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Im Schatten der Steine

Die Reise in eine neue Welt könnte dich von Grund auf verändern...
von

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Stille

Oft habe ich versucht, die Erinnerungen zu verdrängen. Ich wollte sie aus meinem Leben brennen, doch ich wusste auch, dass Narben bleiben würden.

Gestern ging ich spazieren. Ich lief durch die Wälder und sah das Leben um mich herum, wie es sich vollends in seiner schier unbeschreiblichen Pracht entfaltete. Die Vögel zwitscherten in geselliger Runde ihr Lied. Das Laub raschelte von den kleinen Waldbewohnern, die flink hindurch flitzten, so schnell, dass sie verschwunden waren, noch ehe man sie sehen konnte. Die Strahlen der Sonne drängten sich durch die dichten Blätterkronen der Bäume, die so nahe beieinander standen, dass unzählige Spinnen mühelos ihre zarten Netze zwischen ihnen weben konnten.

Es war die wundervolle Stille des Waldes, die einem Frieden gibt und zur Besinnung kommen lässt, doch ich konnte sie nicht genießen. Ich konnte mich nicht verlieren in den Klängen der Vögel, im Knistern des trockenen Laubes, im Rauschen des Windes…

Ich war in meiner eigenen Welt gefangen und dort gab es keine Vögel, keinen Wind und keine Sonne. Dort gab es nur Dunkelheit. Ich war gefangen in einem Käfig, den ich mir selbst erbaut hatte.

Ich weiß nicht wieso ich an diesen Moment gestern im Wald denke. Jetzt sitze ich in meinem kleinen Zimmer, das mir öd und leer erscheint, seit jenen Tagen. Vor meinem Fenster höre ich das geschäftige Treiben auf dem Markt. Ich höre die Marktschreier, die lauthals ihre Ware anpreisen. Leute lachen unbeschwert und genießen den Tag. Auch heute scheint die Sonne. Es ist ein warmer, wundervoller Frühlingstag, doch ich sitze in meinem dunklen Zimmer hinter vorgezogenen Gardinen.

Schon immer habe ich hier gesessen. Jeden Tag habe ich die Stunden an mir vorbeiziehen lassen und habe nachgedacht, doch jetzt habe ich mich entschieden. Ich werde mir alles von der Seele schreiben. Vor mir liegen ein Block und ein Stift, sie warten darauf, dass ich anfange. Die Geschichten, all diese Erinnerungen, die mir fast das Herz zerreißen, sie warten nur darauf, aus meinem Innersten heraus zu brechen.

Es ist die Wahrheit, vom Anfang bis zum Ende, auch wenn ich das Ende gerne anders schreiben würde. Wie oft habe ich daran gedacht, es zu ändern. Ich gaukle mir selbst eine heile Welt vor, doch diese wird es niemals geben. Nun werde ich es genau so erzählen, wie es sich zugetragen hat. Ich habe keine Angst. Auch wenn Tränen meinen Blick trüben werden, werde ich weiter schreiben. Unermüdlich, bis auch der letzte Satz, der letzte Buchstabe, zu Papier gebracht ist.

Wo soll ich beginnen? Ich weiß, wo ich aufhören werde, doch der Anfang ist schwierig. Es ist schon so lange her, doch mir ist, als wäre es gestern gewesen…

Ich reise zurück in eine längst vergangene Zeit. Auch damals sangen die Vögel. Die Luft war klar und rein. Eine ungetrübte Landschaft hoch in den Bergen. Ich folge den Spuren in die Vergangenheit.

Zwei Mädchen, die einen Pfad hinaufsteigen, die eine wütend, die andere entspannt. Könnt ihr sie sehen? Sie laufen hinauf zum ersten Schauplatz des Geschehens. Ein leichter Anfang für eine schwere Geschichte.

Eine Ruine auf dem hohen Berg, nur noch Steine und Geröll. Nur schwer kann man erkennen, was sich dort einst ereignet haben muss; und mittendrin steht ein weiteres Mädchen. Ihr Haar, verweht vom Wind. Ihre Augen, geschlossen. Sie träumt einen unbeschwerten Traum. Sie lebt ihr noch unbeschwertes Leben...

Dämmerlicht

--- So oft zerreißt die Nacht den Schleier meiner Welt,

ich spür so oft wie meine Wirklichkeit in sich zerfällt.

Ich sehe Wellen, die hoch in den Himmel ragen,

sie werden mich in neue Erfahrungen tragen. ---
 

Es war ein warmer, sonniger Frühlingstag. Zart öffneten sich die ersten Blüten den Strahlen der Sonne. Eine leichte Brise, die in der Hitze des Tages eine wohltuende Erfrischung bot. Entlang des azurblauen Himmels erstreckte sich eine Bergkette, deren höchste Hügel sich in den weißen Wolken verloren. Es war ein wundervoller Anblick, der sich einem bot, wenn man auf dem Plateau der Ruine gegenüber diesen Bergen stand.

