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Drachenkind

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich werde das Kapitel heute mal unkommentiert lassen, denn es spricht für sich selbst und ich weiß nicht, was ich noch dazu sagen sollte. Ach ja... vielleicht das noch: Ich habe aus einem Kapitel 2 gemacht. 17000 Wörter wollte ich dann doch niemandem antun. Der Rest kommt dann also beim nächsten Mal. -.^
Wünsche euch viel Spaß beim Lesen.

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Ein richtiger Mann

Annie wartete fast ungeduldig auf seine Ankunft.

Die Sonne war bereits untergegangen und Kerzen erhellten ihr Zimmer. Sie saß wartend auf einem Sessel, eine Stickarbeit, wie so oft, in der Hand, die sie doch nicht weiter interessierte. Ihre Sinne waren angespannt, um jedes Geräusch, jede Bewegung wahrzunehmen. Innerlich hatte sie sich auf das Kommende versucht vorzubereiten.

Ihre Pferde hatte sie schon lange im Hof gehört. Wo blieb er also? Sie hatte doch Anweisung gegeben, ihn sofort zu ihr zu schicken. Die leise Stimme in ihr, die ihr flüsterte, dass dies nicht bedeutete, dass er auch wirklich kam, versuchte Annie zu ignorieren.

Hatte sie gerade etwas gehört?, fragte sie sich und setzte sich aufrecht hin. Sie war eigentlich sicher, dass sie Barringtons Kommen sofort hören würde. Er würde nicht lautlos zu ihr kommen.

Wieder hörte sie etwas und es kam ihr wie Schreie vor. Schreie von jemand, der außer sich vor Wut war.

Langsam ließ sie ihre Stickarbeit sinken und warf noch einen kurzen Blick darauf. Es war kein Muster erkennbar. Sie hatte die Nadel einfach irgendwo eingestochen und wieder herausgezogen. Sie konnte es genauso gut auch wieder auflösen. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Wie konnte sie in so einem Moment nur über so etwas Triviales nachdenken? Oder waren ihre Sorgen einfach zu groß, dass es ihre Gedanken schon von selbst wo anders hinlenkte?

Die Tür wurde mit einem Mal aufgerissen und John Barrington trat ein. Sein Gesicht war puterrot und Schweißperlen standen auf der Stirn. Seine Lippen bebten vor Zorn und seine Augen funkelten sie an, als wollte er nur eines – sie töten. Doch Annie sah kein Schwert. Aber vielleicht brauchte er dafür auch keines, schoss es ihr durch den Kopf.

Ihm folgte Jonathan Semerloy, der sie interessiert musterte und immer wieder einen kurzen Blick auf seinen Freund warf. Ganz so, als könnte er selbst nicht einschätzen, was dieser am Ende tun würde.

„Du elendes Weib!“, schrie Barrington sie an und kam in großen Schritten auf sie zu. „Ich habe dich gewarnt und du hast es trotzdem gewagt dich einzumischen!“ Noch ehe Annie reagieren konnte, noch ehe sie sagen konnte, was sie sagen wollte, hatte er ausgeholt und sie mitten ins Gesicht geschlagen. Der Schlag war so heftig, dass sie vom Stuhl fiel und zu Boden ging. Sie schrie vor Schmerz auf und hielt sich den Bauch. Sie hatte den Sturz mit dem Armen abfangen können, dennoch war es knapp gewesen. Mit dem Handrücken wischte sie sich über den Mund und sah dann Blut darauf. Es war nicht viel, aber es ließ sie zittern.

Oh, wie viele Worte lagen ihr auf der Zunge! Wie viele Dinge wollte sie sagen und konnte doch nicht. Stattdessen sah sie demütig nach unten, atmete durch halb geöffnete Lippen tief ein, so dass es wie ein Schluchzen klang und sagte doch etwas, bevor er die Gelegenheit hatte, noch einmal zuzuschlagen.

„Ver-Vergebt mir.“, stammelte sie und ihr Körper bebte. Egal was sie sich vorher vorgenommen hatte, zu groß war die Sorge um ihr Kind. „Verzeiht mir.“, wisperte sie noch einmal und senkte das Haupt bis auf den Boden.

„Wie konntest du es wagen einen Arzt zu ihm zu schicken!? Wie konntest du dich meinem Befehl wiedersetzen! Das wird dich teuer zu stehen kommen!“ Aus den Augenwinkeln sah Annie, wie John nach ihr griff und sie an den Haare packte. Er zog sie grob nach oben und sie wusste, dass sie es jetzt tun musste, sonst wäre alles verloren. Sie richtete ihren Blick verzweifelt nach oben und im gleichen Moment traten ihr vor Schmerzen Tränen in die Augen.

„Bitte.“, flehte sie ihn an und legte den Arm schützend auf ihren Bauch. „Ich habe es für euch getan.“, fügte sie sofort an.

„Pah! Das ist nicht lache!“ Abermals wollte er ausholen und Annie kniff bereits die Augen zusammen, den neuen Schmerz abwartend.

„Vielleicht solltest du ihr erst mal zu hören.“, sagte plötzlich Jonathan Semerloy. Annie sah den blonden, schlanken Mann ungläubig an. Doch sofort wanderte ihr Blick zu Barrington, aber auch dieser sah seinen Freund leicht perplex an.

„Du stellst dich auf ihre Seite?!“, fuhr er Semerloy an.

„Nein, das tue ich nicht. Ich finde nur, du solltest ihr vielleicht erst einmal zuhören. Bedenke, worüber wir heute Nachmittag noch gesprochen haben. Vielleicht war ihre Handlung gar nicht so... ich möchte sagen, unbedacht.“

Mit einem Ruck ließ Barrington Annies Haare los und sie rieb sich über die schmerzende Kopfhaut. Sie kniff die Augen zusammen, um auch die letzten Tränen wegzublinzeln und dann stand die langsam auf. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie wäre auf dem Boden sitzen geblieben. Es würde ihre Demut und Gehorsamkeit, ihre Absichten, überzeugender machen. Aber dazu konnte sie sich nicht überwinden.

Dennoch senkte sie den Blick sofort wieder, nachdem sie sich erhoben hatte. Sie hoffte, dass es genug war.

„Jonathan...“, begann sie zögerlich und überlegte noch einmal, wie sie es am besten formulieren sollte. Jedes Wort war wichtig. „Jonathan, sagte mir, dass ihr glaubt, der Mann im Verließ sei der Drache nachdem ihr im letzten Jahr gesucht habt. Ihr wollt wissen, wie er es schaffte sich in einen Menschen zu verwandeln, aber vor allem wollt ihr, dass er wieder ein Drache wird.“

„Stimmt das?“, wandte sich Barrington an seinen Freund. „Warum habt ihr mit diesem Weib darüber gesprochen?“

Jonathan zuckte daraufhin mit der Schulter. „Ich konnte ja nicht ahnen, dass sie dabei auf solche Gedanken kommt. Allerdings wundere ich mich schon wenig. Sie schien mir nicht zu glauben, dass es tatsächlich einmal ein Drache war.“

„Es?“, fragte Annie irritiert.

„Es. Als Mensch kann man dieses Wesen wohl kaum bezeichnen.“, erwiderte Jonathan darauf hin.

Annie schluckte ihre Wut herunter und es war gut, dass Jonathan ihr gleich die nächste Frage stellte. „Wie kommt es also, dass ihr nun doch daran glaubt.“

„Das tue ich nicht... Nicht richtig, aber ich bin... neugierig geworden. Vielleicht stimmt es ja doch, was ihr sagt. Dann möchte ich gern sehen, wie sich dieser Mann wieder zu seinem Drachen verwandelt. Ich habe noch nie einen gesehen, ich weiß nicht einmal, ob ich daran glauben soll. Und... da ich weiß, wie sehr ihr diesen Drachen wollte, dachte ich... Ich wollte euch einen Gefallen tun.“

„Und was für ein Gefallen soll das sein, wenn ihr ihn behandelt, wie einen gewöhnlichen Verbrecher?!“, unterbrache Barrington sie barsch.

„Er wäre gestorben.“, sagte sie rasch. „Noch in dieser Nacht, spätestens am nächsten Morgen, wenn man seine Wunden nicht versorgt hätte, sagte Doktor Storm. Ich habe so etwas vermutet und den Mediziner nur deswegen gebeten sich den Gefangen anzusehen. Es tut mir zutiefst leid, wenn ich damit etwas unrechtes getan habe.“, sagte Annie voller Reue in der Stimme und verbeugte sich, um ihre Worte zu unterstreichen.

