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Drachenkind

von

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Epilog

Er riss die Augen auf und presste beide Hände auf den Mund. Wieder einmal hoffte er einfach nur, dass es bald vorbei sein würde, dass der Nachklang des Traumes abebbte. Den Schrei, der bereits auf seiner Zunge lag, konnte er zurückdrängen und herunter schlucken.

Dennoch blieb er so lange in dieser Position liegen, bis sich sein hämmerndes Herz beruhigte. Erst dann nahm er langsam die Hände herunter und ließ sie neben seinen Körper fallen. Schon wieder, dachte er matt. Schon wieder dieser Traum, schon wieder diese Erinnerungen, die sich in seinen Schlaf schlichen.

Er hat aufgehört zu zählen, wie oft es bereits geschehen war. Manchmal kamen sie nur als flüchtige Bilder oder Worte, andere Mal waren sie so intensiv und lebendig wie in dieser Nacht. Dabei verfolgten sie ihn ja auch schon am Tag. Sie waren immer da, ganz egal was er tat. Zum Glück war es ihm dieses Mal gelungen, den Schrei zu unterdrücken, dachte er. Er hätte ihr unmöglich erzählen können, dass er schon wieder nur schlecht geträumt hatte. Es wäre zwar die Wahrheit gewesen, aber er hatte es bereits so oft gesagt, dass er sich manchmal selbst nicht mehr glaubte.

Er drehte den Kopf zur Seite, um sich an dem schlafenden Gesicht seiner Frau zu beruhigen. Erneut blieb ihm das Herz stehen. Sie sah ihn aus hellwachen Augen an.

Sie hatte alles mitbekommen.

Wie ein verängstigtes Tier starre er sie an.

Da sie nichts sagte, wandte er den Blick wieder ab und fixierte die Zimmerdecke. Er wollte es ihr erzählen! So sehr! Aber was, wenn...

Plötzlich ergriff sie seine Hand und drückte sie sanft. Dann schmiegte sie ihren Körper an seinen und schloss die Augen. Er wusste, was sie ihm damit sagen wollte, was sie schon so oft gesagt hatte, mit und ohne Worte. Er musste es ihr einfach sagen... Schließlich würde es ihr ganzes gemeinsames Leben beeinflussen, wenn er nicht... Wenn er es schon nicht zu Ende bringen konnte, dann musste er ihr doch wenigstens die Wahrheit sagen, dachte er verzweifelt.

„Apple?“, sagte er leise und musste sich räuspern. Sein Herz schlug inzwischen drei Mal so schnell.

„Mmh.“, murmelte sie.

„Glaubst du... glaubst du an Drachen?“

Jetzt hob sie den Kopf und sah ihn fragend an. Sie schien sich ihre Antwort sehr genau zu überlegen. „Ich weiß es nicht... Ich habe noch nie darüber nachgedacht.“, antwortete sie schließlich. Zaghaft nickte er. Ihm wurde ganz schlecht. So nervös war er noch nie zuvor in seinem Leben. Nicht einmal an dem Tag, an dem er um ihre Hand angehalten hatte.

Sie kam seinem Gesicht näher und küsste ihn zärtlich. Er erwiderte den Kuss und glaubte erneut den Geschmack von Sommeräpfeln auf ihren Lippen schmecken zu können. „Du musst das nicht tun.“, flüsterte sie gegen seinen Mund.

„Doch... Ich muss... Noch kannst du... kannst du es dir anders überlegen. Ich hätte es dir lange vorher sagen sollen. Vielleicht willst du gar nicht... so jemanden wie mich und... Ich würde dafür bürgen, dass unsere Ehe nie vollzogen word-“

Ein Finger auf seinen Lippen unterbrach ihn. „Sch... Rede nicht so einen Mist.“, beruhigte sie ihn mit sehr deutlichen Worten. Widerwillen musste er lächeln. Genau deswegen hatte er sie geheiratet. Sie sagte immer, was sie dachte, egal wie es für andere klang.

„Apple, was ich dir jetzt erzähle ist wahr. Bitte, du musst es mir glauben.“, flehte er sie an.

