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Wünsch dir was...

... oder besser doch nicht?
von

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I - 6 Uruha

„Ein musikalischer Vogel bist du, mein Bester, aber ein unkontrolliertes Biest! Du kannst von Glück reden, das dich mir jemand abkauft... Ich weiß nicht, wie lange ich mir den Ärger noch erlaubt hätte. Ich finde schon einen anderen Vogel, der ähnlich aussieht, aber sich leichter dressieren lässt.“ Ein strafender Blick genügte, und Aoi blieb der Laut der Entrüstung im Halse stecken, der ihm unangenehm brannte und auch so roch. Gut, das er sein Abbild nicht im Spiegel sehen konnte. Erbärmliches Überbleibsel eines stolzen Mu- Vogels! Wenn er könnte, würde er ihr den Hals umdrehen! Oder ihr solch einen Band um den Hals wickeln und abdrücken. Sie beben, erzittern und qualvoll... Nein, nein du bist ein lieber Mu- Vogel! Argh!!
 

„Jetzt hör endlich auf zu Piepsen, oder ich klebe dir den Schnabel zu!“, donnerte die Vogelsammlerin und schlug gegen den Käfig, was diesen durch den Stoß angetrieben, abrupt in Bewegung setzte und Aoi in seinem Käfig gegen die Gitter schlug. Er war zu schwach, um sich zu balancieren, geschweige denn aufzustehen.
 

„Wir hatten dich gewarnt, kleiner Mann.“, piepste eine junge Elster und lachte lauthals.

„Armer Junge...“

„Dein Mitleid ist hier fehl am Platze, alte Amsel. Ihr habt gehört, er ist bald befreit. Sie wird ihn nicht töten, wenn es um Geld geht.“

„Raffgrierige...“

„Gerade dieses Wort aus deinem Schnabel!?“
 

„Ruhe ihr unbrauchbaren Biester! Ich kann euer nicht aufhören wollendes Meckern nicht mehr hören! Ihr habt es hier viel zu gut!“, kreischte die Frau schrill auf und schlug mit einem metallenen Stab gegen eine Reihe eng aneinander stehenden, kleinen Käfigen. Die Vögel darin verstummten, als wüssten sie, was nun kommen würde.
 

Doch bevor sie tun konnte, was sich bereits vor ihrem geistigen Auge auftat und ihre Augen böse funkeln ließ, betrat ihr Angestellter und Mittäter die Lagerhalle, in der sie ihre Sammlung hielt.
 

„Herrin...?“ Zögerliches Wispern.

„WAS?!“ Der Mann, der sie eingeschüchtert angesprochen hatte, zuckte erschrocken zusammen.

„D-da möchte Sie jemand sprechen, M-Miss? Takahima oder... Taka... eh... Soll ich ihn wegschicken?“

„Nein, nein! Er nimmt mir dieses ungestüme Biest ab. Erspart mir reichlich Ärger. Die Show lief nicht wie geplant. Meine Nerven sind nicht mehr die besten. Trotz meiner guten Erziehung jammern diese Biester mir die Ohren voll. Schade eigentlich mit dem Kleinen... Nie hatte ich solch ein widerspenstiges, schmächtiges, und doch so einzigartiges Biest...“
 

„Jetzt schwärmt sie wieder diese Hexe! Hoffentlich schaffst du es hier wirklich raus, Kleiner.“, ließ die alte Amsel fallen und Getuschel wurde laut. „Ich glaube nicht.“ „Doch, doch! Geld ist mächtig! Wer weiß schon, wie viel der Neuling wert ist?“
 

Waren diese Vögel eigentlich dumm...? Die müssten doch inzwischen verstanden haben, das die Hexe schlecht gelaunt war wegen ihnen und seiner Wenigkeit. War die Meinung eines jeden etwa wichtig unter ihnen?
 

„Haltet lieber den Schnabel!“, warnte Aoi und war sogleich wieder still, zog den Kopf ein.
 

Die pochende Stirn der Vogelsammlerin verfinsterte sich währenddessen über ihren dunkel geschminkten Augen und ihr rot leuchtender, zum fahlen und blassem Gesicht unpassender, Mund vollzog sich zu einem dünnen Strich. Der Lärm der vielen Gefangenen hatten Aoi's hilfreiche Worte übertönt. Mit Schrecken erkannte er, wie die Hexe nach einem metallene Stab griff und den Kippschalter eines rechteckigen Blechkastens betätigte, hinter dem nun ein dumpfes Rumoren erklang. Doch viel mehr beunruhigte ihn der Ladungsaustausch der Pole am oberen Rande des Kastens. Das konnte nur ein kleiner Generator sein! Sie wollte doch nicht etwa...
 

„Nein, tu mir nichts!“, bat ein kleiner, etwas pummelig aussehender Grauvogel und sprang wie ein Flummi auf und ab.

„Nimm sie! Ich bin viel hübscher.“, schrie dagegen die eingebildete Elster und flog in ihrem viel zu kleinen Käfig auf und ab, um die Schönheit ihres Gefieders zu präsentieren, was schon längst nicht mehr schön war. Gerupft hatte sie ihre Schönheit, um die Aufmerksamkeit der Sammlerin auf sie zu schmälern. Doch bewusst schien es ihr in ihrer Angst nicht zu werden.
 

Der Lärmpegelanstieg schien der Vogelnärrin nur um ein Weiteres mehr zu reizen.

„Ich war wohl zu nachlässig mit euch! Hackt ihr euch nun auch noch gegenseitig das Gefieder aus?! Ich sollte-“, spuckte sie voll Zorn über die Hässlichkeit ihrer Sammelstücke und hob den Stab an, um ihn in einen der Käfige gleiten zu lassen.

Das Geschrei wurde noch lauter, panischer.
 

Wenn Aoi könnte, würde er sich liebend gern die Flügel auf seine Vogelaugen pressen und den Gehörgang gleich noch mit dazu. Ohrmuscheln besaß er keine.

Wenn er den Mund dieser Hexe so betrachtete, schienen die Worte sogar verzögert bei ihm anzukommen. Warum nur...? War das Vogel-typisch? Oder schrie sie immer verzerrt? Unsinn! „Dein Vogelhirn schenkt dir unsinnige Gedanken, Aoi...“
 

„Herrin!“ Selbst ihr unbedeutsamer Angestellte schien protestieren zu wollen.
 

Warum hörte sie nicht auf! Dieses Geschrei!
 

Sein Kopf ruckte, schmerzte. Schritte. Eindeutig Schritte!
 

„Was ist hier los?“
 

Wieder ruckte sein Kopf. Konnte er nicht damit aufhören!? Nun hoben sich die Schritte noch deutlicher hervor.
 

„Ich wiederhole mich ungerne, aber was tun sie da?“
 

Wieder ruckte Aoi's Kopf. Nach links, rechts, vor, zur Seite, zurück.
 

Aufschreiend brachte er seinen linken Flügel zum Schwingen. „Hier, hier! Uruha!“ Er hatte ihn erkannt. Das Rucken des Kopfes hatte die Wellen seiner Stimme deutlicher gemacht. Das konnte nur Uruha sein! Diese Stimme! Diese wunderbare Stimme!“
 

Doch Uruha fiel die schwache Schwingbewegung seines Flügels weder auf, noch haftete sein Blick auf ihn. „Uruha, schau mich an! Hier unten! Pieps!“ Erschrocken hielt Aoi inne. Nein, das Pieps hatte er sich nur eingebildet... Das konnte nicht... Durfte nicht! Er war Musiker! Kein Vogel!
 

Während die Folgen der Wandlung über Aoi's wirren Kopf zusammenbrachen, war die Vogelsammlerin in ihrem Tun verharrt und zog nun den zuckenden Stab aus dem Käfig des Grauvogels. Keine überflüssigen Flummibewegungen mehr. Kein Geschrei, kein Herzschlag.
 

„Mörderin!“, schrie die Amsel und ihre fremdartigen Mitgefangenen stimmten in das klagende Geschrei mit ein. Das Herz der Kleinen hatte die Angst nicht überstanden. Der Strom hatte ihr nicht die Federn versenkt. Wenig tröstend, das ihr so wenigstens noch die letzte Würde eines Vogels blieb.
 

Das Klagen ließ auch Aoi aufschreien. Ließ ihn in den Chor des Klagens miteinstimmen.

