Titel: Vater sein dagegen sehr
Autor: somali77
Fandom: Weiß Kreuz
Rating: PG12
Pairing: keins
Warnings: Hm... Krankheit, häusliche Gewalt..?
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“Hier.”, war der erste Versuch, und Crawford legte mit bestimmter Bewegung
ein Briefchen Tabletten und ein Wasserglas auf den Nachttisch neben das Bett,
in dem ein winziger, zerbrechlicher Körper vor sich hinzitterte.
“Nimm eine Tablette.”
Der zu dem Medikament hin befehlend ausgestreckte Finger ließ keine
Missverständnisse zu, und Crawford ging wieder hinaus, ließ das Krankenlager
hinter sich, zog von außen die Tür ins Schloss.
Es machte ihn merkwürdig wütend und ungeduldig und aggressiv dass das
kleine Wesen weder mit ihm sprach noch mit Schuldig Kontakt aufnehmen wollte,
sondern vor allem nur verängstigt zurückschreckte. Eigentlich wusste er sehr
gut dass Zorn nicht angebracht war, dass er Geduld haben musste und
Verständnis, aber er fühlte sich nervtötend hilflos mit der Situation.
Vor kaum ein paar Tagen hatte er den Jungen aus einer schmutzigen Straßenecke
geholt nachdem sein Kinderheim ein paar Monate davor in die Luft geflogen und
bis auf die Grundmauern abgebrannt war. Er hatte geglaubt die Zeit alleine brachte
ihm bei, sich schneller auf fremden Schutz einzulassen, ihm schneller zu vertrauen,
schneller VON NUTZEN zu sein, und was war das tatsächliche Ergebnis?
Die ersten zwei Tage hatte das kleine Miststück sich nur in seinem Zimmer
eingeschlossen. Schon allein Blickkontakt trieb ihn in die Flucht, und die
fortgesetzte Befehlsverweigerung, sowie das ständige Herumschleichen und aus
sicherer Entfernung mit diesen hohlen, ausdruckslosen Augen hervorstarren, trieb
Crawford langsam aber sicher in den Wahnsinn.
Einmal, als der Kleine vor ihm die Tür telekinetisch versperrt hatte, in der
Wohnung die er selbst bezahlte, war er ausgerastet, hatte ihn kaum dass er ihn
schließlich doch zu fassen bekam mit dem Gürtel verprügelt.
Das war das erste Mal gewesen dass er einen Laut von ihm gehört hatte. Er hatte
gequietscht und geheult wie ein gequältes Hündchen, und dieses unglaubliche
Quietschen und das stechende schlechte Gewissen dadurch hatten den strengen
Schwarz- Anführer erst recht wütend gemacht.
Der Kleine hatte es nicht gewagt, Telekinese gegen ihn einzusetzen. Gut so...
Auf die Idee sollte er besser erst gar nicht kommen...
Als er ihn losgelassen hatte, war er unter die Bettdecke geflüchtet, stumm in die
Polster heulend. Crawford hatte sich befleckt und erbärmlich gefühlt. Er war kein
Pädagoge. Er hatte keine Ahnung was er mit dem Bündel Mensch dass seine
Wohnung seit neuestem so beinahe parasitär bevölkerte, anstellen sollte, um es zu
dem zu machen was er gern wollte- einem zuverlässigen und loyalen Untergebenen,
einem Team- Mitglied. Keinem scheuen Haustier.
Merkwürdigerweise hatte die Scheu nach diesem ersten Zusammenstoß wie er
meinte merklich nachgelassen, obwohl Crawford das Gegenteil befürchtet hatte.
Der Junge hatte immer noch nicht gesprochen, aber sich auffallend öfter in seiner
Nähe aufgehalten, reagierte auf Ansprache und benahm sich nicht mehr vollständig
wie ein wildes Tier.
Allerdings war er kaum zwei Tage hinterher krank geworden. Schuldig hatte ihn
von dem Zustand in Kenntnis gesetzt. Der Deutsche beobachtete seinerseits
das “Vögelchen” wie er ihn nannte, mit Interesse und Belustigung. Crawford hatte
den kleinen, fast durchscheinenden Körper mit dem viel zu großen Schlafanzug
im Bad gefunden, wo er sich zitternd ins Waschbecken übergeben hatte.