Brianna lehnte am Rest einer zerfallenen Burgmauer. Ihre Augen waren leicht geschlossen. Nur umrisshaft konnte sie noch die zerfallene Burg sehen. Es waren nur Reste, die erahnen ließen, wie prächtig diese Burg einmal gewesen sein musste. Doch Brianna erfüllte diesen Anblick mit neuem Leben. Hinter ihren Lidern entstand das Bild der Burg aus einstigen prunkvollen Tagen. Mauern streckten sich in den Himmel. Hinter ovalen, kunstvoll verzierten Fenstern spielten Kerzenlichter mit den Schatten an der Wand. Brianna hörte die Trompeten so klar und deutlich, als würde sie direkt daneben stehen. Ihre Fantasie trug sie weit fort. In eine Welt voll Mythen und Legenden. In ihre Träumereien versunken merkte sie nicht einmal, wie sich ihre Freundinnen näherten.
 

Fluchend stolperte Yvonne den steinigen Pfad zum Plateau hinauf. Immer wieder knickte sie um oder fiel über kleine Kieselsteine. Bei einem kurzen Blick zu Sophie, die leichtfüßig und elegant fast über den Boden zu schweben schien, wurde sie noch wütender. Sie gab ein kurzes unwilliges Schnauben von sich, was ihr die Aufmerksam ihrer Begleiterin einbrachte. Diese drehte sich zu ihr um und blieb augenblicklich stehen, als sie das Elend den Berg hinaufhumpeln sah. Sie streckte ihr die Hand entgegen, doch Yvonne ging stolz mit erhobenem Kopf daran vorbei.

„Du hättest ruhig ein paar Worte über diesen unmöglichen Weg verlieren können! Hier kann man keine zwei Schritte gehen ohne hundert Mal zu stolpern!“, schimpfte Yvonne, als sie oben bei Brianna angekommen war.

Aus ihren Gedanken aufgeschreckt, starrte die Träumerin sie verwirrt an. Seufzend schüttelte sie den Kopf, als sie Yvonnes Pumps sah. Sophie zuckte nur mit den Schultern.

„Das hättest du wissen müssen… Wir haben schließlich davon gesprochen, den Berg hinauf zu gehen.“, erinnerte Sophie ihre Freundin.

„Zieh doch die Schuhe aus. So wie ich.“, schlug Brianna vor, doch dafür erntete sie nur einen verächtlichen Blick.

„Bist du verrückt! Ich laufe in diesem Dreck doch nicht barfuss!“

Brianna ließ seufzend ihren Kopf hängen. Sie hatte es Yvonne noch nie recht machen können.

„Ich glaube, es wird Zeit. Wir müssen zurück.“, informierte Sophie die beiden anderen, wobei sie auf ihre Uhr deutete. „Die Freistunde ist bald vorbei und der Bus ist auch gleich da.“

„Du hast Recht.“, stimmte Bree ihr zu.

„Wie bitte?!“, wetterte Yvonne. „Heißt das, ich bin diesen ganzen Weg umsonst hoch gekraxelt?! Ich habe noch keine fünf Minuten verschnauft!“ Demonstrativ ließ sie sich auf einen Stein sinken und schlug ihre Beine übereinander.

„Yve, jetzt spiel nicht die Beleidigte. Wir können doch auch nichts dafür, wenn du für die paar Meter so lange brauchst.“, bemerkte Brianna. Yvonne schnaubte nur entrüstet: „Ich werde keinen Fuß mehr auf diesen vermaledeiten Boden setzen!“

Sophie, die das ganze bis jetzt still beobachtet hatte, ging nun zu Yvonne und kniete sich vor ihr hin.

„Dann komm. Ich nehme dich Huckepack, aber lass uns endlich aufbrechen, sonst kommen wir zu spät.“

Yvonne riss vor Staunen die Augen weit auf und auch Brianna war überrascht von ihrer Freundin. Ohne weitere Worte stieg Yvonne auf Sophies Rücken und schlang ihre Arme um deren Hals. So gingen die drei den Bergpfad wieder hinunter.

Auf der Hälfte des Weges hatten sie bereits eine gute Sicht auf die Bushaltestelle. So konnten sie sehen, wie der Bus gerade um die Kurve bog. Mit lautem Quietschen kam er an der Haltestelle zum Stehen. Brianna drehte sich zu den beiden anderen um.

„Den müssen wir kriegen, sonst verpassen wir die nächste Stunde.“, sagte Sophie mit besorgtem Blick zu ihr.

„Ich renne. Vielleicht schaffe ich es noch.“, antwortete Brianna und lief los.