Misstrauisch sah Barrington sie an. „Was soll das? Woher dieser Wandel?“

Annie blickte ihn fest an. „Mir ist klar geworden, wie viel ich euch verdanke. Ihr beschert mir ein unbeschwertes Leben, Reichtum und Bequemlichkeiten. Ich dachte bei meiner Handlung nur an euer Vergnügen.“ Wieder verbeugte sie sich, nachdem sie zu Ende gesprochen hatte.

Sprachlos starrte Barrington sie einen Moment an und Annie wusste es nur, weil er den Blick auf sie geheftet hielt. Sie selbst schaute demütig nach unten.

„Ich kann euren Worten keinen richtigen Glauben schenken, andererseits... nach dem Leben was ihr zuvor geführt habt, wundert es mich nicht, wenn ihr die Vorzüge dieses Lebens zu schätzen lernt. Allerdings kommt dies reichlich spät, wenn ihr mich fragt.“

„Vergebt mir. Ich brauchte schon immer länger, um die Dinge zu begreifen.“

„Doktor Storm also?“, fragte Barrington nun nach dem Arzt und damit schienen die Gründe für ihr Verhalten erst einmal abgetan. Annie atmete schwach erleichtert auf. Sie würde ihn mit anderen Taten und Worten überzeugen müssen.

„Ja. Nachdem meine Untersuchung beendet war, fragte ich ihn, ob er bereit wäre sich einen weiteren Patienten anzuschauen. Ich sagte ihm nicht, warum dieser Mann im Verließ ist oder was ihm vorgeworfen wird. Außerdem musste mir Doktor Storm Verschwiegenheit schwören.“

„Tss...“, machte John Barrington verächtlich. „Und woher willst du wissen, dass du seinem Wort glauben kannst?“. Doch noch bevor Annie antworten konnte, kam Jonathan ihr zuvor.

„Das könnt ihr. Dieser Mann steht zu seinem Wort.“

Nun war es Annie, die Jonathan Semerloy neugierig musterte. Nie hätte sie erwartete, das er für Doktor Storm sprechen würde, denn für sie hatte er es ganz gewiss nicht getan. War Jonathan ihn wirklich durch die Rettung seines eigenen Lebens so sehr verbunden? Das konnte sich Annie nur schwerlich vorstellen. Ihre Neugier mochte es fast glauben.

John Barrington ballte die Hand zu Faust und es strengte ihn sichtlich an, nicht auch seinen Freund eine ebensolche Behandlung zuteilwerden zu lassen, wie sie sie bereits erfahren hatte.

„Ich werde ihn nicht wie einen Fürsten behandeln! Er ist mein Gefangener und ich will wissen, wie er zu einem Menschen wurde! Ich will, dass er wieder zu einen Drachen wird!“, brüllte Barrington und Annie musste sich zusammenreisen ihn nicht auszulachen. Dieser erwachsene, bedrohliche und furchteinflößende Mann, der da vor ihr stand, hatte sich gerade angehört wie ein kleines quängeliges Kind.

„Nicht, wie einen Fürsten, sondern wie einen Mensch.“, konnte sie dann doch nicht unterlassen zu sagen. „Und, wenn ihr wirklich all diese Antworten wünscht, dann solltet ihr ihm vielleicht etwas Ruhe erlauben. Ich kann mir nicht vorstellen, wie er zu einem Drachen werden soll, wenn sein Körper bereits halb tot ist und euch antworten soll, wenn...“

„Was?!“, fauchte er sie an.

„Und Doktor Storm sagte, ebenso, dass wenn ihr nicht aufhört ihn mit solchen Methoden zum Sprechen bringen zu wollen, er euch nie etwas erzählen wird. Er... hat sich... fast die Zunge abgebissen.“ Dabei schluckte Annie heftig, denn bei der Erinnerung an das Gesehene wurde ihr sofort wieder schlecht.

„WAS?!“

„Doktor Storm sagte, dass er sich wohl auf die Zunge gebissen haben muss, um den... Schmerz zu ertragen und... Vielleicht solltet ihr selbst mit ihm sprechen, er wollte morgen noch einmal nach ihm sehen, wenn ihr es erlaubt.“

„Am besten ich bringe ihn gleich um!“

Bei diesen Worten zuckte Annie zusammen und starrte dennoch weiterhin auf den Boden. Sie wollte ihn anflehen es nicht zu tun, aber sie wusste, dass dies es noch schlimmer machen würde. Es würde sie verraten und es würde ihn ohnehin nicht kümmern, was sie wollte. Nein, sie musste ihn anders überzeugen. Fieberhaft überlegte sie, welche Worte sie wählen musste, doch ihr wollte nichts einfallen.

„Dann war die ganze Mühe umsonst und wir hätten uns derweil mit etwas anderem beschäftigen können.“, sagte auf einmal Jonathan. „Ich denke es macht keinen Unterschied, ob wir ihn nun ein paar Tage in Ruhe lassen oder nicht.“ Zum zweiten Mal in dieser kurzen Zeit überraschte er Annie. Warum sagte er so etwas? Es klang fast so, als wollte er sie unterstützen. Noch viel wahrscheinlicher jedoch war wohl, dass sie zu viel hineininterpretierte. Ein Herz besaß auch dieser Mann nicht.

„Vielleicht...“, hob sie abermals an und schluckte erneut, bevor sie weiter sprach. Dies hatte sie vorher nicht genau überlegt. „Vielleicht ist er ja doch ein gewöhnlicher Mensch. Vielleicht könnt ihr ja erst einmal versuchen herauszufinden, ob es nicht wirklich an dem ist. Es... es muss doch etwas geben, was nur einen richtigen Menschen... einen richtigen Mann auszeichnet.“ Die letzten Worte hatte sie nur geflüstert. Möglicherweise hätte sie einfach schweigen sollen. Sie konnte nicht wissen, auf welche Gedanken sie die beiden Männer damit brachte.

Barrington sah sie weiterhin scharf an und machte dann auf dem Absatz kehrt. Ohne ein weiteres Wort verließ er ihr Zimmer und ließ sie mit einer Anspannung und Unruhe zurück, die sie kaum ertragen konnte. Aber nichts durfte sie sich davon anmerken lassen, denn Jonathan Semerloy stand noch immer vor ihr.

Er kam ein Schritt auf sie zu und lief im Kreis um sie herum. Seinem Blick jedoch wich sie nicht aus. „Das sich eure Haltung so schnell ändert, finde ich... recht bemerkenswert.“, stellte er trocken fest. Bei diesem Mann konnte sie nicht ruhig bleiben.

„Das habe ich keineswegs. Ich finde es immer noch bestialisch, was ihr ihm angetan habt. Niemand hat es verdient so behandelt zu werden.“, gab sie zurück.

„Und trotzdem seid ihr neugierig, ob es nicht stimmt. Frauen sind doch immer wieder faszinierend. Ihr sagt ihr wollte das eine, doch eigentlich meint ihr etwas ganz anderes.“, sagte er leise und Annie hatte irgendwie den Eindruck, dass er nicht einmal mit ihr sprach.

„Aber ich muss sagen, eine Methode um festzustellen, ob er wirklich ein Mann ist kling interessant. Habt ihr an etwas Bestimmtes gedacht?“

„Nein.“, antwortete sie fest. „Ich sah es lediglich, als eine Möglichkeit. Außerdem könnt ihr diese Frage sicher weitaus besser beantworten als ich.“

„Doktor Storm kommt morgen noch einmal?“, fragte er sie weiter, als hätte er letzteres gar nicht gehört.

„Ja. Er wollte gegen Mittag da sein und sich seine Wunden noch einmal ansehen.“

„Mmh...“, brummte er kurz und blieb plötzlich vor ihr stehen. Unerschrocken erwiderte sie seinen Blick. Was ging im Kopf dieses Mannes vor? Es fiel ihr leichter Barrington einzuschätzen, als ihn.

„Ich hoffe, ihr habt nichts anders im Sinn.“, sagte er dann unvermittelt und bei Annie setzte für einen Moment der Herzschlag aus. Doch gefasst, wie sie hoffte, antwortete sie: „Natürlich nicht. Wie ich bereits sagte, beginne ich zu verstehen, was man für mich alles getan hat. Dafür bin ich sehr dankbar. Das Leben im Wald war nicht immer das angenehmste. Ich lerne den Komfort hier zu schätzen.“

„Ja, natürlich, früher oder später tut ihr das alle.“

Wieder so eine Bemerkung. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, was er damit gemeint hatte. Wie viele Frauen mochte Jonathan Semerloy schon mit Versprechungen und Geschenken, die ihm nichts bedeuteten, in sein Bett gelockt haben? Sie wollte es gar nicht wissen.

