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Engelsgleich

Ist es eine Gabe oder ein Fluch, wenn man sieht, was anderen Menschen verborgen bleibt?
von

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"Hilf mir!"

Bijou schreckte aus ihrem Schlaf auf. „W-wer hat mich gerufen?“

Stille...

„Na toll. Ich hätte es mir ja denken können“, murmelte sie noch verschlafen und strich sich ihre dunkelbraunen Haare aus dem Gesicht. Es war kurz nach Mitternacht. „Wo steckst du?“ Bijou schlug ihre Bettdecke zurück und torkelte zum Fenster. Der Regen prasselte leise an die Fensterscheiben. „Wo steckst du, Engel?“ Während ihre Lippen diese Worte formten, lehnte sie ihre Stirne an die kalte Fensterscheibe. Bijou verharrte für einige Augenblicke in dieser Stellung. Schnell schlich sich aber Kälte in ihren Körper ein und das Mädchen setzte sich noch immer etwas benommen vom Schlaf auf die Bettkante und sie richtete ihren Blick aus dem Fenster.

Wieder Stille.

Noch eine Weile starrte sie aus dem Fenster. Ihre braunen, grossen Augen schienen draussen in der Dunkelheit etwas zu suchen.

Die Stille wurde Bijou langsam unangenehm. Sie hatte sich diese Stimme nicht nur eingebildet, da war sie sich sicher.

„Warum hast du mich gerufen?“, sagte Bijou daher zögernd. Es war ein eigenartiges Gefühl einfach in die Dunkelheit zu rufen und genau zu wissen, dass man niemanden sehen kann oder wird.

„Ich brauche dich doch! Hilf mir!“ Eine leise Stimme hämmerte ihr unaufhörlich im Kopf.

„Hör auf! Das gibt nur wieder grässliche Kopfschmerzen. Sag mir lieber wo du bist.“

Als sich die Stimme für kurze Zeit nicht mehr meldete, beschloss das Mädchen, sich kurzerhand ein schwarzes, nicht mehr gerade neues T-Shirt überzustreifen. Bijou war sich nämlich sicher, dass die Stimme wieder in ihrem Kopf herumgeistern wird.

„Also, Engel, wo bist du?“

Bijou war bereits angezogen und schlich sich nach unten in den Flur. Als sie die Haustüre erreicht hatte, zog sie sich hastig ihren knallroten Mantel an.

Mit zitternden Fingern umklammerte sie den metallenen Türgriff und mit einem leisen „klack“ öffnete sich die Haustüre.

Als Bijou ihre Füsse über die Türschwelle setzte und nach draussen ging, schien der Regen ihr Gesicht zu streicheln.

Kopfschmerzen meldeten sich. Bijou biss sich auf ihre Unterlippen um von den Kopfschmerzen abzulenken. Stattdessen zuckte der Schmerz jetzt durch die Lippen.

Bijou wusste, dass sie noch keinen Anhaltspunkt hatte, von woher die Stimme kam, daher verlangsamte sie ihre Bewegungen und blieb schliesslich nur einige Meter vor der eigenen Haustüre stehen.

„Ich kann dir doch so nicht helfen. Bitte, bitte sag mir, wo du bist.“

„I-ich weiss es nicht… ich sitze auf einer Schaukel… ich schaukle dem Himmel entgegen… ich möchte wieder fliegen können. Ich falle aber nur.“

„Na, geht doch“, dachte sich Bijou. "Eine Schaukel? Aber wo befinden sich hier in der Stadt Schaukeln? Vielleicht auf dem kleinen Kinderspielplatz nur zwei Blöcke von hier entfernt…?"

Die Idee war naheliegend. Auf dem alten Spielplatz nahe beim Stadtpark befanden sich unter anderem auch Schaukeln. Das wusste sie, denn als kleines Mädchen verbrachte sie gerne ihre Zeit auf dem Spielplatz und war damals auch unteranderem auf den Schaukeln und spielte.
 

Als jedoch Bijou auf dem verlassenen Spielplatz ankam, sah sie nur die dunklen Umrisse des Platzes. In der unheimlichen Dunkelheit wirkte alles so gross und unheimlich.

Dem Mädchen war die Endtäuschung förmlich ins Gesicht geschrieben, denn sie fand die Idee gut. Wer würde dies nicht tun?

„Wo gibt’s denn noch Schaukeln?“ Eifrig überlegte sie. Die Kopfschmerzen hinderten sie allerdings daran, einen klaren Kopf zu bekommen.

„Jetzt hab ich’s.“ Wieso ist es ihr nicht schon früher in den Sinn gekommen? „Die Schaukeln auf dem Pausenhof unserer Schule.“

Das war noch ihre einzige Idee. Zumindest die einzige, die logisch und realistisch war.