Natürlich war das nicht der Ort der Wahl, also hatte er ihn an den Hüften genommen,
hochgehoben, und vor die Kloschüssel gesetzt, wo der Kleine sich brav weiter
übergeben hatte, während er selbst auf der Suche nach Handtüchern und Tropfen
für den Magen war.
Die paar Momente allein, miteinander im Bad, und das fast durchsichtige Häufchen
Mensch das diesmal auf den Knien liegend und elend, überraschend oft Blickkontakt
mit ihm suchte, waren etwas neues gewesen, und Crawford konnte nicht leugnen
dass die behutsame Erkundigung aus den großen dunklen Augen ihn besänftigt hatte.
Welchen Mann ließ es schon vollkommen kalt, wenn etwas so schwaches so abhängig
und hilfesuchend zu ihm aufsah.
Er hatte ihm das Gesicht gewaschen, ihn den Mund ausspülen lassen, er hatte ihn
auf den Arm gesammelt als sich der Magen des Kleinen offensichtlich wieder etwas
beruhigt hatte, und ihm ein großes Handtuch umgehängt, für den Fall der Fälle.
Er hatte ihm die Stirn gefühlt- glühend heiß.
Der Kleine war ein Fliegengewicht auf seinem Arm, lächerlich dürr, lächerlich
schwerelos. Er hatte ihm eine Wärmflasche gemacht und kalte Wadenwickel,
er hatte ihm peinlich berührt Fieber gemessen, er hatte ihm einen Lappen gebracht
für die Stirn, und einen Tee, für den Flüssigkeitsausgleich. Schuldig zog ihn schon
den ganzen Morgen lang auf. Die Magentropfen hatte der Kleine sich willig und
mit weit offenem Mund verabreichen lassen. Zum ersten Mal hatte Crawford sich
wohlwollend gefühlt, und verantwortlich. Fast ein bisschen-... weich.
Er musste zwangsläufig weicher sein wenn er die dürren Knochen nicht mit
einem Handgriff zerquetschen wollte.
Aber dann wollte das kleine Mistbalg auf einmal partout nichts mehr trinken,
nichts essen, nichts mehr zu sich nehmen. Er hatte Fiebertabletten gefunden
und er würde verlangen dass der Zwerg sie nahm. Vielleicht konnte er sich
besser dazu überwinden, wenn er niemanden dabeistehen hatte der zusah.
“Hey Brad!”, grinste Schuldig vom Sofa herunter, als er daran vorbeikam,
“Wie fühlt man sich so als Krankenschwester?”
Er gab nichts als ein Knurren von sich. Ein übermütiger Deutscher fehlte ihm jetzt
gerade noch. Der Rothaarige schien zwar auch besorgt, war aber dazu übergegangen
seine Bemühungen zu beobachten und genussvoll zu kommentieren.
“Doktor Crawford...”, sang er, “Allzeit bereit...”
“Halt den Mund.”, ein bestimmtes Augenfunkeln brachte seinen Teamkollegen
meist zum Verstummen, heute allerdings...
“Ich weiß nicht ob das was werden wird, ich glaube nicht dass er Lust hat
Tabletten zu nehmen...”
“Was soll das heißen?”, Crawford, der die Hemdsärmel hochgekrempelt hatte und
inzwischen weiter in der Hausapotheke herumwühlte, blinzelte ihn misstrauisch an.
“Ihm wird nichts anderes übrig bleiben als Tabletten zu nehmen, wir haben nichts
anderes.”
Schuldig zuckte seufzend die Schultern.
“Vielleicht sollten wir einen Arzt anrufen der ihm eine Spritze verpasst. Oder du
bringst ihn ins Krankenhaus... was hast du noch mal gemessen vorhin..?
Zweiundvierzig Grad..?”
“Darum die Wadenwickel.”
“Armes Kleines...”, Schuldig zog reichlich unbeeindruckt eine Augenbraue hoch,
“Wadenwickel sind gar nicht schön, brr...”
“An Überhitzung draufzugehen ist auch nicht schön!”, knurrte Crawford etwas
heftiger als beabsichtigt, und kramte wieder ungeduldig zwischen Tablettenschachteln
herum. Das Übliche... er hatte noch Halsbonbons, aber das brauchte er nicht...
die Tropfen gegen Übelkeit und Magenprobleme standen schon auf dem Nachttisch...
Hustensaft war fehl am Platz bei Fieber und Übelkeit. Er sollte ihm einen Eimer
bringen...