„Ich habe dich noch nie so sprechen gehört.“, sagt sie nach einem kurzen Moment. „Deswegen glaube ich dir bereits jetzt.“

Ich nicke. „Gut...Gut... Als diese Geschichte ihren Anfang nahm...“
 

Es musste bereits Mitternacht gewesen sein, als er endetet. Die ganze Zeit hatte Apple ihm geduldig zugehört und ihn kein einziges Mal unterbrochen. Auch jetzt schwieg sie noch eine ganze Weile.

Er ließ sie in ihren Gedanken und betrachtete die Bilder, die gegenüber von ihrem Bett hingen. Es war eine Serie bestehend aus vier Einzelbildern. Es war eine Vollmondnacht – wieder einmal – und das Licht des Mondes reichte aus, um das Zimmer genug zu erhellen, so dass er die Motive der Bilder erkannte. Dabei kannte er sie bereits auswendig.
 

Das erste Bild trug das Thema Frühling. Es zeigte eine blühende Apfelwiese. Die Sonne schien hell und brachten die grünen Blätter zum Leuchten, während die zarten weißen und rosa Blüten selbst zu strahlen schienen. Das Gras wuchs hoch und einzelne weiße Punkte – Gänseblümchen – ragten daraus hervor. Auf der linken Seite des Bildes versteckte sich ein Junge hinter einem breiten, alten Apfelbaum. Die Äste dieses Baumes hingen besonders tief, so dass, wenn der Junge sich noch ein wenig zurücklehnen würde, er ganz unsichtbar sein würde. Doch er war so dargestellt, dass er hinter dem Baum hervor lugte und mit einem Lachen zu seiner Spielkameradin schaute. Sie war auf der linken Bildseite gemalt. Mit den Händen vor dem Gesicht lehnte sie an einen Baum und zählte vielleicht, um dann nach ihm zu suchen. Der Junge hatte strohblondes Haar, welches sich in wenige Locken um seinen Kopf legte. Seine Kleidung schien edler zu sein, doch war sie von unzähligen Grasflecken übersät. Das Mädchen trug ein schlichtes braunes Kleid, dem von Angestellten in Herrenhäusern gar nicht so unähnlich. Ihre langen, kastanienfarbenen Korkenzieherlocken fielen ungebändigt ihre Schultern herab. Es war ein fröhliches, unschuldiges Bild und er sah es sich sehr gern an.
 

Sein Blick wanderte weiter zum zweiten Bild. Dieses zeigte die gleiche Apfelwiese im Spätsommer. An den Bäumen hingen nun große, rote, reife Äpfel und die Äste beugten sich unter ihrer schweren Last. Die Kinder waren sehr gewachsen und standen kurz vor dem Erwachsenwerden. Wie alt mochten sie sein?, überlegte er. Vielleicht sechzehn oder achtzehn. Sie saßen einander gegenüber im Gras, zwischen dem jetzt Kornblumen und Margriten wuchsen. Die Locken des Mädchens hingen immer noch wirr ihre Schultern herab. Doch zwischen ihren Fingern hielt sie eine Haube. Ihr Kleid war braun, mit einer Schürze umgebunden. Die dunkle Farbe ließ ihre Haut beinah weiß wirken, nur ihre Wangen waren leicht rosa. Ihre Augen waren kleine helle Punkte. Das rosa ihrer Wangen kam von der Hand, die er nach ihr ausgestreckt hatte. Mit den Fingern legte er ihr sanft eine Haarsträhne hinter die Ohren. Es war eine vertraute und auch liebevolle Geste. Genauso liebevoll, wie auch sein Blick war, mit dem er sie ansah. Seine Locken, waren herausgewachsen und das Haar glatt. Seine Augen waren nicht zu erkennen, denn er hatte die Lider gesenkt und sah sein Gegenüber unverwandt an. Seine Kleidung schien kostbar. Er trug ein weißes Hemd und eine grüne Samtweste, die mit Goldstickereien an der Seite verziert war. Seine Hosen waren in dem gleichen passenden Grün und seine Strümpfe so weiß, wie die Apfelblüten im Frühling. Nur Schuhe trugen beide nicht mehr. Sie lagen achtlos im Gras neben ihnen. Die Äpfel mochten reif von den Ästen hängen, doch eine Liebe entstand gerade.
 