Bijou durchquerte den riesigen, prachtvolle Stadtpark. In der Nacht wirkte er aber einfach nur unheimlich und beängstigend.

Nach ein paar Minuten Fussmarsch in der Dunkelheit, sah sie schliesslich ein riesiges, graues Gebäude. Aus der Puste und völlig durchnässt, stand sie vor einem eisernen Tor der Schule. Mit einem Quietschen, dass die Stille der Nacht durchbrechen zu schien, stiess sie das Tor auf. Hastig lief Bijou in die Richtung zu den Schaukeln. Unterdessen waren ihre Kopfschmerzen fast unerträglich geworden.

„Engel?“ Bijous Blick erstarrte. Sie erkannte auf den ersten Blick nur die zusammengesackte Silhouette eines Wesens, das keuchend auf einer der Schaukeln sass. Als Bijou näher heranging, bemerkte sie, dass das Gras unter ihren Schuhen blutüberströmt war.

„Was ist mit dir geschehen?“ Ihre Stimme zitterte so heftig, dass sie ihre Worte fast nicht herausbrachte.

„Ich erinnere mich nicht“, flüsterte ihr eine sanfte Stimme entgegen. „Ich möchte… ich möchte zu meinem Meister.“

„D-das geht nicht... glaube ich zumindest.“

Erst jetzt hob das Wesen seinen Kopf hoch und Bijou blickte direkt in die leeren, blauen Augen. Das Gesicht des Wesens war leichenblass, jedoch immer noch wunderschön.

„Wieso?“

„Deine Flügel“, begann Bijou, „sie sind… abgeschnitten.“ Daher also das viele Blut.

„Darum kann ich nicht mehr fliegen.“ Ein trauriges Seufzen, dann wieder Stille.

Das Mädchen wollte den Blick von dem geschundenen Wesen abweisen, jedoch gelang es ihr nicht. Sie konnte ihren Blick nicht von dem Engel lassen.

„Du bist ein Schutzengel“, begann Bijou, „deine Flügel geben dir die Macht, zu schützen.“

„Was geschieht jetzt mit mir?“

Bijou wusste nicht so recht, was sie dem Engel erwidern sollte. Sie zögerte.

„Ich verstehe.“

„Was?“

„Mädchen, siehst du das Licht?“

Ein Licht? „Nein.“

„Der Himmel ruft mich. Ich werde jetzt endgültig sterben.“ Ein trauriges Lächeln huschte über das porzellanartige Gesicht des Engels. Zumindest kam es Bijou so vor. „Was heisst das? Was meinst du mit 'endgültig sterben'?“

„Ich bin nicht mehr. Ich habe keinen Körper mehr. Ich kann nichts mehr fühlen. Einfach nichts. Nichts.“

„Aber das geht doch nicht einfach!“ Bijou war verzweifelt.

„Doch. Es ist Zeit zu gehen."

Der Engel verblasste allmählich vor Bijous Augen. „Mein armer Meister. Mein armer Meister.“

Diese Worte hallten in ihrem Gedächtnis. Sie waren wie eingebrannt.

Plötzlich kam ein kalter Windstoss auf, streichelte Bijous Wangen, so, als ob der Wind ihr sagen wollte, dass sie nicht traurig sein soll. Das alles wieder gut wird. Aber das würde nie passieren. Es würde nie wieder alles gut werden.
 

Bijou blieb eine Weile unter Schock vor der Schaukel stehen. So etwas hatte sie zuvor noch nie gesehen, geschweige denn erlebt.

Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Warum weinte sie denn erst jetzt? War der Schock so gross?

Dicke Tränen kullerten zu Boden. Vor ihre Füsse. In das rotverfärbte, verschmutzte Gras.

Es schien fast so, als ob ihre Tränen den Schmutz wegwischen wollten. Dies alles ungeschehen machen. Aber auch dies würde nie passieren. Es würde nie ungeschehen bleiben.

„Verdammt!" Noch immer liefen die Tränen sanft ihre Wangen runter. „W-wer macht nur so etwas? Wer ist in der Lage, so grausam zu handeln, sogar den Engeln ihr ein und alles zu rauben?"

Fragen, auf die Bijou keine Antworten wusste.

Das Mädchen drehte sich ruckartig um. Sie hatte ein leises Rascheln im Gestrüpp bemerkt. Der Schockzustand schien sie nicht mehr so fest zu umklammern. Denn Bijou würde jetzt nichts mehr so leicht aus der Bahn werfen. So dachte sie zumindest.

Leicht irritiert rief sie in die Nacht hinein: „Wer ist da?"