„Das arme Mövchen!“
 

„Nur eine kleine Lehre für meine Schätze. Für Disziplin und Gehorsam... Gehen wir in mein Büro. Hier wäre das Besiegeln eines Geschäfts unangebracht. Man versteht kaum die Worte eines anderen.“, meinte die Vogelsammlerin, kippte den Schalter des Generators um und drückte den Käfig in ihren Händen ihrem Angestellten auf. „Mach, das es still wird, Tatsu! Sie sollen ihre Schnäbel halten.“, zischte sie ihm zu und setzte ein freundliches Lächeln auf, als ihr Blick weiter reichte. „Folgen Sie mir, Herr...“ „Takashima.“ „Richtig.“
 

Aoi's Vogelaugen fixierten den hilflos dreinschauenden Tatsu, während Uruha samt der Hexe die Halle verließen. Ihn alleine mit diesem... ja, diesen Kerl ließen...
 

Als das Öffnen des Gitters an seine Ohren drang, erhob sich sein protestierendes Geschrei. „Uruha!“
 

Doch blieben diesem die hektischen Flügelschläge, das Gepiepse und das Fluchen Tatsu's verwehrt, sobald sich die Schalldichte Tür hinter ihm schloss.
 

„Hach... Ruhe...“
 

„Bitte?“, bat Uruha verwirrt um Wiederholung und sah sich kritisch um. Keine Foto von ihren Vögeln. Keine. Hatte sie genug? Warum dann noch sammeln und die Tiere quälen?
 

„Hm? Kommen wir zum Geschäft, Herr Takashima. Sie sind sich sicher mit dem musizierenden Vogel aus der letzten Show?“
 

Verwundert betrachtete Uruha ihr blasses Gesicht. Hatte sie die Herkunft des Vogels noch immer nicht herausgefunden?
 

„Ja, das bin ich.“
 

„Dürfte ich erfahren warum?“
 

Um den Wert einzuschätzen. Einzuschätzen, wie weit sie gehen konnte...? Für einen Vogel? Uruha zögerte.
 

„Nun... Damals hatte ich solch einen ähnlich ausschauenden Vogel. Ich sehne mich nach den alten Zeiten.“
 

„Verstehe... Was für eine Art?“
 

„Da ich kein Sammler bin, müssten sie die Antwort eher wissen als ich. Ich hege privates Interesse.“
 

„Dann kann ich wohl davon ausgehen, das sie meinen finanziellen Ansprüchen entsprechen. Wie-“
 

Uruha unterbrach die Frau, deren Mund sich bitter zusammenzog. „Humanen Ansprüchen. Es ist nur ein Vogel, kein Sammelobjekt. Eher ein Unterhaltungsobjekt. Nicht mehr.“ Was stellte sich diese Frau bitte vor? Für einen Vogel immense Summen beanspruchen wollen und nicht einmal die Herkunft wissen? „Außerdem berechne ich ihnen die äußerlichen Schäden, die sie dem Kleinen angerichtet haben. Ich bezahle nicht für verbrannte Federn.“

Uruha spielte mit dem Feuer. Zog sie ihr Angebot zurück? Das durfte sie nicht. Er wollte diesen Vogel... Darüber nachzudenken, warum dies so war, hatte er längst aufgegeben. Vielleicht hatte er damals tatsächlich einen ähnlich aussehenden Vogel gehabt und konnte sich nicht mehr daran erinnern? Nur instinktiv...?
 

Entrüstung blitzte ihm entgegen. „Wie können Sie mir vorwerfen, meinen Liebsten etwas anzuhaben?! Er ist völlig gesund.“
 

Nette Lüge... Seufzend schlossen sich Uruha's Lider.
 

„Fein, das wird der Tierschützerverbund dann sicherlich auch feststellen können. Die würden sicher mit Freude Ihre Sammlung sehen und für mich ein Auge auf den Kleinen werfen können, um mir Ihre Aussage zu bestätigen. Ich zahle nicht über Wert.“
 

„S-Soll das... Das ist Erpressung!“, rief die Sammlerin erbleicht aus und schlug mit der flachen Hand ungewohnt hart auf dem Tisch auf. Die Schmerzen darüber zuckten Sekundenlang in ihrem Gesicht auf. Uruha's rechter Mundwinkel bog sich belustigt nach oben, bevor sich die Wangen der Frau in einen rosafarbenem Ton erwärmten.
 

„Es ist eine Vorwarnung. Lassen Sie den Kleinen frei.“
 

„Nicht unter Wert!“, schrie die Frau aus und stemmte ihre Hände in die Seiten, um ihr nervöses Zittern zu verbergen.
 

Zögernd senkte der blonde Mann den Blick, erblickte nun deutlich das Zittern seiner eigenen Hände und den rasenden Herzschlag in seiner Brust, der ihn in den Ohren lag und die Stille durchbrach. „Ganz ruhig... Sei Aoi.“, versuchte er sich zu beruhigen und versuchte sich vorzustellen, was Aoi an seiner Stelle getan hätte... Wenn er denn auch unbedingt einen Vogel haben wollte... „Hm... In den nächsten Tierladen gehen... Das hilft mir nun auch nicht weiter! Erinnere dich!“, mahnte er sich und konzentrierte sich auf alte Geschichten...
 

~ Rückblick Uruha ~
 

„Musst du ständig an meinen Fersen kleben?“, brüllte Kouyou gereizt. Man hatte in dem Club Mühe seine eigenen Worte zu verstehen. Vielleicht brüllte er aber auch so Laut, damit er Abstand von ihm nahm... Yuu's Worte verstand er jedoch ohne Mühe. Wie nah war er ihm denn wieder gekommen?! Mit großen Augen wandte er sich um, erstarrte aufgrund der tatsächlichen Nähe.
 

„Irgendwer muss doch auf dich aufpassen, hm? Jetzt mal im Ernst. Was kann bitte ich dafür, das wir uns ständig über den Weg laufen? Jetzt schau nicht so verletzt und lass bitte mich durch. Ich gebe den Jungs heute was aus. Hab Geburtstag, weißt du?“ Das Lächeln, das nun in Yuu's Gesicht trat, war ungewohnt, aber irgendwie entwaffnend...
 

Ohne Worte schwankte sein Körper zur Seite. Er schaute verletzt? Pah! Sein Blick folgte dem schmalen Umriss des Schwarzhaarigen. Nicht ein positives Wort hatte er je für ihn übrig... Tze... Er hatte Geburtstag?
 

Sollen er und seine Jungs sich die Birne wegsaufen! Er konnte auch alleine Spaß haben. Hier waren wenigstens keine lästigen Stalkerinnen! Wenn er ganz ehrlich war, hatte er sogar seit Tagen keine mehr gesehen... und aus irgendeinem Grund behagte es ihm gar nicht. Heckten die Mädchen etwas aus?

Manchmal erwischte er sich sogar dabei, wie er den Weg zur Schultoilette anstrebte oder länger als nötig die Klinke hielt, bis die Schulglocke ihn aus den Gedanken riss. Sicherlich nur aus Gewohnheit. Sonst war er jede Pause auf die Toilette gestürzt, um dann Yuu über den Weg zu laufen. Dieser eingebildete Schönling!
 

Gerade dieser zog soeben mit mehreren Biergläsern an ihm vorbei. Konnte er keinen Umweg laufen?!
 

Die Augen verdrehend wandte Kouyou sich ab. Also dann, ab in die Menge! Diesen Schnösel vergessen. Diesen...
 

„Hey hey, Schönheit!“, brüllte ihn jemand von der Seite an und ließ Kouyou von diesen zunächst weghechten, bevor sich seine aufgerissenen Augen auf den Sprecher richteten. Na hallo...
 

Schwarze Haare, durchtrainierter Körper, hübsche Augen,...
 

Okay die Nummer wurde langsam peinlich.
 

„Kou, stell dich gerade hin, hör auf zu sabbern und sei ganz cool!“, redete er sich zu und kam Schritt eins und zwei nach. „H-hi!“, brachte er stotternd hervor und hob die Hand. „Ja jetzt noch peinlich winken, obwohl der Herr direkt vor dir steht... Idiot!“, beschimpfte er sich und ließ sie rasch sinken.
 

„Das Schnittchen wird ja ganz rot!“, lachte der Unbekannte, packte den irritierten Kouyou um die Taille und dirigierte ihn auf die Tanzfläche.
 

In den nächsten Minuten starb Kouyou Tausend Tode.
 

Der heiße Typ tanzte ihn an! Ihn! Er hatte das Gefühl, seine Hände überall zu haben! „Der Typ ist doch betrunken! Er soll seine Hände von mir nehmen!“ dachte Kouyou und zitterte merklich am ganzen Körper. Der Typ schien nicht mal zu merken, das er überhaupt nicht tanzte... Heißer Typ Hin oder Her!
 