Der Herbst dominierte das dritte Bild. Die Äpfel waren geerntet worden und Blätter waren bereits von den Bäumen gefallen. Die, die sich noch an den Zweigen festhielten leuchteten in allen erdenklichen gelb, orange, rot und braun Tönen. Die Wiese hatte an Farbintensität verloren und der Himmel war von Wolken verhangen. Eine dritte Person war auf dem Bild zu sehen. Es war ein Mann, der das Mädchen an der Hand hielt und mit ihr die Wiese verlassen wollte. Sein Gesicht war nicht zu erkennen, es lag im Schatten verborgen. Das Mädchen, oder vielmehr die Frau, drehte sich halb, die freie Hand nach dem Anderen erhoben. Ihre Haare waren unter einer weißen Haube gesteckt und doch hatte sich eine einzelne Strähne gelöst und schlängelte sich ihr Gesicht entlang. Sie trug nur ein schlichtes Brautkleid, nicht einmal gänzlich weiß, ohne Schleier und doch war es eindeutig. Sie hatte einen anderen geheiratet. Der blonde Mann sah ihr hinterher, auf seinem Gesicht spiegelten sich Trauer und Verzweiflung. Auch er hatte eine Hand erhoben, als wollte er ihre greifen und doch zögerte er. Sie schienen beide hilflos und in ihrem Schicksal gefangen.
 

Das letzte Bild sprach nur von Trauer. Es war Winter auf der Apfelwiese. Die Bäume waren kahl und Schnee bedeckte ihre Äste und auch die Wiese. Der Himmel war grau, kein Sonnenstrahl konnte durch die dicken, dunklen Wolken dringen. Es war so ganz anders, als das erste oder zweite Bild. Das erschütterndste war ein Kreuz, welches genau in der Bildmitte zu sehen war. Es war aus zwei einfachen, heruntergefallenen Ästen mit einem Strick zusammengebunden. Davor saß mit gesenktem Haupt der blonde, junge Mann im Schnee. Sein Körper wurde bereits von Flocken bedeckt, was davon zeugte, dass er schon ziemlich lange dort sitzen musste. Er war nach vorn gebeugt, in großem Schmerz, den er in seinem inneren trug. Das Mädchen mit den Korkenzieherlocken war gestorben.
 

„Sieh dir nicht das letzte Bild an, sondern das für den Frühling oder Sommer.“, flüsterte eine Stimme neben ihm und er zuckte kurz zusammen.

Die Bilder gehörten seiner Frau, doch wer der Künstler war, wusste auch sie nicht. Die Bildserie hatte Doktor Storm ihr gegeben, als sie vor vier Wochen geheiratet hatten. Der alte Mann lebte immer noch. Niemand wusste, wie alt er wirklich war. Er selbst machte Scherze darüber, dass seine eigene Medizin ihn so lange am Leben hält.

Apple glaubte, dass auf dem Bild ihre Mutter zu sehen ist. Sie starb früh an einer Mangelernährung. Der unbekannte Mann auf dem dritten Bild war ihr Vater, oder zumindest der Mann den ihre Mutter geheiratet hatte. Da Apple weder ihm oder ihrer Mutter ähnlich sah, war er schon früh davon überzeugt gewesen, dass sie ein Kuckuckskind war und brachte sie zu ihrer Großmutter. Dort wuchs Apple auf. Sie war also eine Waise, wie er. Sie hatten beide keiner Eltern mehr und waren doch in einem liebevollen Zuhause groß geworden. Nur konnte er sich an seine Eltern erinnern. Auch wenn es eben jene Erinnerungen waren, die ihm den Schlaf raubten. Apple hingegen besaß nichts, außer diesen Bildern und den Glauben, dass der blonde Mann ihr leiblicher Vater war. Es waren nur Vermutungen, doch Apple liebte es darüber nachzudenken und sich Geschichten zu Recht zu spinnen, warum ihre Eltern nicht beieinander sein durften und was mit ihrem leiblichen Vater gesehen war. Doch alle endete sie damit, dass sie irgendwann Nachricht von ihm bekommen würde.

Er schüttelte den Kopf und versuchte sich auf das Jetzt zu konzentrieren. „Was denkst du?“, fragte er sie schließlich.

Sie lehnte sich an ihn und verschlang ihre Finger mit seinen. Es ließ ihn hoffen. Immerhin hatte sie ihn nicht aus dem Bett gejagt.