Sie vernahm nochmals ein Rascheln, jedoch keine Antwort.

Bijous Herz fing an, heftig gegen ihre Rippen zu schlagen. Ihr ganzer Körper spannte sich an. Er war wie voller Energie.

Dann, endlich nach ein paar langen Minuten, erblickte sie einen hochgewachsenen Jungen. Sie erkannte nicht, wer er war. Denn er stand völlig im Schatten der Bäume und der Mond beleuchtete ihn somit nicht.

„Mädchen, was machst du hier?" Der Junge kam langsam, jedoch bestimmend auf sie zu.

Der Mond formte aus schwachen Umrissen eine klare Silhouette. Tiefblaue Augen starrten Bijou an. Sie schienen ihren Körper zu durchbohren.

„N-nichts." Bijou kniff ihre Augen zu enge Schlitze zusammen, um den jungen Mann genauer zu erkennen.

„Dann geh' nach Hause. In der Nacht ist es hier gefährlich. Vor allem für junge Mädchen wie dich." Seine eisige Stimme jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken. Wer war der Fremde?

Plötzlich streckte der Junge ihr eine Hand entgegen.

„Fass mich nicht an!", fauchte Bijou den Fremden an und machte einen Schritt zurück. Der Junge grinste. „Ich habe dir doch gesagt, es ist hier gefährlich."

Bijou bekam Angst. Sie drehte sich auf dem Absatz um und lief hastig zum Tor. Sie drehte sich noch einmal um, um sich zu vergewissern, dass der Junge ihr nicht folgte. Dann rannte sie los.
 

Unterdessen wurde der Regen immer stärker. Ihr dunkelbraunes Haar klebte Bijou im Gesicht und ihre Kleidung war völlig durchnässt.

„Mond, weise mir den Weg nach Hause, bitte. Ich habe Angst." Und wie der Mond Bijou zu verstehen schien, schob er ein paar Wolken zur Seite und zeigte sich im vollen Glanz.



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Kyulein
2009-01-11T18:36:44+00:00 11.01.2009 19:36
Ich mag deinen schreibstil*gg* es gibt leute, die schaffen es alle ihre Sätze so zu verschachteln das man zu leicht durcheinander kommt und wieder andere schaffen es ihre Sätze in 2 wörten zu halten...Oo Bei dir ist die Länge genau richtig*gg* Und außerdem hat mich die Story richtig mitgerissen... passiert nicht oft...*grad an einem langweiligen buch sitzt...*
Ab und an könntest du die Umgebung noch etwas genauer beschreiben, und außerdem hab ich wenn von Bijou die Rede ist kein richtiges BIld vor AUgen.. du hast zwar Bilder von ihr hochgeladen, aber die Beschreibung von ihr fehlt mir....
Aber die Grundidee(bzw auch ihre bisherigen ausweiten) find ich tollig*gg*
Von:  dalish
2009-01-05T19:38:46+00:00 05.01.2009 20:38
ich finde auch, dass du eine wundervolle Art hast zu schreiben!
und ich finde es schön, dass du über Engel schreibst. Sie haben mich schon immer interessiert.
und der Name Bijou *_* (hieß so nicht auch ein Hamster aus Hamtaro? XD)
ich lese jetzt schnell weiter!!
Von: abgemeldet
2008-12-26T18:29:59+00:00 26.12.2008 19:29
Du hast eine wunderschöne Art zu schreiben!
Dieses Kapitel gefällt mir^^ Es ist so schön traurig...
Die Idee hinter der ganzen Story (so weit ich sie gelesen hab^^) finde ich toll! Ganz so hab ich's noch nie gehört und das ist einer, der Grundvorraussetzungen beim Schreiben! Originelle Ideen braucht die Autorenwelt ;-)
Wenn ich kann, werd ich auf jeden Fall bald wieder weiterlesen^^
Also, bis denne...
lg
Von: abgemeldet
2008-10-27T16:48:58+00:00 27.10.2008 17:48
Ohh, ich hab schnell weitergelesen x3
Ich find das Kapitel sehr schön =) Deine Art zu schreiben finde ich immernoch wunderbar =) Und ausserdem mag ich den Namen "Bijou" xDD Also super Story, ich geh schnell weiter lesen x3

Roxy
Von:  Daisy
2008-09-06T19:10:51+00:00 06.09.2008 21:10
Halooo

Also ich finde die Idee echt super, sowas hab ich bis jetzt noch nie gesehen. Geschrieben ist sie auch ganz toll, hab voll Gänsehaut bekommen^^
Mach schnell weiter, und vor allem mach weiter SO!!!!
lg
Nela


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