht mehr aus! Und den Kleinen nehme ich mit! Ich hätte das schon viel früher tun sollen!“

Genauso entschlossen wie er die Worte aussprach hob er mich auf seinen Arm, verzweifelt drückte ich mich an ihn, immer wieder wiederholte ich einen Satz: „Lass mich nicht alleine... bitte ich brauche dich doch!“

Auf dem Weg nach draußen fing ich das Schluchzen an, bis wir schließlich bei der Schaukel angekommen waren, bei der auch mein Teddy Leo lag, weinte ich bitterlich.

Jordan stoppte und drehte sich noch mal zum Haus um und was er sah verschlug ihm die Sprache. Flamen!

Aus der offenen Flurtür kamen Flammen! „Dieser Spinner!“; fluchte er, ehe er mich auf der Schaukel absetzte „Ich bin sofort wieder bei dir, mein kleiner Engel, dann wird alles gut! Ich muss nur noch mal schnell nach oben… Kate... deine Mami retten!“ er wollte schon gehen, da nahm ich mir allen erdenklichen Mut zusammen und fasste seinen Ärmel. „Jordan? Bist du jetzt nicht mehr mein Bruder?“, brachte ich zwischen zwei Tränenschwallen heraus.

Geschockt sah er mich an „Na klar Jojo, mein kleiner Jojo, ich werde immer dein Bruder sein, egal was auch passieren mag! Bitte vergiss das nicht! Ich brauch dich doch! Ich liebe dich, mein Kleiner, auch wenn du das jetzt nicht verstehen magst!“ Er drehte sich nun ganz um und lief schnellen Schrittes in die Richtung des immer mehr brennenden Hauses, ließ mich einfach ratlos stehen... mit dem Unwissen, was er mit dem soeben ausgesprochenem meinte. Ich sah noch wie er sein Handy in der Hand haltend in den Rauch verschwand… und das war das letzte Mal, das ich ihn gesehen habe...
 

In diesem Weg bahnte sich die erste Träne den Weg durch die Mauer hinter der all die Verzweiflung, all die Wut, all der Hass, einfach alles sich versteckt hatte, alles verborgen gewesen war,

von einer dicken Mauer, die all die Gefühle wegsperrte.

Als Schutzmechanismus für den Menschen selbst, jetzt war sie kaputt und ich konnte mich nicht mehr halten, ich wusste nicht wo Jordan war, was mit ihm und meiner Mutter geschehen war, ich wusste nicht, was mit meinem Vater passiert war. Keiner hatte mir auch nur einen Hauch einer Andeutung in meiner Nähe gegeben, was passiert war… Doch eigentlich war die Antwort ganz simpel... sie waren tot... eine andere Möglichkeit gab es einfach nicht!

Ich stieg die letzten Stufen nach unten, hatte mich wieder einigermaßen gefangen.

Als Emily mit einem großen Satz neben mir zum stehen kam, war meine erste Tat als freier Mensch, dass ich sie umarmte ihr dankte, dafür, dass sie mit mir hier her gekommen war.

Denn eines war sicher, wenn diese Türe hinter mir ins Schloss fällt, werde ich noch einmal zu der Schaukel gehen, an der dieser schreckliche Tag geendet hat.

Und werde auch für mich selbst dieses Kapitel endlich abschließen!

Mit diesen Vorsätzen öffnete ich schließlich die Tür in mein neues Leben…

Gegenwart

Mein Name ist Jojo,

ich bin 16 Jahre alt

und werde im Moment von meinem,

als tot bezeichneten

älteren Bruder

durch die Stadt gezogen.

Von einem Bruder,

den ich schon immer hatte,

in einem Leben,

das von Anfang an nicht so war,

wie es schien.

Sondern viel besser.

Mit einer Vergangenheit,

die man nur als beschissen,

aber eben als Teil bezeichnen konnte,

einer Gegenwart,

von der ich nicht glaube,

das sie wirklich wahr ist,

so faszinierend.

Und einer Zukunft,

die noch in den Sternen steht!

Also alles in allem,

eigentlich gar nicht so schlecht…

Denn trotz der Vergangenheit als Grundlage

habe ich es geschafft,

noch etwas gescheites daraus zu machen!

Ich möchte euch jetzt die Chance geben,

einen Einblick in mein Leben zu bekommen!

Viel Spaß dabei!
 

Euer Jojo
 

Mit diesen Vorsätzen öffnete ich schließlich die Tür in mein neues Leben…

Mein neues Leben also… Das Leben, das ich schon so lange hätte leben sollen…

Das Leben, in dem ich die Vergangenheit einfach los ließ, mich völlig von ihr löste und mich nur auf das Hier und Jetzt konzentrierte, endlich glücklich werden würde.

Eine Freundin finden, vielleicht ja Emily, denn süß war sie ja, da konnte niemand etwas Gegenteiliges behaupten. Endlich frei von Sorgen.

Mich auf die Schule konzentrieren und nicht an Vergangenem fest halten!

So sah mein Plan aus…

Klingt doch richtig gut, oder?

Fast schon zu gut, nicht wahr…

Ich spürte auch in gewisser Weise, dass es so nicht sein würde, dass ich nicht so viel Glück haben kann.

Und mein schlechtes Gefühl sollte sich auch sofort begründen, denn als ich auf der obersten Stufe der Veranda stand, gerade tief einatmete und die frische Luft ein sog, fiel mein Blick wieder auf etwas.

Denn an der Stelle, an der noch einige Zeit vorher, als wir das Haus betreten hatten, die Schaukel hing, hing diese nun nicht mehr. Es hing viel mehr eine Art Seil daran, ein Seil an dessen unterem Ende sich eine Schlaufe befand, solch ein Seil, das man nur aus Filmen kennt, solch ein Seil, das man sich um den Hals legte, wenn man sein Leben beenden wollte.

Ich schluckte, wollte mir hier und jetzt wirklich jemand vormachen wie ich geendet hätte, hätte mich der blonde Engel der sich noch hinter mir befand nicht gerettet? Wollte mir denn wirklich jemand mein soeben zurück gewonnenes Leben kaputt machen, indem ich zusehen musste, wie die Person sich selbst das Leben nahm?

Was konnte dem Menschen denn schon großes passiert sein? Mein Leben war scheiße! Verdammt scheiße gelaufen, doch selbst ich habe nach langer Zeit einen Weg zurück ins echte Leben gefunden, zurück in die Wirklichkeit. Was konnte diesem Menschen passiert sein? Aus irgendeinem Grund wollte ich mit der Person reden, wissen ob er wirklich Grund genug hatte hier den Schlussstrich beziehungsweise wohl eher Schluss-Strick zu ziehen.

So viele Fragen machten sich auf einmal in mir breit, doch die eigentlich wichtigste Frage hatte sich bis dahin eher verborgen gehalten, denn wer war denn diese Person, die sich im Vorgarten meines Elternhauses das Leben nehmen wollte? Warum hier und nicht an irgendeinem anderen Ort?

Doch um diese Frage zu beantworten stellte sich mir auch gleich die Nächste… Wo verdammt noch mal war der Spinner, der das hier alles geplant hatte? Ich sah mich fragend um und als ich mir wirklich sicher war, dass weit und breit keiner zu sehen war, fragte ich mich ernsthaft, ob mich hier jemand verarschen wollte und sich einen Spaß erlaubt?

Emily schien noch gar nicht bemerkt zu haben, dass dort sich entweder jemand bestens darauf vorbereitet hatte sich umzubringen, oder darauf uns an der Nase herum zu führen. Als nach einer weiteren Minute immer noch kein Wort über ihre Lippen gekommen war, drehte ich mich schließlich zu ihr um und war bei ihrem Anblick etwas verdutzt.

Emily konnte das, was ich gesehen hatte gar nicht wahrnehmen denn sie blickte fasziniert in die völlig falsche Richtung. Das Interessante spielte sich nämlich rechts von uns ab und sie starrte genau in die andere Richtung, nämlich nach links!

Ich bin schlau nicht? Das Gegenteil von rechts ist links! Naja okay dieser spaß war jetzt vielleicht fehl am Platz aber was soll’s, Spaß muss sein.

Auf jeden Fall wollte ich sie unbedingt dazu bekommen, dass sie auch auf das Seil aufmerksam wird. Deshalb griff ich ganz tief in meine Trickkiste und hampelte vor ihren Augen herum, schnitt Grimassen und piekste ihr schließlich in die Seite. Als das alles nichts half, griff ich schließlich auf die herkömmlichen Methoden zurück und sprach sie direkt darauf an „Emily?! Schau mal her, ich muss dir was zeigen!“, gab ich genervt von mir. Doch sie legte nur den Finger an ihre Lippe und bedeutete mir leise zu sein. Etwas verständnislos sah ich sie an und dieser Blick wurde nur noch unwissender, als sie schließlich kaum hörbar „Na siehst du denn nicht?“ zu mir sagte.

Was sollte ich denn bitte sehen? Sie war diejenige die nicht sah! Ich hatte die große Entdeckung gemacht, das Seil und sie will mir was von siehst du denn nicht erzählen? Gerade wollte ich von neuem anfangen lautstark auf sie ein zu reden und sie als verrückt zu bezeichnen als sie kurzerhand mein Kinn mit ihrer Hand umfasste und nach links drehte.

Und wirklich, nach einigen verdutzten Momenten sah ich etwas !

Und was ich sah, raubte mir fast den Atem, es war noch schockierender als der Strick. Denn sie hatte das gesehen, nach dem ich vergeblich gesucht hatte… die Person zu dem Strick! Die Person, die uns verarschen wollte…. NEIN die Person, die sich umbringen wollte.

Es war ein junger Mann mit braunen Haaren, die ihm wie wild in sein Gesicht hingen. Er trug ein schwarzes T-Shirt und nicht nur sein T-Shirt war schwarz, auch der Blick in sein Gesicht ließ in einem sofort düstere Gedanken aufkommen. Zwar waren seine Augen von einem seiner Haarbüschel verdeckt, doch trotzdem war sein Leid unverkennbar.

Ich beobachtete den Mann einige Minuten stumm, wie er wie von einer Tarantel gestochen im Garten umher irrte und irgendetwas zu suchen schien.

Auch Emily war wie versteinert. Vorsichtig tippte ich auf ihre Schulter und wies auf dem Baum, auf den der Unbekannte nun zielstrebig zu steuerte, um sie auf das Seil aufmerksam zu machen. Sie schlug eine ihrer Hände vor den Mund, denn auch sie wusste nun warum er hier war.

Nicht fähig uns zu bewegen beobachteten wir weiter den Mann, der nun einen alten Hocker unter den Baum stellte. Das hatte er also gesucht. Nein, er wollte uns nicht verarschen, vielleicht wusste er nicht einmal, dass wir da waren. Er hatte sich fest in den Kopf gesetzt sich umzubringen. Zu sehr überschlugen sich die Gedanken in meinem Kopf, als das ich fähig wäre rechtzeitig zu begreifen, dass ihm nun nur noch wenige Sekunden im Weg standen, um das zu haben, was er wollte.

Das was er wollte? Seinen Tod?

Viel zu spät schaltete ich das, denn in dem Moment in dem ich in seine Richtung spurtete stand er schon einige Zeit auf dem Hocker, sicher überlegte er noch, ob er es tun sollte oder nicht, ob er qualvoll durch das Seil sterben will, ob er wirklich spüren will, wie ihm langsam die Kehle zu geschnürt wird und er keine Luft mehr bekommt. Oder es sich nicht doch noch besser überlegen will, seinem Alter entsprechend erwachsen handeln will und es noch mal versucht, einsieht, dass es keinen Sinn hat zu sterben. So wie es auch ich eingesehen habe.

Ich, genau ich bin jetzt der große Retter, nicht Emily, die tolle Emily, die schon immer Grund genug hatte stolz auf sich zu sein, wirklich ich, der kleine Junge, der nie Grund hatte zu sagen: In der Vergangenheit? Da hab ich was Großartiges vollbracht, da habe ich jemandem das Leben gerettet! Eben ich war es der das von sich sagen wollte, der dem Mann helfen wollte.

Ich war fast bei dem Dunkelhaarigen angekommen, er hatte noch nicht bemerkt, dass sich auf dem Grundstück noch jemand außer ihm befand, da hörte ich auf einmal Emily von hinten rufen: „Meine Güte Jojo, was hast du vor?“ Ich beachtete meine entsetzte beste Freundin nicht sonderlich, dafür der Mann vor mir umso mehr. Denn dieser blickte erschrocken auf, als er ihre helle Stimme hörte.

Sein Blick war verstört, irgendetwas zwischen Schrecken, Verzweiflung, Trauer, Angst und … Moment, das konnte nicht sein, war es wirklich… Glück, das ich in dem Blick sah? Welcher Selbstmörder ist denn glücklich, wenn er dabei erwischt wird, wie er sich umbringen will? Ist der Typ den schon total durchgedreht? Wieder vernahm ich ein Rufen von hinten „Jojo!“ war diesmal das Einzige was sie hervor brachte. Der Mann blickte von ihr zu mir und sah mich direkt mit seinen kalten, hellblauen Augen an.

Als sich jedoch unsere Blicke trafen wich er unsicher einen Schritt zurück.

Und so nahm das Unglück seinen Lauf. Der alte Hocker den er gewählt hatte, hielt der plötzlichen Gewichtsverlagerung nicht mehr stand und eines der drei Beine brach ab, ich war nur noch wenige Schritte von dem Baum entfernt, als der Hocker in sich zusammen brach und nun das komplette Gewicht des Mannes an dem Seil um seinen Hals hing.

Panisch überwandt ich die letzten Meter Distanz zwischen mir und dem Baum und versuchte die würgenden Versuche des Mannes, Luft zubekommen zu ignorieren so gut es eben ging.

Endlich war ich an dem Baum angekommen. Doch was nun? Wie sollte ich es schaffen den Mann los zu bekommen? Das Seil durchschneiden war das erste, was mir in den Sinn kam... doch dabei gab es drei Probleme, erstens kam ich nicht mal an das Seil heran, zweitens hatte ich kein Messer dabei, drittens lief mir die Zeit davon.

Also beschloss ich spontan die Luftzufuhr des Mannes wieder her zu stellen und ihn auf meine Schultern zu setzen.

Auch Emily hatte mittlerweile das Geschehene so weit verkraftet, dass sie fähig war in meine Richtung zu laufen. Auch wenn ihre Schritte noch etwas stockend aussahen.

Doch ich ließ mich von meinem Tun nicht weiter ablenken und schaffte es nach einigen Anstrengungen ihn auf meine Schultern zu setzen. Doch da es anscheinend doch etwas zulange gedauert hatte, war der Mann nicht mehr bei Bewusstsein und sein Körper klappte ungehindert in die verschiedensten Richtungen und da der Baum auch nicht mehr der neuste war, hörte ich ein verdächtiges Knacken und statt wie die Male davor, zu versuchen in irgendeiner Weise ein Gleichgewicht her zu stellen, lies ihr ihn dies mal kippen.

Tatsächlich brach der Ast durch das Gewicht des Mannes auch bald darauf ab und ich flog mitsamt meines zusätzlichen Gewichts auf die Wiese.

Keuchend stand ich auf, ist ja nicht alltäglich einen Mann auf den Schultern sitzen zu haben und doch war ich zufrieden, denn als Emily ankam stand ich wieder normal atmend neben dem Brünetten, dem ich auch schon die Schlinge vom Hals genommen hatte.

„Ich habe einen Krankenwagen gerufen! Die Schlinge hast du ja schon abgenommen. Gut! Hast du geschaut, ob er noch atmet?“

Ebenso stolz wie ich gerade neben ihr stand, genauso geknickt war ich jetzt. Mist! Ich wusste doch, dass ich was vergessen hatte. An meinem Gesichtsausdruck musste sie gesehen haben, dass dem nicht so war und war sofort neben ihm in die Knie gegangen und hatte ihren Kopf auf seine Brust gelegt. Nach einigen Momenten des Schweigens stand sie wieder auf, klopfte sich ihre Jeans ab und verschränkte die Arme. Gab jedoch keinen Ton von sich.

Erwartungsvoll sah ich sie an, schließlich war es mir nicht egal, was mit dem Mann geschah, als sie immer noch keinen Mucks von sich gab fragte ich schließlich etwas genervt: „Und?“ Sie grinste nur und meinte dann spöttisch „ Er ist tot! Deswegen stehe ich auch da und starre auf die Strasse, auf der jede Minute der Rettungswagen kommen muss um denen zu sagen, dass sie zu spät sind, weil mein lieber Bruder vergessen hatte ihn wieder zu beleben!“

Mein Kiefer klappte nach unten, hatte sie das ernst gemeint? War er wirklich wegen mir gestorben? Hatte ich noch einem Menschen das Leben gekostet? War es wieder meine Schuld?

Plötzlich bekam ich einen unerwarteten Stoss in die Seite und hörte Emilys Lachen: „Du Dummkopf, wäre ich so ruhig wenn er tot wäre? NEIN! Er atmet, das ist ein gutes Zeichen, mehr können wir nicht für ihn machen! Mehr müssen wir nicht machen, denn dahinten kommt auch schon der Rettungswagen!“ Ich seufzte erleichtert und blickte nun auch auf den sich nähernden Wagen, der auch kurz darauf vor dem Grundstück anhielt.

Es war als würde die Zeit auf einmal schneller vergehen, oder lag es daran, dass die Sanitäter so schnell liefen? Wer weiß… auf jeden Fall stürmten drei Sanitäter aus dem Wagen, zwei davon trugen eine Liege, der Dritte einen Koffer, direkt auf uns zu.

Sie knieten sich vor den Mann, überprüften seine Werte, hoben ihn auf die Trage und setzten ihm eine Sauerstoffmaske auf.

„Wissen Sie, wer dieser Mann ist, der ihnen beiden sein Leben verdankt?“ Wir schüttelten beide wahrheitsgemäß den Kopf. Daraufhin durchsuchte der Arzt die Taschen des Bewusstlosen, doch leider hatte er Pech, denn in genau dem Moment in dem er sich an die Taschen machen wollte, piepsten die Geräte die seine Kollegen in der zwischen Zeit angeschlossen hatten und er schreckte von seinem Tun auf. „Mist, wir müssen uns beeilen. Dann muss das wohl bis später warten. Wir müssen jetzt los, wollt ihr beide vielleicht mit kommen? Es ist immer schöner aufzuwachen, wenn andere Menschen da sind als alleine!“ Eigentlich wollte ich schon ablehnen, doch Emily zögerte keinen Moment und sagte schließlich „Ja natürlich wollen wir, ist doch Ehrensache!“ „Okay dann mal los!“, gab der Arzt noch von sich, während er versuchte zu seinen beiden Kollegen auf zu holen, die schon voraus gegangen waren…
 

Im Krankenwagen war es eng und stickig, mich wunderte es wirklich, dass sich der Gesundheitszustand der Patienten hier nicht noch mehr verschlechtert. Bei diesem Mief. Hier bekam ja ich, als „gesunder“ Mensch schon fast Atembeschwerden, was sollte dann erst jemand sagen, der sich eben erhängen wollte?

Na ja, aber anscheinend wirkte dieser Mief wirklich Wunder, so viele Patienten, die diesen Wagen schon lebend wieder verlassen hatten. Doch gerade als wir an der Auffahrt des Krankenhauses angekommen waren, wurden alle, sogar Emily, auf einmal hektisch und diskutierten über irgendwelche Werte des Mannes.

Es muss schon schön sein, wenn man eine Ausbildung zum Sanitäter oder ein Praktikum im Krankenhaus hinter sich hat und bei der Diskussion auch mitreden kann. Doch wenn man so ein Durchschnittsmensch wie ich ist, hat man das nicht und folglich kann man das auch nicht, weil mein schlicht und ergreifend keine Ahnung von all dem Fachchinesisch hatte. Deshalb sitze ich nur da, sitze da und starre den Mann an, den ich gerettet habe. Schon komisch, noch heute Morgen wollte ich dasselbe tun, mein Leben einfach weg werfen, alles hinschmeißen und den Schmerz beenden, einfach aufgeben, und jetzt? Bin ich wie ausgewechselt, keine Sorgen mehr, keine Gedanken über die Vergangenheit. Denn jetzt stehe ich da als Retter… Retter meines Lebens und Retter seines Lebens. Ich sah ihn mir noch mal genauer an und ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Ja ein Lächeln, nicht, dass ich froh wäre, dass dieser Kerl halb tot ist oder dass ich das auch tun wollte. Nein, eher ein stolzes Lächeln, dass ich es endlich zu was gebracht hatte und endlich jemandem helfen konnte.

Ich glaube ich hätte mir noch länger Gedanken über meine Tat, die Veränderung in den wenigen Stunden, mein Schicksal, sein Schicksal einfach alles gemacht. Wenn nicht in exakt diesem Moment der seit Beginn unseres „Ausflugs“ ins Krankenhaus immer noch weggetretene Mann die Augen einen Spalt weit geöffnet hätte. Er schüttelte leicht den Kopf, um sich zurecht zu finden, dachte ich zumindest anfangs, doch dann fing er auf einmal an zu sprechen, okay sprechen kann man es nicht nennen er flüsterte eher oder röchelte vor sich hin. Daher war es auch kein Wunder, das ich der einzige war, der ihn verstehen konnte, beziehungsweise dem es auffiel. „Jojo, dass ich das noch erleben darf… das macht mich so endlos glücklich!“ er schaffte es gerade noch das letzte Wort hervor zu krächzen, da fiel er auch schon wieder in die Ohnmacht und aus seinen Augen floss eine einzelne, einsame Träne. Ja wirklich eine Träne, er weinte ich weiß nicht warum. Warum er sich meinen Namen gemerkt hatte, warum es ihn glücklicht macht mich zu sehen, ich musste es nicht.

Aber als seine Augen wieder komplett geschlossen waren, begann das Piepsen, das die ganze Fahrt über in gleichmäßigen Abständen hervortrat, schneller zu werden. Die Ärzte schubsten mich zur Seite als die Tür des Fahrzeuges aufgerissen wurde und eine Gruppe von Schwestern und noch mehr Ärzten hektisch anfing, an dem Mann herum zuziehen, zu messen und zu drücken.

Plötzlich herrschte einen Moment Stille… ja wirklich Stille keiner redete, nichts. Keine Geräte die klapperten, Menschen die wild durch die Gegend schnatterten, nichts!

Obwohl, doch, da war ein Geräusch, das sich durch die Stille zog. Ein einzelner, einheitlicher Ton der ausgehalten wurde. Der Moment der Stille schien schier unendlich. Doch dann, als er vorbei war, herrschte Hektik. Alles redete und wuselte umher, ich verstand nicht was geschehen war, doch ein Wort konnte ich immer wieder heraus hören…TOT!
 