Damit wandte er sich um und verließ sie. Annie ging zur Tür und schloss sie hinter ihm und dann erst erlaubte sie sich aufzuatmen. Langsam ging sie zum Bett und legte sich noch in ihrem Kleid darauf. Sie war müde und erschöpft. Die Bilder, die sie an diesem Tag gesehen hatte, wirbelten durcheinander und sie wusste, dass sie sie erbarmungslos bis in den Schlaf verfolgen würden.
 

Draco hörte Geräusche, Schritte die näher kamen. Es waren mehr als eine Person und sie sprachen etwas miteinander, aber er verstand sie nicht. Dann ein schabendes Geräusch über den Boden, als würde ein Stuhl zurückgeschoben und wieder Stimmen.

Er war irgendwo ein einem Zustand zwischen Schlafen und Wachen, nur konnte er nicht aufwachen, egal wie sehr es wollte und versuchte. Eine ganze Weile lag er nun schon so da, unfähig sich zu rühren und immer wieder in den Schlaf abdriftend. Nur wage erinnerte er sich an das was... Wann war es gewesen, dass Annie noch einmal zu ihm gekommen war, zusammen mit diesem anderen Mann, den er schon einmal kurz bei Alexander gesehen aber keine weitere Beachtung geschenkt hatte? Ein Arzt hatte Annie gesagt, war er, jemand der ihm helfen konnte. Dieser Mann hatte ihn erst dazu gebracht Wasser zu trinken und dann hatte er ihm etwas eingeflößt, was den Schmerz lindern sollte. Draco hatte es geschehen lassen, weil er einfach keine Kraft mehr besessen hatte, sich zu wehren, weil es ihm egal war und vielleicht weil Annie immer wieder gesagt hatte, dass es ihm dann besser gehen würde. Und dafür hätte er alles geschluckt.

Der Schmerz war daraufhin wirklich geringer geworden. Er erinnerte sich nur noch wage daran, dass sein Körper taub geworden war. Er musste wohl das Bewusstsein verloren haben – schon wieder. Nur das Bild, wie der Mann seine Wunde besehen und ungläubig mit dem Kopf geschüttelt hatte, war ihm im Gedächtnis geblieben.

Aber wie viel Zeit war seitdem vergangen? War es bereits ein neuer Tag? Oder schon wieder Abend? Und wie lange war er nun schon hier? Zeit schien zwischen diesen dunklen Wänden nicht mehr zu existieren.

Draco hatte schrecklichen Durst, doch er war weit davon entfernt sich bewegen zu können. Was war es gewesen, dass der Mann ihm gegeben hatte? Er konnte ein Kribbeln in seinem Körper spüren, irgendwo in seinen Armen, aber mehr auch nicht. Gleichzeitig war er froh, dass der Schmerz nicht mit voller Wucht zurückgekommen war. Nur war er so dem Kommenden noch hilfloser ausgeliefert, dachte er bitter.

Wieder versuchte Draco sich auf die Geräusche zu konzentrieren. Männerstimmen stellte er fest und eine davon ließ ihn seine Muskeln verkrampfen. Barrington war zurück. Und die anderen Stimme? Eine war leiser und sprach ruhig auf Barrington ein. Diese Stimme klang älter. Es musste dieser Arzt sein. War Annie auch dabei? Nein, es waren nur Männerstimmen, dessen war er sich sicher.

Draco versuchte die Augen zu öffnen, doch es wollte einfach nicht gelingen. Seine Lider fühlten sich schwer an und selbst das Atmen erschien ihm als anstrengend.

Dann erkannte er noch eine andere Stimme. Diese gehörte zu diesem Semerloy. Worüber sprachen sie? Draco versuchte angestrengt einzelne Teile der Unterhaltung zu verstehen, doch es schien seinem umnebelten Verstand schwer zu fallen, das Gehörte aufzunehmen und zu verarbeiten.

„-sichere ihnen, dass es das Beste ist, ihn eins, zwei Wochen ausruhen zu lassen. Danach können sie mit ihrer... Befragung fortfahren.“, hörte er den älteren Mann sagen.

„Nein!“, antwortete Barrington scharf. „Es soll ihm hier nicht gut gehen. Er ist ein Untier, das eigentlich getötet gehört.“

„Was immer sie glauben, was er war oder zu sein scheint, im Moment ist er ein schwerverletzter Mann, der nicht einmal in der Lage ist zu sprechen oder sich gar aufzusetzen.“

John Barrington schrie etwas Unverständliches und gleich darauf sagte Semerloy in ruhigerer Stimme: „Du könntest dich etwas in Geduld üben. Du weißt doch, dass man an einem Spielzeug wieder mehr Spaß hat, wenn man es eine Weile nicht gebraucht.“

Obwohl Draco nichts spürte, so glaubte er doch zu merken, wie sein Körper kälter wurde. Zumindest wurde es in seinem Inneren kälter. Er verstand nicht recht, was ein Spielzeug war, nie hatte Annie oder Alexander dieses Wort gebraucht, aber die Art und Weise, wie dieser Mensch es ausgesprochen hatte, genügte ihm.

Draco glaubte zu hören, wie sich Schritte entfernten und er glaubte auch, dass es Barringtons waren, aber er war sich nicht sicher. Es war, als wären nicht nur sein Körper taub, sondern auch seine Sinne.

„Sie können gehen.“, sprach der Arzt nun und Draco wusste nicht, wen er meinte. Die Wache oder den anderen.

„Oh... das... uhm...“, erwiderte eine Stimme, die bisher geschwiegen hatte und das musste wohl die Wache sein. Henry, war glaubte er, sein Name.

„Gehen sie.“, hörte Draco Semerloy sagen. „Ich werde bleiben und kontrollieren was er tut.“

Wieder entfernten sich Schritte und Draco wollte die Augen öffnen, wollte sehen, wer auch immer da gleich zu ihm kommen würde. Er wollte ihnen in die Augen sehen und ihnen zeigen, dass er keine Angst hatte, ganz gleich, was sie mit ihm machen würden. Ein kleines bisschen gelang es ihm. Zumindest sah er einen sehr schwachen, hellen Lichtstreifen. Doch er konnte es nicht lange halten und seine Augen schlossen sich wieder.

„Sie wäre entsetzt, wenn sie deine Worte gehört hätte.“, sagte plötzlich der älter Mann und Draco verstand nicht, was er damit meinte oder wen. Sie? Annie?

Doch Semerloy schien offenbar nichts darauf zu erwidern, denn dumpf nahm Draco das Öffnen des Schlosses war. Dann sagte Semerloy auf einmal: „Sie ist tot.“ Seine Stimme war frei von jeglicher Emotion.

Kaum merklich spürte Draco, wie sich eine Hand auf sein Gesicht legte, ein Finger auf sein Augenlid und es nach oben zog.

„Ist er wach?“, hörte Draco Jonathan Semerloy fragen und war gleichzeitig erstaunt, wie es sein konnte, dass er so wenig Kontrolle über seinen eigenen Körper besaß. Nur verschwommen, sah er Umrisse, keine festen Konturen.

„Nein, sieht nicht danach aus.“, antwortete der Mann und ließ sein Lid wieder los und es schloss sich von selbst.

„Was habt ihr ihm gegeben?“, fragte Semerloy weiter.

„Opium. Etwas mehr als gewöhnlich, aber offenbar war er bereits so geschwächt, dass die Wirkung auch stärker als gewöhnlich ist. Wenn er wieder vollkommen bei Bewusstsein ist, muss er etwas Trinken und Essen.“, ordnete Doktor Storm an. Im gleichen Augenblick nahm er Dracos Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und Draco spürte einen leichten Druck und sein Mund öffnete sich. „Bring mir die Kerze.“, wies er den anderen Mann kurz an und Schritte entfernten sich. Kurz darauf konnte Draco die Wärme einer Flamme neben seinen Gesicht spüren.

„Ah... Wie nicht anders erwartet. Es muss etwas weichen sein, Haferschleim oder eingeweichtes Brot. In sauberem Wasser natürlich.“, sagte der Mediziner.

„Er ist kein Gast.“, erwiderte Jonathan Semerloy kalt.

„Nein, natürlich nicht. Dann gibt ihm nichts Richtiges zu Essen und nur altes Wasser. In seinem Zustand wird er langsam daran sterben.“

„Hütet eure Zunge!“, zischte Semerloy auf einmal und seine Worte klangen drohend.

„Das war keine Anspielung, wenn du das denkst, sondern die Wahrheit. Aber es beruhigt mich, dass du offenbar doch noch nicht ganz so geworden bist, wie er. “, erwiderte Doktor Storm ruhig, aber bestimmt. Damit ließ er Dracos Kiefer wieder los.

„Machen wir weiter.“ Doktor Storm berührte Dracos Oberkörper und erst jetzt merkte dieser, dass er wohl einen Verband um hatte. Der Arzt musste ihm diesen angelegt haben, nachdem er bereits das Bewusstsein verloren hatte.