Plötzlich spürte sie einen Stein unter ihrer Sohle wegrutschen. Sie geriet ins Straucheln. Vor ihren Augen konnte sie schon den Boden näher kommen sehen.

Doch sie konnte gerade noch ihr Gleichgewicht halten und hastete sofort weiter. Als sie unten ankam, fing sie an wie wild mit den Armen zu fuchteln.

„Halt! Sie müssen auf uns warten!“, schrie sie. Der Busfahrer schien sie jedoch nicht zu bemerken. Die Türen des Busses wurden in dem Moment geschlossen, als Bree ankam. Laut hämmerte sie gegen die Scheiben. Der Fahrer sah sie einen Augenblick lang an und es sah fast so aus, als würde er die Türen wieder öffnen. Seine Hand griff nach unten, doch plötzlich merkte Bree, dass anstatt, dass die Türen sich öffneten, sich der Bus in Bewegung setzte. Noch einmal klopfte sie verzweifelt gegen die Scheibe, doch der Fahrer zuckte nur mit den Schultern und gab Gas. Bree sank auf die Knie. Sie war maßlos enttäuscht.

Einen Herzschlag später kam Sophie mit Yvonne unten an.

„Auf dich ist echt kein Verlass! Ich frage mich, wie du es nur…“, begann Yvonne, doch ein scharfer Seitenblick von Sophie brachte sie zum Schweigen.

„Ich bin gerannt wie eine Verrückte, fast gestolpert und als ich hier ankam, hat doch dieser Möchtegern von Busfahrer einfach die Türen vor meiner Nase geschlossen und ist abgefahren. Ich habe gegen die Tür gehämmert, doch es hat nichts gebracht. Ich kann nichts dafür, dass der Bus weg ist.“

„Niemand macht dir Vorwürfe, Bree.“, versuchte Sophie sie zu beruhigen. „Nun ist es halt passiert. Daran lässt sich nichts mehr rütteln.“

Brianna stützte sich mit der Hand vom Boden ab und stand auf.

„Der nächste Bus kommt erst in einer Stunde. Damit ist die Schule für heute wohl gelaufen.“
 

Als Brianna am Abend in ihre weichen Kissen fallen konnte, war sie froh, den Tag hinter sich zu haben.

Der Bus war weg und so hatten sie beschlossen, nicht mehr zur Schule zu fahren, sondern stattdessen gleich nach Hause zu gehen. So liefen sie den Weg zur Stadt. An der großen Kreuzung trennten sie sich, da jede in eine andere Richtung musste.

Zu Hause warteten bereits Briannas Eltern auf sie. Ihr Vater stand in der Tür von der Küche zum Flur mit verschränkten Armen und wütenden Blick, während ihre Mutter in der Küche am Tisch saß und mit ihren Fingern auf die Tischplatte trommelte.

„Die Schule hat angerufen, Fräulein!“, begrüßte ihr Vater sie streng.

„Es tut mir leid, aber…“, versuchte Brianna sich zu erklären, doch bevor sie ausreden konnte, hatte ihr Vater ihr schon eine schallende Ohrfeige verpasst.

Bree fasste sich an die schmerzende Wange. Tränen schossen in ihre Augen. Sie glaubte kurz, Sorge und so etwas wie Reue im Blick ihres Vaters erkennen zu können, doch seine Worte zerstörten diesen Glauben sofort.

„Geh auf dein Zimmer! Ich will keinen Mucks mehr von dir hören!“ Seine Stimme war hart und streng, kein Funken von Reue strahlte durch diese Härte hindurch.

Bree sah zu ihrer Mutter. Diese saß immer noch am Tisch, die Arme verschränkt und sah sie enttäuscht an. Dieser kalte Blick kränkte Brianna weit mehr als die Ohrfeige ihres Vaters.

„Warum tut ihr das?! Es war ein Versehen, aber ihr wollt mich einfach nicht verstehen, oder?!“, schrie sie und rannte nach oben in ihr Zimmer. Sie knallte die Tür so kräftig ins Schloss, dass es einen Rückschlag gab und die Tür sofort wieder aufsprang. Daraufhin knallte sie diese noch einmal, etwas schwächer diesmal, aber immer noch stark genug, um einen Heidenkrach zu verursachen.

„Schmeiß die Türen nicht so, Fräulein!!! Das ist nicht dein Haus!!!“ Brianna hörte das Geschrei ihres Vaters, doch sie achtete nicht mehr darauf. Heulend kroch sie unter ihre Bettdecke und nach einer Weile schlief sie ein.
 