Der Mann wurde sofort in einen großen Operationssaal gefahren, mit einer großen roten Lampe die zu leuchten begann, als alle Ärzte darin verschwunden waren. Emily und ich mussten uns mit den bequemen, weißen Plastikstühlen zufrieden geben und hatten beide einen Fragebogen zum ausfüllen bekommen. Wir waren doch nur Zeugen gewesen, warum mussten wir dann so ein scheiß Teil ausfüllen? Na ja, was soll’s, immerhin vertreibt es uns die Wartezeit. Moment mal Wartezeit? Worauf denn? „Ähm du Emily, du hast doch schon mal in nem Krankenhaus ausgeholfen, oder? Worauf warten wir jetzt?“ Emily blickte etwas ungläubig von ihrem Fragebogen auf, den sie anscheinend bis gerade eben sehr genau studiert hat. “Worauf wir warten?“ fragte sie dann noch mal ungläubig, als hätte sie sich verhört, wartete jedoch meine Antwort nicht ab, sondern beantwortete sich ihre Frage selbst: „Wir warten darauf, dass das rote Licht da oben ausgeht und der Mann außer Lebensgefahr ist oder dass jemand raus kommt, der uns sagt, was jetzt los ist. Darauf warten wir und falls du’s nicht weißt, das ist eine Notaufnahme, in die nur besondere Notfälle kommen!“ Etwas genervt wand sie sich wieder dem Zettel zu, den sie vorhin schon studiert hatte.

So ist das also, er ist in Lebensgefahr. Na ja, nicht weiter nachdenken, einfach hinnehmen und ablenken. Fangen wir doch mal mit dem Fragebogen an. Also erste Frage, Name is ja noch einfach Jojo Glen. Zweite Frage, Geburtsdatum. Mh, wie wäre es mit in einigen Wochen vor 17 Jahren? Na ja okay, lassen wir die Scherze, siebter November, und die nächste Frage nach dem Älter hätte sich auch geklärt 16. So zogen sich die Fragen durch wie ein roter Faden, nach dem Familienstand, dem Wohnort, dem Stand zum Opfer und noch so einigen anderen meiner Meinung nach unwichtigen Details.

Nach kurzer Zeit hatte ich die Seiten wahrheitsgemäß ausgefüllt und auf den Tisch neben mir gelegt, auch Emily war mittlerweile fertig mit dem Ausfüllen ihres Bogens. So saßen wir also da und warteten. Und warteten und warteten. Halt, lief da nicht etwas falsch? Sollten wir nicht um spätestens 21 Uhr zuhause sein, da ja Emilys Mutter und Vater wieder vornehmen Besuch bekamen? Das war doch glatt ein Grund um meine Langeweile bei Seite zu schieben und doch noch ein Gespräch mit der sonst so quirligen Emily anzufangen.

„Sollten wir vielleicht mal anrufen, dass wir später kommen?“ Emily drehte sich zu mir und runzelte die Stirn. „Na ja, kommt ganz drauf an was du willst, ob du warten willst, bis er außer Gefahr ist oder bis er wach ist oder gar bis er entlassen wird? Ob du gerne zu Hause sitzt, den geregelten Tagesplan runter ratterst, beim Essen mit Dads Arbeitskollegen und wartest, dass es endlich soweit ist und der Kollege entweder geht oder wir ins Bett müssen. Also bleibt es ganz bei dir was wir tun!“

Ich überlegte kurz, ich wollte ja nicht unbedingt nachhause. Nur wusste ich, was sich Emilys Mutter für Sorgen machte, wenn wir nicht kommen, andererseits war mir aber auch bewusst, dass ihr Vater uns sofort nachhause holen würde, wenn er wüsste, wo und warum wir da waren und vor allem was wir zuvor getan hatten. Denn ihr Vater war nicht begeistert, dass ich noch so genau wusste, was in meiner Kindheit vorgefallen war und so genau wusste, dass ich nicht in diese Familie gehörte, sondern in eine andere. Er wollte es einfach nicht verstehen.

Die Tür öffnete sich und ich wurde aus den Gedanken gerissen. Eine Frau mittleren Alters kam heraus gelaufen und schloss die Tür sofort wieder hinter sich. Ich blickte zu dem Licht, das eigentlich zeigen sollte, dass er außer Gefahr war, doch es leuchtete noch.

Vorsichtig beugte ich mich zu Emily. „Glaubst du, du schaffst es irgendwie deine Mam ans Telefon zu kriegen und zu sagen, dass wir später kommen? Dann könntest du die Frau da fragen wo du mal eben telefonieren kannst.“ „Na ja, ich bin zwar nicht begeistert von deiner Entscheidung, aber einen Versuch ist es wert!“, flüsterte sie zurück, ehe sie aufstand mich an der Hand packte und mit aufzog. Sie zog mich weiter hinterher, bis wir schließlich an der Rezeption angekommen waren, dann erhob sie in einem geschäftsmäßigen Ton ihre stimme: „Entschuldigen sie Madame, könnte ich mal kurz telefonieren? Ich müsste zuhause Bescheid geben das mein Bruder und ich später zuhause ankommen!“ Die Frau erklärte ihr, dass sie gerne das Telefon benutzen konnte, sich aber in die Liste eintragen musste, die daneben lag. Fein säuberlich trug Emily ihren Namen ein und rief dann zuhause an.

In der Zwischenzeit wollte ich mich eigentlich wieder auf meinen Platz begeben, doch Emily hielt mich zurück und machte mir begreiflich, dass ich noch warten solle. Schließlich nach schier endlosen Diskussionen legte sie den Hörer auf die Gabel und bedankte sich bei der Frau an der Rezeption „Bitte sehr Miss Forster!“ Erwiderte diese warm. Ich hatte mich schon in Richtung des kalten, weißen, unbequemen Plastikstuhls gewand, um eine weitere Ewigkeit zu warten, da stoppte mich Emily und drehte sich wieder zu der Frau. „Wie geht es ihm denn?“ Die Frau blickte nachdenklich, ehe sie sagte: „Den Umständen entsprechend, also er lebt wieder, jedoch sieht es noch nicht all zu gut aus, auch wenn sich seine Werte schon bessern.“ Wir nickten betroffen. Hatte ich nicht im Krankenwagen noch gedacht ich wäre sein Retter? Wohl etwas falsch gedacht, denn gerettet ist er noch nicht. „Und wissen sie nun schon wie er heißt?“ Wollte Emily weiter wissen. Die Frau nickte, ehe sie ihr eine Antwort gab: „Ja er heißt Glen… Jordan Glen!“ Die Blondhaarige neben mir klopfte mir auf die Schulter, ehe sie mit einem breiten Grinsen witzelte „Wow was für ein Zufall Jojo, dein Schützling heißt ja mit Nachnamen genauso wie du! Ist doch mal ein geiler Zufall, wer weiß vielleicht seid ihr ja verwandt!“

Während meine Halbschwester immer noch Späße machte, lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Denn ich wusste nun, warum er erschrocken war, als er meinen Namen hörte, warum er glücklich war, mich zu sehen. Ich wusste, dass sie Recht hatte, dass wir wirklich verwandt waren, auf eine gewisse Art und Weise. Man spricht immer von einer magischen Bindung zwischen zwei Geschwistern und diese muss es gewesen sein, die uns beide wieder zusammen geführt hat, mich und meinen Bruder.

„Was sie nicht sage… Herr Glen könnte ich bitte mal ihren Fragebogen sehen? Wäre das möglich? Oder kennen sie den Mann doch? Ist zwar eher unwahrscheinlich, da in seinen Papieren steht, dass er vor seinem achtzehnten Geburtstag zwei Jahre in einem Waisenhaus gewohnt hat, da er keinerlei Familienangehörige mehr hatte, aber wer weiß.“ Emily sah mich mit einem erwartungsvollen Grinsen an, doch dieses verging ihr als sie in mein Gesicht sah. Mit einer gefühlskalten Miene schritt ich zu dem Tischchen auf dem meine Unterlagen lagen und mit derselben Kälte antworte ich dann „Hier ist mein Fragebogen, aber ich kann ihnen auch so sagen, dass ich ihn kenne!“, ein flüchtiges Grinsen huschte über mein Gesicht wurde aber gleich wieder von der Kälte verbannt, „Er ist mein Bruder, gewissermaßen. Er wurde adoptiert von meinen Eltern, doch mein Vater zündete das Haus an und wenn sie sagen, dass Jordan Waise ist, heißt das, dass sie bei dem Brand ums leben gekommen sind. Ich habe ihn seitdem nicht mehr gesehen und daher nicht wieder erkannt. Das alles ist jetzt fast acht Jahre her. Haben sie sonst noch Fragen?“

Emily sah mich geschockt an. Endlich wusste sie etwas über meine Vergangenheit, kannte einen Bruchteil des ganzen. Aber jetzt wurde auch endlich ihr klar, dass ich nicht in ihre Familie gehöre. Dass ich meine eigene Familie habe und dass ich heute nicht mit ihr zu ihrem Haus kommen werde. Ich werde dableiben, hier bei meinem Bruder. Denn er braucht mich jetzt mehr.

Im selben Moment in dem meine Gedankengänge beendet waren, gab es ein leises `PLING` und die Lampe über der Tür erlosch. Nur wenige Sekunden später öffnete sich die Türe und ein Bett wurde heraus geschoben. Ich heftete mich an die Fersen der Ärzte den Blick auf den Mann im Bett gerichtet. Keinen Gedanken im Kopf, einfach nur starr auf den leblosen Körper starren und verarbeiten war angesagt. Nach einigen Gang- und Etagenwechseln, waren wir schließlich in dem Zimmer angelangt, in dem Jordan liegen sollte. Wie lang wussten die Ärzte noch nicht, sie konnten es nicht genau sagen. Aber sie meinten, dass es nicht länger als eine Woche dauern sollte, bis er wieder einigermaßen fit war. Dann wollten sie mich nachhause schicken mit der Abfuhr „Es dürfen nur Familienangehörige über Nacht bleiben!“ Ich lachte einmal, es musste sich wohl seltsam angehört haben, vielleicht etwas verrückt, aber was wollte man anderes erwarten. „Ich bin der einzige Familienangehörige den er noch hat, und ich habe ihn über sieben Jahre nicht gesehen! Wollen Sie’s mir jetzt immer noch verbieten?“, giftete ich mein Gegenüber an.

Ich war gereizt, denn mir ist in dem Moment etwas klar geworden, was auf der Hand lag. Ich hatte ihn sieben Jahre lang nicht gesehen, sieben lange Jahre, und dann hätte ich ihn fast wieder verloren ohne auch nur zu wissen, dass er es war. Die Ärzte nickten nur und ich machte mich auf den Weg zu meinem Stuhl. Wieder einem dieser ewigen unbequemen Plastikteile. Aber das war mir egal. Ich wollte nicht bequem sitzen, ich wollte nur denken und ihn ansehen. Jetzt sickerten so langsam alle Informationen die ich bekommen hatte durch und wurden mir erst so richtig bewusst, bewusst wurde mir auch, dass das eine lange Nacht werden würde und ich viel denken würde.

Doch so kam es nicht, ich war nicht fähig zu denken, konnte keinen klaren Gedanken fassen. Mir fehlten viel Tatsachen um denken zu können, Tatsachen die nur er wusste, Tatsachen zu der Nacht und mir fehlten Antworten, Antworten, warum er mich im Stich gelassen hatte, Antworten, warum ich ihm so wenig wert bin, dass er mich in eine Adoptivfamilie gegeben hat, warum er nicht mit dorthin gekommen ist. Warum er mich verdammt noch mal so lange unwissend gelassen hat. So lange im Glauben, dass ich alleine bin und mich die ganze Welt hasste.

In diesem Moment fing ich mit der Tätigkeit an, mit der ich tatsächlich die ganze Nacht beschäftigt war, ich schlang meine Hände um meine angezogenen Knie und legte meinen Kopf darauf. Eine Träne folgte der nächsten, immer mehr schluchzte ich und immer mehr machte sich eine Ungewissheit in mir breit. Ich wollte wissen, was geschehen war, warum es geschehen war. Aber an erster Stelle stand immer noch die Sorge, er sollte aufwachen, es sollte ihm endlich wieder gut gehen…

So verbrachte ich die halbe Nacht mit weinen, auf ihn starren und wenigen Gedanken, bis mich irgendwann die Erschöpfung einholte und sanft ins Reich der Träume zog. Die Schwester, die am Morgen Jordans Zustand überprüfen sollte, schrie kurz erschrocken auf, als sie mich sah. Das war auch der Grund, weshalb ich schließlich wieder in die Realität zurückkehren musste. Es war eine junge, braunhaarige Aushilfskraft, was man daran erkannte, dass sie kein Namensschild trug. „W-Was machen sie hier?“ Etwas verschlafen blinzelte ich sie an, bevor ich schließlich antwortete: „Bis eben habe ich so wie es aussieht geschlafen, aber dank Ihnen bin ich jetzt wach und ja ich atme und mir tun alle meine Knochen weh und ich müsste mal dringend auf die Toilette. Aber sonst sitze ich einfach nur.“ Der Spaß, den ich machen wollte damit sie keine Angst mehr hatte ging wohl in die falsche Richtung los, denn das junge Mädchen sah mich nun etwas verstört an, drehte sich dann jedoch um und trat ein Stück in den Gang „Schwester Eli, können sie bitte mal herkommen? Ich habe hier ein Problem!“

Problem?! Ich und ein Problem? Wenn sie so weiter machte würde sie bald ein echtes Problem mit mir bekommen! Gerade als ich sie wütend anschnauben wollte, kam die Frau, die sie gerufen hatte, und ich kannte sie nur zu gut, es war dieselbe Frau, die gestern Abend an der Rezeption gesessen war und mir die Nachricht überbracht hatte, dass ich die Nacht über hier bleiben konnte, mir aber erst morgen ein Bett bereit gemacht werden konnte, da derzeit keins in einem ordentlichen Zustand war. Sie lächelte mich nur an und fragte dann die verzweifelte Jüngere: „Was gibt’s denn für ein Problem, Moni?“ die Kleinere legte den Kopf etwas schief und deutete dann in meine Richtung „Er, darf er denn hier sein?“ Sie lachte erst, bevor sie schließlich nickte und dann begriff, dass Moni etwas überfordert war „Geh du doch schon mal in das nächste Zimmer, ich muss hier sowieso noch etwas klären, okay?“ Ohne einen Ton und mit einem Gesicht in der Farbe einer Tomate verließ sie den Raum und schloss die Tür hinter sich.

„So also, Jojo, wenn ich das richtig in Erinnerung habe“, ich nickte nur ehe sie weiter sprach „Die Werte deines Bruders sind okay, also nichts, was besorgniserregend war. Ihm geht es eigentlich richtig gut in anbetracht der Tatsache, dass er gestern für kurze zeit tot war. Jedoch wird er noch einige Zeit hier bleiben müssen. Das heißt, dass du die Wahl hast. Entweder du besuchst ihn jeden Tag oder du bleibst auch hier. Jedoch müsstest du deinen Aufenthalt zahlen, da du ja nicht verletzt bist. Oder wir machen das inoffiziell und du hilfst mir jeden Tag dabei, deinen Bruder zu waschen, bis er das selbst kann und kümmerst dich auch so um ihn, wenn er dann wieder wach ist. Dann könnte ich mit meinem Chef sprechen und du könntest auch ohne etwas zu zahlen hier bleiben.“ Ich nickte ließ mir die Möglichkeiten noch einmal durch den Kopf gehen. Er hatte mir so oft geholfen, sich immer um mich gekümmert, und jetzt hatte ich die Chance es wieder gut zu machen, für was dachte ich da überhaupt noch nach? „Okay gut und wann geht’s los?“ „Eigentlich jetzt sofort, da wir ihn umziehen müssen und waschen und um ehrlich zu sein, dir würde eine Dusche und frische Kleidung sicher auch gut tun!“

Ich nickte ihr zu und sie half mir Jordan zu entkleiden. Sein Körper war immer noch makellos, seine Haut weich, doch etwas störte mich. Es waren nicht die blauen Würgemale an seinem Hals, die mir nicht gefielen. Wenn ich richtig gesehen hatte, hatte er Narben an seinen Handgelenken. Ich wollte nicht genauer schauen, während die Schwester noch im Zimmer war. Doch als er dann fertig angezogen und gewaschen wieder auf seinem Bett lag und ich mit ihm alleine in dem sterilen Zimmer war, konnte ich einfach nicht anders, als es mir an zu sehen.

Ich erhob mich von meinem Platz gegenüber von seinem Bett und stellte mich vor ihn. Ich wollte gerade seinen Arm umfassen um auf die Unterseite zu sehen, als es klopfte.

Über mich selbst erschrocken ließ ich mich wieder auf meinen Stuhl fallen und rief schließlich in Gedanken verloren herein. Doch als sich die Tür öffnete und ich Emily sah, waren alle Gedanken wie weggeblasen, ich war so froh endlich jemanden zu haben, mit dem ich reden konnte. Jemand, der mich davon abhielt, in meinem Unglück zu versinken. Doch Emily war nicht so fröhlich wie sonst, sie strahlte nicht, fiel mir auch nicht um den Hals, sondern drückte mich nur ein Mal kurz abwesend, ehe sie es sich auf den Stuhl neben mir bequem machte und einen Beutel auf den Tisch legte. „Ich hab dir ein paar Sachen mitgebracht, zum anziehen und waschen und so, wirst ja wahrscheinlich längere Zeit hier bleiben.“ Ich Blick wurde trauriger, und sie konnte mir nicht in die Augen sehen. Einige Minuten herrschte eine bedrückende Stille, ehe ich es nicht mehr aushielt und schließlich fragte: „Wie geht es dir denn?“

Okay vielleicht nicht ganz die Frage die man erwartet hätte, aber ich wusste nicht wie ich sonst hätte anfangen sollten. Da sie mir direkt gegenüber saß, fiel es ihr schwer, die Tränen die sich ihren Weg bahnten vor mir zu verstecken. „Wie es mir geht? Wunderbar, grandios, fabulös, einfach fantastisch! Wie sollte es mir denn sonst auch gehen?“, spottete sie. „Hey Emily, was ist denn los?“ „Nichts ist los! Ich sagte ja, dass es mir super geht, reicht das nicht?“, fauchte sie mich gereizt an. „Wie sollte es mir denn auch anders gehen? Etwa beschissen? Nur weil mein einziger Bruder nun endlich seine echte Familie zurück hat? Nur weil mein einziger Bruder sich jetzt nicht mehr für mich interessiert? Nur weil er endlich wieder die Person hat, die ihm immer schon wichtiger war als ich? Nur weil mein bester Freund nun seinen besten Freund wieder hat?“ Ihre Schminke verlief sobald die erste Träne über ihre Wangen lief und ihr viele danach folgten „Nur weil die Person, die mir wichtiger ist als alles auf der Welt, für die ich alles tun würde, die ich nur ein einziges verdammtes Mal lachen sehn wollte, die ich glücklich machen wollte, von der ich so sehnlich wollte, dass sie mir diesen Tag mit ihrer Liebe dankt, nur durch das Wiedersehen dieses Typen da drüben glücklicher ist, als ich sie je hätte machen können?“ Ich war sprachlos, ja klar wusste ich, dass es ihr nicht gefällt, natürlich wusste ich, dass es auch eine Kehrseite gab, aber andererseits wusste ich nicht einmal, ob ich weiterhin so glücklich wegen ihm sein werde. Er hatte mich immerhin aus irgendeinem unbekannten Grund einfach so im Stich gelassen, alleine, seinen kleinen Bruder.

Emily stand auf und lief mit gesenktem Kopf und schlurfenden Schritten zur Tür, ich rief ihr hinter her: „Halt Emily, warte, bleib bitte stehen!“ und tatsächlich, sie blieb stehen und sah mich mit einem tieftraurigen Blick an. „Für was?“ Ich stand auf und legte meine Arme um sie, drückte sie fest an meinen Körper, darauf bedacht sie nicht zu erdrücken. „Emily, du wirst meine Schwester bleiben, immer mein kleiner Sonnenschein, der gute Laune verbreitet. Ich werde dich nicht vergessen, nur weil er wieder da ist. Ich weiß, dass du mich nicht nur als Bruder willst, ich bin mir dessen bewusst, was du für mich empfindest, nur ich erwidere diese Gefühle leider nicht. Ja, ich liebe dich als meine Schwester, als meine Freundin, meine beste Freundin, als eine Art Kumpel, ja mit dir kann man Pferde stehlen und ich bin dir auch verdammt dankbar, dass du das alles für mich getan hast. Nur es war nicht geplant und ich habe ihn solange nicht gesehen, ich freue mich einfach so riesig, dass mein tot geglaubter Bruder noch lebt, bitte versteh das doch!“ Sie sah mich an mit ihren großen… ach ihr wisst schon, Kulleraugen! Legte eine Hand auf meine Wange und während die andere in Richtung meines Nackens wanderte, beugte sie sich vor und legte ihre Lippen auf meine. Etwas verstört riss ich meine Augen auf, ich wusste in dem Moment nicht, was geschah und konnte mich nicht rühren, geschweige denn klar denken, sie forderte Einlass um den Kuss noch intensiver zu machen und ich hatte keine andere Wahl, als ihr eben diesen zu gewähren.

Schließlich, nach einer halben Ewigkeit, löste sie sich von mir und stolpere einen Schritt zurück. Wie automatisch fasste ich mir mit einer Hand an den weit offen stehenden Mund. War das gerade wirklich geschehen, hatte sie mich wahrhaftig, nein das konnte doch nicht sein. Etwas verdutzt sah ich sie an. Doch sie stand nur mit schüttelndem Kopf und gesenktem Blick da und murmelte vor sich hin „Warum, warum verdammt? Warum lässt du so was zu, so etwas wunderbares, wenn du mich doch nicht liebst, wenn es doch bei diesem einen Kuss bleiben wird? Wenn da doch kein Gefühl ist?“ Wieder fing sie an zu weinen, drehte sich um und stürzte aus dem Raum.

Ich stand noch einige Minuten wie angewurzelt an ein und derselben Stelle, bis ich auf einmal ein schmerzhaftes Stöhne vernahmen. Ich blickte zu Jordan und sah, dass seine Augenlider zitterten. Schnell lief ich die paar Schritte zu dem Bett und sah ihn an. Wirklich, seine Lider zitterten und er gab einige Geräusche von sich, die definitiv davor nicht zu hören waren. Leise zog ich meinen Stuhl näher an das Bett und setzte mich. Meine Hände hatte ich auf die Matratze gestützt und den Kopf in den Händen. Irgendwann wurde ich müde und legte meinen Kopf auf die flach auf dem Bett liegenden Hände. Gerade als ich am einschlafen war wieder eine Veränderung. Ich blickte auf, sah ihn einige Momente an, streckte mich kurz und als ich wieder zu ihm sah, wurde ich nachdenklich. Wie lange ich ihn nicht gesehen hatte, wie sehr er sich verändert hatte, ich hatte ihn gestern ja nicht einmal mehr erkannt. Seine Gesichtszüge waren markanter, grober, erwachsener, okay was wollte man denn anderes erwarten? Er war ja schließlich auch schon vierundzwanzig und wirklich erwachsen.