Nur wage nahm Draco wahr, wie Doktor Storm die Verbände wechselte und ihm etwas auf die Wunden rieb. Was immer es war, es schien seinen überhitzen Körper zu kühlen und Draco atmete hörbar erleichtert auf.

„Was war das?“, fragte Semerloy. „Sie sagten doch, er sei bewusstlos.“

„Mmh... Wahrscheinlich ist er gerade dabei aufzuwachen. Die Dosis war recht hoch, es kann also sein, dass sein Bewusstsein schon da ist, er seinen Körper aber nicht bewegen kann. Es gibt noch zu wenige Erkenntnisse über die Wirkung von Opium, angewandt mit anderen Dingen.“

Eine Weile schwieg Jonathan Semerloy, dann sagte er plötzlich: „Warum haben sie ihr nicht geholfen.“ Anders als zuvor, klang seine Stimme keineswegs herrschsüchtig oder befehlend. Es war eher eine einfach, schlichte Frage, deren Antwort ihm jedoch schon bekannt war.

„Du weißt, dass ich mein möglichstes getan habe.“

Noch einen kurzen Moment herrschte Stille im Raum, dann entfernten sich Schritte. Von weitem hörte Draco Jonathan sagen: „Beeilen sie sich.“ Und seine Stimme war wieder schneidend. Offenbar stand er nun vor der Tür und schien dort zu überwachen, was mit ihm geschah.

Draco merkte nur sehr schwach, wie ihm neue Verbände angelegt wurden.

„Die Schiene sitzt noch gut. Die Hand war stark gequetscht und ein paar Knochen gebrochen. Das Gelenk des kleinen Fingers besonders. Die Hand muss geschont werden, sonst wird er sie nie wieder richtig benutzen können.“

Draco hörte ein Schnauben von Semerloy, dass fast wie ein Lachen klang. „Er wird sie ohnehin nicht mehr brauchen.“

Daraufhin erwiderte Doktor Storm nichts mehr, während sich in Draco neuer Kampfgeist regte. Wenn ihm auch nur die geringste Gelegenheit geboten würde, er würde sich an ihnen rächen und er würde dem Drachen in ihm freien Raum lassen. Dieser wollte sie in Fetzen reisen.

„Ich gebe dir noch etwas von der Mixtur für deine Zunge. Sie schmeckt vielleicht bitter, aber ich hoffe, dass sie dafür sorgen wird, dass sie sich nicht entzündet und schneller verheilt.“ Im nächsten Moment öffnete er seinen Mund wieder und Draco spürte ein paar kalte Tropfen auf seiner Zunge, bevor sie im Anschluss sofort wieder taub wurde.

„Mehr kann ich im Moment nicht tun, aber ich werde heute Abend noch einmal kommen.“

„Nur keine Umstände.“, antwortete Semerloy und Draco glaubte zu wissen, dass es nicht ernst gemeint war.

„Ist es nicht. Ich hab einige Patientinnen hier in der Stadt.“, erwiderte Doktor Storm offenbar gelassen. Dann hörte Draco sich entfernende Schritte, dass Schließen der Tür und ein paar weitere Paar Stiefel die zurückkehrten. Doch niemand sprach mehr ein Wort.
 

Fast eine Woche verstrich in der Annie nur durch Doktor Storm von Dracos Zustand erfuhr. Dieser war unverändert schlecht geblieben. Zwar war Draco hin und wieder bei Bewusstsein und Doktor Storm war es auch gelungen ihn dazu zu bringen, etwas Nahrung zu sich zu nehmen, doch seine offene Zunge musste ihm dabei so starke Schmerzen bereiten, dass er kaum etwas aß.

Wie gern wäre sie bei ihm gewesen!!! Von ihr hätte er sicher etwas genommen, redete sie sich ein, obwohl sie wusste, dass das nicht stimmte. Er wäre zu stolz dafür gewesen.

Das einzig Gute jedoch war, dass Barrington bisher wirklich darauf verzichtet hatte, Draco wieder aufzusuchen.

Annie sah gerade auf den Hof hinaus, als ein Mann durch das Tor ritt, dessen Gestalt und Figur ihr nur zu vertraut waren: Alexander. Siemusste unbedingt mit ihm sprechen und ihm sagen, was passiert war. Was sie getan hatte und vielleicht, so hoffe sie innbrünstig, wusste er auch schon, was sie nun konkret unternehmen konnten.

Doch Alexander blieb plötzlich in der Mitte des Hofes stehen und Annie sah verwundert nach unten. Dann kam John Barrington in ihr Blickfeld und auch Jonathan Semerloy. Alexander verbeugte sich kurz und sie unterhielten sich einen Moment. Für einen kurzen Augenblick sah Alexander zu ihrem Zimmer, doch dann wendete er auch schon sein Pferd Wüstensand und die drei Männer ritten durch das Tor wieder hinaus.

Was sollte das? Wo wollten sie hin?, fragte sie sich verwundert.

Gleich darauf klopfte es an ihrer Tür und sie wurde aus ihren Gedanken gerissen. „Ja?“, sagte sie etwas irritiert. Sie erwartete niemanden, umso überraschter war sie, als Doktor Storm eintrat.

Sofort zog sich ihr Herz ängstlich zusammen. „Stimmt etwas nicht mit ihm?“, fragte sie.

„Nein, nein.“, beruhigte dieser sie sogleich mit einem Lächeln. „Alles in Ordnung, ich wollte nur noch einmal nach ihnen schauen, bevor ich mich wieder auf den Weg mache. Das ist schließlich meine Arbeit.“

„Oh... ja natürlich.“ Annie schüttelte den Kopf. Natürlich, war er hauptsächlich wegen ihr hier. Sie hatte ihn in die Sache mit Draco unfreiwillig gezogen. „Entschuldigen sie bitte, ich war nur in Gedanken wo anders gewesen.“, fügte sie mit einem Lächeln an.

„Das habe ich gemerkt.“, erwiderte er freundlich. „Wie geht es ihnen sonst?“

„Gut.“

Einen Moment musterte Doktor Storm sie schweigend. „Sie sehen aber nicht danach aus. Um ganz ehrlich zu sein, sehen sie jedes Mal ein wenig schlechter aus, wenn ich sie sehe. Haben sie irgendwelche Beschwerden?“, fragte er sie und trat auf sie zu.

„Nein, es geht mir gut.“, wehrte sie ab. Sie hinderte ihn jedoch nicht daran, seine Finger an ihren Kopf zu legen und ihre Schläfen und anschließend den Hals abzutasten.

„Öffnen sie bitte den Mund.“ Gehorsam kam sie der Aufforderung nach.

„Nein, da ist alles in Ordnung. Darf ich?“, fragte er abermals und Annie nickte zustimmend. Doktor Storm legte eine Hand auf ihren Bauch und tastet diesen ab. „Heute so still.“, merkte er an. Kurz lächelte sie. Normalerweise trat das Baby immer dann, wenn er da war, doch heute schien auch das Kind in ihr zu erschöpft zu sein.

„Wenn es nichts Körperliches ist, dann kommt es von innen und ich ahne auch, was das sein könnte.“, sagte er und sah sie dabei doch nicht an.

Kurz zögerte Annie, ob sie ihn schon wieder nach Draco fragen sollte. Bisher war es ihr gelungen ihre Unterhaltung immer irgendwie darauf zu lenken, doch eigentlich schien er längst zu wissen, was sie beschäftigte. Und warum auch nicht? Immerhin hatte sie ihn ja zu ihm geführt.

„Geht es ihm besser?“, fragte sie leise und wandte sich wieder dem Fenster zu.

„Das tut es. Verglichen mit seinen Zustand, in dem er war, als sie mich das erste Mal zu ihm führten, ja. Er isst immerhin regelmäßig, auch wenn ihm das Schlucken schwer fällt. Die Wunden haben inzwischen mit Heilen angefangen. Nur seine Hand macht mir noch sorgen.“

Knapp nickte Annie. Es gab also keine großen Veränderungen. „War John inzwischen bei ihm?“

„Nein, Jonathan ist meistens dabei, wenn ich ihn versorge.“

„Warum?“

„So genau kann ich ihnen das auch nicht beantworten. In seinem Zustand könnte er selbst mit meiner Hilfe nirgendswohin. Inzwischen sitzt er zwar wieder, aber das ist alles. Ich glaube Jonathan will sicher gehen, dass es ihm nicht zu gut geht.“

Annies Blick verfinsterte sich bei dem Gedanken an diesen Mann und der Vorstellung, wie er sich vielleicht an Dracos gequälten Anblick erfreute.