„Ich glaube dir, das sagte ich bereits. Du hast all die Erinnerungen von ihm bekommen und unsere Kinder würden sie auch haben, nicht wahr?“

Er nickte im Dunkeln. „Wahrscheinlich.“

„Das erklärt, warum du keine Kinder möchtest. Ich dachte bisher, es wäre nur vorrübergehend und du würdest es dir noch anders überlegen.“

„Es tut mir leid!“, setzte er hastig an. „Ich hätte es dir viel früher sagen müssen. Dann hättest du gewusst, worauf du dich einlässt, dass ich... wir... Du kannst immer noch gehen. Es steht dir frei. Wie gesagt, ich würde... würde...“ Er kann die Worte nicht einmal zu Ende sprechen, so sehr ängstigt ihn die Vorstellung sie zu verlieren.

„Sei nicht albern. Du bist immer noch du. Das ändert nichts an meinen Gefühlen für dich. Nur... Nur lass mir ein wenig Zeit, um es zu verarbeiten.“

„Natürlich.“ Ihre Worte klangen gefestigt und er wollte bereits erleichtert ausatmen, dass sie es ihm so einfach machte. Aber in dem Moment sah er sie an und sah die Tränen in ihren Augen glitzern. Sie wollte sie vor ihm verbergen, in dem sie ihr Haar wie einen Schleier vor ihr Gesicht fallen ließ, aber es war zu spät.

Es war der ausschlaggebende Punkt für ihn.

Er zog sie an sich und küsste sie hart. Dann sprang er aus dem Bett und kleidete sich an.

„W-Wo willst du hin?“, fragte sie ihn irritiert.

„Ich bin morgen Abend zurück.“, sagte er und hatte schon die Hose an.

„Was hast du vor?!“

Ohne ihr zu antworten, verließ er das Zimmer und die Tür fiel hinter ihm zu. Vor der Haustür schlüpfte er in seine Schuhe und lief über den Hof. Er hätte es schon längst tun sollen, dachte er. Es war Zeit die Toten endgültig zur Ruhe kommen zu lassen. Das Haus seiner Eltern lag nur wenige Meter vor seinem und Apples. Er und seine Frau waren auf dem gleichen Grundstück geblieben. Er würde es eines Tages erben und es gab jeden Tag viel zu tun. Es war nur logisch gewesen.

Leise öffnete er die Holztür und trat ein. Im Kamin glühen die Holzscheite noch rot-orange und jemand saß in einem Sessel davor. Überrascht hielt er inne.

„Luan? Was machst du hier?“, fragte sein Vater ihn nicht weniger überrascht.

„Das gleiche könnte ich dich fragen.“, antwortete dieser und kam näher.

„Ach, du weißt doch, bei Vollmond finde ich nie viel Schlaf.“, sagte er abwiegend.

Kurz nickt Luan. Sein Vater hatte nicht die ewigen Erinnerungen, wie er, aber seine genügen vollkommen, um ihn ebenso in seine Träume zu verfolgen.

„Ich nehme an du bist aus dem gleichen Grund hier.“, fuhr Alexander fort.

„Ja.“

Sein Adoptivvater mustert ihn eine Moment schweigend. „Woran denkst du?“, frage Luan ihn gerade heraus.

„An vieles und doch sollte es keinerlei Bedeutung mehr haben.“

„Ich werde es tun.“, sagte Luan schließlich. Ungläubig riss sein Vater die Augen auf und starrte ihn an. „Du willst den Zauber tatsächlich sprechen?“

Luan nickte knapp. „Seit dem Tag meiner Geburt, nein früher schon, trage ich diese Erinnerungen in mir. Erinnerungen, die nicht meine eigenen sind und die... schrecklich sind.“

Mehr musste er nicht sagen. Er hatte es ihm und seiner Mutter oft genug erzählt. Natürlich hatten sie ihm nicht helfen können, aber er hatte sich ein wenig erleichterter gefühlt, so wie auch jetzt noch.