Vorsichtig legte ich meine Hand an seine Wange und fing an sanft darüber zu streichen, seine Haut war immer noch so weich, so weich wie damals. In dem Moment, in dem ich wieder in Gedanken verfallen wolle, öffnete er seine Augen einen Spalt breit und legte seine Hand auf meine und als er mich ansah, legte sich ein leichtes Lächeln auf sein Gesicht. „Mein kleiner Jojo, es tut mir so leid, ich wollte das nicht, wirklich, glaub mir…“ Ich strich eine Strähne aus seinem Gesicht und legte meinen Zeigefinger der anderen Hand auf meine Lippen. „Schhhhh, ganz ruhig, schon deine Stimme, du hast später noch genug Zeit mir alles zu erzählen! Und jetzt schlaf etwas, ruh dich aus, damit du bald wieder fit bist.“ Ich zog langsam meine Hand weg und wollte gerade aufstehen, um den Schwestern bescheid zu geben, dass er auf gewacht ist, da fasste er meine Hand und kreuzte seine Finger mit meinen. „Bitte bleib da, ich brauch dich doch!“, flüsterte er kaum hörbar „Ich bin doch gleich wieder da ich will nur den Ärzten sagen, dass du auf gewacht bist, dann bin ich wieder da.“ Hoffnungsvoll sah ich ihn an doch er schüttelte nur schwach den Kopf. „Nein die machen dann nur Tests und stellen Fragen, zu viele Fragen, ich will wieder fitter sein wenn sie fragen, ich will klar denken können. Bitte, bleib einfach bei mir!“ sanft drückte er meine Hand etwas fester und ich setzte mich schließlich wieder richtig auf den Stuhl und streichelte sanft mit meinem Daumen seinen Handrücken, bis er schließlich irgendwann gleichmäßig atmend eingeschlafen war.

Ich sah mich etwas in dem Zimmer um und entdeckte die Tasche, die Emily für mich mitgebracht hatte und erinnerte mich an meinen Plan zu duschen, den ich auch sogleich in die Tat umsetzte. Das warme Wasser tat gut, lange ließ ich es auf meinen nackten Körper hinab fließen, genoss die Wärme, dieses wohlige Gefühl von Zufriedenheit, das es in mir auslöste, ja, wirklich Zufriedenheit. Ich, Jojo Glen, war nach so langer Zeit endlich wieder zufrieden. Nach so vielen Jahren Einsamkeit, Trauer, Schmerz, Hass war ich endlich zufrieden und glücklich. Nicht überglücklich musste ich leider zugeben. Das, was mit Emily vorhin geschehen war, gab mir schon zu denken und auch so einiges anderes gab es noch, was ich klären musste, aber doch, im Großen und Ganzen war ich zufrieden.

Ich griff nach dem Duschgel und mein Blick fiel auf meinen Unterarm und holte mich wieder ein Stück weit in die grausamere Welt zurück, denn was ich sah gefiel mir nicht. Narben, von einem feinen zart rosa bis zu einem noch recht frischen dunklen Grind war alles dabei. Angewidert schüttelte ich mich, wie in Teufels Namen war ich nur dazu fähig gewesen so etwas zu tun? Mir selbst so weh zu tun? Doch mein nächster Gedanke galt nicht mir, er galt Jordan und dem was eigentlich mein Vorhaben war, bevor Emily mich dabei fast ertappt hätte. Schnell spülte ich den Schaum von meinem Körper, stieg aus der Dusche und zog mir frische Kleidung an. Ich musste es wissen. Hatte ich mich geirrt? War es nur eine Sinnestäuschung? Bitte Gott, lass es das gewesen sein, lass ihn nicht so dumm gewesen sein wie mich.

Etwas unsicher lief ich auf das Bett zu in dem Jordan immer noch so schlief, genauso wie zuvor, bevor ich unter die Dusche gestiegen war. Vorsichtig schritt ich auf den Stuhl zu mit dem ich mich mittlerweile angefreundet hatte. Ich setzte mich wie in Trance hin, sollte ich wirklich? War es mir erlaubt einfach so seine Privatsphäre zu durchbrechen? Ja, ich musste es einfach sehen, musste sehen, dass ich mich geirrt hatte, dass es nicht so war, ich hielt diesen innerlichen Druck nicht mehr aus, konnte ihn nicht verdrängen. Vorsichtig griff ich sein Handgelenk und drehte es so, dass die untere Seite nach oben zeigte und da waren sie, viele kleine Schnitte und Narben wie bei mir. Ich legte seinen Arm auf dem Bett ab und schob meine Jacke nach oben. Verglich die Verletzungen und war erstaunt. Wie bei mir genauso, vielleicht nicht die Anzahl, aber die Anordnung, die Stellen, die Tiefe und leider auch die Frische.

Erschrocken, als hätte ich etwas Verbotenes getan, legte ich seinen Arm wieder so hin, als wäre nichts gewesen und setzte mich wieder aufrecht hin um einen Blick auf die Uhr zu werfen.

Mh, 12 Uhr 30 Minuten, sollte es nicht irgendwann etwas zu Essen geben? Mir fiel auf, dass ich seitdem ich heute Morgen aufgewacht bin eigentlich hungrig war und seit über einem Tag keinen Bissen mehr gegessen hatte. Wie gerufen klopfte es an die Tür und Schwester Eli brachte mir mein Mittagessen. „Lass es dir schmecken!“, meinte sie noch und wollte wieder gehen, kurz davor stoppte ich sie noch einmal „Er ist vorhin aufgewacht, wollte aber nicht dass ich es ihnen mitteile, da er für die Befragung fit sein wollte. Ich werde ihnen Bescheid geben, wenn er sich bereit dazu fühlt!“ Sie nickte nur und verschwand aus dem Zimmer. Freudig setzte ich mich an den Tisch und aß mein Essen schnell auf, ich schlang es gerade zu in mich hinein. Es schmeckte überraschenderweise nicht mal schlecht, okay bei meinem Hunger hätte ich wahrscheinlich alles gegessen und behauptet es wäre ein hervorragendes Essen gewesen!

Schließlich nahm ich wieder meinen Platz auf dem Stuhl ein, legte jedoch meine Arme diesmal nicht auf die Matratze sondern auf seinen Oberkörper und meinen Kopf mit Blick zum Fußende auf meine Hände. Erst starrte ich nur etwas so vor mich hin ohne wirklich etwas zu denken, ich lauschte einfach nur den gleichmäßigen Atemzügen und genoss seine Wärme, doch irgendwann zog es mir meine Augen zu und ich schlief ein. Ich wusste nicht wie lange ich geschlafen hatte, doch ich wurde plötzlich geweckt, als ich merkte wie etwas durch meine Haare fuhr. Etwas murrend hob ich meinen Kopf und drehte ihn in die andere Richtung.

Als ich in Jordans Gesicht sah erschrak ich und hob meinen Kopf an. „Ent-Entschuldigen Sie! Ich, Ähm, meine ich… ich wollte das nicht!“, doch statt ernst zu meinen, dass es schon okay wäre, fing mein Gegenüber plötzlich an zu lachen und meinte: „Ach seit wann siezt du mich denn?“ Mir wurde bewusst, was ich eben von mir gegeben hatte. Mein Pech war nur, dass das Licht über uns brannte und dadurch die Tatsache, dass es um 23 Uhr eigentlich dunkel war, keinen Vorteil für mich brachte, als ich rot wie eine Tomate anlief „Ähm Schuldigung ich… ich meine natürlich du und so!“ Wieder grinste mein Bruder. „Ist schon gut mein Kleiner. Du siehst immer noch so süß aus wenn du rot anläufst!“ „Ich bin nicht klein und süß auch nicht!“, wehrte ich mich empört gegen die Aussage und verschränkte unbewusst die Arme vor der Brust, als wäre ich ein kleiner Junge der bockig ist. „Ach, das kannst du auch noch? Bist du aus dem Alter nicht eigentlich draußen?“, meinte er wieder lachend und strubelte mir durch meine Haare, worauf ich dann beleidigt eine Schmolllippe zog „Dafür ist man wohl nie zu alt!“, erwiderte ich trotzig als er seine Arme ausbreitete und mich schließlich aufforderte „Na komm her!“ Ich schlang meine Arme um ihn und er drückte mich fest an sich. „Endlich hab ich dich wieder, mein kleiner Engel!“, flüsterte er zu mir, doch ich war vor lauter Glück nicht fähig zu antworten, doch der Grund, dass ich nicht antworten konnte, wurde bald ein anderer. „Jordan? Könntest du mich bitte etwas lockerer nehmen, du erdrückst mich gerade!“ „Mh, lass mal überlegen… Nein!“ „Aber dann hattest du bald mal nen kleinen Bruder!“ „Na und? Mir doch egal!“, gab er gleichgültig zurück und ich konnte nur noch aufstöhnen, so ein Dickkopf. Gerade als ich mich aus seiner Umarmung befreien wollte, lockerte er sie doch noch und meinte entschuldigend: „Tut mir leid, nur ich bin so über glücklich dich wieder zu haben, ich würde dich doch nie im Leben ersticken lassen, oder erdrücken, oder auf sonst eine Weise wieder hergeben!“ Bei den Worten wieder hergeben zog sich mein Herz zusammen, aber warum hatte er es dann getan? Warum verdammt hatte er mich allein gelassen? Ich wollte gerade zu der Frage ansetzen, da überlegte ich es mir noch mal anders, es war nicht der richtige Moment dafür. Trotzdem hatte er wohl bemerkt, dass ich etwas sagen wollte und gab einen neugierigen Laut von sich. „Ich doch auch!“, meinte ich nur und kuschelte mich etwas fester an ihn.

Ich wäre fast wieder eingeschlafen, bis irgendwann mein Rücken anfing weh zu tun, deshalb löste ich mich aus der Umarmung und sah mich in dem Zimmer um, irgendetwas hatte sich verändert. Im ersten Moment wusste ich nicht was es war, doch dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen, da war es, groß und weiß und rief geradezu nach mir. Ja, mein Bett war endlich da, ich wusste nicht ob es schon da gewesen war, als Jordan mich in die Umarmung gezogen hatte oder nicht, aber ich wusste, dass es jetzt da war und dass mein Rücken sich danach sehnte sich auszustrecken. Ich stand auf und wollte mich umziehen, denn außer einigen Jeanshosen, T-Shirts und was man sonst noch so brauchte, hatte ich auch mein Shirt, das ich normalerweise zum schlafen trug in der Tasche von Emily gefunden. Zur Bestätigung knackten meine Wirbel laut als ich mich erhob. Schnell zog ich mich um und legte mich in mein Bett um endlich in die wundervolle Welt der Träume zu gelangen.
 

Doch dies blieb mir nicht so lange wie erhofft gegönnt, denn um vier Uhr morgens wachte ich durch seltsame Geräusche neben mir auf. Ein Husten, dann ein nach Luft schnappen und ein Würgen. Ich machte das Licht an und erschrak bei dem Anblick. „Jordan!“, flüsterte ich nur erschrocken, ehe ich verzweifelt den roten Knopf über mir betätigte um eine Schwester zu rufen. Das, was vor meinen Augen lag, war wirklich ein Bild des Schreckens. Jordan saß auf der äußersten Kante seines Betts und hustete, er hustete solange bis er schließlich würgen musste, doch da er anscheinend seit langem nichts gegessen hatte kotzte er nur Blut aus sich heraus, es hatte sich schon eine ganz schöne Menge auf dem Boden gesammelt. Vorsichtig stand ich auf, bedacht nicht in die Blutlache zu treten machte ich einen großen Schritt legte meine Hand um seine Schultern und fuhr ihm beruhigend über den Rücken. „Jojo...!“, stammelte er vor sich hin, nicht in der Lage weiter zu sprechen, da er wieder husten musste. Bei dem bitteren Anblick den er mir bot, kamen mir die Tränen. Er sah mich mit gläsrigen Augen an, seine Haare klebten verschwitzt an den Seiten und ein kleines Rinnsal Blut lief aus seinem Mundwinkeln. „Schhhhh, ganz ruhig es wir alles gut, es kommt gleich jemand und hilft dir!“, versuchte ich auf ihn einzureden, ich war mir nicht sicher, ob es zu seiner oder doch eher zu meiner Beruhigung war. Sanft strich er über meine Wange und wischte somit eine einzelne Träne, die aus meinen Augen gequollen war weg. „…du… du solltest das nicht sehen…“, murmelte er bedrückt vor sich hin. „Hey, ich bin mittlerweile alt genug um das zu verkraften!“, spottete ich, da ich selbst wusste, dass das nicht stimmte, ich hielt es nicht aus ihn so hilflos zu sehen und so leidend. Er war immer der gewesen, dem es nie schlecht ging, der immer fröhlich war, nie schlecht gelaunt oder einfach bedrückt. Das war zu viel für mich.

Genau in diesem Moment öffnete sich die Tür und einige Schwestern kamen auf sein Bett zu gelaufen. Ich setzte mich im Schneidersitz auf mein Bett zurück und beobachtete genau was sie taten. Wie sie kreischten, die Ärzte verständigten, die im Bereitschaftsdienst waren, Jordan mitsamt seinem Bett aus dem Zimmer schoben, er sah mir noch einmal traurig nach, ehe sie ganz aus dem Zimmer verschwunden waren und nun war ich wieder allein, wieder in Sorge um Jordan.

Irgendwann nach einiger Zeit kam eine Schwester und wischte das Zimmer, beseitigte die Spuren, doch ich saß immer noch da, starrte auf die Tür und schwieg. Wann würde er wieder kommen? Was war überhaupt los? Warum konnte es ihm nicht einfach besser gehen? Ohne Komplikationen? So viele Fragen und doch keine Antworten. Nach einer halben Ewigkeit schließlich hörte ich das Rattern von Rollen auf dem Gang und dann öffnete sich die Tür. Das Bett wurde rein geschoben, Jordan schlief, war an einen Tropf gehängt, ihm folgte Eli, die mittlerweile fast wie eine Freundin für mich war, eine Vertraute im tristen Alltag des Krankenhauses, was rede ich, ich rede als wäre ich hier schon Ewigkeiten, dabei ist es erst einen Tag her, dass ich hergekommen bin.

„Was war los? Was hatte er?“, sie blickte zu Boden „Eine allergische Reaktion auf die Medikamente, die er bekommen hatte und da sein Magen schon von anderen Tabletten beschädigt war, kam es zu Blutungen, die aber von selbst aufhörten.“ Ich überlegte einen Moment, ehe ich fragte: „Tabletten? Was heißt das? Wie vorgeschädigt?“ Sie sah mich mit einem festen Blick an und meinte dann kühl: „Das mit dem Baum schien nicht das erste Mal zu sein, dass er versucht hatte sich umzubringen. Neben vielen Schnitten an seinem Unterarm, sowie einigen Verbrennungen am ganzen Körper, muss er auch schon durch eine Überdosis Schlaftabletten versucht haben sich umzubringen!“ Sie drehte sich um, blieb noch einmal in der Tür stehen und sah ihn abwertend an, dann schaute sie zu mir und ihr Blick wurde weicher. „Es tut mir leid, was mit deinem Bruder ist und das du dir solche Sorgen machen musst, bist ein netter, hübscher Junge und hast was besseres verdient… also schlaf jetzt noch ein paar Stunden, der Schlaf wir dir gut tun! Glaub mir!“ Mit den letzten beiden Worten schloss sich die Türe.

Tabletten also auch noch? Wurde das denn nie besser? Erfuhr ich denn nur noch Schlimmeres über ihn? Ich schüttelte den Kopf, wollte die Gedanken verdrängen. Das konnte nicht sein, warum nur? Ich war mir sicher, irgendwann würde der Zeitpunkt kommen, an dem ich ihn fragen werde warum er das getan hat. Aber nicht jetzt. Nicht in nächster Zeit! Ich schloss meine Augen und versuchte wieder einzuschlafen, was auch nach einiger Zeit klappte.
 

Als ich am nächsten Morgen erwachte schien bereits die Sonne und beim Blick auf die Uhr wusste ich auch warum. Es war immerhin schon elf Uhr und ich lag noch in meinem Bett und schlief. Genüsslich streckte ich mich. Ich hatte die Vorfälle der letzten Nacht schon fast vergessen, bis ich auf Jordans blasses Gesicht, den Tropf an dem er hing und die Blutreste auf seiner Haut sah. Ein Schauer durchfuhr mich und ich konnte ihn nicht weiter anschauen, ich musste weg! Schnell weg, irgendwo hin, wo ich nicht an ihn dachte, Mh geht nur schlecht wenn man in einem Krankenhaus festsitzt…

Also beschloss ich, dass ich ermal ins Bad ging um mich frisch zu machen. Ich zog mein T-shirt aus, tauschte meine Short gegen eine Neue und ging nur mit eben dieser neuen Short bekleidet in das kleine Bad, das zum Zimmer gehörte. In dem behelfsmäßigen Bad gab es nicht viel, einen riesengroßen Spiegel links von mir, der direkt über dem weißen Waschbecken hing, eine Toilette auf der rechten Seite und eine Dusche wenn ich gerade aus laufen würde. Duschen? Schon wieder? Ich war ja ein hygienischer Mensch, aber jeden Tag musste dann doch nicht sein. Somit beschloss ich also, dass eine Katzenwäsche genügen musste. Verzweifelt suchte ich nach einem Waschlappen und als ich im bad nicht fündig wurde beschloss ich, dass Emily doch sicher so nett gewesen war und auch an meine Kulturtasche zu denken. Nichts Schlimmes ahnend öffnete ich die Tür und ging wieder ins Zimmer. Als ich die Tür geöffnet hatte und mit einem schnellen Schritt heraustrat, lief ich direkt gegen die Aushilfsschwester, Moni hieß sie denke ich, wenn ich mich nicht irre.

Sie schwankte kurz etwas und schaute dann auf um festzustellen, was geschehen war, doch ihr Blick war nicht lange nach oben gerichtet, denn als sie gesehen hatte in welcher Situation sie sich befand und dass ich nur in Unterwäsche vor ihr stand, wurde sie wieder knallrot und sah zu Boden. „I-Ich… I-ich wollte Ihnen beiden nur das Mittagessen bringen, tut mir leid, dass ich nicht geklopft habe, ich dacht sie wären schon etwas länger wach!“ Ich grinste, ich fand es schon immer irgendwie putzig, wenn Mädchen beim Anblick eines Jungen rot wurden, als ich noch jünger war, war das ja noch normal bei den Mädchen im selben alter, aber dass das selbst mit, naja vielleicht 16 oder 17 auch noch der Fall war wunderte mich. „Ach, ist schon okay, ist doch nicht so schlimm, solange das nicht zur Gewohnheit wird, dass du dich jedes Mal blamierst wenn wir uns sehen.“ Und prompt wurde sie noch röter. „Oh tut mir Leid, ich wollte mich nicht über dich lustig machen.“ Sie blickte mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Nein ist schon gut. Kann ich die Versehen irgendwie wieder gut machen?“ Ich überlegte und sah mich in dem Zimmer um, Jordan schlief immer noch und es sah auch nicht so aus, als würde er bald aus seinem Schlaf erwachen und ich würde nur allein hier rum sitzen. „Mh, ich weis nicht, an was hattest du denn gedacht?“ Sie schwieg einen Moment und schien wirklich angestrengt nach zu denken „Ich hab’s!“, sprudelte es auf einmal stolz hervor „Das Essen hier ist ja nicht das Beste, deswegen würde ich das jetzt wieder mit nehmen und unten im unteren Teil des Krankenhauses gibt es ein kleines Restaurante und da gehen wir dann in meiner Mittagspause hin, da kannst du mal was Besseres essen!“ Ich sah sie etwas überrascht an, dass das Mädchen, das eben noch so schüchtern, klein und zerbrechlich wirkte auf einmal so aufgeschlossen war wunderte mich wirklich. Aber was soll’s, mir soll’s Recht sein, ein Essen umsonst und etwas Gesellschaft und das nur weil ich in Shorts vor ihr stand. So lässt sich’s leben… wenn das nur immer so einfach wäre im Leben. „Okay, kommst du dann wenn du Pause hast? Ich kenne mich hier ja nicht aus!“ Sie nickte nur und war plötzlich wieder das kleine, schüchterne Mädchen, doch hatte ich mich getäuscht oder hatte sie eben so ein Funkeln in den Augen? Na ja egal, wird sicher lustig, kann ich mich mal etwas vom tristen Alltag ablenken.

Ich ging, nachdem ich endlich meinen Kulturbeutel gefunden hatte, wieder ins Bad, machte mich fertig, zog mich an und schminkte mich, damit ich rechtzeitig fertig war, wenn Moni kommt, was auch bald der Fall war. Ein zaghaftes Klopfe an der Tür war ihre Ankündigung, dann kam sie auch schon herein. Und Wow, sie sah wirklich gut aus. Ihre sonst so streng zurück gebundenen Haare waren offen und statt des Arztkittels trug sie ein Top und darüber eine Jeansjacke. Ich musste sie wohl etwas lange so verdutzt angesehen haben, denn sie kam auf mich zu, schnappte sich meinen Arm und zog mich mit einem breiten Lachen mit sich aus der Türe. „Ich hab Schluss für heute! Muss nicht mehr arbeiten, können also wenn du nichts dagegen hast den ganzen Tag was zusammen machen!“ Ich musste nicht lange nachdenken um ihr zu zustimmen. Abwechslung war das, was ich brauchte und Abwechslung war es was sie mir bot!

„Und wohin gehen wir jetzt?“, fragte ich neugierig als sie mich durch die Gänge zog. „Lass dich überraschen Jojo!“ Etwas unzufrieden lief ich ihr murrend hinter her. Dieses fremde Mädchen zog mich quer durch ein Krankenhaus, in dem ich noch nie war, in dem ich meinen Bruder wieder gefunden habe und sagt mir nicht einmal wohin es gehen wird. So weit bin ich also gesunken, von einem mies gelaunten Jungen, der nichts machte, das er nicht wollte oder kannte, zu einem grinsenden Teenie, der sich von Wildfremden durch wildfremde Gebäude zerren ließ. Das machte mich wirklich stutzig, aber ich musste zugeben, es machte echt Spaß.