„Er ist genauso widerlich wie John Barrington.“, stieß sie wütend aus. „Beide laben sich an den Schmerzen eines anderen und... und...“ Sie rang nach Worten. Es gab so vieles, was sie sagen wollte und doch konnte sie nicht, aus Angst alles könnte sie und ihre Gefühle verraten.

„Warum liegt euch so viel an diesem Mann dort unten im Verließ?“, fragte nun Doktor Storm und Annie blickte ihn entsetzt an. Hatte sie denn wirklich schon zu viel verraten, zu viel gesagt?!

„Er war bei Alexander angestellt und mein Bruder hatte nie den Eindruck, dass er sich eines Verbrechens schuldig gemacht hätte oder dazu überhaupt in der Lage gewesen wäre. Er soll wohl schwachsinnig sein.“, sagte sie dann mit, wie sie hoffte, fester Stimme und den Blick direkt an Doktor Storm gewandt.

Dieser trat zu ihr ans Fenster und sah nun ebenfalls hinaus. Sein Blick blieb an den Wäldern in der Ferne hängen.

„Ich glaube wir können beide zugeben, dass dieser Mann sehr viel intelligenter ist, als sie mir glauben machen wollen.“, sagte er schließlich leise. Annie erstarrte und hielt den Atem an. Wieso konnte er so etwas sagen?

Doktor Storm musterte sie einen Moment, als erwartete er eine Antwort, doch als sie schwieg sprach er weiter. „Es ist in seinen Augen, wissen sie.“

„Was?“, fragte sie aufgewühlt.

„Die Augen verraten sehr viel mehr über einen Menschen, als es Worte tun könnten. Ich glaube, dass wissen sie. Und in seinen Augen sehe ich eine bemerkenswerte Intelligenz, aber auch Unsicherheit und Verzweiflung. Nun angesichts der Lage in der er sich befindet, ist das nicht verwunderlich. Dennoch ist da immer noch etwas kämpferisches, beinah animalisches, das nur auf die Gelegenheit wartet zurückzuschlagen.“

Stumm nickte Annie. Was sollte sie darauf erwidern? Doktor Storm hatte Dracos Wesen gerade in so wenigen Worten beschrieben, dass es ihr kalt den Rücken runter lief. War es dass, was Barrington auch sah?

Dann wandte sich Doktor Storm ab und Annie blickte ihm hinterher. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass dieser Mann doch nicht unbedingt wegen ihr gekommen war.

„Was jedoch Jonathan angeht“, sprach er plötzlich weiter und nahm damit völlig unvermittelt einen anderen Faden auf, „so glaube ich, dass sie sich unter anderen Umständen gut verstanden hätten. Sie sind sich gar nicht einmal so unähnlich.“

„Ich verstehe nicht.“, fragte Annie verwirrt. Wie sollte sie Ähnlichkeit mit solch einem Menschen haben? „Wie können sie mich mit ihm vergleichen?“, fragte sie weiter und war nun fast ärgerlich.

„Nicht vergleichen, es war mehr eine Feststellung. Ich wünsche ihnen noch einen schönen Nachmittag und werde erst übermorgen wieder kommen. Solange wie er in Ruhe gelassen wird, braucht er mich nicht. Allerdings würde ich ihnen nicht raten, nach ihm zu sehen. Es wäre für sie beide nicht gut.“

„Wie meinen sie das?“, fragte Annie überrascht. Warum sprach dieser Mann, den sie bisher beinah blind vertraut hatte, plötzlich in Rätseln zu ihr? Doch er antwortete ihr nicht mehr, sondern verließ das Zimmer.

Ratlos blickte Annie ihm hinterher. John und Jonathan waren mit Alexander weggeritten. Sie hätte also die Möglichkeit zu Draco zu gehen. Aber... sie wusste nicht, was sie bei ihm sollte. Bisher war sie in ihren Überlegungen noch keinen Schritt weiter gekommen, wusste immer noch nicht, wie sie ihm helfen oder befreien konnte. Die Behandlung von Doktor Storm schob das Ganze nur auf und Annie konnte schwören, dass John Barrington seine Grausamkeiten fortsetzen würde.

Es gab nichts was sie Draco sagen konnte, nichts was sie tun konnte. Selbst ein Kuss wäre zu gefährlich und sie wusste nicht, ob dieser Wachmann sie wieder allein mit ihm lassen würde. Sie glaubte nicht daran.

Und was war mit Alexander? Vielleicht ließ Barrington seine Wut über ihre Tat an ihm aus. Sie konnte es ja selbst noch nicht glauben, dass er sie einfach hatte gewähren lassen. Kein Wort hatte er mehr darüber verloren. Und natürlich würde er sich nicht an ihr vergreifen, darauf hatte sie gehofft, aber das hieß nicht, dass er es nicht bei Alexander tun würde.

Unruhig begann Annie im Zimmer auf und ab zu laufen. Diese Ungewissheit machte sie verrückt. Schon wieder zogen dicke, schwarze Wolken auf und es würde sicher bald regnen. Das Wetter drückte zusätzlich auf ihr Gemüt.

Annie hatte das Gefühl, als würde sie sich in einem Fluss befinden, der alles was nicht fest verankert war, mit sich riss. Sie war nichts weiter als ein schwaches Stück Holz, das am nächsten Hindernis zerbrechen würde.
 

Die Sonne ging bereits am Horizont unter als Alexander doch noch zu ihr kam. Sie umarmte ihn fest. Er war der Einzige, der ihr mit seinen Besuchen Halt gab.

„Was wollte er von dir?“, fragte sie ihn sofort, nachdem sie sich gelöst hatte.

„Es ging nicht um ihn, um dich zu beruhigen.“, antwortete er ihr. Fragend sah sie ihn an. „Er wollte doch einen Hengst für Hera ausfindig machen und offenbar hat einer seiner Bekannten einen Rappen in seinem Gestüt. Den haben wir uns heute angesehen. Es ist wirklich ein großartiges Tier, das kann man nicht leugnen: wunderschön, stark und groß. Er würde wahrscheinlich wirklich perfekt zu Hera passen.“

„Aber?“, hakte sie nach, weil es sich genau danach angehört hatte.

„Naja, du weißt doch, wie Hera ist. Ich weiß nicht, ob sie ihn überhaupt nah genug an sich heran lassen würde. Außerdem müsste ich sie her bringen. John will, dass es hier auf seinem Grund passiert, damit er sich wirklich selbst davon überzeugen kann, dass es geklappt hat. Er will unbedingt das Fohlen haben, wenn er Hera schon nicht bekommen kann.“

Annie blieb stumm, weil sie nicht richtig wusste, was sie darauf erwidern sollte. Sie mochte Pferde, aber die ganze Zucht hatte sie nie verstanden. Außerdem sorgte sie sich im Moment um ganz andere Dinge. Sie konnte nicht verstehen, wie Alexander so über ein Pferd reden konnte, als wäre es das einzige Problem, was ihn beschäftigte.

„Hast du inzwischen eine Idee?“, fragte sie deswegen leise.

„Deswegen habe ich dir das mit Hera erzählt.“, erwiderte er und verwirrte Annie zusätzlich. „Ich bin Barrington etwas dafür schuldig, dass er sich so sehr um eines meiner Pferde kümmert und sogar einen Partner dafür gesucht hat.“

„Es hat ihn davon abgehalten Draco weiter zu...“, sie konnte es nicht einmal zu Ende sprechen. Aber jetzt ergab es wenigstens einen Sinn.

„Ja, natürlich, das auch. Ich werde mich bei Barrington bedanken müssen und ich dachte an einen Kirschwein. Erinnerst du dich daran.“

„Ja, schon aber...“ Der Kirschwein von einem seiner Freunde war unglaublich gut, selbst sie musste das gestehen, obwohl sie sonst kein Wein trank. Aber dieser hatte einfach das gewisse Etwas, was einen nicht aufhören lassen wollte. Er war herrlich dick, dunkelrot und unglaublich süß, mit einer leicht sauren Note, wenn man ihn schluckte. Man konnte davon gläserweise trinken, ohne dass man überhaupt selbst merkte, wie einem der Alkohol zu Kopf stieg. Erst wenn man aufstand machte er sich bemerkbar und sorgte in der Nacht dann für einen festen und tiefen Schlaf, der sich bis in die Mittagsstunden ziehen konnte. Und selbst dann hätte man nur leichte Kopfschmerzen. Es war also schon ein außergewöhnlich guter Tropfen.

„Ich will ihm ein paar Fässer zum Geburtstag schenken.“, sprach ihr Bruder weiter und sah Annie erwartungsvoll an. Erst jetzt verstand sie.