„Ich habe es Apple erzählt.“, sagte Luan dann weiter. „Gerade eben, alles.“

„Wie hat sie es aufgenommen?“

„Gefasst, sie glaubt mir und sie war sogar damit einverstanden, dass wir nie Kinder haben werden, weil ich befürchte, dass sie so wären wie ich.“

„Das klingt toll.“, erwiderte Alexander, doch Luan merkte, dass seine Worte nicht echt waren. „Warum willst du es also gerade jetzt tun?“

„Weil sie Kinder haben will.“, antwortete er kurz. „Sie hat zwar gesagt, dass sei in Ordnung für sie, aber ich glaube sie würde es irgendwann bereuen und ich... ich will endlich einen Schlussstrich unter die Sache ziehen. Sie sind tot. Er... ist tot. Seine Erinnerungen sollten mit ihm gestorben sein.“

„Du wirst dich dennoch erinnern, an alles. Willst du deinen Kindern diese Erinnerungen wirklich verwehren?“

„Ich werde ihnen davon erzählen. Das ist die Art Erinnerung, die sie haben sollten und nicht dieses leibhaftige. ... Was denkst du?“

„Ich denke, dass du das richtige tust. Ich hatte das Glück, dass meine Erinnerungen in den zweiundzwanzig Jahren die vergangen sind, immer weiter verblassten und doch reicht mir das, was ich noch weiß. Ich konnte viele schöne Erinnerungen sammeln, die die schlechten in ihrer Anzahl bei weitem übertreffen: Dich aufwachsen zu sehen, die Geburt von Anne-Rose, eure Hochzeiten. Das waren nur die wirkliche großen Dinge. Doch bei dir ist es weitaus lebendiger und immer wird dieser Schatten über dir hängen. Ich glaube, Draco hätte es verstanden.“

„Glaubst du wirklich?“, flüsterte er unsicher.

„Ja. Ich wünschte, ich hätte die Kraft gehabt, dich davor zu beschützen.“ Luan schüttelte den Kopf. „Ihr habt schon so viel getan. Mehr als ich jemals zurückgeben kann.“

„Du weißt, dass es Unsinn ist, was du gerade erzählst.“, atmete Alexander genervt aus. Diese Unterhaltung hatten sie bereits mehr als einmal.

Luan grinste ihn an. Sie würden diese Worte niemals akzeptieren. „Weißt du, du magst Draco noch so ähnlich sehen“, begann Alexander, „aber er hat nie so gegrinst. Allein die Vorstellung ist gruslig.“

Jetzt musste er doch lachen und war dankbar dafür. Sein Vater schaffte es immer, dass ihm irgendwie leichter ums Herz wurde.

„Ich muss gehen. Der Beutel steht noch in der Kammer?“

„Niemand außer dir hat ihn angerührt. Wirst du die Stelle finden, an der ich sie begraben habe?“

Luan nickte zögerlich. Er war zwar noch nie dort gewesen, aber dank der Erinnerungen seines anderen Vaters, würde es leicht werden.

Er ging in die Vorratskammer und fand in der hintersten Ecke, zwischen zwei Steinkrügen verborgen, den Sack mit den Gewürzen, die er über Jahre gesammelt hatte. Einige davon waren so selten, dass ihr Preis gerade so utopisch war und doch hatte er es irgendwie geschafft sie aufzutreiben. Vielleicht hatte er tief in seinem Inneren immer gewusst, dass er es eines Tages tun würde.

Neben dem Sack nahm er noch zwei Öllampen mit. Eine davon zündete er noch am Kamin an. Die andere verstaute er sicher in dem Sack.

„Viel Glück.“, murmelte Alexander.

„Danke.“, erwiderte Luan mit belegter Stimme.
 

Mit der Öllampe in der Hand ging Luan zum Pferdestall. Dort stellte er sie gleich nach dem Eingang ab. Die Tiere hatten ihn bereits gehört und bewegten sich leicht in ihren Boxen. Das schwarze Pferd, welches gleich vorn stand, schaute ihn missmutig aus halbgeöffneten Augen an. Es war eindeutig, dass es sich in seiner Ruhe gestört fühlte.

Luan öffnete die Box und trat hinein. Den Sack stellte er davor ab. „Na, komm schon Ares. Du kannst später weiter schlafen.“, sprach er mit dem Tier und dieses schüttelte den Kopf, als wollte es wiedersprechen. „Tja, du wirst aber nicht gefragt.“, erwiderte Luan und legte ihm bereits das Zaumzeug um. Als er den Sattel befestigt hatte, band er eine Schaufel darauf fest und den Sack mit den verschiedenen Kräutern und der zweiten Öllampe. Dann führte er den Hengst nach draußen und schloss die Stalltür hinter sich. Mit der brennenden Öllampe in der Hand setzte er behutsam auf und ritt los.
 

