Der Engel
„Du hast Nerven!“
Fast schon vorwurfsvoll sprach er mit dem Weißhaarigen, wo er doch eigentlich wusste, von welcher Sorte dieser war und dass solche Aktionen durchaus nichts Neues bei ihm waren.
„Hast du etwa geglaubt sie würden dich mit offenen Armen empfangen, wenn sie dich dort entdecken?“
Seufzend schüttelte Minato den Kopf. All die Jahre, die er nun in Konoha lebte, und auch jetzt als vierter Hokage dieses Dorfes, war es ihm noch immer schleierhaft, warum ein Mann sich immer wieder solch einem Risiko aussetzt, nur um ein paar jungen Damen beim umziehen zuzugucken.
„Najaaaa, aber du musst doch zugeben, dass so junge Mädchen in Engelstrachten doch auch ihren Reiz haben, oder nicht?“, grinste Jiraiya lüstern.
Voller Skepsis hob der Blondschopf eine Augenbraue: „Aber wäre es dann nicht weitaus ungefährlicher gewesen, sie einfach in der Engelstracht bei der Weihnachtszeremonie zu bewundern, anstatt sie beim Umziehen zu bespannen?“
„Das wäre ja langweilig“, schüttelte der Weißhaarige den Kopf. „Der Reiz liegt doch darin, dass ich als einziger weiß, wie diese Engelchen unter ihren Gewändern aussehen.“
Wieder konnte Minato nur seufzen. Ja, sein Lehrer war wirklich unverbesserlich. Aber so kannte er ihn und das war auch gut so. Und solange Tsunade nicht das Objekt seiner Begierde war, brauchte er sich um Jiraiya auch keine Sorgen machen. Schließlich hatte sie den alten Perversling beinahe wegen so einer Aktion ums Leben gebracht.
„Na komm, lass uns gehen. Die Zeremonie fängt jeden Augenblick an“, und mit einem Klopfen auf die Schulter seines ehemaligen Lehrers bewegte er diesen auch gleich zum Gehen. Wie an jedem Heiligen Abend gab es in Konoha eine spezielle Weihnachtszeremonie, wo sich alle versammelten – zumindest die, die auch was für Weihnachten übrig hatten - um gemeinsam zu feiern und sich die eigens dafür vorbereiteten Darbietungen anzuschauen. Minato und Jiraiya drängelten sich etwas zwischen die Massen, um auch eine gute Sicht zur extra für diese Veranstaltung aufgebauten Bühne zu erhalten. Es herrschten zwar Minusgrade und auch hatte der Winter schon überall im Dorf und in seiner Umgebung seinen weißen Puder verteilt, jedoch war es inmitten der vielen Menschen sogar angenehm warm.
„Wo bleibt eigentlich deine Liebste?“, fragte der Eremit und sah sich derweil um. „Sollte sie nicht auch hier sein?“
„Ist sie auch“, meinte der Blondhaarige mit dem Blick zur Bühne gerichtet.
„Wo?“ Er konnte sie zumindest im Publikum nirgends sehen. Doch als die Zeremonie dann eingeleitet wurde und er nun auch seinen Blick zur Bühne richtete, sah er sie schließlich im weißen Engelsgewand zusammen mit vier weiteren, etwas jüngeren Engelsdarstellerinnen, die vielleicht alle einen Kopf kleiner waren als sie. Gemeinsam tanzten sie zur Overture und Kushina sah wahrlich aus wie ein Engel. Nicht nur wegen ihres Kostüms, sondern vielmehr wegen ihrer geschmeidigen Bewegungen und auch ihrer gesamten Ausstrahlung. Für Minato war sie definitv ein Engel. Auch außerhalb dieser Veranstaltung. Sie war viel mehr als das. Er liebte sie und er würde seinen Engel niemals mehr hergeben, dass hatte er sich geschworen. Wer auch immer sie vom Himmel gesandt hatte, demjenigen würde er auf ewig dankbar sein.
Als die Overture vorbei war, verneigten sich noch alle fünf und verließen grazil die Bühne. Minato behielt seinen Blick jedoch weiterhin auf selbige gerichtet. Er war noch versunken in seinen Gedanken und wirkte dabei ziemlich verträumt. Jiraiya musste etwas grinsen, als er seinen ehemaligen Schüler so betrachtete und weckte ihn durch einen leichten Ellbogenstoß in die Seite aus seinen Gedanken.
„Wird's nicht langsam Zeit, dass ihr heiratet?“, meinte der Sannin weiterhin grinsend. Sie waren ja schließlich nun seit einiger Zeit zusammen und jeder im Dorf wusste, was für ein glückliches Paar sie waren. Bei dieser Frage wurde der junge Hokage etwas rot.
„Ach, da lassen wir uns noch etwas Zeit“, meinte dieser schmunzelnd. Auch was die Familienplanung anging hatte er noch keine genauen Vorstellungen. Schließlich waren sie noch jung und als Hokage hatte er auch recht viel zu tun. Dennoch wünschte er sich insgeheim einen Sohn, einen lebhaften kleinen Jungen, dem er alles beibringen konnte, was ihm auch sein Lehrer beigebracht hatte.
Nach der Aufführung machte sich Minato erstmal auf dem Weg hinter die Bühne, wo Kushina derweil mit ihren anderen Kollegen genüsslich eine heiße Tasse Glühwein schlürfte. Er betrachtete sie einen Moment lang, ehe sie sich zu ihm drehte und ihn mit ihren strahlend blauen Augen ansah.
„Oh, da bist du ja“, lächelte sie, ging auf ihn zu und gab ihn einen kurzen, aber sanften Kuss auf den Mund, den er ebenso sanft erwiderte.
Sie war sein Engel. Und das würde auch immer so bleiben, selbst wenn der Tod die beiden friedlichen Seelen erwartet.