Unser Weg endete vor dem Restaurante des Krankenhauses. „Ich weiß, es ist kein Nobelladen oder so und das Essen ist auch nicht gerade wundervoll, aber das Einzige, das es in der Nähe gibt!“ Ich nickte nur und öffnete Moni dann die Türe. Wir setzten uns an einen Tisch weit hinten im Lokal, von dessen Fenster aus man einen tollen Blick auf, ja was war das eigentlich? Na ja auf jeden Fall auf das Dach des angrenzenden Gebäudes. Nachdem wir die Karte durchstöbert hatten, bestellten wir schließlich unser Essen und unterhielten uns noch lange über die verschiedensten Themen.

„Na willst du mal meinen Lieblingsplatz hier im Krankenhaus sehen?“, fragte sie mit einem breiten Grinsen „Ja klar, gerne, ich kenne mich hier ja nicht aus“ „Mh, zeige ich dir aber nicht!“ Sie streckte mir die Zunge heraus, stand auf und wollte schon weiter gehen, als sie sich noch mal umdrehte und meine Schmolllippe sah. „Ach komm schon Jojo, denkst du wirklich, dass ich dir den nicht zeige? Aber wenn du ihn sehen willst musst du schon mitkommen!“ Wieder begann ein Weg quer durch die Gänge des Hospitals. Nur mit dem Unterschied, dass ich diesmal nicht von ihr gezogen wurde, sondern gemütlich neben ihr her schlenderte, während sie damit beschäftigt war meine Hand zu umklammern. Vor einer Stahltür machte sie halt. „So und jetzt Augen zu und nicht blinzeln!“ Brav befolgte ich ihren Befehl und schloss meine Augen. Ich hörte das Quietschen des Metalls und ein Schleifen, als die Tür geöffnet wurde. Da ich von Grund auf ein sehr neugieriger Mensch war, wurde ich langsam ungeduldig. Schließlich fasste sie wieder meine Hand und zog mich ins Unbekannte. Irgendwann, nach Sekunden, die mir wie Minuten vorkamen und wenigen Schritten, die sich anfühlten als wären es Tagesmärsche, blieb sie stehen und flüsterte: „Ja, wir sind noch recht zeitig… komm jetzt kannst du deine Augen aufmachen Jojo!“

Langsam schlug ich meine Augen auf und war fasziniert von dem was ich sah. „Wow!“, war das Einzige was ich von mir geben konnte. Es war Atemberaubend, so schön und unbeschreiblich. Wie in einem Film. Um es genau zu sagen war die Aussicht genial. Man fühlte sich als würde man fliegen, links und rechts um einen herum war Stadt, die Stadt in der ich wohnte und lebte, so lange Zeit die Stadt, die ich so schrecklich fand. Doch sie sah anders aus, sie war wie in ein rosanes Licht getaucht. Alles hatte einen rötlichen Schimmer und genau gegenüber von mir ging sie Sonne gerade unter. Wie ein großer Feuerball der in ein Meer von Flammen taucht. „Na, zu viel versprochen?“ „Nein!“ Ich war wie benommen von der Aussicht. Es war alles so perfekt wie in einer schlechten Liebesgeschichte. Mit einem hübschen Mädchen an einem solch wunderbaren Ort es fehlte ja nur noch das sie... Doch ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen.

„So und jetzt beantwortest du mir zur Belohnung drei Fragen wahrheitsgemäß!“ Ich nickte und stützte mich auf die Mauer, die um die Terrasse auf dem Dach des Krankenhauses gezogen war. „Okay, Frage eins: Wer war das Mädchen, das heulend aus deinem Zimmer gestürmt ist?“ „Ach Emily? Sie ist nur meine kleine Halbschwester, also die Tochter der Familie die mich adoptiert hat, und sie weinte, da sie es nicht verkraftet, dass ich jetzt meinen echten Bruder wieder habe. Nächste Frage?“ Ich wollte schnell weiter machen, damit ich nicht die schöne, fröhliche Stimmung durch meine schlechten Gedanken vermiese. „Okay, das heißt sie ist nicht deine Freundin… okay Frage zwei: Hast du denn eine Freundin?“ Ich schüttelte unbegeistert den Kopf. Was sollte diese Fragerei, was brachten ihr meine Antworten? Bevor sie die nächste Frage stellte, schritt sie auf mich zu und legte ihre Hände auf meine Schultern. „Die dritte und letzte Frage…“ Sie beugte sich immer weiter vor, bis nur noch wenig Abstand zwischen ihrem und meinem Gesicht war. „Darf…Darf ich dich küssen?“ Ich riss die Augen auf, schon wieder küssen? Wieder so unerwartet, doch bevor ich auch nur die Chance hatte zu antworten, legte sie ihre Lippen auf meine und küsste mich leidenschaftlich.

War Küssen immer so gefühllos? So kalt? Ohne Kribbeln? Ohne Wärme, Geborgenheit oder sonst etwas? Ich hatte vor Emilys Kuss noch nie einen bekommen, aber auch bei ihr war außer Verwirrung keine Gefühlsregung zu spüren. Ein Kuss soll jemanden davon überzeugen, dass es Liebe ist. Es soll ein Geschenk zweier Liebender sein, die so ihre Verbundenheit und ihre Liebe zeigten, aber das hatte nicht ansatzweise etwas damit zu tun. Und zu allem Überfluss stand ich gegen die Mauer, sodass ich mich nicht einmal hätte wehren können wenn ich wollte.

Als ich verwirrt genug war stieß ich sie von mir, fuhr mir mit meinem Handrücken über die Lippen und lief schnellen Schrittes wieder in das Gebäude. „Warte, halt Jojo, bleib stehen! Es… Es tut mir leid, ich wollte dich nicht so überrumpeln, es ist einfach so über mich gekommen… ich glaube ich habe mich in dich verliebt!“ Zwar vernahm ich die Worte und auch das Schluchzen, doch wollte ich es nicht hören. Zu viel Verwirrung hatten die beiden Küsse in mir gestiftet. Fast schon rennend suchte ich nach dem Zimmer in dem mein Bruder lag. Schnell öffnete ich schließlich die Tür, schloss sie wieder hinter mir und ließ mich an ihr herunter rutschen.

Warum musste das mir passieren? Warum immer ich? Als ich meine Gefühle wieder einigermaßen geordnet hatte, war es bereits 23 Uhr und aus irgendeinem Grund fühlte ich mich wirklich erschöpft, ich ließ meine Kleidung an und legte mich in mein Bett, schlug die Decke über mich und schlief, nachdem ich noch einen Blick auf meinen Bruder, dessen Zustand außer der Tatsache, dass der Tropf nun weg war, unveränderten war.
 

Ich war gerade am träumen, ein verwirrender Traum mit vielen Küssen. Gerade kam im Traum jemand auf mich zu, ich saß auf einer Bank, ich konnte nicht erkennen wer die Person war, obwohl sie direkt vor mir stand, sie rief meinen Namen, erst leise, dann immer lauter. Doch ich konnte die Stimme einfach nicht einordnen. Ich wollte antworten, doch auch das ging nicht. Plötzlich lag ich hellwach und lachend in meinem Bett. Jordan saß auf meiner Hüfte und musterte mich interessiert. Seine Hände lagen noch an meinen Seiten, an denen er mich so eben aus dem Schlaf gekitzelt hatte. „Gute Nacht!“, verkündete er freudestrahlend. „Gute Nacht?! Du weckst mich um mir gute Nacht zu sagen?“ Ich sah ihn verständnislos an, doch er legte nur den Kopf schief „Na ja ich kann auch guten Morgen sagen, obwohl, ist wohl etwas früh um 3 Uhr nachts! Komm, los, aufstehen!“ Mein Gesichtsausdruck wurde noch fassungsloser, aufstehen? Wohin wollte er denn mitten in der Nacht? Erst jetzt bemerkte ich, dass er nicht mehr seine Krankenhauskleidung trug, sondern wieder seine Jeans und sein T-Shirt. Los, anziehen! Lass uns keine Zeit verschwenden!“ Immer noch ungläubig sah ich ihn an. Er war nun 24 und immer noch genauso abenteuerlustig wie früher. Anscheinend war er außer seinen körperlichen Veränderungen und seiner Stimme kein Stück älter und vernünftiger geworden. Doch dann musste ich grinsen, eben typisch Jordan, immer seinen kleinen Bruder bei Laune halten. „Mh, aber du mal eine kurze Frage, wie denn, wenn du auf mir sitzt?“ Er sah kurz auf meinen Körper auf dem er saß, sah mir dann wieder in die Augen und runzelte die Stirn. „Okay, gut, das ist wirklich ein Argument!“ Langsam stand er auf, streckte sich dann einmal, während er genüsslich gähnte.

Ich schlug die Decke auf um noch mal überrascht zu werden. Hatte ich wirklich vergessen mich auszuziehen. „Hast du gewusst, dass ich dich mitten in der Nacht wecke oder ist das Zufall?“, wollte mein Bruder erstaunt wissen. Ohne weiteren Kommentar zog ich mir meine Schuhe an und stellte mich dann vor den Größeren. Neugierig sah ich ihn an. „Und jetzt?“ Kurz dachte er nach, ehe er antwortete: „Keine Ahnung, soweit ging mein Plan nicht, das wollte ich mir eigentlich überlegen während du dich anziehst!“ Etwas verlegen sah er zu Boden, bis ich ihn in die Seite kniff. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder?“ Er sah wieder auf und grinste mich breit an. „Nein, natürlich nicht. Jetzt muss ich erst Mal raus hier. Diese Luft und diese kalten Wände… das ist nichts für mich!“ Etwas genervt verdrehte ich die Augen. „Es ist aber besser für dich, immerhin warst du… oder wärst du fast…“ das letzte Wort konnte ich nicht aussprechen, auch konnte ich ihm nicht in die Augen sehen. „Hey, ich weiß, dass es nicht okay von mir war, aber ich hatte eben meine Gründe und falls es dich beruhigt, es ist nicht das erst Mal, dass ich hier liege wegen solchen Sachen.“ Ich schluckte, er war nicht der Einzige der deswegen schon hier war, nur er war es doch, der mich im Stich gelassen hat. Er hatte doch keinen Grund, er hatte sein Schicksal selbst gewählt und meins auch! Etwas bedrückt sah ich auf den Boden. Er legte seine Finger unter mein Kinn und hob meinen Kopf an „Hey zum Reden haben wir später noch genug Zeit und schau nicht so traurig, sonst bin ich auch traurig!“ Beleidig machte er ein tieftrauriges Gesicht. Ich wusste nicht mehr was ich sagen sollte, deswegen schlang ich einfach meine Arme um seinen zierlichen Körper. „Jordan, ich hab dich so vermisst!“, schluchzte ich. Er legte seine Arme um mich und strich mir beruhigend über den Rücken. „Jetzt bin ich doch wieder bei dir, mein kleiner Engel!“ Es tat so gut einfach bei ihm zu sein, zu wissen, dass man doch nicht so alleine war, ich drückte mich noch näher an ihn, ehe ich schließlich meinen Kopf hob und ihn aus glasigen Augen ansah. Erst sah er etwas bedrückt aus, ehe er wieder grinste und mir durch die Haare wuschelte. „So, dann wollen wir mal los!“ Langsam löste ich mich von ihm. „Und wohin, wenn ich fragen darf?“ Stutzig sah er mich an. „Ich hab doch gesagt raus!“ Er schob mich in Richtung der Tür und bedeutete mir mit an die Lippe gelegtem Finger ruhig zu sein. Langsam öffnete er die Tür und sah in den weißen Flur. Leise schlich er an mir vorbei und übernahm die Führung unserer Fluchtaktion.

Der Gang war leer, also fiel es uns nicht schwer in das Treppenhaus zu kommen. Leise schlichen wir die Treppen runter in die Eingangshalle. Hier saß auch nur eine Frau im Empfang, und die kannte ich nur zu gut. Es war Schwester Eli. Mit einigen großen Schritten überholte ich Jordan und lief grade auf sie zu. „Guten Abend, Schwester!“ „Ah, Guten Abend Jojo! Was machst du den so spät noch hier?“ „Ich wollte Sie nur fragen, ob es mir und meinem Bruder gestattet ist einen kleinen Nachtspaziergang zu machen!“ Sie sah mich etwas skeptisch an. „Und wann gedenkt ihr wieder zu kommen?“ Ich drehte mich etwas hilflos zu Jordan um, der nun direkt hinter mir stand und einen Arm um meine Schultern gelegt hatte. „Mh, wann ist die morgendliche Kontrolle?“ Eli drehte sich um und sah in ihre Unterlagen. „Also deine Visite ist auf 6 Uhr angesetzt, plus minus 30 Minuten. Normalerweise lasse ich das ja nicht zu. Aber bei euch beiden mache ich mal eine Ausnahme! Also los, haut ab, sonst überlege ich es mir anders!“

Ich nickte ihr noch kurz zum Dank zu, ehe Jordan seine Hände an meine Hüften legte und mich aus dem Gebäude schob. Draußen angekommen übernahm er wieder die Führung und lief schnellen Schrittes in Richtung des angrenzenden Parks. Dort angekommen steuerte er auf eine Bank unter einer der großen Eichen zu und setzte sich oben auf die Lehne, ich tat es ihm gleich und setzte mich neben ihn.
 

So sitzen wir also hier und schweigen uns an, keiner traut sich zu dem andern auch nur ein Wort zu sagen. Wie gerne hätte ich Klarheit über meine Vergangenheit, darüber, was er in den Jahren gemacht hatte. Doch eben soviel Angst sitzt in meinen Knochen, Angst ihn wieder zu verlieren. Ein weiteres Mal. Informationen zu bekommen, die ich nicht will, die ich nicht verkraften würde. Details, die nicht ausgesprochen werden sollen. Doch auch Dinge die ich brauche, um endlich mit dem Geschehenem abzuschließen. Um endlich einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Um endlich zu verstehen. Um ihm endlich zu verzeihen. Um ihn zu verstehen und das, was er vorgestern tun wollte. Zu wissen, warum ich all die Jahre so leiden musste. Warum er mich nicht gesucht hat, sich nie bei mir gemeldet hat. Es sind so viele offene Fragen, das ich nicht einmal sagen kann, welche ich zuerst stellen soll. Doch plötzlich fängt er an zu sprechen, er nimmt mir die Entscheidung ab. Kann er vielleicht doch meine Gedanken lesen? Na ja okay, früher hätte ich das vielleicht geglaubt, doch nun, mit fast 17, ja ich betone es wirklich gerne, glaubt man nicht mehr an solche Dinge. Ich sehe ihn nicht an. Will ihn nicht stören, will jedes einzelne Wort aufnehmen, das er zu mir spricht, will kein Einziges verpassen. Kein Puzzlestück soll fehlen. Ich will eine Vergangenheit, eine Vergangenheit, von der ich weiß warum und ich will sie jetzt. Hier und jetzt auf dieser Parkbank will ich meine Vergangenheit zurück haben. Und jetzt wird mich keiner mehr aufhalten!

„Also es wird wohl langsam Zeit, das du erfährst was damals geschehen ist... warum es so war… was mit mir war und warum alles so gekommen ist…“ Ich blickte zu ihm, sein eben noch so strahlender Blick war nun verschwunden und ein trauriger, sorgenvoller Blick war an seine Stelle getreten. „Also, ich weiß nicht so wirklich wo ich mit dem Erzählen anfangen soll… was willst du denn als erstes wissen?“ Ich dachte einen Moment nach. Am brennendsten interessiert mich ja warum er mich im Stich gelassen hatte, doch es ist wohl sinnvoller sich von der Vergangenheit nach vorne zu arbeiten. Deswegen werde ich erst eine andere Frage stellen und mich bemühen ruhig zu bleiben. „Was ist passiert nachdem du mich an der Schaukel sitzen gelassen hast? Warum bist du nicht wieder gekommen?“ Sein Mund formt sich zu einem Grinsen und jetzt sieht auch er mir ins Gesicht. „Ich glaube dir zwar nicht, dass es das ist, was dich am meisten interessiert, aber dann soll es so sein und du wirst als Erstes das erfahren, was noch am einfachsten zu erklären ist.“ Ruhig beginnt er zu sprechen.
 

(I)„Ich bin mir nicht sicher, ob du es noch weißt, aber auf dem Weg zum Haus habe ich die Feuer wehr gerufen. Zwar war mir klar, dass so viel nicht brannte, dafür waren es zu wenige Flammen, jedoch musste ich ja auf Nummer sicher gehen. Schon von weitem sah ich, dass unser Vater, Moment, dein Vater Bruno, im Flur stand mit einem Benzinkanister in der Hand und einem grauenvollen Lachen auf den Lippen. Als ich das Haus betrat, sprach er mich auch sofort an: „Siehst du, was du davon hast, wenn du mit dem Kleinen abhaust, siehst du, wie arm du dran bist, wenn ich nicht für euch sorge? Was willst du denn hier noch? Willst du wie die Schlampe oben im Schlafzimmer auch deinen Tod in dieser Nacht finden?“ Ich war etwas verwirrt, war ja nur noch mal zurückgegangen, um Kate zu retten. „Heißt das… heißt das etwa sie ist tot?“ Der Gedanke verunsicherte mich. Wie skrupellos konnte jemand sein, der seine eigene Frau, die er lieben und ehern sollte, umbringt? Würde er soweit gehen auch mich umzubringen? Meine Frage ob sie tot sei, wurde beantwortet indem er aus seiner Hosentasche ein Blut verschmiertes Messer zog. „Ist das tot genug für dich?“ Erschrocken machte ich einen Satz zurück, ich wollte wieder raus, raus aus dem Haus. Es hatte nur eine Vase auf der Vitrine gebrannt. Deswegen ist auch alles noch so gut erhalten, du hast es ja anscheinend mit eigenen Augen gesehen. Trotzdem zog sich ein Geruch von Benzin durch den Gang, der anscheinend aus dem Wohnzimmer zu kommen schien. Bruno packte mich an meinem Handgelenk und zog mich an ihm vorbei in Richtung Wohnzimmer, so dass er nun direkt zwischen mir und meinem Fluchtweg stand. Er zog mich näher an sich heran und schlug mir mitten ins Gesicht, so wie er es immer getan hatte. Mittlerweile weiß ich ja, dass du es die ganze Zeit wusstest. Wieder und wieder schlug er auf mich ein, mein Gesicht, meinen Oberkörper. Bis ich schließlich jappsend am Boden lag. Selbst dann trat er nach mir. Irgendwann wurde ich dann bewusstlos.
 

Es fällt mir schwer, mir das alles vorzustellen. Zu schrecklich ist das, was er mir soeben erzählt hat. Zu hart ist die Realität, doch ich weiß, dass es die Wahrheit war. Ich kannte meinen Vater. Ob er auch noch lebt? Wie hat er überlebt? Es tuen sich nur noch mehr Fragen auf.

Mehr Fragen, je mehr ich von der Wahrheit weiß. Mehr ungeklärte Tatsachen, von denen nur er wusste. Vorsichtig drehe ich mich zu ihm, in seinem Blick ist etwas Trauriges, aber auch etwas zutiefst Finsteres und von Hass zerfressenes. “Und dann?“, frage ich nur kleinlaut, ehe er seine Geschichte fortführt. Nein, nicht seine Geschichte. Unsere Vergangenheit.
 

Als ich wieder aufwachte, waren vielleicht zehn Minuten vergangen, vielleicht auch eine halbe Stunde, ich weiß es nicht mehr, pochte mein gesamter Schädel und alles tat mir weh von den Schlägen. Die Tür vor mir war verschlossen, doch aus dem Wohnzimmer drang der Klang des Fernsehers. Ich wusste also wo er war. Wusste wo der saß, der uns das alles angetan hatte. Leise rappelte ich mich vom Boden auf und schlich zur Türe. Vorsichtig wollte ich sie öffnen um unbemerkt zum Hinterausgang im Arbeitszimmer zu gelangen. Doch schon bei den ersten paar Zentimetern quietschte diese. Leise fluchte ich, ehe ich auch schon seine Stimme vernahm. „Komm schon rein Jordan. Komm doch her und trinke mit deinem alten Herren eine Flasche Vodka. Es ist so lange her, dass wir mal etwas zusammen gemacht haben. Unsicher drückte ich die Türe ganz auf. Er saß da wie immer in seinem Sessel, eine Flasche Alkohol in der Hand, in der andern eine Zigarette. Langsam lief ich auf ihn zu. „Setz dich doch, hier ist noch ein Sessel frei!“ Unsicher ging ich seiner Bitte nach und setzte mich. Abwertend sah er mich an. Keiner sagte ein Wort, bis ich auf einmal von draußen lautes Sirenengeheule vernahm „Fuck verdammt, wer hat die Bullen gerufen, warst du das etwa?“ Mit einem Satz war er aufgestanden und stand direkt vor mir. Wieder packte er meine Handgelenke. Seine Flasche Alkohol war auf dem Boden gelandet und seine Zigarette gleich hinter her. Plötzlich gab es ein seltsames Geräusch und orangerote Flammen breiteten sich an einer Spur entlang im gesamten Zimmer aus. „Das hast du nicht gedacht, was?“ Sofort fiel es mir wieder ein. Der Benzingeruch. An der Tür hämmerten die Feuerwehrmänner, doch das beeindruckte mein Gegenüber nicht sonderlich. Er zog mich in Richtung der Flammen, wollte mich in sie schubsen. Ich musste mich wehren, verstehst du… es war keine Absicht. Auch wenn ich ihn gehasst habe, ich wollte ihn nie umbringen doch in diesem Moment packte mich die Panik. Ich riss mich los und stieß ihn von mir weg. Er landete hart auf dem Boden, direkt neben den Flammen. Für mich gab es nur einen Ausweg, ich stürzte durch die Flammen in das angrenzende Arbeitszimmer, das auch schon anfing Feuer zu fangen, und dann in Richtung Ausgang. Doch auch diese Tür war verschlossen. So schnappte ich mir einen Stuhl und schlug die Glasscheibe ein. Wenig später mussten die Feuerwehrmänner die Eingangstüre aufgebrochen haben und in die Wohnung gestürmt sein. Einige Männer stürmten nach draußen zu mir und stellten mir einen Haufen Fragen zu meinen Personalien. Sie sagten mir auch, dass mein Vater tot sei und fragten mich, wer der kleine verängstigte Junge sei, der verschreckt und einsam auf der Schaukel saß. Verstehst du, ich wollte zurück zu dir, wirklich. Doch sie ließen mich nicht. Ich hatte Verbrennungen, die dringend versorgt werden mussten. Und einige Glassplitter hatten meine Haut durchbohrt. Nachdem sie wussten, dass du mein Bruder bist und mir erklärt hatten, dass ich nun die volle Verantwortung für dich trug und was sie mit mir machen sollten, ob du ins Heim sollst um adoptiert zu werden, oder ob ich es schaffen würde für uns beide zu sorgen. Ich war damals erst 16, genau wie du jetzt. Da schlug einer der Feuerwehrmänner vor, dass er eine Tochter hatte, die etwa im selben Alter war und dich gerne bei sich aufnehmen würde. Ich wusste nicht was ich sonst hätte tun sollen und stimmte zu. Sie setzten mir eine Sauerstoffmaske auf und brachten mich ins Krankenhaus. Noch auf dem Weg zum Krankenwagen fiel ich in Ohnmacht… Im Nachhinein erfuhr ich, dass auch Bruno bei dem Brand gestorben war und deine Mutter ermordet in ihrem Bett lag.“
 

Ich schlucke hart, das, was ich jetzt erfahren habe, muss ich erst einmal verkraften. Wieder blicke ich zu Jordan. Vorsichtig will ich meinen Arm um ihn legen, da ich sehe, dass seine Augen glasig sind und mit Tränen gefüllt, doch er schlägt ihn weg, kurz bevor ich ihn um seine Schulten legen konnte. Kalt blickt er mich mit seinen kalten blauen Augen an. Unmerklich zucke ich leicht zusammen bei dem ungewohnten Anblick. „Jetzt brauche ich auch kein Mitleid mehr. Es ist Teil meines Lebens, das habe ich mittlerweile eingesehen und ändern kannst du es auch nicht mehr Jojo! Und so viel Ehre habe ich nachdem was geschehen ist noch. Auch wenn ich im Waisenhaus als Sohn eines Vergewaltigers und Säufers bezeichnet worden bin. Auch wenn keiner etwas mit mir zu tun haben wollte. Auch wenn mir das einzige fehlte, was mir wichtig war, was meinem Leben einen Sinn gegeben hatte. Für das ich mein Leben gegeben hätte“ „Ich… ich verstehe nicht“, verlassen die stotternden Worte meine Lippen, doch er blickt nur noch aggressiver. „Was ist mit dir danach geschehen?“, frage ich schließlich, um die Stille zu überbrücken. Er schüttelt nur leicht den Kopf, ehe er weiter erzählt.
 