Der Mond strahlte durch die Wipfel der Bäume, direkt auf das Stück Erde, unter welchen die Überreste von Annie, Draco und Christian lagen. Luan stand davor und starrte auf die Stelle, an der einst Annies Hütte gestanden hatte und konnte sich nicht rühren. Er hatte nicht erwartet, dass er so sein würde, wenn er zum ersten Mal dorthin käme. Am liebsten wäre er davon gelaufen und hätte seine Entscheidung rückgängig gemacht. Doch er war kein Feigling, sagte er sich selbst. Er wollte es tun. Er würde es tun.

Luan ging zu Ares und band die Schaufel los. Er wusste nicht, wie weit Alexander gegraben hatte, aber er hoffte, dass er ihre Knochen noch vor dem Morgenanbruch fand. Es musste noch in der Nacht bei Vollmond geschehen.
 

Er grub eine ganze Weil, so tief, dass das Loch so hoch wie er selbst war. Schweiß rann ihm vom Körper, doch eine Pause gönnte er sich nicht. Immer weiter stieß er die Schaufel in die Erde hinein, bis er endlich etwas Weißes aufblitzen sah. Er warf die Schaufel aus der Grube und führte seine Arbeit mit den Händen weiter. Tatsächlich... er hatte ihre Knochen gefunden. Stück für Stück und äußert behutsam, befreite er sie von der Erde. Er musste sie nicht ganz ausgraben, es genügte wenn sie sichtbar waren, dachte er.

Mit jedem Teil, welches Luan freilegte, beschleunigte sich sein Herzschlag und ihm wurde schlecht. Warum musste es gerade so sein? Reichte es denn nicht, wenn er den Zauber einfach über Feuer sprach, die Kräuter dazu gab und gut? Natürlich nicht, der Zauber musste so stark wie möglich sein und dafür brauchte er etwas von ihnen, ihre Knochen.
 

Schließlich lagen die Knochen offen vor ihm. Links und rechts zwei Erwachsene und in der Mitte ein kleinerer Mensch, Christian. Luan schluckte heftig. Er bemerkte, wie eine Träne seine Wange hinab lief. Es tat weh. Der Schmerz kam aus seinem Inneren und die Sehnsucht nach einer Umarmung oder einem Wort von ihnen schwoll wieder an. Dabei hatte er das doch schon längst hinter sich gelassen, dachte er leicht verärgert. Und er besaß solch eine Erinnerung doch auch. Seine ganz eigene: Der Kuss von Annie und Draco und die liebevoll geflüsterten Worte. Mehr würde er nie haben. Es war also vollkommener Unsinn jetzt darüber zu weinen, schallte er sich selbst.

Er schüttelte heftig den Kopf. Er musste sich konzentrieren und die Aufgabe beenden. Er hatte nur noch eine Stunde bevor die Sonne aufging.

Luan sah von einem Skelett zum anderen. Es war leicht Dracos herauszufinden. Selbst seine Knochen leuchteten im Mondlicht weiß, und sahen aus als hätten sie einen silbrigen Schimmer. Luans Finger zitterten, als er sie ausstreckte und nach dem Schädel griff. Mit einem leichten Ruck löste er ihn vom Rest des Skelettes. Er legte ihn auf dem Gras ab und kletterte aus der Grube. Anschließend nahm er die zweite Öllampe, öffnete sie und goss den Inhalt über die Knochen. Die andere Öllampe warf er hinein und sofort stiegen hell leuchtende Flammen in den Nachthimmel. Es zischte und knackte aus der Grube und kleine Aschewölkchen wirbelten bald herum.
 

Nach und nach fügte er die Kräuter hinzu. Dabei murmelte er Worte in einer Sprache, die noch nie jemand zuvor gesprochen hatte und niemand mehr sprechen würde. Luan wusste nicht, woher die Worte kamen, aber sie flogen wie von selbst über seine Lippen, versiegelten seinen Wunsch und trugen ihn in den Himmel hinauf und durch die Zeit hindurch.
 

Zum Schluss nahm Luan den Schädel in die Hand. Er hielt ihn so hoch, dass die leeren Augenhöhlen mit seinen eigenen, blauen Augen auf einer Höhe waren. Hätte es Draco verstanden? Hätte er es akzeptiert, dass er das Erbe der Monddrachen ablehnte und einem Anderen aufbürdete?