„Hey! Verschwinde!“, sagte plötzlich jemand und stieß den ihm noch immer Unbekannten von Kouyou, der sogleich die Arme um sich schlang und den am Boden Liegenden mit großen Augen betrachtete. Plötzlich wurde ihm die Sicht auf den Mann versperrt. Jemand war vor ihm getreten! Oder zwischen sie?
 

„W-was soll das? Such dir selbst jemanden!“ Der Kerl rappelte sich auf und schritt auf Kouyou zu, der über die Schulter seines Retters blickte und instinktiv zurück stolperte.
 

Den Arm, der sich nach ihm ausstreckte, wurde am Unterarm gepackt und somit gestoppt. Die Zwei fixierten sich. Kouyou konnte nur den einen von ihnen erkennen. Sie schienen kämpfen zu wollen! Wegen ihm kämpfen? Warum? War er denn besonders?
 

„Ich würde vorschlagen, du verlässt den Club? Jetzt! Du dürftest gar nicht hier drin sein.“
 

Ein Rivalitätskampf? Er verstand nicht...
 

„Was ich darf und was ich nicht darf, das entscheide noch immer ich! Wer bist du überhaupt?“ „Der Besitzer des Clubs.“ „Ist nicht wahr...!“ „Ach hast du ihn schon einmal gesehen? Hm... ich glaube nicht, dich schon einmal gesehen zu haben. Ich bin erst seit wenigen Tagen wieder in der Stadt. Ich rate dir, lass die Hände von meinen Gästen. Heute ist Schülerabend. Erwachsene haben keinen Zutritt. Ein falsches Wort, eine falsche Tat, und du kannst dir einen neuen Club suchen. Hier dein Eintritt.“ Ein Yen-Schein tänzelte schwingend und sich drehend zu Boden.
 

Die beiden verharrten abwartend.
 

„Ich wiederhole mich ungerne!“
 

„Schon weg. Verzeihen Sie mir.“
 

„Wer bereits betrunken in den Club kommt, kann die Worte am Eingang wohl nicht lesen. Ich verdränge den Moment aus meinem Gedächtnis, wenn Sie sich beeilen.“
 

„Danke.“ Eine schnelle Verbeugung, das Geld wurde geschnappt und der Mann eilte plötzlich weniger schwankend aus dem Club.
 

Dankbar trat Uruha aus dem Schatten des Unbekannten.
 

„Danke!“, rief er und sein Lächeln erstarrte, als der Beanzugte sich ihm zuwandte. „Yuu?!“
 

„Alles okay?“
 

Erleichterung durchflutete den Blonden. „Ja, dank dir.“
 

„Ein Schülersprecher setzt sich für seine Schüler ein.“
 

Kouyou's Stirn verfinsterte sich. „Kannst du nicht einmal etwas Nettes sagen?!“, motzte er aufgebracht und blies die Wangen auf. „Und auch mal etwas tun, was nichts mit deinem 'Amt' zu tun hat?!“, dachte er noch, schlang erneut die Arme um sich und wich Yuu's forschenden Blick aus.
 

Yuu, der eben noch gehen und Kouyou stehen lassen wollte, war verharrt. „Gerade von dir? Wenn du es unbedingt wissen möchtest – ich habe euch gesehen. Er hat dich angefasst und ich habe deine Angst gesehen. Ich habe eingegriffen, okay? Bild dir nichts darauf ein.“
 

„Arsch...“ Kouyou's Stimme zitterte.
 

Kopfschüttelnd wandte Yuu den Kopf ab und setzte sich in Bewegung.
 

„Happy Birthday du Idiot!“, brüllte Kouyou ihm nach und schloss lächelnd die Augen, war wieder umgeben von tanzenden Jugendlichen, die ihn keine Angst verspüren ließen.
 

~ Rückblick Uruha Ende ~
 

Uruha blinzelte.
 

Sein früheres Ich war nicht mehr mit seinem jetzigen Ich vergleichbar. Es hatte sich so viel geändert. Sie hatten sich verändert.
 

Und Aoi's Verschwinden machte ihm deutlich, wie abhängig und verletzbar er noch war. Er musste sein Leben mehr selbst in die Hand nehmen! Konnte er das noch schaffen...? Nach all den Jahren der Abhängigkeit?
 

Doch nur so könnte es ihm gelingen, glücklich zu werden... Oder?
 

Passend zum Gedanken, suchten seine Hände ihre Wege in seine Hosentaschen und wurden von einem Seufzen begleitet. Vielleicht vermochten sie das Zittern zu bändigen, welches seinen Körper durchfuhr und in heftiger Konkurrenz mit dem erhöhten Herzschlag wetteiferte.
 

Warum Hoffnung machen? Er war ein Weichei. Kein Aoi... Wenn er doch nur wie er sein...
 

Moment. Er stoppte seinen halb ausgesprochenen Wunsch und ertastete den Gegenstand in seiner Hosentasche erneut. Seine Brieftasche! Fast erleichtert klammerte er sich an das kalte Leder, welches ihm einst Aoi – wer sonst? - geschenkt hatte und grinste zurückhaltend.
 

Damit ließ sich etwas machen.
 

Weniger zögerlich in seinem Tun, richtete er den Blick auf und nestelte die Brieftasche aus dem ein wenig eng anliegenden Versteck.
 

Der Blick der Frau haftete begierig auf ihr.
 

„Hier, das reicht. Ein Wort und ihre Tarnung wird auffliegen. Geben Sie sich mit dem zufrieden, was Sie hier praktisch aus Mitleid zur Ihrer Person von mir geschenkt bekommen und wagen Sie es nicht an meiner Autorität und Stellung zu zweifeln. Das wenige an Freundlichkeit Ihnen gegenüber ist Ihrem kleinen Vogel zu verdanken. Doch glauben Sie nicht, ich könnte die öffentlichen Interessenten lange fernhalten.“
 

„Sie sind von der Yakuza?“ Ihre Stimme klang brüchig, ihr Gesicht war inzwischen kalkweiß.
 

„... Ich bediene mich ungerne der Bezeichnung. Ich habe viele Namen.“
 

„Auch Kouyou Takashima...?“
 

„Ein unbrauchbarer Kerl … Nein.“
 

„Verstehe... Nehmen Sie ihn!“
 

Wenn dies nicht total unprofessionell für ein Yakuza Mitglied und Fehl am Platze wäre, würde er nun in die Luft springen vor Freude. Er hatte ihn! Ganz ohne Aoi's Hilfe, sah man vom Festklammern an der Brieftasche ab. Wenn die nicht gewesen wäre... Nein! ER hatte es geschafft! Er sollte aufhören, den eigenen Stolz auf andere abzuladen. Er hatte im Leben auch einiges geleistet! Er wäre nicht Gitarrist geworden, würde er dies nicht unter Beweis stellen! Das allein Aoi es zu verdanken war, das er sich für Gitarren interessierte sei mal außer Acht gelassen...
 

~ Uruha Rückblick ~
 

„Kou, hörst du mir überhaupt zu?“
 

„Hm...“
 

„Kou?“
 

„Hm...“
 

Kouyou's träumerischer Blick war noch immer auf die Luftbläschen in seinem Kakao fixiert, die nacheinander platzen oder neue bildeten.
 

„Kou, sieh mal, da ist Yuu!“
 

Kouyou's imaginäre Luftblase platzte und ließ ihn beinahe das Glas voller Kakao umstoßen. „Was?“
 

„Also wie ich dir eben mitteilen wollte, gibt es einen neuen Kurs an unserer Schule.“
 

War da nicht was...?
 

„Aha.“, machte Kouyou bloß und beäugte sein inzwischen kaltes Essen misstrauisch, bevor er es von sich schob.
 

Minamoto seufzte demonstrativ. „Kein Wunder, warum du immer dünner wirst. In einer Tour am Seufzen und Träumen. Komm mal wieder runter, ja?“
 

„Wovon denn runter?“, fragte sich Kouyou und blickte sich unauffällig um. „Das Schulessen kann man eh nicht genießen. Zu viel Fett.“
 

„Wie du meinst. Also jedenfalls... Das ist ein Gitarrenkurs und ich dachte... Kou, hör mir doch mal zu!“
 

„Hm?“
 

„Ohhh...“ Laut aufstöhnend vergrub Minamoto das Gesicht in den Händen. „Du bist echt nicht mehr auszuhalten. Du kannst froh sein, mit mir verwandt zu sein. Jeder andere wäre an deiner Seite längst geflohen. Wenn du mich suchst... Ich melde mich für den Kurs an, was ich dir auch vorschlagen würde. Ein Hobby täte dir gut.“
 

„Wenn du meinst, Mina-kun.“
 

Ein böser Blick und Minamoto wandte sich ab.
 

