Die Klippe
Schwindelerregende Höhe. Ich gehe noch ein Schritt auf den gähnenden Abgrund zu.Mir
wird schlecht vor Angst und ich zittere am ganzen Leib. Der Kick besiegt die Angst. Ich spiele
mit dem Gedanken zu springen.
Ich bin als Fotografin hier, ein Prospekt für die Bergtour durch die Highlands anfertigen. Offi-
ziell!
Ich habe manische Höhenangst... Trotzdem bin ich hier und schaue diese Klippe hinunter,
die ich gerade ohne Sicherung bestiegen habe. Auf der Tour sind nur Männer, ich bin die ein-
zige Frau. Sie meinen die ganze Zeit, Frauen haben in den Bergen nichts zu suchen, sind zu
weich und haben keinen Mumm in den Knochen. Pah, dass ich nicht lache, ich habe ohne
Seile, ohne Tagelange, diese Steilklippe erklommen.
Das Adrenalin weicht, ebenso wie die Angst und die Gedanken an einen Sturz in die Tiefen.
Doch mein ganzer Körper zittert. Mir ist als wenn meine Muskeln nachgeben wollen. Plötz-
lich kommen zwei starke Arme von hinten, halten mich. Langsam kehrt alles von mir Hier
und Jetzt zurück und ein löse meinen Blick von diesem Abgrund. Eine vertraute Stimme redet
in einer mir fremden Sprache. Beruhigend!
Ich wende den Blick von der Klippe und verberge mein Gesicht weinend an der Brust des
Mannes, der mich umarmt. Die Last der Anspannung fällt von mir ab und die Tränen rinnen
wie Bäche über meine Wangen. „Es ist alles okay. Du bist doch oben. Bitte spring nicht.“ Ich
muss lachen, das Flehen in seiner Stimme bei einem solchen Satz, hätte ich nie erwartet. Er
der ruhige und zurückhaltende, der mich ignoriert, will mich retten. Plötzlich fällt mir auf,
dass er, als ich da stand, auf mich eingeredet hatte. Ich hatte keins dieser Worte wirklich
gehört, doch jetzt kam mir ihre Bedeutung in den Sinn...
„Nie! Niemals würde ich weggehen, ohne mich zu verabschieden und ich hoffe doch die
ganze Zeit, dass ich dir nie Auf Wiedersehen sagen zu müssen.“
Meine Familie und Freunde haben sich im Verdacht auf meinen Tod von mir verabschiedet.
Doch nun bin ich in Wirklichkeit von den Toten auferstanden.