„Ich wurde mit dem Krankenwagen in ein Krankenhaus gebracht. Nicht dieses, irgendein anderes. Die Ärzte versorgten meine Wunden, trotz alledem musste ich einige Wochen auf der Station liegen bleiben und hatte Bettruhe verordnet bekommen. Genau wie heute. Trotzdem bin ich mitten in der Nacht raus gegangen, schon damals hasste ich Krankenhäuser. Doch ich wurde erwischt und somit gaben die Ärzte keine Garantie mehr auf vollständige Heilung ohne Narben. Warum verstehe ich bis heute nicht. Keine der Wunden war aufgeplatzt und auch hatte sich mein Zustand in keinerlei anderer Hinsicht verschlechtert. Ich wurde aus dem Hospital geworfen und landete, da ich noch nicht volljährig war, in einem Waisenhaus.

Dort fing der Ärger erst an. Einer der „Betreuer“, also ein volljähriger Waise, der dort blieb um den anderen zu helfen, erfuhr von meiner Vergangenheit und meinem „Vater“, diese Detail band er allen schön ausgeschmückt mit einigen erfundenen Einzelheiten auf die Nase. Somit hatte ich meinen Ruf weg und alle verabscheuten mich. Selbst die Heimleiterin konnte mich nicht leiden und gab mir immer die schwersten Arbeiten zu tun. Weißt du wie es ist zwei Jahre lang jeden Tag zu schuften für nichts? Klos zu reinigen, Wäsche zu sortieren, waschen, bügeln, für über 100 Jungen? Ich sag dir, dass sind zwei Jahre Hölle. In der Nacht zu meinem 18. Geburtstag packte ich dann schließlich meine paar wenigen Sachen und um Punkt Null Uhr verließ ich das Waisenhaus. Einige Monate lebte ich auf der Straße. Ohne regelmäßiges Essen, ohne Dach über dem Kopf. Als räudiger Straßenjunge. Was anderes hatte ich ja anscheinend nicht verdient. Bis mich eines Tages die Bullen erwischten, als ich aus einer Supermarktmülltonne einen Apfel stahl. Es war nicht mal im Geschäft. Der wäre eh verrottet und ich wäre sonst mit höchster Wahrscheinlichkeit verhungert. Die Beamten zerrten mich schließlich auf die Wache nahmen meine Personalien auf und fragten dann, wo ich wohnte. Ich erzählte ihnen knapp meinen derzeitigen Stand und sie verhalfen mir zu Arbeitslosengeld und einem Job als Kellner. Mittlerweile spiele ich in meiner Freizeit noch in einer Band Schlagzeug und singe und schlage die Zeit tot. Ja, das ist glaube ich alles was zu meinem Leben zu sagen ist.“
 

Traurig blicke ich ihn an. Mir war klar gewesen, dass er es nicht leicht hatte, auch war mir bewusst, dass er viel erlebt haben muss. Aber das es so grausam war, was er durch lebt hatte. Ich will nicht riskieren, dass er wieder wütend wird und meinen Arm weg schlägt, deswegen bleibe ich einfach sitzen und starre in die Dunkelheit. Nach einer schieren Ewigkeit durchbricht er endlich das Schweigen „So, du bist ja ganz schön neugierig. Hast du noch eine Frage an mich?“ Er bringt das so locker und leicht rüber, schon fast witzig, doch ich kenne ihn noch immer und ich weiß, dass er nur versucht seine echten Gefühle zu überspielen. Ja, es gibt eine Frage, die ich ihm noch stellen muss, unbedingt, aber soll ich das wirklich jetzt tun?

Ich reiße mich zusammen und frage schließlich: „Warum….Warum hast du mich allein gelassen und dich nie für mich interessiert in all den Jahren nicht?“ Schnell verschwindet sein Grinsen und Kummer breitet sich in seinem Gesicht aus, der Kummer breitet sich bei ihm genauso aus wie bei mir die Verzweiflung. Ohne zu wissen was ich jetzt wirklich tue springe ich auf, stelle mich direkt vor ihn und schreie ihn förmlich an: „Warum verdammt hast du mich im Stich gelassen? Dein Versprechen, dass du immer für mich da sein wirst nicht gehalten? Mir mein Leben zur Hölle gemacht? Mich im Unklaren gelassen, was mit dir geschehen ist? Warum hast du dich nie gemeldet, verdammt? Ich hätte dich doch gebraucht … ich… ich wollte mich wegen dir sogar…“ Das letzte Wort spreche ich nicht aus, denn mittlerweile ist Jordan aufgestanden und steht direkt vor mir. Ich schlage mit meinen Fäusten auf seinen Oberkörper ein und schluchze in den Stoff seines weißen T-Shirts. Plötzlich schlingt er seine Arme um mich und drückt mich an sich. Dann beginnt er ruhig zu sprechen, streicht mir dabei sanft über den Rücken und verliert hin und wieder auch selbst eine Träne. „In der Zeit im Krankenhaus ging das ja schlecht, sie hatten mich unter ständiger Beobachtung und ich hatte ja nicht einmal den Namen des Mannes, dem ich dich überlassen hatte. Im Waisenhaus hassten mich alle und wie schon gesagt auch die Besitzerin, sie ließ mich nicht telefonieren oder Nachforschungen anstellen. Auf der Straße ja okay, da hätte ich einmal die Chance gehabt, als dein Adoptivvater mich aufgesucht hatte. Er wollte sich erkundigen wie es mir geht. Doch da ich zu dieser Zeit auch extreme Probleme mit Drogen und Alkohol hatte und meine Arme zerschnitten waren, weil mein Leben keinen Sinn mehr ergab, ging er nach fünf Minuten wieder mit den Worten `bei dem Bruder als Vorbild ist der Zustand des Jungen ja kein Wunder und ich dachte Jojo wäre durchgedreht` diese Worte blieben lange in meinem Gedächtnis, ich wusste ja nicht was genau er damit meinte, aber ich wusste das solche Worte nie etwas Gutes zu bedeuten hatten. Doch beschloss ich, dass es sicher nicht sinnvoll ist wenn du mich siehst. Und später, als ich endlich selbstständig war, versuchte ich alles um dich zu vergessen…“ Vergessen… er wollte mich wirklich vergessen? Einfach so aus seinem Gedächtnis radieren? Okay hatte ich mit ihm auch vor, aber er wusste, dass ich lebe. Ich dachte er wäre tot, das ist ein grundlegender Unterschied. Er bemerkt den Kampf in mir, das ich nicht begreife warum und fügt noch hinzu: „Doch es ging nicht… ich hätte dich nie vergessen können, mein kleiner Jojo.“ Da fiel mir plötzlich noch eine Frage ein, die ich ihm unbedingt stellen musste. „Sind… Sind wir jetzt eigentlich noch Brüder?“ brachte ich mit einem Kloß im Hals hervor. Etwas geschockt blickt er zu mir herüber, so als wäre diese Frage wirklich unverhofft gekommen, was sie aber nicht war.

Er lässt mich für einen Moment los und torkelt einen Schritt zurück. „Wie meinst du das? Warum denn nicht?“ Etwas bedrückt blicke ich zu Boden. Ich komme mir immer noch wie ein kleines Kind in seiner Gegenwart vor. Deswegen stammle ich verlegen: „Na du bist ja ‚Nur’ mein adoptiv Bruder und nicht mein richtiger… deswegen … ich weiß ja nicht wie du das jetzt siehst…!“ Sein entsetzter Gesichtsausdruck wird zu einem Grinsen, ehe er mir durch meine Haare fährt und mit einer sanften Stimme antwortet: „Ach mein Kleiner, na klar sind wir noch Brüder, was du dir nur für Gedanken machst…!“ Vorsichtig legt er eine Hand an meine Wange und ich blicke ihn etwas traurig und mit Tränen in den Augen an. „Hey Jojo, schau doch nicht so traurig. Du wirst immer mein kleiner Engel bleiben, egal was passiert, ich werde immer auf dich aufpassen!“ Etwas überfordert stehe ich da. In mir herrscht das reinste Gefühlschaos, die Trauer, die Angst, die Sorge, alles, was mich in den Jahren so sehr bedrückt hat schwirrt in mir herum, aber auch die beiden Liebesgeständnisse der Mädchen lassen mich nicht so kalt, wie ich es gerne hätte, und dann dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, das Wohlbehagen, die Freude und die Müdigkeit die mir auch ganz schön zu schaffen macht. Etwas benommen torkele ich rückwärts auf die Bank zu und lasse mich auf eben diese fallen. „Jojo, alles okay?“, fragt Jordan bestürzt und kniet sich vor mir nieder. „Jaja, schon okay nur etwas geschafft… tut mir leid, jetzt, wo du schon mal wach bist und es dir wieder besser geht mache ich anscheinend schlapp!“, entschuldige ich mich mit einem leichten Grinsen auf meinen Lippen.

Plötzlich funkeln seine Augen seltsam und er fragt unschuldig: „Bist du müde?“ Unschlüssig was diese Frage jetzt soll nicke ich. Er steht auf streckt sich noch einmal genüsslich, ehe er eine Hand zwischen meine Schulterblätter legt und die andere unter meine Knie schiebt um mich dann auf Händen in Richtung Krankenhaus zu tragen. Unsicher lege ich meine Arme um seinen Hals, um nicht ab zu rutschen. „Was wird das denn?“, frage ich, unschlüssig, ob ich mich wehren oder es einfach genießen soll. „Na ich bringe dich ins Bett, in das so kleine Jungs eben um diese Uhrzeit gehören!“, scherzt er lachend. „Außerdem ist es schon 4 Uhr und wir müssen eh in einer Stunde wieder in meinem Zimmer sein. Oder hat der Herr etwas dagegen?“ Schnell schüttle ich den Kopf und klammere mich noch näher an den Größeren.

Wir durchqueren den Eingangsbereich, wo bei wir Eli Bescheid geben, dass wir da sind und machen uns auf den Weg zu unserem Zimmer, auf dem ja eigentlich niemand sein dürfte.

Und tatsächlich, ohne Komplikationen kommen wir an diesem an. Jordan legt mich noch auf meinem Bett ab ehe ich mich auch schon nach hinten fallen lasse, er mir noch einen Gute Nacht Kuss auf die Stirn gibt und bald darauf mit einem Grinsen auf den Lippen einschlafe.

Zukunft

Ja also das ist nun das letzte Kapitel...

Dann ises Vorbei o_o

ich wollte mich jetzt schon mal bei allen bedanken die die Story gelesen haben, noch lesen und vorallem dennen die auch nen Kommentar da elassen haben! ^^

und ja noch kurz zu den Liedern die darin jetzt vorkommen...

Ich hab da ja 2 Bennant und das ist einmal

Fall out Boy - Champagne for my real friends, and real Pain for my shame Friends

und

Lostprophets - Always all Ways

und ja viel Spaß beim Lesen des Kapitels

Liebe Grüße eure x_XDarkCookyX_x
 

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Mein Name ist Jojo.

Heute ist mein 17. Geburtstag,

und werde im Moment von meinem,

neu errungenem, zuckersüßen

Schatz

durch die Stadt gezogen.

Von einem Schatz,

den ich über alles Liebe,

in einem Leben,

das von Anfang an wirklich

nicht besser hätte sein können,

so schön ist es!

Mit einer Vergangenheit,

die man zwar als beschissen,

aber tolle Grundlage bezeichnen kann,

einer Gegenwart,

in die ich mich

soeben noch ein tausendstes mal

frisch verliebt habe,

und eine Zukunft,

von der ich weiß, dass sie mindestens

genauso toll wird!

Also alles in allem,

finde ich es einfach nur spitzte…

Das ich es durch meine Vergangenheit

endlich geschafft habe,

meinen Platz im Leben zu finden!

Ich möchte euch jetzt die Chance geben,

einen Einblick in mein Leben zu bekommen!

Viel Spaß dabei!
 

Euer Jojo
 


 

Ich öffne leicht meine Augen und muss mich erst mal orientieren. Wo war ich noch mal? Ach ja genau, bei meinem Schatz. Bei dem Gedanken an diese Person muss ich komischer Weise immer grinsen. Langsam setze ich mich auf und gähne genüsslich, ehe ich mich genauer in dem Raum umsehe. Dieser ist neumodisch eingerichtet, aber trotzdem nicht zu kalt und doch fehlt etwas, was noch mehr Wohnlichkeit herein bringen würde in die Wohnung, meine neue Wohnung. Ich muss nicht lange überlegen um zu wissen, dass es mein Schatz ist, der fehlt, also stehe ich auf und begebe ich mich auf die Suche nach ihm. Eigentlich muss ich nur meiner Nase folgen, denn es dringt ein herber Geruch nach Kaffee in meine Nase, der ja nur aus der Küche stammen kann. Mit einem Satz schwinge ich meine Beine aus dem Bett und laufe nur in meiner Shorts in Richtung Küche, in der mein Blick auch schon direkt auf das äußerst ansehnliche Hinterteil meines Lieblings fällt, der auch nicht mehr als ein T-Shirt und eine Pants trägt. „Verdammt Sexy!“, sage ich mehr zu mir als zu meinem Gegenüber, welches sich aber sofort von der Küchenzeile abwendet und mich mit einem wohl wissenden Grinsen ansieht. „Nicht annähernd so sexy wie du!“, flüstert mir mein Gegenüber ins Ohr, ehe es mich leidenschaftlich küsst. „Guten Morgen mein Süßer! Ich wollte dich ja eigentlich überraschen und dir dein Frühstück beziehungsweise unser Frühstück ans Bett bringen, wo du doch ja gestern deinen Geburtstag gefeiert hast“, wieder zieht mich die Person in einen leidenschaftlichen Kuss, ehe sie weiter spricht. „Aber da hast du mir jetzt ja wohl einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dann setz dich wenigstens hin und lass dich hier bedienen!“ Artig folge ich der Anweisung und ich bin überglücklich. Wie es dazu gekommen ist und wer mein Schatz ist? Das ist eine komplizierte Geschichte. Und sie beginnt schon am Morgen nach dem abendlichen Gespräch mit Jordan.
 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte und auf das Bett neben mir schaute, saß Jordan nur kalt da und las in der Zeitung. „Guten Morgen!“, teilte ich ihm fröhlich mit das ich auch endlich aufgewacht war. „Morgen!“, brummelte er nur genervt vor sich hin, ehe er die Seite umblätterte und mich nicht einmal eines Blickes würdigte. Einige Zeit herrschte Schweigen, ehe ich etwas unsicher fragte, „Was ist denn los?“ Endlich blickte er auf und sah mich erst genervt und dann mit eiskaltem Blick an. „Was willst du denn hören? Das ich hier noch zwei Wochen sitzen muss, und nichts essen darf bis die narbe wieder verheilt ist oder das ich Ärger bekommen habe, weil wir draußen waren? Nein sicher nicht, denn du wirst dich ja eh wieder mit deiner kleinen Freundin aus dem Personal vergnügen, genau wie du es getan hast, als ich gestern noch im Koma gelegen habe.“, fauchte er mich gerade zu an. Etwas entsetzt und vor allem sprachlos blickte ich zurück. Was sollte das denn nun heißen? Welche Freundin? Meinte er etwa Moni? Ich wusste nicht, was ich von seinem plötzlichen Sinneswandel halten sollte, denn gestern war er ja noch so anders. Deswegen versuchte ich es noch mal mit fragen. „Welche Freundin? Und was soll das heißen, dass du mir egal bist oder was willst du damit andeuten?“ „Ja! Genau das soll es heißen! Lies dir doch mal den Brief durch, Mausebärchen!“ Genervt verdrehte er die Augen und ich schnappte mir den Brief, den er mir entgegenhielt.

Schnell überflog ich die Zeilen die mit ordentlicher Schrift zu Papier gebracht wurden.

Oh ja der Brief war von Moni, nicht der Moni wie ich sie gestern kennen gelernt hatte, sondern einer Moni, die sich benimmt wie eine 10-jährige. Auf dem ganzen Brief waren wild lauter kleine Herzchen verteilt worden, die Farbe des Stiftes mit dem er geschrieben worden war, war ein grelles Pink und auch die Schreibweise ließ zu wünschen übrig. Statt das sie nur schreibt: Es tut mir leid, aber ich habe mich in die verliebt, führte sie diese Tatsachen soweit aus, das der Brief geschlagene zwei Seiten lang war. Als ich endlich den Brief gelesen hatte wusste ich zwar wovon Jordan redete, allerdings war mir seine Anspielung auf Freundin immer noch nicht klar und auch warum er mir egal sein sollte wusste ich nicht.

„Ja okay, das ist ein Liebesbrief einer Praktikantin die mich gestern zum Essen eingeladen hatte und ja, ich war dann mit ihr auch den halben Tag über unterwegs. Ist es das, was dich stört? Hätte ich lieber in diesem Zimmer eingehen sollen vor Sorge um dich?“ Etwas genervt ließ ich mich zurück in das große, weiche Kissen fallen. Ich hatte wirklich keine Lust auf Zickenkrieg mit meinem Bruder. Gestern war doch alles noch so schön und jetzt? Jetzt scheint es, als würde er mit allen Mitteln versuchen mich aus dem Zimmer zu kriegen. „Haha wie lustig! Du gehst kaputt vor Sorge um mich? Hättest du dich auch nur einmal um mich gesorgt, dann hättest du dich erkundigt ob ich noch lebe und nicht gewartet bis ich mich melde. Was ich ja nicht konnte, auch wenn du der Jüngere von uns bist!“ Langsam nervte er mich, war er denn jetzt komplett durchgedreht? Ich sagte ihm doch schon, dass ich nicht wusste ob er lebt oder nicht, reichte ihm das nicht? „Jordan was passt dir denn jetzt nicht? Warum bist du so sauer?“ Er schnaubte wütend auf und sah mich dann mit vor der Brust verschränkten Armen und Hass erfülltem Blick an. „Ich bin nicht sauer, dass das klar ist! Und wenn dir meine Laune nicht passt kannst du ja gehen, du weist ja wo die Tür ist!“ Ungläubig und mit offenem Mund starrte ich ihn an, nicht fähig etwas zu sagen. Ohne auch nur etwas falsch gemacht zu haben schien er mich wirklich zu hassen. Dafür, dass ich einen Liebesbrief bekommen habe, wie es scheint.

Einige Zeit herrschte Stille und ich war in Gedanken versunken, ehe ich ein Rascheln vernahm und dann Schritte hörte. „Wo gehst du hin?“ fragte ich mit klangloser gedankenverlorener Stimme und sah zu Jordan. Dieser stand vor mir, in seiner Jeans, einem schwarzen T-shirt mit den Händen in der Hosentasche vergraben und Blickrichtung zur Tür. „Spazieren und wenn ich wieder komme möchte ich bitte, dass du und deine Sachen von hier verschwunden sind, Jojo!“ Irritiert sah ich ihn an und stotterte nun obwohl ich wieder voll bei Sinnen war: „Aber... Aber Jordan ich bin doch dein Bruder…!“ Er drehte den Kopf zu mir und sah mich abwertend an. „Na und? Ich habe dich die letzten Jahre nicht gebraucht, dann brauche ich dich jetzt auch nicht mehr!“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Ich blieb noch einige Minuten auf meinem Bett sitzen, nicht fähig mich zu bewegen. Zu geschockt war ich noch von dem eben Geschehenen. Ich war nicht einmal fähig über die Worte nachzudenken, die er mir so eben an den Kopf geworfen hatte. Einfach da liegen und nichts machen, das war mein Plan gewesen. Doch plötzlich bekam ich Panik. Ich wusste selbst nicht wie ich auf den absurden Gedanken kam das er mir etwas tun könnte, wenn ich bleibe. Doch allein die Situation überforderte mich so dermaßen, dass ich nicht fähig war klar zu denken. Hektisch sprang ich von dem Krankenhausbett auf, machte dabei fast Bekanntschaft mit dem Boden, und sammelte in aller Eile alle meine Habseligkeiten, die ich quer über das gesamte Zimmer verteilt hatte, ein. Ich rannte gerade die Treppe nach unten und stürzte, ohne auf die andern Menschen im Krankenhaus zu achten, aus dem Gebäude. Draußen angekommen rannte ich los, ich wusste nicht wohin ich rannte, aber Rennen war das, was in dem Moment am sinnvollsten zu sein schien. Rennen und nicht denken. Wie vom Teufel getrieben und ohne es wirklich zu wollen rannte ich durch die Straßen, bog in eine nach der anderen, kleinen Gässchen und kam im Park endlich zum stehen.