„Yuu nimmt auch dran teil.“
 

Na das war doch mal ein Grund dem Schönling auf die Finger zu schauen und ihm den Spaß zu vermiesen. Kouyou's Grinsen wurde breiter. Niemand verriet den Fangirlies sein Versteck, ohne Rache zu schmecken.
 

„Ich trag dich mit ein.“
 

„Danke, Mina-kun!“, rief Kouyou dem anderen neckend hinterher und rieb sich die Hände. Jetzt brauchte er nur noch eine Gitarre...
 

~ Rückblick Uruha Ende ~
 

Da aus Rache der Drang wuchs, besser als Aoi zu werden, wurde aus ihm das, was er heute war. Mit Minamoto pflegte er noch heute den Kontakt, doch hatte sein Cousin das Land verlassen, um seinen amerikanischen Traum zu leben. Nichts für ihn, aber da Minamoto ihn selbst auch nie hatte verstehen können, waren sie sich darüber einig, nicht über die Geschmäcker des anderen zu diskutieren, was durchaus Vorteilhaft war. Er hatte es sofort hingenommen, als für ihn feststand, das Frauen langweilig seien und er keine Enkelkinder bekommen würde. Als hätte Minamoto es Jahre lang geahnt und es nun nur bestätigt bekommen. Wie man das ahnen konnte, war ihm noch heute schleierhaft, aber er wäre nicht Uruha, wenn er hinterfragen würde.
 

„O-oh gut, ich gehe ihn holen!“, riss ihn die Sammlerin aus seinen Gedanken und ließ ihn aufschauen. Wie lange stand er denn schon reglos da?
 

Ein schwaches Nicken nur, und die Frau hechtete an ihm vorbei. Mit dem Öffnen der Tür, drang... kein Laut an seine Ohren...?
 

Alarmiert wandte Uruha sich um und folgte der stehen gebliebenen Frau.
 

„Tatsu, was hast du getan?!“
 

„Ich hab sie ruhig gestellt. Wie Sie gewünscht haben, Miss.“
 

Sowohl Uruha's als auch die Augen der Sammlerin wurden Tellergroß.
 

„Du Idiot!“
 

„A-aber Miss...?“ Verwirrt hob Tatsu die Schultern und gestikulierte stumm mit der freien Hand sein Unverständnis. In der Anderen hielt er einen zerbrechlichen Vogel, dessen Schnabel allein aus seinen Händen heraus lugte.
 

Während die Sammlerin zu den Käfigen hechtete, um nach ihrer Sammlung zu schauen, schritt Uruha zielstrebig den Mann an, der Dummerweise den Anweisungen seiner Chefin gefolgt war.
 

Doch Mitleid empfand er für diesen Mann nicht. Hätte er ein Gewissen, hätte er sie längst verpfiffen oder wäre freiwillig gegangen.
 

„Welcher Vogel ist das?“, wollte er mit zittriger Stimme wissen und hielt die Stimme gesenkt, um seine Tarnung nicht auffliegen zu lassen.
 

„Hm? Oh...“ Erst jetzt schien dem Kerl wieder einzufallen, einen zerbrechlichen Leib zwischen seinen Fingern zu haben, lockerte die Umklammerung und ließ den Kopf des Vogels frei.
 

„Scheiße... Noch mal Glück gehabt! Gib ihn mir, Tierquäler!“, zischte Uruha leise.
 

„Miss...?“
 

„Was auch immer er sagt, tu es! Wo ist dieser verdammte... Das es nur die Schnäbel sind, ist dein Glück, Tatsu!“
 

„Schnäbel?“, wiederholte Uruha fragend, nahm sich den Vogel an, dessen starken Herzschlag er deutlich über seine Finger spüren konnte, die den Vogel nur mit wenig Druck daran hinderten, ihm über die Handfläche zu fallen, und blickte sich nach weiteren Vögeln um. „Wo ist der Vogel aus dem Fernsehen?“, erkundigte er sich, denn dieser war es nicht, den er gerettet hatte.
 

„Ja, nur die Schnäbel habe ich zugeklebt, Miss. Nun sind sie ruhig.“
 

„Und können nichts mehr essen, du Idiot!“
 

„Wo ist der Vogel?“, wiederholte Uruha mit ruhiger Stimme, aber panischem Herzschlag. Er hatte Angst um den Kleinen. Auch wenn es nur ein Vogel war... Er hatte Angst. Doch sein Herz zu hinterfragen würden ihm keine Antworten bringen. Er hatte nie einen Vogel besessen. Es gab keinen Grund... Nicht das er einen wüsste...
 

Nun wandte sich Tatsu zögernd an ihn. „Der hat mir die Hände zerstochen, dieses Biest! Er müsste hier irgendwo sein... Hm...“
 

„Gut gemacht, Kleiner.“, dachte Uruha schadenfroh grinsend und wandte sich ab, damit es diesem Mann verborgen blieb. Suchte er eben selbst. Beiläufig fiel sein Blick auf die Uhr. Eile war geboten.

„Wo bist du, Kleiner?“, rief er leise, um die Vögel, die ihm in viel zu kleinen Käfigen jämmerlich begegneten, nicht zu verschrecken.

Ein rhytmisches Klicken erhob sich aus der Stille und ließ Uruha wissend lächeln. Er hörte ihn – hörte er ihn auch? - aber sah ihn nicht. In welchem kleinen Käfig war er versteckt?
 

Das metallische Klicken hielt an, schien jedoch schwächer zu werden. Die Augen schließend, lauschte Uruha der Melody, die dieses Klicken ergab. Schon wieder erinnerte es ihn an ihn... ihn... Aoi...

Sollte er den Kleinen Aoi nennen? Nein, kein Ersatz würde Aoi je ersetzen können. Es war nur ein Vogel...
 

Die wirren Gedanken aus seinem Kopf wischend, trat er nun vor, zwischen den Käfigen hindurch, und folgte dem Klicken, bis er vor einem kleinen Käfig zum Stehen kam. Als er genauer hinsah, und das Klicken verstummte, erschrak Uruha über den blutgefärbten Verband am Flügel des am Käfigboden liegenden Vogels und die Striemen am Schnabel des Kleinen. Ihm war, als schaute ihn der Vogel traurig aus seinen Kulleraugen entgegen oder vielleicht erleichtert...? Unsinn! Was interessierten ihn auch jetzt die möglichen Emotionen eines Tieres? Er musste ihn hier raus schaffen. Schnell. „Ich hole dich hier raus.“, meinte er, mehr um sich zu ermutigen und griff nach der Halterung an der Spitze des Käfigs. Als könnte ihn dieser Vogel auch verstehen. Belustigt den Kopf schüttelnd, wandte sich mit dem Käfig an der Brust um und marschierte zielstrebig durch das Gewirr an weiteren Käfigen. Diese armen Geschöpfe würden bald frei sein.
 

Erleichterung durchflutete ihn mit dem Einbruch von Licht in der Halle, welches sich durch das äußere Öffnen der metallischen Schiebetüren ergab. Das Quietschen bestätigte die Geringfinanzierung, die sich schon an den Käfigen gezeigt hatte. Eine diebische Elster diese Frau. Nichts für niemanden, aber alles für sich.
 

„Polizei, bleiben Sie wo Sie sind!“
 

„A-aber...!“, begann die Vogelsammlerin Nahe eines Ohnmachtsanfalls und warf Uruha einen bittenden Blick zu.
 

Doch Uruha wäre nicht Uruha, wenn er der Frau nur einen belustigen Blick schenken würde. Glaubte sie tatsächlich, er würde Mitleid empfinden? Dumme Frau. „Ha!“, dachte er amüsiert, zog seinen Ausweiß aus der Tasche und streckte den eingetretenden Männern diesen entgegen. „Wir hatten telefoniert, Officer.“
 

„Tatsächlich. Hm... und das ist der Vogel, dem Sie ein neues Heim schenken wollten?“
 

„Ja, bitte.“
 

„Zeigen Sie ihn den Ärzten. Man wird Sie später noch einmal wegen dem Vorfall kontaktieren.“
 

Leicht verneigend marschierte Uruha weiter zu den ausgewiesenen Ärzten, die der Polizei-Eskorte gefolgt waren.
 