„Oh...“, antwortete sie bloß. Alexander winkte ihr mit der Hand und sie setzte sich neben ihn. „Der Wein ist stark und ich denke, dass alle genug davon trinken werden, um nicht so schnell wieder aufzuwachen. Dennoch würde ich etwas Schlafpulver beimischen, nur um ganz sicher zu gehen.“, flüsterte er in ihr Ohr und so leise, dass sie Mühe hatte es zu verstehen.

Kurz nickte sie und ihr Herz raste. Je tiefer und vor allem schneller sie einschliefen, umso schneller konnten sie Draco befreien.

„Du musst dafür sorgen, dass das passiert.“, sprach er weiter und jetzt sah sie ihn ein wenig erschrocken an. „Die Fässer sind fest verschlossen und ich kann sie nicht öffnen bevor er sie bekommen hat. Erst wenn sie geliefert wurden, wird Barrington selbst eine Probe nehmen wollen.“

Ohne zu zögern nickte sie. Es gab schlicht keine andere Möglichkeit, auch wenn sie sich absolut nicht vorstellen konnte, wie sie es bewerkstelligen sollte. Dennoch war da noch ein anderer Zweifel: „Woher willst du wissen, dass er sich auch für dein Geschenk entscheidet?“

„Hast du schon einmal jemanden gesehen, der diesem Wein wiederstehen konnte?“, fragte er leicht grinsend.

Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen. Da hatte er recht. „Vielleicht könnten auch die Bediensteten einen Schluck davon bekommen?“, wisperte Alexander weiter.

Ihr Lächeln schwand schnell wieder. Wie sollte sie das schaffen?

„Ich muss dir nicht sagen, warum oder?“

„Nein.“, antwortete sie schlicht. „Ich werde es versuchen, aber was wenn ich es nicht schaffe?“

Alexander schüttelte kurz den Kopf. „Barrington und seine Gäste werden ihn trinken, dass muss dann reichen. Ich frage mich nur, was wir ohne Hera machen, wenn es sich wirklich so entwickelt, wie Barrington sich das wünscht. Keines der anderen Tier ist so schnell und ausdauernd.“

„Dann nehmen wir eines von Barringtons Tieren.“, erwiderte Annie kalt. Daran sollte Dracos Flucht gewiss nicht scheitern.

Jetzt schüttelte Alexander den Kopf. „Vielleicht kann ich ihn dazu bringen, ihr etwas Eingewöhnungszeit zu geben, bevor sie sie mit dem Hengst zusammenbringen. Möglicherweise verhält sie sich auch so, wie wir sie einschätzen. Wenn es so wäre, dann wäre es perfekt.“

„Das hört sich nach sehr vielen ‚vielleicht‘ an.“, sagte Annie und in ihrer Stimme schwang Resignation mit. Sie mussten es wenigstens versuchen.
 

Tag und Nacht waren schon lange aus Dracos Bewusstsein verschwunden. In seinem Gefängnis gab es kein Fenster aus dem er die Sonne hätte sehen könnte, oder den Mond. Mit jedem Tag, den er zwischen diesen schwarzen Wänden verbrachte schien seine Sehnsucht nur noch heftiger zu werden. Als könnte er ohne das helle und kühle Licht nicht existieren.

Draco führte den Wasserbecher an die Lippen. Er trank es ohne dass der Arzt ihn daran erinnern musste. Er verstand sich selbst nicht recht. Wie hatte er sich auch nur einen Moment seinem Schicksal fügen können? Nur, weil Barrington ihn schon einmal fast getötet hätte? Weil er jetzt sein Gefangener war? Noch hatte er ihn nicht getötet. Und wenn Draco den Worten von Doktor Storm Glauben schenkte, würde John Barrington das auch nicht tun. Er liebte es zu sehr ihn zu quälen und leiden zu sehen.

Doch Draco wollte sich auch nicht damit abfinden, dass der Rest seines Lebens nur aus Schmerz und Folter bestehen würde. Er musste geduldig sein. Etwas, was Alexander ihm mehrmals geraten und angemahnt hatte. Er musste warten bis sich eine Gelegenheit bot um zurückzuschlagen. Irgendwann würde Barrington unaufmerksam sein.

Er musste nur warten.

Und versuchen zu überleben.

Dennoch fiel es ihm schwer sich in Geduld zu üben. Draco war sich sehr wohl bewusst, dass die Behandlung von Doktor Storm nur ein Aufschub war, eine Gelegenheit für ihn sich zu erholen, damit John Barrington weiter machen konnte. Allein bei dem Gedanken daran brannten die Wunden unter seinen Verbänden und durch seine linke Hand fuhr ein dumpfer Schmerz. Er würde die Hand nie wieder so nutzen können, wie zuvor. Das hatte er bereits in dem Moment gewusst, als Barrington ihm den ersten Finger gebrochen hatte. Doch es war auch nicht die linke Hand mit der er das Schwert führte.

Draco nahm das Stück Brot, das neben ihm lag und tauchte es in das Wasser, um es aufzuweichen. Nur so konnte er es überhaupt essen und schlucken. Auch seine Zunge war inzwischen etwas abgeheilt und es tat beim Essen nicht mehr gar so sehr weh. Trotzdem wusste er, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis er sie wieder zerbissen hatte. Denn niemals würde er einen Laut der Qualen von sich geben. Deswegen aß er jetzt, wann immer man ihm etwas gab. Er musste Kräfte sammeln um das Nächste auszuhalten, damit er seine Rache bekommen konnte.

Draco lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen, wären er langsam das weiche Brot kaute, immer darauf bedacht, es nicht zu sehr an seine wunde Zunge kommen zu lassen. In Gedanken jedoch beschäftigte ihn nun etwas ganz anderes.

Er sah Annie vor sich. Seitdem er sie das letzte Mal sah, schien sie untrennbar mit seinen Gedanken verbunden. Selbst sein Hass auf Barrington brachte ihn immer wieder zu ihr zurück und zu dem, was sie in sich trug.

Selbst jetzt, nach all den Tagen, tat er sich immer noch schwer den Gedanken überhaupt zu formulieren, zu akzeptieren, was er doch tief in sich wusste. Doch im Grunde wusste er nicht einmal, was er darüber denken sollte. Anders als Alexander erfreut über Susans Zustand gewesen war, konnte er nichts davon empfinden. Warum sollte er auch? Vielmehr herrschte in ihm die Angst vor, dass niemand sagen konnte, wie dieses Kind einmal aussehen würde. Wurde es vollkommen menschlich sein, so wie er im Moment? Oder würde es Teile seines alten Selbst haben? Würde es missgebildet sein? Würde es seine Erinnerungen haben? Die Sehnsucht nach dem leuchtenden Mond? Das Gefühl kein richtiger Mensch zu sein, aber auch kein Drache? Würde es sich, genauso wie er, nirgendwo dazugehörig fühlen?

Vielleicht waren seinen Gedanken auch vollkommen unbegründet. Für ihn machte es keinen Unterschied. Er würde es nicht erleben, dachte er. Er würde dieses Kind nicht in seinen Armen halten. Barrington wusste nichts davon und wenn er es als sein eigenes aufzog, würde es vor ihm geschützt sein, besser als sonst irgendwie. Vielleicht war das auch der Gedanke, den Annie in sich trug.

Plötzlich hörte er die oberste Tür aufgehen und Schritte folgten auf der Treppe. Sein Wachmann stand auf. Draco lauschte einen Moment. Es waren abermals drei Personen und einer von ihnen war John Barrington! Der andere Semerloy doch die dritte Person konnte er nicht identifizieren. Es war nicht Doktor Storm. Dieser hatte sich für die nächsten Tage verabschiedet.

So aufrichtig, wie es ihm möglich war, setzte sich Draco hin. Kurze Zeit später standen sie vor seiner Zellentür und Barrington musterte ihn abfällig. Ein Blick den Draco gewohnt war und der ihn inzwischen nicht weiter rührte. Links neben Barrington stand Semerloy. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts, doch auch das überraschte Draco nicht. Dieser Mann war am schwersten einzuschätzen.

Am meistens jedoch verwunderte ihn die Frau, die an Barringtons rechter Seite stand. Sie hatte langes, rotblondes Haar, das, obwohl es kunstvoll aufgesteckt war, ihr bis zur Taille reichte. Ihre braunen Augen waren von schwarzen Ringen eingerahmt, was ihr etwas Unheimliches verlieh. Ihre Nase war schmal und lang und ihr Mund unnatürlich rot. Noch nie zuvor hatte Draco solche eine Farbe an einem Menschen gesehen. Für einen Moment fragte er sich sogar ob es Blut war. Sein Blick glitt ihren Körper weiter entlang, ihren Hals hinab bis zu ihrem großzügigen Dekolleté. Die Zeichen ihrer Weiblichkeit schienen fest geschnürt in ihrem Mieder zu sitzen und viel zu groß für den kleinen Stoff zu sein. Ihre Taille selbst war schlank, ihre Hüften hingegen ausladend. Der Rest verschwand unter dem Stoff ihres Kleides.