„Luft!“, keuchte ich außer Atem und hatte Mühe mich auf meinen Füßen zu halten. Schwerfällig torkelte ich auf eine Bank zu und ließ mich nach hinten fallen, um einen Moment auszuruhen. Das hatte ich nach diesem Marathon auch dringend nötig. Ich schloss meine Augen für einen Moment, doch plötzlich wurde ich am Handgelenk gepackt und wieder auf die Beine gezogen. „Was- Was soll das?“, brachte ich unter schneller Atmung hervor, ehe ich die Person erkannte, die mich hinter sich her schleifte. „Emily? Was hast du vor?“ Die Blondhaarige drehte sich nicht um, sondern lief ohne zu antworten weiter zielstrebig nach vorne. Durch meine kopflose Aktion von zuvor hatte ich nicht mehr die Kraft mich gegen die Jüngere zu wehren, also ließ ich die Tortur brav über mich ergehen.

Nach einem etwa fünfminütigen unbeabsichtigten Fußweg, standen wir endlich vor dem Ziel. Dem Haus meiner Adoptivfamilie. Trotz des Marsches fühlte ich mich etwas erholt und hatte auch wieder genügend Kraft um sie kurz vor der Haustür zu stoppen. „Was sollte das denn jetzt, Emily? Und warum antwortest du mir nicht?“ Endlich drehte sich Emily zu mir um und sah mich aus eben so Hasserfüllten Augen an wie kurz zuvor Jordan. „Halt gefälligst deine Klappe, okay? Ich wollte dich eh aus dem Krankenhaus holen! Ich habe keine Lust, ständig Ärger von meinem Vater zu bekommen, weil sein Sohn sich zu fein ist nachhause zu kommen und es mir nicht einmal dankt, dass ich für ihn ein gutes Wort eingelegt habe, dass er bei seinem ach so tollen Bruder sein darf, der lieber Abkratzen wollte als zu dir zu kommen!“ Verständnislos schüttelte sie den Kopf und schloss schließlich die Türe auf. Etwas verwirrt tapste ich ihr hinterher. Waren denn heute alle eifersüchtig, oder liegt das an mir?

Dieser Gedanke sollte sich aber gleich als falsch erweisen, denn als ich das Wohnzimmer betrat stand mein Stiefvater vor mir und sah mich aus bedrohlich funkelnden Augen an.

„Wo warst du?“ Etwas verunsichert torkelte ich einige Schritte nach hinten, ehe ich gegen die Wand stieß. „Wo zum Teufel warst du? Deine Mutter hat sich Sorgen um dich gemacht!“ Bei jedem Wort trat er näher an mich heran. „Sie ist nicht meine Mutter, Emily ist nicht meine Schwester und du bist verdammt noch mal nicht mein Vater und das wirst du auch nicht sein!“ Ohne zu überlegen platzten diese Worte aus mir heraus und genauso plötzlich klatschte es und vor meinen Augen zuckten Blitze ehe ich verstand was so eben geschehen war. Fassungslos stieß ich den Größeren von mir weg und schrie ihn dann wütend an: „Ach aber du willst anscheinend so sein, willst auch nur dass deine Kinder spuren und wenn nicht verwendest du Gewalt oder? Das hätte ich bei dir nie für möglich gehalten!“ Verzweiflung stieg in mir hoch. Gab es denn keine Liebe mehr auf dieser Welt? Mit der Verzweiflung flossen auch die ersten Tränen. „Ich dachte du …du liebst mich aber anscheinend hasst du mich ja auch nur wie all die anderen!“

Ohne auf eine Reaktion des fassungslos dastehenden Mannes zu achten stapfte ich aus dem Wohnzimmer nach oben in mein Zimmer und knallte die Tür zu.

War es denn wirklich so schwer mich zu akzeptieren? So schwer, einfach zu sagen schön dass du da bist oder ich bin froh dass es dich gibt? Es heißt doch, dass jeder eine Person hat, von der man geliebt wird. Jeder, nur ich anscheinend nicht. Ich frage mich wirklich was im Leben ich falsch gemacht habe. Warum ich nicht einmal Glück haben konnte. Jedes Mal wenn es endlich besser zu werden schien, ich endlich aus dem schwarzen Loch des Selbstmitleides, der Depressionen und schließlich des Ritzens entflohen war, stürzte ich wieder hinein, nur diesmal viel weiter.

Wütend, verzweifelt, aussichtslos und einfach verdammt traurig schmiss ich mich auf mein Bett und vergrub mein Gesicht in meinem Kissen. Immer mehr Tränen quollen aus meinen Augen, flossen meine Wangen hinab und benetzten schließlich den dunkelroten Stoff unter mir, ehe sie in diesem versiegten. Ich weinte, ob sich das für ein männliches Wesen gehörte oder nicht war mir in diesem Moment relativ egal. Ich kam mir vor wie ein kleines Kind. Das kleine Kind, das ich im Inneren immer geblieben war. Das kleine Kind, das vor so vielen Jahren alleine an der Schaukel stehen gelassen wurde, genauso allein, hilflos, machtlos, aussichtslos und einsam fühlte ich mich in diesem Moment.

Wieder hatte ich diejenigen verloren, die mir etwas bedeuteten. Meinen Adoptivvater, der es immer nur gut mit mir gemeint hatte, sich um mich sorgte und dem ich eigentlich wirklich etwas bedeutete, meine Halbschwester Emily, die um die halbe Welt gegangen wäre um mich glücklich zu machen, der ich einfach alles erzählen konnte und meinen soeben wieder gefundenen Bruder Jordan, der mich immer verfolgte, um den sich so oft meine Gedanken drehten, der sich früher so sehr um mich gesorgt hatte.

Ja früher. Früher hatte er keine andere Wahl. Früher war ich noch klein und naiv. Früher stellte ich ihm nicht so viele unangenehme Fragen und früher hatte ich auch noch keine eigenen Probleme. Okay Probleme mag schon sein, aber nicht wirklich ernst zu nehmende Dinge oder zählt es als Problem, dass mir mein Lolli in den Sand gefallen ist? Ich glaube nicht.

Wieder schluchzte ich in mein Kissen. Womit hatte ich das alles nur verdient. Ich wollte doch nur geliebt werden, jemanden haben, den ich lieben kann. Einen Sinn in meinem Leben finden. Doch selbst dazu war ich nicht im Stande. Selbst dafür war ich zu blöd gewesen.

Unter all den Vorwürfen vernahm ich ein leises Klopfen, das von meiner Tür zu kommen schien. Etwas genervt gab ich: „Lasst mich doch alle endlich in Ruhe, ihr versteht das doch nicht!“ als patzige Antwort von mir.
 

Diese Laune behielt ich die nächsten Wochen bei. Keiner in dem Haus hatte wirkliche Lust mit mir zu reden und auch mein Bruder hatte sicht nicht gemeldet. Alles in allem wurde ich von der ganzen Welt ignoriert und um ehrlich zu sein war es mir zu diesem Zeitpunkt scheiß egal. Ich hatte die Hoffnung endlich akzeptiert zu werden schon lange aufgegeben und sah deshalb auch keinen Grund mich an die Regeln zu halten. Immer öfter schwänzte ich die Schule, immer häufiger mein Griff zum Alkohol und zum Messer, das den Schmerz, der tief in mir saß und mich von innen zu zerstören schien, wenigstens etwas linderte. Es war ein erleichterndes Gefühl das kalte, harte, scharfe Metall in meine Haut zu pressen bis Blut aus der Wunde quoll, so erlösend, als würde man den Druck ablassen.

Doch am Tag vor meinem 17. Geburtstag sollte sich das ändern. Es war elf Uhr und ein Samstag, somit lag ich noch friedlich in meinem Bett und genoss den Schlaf, den ich auch bitter nötig hatte, nachdem ich die vorherige Nacht wieder in Depressionen versunken war und wohl etwas zu viel getrunken hatte. Doch plötzlich wurde ich von einer Berührung geweckt. Sie war nicht hart oder grob, eher wie ein sanfter Windstoss der über meinen Rücken fuhr. Langsam öffnete ich meine Augen und sah Emily, die auf der Bettkante saß und mir sanft mit ihrer Hand über den Rücken fuhr. Wohlig gähnte ich, ehe ich etwas schlaftrunken fragte: „Womit habe ich denn die Ehre verdient, dass du mich mal weckst? Du hast doch schon ewig nicht mehr mit mir geredet!“ Sie grinste, ehe sie mir einen Umschlag unter die Nase hielt. „Da, der ist für dich, war heute Morgen in der Post. Da er nicht verschlossen war, habe ich schon mal reingeschaut und beschlossen, dass dir der Inhalt sicher gefallen wird. Zumindest wird er dich für einen Moment aus deiner bösen, schwarzen Welt herausziehen. Vielleicht kannst du ja mal wieder richtig ausgelassen sein und etwas Spaß haben.“

Ich war von Natur aus sehr neugierig, versuchte es aber so gut es eben ging zu verbergen, als ich den Umschlag, auf dem mein Name in sauberer Handschrift geschrieben stand, öffnete. „Konzertkarten und Backstage-Pässe?“, gab ich etwas gelangweilt von mir. Da ich mir nicht verstellen konnte, dass diese von einer Band stammen, deren Musik mir wirklich zusagen würde. „Ja!“, gab Emily nur strahlend von sich, „Von, warte, Moment, wo steht das denn... ah genau da... von den Blood Angels? Wer sind die denn? Kenne ich nicht, bestimmt so ’ne scheiß Hopperband, welche vernünftige Band würde denn MIR solche Karten schenken, einfach so?“

Mir war bewusst, dass allein der Name das Gegenteil bewies, dennoch wusste ich nicht genau was ich davon halten sollte.

„Und, gehen wir hin?“, unterbrach Emily meine Gedankengänge. Etwas missmutig verzog ich mein Gesicht. So wirkliche Lust dazu hatte ich auf jeden Fall nicht. Ich hatte in der Nacht zu meinem Geburtstag etwas Besseres zu tun als bei irgendeinem Konzert einer schlechten Band zu sein, auf dem mir die verrückten Fans geradezu die Füße platt treten würden.

Aber wie nicht anders erwartet, war mein innerer Wunsch nach Abwechslung und Gesellschaft größer als die Abneigung und der Name klang wirklich nicht schlecht, also warum nicht mal vorbei schauen. Außerdem nervte mich Emily noch die nächsten Stunden damit, was in Gewisserweise im Gegensatz zu ihrem Verhalten in den letzten Wochen stand.

Somit standen wir einige Stunden später vor der Konzerthalle in einer langen Schlange, die größtenteils aus schwarz gekleideten Jungen und Mädchen bestand. Nicht, dass ich was gegen schwarz hatte, nur passten diese Menschen irgendwie zu mir und auch Emily war hier mit ihrem Style sicher nicht fehl am Platz. Okay mein Style mag sich etwas verändert haben in den letzten Wochen. Ich sah mittlerweile etwas frecher aus. Hatte kürzere Haare, die ich auch nicht mehr brav an meinem Kopf anliegen hatte, sonder die wild gegelt in alle Richtungen abstanden. Auch gab ich mein Tattoo, das ich auf meinem Unterarm hatte, nun der ganzen Welt preis. Im Allgemeinen sah ich nicht mehr wie ein braver, zurückhaltender, anständiger Junge aus. Sondern rebellisch, eben so wie ich mich auch verhielt. Jetzt stehen wir also hier und warten darauf, dass endlich Einlass ist.

Endlich nach einer halben Ewigkeit wurden die Flügel der Großen Doppeltür geöffnet und als wäre irgendein Sonderangebot in der Halle, stürmten die wild gewordenen Mädchen in die Halle um einen guten Platz zu ergattern. Auch Emily wollte anscheinend in die vorderen Reihen, denn sie zog mich aus voller Überzeugung hinter sich her. Nach viel Quetschen und Drängeln hatten auch wir die Securityleute hinter uns gelassen und standen nun mitten in der riesigen Halle. Beim Vorzeigen unserer Tickets zog der Mann, der uns die Stempel verpasste, nur eine Braue nach oben und sagte irgendetwas zu seinem Kollegen, welcher dann nach hinten in das Getümmel lief.

Nach etwa einer halben Stunde begann das eigentliche Konzert und ich bereute es auch sofort auf diesem Platz zu stehen. Denn die Mädchen neben uns kreischten mit ihren hohen Stimmen förmlich in mein Ohr, sodass ich kaum etwas von der eigentlichen Band verstand, als sie sich vorstellte. Also das Aussehen der Band war ja nicht zu bemängeln. Einer der Gitarristen hatte hellblonde Haare, der andere Dunkelbraune und der Schlagzeuger Schwarze und einen roten Pony. Die Kleidung war nicht wirklich einheitlich. Die einzige Gemeinsamkeit war, dass alle, soviel ich das beurteilen konnte, Röhrenjeans trugen. Doch allein die Farben waren verschieden wie Tag und Nacht. Die des Blondhaarigen waren rot und er trug eine blaue Jacke darüber. Die des Braunhaarigen war blau und mit einem Schwarzen T-Shirt kombiniert, welches eine unleserliche Aufschrift in Neonfarbe trug. Der Schlagzeuger trug eine Weiße Hose, ein schwarzes Hemd und einen weißen Hut.

Doch fehlte da nicht irgendjemand? Ach ja, ein Sänger wäre sinnvoll gewesen. Doch von einer vierten Person war weit und breit nichts zu sehen und das, obwohl der Leadgitarrist schon ein Solo von etwa einer halben Minute hinlegte. Etwas genervt von der Tatsache, dass die Band solch ein Geheimnis um ihren Sänger machte, blickte ich zu Emily, die rechts neben mir stand. Sie starrte auf die Bühne, als wollte sie ja keine Einzelheit verpassen. Ich stupste sie an der Schulter an. Erschrocken zuckte sie zusammen, ehe sie sich langsam zu mir drehte und mich böse ansah. „Musst du mich denn so erschrecken?“ Ich legte einen unschuldigen Blick auf, ehe ich schließlich fragte: „Kennst du die Band eigentlich?“ Ihre Augen weiteten sich und sie sah mich etwas entsetzt und verständnislos an. „Du etwa nicht? Das ist doch die Band, die so schnell berühmt wurde seit der neue Sänger da ist!“ Ich runzelte die Stirn und wies auf die Bühne vor uns. „Welcher Sänger?“

Plötzlich trat Nebel aus den Seiten, der die gesamte Band umschloss und als dieser sich lichtete stand eine Person an dem Mikrofon, das in der Mitte stand. „Hey Leute, Sorry für die Verspätung, hatten noch einige technische Probleme, also dann geht’s los! One, Two, Three, Four Gooooooooo!“ Das erste Lied begann, wenn ich mich richtig erinnere lautete der Titel: „Champagne for my real friends, and real Pain for my shame Friends“ Das Lied war eher ruhig im Gegensatz zu den folgenden und es wunderte mich wirklich, dass die Girlys neben mir sich wirklich noch gesittet verhielten. Doch um viertel vor Zwölf am Ende der Pause bekam ich einen Teil ihres Gesprächs mit, welcher mich noch weiterhin beschäftigen sollte.

„Also Jordan ist heute mal wieder spitze und sein neuer Style ist so der Hammer! Der ist einfach nur zum Knuddeln!“ „Ja und wie gefühlvoll seine Lieder klingen, aus vollem Herzen gesungen! Aber der hat sicher ne Freundin….“ „Na sicher, wer wäre nicht froh einen Freund wie Jordan Glen zu haben?“

Mir stockte der Atem, der Typ, dieser ach so tolle Sänger auf der Bühne den alle so anhimmeln, der so ewig auf sich warten hat lassen ist mein Bruder? Ich erinnerte mich an die Tage im Krankenhaus. Damals, als er noch braune Haare hatte und so hilflos wirkte. Dieser Jordan ist nicht mit dem zu vergleichen, was hier auf der Bühne steht. Schwarze Haare, ebenso kurz und ähnlich gegelt wie meine. Die Augen betont und schwarz geschminkt, eine graue Hose zu einem lila Shirt, beides eng anliegend, einen Nietengürtel und Nietenarmbänder. Kein Zweifel dass wir uns auch unabhängig voneinander ähnlich entwickelt hatten. Doch das hätte ich noch vor einigen Wochen, als er sagte, dass er nebenbei in einer Band singt nicht erwartet.

Immer noch geschockte packte ich Emily am Arm und zog sie in Richtung Ausgang. Erst bemerkte sie nicht wohin ich wollte und ließ sich einfach mit ziehen, ehe sie sich wehrte. „Hey, wo willst du hin?“ Wütend funkelte ich sie an. „Du wusstest, dass er mein Bruder ist, oder? Du wusstest es die ganze Zeit, schon vor dem Unfall?! Du wusstest von wem die Karten stammten, oder?! Vielleicht hast du die Tickets ja selbst besorgt?“ Sie sah zu Boden und schüttelte den Kopf. „Ich wusste es selbst nicht, bis ich mir heute Morgen die Namen der Bandmitglieder auf ihrer CD durchgelesen hatte. Ich dachte es würde dir gut tun und du würdest endlich wieder normal werden. Ich wollte dich nur glücklich machen und da du ja nicht mir dir reden hast lassen, dachte ich das wäre ein guter Weg.“ Ich musste grinsen. Wollte sie denn immer noch alles tun damit ich glücklich bin? Trotzdem, was geschehen war? Ich umarmte sie und ehe sie fragen konnte, zog ich sie wieder in Richtung Bühne. „Okay, dann tu ich dir den Gefallen und bleibe noch da bis das Konzert zu Ende ist.“ Sie strahlte mich an und diesmal war sie diejenige die mich umarmte.

Die Pause war zu Ende und die Band nahm ihre Plätze ein. Das Gemurmel in der Menge verstummte, so dass man die Kirchturmuhr zwölf Uhr schlagen hörte. „So nun ist es also soweit. Jetzt in eben dieser Sekunde vor vielen Jahren wurde eine Person geboren, die mir wichtiger ist als die meisten anderen. Ich weiß, dass du hier irgendwo bist, deswegen spiele ich jetzt dieses Lied für dich. Happy Birthday, Jojo!“

In der Menge wurde getuschelt, doch als die Gitarre begann zu spielen, verstummten die Stimmen und lauschten der Melodie. Sie war nicht so hart wie die vorigen, eher sanft und dann setzte die Stimme ein. So weich, gefühlvoll, liebevoll, dass man in ihr versinken hätte können. Auch der Text war fesselnd, zumindest für mich, da ich wusste was damit gemeint war.

„I guess I’m trying to say I’m sorry, But it always comes out wrong, I think a part of you still loves me, even though we’re moving on. Always, all ways I wanted us to be, always, all ways you and me, and I wait here on my own, and I wait for you to see, all the time I spend alone now won’t comfort me…”

Das Konzert dauerte noch zwei weitere Stunden, ehe sich die Band verabschiedete. Mit dem Rest der begeistert grölenden Fans machten wir uns auf den Weg aus der Halle hinaus. Draußen angekommen blieben wir noch einige Minuten stehen, ehe ich mich daran erinnerte, dass ich auch Backstage-Pässe bekommen hatte. „Das ist es! Jetzt oder nie!“, sagte ich mehr zu mir als zu Emily, welche mich daraufhin auch verständnislos ansah „Was ist was bitte?“, fragte sie mit zur Seite geneigtem Kopf. „Ich muss schnell etwas erledigen okay? Bin in fünf Minuten wieder da!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, lief ich schnellen Schrittes gegen den kommenden Ansturm Jugendlicher, ehe ich wieder vor dem Mann stand der vorhin mein Ticket kontrolliert hatte.

Ich hielt ihm meinen Pass unter die Nase und meinte dann: „Wo finde ich Jordan Glen?“ Erst sah mich der Mann einen Moment lang überrascht an, ehe er begann laut los zu lachen. „Was ist daran so komisch?“ Sein Lachen wurde noch lauter, ehe er sich von seinem Stuhl erhob und meinte: „Los komm mit, ich bring dich zu ihm und lustig ist daran, dass ich dich schon früher erwartet hatte.“ Ich ging nicht weiter auf die seltsame Aussage ein und lief hinter dem Mann her, ehe ich vor einem Tourbus stand. „So, da müsste er drin sein, klopfen musst du selbst und wenn jemand anders auf macht, frag einfach, die Jungs sind alle nett! Also viel Glück!“ Er zwinkerte mir noch zu und ging dann wieder in die Richtung weg, aus der wir gekommen waren. Etwas unentschlossen stand ich vor dem Bus, ich wusste nicht ob ich es wirklich tun sollte.

Doch da wurde mir die Entscheidung abgenommen, als eines der Bandmitglieder die Tür öffnete und mich fast umgerannt hätte. „Hey, was willst du denn hier? Autogramme gibt’s jetzt nicht mehr!“, fuhr er mich grob an. Er ist zwar älter und größer als ich und man konnte riechen, dass er getrunken hatte. Deshalb empfand ich seine Gegenwart als unangenehm und ich wusste nicht, ob ich mich wirklich gegen ihn stellen wollte und riskieren wollte von ihm geschlagen zu werden. Etwas verängstigt murmelte ich ein „Sorry!“ und wollte mich zum gehen wenden, als plötzlich jemand hinter dem Bandmitglied auftauchte. „Hey Mo, du wirst doch nicht einfach unsere Fans vertreiben wollen, oder? Das macht keinen guten Eindruck. Geh doch endlich nach Hause, du hast heute schon genug getrunken!“ Ich kannte die Stimme und die Ausdrucksweise nur zu gut, doch Jordan schien mich nicht erkannt zu haben oder er wollte es nicht preisgeben. Als ‚Mo’ verschwunden war, trat er aus der Tür und stand mir gegenüber. Gespielt überrascht sah er mich an und meinte dann „Was machst DU denn hier?“, er grinste und strubelte mir durch die Haare. „Schön, dass du da bist, mein Kleiner!“ Wäre es nicht so dunkel gewesen, hätte man sicher gesehen wie ich rot anlaufe, doch da es glücklicherweise Nacht war, hatte er es nicht bemerkt. „Jordan, ich muss mit dir reden…!“ Überrascht hob er seine Brauen, nickte dann aber und meinte ruhig: „Okay, dann leg mal los, ich höre!“ Unsicher sah ich auf meine Füße, ich wusste nicht wie ich anfangen sollte, doch ich hatte meinen Entschluss gefasst, ich stand nun vor ihm, jetzt musste ich es auch zu Ende bringen.