Den Ausweis wieder in die Tasche stopfend, beobachtete er vertrauensvoll, wie einer der Tierärzte den Käfig öffnete und langsam in diesen hinein fasste. Als wüsste der Vogel, was auf ihn zukam, blieb er reglos liegen und ließ sich mühelos anheben und aus dem Käfig nehmen. „Entweder ist dieser Vogel sehr stark verletzt, in seiner Wahrnehmung gestört oder sehr schlau.“, meinte der zweite Arzt begeistert und übernahm das zarte Festhalten des Kopfes, damit sein Kollege den Tesafilm um den Schnabel zerschneiden kann, ohne den Schnabel selber zu verletzen.
 

Abwartend, was das Tier nun tun würde, warteten die Ärzte ab. Doch es öffnete und schloss nur instinktiv den Schnabel. Der ausgewiesene Kobato-san strich versuchshalber über die Federn am Rücken des Kleinen, der nicht verletzt zu sein schien. „Männlich.“ „Außergewöhnlicher Vögel. Schön gefärbt wie ein Weibchen und doch... Was er wohl ist?“ „Das kann ich dir nicht sagen...“ Mit großen Augen betrachteten sie den ihnen fremden Vogel aufmerksam. „Es ist nur der Flügel, der verletzt ist. Er wird nicht fliegen können.“, richtete sich Kobato-san's Kollege an Uruha, der sich nun zu ihnen gesellt hatte, um das Vögelchen selbst auch betrachten zu können. „Können Sie ihm helfen? Er hat Schmerzen.“, erwiderte Uruha besorgt und fasste allen Mut zusammen, den er brauchte, diesem fremden Tier über den Kopf zu streichen. Ganz vorsichtig und zart. Augenblicklich bogen sich seine Mundwinkel zu einem traurigen Lächeln. „Was haben sie dir nun angetan, Kleiner?“
 

„Ni klein. Ihr groß! Uru... ha.“, stieß Aoi schwach aus. Er war so müde, doch sein puckerndes Herz ließ ihn keine Ruhe. Schlug es aus Angst so schnell? Er hatte keine Angst. Das waren zwei Ärzte und Uruha. Er war an Rampenlicht gewöhnt... ja... auch wenn es drei ziemlich große Menschen waren, war er immer noch ein Gi... Vogel! Nein... Gitarrist... Nicht nur, das sein Verstand allmählich an seiner Identität zu zweifeln schien, sein Wortschatz reduzierte sich stetig. War geschah nur?
 

Uruha's Finger war mit den Lauten des Vogels zurück gezuckt. Er wusste nicht, ob es aus Mitleid geschah, aber dieses schwache Piepsen des schönen Vogels, trieb ihm Tränen in die Augen. Ungläubig blinzelte der Blonde.
 

„K-Könnten Sie... Sie sich bitte beeilen? Ich möchte ihn nach Hause bringen. In sein neues zu Hause. Zu mir...“, stotterte Uruha eingeschüchtert aufgrund seines Verhaltens und fixierte dabei weiterhin die glänzenden schwarzen Augen des kleinen Vogels. Er kam sich wieder so schwach und verletzend vor. Er hatte es doch geschafft! Warum nun so schwach...?
 

„Wenn der Flügel weitestgehend wieder verheilt ist, bitten wir sie, den Vogel noch einmal untersuchen zu lassen. Gerne würden auch wir das übernehmen. Das ist ein besonderer Vogel. Wir gehen davon aus, das es ein wildes Tier ist. Wenn Sie ihn tatsächlich langfristig halten wollen, sind Impfungen unerlässlich.“
 

„Verstehe.“
 

„N-nein! I-ich b-b-b... kein Vo!“, protestierte Aoi und schlug mit dem gesunden Flügel nach den Fingern der Ärzte.
 

„Was hat er?“, wollte Uruha sofort wissen und erhielt Schweigen.
 

Der Gitarrist hielt seine zitternden Finger fest umklammernd, während er dabei zusah, wie dem Vogel der Verband gewechselt wurde und schloss die Augen, sobald die blutigen Federn oder auch Haut zum Vorschein kam.
 

„Der Kleine wurde angeschossen.“, meinte auf einmal Kobato und Uruha war kurz davor, die Augen schockiert aufzureißen, um es selbst sehen zu können, als ein schmerzvoller Laut ihn zusammen zucken ließ. Wieder füllten sich seine Augen mit Tränen, die er hinter seinen Händen versteckt hielt. Der arme Vogel...
 

+~+
 

„Ruki wird nicht begeistert sein, wenn er dich sieht, kleiner Mann. Er verstand nicht, warum ausgerechnet ich dich retten musste. Nicht einmal ich kann ihm diese Frage beantworten. Vielleicht weil Aoi es auch getan hätte? Weißt du, er liebt Tiere und er schaut immer so sehnsüchtig den Vögeln beim Fliegen zu. Er glaubt wohl, mir entgeht das.“, druckste Uruha und krallte sich schwer einatmend in das Lenkrad. „Vielleicht wollte ich ihm etwas beweisen, mir beweisen. Wieder hat mir diese Situation deutlich gemacht, wie abhängig ich doch von ihm bin, aber ich habe es geschafft!“, stieß Uruha stolz hervor und schlug unsanft auf das unschuldige Lenkrad. Er schnaubte. „Nicht ein mal ein eigenes Auto besitze ich. Als wäre Aoi's Auto mein Eigentum. Das... kann nicht so weiter gehen.“, beschloss er unsicher und hielt an einer roten Ampel. „Ich vermisse ihn, kleiner Mann. Kennst du das? Hast du ein Weibchen? Ich verspreche dir, ich lass dich gehen, sobald du wieder genesen bist, damit du zu ihr kannst. Sicher hast du auch Kinder? Also kleine Vögelchen...? So schön, wie du bist, kannst du sicher jede haben.“ Der Blonde seufzte. „Aoi kann auch jede oder... jeden... haben...“ Abermals seufzte der Fahrer und fuhr weiter. Der kleine Vogel neben ihm piepste. Er lag in seinem viel zu kleinem Käfig, festgeschnallt auf dem Beifahrersitz und hob den Kopf soweit, um über den Käfigbodenrand zu schauen. Wenn Uruha zu ihm blickte, schien es, als sahen ihn diese kleinen Knopfaugen direkt an. Wie Ruki sagen würde: „Unsinn.“
 

„Es ist schön jemanden zum Reden zu haben, der einfach nur zuhört und da ist.“, meinte er und warf dem Vogel ein Lächeln zu, welcher abermals piepste.
 

„Was hast du, Kleiner? Hunger?“ Noch immer lächelte der Gitarrist. Es war schön, für jemanden, wenn es auch nur ein Tier war, verantwortlich zu sein. Fühlte Aoi auch so, wenn er für ihn da war? Oder war er eine Last?
 

Nachdenklich runzelte Uruha die Stirn. Dabei fiel ihm doch was ein... „Aoi's Auto hatte direkt vor meiner Haustür gestanden.“, schoss es ihm durch den Kopf und ließen ihn schlucken. Dann hatte man ihn also wirklich entführt... „Hat Ruki schon die Polizei informiert? War er... noch da...?“
 

Bedrückt atmete Uruha aus. „Wie gut du es doch hast, die Probleme der Menschen nicht zu kennen, kleiner Mann.“ Er bog in die langersehnte Abzweigung zu seinem Haus. „Ja, vielleicht beneide ich dich auch darum... Etwas... ich wün-“, begann Uruha, der seine Unmut freien Lauf machen wollte, wurde jedoch vom anschwellenden, plötzlichen Lärm, den der Vogel veranstaltete, unterbrochen. „Was hast du denn nun, hm? Du sollst dich doch schonen. Bitte, sonst bekomme ich nur Ärger.“, flehte der Blonde, schnallte sich ab, nachdem er eingeparkt hatte, und beugte sich zum Käfig hinüber. Und siehe da... die Laute verebbten.

Überrascht musterte er den Kleinen. „Danke.“ Kurz zögerte er, bevor er fort fuhr zu sprechen, während er den Gurt löste, der den Käfig fest an den Sitz presste. „Als würdest du mich verstehen würden. Du bist schon komisch, Kleiner. Hum... Ich brauche einen Namen für dich. Wie wäre es mit Shiro?“ Da der Schwarzgefiderte nicht piepste, runzelte Uruha nachdenklich die Stirn. „Nicht begeistert? Hm... Gibt es denn typische Vogelnamen?““, fragte er mehr für sich, griff nach dem Ring, der an der Käfigdecke befestigt war und hob ihn mitsamt dem Vogel aus dem Auto, um Letzteres zu schließen. Schnellen Schrittes verschaffte er sich Zugang zu seinem Haus. Die Nachbarn mussten ja nicht alles sehen.
 