„Das ist er?“, fragte sie mit rauchiger Stimme und Draco überkam eine Gänsehaut bei der Art und Weise, wie sie es fragte. Als hätte sie schon viel von ihm gehört.

„Ja.“, antwortete John Barrington und sah sie dabei nicht einmal an. „Du weißt, was du zutun hast. Henry, die Arme hinter dem Rücken zusammenketten.“, befahl John Barrington in einem Satz. Henry schloss die Tür zu seiner Zelle auf und aus dem Augenwinkel sah Draco, wie er in seine Zelle trat. „Du hast ihn ja ganz schön zugerichtet.“, merkte die Frau an. „Hoffentlich ist noch etwas da, womit ich auch arbeiten kann.“, sagte sie leicht entrüstet. Dann kicherte sie jedoch und sprach weiter: „Natürlich ist es das. Bei euch Männern doch immer, ganz egal wie schlecht es euch geht.“

„Das sollst du herausfinden.“

„Ich weiß. Ich soll herausfinden, ob er überhaupt ein Mann ist. Nichts leichter als das, verlass dich auf mich. Außerdem bezahlst du mich ja großzügig genug dafür. Danach möchte ich mich aber wieder mit einem gesunden Mann vergnügen.“ Ihre Stimme klang sanft und während sie sprach fuhr sie Barrington unter dem Doppelkinn entlang und zwinkerte ihn zu.

Daraufhin erwiderte Barrington nichts und Draco fragte sich, worüber die beiden eigentlich sprachen. Er ahnte nichts Gutes dabei. Allerdings sah sie auch nicht so aus, als könnte sie ihm groß schaden. Im gleichen Augenblick war Henry bei ihm und öffnete mit einem Schlüssel die Ketten an Dracos Handgelenken. Schwer vielen sie herab und er konnte nicht anders als seine Hände ein wenig zu bewegen. Es tat gut das schwere Eisen nicht mehr zu spüren. Allerdings währte dieses Gefühl nicht lange, denn Henry zog ihm schon im nächsten Moment die Hände hinter den Rücken und legte die Ketten abermals an. Doch dieses Mal befestigte er die Kette mit einer weiteren in einer Metallöse in der Wand. Für ihn gab es nun keinerlei entrinnen. Das ungute Gefühl wuchs und innerlich bereitet Draco sich auf jeden Schmerz vor, den er bisher schon einmal erfahren hatte. Würde sie es nun sein, die ihn auspeitschte? Nein, das Vergnügen würden sich John Barrington und Jonathan Semerloy gewiss nicht nehmen lassen. Was sollte dann mit ihm geschehen?

Sie trat ein und Henry verließ die Zelle im nächsten Moment. Hinter sich schloss er die Tür, verriegelte sie aber nicht. „Du wirst zusehen und mir genau berichten, was passiert ist. Ich will mir diesen Anblick ersparen.“, ordnete Barrington an und Draco wunderte es ein wenig, dass diese Aufgabe dem Mann plötzlich unangenehm war. Dabei hatte er doch sonst auch zugesehen und schien sich nicht daran zu stören, dachte er bitter. Trotzdem nickte Henry gehorsam. Barrington und Semerloy verließen den Kerker und Draco war nur umso verwirrter. Die Frau kam näher und kniete sich vor ihn hin.

„Dann wollen wir zwei uns vergnügen oder?“, sprach sie sanft gegen sein Ohr, so dass es kribbelte. „Ich bin an Zuschauer gewöhnt und du? Aber daran wollen wir uns nicht stören lassen, vielleicht kann der liebe Henry ja noch einiges lernen.“ Ein leises Kichern entfuhr ihr und wieder stellten sich die feinen Härchen in seinem Nacken auf. Was hatte das alles zu bedeuten? Verwirrt sah Draco von dem Wachmann zu der Frau vor ihm. Sie streckte ihm ihren Oberkörper entgegen, so dass er einen tiefen Einblick in ihr Dekolleté bekam.

Sie musste seinen verwirrten Blick bemerkt haben, denn sie strich ihm über die Wange. Anscheinend sollte es beruhigend auf ihn wirken, doch automatisch rückte Draco näher an die Wand hinter sich.

„Oh, bist du etwas schüchtern? Das ist so süß. Jeder andere Mann, wäre bei meinem Anblick nicht so zaghaft. Oder sollte John am Ende vielleicht recht haben?“, redete sie weiter, während ihre Hand seine Wange hinab, über seinen Hals glitt und schließlich seine Schulter berührte. Dort verweilte sie einen Augenblick und ihre Augen folgten der Bewegung ihrer Hand. „Was für ein schöner Körper. Wie schade, dass er schon so missbraucht wurde. Ich hätte ihn gern im gesunden Zustand gesehen. Selbst in meinem Beruf bekommt man so einen schönen Mann nicht täglich zu sehen.“ Wieder kicherte sie leise, als hätte sie ihre eigenen Worte besonders amüsant gefunden.

Sacht fuhren ihre Finger über die Verbände an seinem Oberkörper und Draco sog scharf die Luft, in Erwartung eines Schmerzes, ein. Doch nichts geschah und wieder lachte sie leise. „Keine Angst, ich werde dir nicht wehtun. Ich werde zwar auch ein paar Empfindungen bescheren, doch diese werden ganz anderer Natur sein, als der gute Barrington das gemacht hat.“, hauchte sie gegen sein Ohr. Ihre Hand verweilt auf seiner Brust, während sie sich noch ein wenig mehr zu ihm vorbeugte. Ihr Busen berührte seine Schulter und wieder versuchte Draco von ihr abzurücken. Doch er befand sich bereits an der Wand, so dass er nicht weiter nach hinten ausweichen konnte. Sein Blick wanderte zwischen ihrer Hand und ihrem Gesicht hin und her. Alles in ihm schrie danach zu wissen, was sie tun würde, was ihre Worte bedeuteten. Was immer es war, er wünschte, dass es schnell gehen würde.

Draco erstarrte als er auf einmal ihre Lippen an seiner Wange spürte. Schon lange war es her, dass Annie ihn auf diese Weise geküsst hatte. Jedoch waren die Lippen dieser Frau größer, rauer und durch die Farbe erschreckend. Sie waren keineswegs so einladend wie Annies. Außerdem bemerkte er erst jetzt den starken Geruch der von dieser Frau ausging. Er lag schwer auf ihr, eine Mischung aus starken Blumen, Schweiß und etwas anderem, was er nicht benennen konnte. Aber er wusste, dass er diesen Geruch nicht lange würde er tragen können. Draco spürte, wie der Duft bereits jetzt seine Sinne benebelte. Sein Atem wurde schneller und er musste heftig schlucken, um seinen Kopf wenigstens ein bisschen klar halten zu können. Wenn er gekonnt hätte, hätte er sie von sich gestoßen.

„Nicht nur schüchtern, sondern auch nervös.“, hauchte sie gegen seine Wange. „Das wird gleich vorbei sein.“ Dann drückte sie ihre großen Lippen auf seinen Mund und für einen Moment schien die Welt um ihn herum schwarz zu werden. Dracos Atmung setzte aus, stumm starrte er Henry an, der seinen Blick mit einer Mischung aus unverhohlener Neugier und Scham begegnet. Erst als es bereits in seiner Brust schmerzte, atmete er tief ein und damit auch ihren starken Duft. Das war es, was ihn aufwachen ließ, was ihn realisieren ließ, was geschah.

Heftig bewegte er seinen Körper und versuchte sie von sich zu schütteln, doch erst nachdem er seinen Kopf ruckartig nach hinten riss und an die Steinmauer hinter sich schlug, gelang es ihm. Sein Kopf schmerzte zwar, aber das war nicht der Grund, warum er nach Luft schnappte. Sein Körper war begierig darauf Luft zu atmen, die nicht von diesem schweren Geruch erfüllt war, doch er schien überall zu sein. Draco spürte, wie ihm langsam schwindlig wurde.

„John sagte mir schon, dass du vielleicht anders reagierst und er sagte auch, ich könnte ein bisschen nachhelfen. Bisher hat mir noch kein Mann wiederstanden. Ihr seid doch alle gleich.“, sagte die Frau und klang nun schon nicht mehr so sanft und gewählt. Ihre linke Hand lag immer noch auf Dracos Brustkorb und übte einen leichten Druck darauf aus. Die rechte fuhr wieder Dracos Wange entlang, dieses Mal nach oben zu seinen Haaren durch die sie hindurch fuhr. Plötzlich verkrallte sie sich darin und riss seinen Kopf zurück. Draco war über die unerwartete Stärke dieser Person überrascht. Sie war nicht viel anders als Barrington. Aber ihre Methoden würden andere sein, dachte er fieberhaft.