Vielleicht nicht, aber Luan wollte glauben, dass er ihm verzeihen würde. Schließlich war Draco mit Annie an seiner Seite bereit gewesen nur noch ein Mensch zu sein.

Noch einmal sprach Luan die Worte.

Dann ließ er den Schädel ins Feuer fallen.

Die Flammen schossen hoch empor und für einen Augenblick glaubte Luan einen Drachen aufsteigen zu sehen, geradewegs zum Mond hinauf.


Nachwort zu diesem Kapitel:
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Damit ist diese Geschichte, dann wirklich beendet. ;_; Tut mir noch mehr leid, als meine Vampire Knight FF. *schnüff* Ich habe den Epilog mehrmals umgeschrieben und den ursprünglichen auch ganz verworfen. Vielleicht lade ich den dann auch noch mal hoch. :) Mal schauen...

Ich weiß jetzt auch gar nicht, was ich so richtig sagen soll.
Die Geschichte habe ich 2006 das erste Mal aufgeschrieben und 2008 begonnen komplett zu überarbeiten. Das war dann schon das dritte Mal. Und jedes Kapitel, welches ich hochladen wollte, hab ich auch noch mal stark geändert. Die Geschichte hat mich in dieser Zeit durch zwei Abschlüsse (Uni und Referendariat) und drei Umzüge begleitet und sollte natürlich schon lange fertig sein. Außerdem hatten einige Kapitel und Charakter doch mehr als einmal die Angewohnheit sich selbstständig zu machen und nicht so zu verlaufen, wie ich das gern gehabt hätte. Aber gut, so kann man nur lernen. ;)
Ich danke euch, dass ihr diese FF bis zum Schluss gelesen habt. Ich hoffe, ihr hattet Spaß an der Geschichte und den Charakteren und das ihr euch für sie begeistern konntet. Ich weiß es war nicht immer alles perfekt, aber für mein „erstes Mal“ bin ich doch sehr stolz auf mich. ;)
Mir spuckt noch eine Prequel im Kopf herum, das kommt vielleicht auch noch. Damit könnten dann vielleicht auch noch einige Fragen geklärt werden, die jetzt vielleicht im Epilog aufgeworfen wurden. Dann würde ich mich natürlich freuen, wenn ihr wieder mit dabei wäret. :D

Zum Schluss gibt es Tee und Kekse für alle!

LG maidlin
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  KuroMikan
2012-09-17T16:44:23+00:00 17.09.2012 18:44
zuerst mal, GOMENASAI !!! ich wollt nich jedes kapi kommentieren, das hätte ewig gedauert zumal ich die ganze ff in einem durch gelesen hab ^^°
sooo und jetz...

eine total schöne geschichte! mit viel spannung, action, fantasy, liebe...
einfach suuuuupermegaklasse! mehr kann man gar nicht sagen ^^
ich hab am ende geheult -.-° so toll war das bzw schrecklich-traurig (ach du weißt was ich mein... also halt vor dem epilog... ok danach auch XD ach egal :)

jedenfalls sehr gelungen!!! total fesselnd ^^

lg mikan
Von:  funnymarie
2012-07-21T11:48:17+00:00 21.07.2012 13:48
huhu^^
ein schönes kapitel^^
und luan ist also erwachsen geworden und hat geheiratet^^
bei seiner frau würde ich ja jetzt einfach mal auf die tochter von barringtons gefolgsmann tippen und das die vier bilder seine geschichte erzählen und warum er so verhärmt und unglücklich gewesen ist!
naja, nun scheinen ja jedenfalls alle ihre frieden gefunden zu haben^^
und anni und draco zusammen begraben, sicherlich nicht verkehrt^^
und bestimmt wird draco verständnis dafür haben, dass sein sohn das erbe der monddrachen nicht an seine kinder weiter geben will!
schade, dass diese schöne geschichte jetzt vorbei ist
ich hab sich wirklich gemocht und anni und draco sind mir sehr ans herz gewachsen und auch wenn ihre liebe so tragisch enden musste
wenigstens hat ihr sohn jetzt noch das happy-end bekommen, auf welches sie verzichten mussten dank barrington!
ich hoffe, dass man sich mal wieder liest
lg funnymarie


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