„Willkommen in deinem neuen, vorläufigen, zu Hause!“, rief der Blonde begeistert und kickte die Tür hinter sich zu.
 

„Uruha?“, erwiderte jemand überrascht aus der Wohnstube und ließ den Blonden für einen kurzen Moment stocken. Wenn er hinter der Stimme nicht Ruki erkannt hätte, dann wäre ihm Aoi's eventuelle Rückkehr wohl wie ein Traum vorgekommen.
 

Verunsichert warf er dem Kleinen einen Blick zu und seufzte. „Ruki wird nicht begeistert sein.“, erinnerte er den kleinen Vogel und stellte den Käfig vorerst auf dem Boden ab, um seine Schuhe an der Garderobe zu tauschen. Erschrocken zuckte er zusammen, wie der Vogel plötzlich in aufgeregtes Piepsen überging.
 

Sich aufrichtend, fixierte Uruha den Sänger im Türrahmen zum Flur, beobachtete seine sich verändernde Mimik, bevor er seinen Kopf etwas beschämt sinken ließ, als der ungläubige Blick Ruki's auf ihn fiel. Etwas mutiger, als die Stimme des Vogels verebbte, beugte er sich zu ihm hinunter und griff lächelnd nach dem Ring am Käfig.
 

„Du hast es tatsächlich getan.“, erklang die trockene Stimme des Rotschwarzhaarigen und trat zurück, um den vorbei schreitenden Uruha in die Stube zu lassen.
 

„Ich musste ihn retten! Die Frau hat ihn gequält! Aoi hätte ihn gerettet. Schau dir den Kleinen doch an! Ein Loch im Flügel von einer Kugel. Die haben ihn gewaltsam vom Himmel geholt! Das wäre, als würde ich mir den linken Arm brechen und nicht mehr spielen können! Kai könnte nur noch mit einer Hand spielen und Reita-“, steigerte Uruha sich und fühlte wieder, das es richtig war, was er getan hatte.
 

„Du bist in den Dingen wie Aoi, hm?“, unterbrach Ruki den anderen und musterte ihn eingehend. „Geht es dir jetzt besser?“
 

„Ja!“, stieß Uruha hörbar ausatmend aus und zögerte einen Moment, weiter zu sprechen. „Ruki? Ist es okay für dich, wenn ich... na die Sache mit Aoi... Du weißt schon...?“ Unsicher blickte der Blonde drein und stellte den Käfig vorerst auf dem Wohnzimmertisch ab. Der Vogel war wieder seltsam ruhig.
 

Überrumpelt blinzelte der Angesprochene und fasste sich schmunzelnd an die Stirn. Worte musste gut überlegt sein. „Da ich sicher ganz ehrlich sein soll, muss ich dir gestehen, es bis Gestern nicht einmal gewusst zu haben, aber... auch mal ein blinder Sänger findet mal einen Kai, der ihn einweiht.“, waren zunächst Ruki's Worte und ließen sowohl Gitarrist als auch Sänger auflachen.
 

„Aber auf deine Frage genau... Es ist kein Problem für mich.“ Das er sich im Stillen lieber wünschen würde, das Reita und Aoi... damit er Kai für sich...? War das egoistisch?

Und aufgrund dieses Gedankens, nickte Ruki zusätzlich, um seine Aussage zu untermauern. Reita hätte bei Aoi sicher nie eine Chance.
 

„Danke, Nori. Ich war auch blind, weißt du...?“, lächelte er über seine eigenen Worte und schüttelte schmunzelnd sein blondes Haar.
 

„Dann kannst du nun dazu stehen?“ Ruki war vielleicht etwas blind, aber er war gut im kombinieren und diese Fähigkeit in Worte zu binden.
 

„Ja, das kann ich nun. Dank euch.“
 

„Dann lass unsere Bemühungen nicht unnütz und sag es ihm, wenn er wieder da ist.“
 

„Hast du die Polizei verständigt?“, fiel Uruha ein, nickte und setzte sich hinter dem Tisch auf die Couch.
 

„Spuren nehmen wäre nach dem Regen sinnlos und Aoi wäre doch Erwachsen genug, selbst zu entscheiden, wo und wann er hingeht und wie lange.“, schnaubte Ruki zur Antwort, umrundete den Tisch und setzte sich ebenfalls.
 

„Das ist nicht deren Ernst oder?!“, fuhr Uruha sofort auf und ließ Ruki abwinken.
 

„Alles was Arbeit ist, ist zu viel Arbeit. Ich soll mich Morgen noch mal bei ihnen melden weiter versuchen, ihn zu erreichen. Wie nur, wenn wir das Handy und das Auto habe, wie die inzwischen wohl auch aufgefallen ist, er zu Hause nicht ist und nirgendwo, wo man ihn hätte finde können. Darauf konnte ich mir sehr gut das ratlose Schulterzucken des Beamten vorstellen. Jetzt ist es schon zu spät. Morgen früh werde ich hoffentlich jemand anderen an der Leitung haben, der kompetenter ist.“
 

„Hm... Am liebsten würden ihnen die Bude einrennen! Haben die noch auf?“
 

„Nur das in der Stadt und jetzt ist Feierabendverkehr.“
 

Deutlich hörbar seufzte der Blonde auf. „Als wolle uns jemand Steine bei unserem Vorhaben in den Weg legen, ihn zu finden.“, meinte er und erschrak, als das aufgeregte Piepsen des kleines Vogel erneut anschwoll.
 

„Och der kleine ist so ruhig, da vergisst man glatt, das er im Raum ist. Diese Monster an Frau hat ihn ganz schön gequält... Hast du Hunger Shiro?“
 

„Shiro?“, wiederholte Ruki und legte den Kopf grinsend schief.
 

„Hum...“ Errötend wich Uruha den Blick des anderen aus und lenkte sich stattdessen damit ab, den Vogel aus seinem Käfig zu holen.

„Shiro-yama...“, antworte er dann doch zögerlich und seufzte melancholisch auf.
 

„Schöner Einfall. Der Name passt zu ihm und die Farben zu Aoi.“
 

„Ja, er ist voll schön!“, erwiderte Uruha schwärmend und vergaß seine Verlegenheit. „Wenn Aoi ein Vogel wäre, dann würde er sicherlich so aussehen.“
 

Lächelnd lehnte der Sänger sich zurück. „Hast du überhaupt Vogelfutter da? Shiro hat sicher Hunger.“
 

„Ich hab von einem der Tierärzte, die die Polizisten zu dieser Sammlerin bei ihrer 'Vogel'-Razzia begleitet hatten, einen Riegel erhalten. Ich werde Morgen früh losgehen und was kaufen. „
 

„Wenn Reita wieder nüchtern ist und mit sich sprechen lässt, kannst du ihm fragen, ob er noch den alten Käfig von seinem verstorbenen Wellensittich hat.“
 

„Meinst du er findet das gut? Schließlich hing er ganz schön an dem Tier.“
 

„Reita ist erwachsen genug, das nicht auf den Käfig selbst zu projizieren, oder?“
 

„Ja.“ Unsicher nickend betrachtete Uruha den inzwischen verstummten Vogel, der Mühe hatte, sich auf der weichen Hand aufzurichten.

„So unbeholfen... Wie süß!“, kicherte der Blonde und musste sich erst einmal auf das ungewohnte Gefühl dieser schuppigen, gummiartigen Füße gewöhnen.
 

Der Vogel fiel vornüber.
 

„Oh...“, machte Ruki überrascht und lachte auf. „Er hat dich gehört!“
 

„Unsinn.“, nörgelte Uruha schmollend und suchte mit der freien Hand nach dem Riegel.
 

„Das ist mein Wort.“
 

„Gar nicht!“
 

„Doch!“
 

Die Unterlippe vorschiebend, drückte der Größere dem Sänger den Riegel in die Hand. „Du kannst ihn gerne füttern.“, bot Uruha auf Frieden gesinnt an und half dem Schwarzgefiederten sich aufzurichten, was gar nicht so einfach war, wenn der eine Flügel verletzt war.
 

„Der ist ganz schön zahm. Ein Hausvogel?“, wollte Ruki verwundert wissen, robbte ganz vor zur Sitzkante und packte den Riegel aus.
 