Sie lächelte ihn mit schiefem Mundwinkel an, bevor sich ihre Lippen wieder auf seine senkten. Dieses Mal versuchte Draco nicht zu entkommen. Stattdessen konzentrierte er sich darauf so flach wie möglich zu atmen. Wenn er den Kuss einfach aushalten würde, würde sie vielleicht schneller aufhören, hatte er die naive Hoffnung. Noch immer konnte er sich nicht vorstellen, was sie damit bezweckte. Bisher hatte er einen Kuss als etwas Schönes kennengelernt, etwas das Appetit auf mehr machte. Er hatte Annie so oft geküsst und hätte am liebsten nie aufgehört, doch dies hier war etwas vollkommen anderes. Es war überhaupt nicht süß und verheißungsvoll, sondern widerlich.

Ihr Mund bewegte sich auf seinem, verschmierte das rote Zeug, das sie darauf trug. Draco richtete seinen Blick wieder auf den Mann vor seiner Zellentür. Dieser sah ihnen immer noch zu. Langsam wanderte ihre linke Hand seinen Oberkörper hinauf und ab. Draco konnte die Berührung ihrer Finger nur schwach durch den Verband spüren, doch dies genügte ihm. Es brachte seine Wunden dazu unangenehm zu jucken. Er hob das Knie ein wenig an, um sie von sich zu stoßen, doch da auch seine Füße einander gefesselt waren, war sie schneller als er und konnte seine Bewegung erahnen. Schnell setzte sie sich auf seine Beine und verhinderte damit jede weitere Bewegungsmöglichkeit.

Ihre Hand fuhr seine Brust herunter zu seinen Bauch und streichelte diesen einen Moment. Noch immer verstand Draco nicht, was dies alles sollte. Er empfand keinen Schmerz dabei, aber was sollte er sonst empfinden? Alles was er spüren konnte, war die Übelkeit die langsam in ihm aufstieg, je länger sie ihn küsste. Ihre Finger glitten weiter nach unten und schienen nicht aufhören zu wollen. Dracos Atem und Herzschlag wurden beinah panisch. Was geschah hier?

Ihre Hand rutschte zu seiner Körpermitte.

Dracos Augen weiteten sich vor Überraschung. Wieder versuchte er sich von ihr zu befreien. Allein der Gedanken, dass sie ihn dort berührte, ließ ihn fast wahnsinnig vor Wut werden. Er versuchte sie abzuschütteln, doch sie saß so fest auf ihm, dass es ihm nicht gelang. Wieder versuchte er den Kopf zurückzureisen, doch er hatte vor Schreck vergessen, dass kein Raum mehr hinter ihm war. Also konnte er nur noch zu Seite. Er bewegten den Kopf nach links und hoffte sie so abschüttelt zu können, doch ihr Griff in seinen Haaren war fest und stark.

„Zier dich nicht so, ich weiß, es wird dir gleich gefallen.“, gurrte sie und rieb ihre Handfläche weiter an jener Stelle. Wieder begann sie ihn zu küssen und als Draco scharf die Luft einsog gelang es ihr sogar ihre Zunge in seinen Mund zu schieben. Dabei berührte sie seine wunde Zunge und ein neuer Schmerz schoss durch seine Mundhöhle und Rachen hinab.

Draco glaubte sein Mangen drehte sich um. Ihm war schlecht. Er würde sich jeden Augenblick übergeben müssen. Und dieses Gefühl kannte er nur zu gut.

Wieder versuchte er sich von ihr loszureißen. Abermals machte er eine ruckartige Bewegung nach links und dieses Mal mit so viel Kraft, dass er sich befreien konnte und sie ihm dabei ein paar Haarbüschel ausriss. Mit der Stirn prallte er seitlich gegen die Mauer. Doch noch bevor er diesen Schmerz spüren konnte, hob er das rechte Bein und nutzen den Moment ihrer Überraschung und stieß sie von seinem Schoß herunter. Im nächsten Augenblick tanzten weiße Punkte vor seinem Blickfeld und Kopfschmerzen machten sich in ihm breit.

Draco ließ sich ganz zur Seite sinken. Seine Augen waren geschlossen und er atmete schwer. Er wollte dem Gefühl Herr werden, was sie sich ihm zu bemächtigen drohte, doch vergebens. Als sein Körper auf der Seite lag wurde es nur noch schlimmer und er begann zu würgen. Hastig richtete er sich auf. Irgendwo hörte er die Stimme der Frau, die nun laut und zeternd war. Was sie sagte, verstand er nicht. Er bemühte sich auch nicht. Zu sehr kämpfte er mit der Übelkeit. Doch kaum hatte Draco sich aufgerichtet, gewann sie über ihn und er schaffte es gerade so den Kopf rechtzeitig zur Seite zu drehen.

Noch immer keuchend und hustend lehnte er sich gegen die Wand. Er spürte das kühle Gestein an den Handflächen und war sogar froh darum. Es half ihm schneller wieder zu sinnen zu kommen. Jetzt, nachdem er das Gefühl hatte den widerwärtigen Gestank ausgebrochen zu haben, fiel ihm das Atmen leichter. Aber er merkte nun auch, wie die Frau schrie und Henry die Zellentür wieder öffnete.

„So etwas ist mir noch nie passiert!“, schimpfte sie. „Noch nie hat auch nur ein Mann meine Gunst so erwidert. Ich glaube John hat recht! Er kann kein richtiger Mann sein! Bring mich nach oben, ich will ihm davon berichten.“, sagte sie mit schriller Stimme.

Draco schluckte heftig. Langsam dämmerte ihm, was eigentlich vorgefallen war.

Mit klappernden Schritten entfernte sie sich und Henry betrat die Zelle abermals. Wortlos fast er Draco an den Schulter und richtete seinen Oberkörper nach vorn. Dann löste er die Ketten hinter seinen Rücken und band sie ihm vorn wieder zusammen. Draco wischte seinen Mund an dem dünnen Hemd ab, was man ihm gegeben hatte und sah die rote Farbe, die die Lippen der Frau geziert hat. Er ließ sich abermals gegen das Mauerwerk sinken und versuchte sich zu beruhigen. Doch noch immer stand ihm der kalte Schweiß auf der Stirn. Für einen winzigen, einzigen Augenblick dachte er, dass ihm der Schmerz den Barrington ihm zufügte, lieber war.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: enni
2012-06-05T12:31:24+00:00 05.06.2012 14:31
Hier sitze ich, der kalte Schweiß rennt mir genauso wie Draco von der Stirn und hatte gerade die absolute erkenntnis, daß mir Barringtons Methoden auch lieber sind!...O_O Ewwww!
Aber was zum Teufel machst du denn mit den armen Draco? Ich müsste lügen wenn ich nicht sagen würde ich saß da, hab gelesen und mir ist bei der sache mit dem Luder doch glatt die Kindlade runtergeklappt. Hilfe! HILFE!!! Ich hatte schon angst es kommt zum schlimmsten und ich muss hier eine Vergewaltigung der anderen art lesen, Gott sei Dank warst du dann doch nicht so grausam! ^^;

Also lass mich sehen, der liebe Doktor hat also einen Verdacht, Semerloy benimmt sich rätselhaft (Gott ich liebe es wenn er das tut! xD) und wer ist gestorben?

Ich hab deine Geschichten jetzt schon lange nicht mehr gelesen, aber mir ist heut wieder aufgefallen, wie einfach es einem fällt sich von deiner Schreibweise gefangen nehmen zu lassen und was es gleichzeitig für ein vergnüngen ist im Bann deiner Fantasy zu sein. Du bist ein wundervoller Schreiber!

Und... ich hab durch meine (durchaus) lange abstinenz jetzt das Vergnüngen gleich weiter lesen zu können ohne warten zu müssen *grins* nun was gutes muss es doch haben. XD

Wundervolle arbeit süße!
glg Enni
Von:  funnymarie
2011-11-06T07:31:25+00:00 06.11.2011 08:31
wieder ein schönes kapitel^^
hoffentlich gelingt es annie und alexander bald, draco zu befreien!
der arme, du lässt ihn aber auch wirklich sehr leiden^^
nichts desto trotz war es mal wieder ein geniales kapitel und auch das semelogy ( oder so ähnlich^^) ein bisschen mehr an tiefe gewinnt, ist schön^^
ich bin gespannt, wie es weiter geht
lg funnymarie


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