Mit gefurchter Stirn ging er in die Küche um einen Eimer unter der Spüle
hervorzuzerren und damit zurück ins Krankenzimmer zu gehen. Wenn es die
nächste dreiviertel Stunde nicht abflaute, würde er den Jungen tatsächlich schnappen
und zum nächsten Arzt fahren den er kannte... leider war er noch nicht lange hier
in der Gegend, er kannte nur einen, und hoffte dass dieser auch Wochenenddienst
schob.
Ein Blick auf den Nachttisch zeigte ihm dass das Wasser im Glas zwar weniger
geworden war, die Tablettenpackung aber unangerührt auf der Holzplatte lag.
Er stellte den Eimer ans Kopfende des Bettes, nur für alle Fälle.
“Was ist mit der Tablette?”, fragte er und nahm das Tablettenbriefchen auf.
Der Junge blinzelte schlotternd und halbtot auf seine Hand ohne zu reagieren.
Crawford entschloss sich, eine Paracetamol in die offene Hand zu drücken.
“Hier. Nimm das. Du musst das nehmen.”, bestimmte er ruhiger aber sehr deutlich,
als er ihm Tablette und Wasserglas unter die Nase hielt.
Der Junge sah ihn ängstlich und nassgeschwitzt an und schüttelte schwach den Kopf.
“Das ist kein Gift, zum Donnerwetter noch mal!”, ereiferte sich Crawford vor lauter
Ungeduld und steigender Hektik, “Das ist Medizin! Verstehst du! Damit es dir besser
geht und du nicht jämmerlich verreckst, in Ordnung?”
Zitternd und die Augen schließend litt der Kleine vor sich hin, ließ ungewiss ob er ihn
verstanden hatte oder nicht.
“Nimm die Tablette!”
Keine Reaktion.
“Das ist ein Befehl, hörst du! Du willst nicht noch mal übers Knie gelegt werden,
ich warne dich..?!”
Ein kleiner, jämmerlicher Laut, ein schweres Schlucken.
“Hey hey...”, meinte eine überraschend gelassene Stimme von der Tür, “Habt ihr
Probleme?”
“Ich kann dich hier nicht auch noch brauchen Schuldig!”, fauchte Crawford.
“Jetzt warte doch mal...”
“Wir haben keine Zeit zu warten, raus!”
Die Tür schloss sich kommentarlos von außen wieder, und Crawford warf einen
Blick auf den elend kranken Jungen.
Dieses winzige Bündel würde den Teufel tun und hier in seiner Wohnung unter seinen
Händen hinwegkrepieren, nur weil es sich weigerte eine Tablette zu schlucken..!
Heiß durchschoss ihn Unruhe und üble Vorahnung und Wut, er fasste den Jungen am
Schlafanzug, zerrte ihn aus dem Bett, zwang ihm die Kiefer auseinander und wurde
auf die hellen, überaus schwachen Abwehrlaute und die kochend heißen, kraftlosen
dünnen Finger an seinem Arm sanfter, aber nicht weniger bestimmt. “Schon gut,
keine Angst... das muss jetzt sein. Mach den Mund auf-... aaahh... gut so. Hier,
nicht beißen”, mit zwei Fingern schob er ihm die Tablette tief in den Rachen,
hielt ihn dabei fest im Griff und spürte nur ein widerwilliges
Muskelzucken das den schlaffen Körper durchfuhr. Das bleiche, fieberfleckige
Gesicht war in Ekel und Angst verzerrt.
“Ruhig..!”, hoffte Crawford beschwichtigen zu können und kippte seinen Fingern
und der Tablette einen Schluck Wasser hinterher, bevor er dem kleinen Wesen
den Mund geschlossen hielt wie einer widerspenstigen Katze. “Na komm schon.
Schluck es. Runter damit.” Ein verzweifeltes Sträuben, kraftloses Kratzen an seinem
Handgelenk, hilfloses Zappeln.
“Los doch”, versuchte es Crawford am Ende mit den Nerven ermutigend, und hielt
auch die Nase noch zu um die Motivation vielleicht zu steigern, “Runter damit, na los!
Schluck es endlich!”