„Er soll ein Wildvogel sein. Deswegen werde ich ihn freilassen müssen, wenn er wieder gesund ist. Er hat sicher eine Familie...“, seufzte Uruha wieder erneut mit melancholischem Ton und brachte Ruki zum Schmunzeln. „Das hätte Aoi an deiner Stelle auch getan.“
 

„Es ist auch richtig so.“
 

„Wenn du ihn nicht zu sehr an dich gewöhnst. Sei vorsichtig. Wenn Wildtiere nach Mensch riechen, werden sie von ihrer Familie nicht mehr angenommen.“
 

„Was?!“, fuhr Uruha schockiert auf, bewegte dabei leider seine Hand so ungeschickt, das der Vogel den Halt verlor und über den Rand seiner Handfläche stolperte. So schnell hatte er der Gitarristen wohl seit langem nicht hechten sehen. Wie er vor sprang, um den Kleinen zu fangen... Ungewohnt. Überhaupt war es ungewohnt, das Uruha es war, der sich um jemanden kümmern wollte oder auch musste.
 

Beide Hände wie eine Kugel übereinander faltend, lag Uruha halb stöhnend auf der Tischkante, der aufgrund seines Gewichts seitlich gekippt war und den Käfig hatte runterrutschen lassen, und halb auf dem Boden. „Uh...“

Mit geweiteten Augen und panisch schlagendem Herzen – obwohl es nur ein Vogel war, den er hatte retten wollen – hob er die obere Hand an, um hinein zu sehen. Ein verhaltenes Jubeln ausstoßend zog er die rechte Hand zu sich, in der der Vogel lag und piepste, wahrscheinlich vor Schmerzen, da er unglücklich gefallen war und linste auf seine nun schwarze Handfläche.

Mit der linken Hand – er lag noch immer in dieser seltsamen Pose - den kleinen Shiro aufrecht stubsend, blickte Uruha fasziniert über die Daumenkuppe in die gänzlich schwarzen Knopfaugen.
 

Sicher überrascht – war sein Kopf im Gegensatz zum kleinen Vogelkörper doch recht groß – sich von einem Riesen neugierig anstarren zu lassen, piepste der Kleine jäh erschrocken auf, sprang zurück und versuchte mit einem funktionierenden Flügel vorwärts zu kommen.

Jedoch hüpfte er mehr, als das er flog.

Sich über diesen Anblick amüsierend, richtete Uruha sich stöhnend auf, was mit einem heftigen Rums des Tisches begleitet wurde.

Beinahe hysterisch aufkreischend, nahm Shiro nun noch den zweiten Flügel, der ihn wirbelnd durch die Luft manövrieren ließ.
 

„Oh je.“, kommentierte der Blonde und eilte dem Vogel nach. Er wurde wohl zu sehr erschreckt. „Er soll sich doch schonen!
 

„Pass auf, das er nicht gegen die Glastüren knallt! Du hast keine Aufkleber für die Vögel dran!“, erinnerte ihn Ruki und sprang nun selbst auf, nachdem er den Riegel blindlings auf die Couch geworfen hatte, um Uruha zu helfen, den kleinen Ausreißer zu fangen. Allerdings hielt ihn ein Handyklingeln davon ab.
 

„Geh ran!“, schnaufte Uruha und fluchte leise auf. Wie sollte er Shiro fangen, ohne dessen Flügel zu erhaschen?
 

„Ruki hier.“
 

„Ich bin es.“
 

„Kai?!“,stieß Ruki überrascht und glücklich zugleich aus. „Geht es dir gut? Ist alles okay?! Hat Reita dich verletzt?!“
 

Ein dunkles Lachen, welches Ruki in Hintergrund deutlich ausmachen konnte, erhob sich.
 

+~+
 

„Der ist so zu, der tut keiner Fliege was.“, erwiderte Kai etwas genervt und zog den Bassisten, der eben wieder entwischen wollte, zu sich ran. „Hey maaaan ey!“, nörgelte Reita lallend und hatte Mühe, die schweren Lieder zu heben, um Kai einen undeutlichen, aber wütenden Blick zu schenken.
 

„Mir geht es gut. Uruha?“
 

„Der... Ach später! Wo bist du?“, wollte Ruki besorgt wissen und klammerte sich an seinem Handy fest.
 

„In einem Hinterraum des Clubs. Hab Reita etwas gestört.“, erklärte Kai und gluckste zufrieden.
 

„Und Takeru?“
 

„Der ist schon auf dem Weg zu seinen Freunden. Wenn du gesehen hättest, was die mit ihm anstellen wollten... Und das, obwohl ihr nur Volljährige rein sollten. Die Kontrolle ist unter aller Sau!“, schnaubte der Drummer wütend, seufzte und zog Reita am Arm zurück. „Lass misch!“, nölte dieser gereizt und versuchte nach Kai's Arm zu schlagen, traf jedoch den falschen Arm. Den, der nur in seinen Vorstellungen existierte. Abermals seufzte Kai.
 

„Ich wollte euch nur Bescheid geben, das alles okay ist. Ich bringe Reita gleich nach Hause und bleibe vorsichtshalber bei ihm.“
 

„A-aber-!“, wollte Ruki sogleich protestieren, unterbrach sich jedoch selbst, bevor er noch in Erklärungsnot kam.
 

„Hm? Alles okay bei euch?“
 

„Mehr oder minder... Kommt da bloß heil wieder raus. Sei vorsichtig, Kai. Bitte.“
 

„Bin ich doch immer. Dann bis Morgen, Ruki. Ich verlasse mich auf dich, das du mir ja auf Uruha aufpasst.“
 

„Hum.“
 

Kai legte auf. Reita riss nun schon seit gefühlten Minuten an seinem freien Arm.
 

„Was?“, zischte der Brünette genervt und riss seinen Arm los.
 

„Magscht mir noch?“
 

„Das überlege ich mir noch. Komm, Reita, wir gehen.“
 

„Isch mag aber nisch!“
 

„Rei, wir-“
 

„Isch mag aber nisch!“, wiederholte Reita und riss erneut an Kai's Arm.
 

„Fein, Rei... Dann bohre dir den Dolch noch tiefer in dein Herz, in dem du dir Typen aussuchst, die Aoi gleichen mögen, sie bewusstlos vögelst und am Ende doch nicht das bekommst, was du dir wünschst!“, stieß Kai wütend aus und stieß Reita von sich. Mit Tränen in den Augen wandte er sich ab. Er konnte Reita nicht länger in die Augen blicken. Der Schmerz saß tief, denn bohrte Reita nicht nur sich selbst den Dolch in der Wunde...
 

Es war still geworden. Seltsam still. Tief einatmend, zögernd, drehte der Brünette den Kopf...
 

… und stieß jäh einen überraschten Laut aus, als er erneut gepackt, zurück gerissen und auf das im Zimmer stehende Bett gedrückt wurde.
 

„Soll ich mir dich aussuchen, Uke...?“
 

Das Lallen war aus Reita's Aussprache verschwunden. Nicht gänzlich, aber der recht deutliche Satz, jagte ihm einen Schauer nach dem anderen prickelnd über die Haut und ließ sein Herz vor Aufregung schlagen.
 

„...“
 

„Nein, Rei! Du bist betrunken!“
 

Rums.
 

Schwer atmend, fassungslos über das Gesagte und seiner Reaktion, starrte Kai hinauf zur Spiegelbehangenen Decke und sah aus den Augenwinkeln, wie Reita benommen versuchte, sich vom Boden aufzurichten, auf den er ihn geschubst hatte.
 

Das konnte ja noch heiter werden...
 

+~+
 

„Juhuu! Kai geht es gut!“, rief Ruki erleichtert und folgte dem vorbei hechtenden Uruha mit hüpfenden Schritten.
 

„Hum! Takeru?!“, schnaufte der Blonde und war erleichtert, das Shiro offensichtlich etwas an Panik verloren und nun auf der Stelle fliegend inne hielt.
 

„Auch gu- Wah!“, stieß Ruki in seiner Heiterkeit panisch aus, war gestolpert und riss die Augen weit auf, als seine Hände den Sturz abfangen wollten und stattdessen Uruha vorstießen, der rudernd sein Gleichgewicht suchte.
 

Laute Laute ausstoßend, setzte sich Shiro erneut in Bewegung – war ein mit den Armen rudernder Riese doch auf ihn zu gekommen – und suchte Schutz im nächstbesten Raum, dem Schlafzimmer.
 