„Jordan, ich möchte ein Teil deines Lebens sein, egal was du im Krankenhaus zu mir gesagt hast! Ich will wieder dein Bruder sein, wie in alten Zeiten! Bitte lass es uns doch versuchen!“ Er begann zu lachen, legte dann den Kopf in den Nacken und sah in den Himmel. Es dauerte eine Zeit, bis er mir wieder in die Augen sah und schließlich immer noch mit einem Grinsen auf den Lippen seinen Kopf schüttelte. „So einfach geht das aber nicht, Jojo, es kann nicht mehr so sein wie es früher war. Wir sind beide älter geworden, das weist du so gut wie ich. Es ist viel in der Zwischenzeit geschehen. So viel Zeit ist vergangen, die wir nicht aufholen können. Es geht einfach nicht, Jojo, du kannst nicht mehr mein Bruder sein.“ Verzweifelt schüttelte ich meinen Kopf und Tränen rannen aus meinen Augen. „Nein… NEIN, das kann doch nicht sein… das kannst du mir doch nicht antun, Jordan! Weist du noch, du hast selbst gesagt, dass du mich brauchst und jetzt, jetzt tust du so als wäre ich dir egal!“

Die Tränen wurden mehr, ehe ich schließlich verzweifelt schluchzend vor Jordan stand, welcher einfach nur die Arme um mich gelegt hatte und mir beruhigend über den Rücken strich. Nach einiger Zeit hatte ich mich dann wieder beruhigt, schniefte noch einmal bevor ich mich von ihm löste und dann beschämt ein „Danke!“ flüsterte und zu Boden sah.

Doch dies lies er nicht zu, er hob mein Kinn mit seinen Fingern an, so dass ich ihm in die Augen sehen musste. „Und Jojo, weißt du warum das nicht geht?“ Ich schüttelte wieder nur den Kopf. Er sah mich mit seinen aufgeweckten blauen Augen an und gab mir einen kurzen, sanften Kuss. Das Gefühlschaos in mir war komplett, doch mir blieb keine Zeit die vielen Eindrücke zu sammeln, ehe er schon weiter sprach. Langsam, leise mit einer sanften liebevollen Stimme, wie ich sie von ihm kannte. „Jojo, du kannst nicht mehr mein Bruder sein, weil ich dich mehr als alles andere auf der Welt liebe, schon immer. Ich hätte mein Leben dafür gegeben, dass es dir gut geht und es ist nicht nur Geschwisterliebe.“ Ich öffnete meinen Mund, wollte etwas sagen, wollte ihm widersprechen, sagen, dass das nicht sein konnte, doch ich brachte kein Wort über meine Lippen. Immer noch sahen wir uns tief in die Augen und die Sekunden schienen schier unendlich lang zu sein. Vorsichtig legte er eine Hand in meinen Nacken und zog meinen Kopf näher an seinen, bis unsere Lippen uns fast berührten. Noch ehe sie sich aber trafen hauchte er noch ein „Happy Birthday!“ gegen meine Lippen, bevor er noch die letzte Distanz überwand und die meinen mit seinen verschloss. Sehnsüchtig, fast schon verzweifelt presste er seine Lippen auf meine, forderte Einlass in meine Mundhöhle. Gierig erkundete er mit seiner Zunge jeden Millimeter genauestens und verursachte ein Gefühl in mir, das sich anfühlte, als würden meine Gefühle Urlaub machen und Purzelbäume schlagen, ich begann alles um mich herum zu vergessen, es schien nur noch mich und Jordan zu geben. Keiner von uns wollte diesen Moment unterbrechen, Jordan aus Angst, dass es nur ein weiterer Traum sein könnte, aus dem er gleich erwachen würde, ich aus Angst, dass es nur Einbildung war, doch konnte so ein wunderbares Gefühl wirklich Einbildung sein? Irgendwann löste er sich von mir. Etwas überrumpelt von den Eindrücken aus dem Umfeld, die mich schließlich wieder in die Realität zurückholten, schlang ich meine Arme um seinen Hals, um nicht ohnmächtig zu werden durch die Welle an Gefühlen die mich gerade zu überrannte. Etwas außer Atem keuchte ich kurz auf. Jordan sah mir in die Augen und strich sanft eine Strähne aus meinem Gesicht, die in meine Augen hing. „Weißt du jetzt warum es nicht geht? Warum es nicht so sein kann wie es war?“ Leicht nickte ich und sah ihm tief in die Augen, die jetzt soviel Glück ausstrahlten, wie ich es noch nie gesehen hatte. „Jojo ich lie-“

Er brachte den Satz nicht zu Ende, denn er wurde von jemandem unterbrochen „Du bist SCHWUL?“, erschrocken drehte ich mich um und sah in Emilys Gesicht. Verzweifelt sah ich zwischen beiden hin und her, ich wusste nicht, was ich nun sagen sollte und vor allem wusste ich etwas nicht, war ich wirklich schwul? Liebe ich meinen Bruder, so wie er es tut? Ja, sicher war, dass dieser Kuss anders war als der von Emily oder Moni, so viel emotionaler und gefühlvoller als alles, was ich davor gekannt hatte. Doch war ich mir nicht sicher. Emily kamen die Tränen, ja was sollte man anderes erwarten? Sie liebt mich schließlich immer noch. Ich saß zwischen zwei Stühlen und wusste nicht, was ich tun sollte. Sie drehte sich um und rannte in Richtung Ausgang. Ich konnte sie doch nicht einfach so gehen lassen, wer wusste schon was sie anstellen würde? Ich löste mich von Jordan und lief ihr hinterher, ließ ihn einfach so stehen, drehte mich dann doch noch mal um und sah ihn zutiefst getroffen in der Tür stehen. „Es… Es tut mir leid, es tut mir wirklich leid…!“ damit lief ich hinter meiner Adoptivschwester her.

Ich sah gerade noch, dass sie hinter dem Gebäude verschwand, ich rannte ihr noch weiter hinterher, bis sie sich auf die Stufen vor ihrem Haus setzte, den Kopf in den Händen vergrub und man nur noch ihr Schluchzen vernahm. Vorsichtig lief ich auf sie zu und setzte mich neben sie. Ich wusste nicht genau ob sie es bemerkt hatte oder nicht, auf jeden Fall zeigte sie keine Reaktion.

Sanft legte ich einen Arm um ihre Schultern und spüre wie sie zusammen zuckt. „Hey Emily, ich weiß wie schlecht du dich jetzt fühlen muss, ich weiß wie schlimm es für dich sein musste das zu sehn, aber ich weiß ja selbst nicht was mit mir los ist…. Und ich wollte dir das nicht antun. Wirklich, ich wollte dich doch nicht verletzen, Kleine.“ Sie sah mich immer noch nicht an, folglich versuchte ich sie weiter durch meine Worte zu beruhigen, in der Hoffnung dass es funktionieren würde. „Komm, lass uns rein gehen, dann verwöhne ich dich erstmal so richtig, okay?“ Erst erhielt ich keine Antwort dann, als ich aufstehen wollte und sie am Arm packte um sie mit hoch zu ziehen, zog sie diesen weg und sprang auf. Verdutzt sah ich in ihr verheultes Gesicht. Sah in die von verwischtem Kajal und Lidschatten umgebenen Augen, denn zitternden Mund. Auf einmal spannte sich ihr Körper an, sie rannte los und ehe ich ihr folgen konnte war sie in die Nacht verschwunden und ich stand da und sah ihr immer noch verständnislos nach.

Was war das denn jetzt? Natürlich war es nicht einfach für sie gewesen mich knutschend mit meinem Bruder zu sehen, den sie eh nicht leiden konnte, aber konnte sie nicht so fair sein, dass sie mir sagte wie ich ihr helfen konnte? So fair, dass ich wusste was genau sie so fertig machte? Etwas verwirrt ging ich ins Haus und schließlich in mein Zimmer. Ich zog mich um, legte mich in mein Bett und zog die Decke über meinen Kopf. Was für ein toller Start für meinen Geburtstag. “Happy Birthday Jojo!“, murmelte ich vor mich hin, während ich schon halb eingedöst war.
 

Am nächsten Tag wurde ich erst gegen Mittag von meinem knurrenden Magen geweckt. Mein Kopf dröhnte. Ich hatte gestern doch gar nichts gesoffen, oder hab ich da was verpasst? Bevor ich aus meinem Zimmer ging, warf ich noch einen kurzen Blick in den Spiegel um aber letzten Endes fest zu stellen, dass meine Bemühungen meine Haare zu richten sowieso aussichtslos waren. Wie jeden Morgen eben. Immer dasselbe. Aber nein, stimmt nicht ganz, heute war ja immer noch mein Geburtstag… noch ein Grund diesen Tag zu hassen.

Immer noch etwas schlaftrunken tapste ich die Treppe hinunter in die Küche. Der Tisch war noch gedeckt und es standen zwei saubere Teller auf der gelben Tischdecke. Hatte Emily noch nichts gegessen? Oder war sie vielleicht noch gar nicht zurück? Unschlüssig, ob ich warten sollte oder schon anfangen durfte, nahm ich mir meine Tasse, goss Kakao hinein und setzte mich auf die Heizung. Essen musste wohl noch etwas warten.

Einige Minuten später kam meine Adoptivmutter aus dem Keller in die Küche. „Oh, guten Morgen Jojo, bist ja doch schon wach… einen Moment bitte.“ Unbeeindruckt sah ich zu wie sie die Kisten, die sie aus dem Keller nach oben geschafft hatte auf der Ablage verteilte und dann auf mich zukam. „Alles Gute zum Geburtstag mein Großer!“ Herzlich zog sie mich in eine Umarmung. „Ach 17, jetzt bist du ja schon richtig erwachsen…!“, sagte sie eher zu sich selbst. Kurze Zeit später kam ich mein Adoptivvater nachhause. Er kam in die Küche, gab seiner Frau einen Kuss und beglückwünschte mich schließlich auch, ehe er meine „Noch nichts gegessen? Du müsstest mal etwas zu legen wenn du ein echter Mann werden willst!“ Etwas verdutzt sah ich ihn an. „Ich wollte mit dem Essen eigentlich auf Emily warten. Oder für wen ist das zweite Gedeck?“ Er blickte zwischen mir und seiner Frau hin und her, da er anscheinend nicht wusste, was er jetzt genau dazu sagen sollte. Doch seine Frau nahm ihm die Entscheidung ab, als sie begann zu reden. „Emily ist nicht zu Hause, Jojo. Wir haben sie nicht gesehnen, nachdem sie gestern mit dir weg gegangen ist. Wir wollten dich eigentlich fragen, ob du nicht weißt wo sie sein könnte, aber anscheinend bist du genauso ratlos wie wir.“ Ungläubig sah ich die beiden an. Sie war immer noch nicht zu Hause. Mensch Emily, was machst du nur wieder für Sachen. Du hättest doch wissen müssen, dass ich dich nicht liebe. Vielleicht wäre es wirklich besser gewesen, wenn wir nicht zu dem Konzert wären, es hat eh nur noch mehr Fragen aufgeworfen und mich noch mehr verwirrt, was sollte ich denn jetzt machen. Mein Bruder liebt mich und meine Schwester auch und beide habe ich verletzt, den einen weil ich gegangen bin ohne eine Erklärung, die andere weil sie gesehen hat, wie ich Jordan küsse. Ist denn wirklich alles meine Schuld? Muss ich denn immer alles kaputt machen. Es hätte so schön sein können, wenn ich nicht noch zu Jordan gegangen wäre. Ja, ich hätte mich kaputt gemacht und jah, ich wäre wieder zum Komasaufen gegangen, aber was soll’s, wäre ja nur ich gewesen. Dann hätte ich nur mir selbst wehgetan und nicht den beiden wichtigsten Menschen in meinem Leben.

Nachdenklich blickte ich in meine Tasse. Was hatte ich nur verbrochen, dass ich so leben muss? Meine Stiefmutter hatte mittlerweile die Küche verlassen und ihr Mann war auch schon auf dem Weg aus dem Raum, blieb aber noch mal in der Tür stehen und drehte sich mit besorgter Mine um. „Ach ja und Jojo… ich war mir nicht sicher, ob ich es dir wirklich sagen soll, aber ich denke du solltest selbst wissen was du tust. Du hattest Besuch, und sollst wenn du wach bist zum Brunnen in der Stadt kommen. Die Person wird dort auf dich warten!“ Etwas unschlüssig ob ich mich drüber aufregen sollte, dass er es mir verheimlichen wollte und mittlerweile über eine Stunde gewartet hat, es mir zu sagen, oder ob ich ihm doch lieber danken sollte, schwieg ich einige Sekunden, ehe ich mich dann doch für das zweite entschloss und ein leises „Danke!“ von mir gab. „Ach und noch was, Jojo, pass bitte auf dich auf!“ danach war er aus dem Raum verschwunden.

Jojo, pass auf dich auf, was sollte das denn bitte? Mittlerweile hatte ich mich umgezogen und war schon auf halbem Weg in die Stadt. Was mich dort wohl erwarten würde? Ich wusste nicht genau wer es war, der mich heute Morgen besucht hatte. Besser gesagt, der mich besuchen wollte. Emily konnte es nicht sein, da hätte mein Vater nicht so reagiert, außerdem wäre sie nicht wieder gegangen. Auch dass ich, wenn ich mich mit Moni treffe, auf mich auf passen soll, bezweifele ich. Jordan konnte es nicht gewesen sein. Mein Vater mochte meinen Bruder nicht, das war klar. Außerdem wusste er doch gar nicht wo ich wohne. Hatte er zumindest gesagt, als wir uns in der Nacht vor dem Klinikum unterhalten hatten. Aber wie waren dann die Karten zu dem Konzert zu mir gekommen? Hatte Emily sie doch besorgt? Nein, das glaubte ich nicht, immerhin klang es nicht nach einer Lüge, dass sie wirklich nicht wusste, dass Jordan der Sänger der Band ist. Fragen über Fragen und immer noch keine Antworten.

Seufzend kam ich auf dem Marktplatz an, in dessen Mitte der riesige Brunnen war. Er war das Abbild einer Kutsche mit vier Pferden. Um die Räder des Wagens schossen Wasserfontänen aus dem Stein und auch aus den Mäulern der Tiere sprudelte das klare Nass. Um den Brunnen herum waren einige Bänke angebracht, ich spähte nach einer Freien und setzte mich schließlich mit der Blickrichtung zum Brunnen auf diese. Es faszinierte mich wie die Sonnenstrahlen, die grell vom Himmel auf die Erde fielen, sich in dem Wasser spiegelten. Es war mir noch nie aufgefallen, wie präzise und fein der Brunnen angefertigt worden war, da ich selten Zeit hatte ihn mir genauer anzusehen.

Plötzlich hält mir jemand von hinten die Augen zu und ich zuckte zusammen. Stimmt ja, ich war ja eigentlich hier um zu erfahren, wer mich besuchen wollte. Schnell löste ich die zierlichen Hände von meinen Augen und blickte in Moni’s warme Augen. „Hey Jojo, lange nicht gesehen!“ „Hay Moni!“ Etwas enttäuscht stand ich auf um sie zur Begrüßung in den Arm zu nehmen. „Na wie geht’s dir? Hab dich ja gar nicht mehr gesehen, im Krankenhaus, wo warst du denn?“ „Ach ich bin dann gegangen, war mir zu langweilig!“ Etwas enttäuscht zog sie einen Schmollmund. „Echt schade, ich dachte aus dir und mir, das wird was, ich bin echt in dich verschossen Jojo, nur das du’s weist!“ „Du, es tut mir Leid, aber ich nicht in dich! Es war ein Fehler mehr auf den Kuss einzugehen, aber ich liebe dich nicht Moni…“ „Du hast eine andere gib’s doch zu! Ich wusste es, du liebst jemand anders!“ Ihre Augen wurden gläsrig, ich wusste nicht was ich sagen sollte, deshalb blieb ich bei der Wahrheit: „Nein gibt es nicht, ich weiß selbst nicht wen ich liebe und was mit mir im Moment los ist und wen ich wirklich liebe!“ Was hatte ich mir hier von eigentlich erwartet, es war klar, dass weder Jordan noch Emily sich hier mit mir treffen wollten. Es wäre ja wirklich zu schön gewesen um wahr zu sein und auf das Gespräch mit Moni hatte ich wirklich keine große Lust. „Was machst du eigentlich hier? Ich bin hier fast jeden Tag, aber dich hab ich außer heute noch nie getroffen!“ „Wie jetzt?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen sah ich die Kleinere nun verwirrt an. „Warst du heute Morgen nicht bei mir und hast meinem Adoptivvater gesagt, dass ich mich mit dir treffen soll wenn ich wach bin?“ Jetzt war sie diejenige, die mich verunsichert ansah. „Nein, wie auch, ich kenne ja nicht mal deine Adresse! Ich hab dich nur zufällig gesehen als ich vom Bäcker gekommen bin und dachte ich sag mal Hallo. Ist das verboten?“ „Nein, ich dachte nur, weil die Person meinte, dass ich, wenn ich wach bin, hier sein soll und sie auf mich wartet, dass du das vielleicht warst…“ Sie schüttelte den Kopf „Nein, da muss ich dich leider enttäuschen. Aber du, ich muss jetzt auch weiter, hab noch bisschen was daheim zutun und so, war schön dich mal wieder zu sehen und viel Glück beim warten!“

So schnell wie sie gekommen war verschwand sie auch wieder und ich ließ mich wieder auf der Bank nieder und schloss meine Augen. Sollte ich mich nun freuen oder enttäuscht sein darüber, dass es nicht Moni war, die mich hierher bestellt hatte. Vielleicht hatte die Person ja schon wieder vergessen, vergessen, dass sie mich hierher bestellt hat. Was war nur aus meinem Leben geworden? Jetzt sitze ich hier in der Stadt mitten auf einem Marktplatz und warte auf den großen Unbekannten, der mich hier treffen wollte. Schon seltsam was in ein paar Wochen alles geschehen kann und wie diese Dinge ein Leben verändern können. Noch vor ein paar Wochen wollte ich sterben, mir selbst das Leben nehmen. Dann gab es eine Zeit in der ich dachte, dass wirklich alles gut sei, dass ich wieder einen Sinn zum Leben hatte… Jordan… wie ich ihn doch vermisse. Und jetzt bin ich wieder in einer Situation, in der ich an meinem gesamten Leben zweifle und keinen Sinn finden kann. Mit Jordan habe ich mich zerstritten, mit meinem Bruder, auf den ich solange gewartet habe. Mit meiner Schwester, die immer für mich da war, die mir nie schaden wollte, mit der ich auch noch nie großen Streit hatte auch und das nur, weil ich mit meinen Gefühlen nicht zurecht komme. Vielleicht sollte ich dort beginnen. Bei meinen Gefühlen. Liebe ich Jordan?

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als ich etwas Raues, Kaltes an meiner Wange spüre. Schlagartig öffne ich meine Augen und sehe…

„Eis?“ Verdutzt sah ich auf die Waffel, die direkt vor mein Gesicht gehalten wurde. „Ja, ich dachte du magst Eis!“ Jetzt erst bemerkte ich, dass außer dem Eis auch noch eine Person neben mir Platz genommen hatte. Ich sollte wirklich aufmerksamer sein. Ich blickte zu der Person und mein Herz begann zu rasen, Jordan. Er war es wirklich! Freudig wollte ich ihn umarmen, doch er blocke ab. „Warte doch erstmal ab, was ich dir sagen will. Das ist nämlich auch der Grund, weshalb ich dich hier her geholt habe. Um mit dir in Ruhe zu reden. Und in erster Linie um…“, er stockte als wüsste er nicht genau wie er das, was er sagen wollte, in Worte fassen soll oder um noch mal Mut zu fassen, bevor er die Worte schließlich über die Lippen brachte. „... Um mich zu entschuldigen!“ Es herrschte Schweigen ehe ich schließlich fragte: „Für was willst du dich denn entschuldigen?“ Trauer war in seinem Blick und er schaffte es nicht mir in die Augen zu sehen, als er schließlich meine Frage beantwortete: „Weil ich dich im Krankenhaus so angeschrieen habe. Ich wollte das doch nicht, nur ich war so verdammt eifersüchtig… und auch dafür, dass ich dich heute Nacht so überrumpelt habe. Ich wusste nicht, wann ich es dir sonst hätte sagen sollen. Jojo, versteh mich doch…“ Er war wirklich fertig mit den Nerven. Die Gefühle und die Situation schienen ihm sehr zu schaffen zu machen.

„Es ist okay… Jordan … Wirklich... ich versteh dich ja, ich glaube ich hätte auch nicht anders reagiert.“ Vorsichtig schloss ich meine Arme um ihn, er vergrub sein Gesicht in meinem T-Shirt und begann zu weinen. Einige Minuten saßen wir so da, ich streichelte ihm sanft über den Rücken und versuchte ihn zu beruhigen, was anscheinend auch zu klappen schien. Denn nach einiger Zeit hörte er auf zu Schluchzen, schmiegte sich jedoch immer noch eng an meinen Körper. Bis er irgendwann meinte: „Heißt das es ist jetzt wieder alles okay?“ Er hob seinen Kopf und sah mich flehend an. Etwas zögernd nickte ich schließlich, wusste aber, dass ich ihm noch eine Frage stellen musste. „Aber bitte sag mit davor, warum du dich geritzt hast und warum in aller Welt du Drogen genommen hast?!“ Verzweiflung kam in mir auf. Würde er mir sagen was los war, als er das getan hatte oder würde er nur darüber schweigen. Wieder legte er seinen Kopf auf meine Schulter und schüttelte ihn nur. „Willst du das denn wirklich wissen?“ Ich fuhr ihm sanft durch die Haare. Es war so ein schönes Gefühl ihn bei mir zu haben. Einfach seine Wärme zu spüren und zu wissen, dass es ihm gut geht. Jedoch genauso bedrückend ist es, nicht zu wissen warum es ihm so schlecht gegangen ist. „Ja bitte… ich würde gerne wissen, was dich so kaputt gemacht hat!“

Vorsichtig hebt er seinen Kopf und sieht mich mit Tränen in den Augen an. „Du… Du warst der Grund dafür!“ Entsetzt riss ich meine Augen auf und schüttelte wild mit dem Kopf. Nein, das konnte nicht sein… Wie konnte ich denn der Grund dafür sein, dass er so was getan hat? Wie konnte ich schuld daran sein, dass mein Bruder sein Leben weg werfen wollte? Ich wollte nicht der Grund sein. Es war der Grund bei mir… Das ist mir bewusst… aber er wusste, dass ich lebe, wie konnte ich da der Grund sein dass er sich so kaputt gemacht hat. Immer noch verzweifelt den Kopf schüttelnd schotterte ich „Wie…Wieso? Wa…Warum Ich?“ Er legte eine Hand an meine Wange und strich vorsichtig die Träne, die über meine Wange kullerte mit seinem Daumen weg. „Weil ohne dich, Jojo, mein Leben keinen Sinn mehr hatte. Deswegen habe ich Drogen genommen. Das ist aber schon eine Ewigkeit her, ich wollte einfach aus der Realität flüchten und weg von all dem was war. In eine bessere Welt. Das war auch zu dem Zeitpunkt, als dein Adoptivvater mich gesehen hat. Dann kam noch dazu, dass er mir an den Kopf geworfen hat, dass ich kein gutes Vorbild für dich bin… ab dem Moment bin ich komplett verzweifelt, ich wollte nicht so weiter machen. Ich wollte eine Chance bekommen wieder Kontakt zu dir zu haben, verstehst du. Ich habe keinen Alkohol mehr getrunken und keine Drogen mehr genommen. Doch da war immer noch diese drückende Einsamkeit… dann hat mir ein Freund erzählt, dass man den Druck ganz einfach ablassen kann indem man einen Schnitt setzt, um die Probleme mit etwas Blut einfach raus zu spülen… und so ist es dazu gekommen, dass ich mich geritzt habe…“ Ähnlich wie bei mir.. fügte ich noch in Gedanken dazu. Es wunderte mich, dass er so ruhig sprach und so gefasst blieb, doch auch wenn die Wahrheit nicht schön war, war es gut zu wissen, dass er mir vertraute und sie mir erzählt. „Ohne dich ergab mein Leben einfach keinen Sinn mehr Jojo…Du warst und bist der einzige Sinn in meinem Leben und nichts ist mir wichtiger als du…“ Die Worte sprach er leise. Sie waren fast nur ein Hauch. Ein Hauch, der mit unwillkürlich einen Schauer über den Rücken jagte.