Ein heftiges Würgen ging durch den Körper und dadurch dass Crawford bei dem
merkwürdigen Geräusch die Hand lockerer ließ, spritzte ihm gleich dünnflüssige,
gelbliche, mit Galle und Wasser vermischte Magensäure über die Finger. Er fluchte,
ließ den Kleinen beinahe fallen, der besudelt und als wäre er vollständig aus Gummi
neben dem Bett zusammenklappte und halb im Eimer landete, als Crawford sich schnell
von ihm befreien wollte-...ein rascher Griff am Kragen des Schlafanzugs fing
ihn auf halber Höhe ab.
Die halb aufgeweichte Tablette war auf dem Boden gelandet, Crawford griff nach
dem Handtuch um seine Finger und das Gesicht des Kleinen abzuwischen, und
kämpfte die aufsteigende Panik nieder. Den halbtoten Jungen in der einen und das
Handtuch in der anderen Hand fühlte er sich mehr als je zuvor in seinem Leben
wie ein erbärmlicher Versager, und gänzlich hilflos bei den Versuchen,
irgendetwas dagegen zu tun.
“Schuldig!”, bellte er, nahe an einer Hysterie.
Verdächtig schnell ging die Tür auf, und der Deutsche salutierte grinsend
und spöttisch,
“Yessir!”
“Wir fahren ins Krankenhaus! Oder zu irgendeinem Arzt, völlig egal..! Hier,
nimm du ihn, ich hol die Autoschlüssel..!”
“Warte mal-... lass mich mit ihm reden..! Eine Sekunde, okay?”
Ein jämmerliches Fiepen kam von dem kraftlosen Bündel das wie eine kaputte
Marionette unglücklich in Crawfords Griff in seinen Klamotten hing.
Schuldig hob wichtig den Zeigefinger in die Luft, nahm Crawford das Kind ab
indem er es unter den Armen hochhob und zurück ins Bett schob,
“Das ist nur weil ihm die Dinger zu groß sind”, meinte er, “Sieh mal, das kann
man verstehen. Er bekommt sie nicht runter. Fahr doch mal eben ins
Erdgeschoss und hol ihm was gegen das Fieber das er nicht schlucken muss-...”,
ein treuherziger Blick über die Schulter, “Bitte Brad...”, flüsterte er.
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Nur wenige Momente später war Crawford unten in der kleinen Apotheke
gewesen und wieder zurück in ihrem Appartement. Schuldig hatte dem kleinen
Etwas mit freundlichem Gebrabbel die nasse Stirn gestreichelt und offensichtlich
ein wenig Tee eingeflößt. Wenigstens etwas. Und wenigstens schien der Tee
inzwischen auch drin zu bleiben und nicht sofort wieder ans Tageslicht zu drängen.
Sein Blick kreuzte den des Deutschen. “Hast du was bekommen?”, erkundigte sich
der Rothaarige.
“Ja...”, murmelte er, “Geh nach draußen.”
Schuldig folgte ausnahmsweise brav, und Crawford sah niedergeschlagen,
schuldbewusst, noch im Mantel, auf das schmale, weiße Gesicht mit den düsteren
Augenhöhlen, den dünnen Lidern die etwas blinzelten.
Er atmete durch und nahm aus der kleinen Tüte die Schachtel Fieberzäpfchen
für Kinder die er bekommen hatte. Einen Stuhl hatte er neben das Bett gezogen,
und er schaffte es endlich sanfter mit dem Jungen zu sprechen, verabreichte ihm
nach kurzer Erklärung sein Medikament, was der kleine Patient ruhig und wehrlos
über sich ergehen ließ, und als der Kleine ihn hinterher halb bewusstlos mit den
mitternachtsblauen Augen anblinzelte, fühlte er tiefe, unendliche Erleichterung
durch sich hindurchfließen.
Seine große, warme Hand bettete sich auf den dunklen Haarschopf. “Gut so...”,
murmelte er, “Na also... bald wird es besser, keine Angst, mh..?”
Er zuckte etwas zusammen als er die heiße, winzige Hand fühlte, die aus der
Bettdecke heraus kroch und nach seiner viel größeren tastete, sich vertrauensvoll
in die Handfläche schmiegte, bevor der Junge ihn noch einmal mit verschleiertem
Blick ansah und die Augen schloss.
Als Schuldig wenig später möglichst lautlos durch die Tür spähte, sah er seinen
Leader dem tief schlafenden jüngsten Teammitglied Händchen halten und ihm
vorsichtig die Stirn streicheln, und zog sich ausnahmsweise ohne einen Kommentar,
mit stillem Grinsen zurück...
--owari--