Gerade noch hatte Uruha sich an der Wand abstoßen und zum Stillstand kommen können. Glück im Unglück gehabt, wie man so schön sagte. „Ruki, du Tollpatsch!“, seufzte der beinahe Gefallene genervt und sah sich um. „Lass mal lieber... Ich fange ihn selbst.“
 

„Tut mir Leid, Großer!“
 

„Schon gut, Kleiner.“, stichelte dagegen Uruha, klopfte Ruki auf die Schulter und lief eilig den Lauten des Vogels nach, um zunächst die Tür des Schlafzimmers hinter sich ins Schloss fallen zu entlassen. Hier entkam er ihm nicht.
 

Beinahe schon bösartig grinsend, ging Uruha in Kampfstellung, was von dem Schwarzgefiederten keine Beachtung erhielt. „Na gut, dann eben wie zuvor, wenn du nicht freiwillig aufgeben willst.“, drohte der Blonde, dem das Spiel allmählich zu Gefallen schien, lief vor und haschte wie zuvor auch nach dem Tier.
 

Zu spät bemerkend, das er den Vorhang seiner versteckten Kammer nicht gänzlich hinter die kleine, schiebbare Kommode verstaut hatte, entwischte ihm Shiro durch einen schmalen Spalt. Die laute verebbten abrupt.
 

Unruhig werdend schob Uruha die Kommode und den Vorhang weg und trat ein, nur um dann fest zu stellen, wie Shiro fiel und nicht mehr mit den Flügeln schlug.
 

Es kam ihm vor wie ein Deja-vú, wie er erneut vor hechtete, auf die Knie ging, die schmerzlich an seiner Hose rieben, und die Hände nach dem Kleinen ausstreckte. Knapp über dem Boden hatte er ihn.
 

Doch zum Jubeln blieb keine Zeit. Der Kleine regte sich nicht.
 

Hatte ihn der Anblick seines Schreines, der er für die Band und vor allem Aoi in seiner Sammlerwut angelegt hatte, so die Luft geraubt?
 

So zumindest, könnte Uruha sich erklären, warum der Brustkorb Shiro's sich nicht mehr regte. War es vielleicht die Aufregung?!
 

Fluchend legte er den Kleinen am Boden ab. „Hey...! Lass mich jetzt nicht im Stich! Du bist doch der Erste, um den ich mich kümmere! Du kannst nicht vor meinen Augen sterben, kleiner Mann!“
 

Sich verzweifelt über den kleinen Körper beugend, die gläsernen Knopfaugen betrachtend, zögerte Uruha nicht lange, ehe er sich weiter hinab beugte und selbst die Augen schloss.
 

Es kam ihm wie ein seltsamer Traum vor.
 

Dieser Vogel erinnerte ihn so sehr an Aoi...
 

„Ich wünschte, es wäre wie in diesem Märchen... Das der Prinz Uruha seinen verwünschten Prinzen Aoi mit einem Kuss errettet und der Zauber verfliegt.“
 

Eben noch die spitz zulaufend geformten Lippen über die Schnabelspitze stülpend, und Luft in den kleinen Körper pustend, um mit einem Finger den Brustkorb Shiro's zu pumpen, nun ein weiches Gegenpaar weicher Kissen spürend, riss Uruha ungläubig die Augen auf und sprang zurück, als er mit Schrecken erkannte, wessen Gesicht sich mehr und mehr zwischen ausfallenden Federn hervor hob.

Sich zwickend, krabbelte der Blonde zurück gegen die Wand und stieß sich am noch vorhandenen Türrahmen den Kopf. Das konnte kein Traum sein! Dafür schmerzte die Realität zu sehr!
 

„A-Aoi?!“
 

Wiese hatte Aoi überall Federn?! Waren das Flügel...? Und das Blut...?!
 

Überfordert zog er die Beine an. Ein schlechter Scherz... oder?!

Aoi konnte nicht der Vogel gewesen sein!
 

Unsinn!
 

Die Augen aufreißend, klappte ihm der Mund auf. Der Brustkorb dieses Mannes hatte sich erhoben, fiel dann abrupt zurück und hob und senkte sich stetig, als wäre dies das Normalste!

Das konnte nicht normal sein! An seiner Stelle war eben noch Shiro gewesen!
 

Er schluckte. Diese nackte Brust kannte er...
 

Inzwischen war auch das Gesicht des Mannes entblößt von Federn.
 

Das konnte nicht Aoi sein... Nein!
 

„Kou...“
 

Uruha verschluckte sich an seinem Speichel.

Hustend fiel er nach vorn auf die Knie und blickte zaghaft in die Augen von...
 

... Aoi?!
 

„Oh Gott... Das kann nicht...“
 

Ungläubig, inzwischen tränend, stürzte er vor, die Verwandlung der Hüfte abwärts verlegen ignorierend, und fasste nach Aoi's Gesicht.
 

„Mein Prinz.“, lächelte Aoi und ließ Uruha zurück zucken, als als dessen Hand nach seinem Gesicht fasste und sanft über seine Wange strich.
 

Das war zu viel des Zufalls...
 

„Spiel nicht mit mir, Aoi! Wo kommst du her?! Was... Was ist mit Shiro?!“
 

„Shiro?“, verwirrt blinzelnd, wich die Hand des Schwarzhaarigen von seiner Wange.
 

Nein... Nein!
 

Aoi's Hand wieder an seine Wange pressend, strich der Blonde ungläubig durch dessen weiches Haar, aus dem sich vereinzelt noch Federn lösten.
 

„Das kann nur ein schrecklicher Traum sein...“, schluchzte Uruha und strich zögernd über den zerkratzten Mund des halb unter ihm Liegenden. Deutlich spürte er den Herzschlag des anderen.
 

„Aber ich bin doch hier... Kou...?“
 

Tränen, die auf seiner Haut aufschlugen, ließen Aoi allmählich aus seiner Benommenheit erwachen.
 

Besorgt fuhren seine zitternden Finger über die weiche, aber errötete Haut unter Uruha's Augen. „Sei doch nicht traurig.“
 

„Aoi...“ Beinahe wimmernd kuschelte der Größere sich an den anderen. Wie gewöhnlich Schutz suchend.
 

Und wie gewöhnlich, schloss sich Aoi's Arm um seinen Körper und verringerte so den Abstand ihrer Oberkörper bis auf ein Minimum.
 

„Ich liebe dich, Yuu...“, entfloh es Uruha verzweifelt, ob nun wirklich real oder doch Traum und bemerkte deutlich die Versteifung des Kleineren. Als sein Körper auch noch seitlich auf unzählige, schwarze Federn gekippt wurde und der starke, unverletzte Arm seines Freundes ihn frei ließ, war sich Uruha sicher, wieder alles verloren zu haben. Sein Körper bebte. Er konnte nicht mehr... Er...
 

„Sag, wie kann ich dir deine Traurigkeit nehmen, Kou...? So... vielleicht?“
 

Uruha blieb keine Zeit, um angemessen zu reagieren, da wieder dieses Kratzen... jedoch der Schorf der zerkratzten Lippen, seine Wangen berührten und leichte Küsse auf der aufflammenden Haut hinterließen. Sprachlos versuchte er eine Erklärung hinter den selten dunklen Augen zu erkennen.
 

Es musste ein Traum sein.
 

Es... konnte gar nicht anders sein!
 

Und doch legten sich die Arme des Träumers um den nackten Oberkörper Aoi's.
 

„Bitte... Lass das kein Traum sein.“
 

„Dir bleibt keine Zeit zum träumen. Ich habe dich vermisst, mein Prinz... Ich liebe dich auch, Kou.“
 

Überrascht nach Luft schnappend, wurde Uruha's aufkeimender Protest durch Lippen unterbrochen.
 

Eine einzelne Träne quoll hinter geschlossenen Lidern hervor.
 

Ein wirklich faszinierender Traum...



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kanoe
2011-06-08T09:50:01+00:00 08.06.2011 11:50
ah sehr sehr schön
ichb in gespanntn wie das mit kai und reita und ruki noch weitergeht

Von:  Astrido
2011-06-05T22:07:29+00:00 06.06.2011 00:07
sehr interessantes kapitel und lang, das ist toll!! gefällt mir sehr gut.
der wunsch von uruha ist zwar merkwürdig, aber der löst das problem auf eine sehr bewundernswerte art! vor allem, hat uruha seinen wunsch jetzt auch verbraten, sodass kein missgeschick mehr passieren kann<!!#

ich bin sehr gespannt, was mit kai jetzt passiert. aber wahrscheinlich pennt reita einfach ein^^
und mit ruki, der ja wohl iwie in kai verliebt ist?
lg
mayu


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