Immer noch sah er mir tief in die Augen. Es war wie gestern, wir wussten beide was nun kommen würde. Doch plötzlich zuckte er zusammen und zog seine Hand, die die ganze Zeit auf meiner Wange gelegen war weg. Traurig sah er zu Boden und murmelte ein leises: „Sorry.“

Nach einiger Zeit hatte sich die Stimmung wieder etwas gebessert und wir verbrachten noch den ganzen Tag zusammen in der Stadt.

Später am Abend, so um neun, wurde mir so langsam kalt und ich sehnte mich nach einer Decke in die ich mich kuscheln konnte. Ich hätte mir wirklich mehr anziehen sollen. Vorsichtig rutschte ich ein Stück näher zu Jordan und legte meinen Kopf auf seine Schulter. Wir saßen auf dem Geländer einer Brück, die über einen kleinen Fluss führt und hingen beide unseren Gedanken nach, während wir in den sternenklaren Nachthimmel sagen. Wie selbstverständlich legte er seinen Arm schützend um meine Schultern und zog mich näher an sich. Ich musste seufzen, warum konnte es denn nicht immer so sein? Langsam drehte ich meinen Kopf, so dass ich die Silhouette seines Gesichts sehen konnte. Er sah so unbeschwert aus, einfach wunderschön. Den ganzen Tag über hatte ich viel nachgedacht. Sicher, mir war nicht langweilig gewesen, ganz im Gegenteil, wir haben viel gemacht, viel geredet und gelacht. Aber trotzdem, ich musste viel nachdenken. Warum ich immer so ein Kribbeln spüre, wenn ich ihn sehe oder warum ich mich nach all der Zeit immer noch so geborgen fühle in seiner Gegenwart. Um nur ein paar Beispiele zu nennen. Auch über die Zukunft, wie es mit uns weiter gehen wird, ob es weiter gehen wird.

Auch er dreht seinen Kopf und sieht mir mit seinen Augen tief in die meinen. Seine Augen waren immer noch so faszinierend. Dieses Blau war einfach nur dafür gemacht um darin mit seinen Blicken zu versinken. Langsam zieht er mich näher zu sich und haucht mir einen leichten Kuss auf die Stirn. Ja was ich noch sagen sollte, er hat mich seit dem nicht mehr wirklich geküsst, immer nur ein Bussi auf die Wange oder eben auf die Stirn, jedes Mal wenn er wollte ist er zurück geschreckt, rot angelaufen und hat dann beschämt zu Boden gesehen. Auch jetzt war er kurz davor, doch lässt er los, streckt sich und steht dann auf. Verdutzt sehe ich ihm nach, ehe ich mich auch erhebe und vor ihn stelle. „Und, was hast du jetzt vor?“, frage ich neugierig. Sanft grinsend meint er: „Na ja du wirst dich sicher mal wieder zuhause blicken lassen müssen. Und um ehrlich zu sein… ich bin auch schon müde und mir ist kalt, deswegen werde ich dann auch in meine Wohnung gehen.“ Langsam macht der Größere noch den letzten Schritt auf mich zu und drückt mich fest an sich. Innig erwidere ich die Umarmung, ehe wir uns dann wieder lösen. „Also dann, mach’s gut Jojo… können ja mal wieder was zusammen machen und wenn irgendwas ist, dann kannst du immer zu mir kommen…“ Ohne ein weiteres Wort dreht er sich um und geht in die Richtung, in der der Parkausgang liegt.

„Jordan warte!“, rief ich ihm noch hinter her und rannte in seine Richtung. Mit einem verdutzten Gesicht drehte er sich zu mir um. „Was ist denn Kleiner?“

Ohne etwas zusagen lege ich meine Arme um seinen Hals und meine Lippen auf die seinen. Vorsichtig bewege ich sie, ich hatte ja keine Ahnung wie man küsst… wie denn auch? Sanft fuhr er mit seiner Zunge über meine Lippen und forderte Einlass. Wir verstärkten den Kuss. Keiner wollte aufhören, es war wie ein Traum, der Wirklichkeit geworden ist. Spielerisch necken sich unsere beiden Zungen und es war, als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Irgendwann lösten wir atemlos unseren Kuss und Jordan stand mir entsetzt und mit offenem Mund gegenüber.

„Jojo…sag mir bitte, dass ich geträumt habe… bitte.“ Sanft schüttelte ich meinen Kopf und hauchte ihm noch einen zarten Kuss auf seine weichen, vollen Lippen. „…bitte… Jojo… das kann nicht sein…“ unwissend sah ich ihn an. „Was kann nicht sein Jordan?“ Traurig blickte er mich an. „Weißt du, wie du gerade mit meinen Gefühlen spielst? Verdammt Jojo… du solltest mich nicht küssen… wenn da nicht mehr ist… Ich liebe dich... und du ... was machst du… du quälst mich damit, das du es weißt…“ Enttäuscht drehte er sich um, um weiter zu gehen, doch ich packte ihn am Handgelenk und zog ihn zurück. „Jordan, ich spiele nicht mit deinen Gefühlen und auch wenn es für dich seltsam klingen mag, aber ich glaube ich habe mich auch in dich verliebt...“ Beschämt sah ich zu Boden während ich die Worte aussprach, hob dann aber wieder meinen Blick um seine Reaktion zu sehen. Es dauerte einige Momente ehe er begriffen hatte, was das, was ich ihm eben gesagt hatte bedeutete, doch auch nachdem er es begriffen hatte, konnte er es nicht glauben, denn er hauchte kaum hörbar nur ein Wort „Wirklich?“ Sanft legte ich meine Arme um ihn und bewegt meine Lippen zu seinem Ohr um leise in dieses zu flüstern: „Ja Jordan… Ich liebe dich auch!“ Erleichtert seufzte er, ehe auch er in mein Ohr flüsterte. „Weißt du eigentlich, wie glücklich du mich gerade machst, mein Kleiner?“ Ich erwiderte nichts, sondern begann nur wohlig zu seufzen.

Lange standen wir so da, einfach nur Arm in Arm, ehe Jordan anfing zu zittern. „Ist dir kalt?“, fragte ich leise und er nickte, ehe er antwortete: „Wollten wir nicht eigentlich nachhause, weil uns kalt war und wir müde waren, bevor du mir deine Liebe gestanden hast?“ Ich kicherte und nickte. „Aber du Jordan… Darf ich mir zu dir?“ Skeptisch sah er in mein Gesicht, „Hast du denn wirklich gedacht, dass ich dich jetzt noch mal her gebe?“ Ich musste breit grinsen, gab ihm noch ein Bussi auf die Wange, ehe wir uns Arm in Arm auf den Weg zu ihm nach hause machten.

In seiner Wohnung angekommen stand ich erst mal einige Minuten da und staunte. Die Wohnung war… TOLL, einfach genial. Neumodisch eingerichtet. Hell, wohnlich, einfach richtig toll. So richtig nach meinem Geschmack. „Das muss doch verdammt teuer sein…“, murmelte ich. Sofort legte Jordan, der bis gerade eben unsere Jacken aufgehängt und einen Tee gemacht hatte, seine Arme von hinten um mich und meint dann: „Nein, nicht wirklich den Großteil habe ich durch Freunde billiger bekommen, außerdem verdiene ich ja genug, du weißt ja seit gestern wie. Außerdem habe ich ja gesagt, dass ich nebenbei noch als Kellner in einer Bar arbeite.“ Enttäuscht lasse ich meine Schultern hängen. „Was ist denn jetzt los, hab ich was Falsches gesagt?“, fragt er verwundert und ich schüttle nur traurig den Kopf und setzte mich auf die schwarze Couch „Es ist nur... Dann hast du ja kaum Zeit…“ Seine nachdenkliche Mine heitert sich auf und er setzt sich grinsend vor mich. „Doch klar hab ich das, ich wollte in der Bar eh bald kündigen, mit der Band verdienen wir genug und da is auch nich soo viel zu tun. Spielst du eigentlich ein Instrument?“ „Haha, als würdest du das nicht mehr wissen!“ Er legte den Kopf schief „Nein, weiß ich echt nicht, woher auch!“ „Na wer war denn der Große Bruder, der immer so von E-Gitarren geschwärmt hat, wegen dem ich danach das Spielen angefangen habe?“ Verspielt streckte ich ihm meine Zunge raus und er sah mich mit großen Augen an. „Ah ja, nur wegen mir? Was hast du denn noch so alles wegen mir gemacht?“, fragte er neugierig. „Ähm… willst du das wirklich wissen?“ Mit einem breiten Grinsen nickte er, legte sein Kinn auf meinen Beine und ich begann zu erzählen.

Nach vielen Stunden des Redens und Lachens waren wir beide müde, vorsorglich hatte sich Jordan davor erkundigt, ob es für mich okay wäre mit ihm in seinem Bett zu schlafen. Ich nickte und wir schliefen zusammen ein. Ich hatte meinen Kopf auf Jordans Arm gelegt, welchen er zusammen mit dem anderen schützend um mich gelegt hatte, und kuschelte mich an seinen warmen, weichen Oberkörper.
 

„Hey Schatz, aufhören zu träumen, du sitzt in der Küche!“ Erschrocken sehe ich ihn an und rechtfertige mich dann: „Ich träum doch gar nicht!“ „Na sicher!“ Er beugt sich zu mir herunter und gibt mir einen sanften Kuss. „Ich liebe dich!“, schnurre ich ihm geradezu entgegen und er lächelt. „Ich dich auch.“ Ich bin so glücklich darüber, dass ich bei ihm sein darf. Auch das mit meinem Stiefvater werden wir hinkriegen wir sind ja jetzt zu zweit…
 

Das mit Emily gab mir aber auch die nächsten Wochen immer noch zu denken. Es war noch eine Woche Ferien gewesen, ehe ich wieder in die Schule musste. In der Zeit war ich nicht mehr bei meiner Adoptivfamilie gewesen. Was sollte ich denn auch da? Und so viele Dinge die lebensnotwendig waren hatte ich dort nicht. Jordan hatte meinen Stiefvater angerufen und ihm die Situation erklärt. Ihr Telefonat dauerte mehrere Stunden doch was genau sie geredet hatten wusste ich nicht genau, denn Jordan hatte mit verboten zu zuhören.

In der Schule hätte ich Emily dann fast nicht erkannt. Sie hatte sich verändert… Nicht nur ihr aussehen, sie hatte nun schwarze Haare, schminkte auch ihre Augen meist komplett schwarz und trug nur noch düstere, dunkle Kleidung. Auch ihren Charakter. Sonst war sie fröhlich, aufgedreht und lustig gewesen. Doch jetzt war sie verschlossen, eine Einzelgängerin und strahlte etwas tief Trauriges aus.

Bestimmt einen Monat machte ich das mit, ohne was dazu zusagen, ich hatte ja Jordan, der mir so viel Hoffnung und Zuversicht gab. Es war mittlerweile offiziell geworden, dass wir zusammen sind und er hat mich auch den anderen Bandmitgliedern vorgestellt, ich darf jetzt auch in der Band mitspielen so kann ich jeden Moment mit Jordan zusammen sein. Ihr denkt, dass das langweilig wird auf Dauer? Nein, es ist einfach nur toll mit ihm zusammen zu sein, glaubt mir, er ist einfach perfekt!

Zurück zu Emily, schließlich sprach ich sie nach einigen Monaten dann doch darauf an, was los war. In der Schule, als sie an mir vorbei lief, packte ich ihren Arm und zog sie hinter mir durch die halbe Schule, bis wir endlich in einer etwas ruhigeren Ecke angekommen waren. „Emily, was ist denn los? Du siehst ja gar nicht gut aus“, versuchte ich das Gespräch zu beginnen. „Hach Jojo, du klingst ja mittlerweile fast wie meine Mutter! Was interessiert es dich denn was mit mir los ist? Du hast doch Jordan!“ Sie sprach die Worte gerade zu mit Verachtung aus „Bitte Emily, du bist doch meine beste Freundin!“ Ein Grinsen huschte über ihre Lippen „Pah, beste Freundin und jetzt lass mich gefälligst los, du tust mir weh!“ Verdutzt ließ ich ihren Arm los. So fest hatte ich sie doch gar nicht festgehalten. Sie schob ihren Ärmel der nach oben gerutscht war wieder etwas runter und man konnte die frischen Verletzungen sehen. „Emily, sag mir, dass das nicht wahr ist, bitte.“ Traurig senkte sie ihren Blick und schon war sie in den Massen von Schülern verschwunden.

In den nächsten Wochen sah ich sie nicht in der Schule. Die Mädchen aus ihrer Klasse meinten, dass sie krank sei, doch ich wusste es besser. Eines Tages nach der Schule ging ich zu ihr nach Hause, ich wusste ja wo sie wohnte. Und klingelte. Mein Stiefvater öffnete die Tür, als er mich sah knallte er sie vor meiner Nase wieder zu. „Bitte, ich will doch nur mit Emily reden!“ „Geh weg du Schwuchtel, du hast die Ehre unserer Familie beschmutzt, so etwas wie dich wollen wir nicht im Haus haben! Verschwinde endlich, sie will sowieso nicht mit dir reden! Außerdem ist sie seit Wochen nicht hier gewesen!“ Ich schluckte und machte mich auf den Nachhauseweg. Was war nur los mit ihr.

Einige Tage später saß ich mit Jordan auf der Couch und schaute gemütlich in seinen Armen liegend fern, als das Telefon klingelte. Er ging ran, reichte es dann jedoch mir. „Ja?“, fragte ich verunsichert, es war selten, dass bei ihm zuhause jemand für mich anrief. „Du Scheißkerl, was hast du mit meiner Tochter getan? Wegen dir hat sie sich umgebracht, mein kleiner Engel… Sie hat sich von der Brücke gestürzt, gestern Nacht, nur wegen dir, das wäre alles nie passiert wenn wir dich nicht aufgenommen hätten und auch auf die Straße gesetzt hätten wie deinen lausigen Bruder, das ist doch Inzest, ich werde euch anzeigen ihr Psychopaten!“ Mein Stiefvater schrie so laut in den Hörer, dass selbst Jordan seine Worte laut und deutlich verstehen konnte. Und das war gut so, denn ich selbst war nicht im Stande gewesen auf zu legen oder irgendetwas zu sagen. Er nahm mir das Telefon aus der Hand und legte auf. Jordan legte seine Arme um mich, ich drückte meinen Kopf auf seine Brust. Ich begann zu weinen. Lange weinte ich und auch Jordan liefen einige Tränen über die Wangen.
 

Heute war ihre Beerdigung. Ich war seitdem ich es erfahren hatte nicht mehr in der Schule gewesen, hatte die meiste Zeit geweint und Jordan hatte mich so gut es eben ging getröstet. Die Zeremonie war schon seit etwa einer Stunde vorbei. Die Stimmung passte genau, viele Wolken, es tröpfelte leicht und es war eine Kälte die bis zu meinen Knochen zu dringen schien.

Auch meine Stiefeltern und der Rest der Familie war nicht gerade froh mich zu sehen. War ja auch verständlich. Jordan war mitgegangen und hatte die ganze Zeit einen Arm um meine Hüfte gelegt, das hat so gut getan! Einfach zu wissen, dass jemand da ist, der mich auffängt.

Na ja, vorbei ist vorbei, jetzt sitze ich hier auf der Schaukel vor meinem Elternhaus und Jordan schlendert breit grinsend mit einem Kanister in der Hand auf mich zu. „Schatz, ich bin fertig!“ Nun auch grinsend stehe ich auf und laufe ihm entgegen „Super!“ Ich breite meine Arme aus und laufe in seine Umarmung! Gemütlich schlendern wir Händchen haltend zu der Terrasse. Ja genau die Terrasse, an der meine Geschichte begonnen hat. „Komm, lass es uns gemeinsam tun!“, meint Jordan lachend seine Stimmt klingt schon fast irre, aber ich verstehe ihn ja.

Sanft nimmt er meine Hand mit der einen und eine Packung Streichhölzer mit der andern seiner beiden Hände. Als wären unsere Hände eins greifen wir nach einem der Holzstäbchen und zünden es an, um es schließlich in die durchsichtige Flüssigkeit zu werfen.

Wir folgen der brennenden Spur die in das Haus führt und beobachten wie es immer mehr zu brennen beginnt.

Als es lichterloh in Flammen steht packe ich Jordans Hand und renne, ihn hinterher ziehend, zum Tor um auf die Straße zu gehen. Glücklich schlingen wir die Arme umeinander und geben uns einen innigen Kuss, ehe wir eng aneinander gedrängt die Straße hinab in unser neues Leben gehen.

Ob wir verrückt geworden sind? Nein, sicher nicht. Das war auch keine Kurzschlussreaktion. Wir haben lange darüber geredet und sind zum Schluss gekommen, dass es das Beste wäre. Es war einfach zuviel geschehen über das nicht mehr nachgedacht werden sollte. Und das sollte das Zeichen für einen Neuanfang sein. Ein Start für uns beide in ein glückliches Leben zu zweit.

Keiner mehr, dem eine Hälfte seines Herzens durch den anderen fehlt!

Jordan… ICH LIEBE DICH!

„ICH LIEBE DICH!“, ich schrie es grade zu aus mir heraus und er erwiderte genauso laut „ICH DICH AUCH, MEIN KLEINER, ICH DICH AUCH!“

Die beiden Brüder… endlich… vereint!
 

THE END!



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Kommentare zu dieser Fanfic (12)
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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Inan
2009-07-22T23:09:55+00:00 23.07.2009 01:09
Wieder mal n total süßes Kap! *_*
INZEST FOREVA!!! xD
Ist aber schade, dass Emily sich umgebracht hat, sie war auch voll süß!
Die FF kommt natürlich auf meine Favoliste^^
Von:  Inan
2009-07-22T22:24:23+00:00 23.07.2009 00:24
*___*
Schöööön...
Klang jetzt zwar nicht besonders geistreich, aber ich meins so,
total toll geschrieben, gefühlvoll und alles,
also ich hab nix zu meckern^^
Von:  Inan
2009-07-22T21:23:56+00:00 22.07.2009 23:23
Wow! Wie du das schreibst, man kann praktisch mitfühlen, das kommt alles total gut rüber!
Wenn man der ersten Seite glauben schenken darf, wird die Gegenwart auch nicht so prickelnd oder? XD
Naja, ich lass mich überaschen^^
Von:  TeZ
2009-03-30T16:31:02+00:00 30.03.2009 18:31
Hey!
Also... ich wollt dir sagen... hassu ganz fein gemacht *pat*^^ Und ich freu mich schon, wenn das nächste fertig wird^^
*knuddel*
TeZ
Von:  Nik_Wonderland
2009-03-29T09:38:26+00:00 29.03.2009 11:38
HEYYY!!!
was zu ende????
schade!!!*snief*
aber das ende is super!!!ich faind das super süß!!!
naja n bisschen schde wegen emily aber wenn ich ganz erlich bin war mir die frau nciht gerade sympathisch zum schluss...
naja im gegensatz zu jordan den find cih echt supiiii!!!^^
auch ads jordan und jojo jezz zusammen sind is echt klasse!!!
aber wie schon gesagt schade das es zu ende is!!!"='(
freu mcih aber schon wenn du was neues schreibst!!!!!
ads werde ich dann auch mit freude kommentiren!!!^^
naja
HDL ♥
Monsetr
Von:  dani
2009-03-28T13:40:27+00:00 28.03.2009 14:40
Juhuuuuu!!!!!!!!

Ein Happy end und noch dazu sooo verdammt süüüüüüüüüß!
nur schade, dass sich Emily umgebracht hat...*schnief*
aber ansonsten einfach total genial *in die Luft spring vor begeisterung*
Von:  Die_Debby
2009-03-24T01:46:26+00:00 24.03.2009 02:46
Oh mein gott ich liebe diese FF....
Ich bin echt sprachlos...
Das ist alles so viel und so sehr ergreifend.
Ich musste echt weinen....
das hat echt Buch Format O.O
oh man.. schreib ganz schnell weiter...
ganz schnell =)

Debby♥
Von:  dani
2009-03-23T17:47:27+00:00 23.03.2009 18:47
WOW ich wiederhole mich vermutlich aber du bist einfach total klasse!!!
Echt super geschrieben und ich finde Jojo immer süßer *knuddel*
*verlegen grins*
naja warte schon sehnlichst auf deine nächsten kapi...
GLG
dani
Von:  Nik_Wonderland
2009-03-23T17:29:09+00:00 23.03.2009 18:29
uiiiii!!!!!
ERSTE!!!!
man ich find die story total toll und schön geschrieben auch die vielen gedanken die jojo sich macht sind toll!!!!!!!!
auch finde ich das du jordan sehr sympathisch rüberkommt so das man ihn einfach lieb habne muss!!!!!!!!
super schreibstiel freu mcih wenn es weitergeht!!!!
LG Danny
Von:  L-mo
2009-03-22T13:14:30+00:00 22.03.2009 14:14
Wahh ja endlich isses hochgestellt x)
Du weißt ja das ich die gschichte mag und so, ne? ^_^
kriegst nen Kecks xD ... Ich hab wirklich Keckse da ♥.♥
*geehrt fühl das ich in beschreibung erwähnt werde*
Hab ich doch gern gemacht^^
muhahaha! Ich weiß schon wie's weiter geht! o.O
Aber ich bin natürlich nich bestechlich... *hust* außer mit kecksen *hust*
ne spaß xD
Wünsch den anderen noch viel spaß beim lesen :)
*knuddl* *knuff*
ik hab lieb


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