Nun lag sie in wach ihrem Bett und stierte zur Decke. Das Windspiel, das am offenen Fenster hang, wurde vom Wind sachte hin und her geschwenkt und spielte eine zarte Melodie, die überaus beruhigend auf Brianna wirkte. Langsam hatte sie wieder Ruhe gefunden. Ein kurzes Schläfchen hatte sie den Streit mit ihren Eltern fast vergessen lassen. Sie verdrängte die letzten Reste dieser Erinnerung, denn im Moment gab es wichtigeres für sie. Sie hatte einen merkwürdigen Traum gehabt und dieser beschäftigte sie nun schon eine ganze Weile. Noch ehe die Mühlen des Alltags sie alles vergessen lassen konnten, ging sie zu ihrem Schreibtisch. Den Stift, der neben einem aufgeschlagen Buch lag, in die Hand nehmend, kramte sie in den Erinnerungen an den Traum und begann zu schreiben:
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

>Wie kann man einen Traum erklären? Die Grenze zwischen Realität und Imagination verschwimmt. Oft bleiben Träume im Verborgenen, sind nur unsere stillen Begleiter. Doch, manchmal, da zeigen sie sich uns. Dann muss man sofort handeln, denn ein Traum ist aus der Erinnerung so schnell entschwunden wie der Nebel von den Feldern zur frühesten Morgenstunde. Mein Tagebuch und mein Stift sind stets in meiner Nähe. Immer bereit, neue Erfahrungen in sich aufzunehmen – Träume und Erlebnisse. Der Stift, geführt von meinen Gedanken, gleitet über das Papier und formt Buchstaben, die sich zu Wörtern und Sätzen reihen. So lange, bis auch der letzte Winkel in meiner Erinnerung erforscht und aufgeschrieben ist.

Manchmal sehe ich in meinen Träumen die Zukunft. Manchmal die Vergangenheit.

Ich sehe die Zukunft jedoch nicht so wie sie geschieht. Auch sehe ich die Vergangenheit nicht so wie sie war. Ich sehe die Möglichkeiten. Wie könnte es sein, wie hätte es sein können.

Mein Leben erscheint in meinen Träumen in einem anderen Licht. Das ist es, was meine Träume für mich so wertvoll macht. Der Grund dafür, dass ich sie zu Papier bringe.

Im Moment denke ich an den Traum, den ich noch vor so wenigen Herzschlägen geträumt habe. Es war ein seltsamer Traum, doch irgendetwas in mir schreit danach, ihn aufzuschreiben. Noch verstehe ich ihn nicht, doch seine wahre Bedeutung würde sich mir vielleicht irgendwann erschließen.

So fange ich nun an ihn hier aufzuschreiben:
 

„Es war Dämmerung, die Zeit, in welcher der Mond schon silbrig-weiß am Himmel steht, doch die Sonne noch nicht bereit ist, Abschied zu nehmen. Allmählich jedoch ergriffen die Schatten der Nacht Besitz von der Umgebung. Sie hüllten den Wald in eine mir unheimliche Düsternis. Die Bäume fingen an, ihre wahren Gesichter zu zeigen. Verzogene Fratzen, geifernd nach unschuldigen Wanderern in der Nacht. Ich war eine von diesen ahnungslosen Nachtschwärmern und ich fühlte förmlich die spitzen Krallen der ausgestreckten Äste auf meiner Haut. Pure Panik ergriff mich und ich rannte los. Ich lief, ohne Ziel und jegliche Orientierung. Nur weg von diesem Ort. Immer wieder stolperte ich über Wurzeln und schrammte an den Ästen entlang. Die Bäume versuchten mich aufzuhalten. Sie wollten mich nicht gehen lassen. Ich aber gab nicht auf. Immer weiter und immer schneller lief ich.

Irgendwann entdeckte ich eine Höhle. Ein grünlicher Lichtschimmer strahlte im Inneren und durchbrach in nebligen Schwaden die Finsternis des Waldes. Nach diesen furcht einflössenden Kreaturen, geboren in der schwarzen Nacht, wollte ich nur noch eins: Licht, auch wenn es mir noch so merkwürdig erscheinen mag. Also ging ich in die Höhle.

Das grüne Licht umgab mich und hüllte meinen ganzen Körper in diesen schimmernden Schein. Es fühlte sich warm an, trotzdem sträubten sich mir meine Nackenhaare. Mein Blick war getrübt, nur schwer konnte ich erkennen, dass ich von so etwas wie Steinsäulen umgeben war. Dann kam die Finsternis über mich. Ich wollte schreien, doch mein Schrei verhallte, noch ehe er meinen Mund verließ.

Ich schwebte, zumindest glaubte ich das, denn ich sah weder Boden noch Decke. Eine Weile schien ich in diesem schwarzen Nichts gefangen. Ich konnte nichts sehen. Nichts hören.

Die Zeit verging. Auf einmal hörte ich doch etwas. Stimmen. Ich hörte ein Lied. Es war wunderschön, so beruhigend. Im Lauschen des Gesanges schloss ich meine Augen.

Als ich sie wieder öffnete sah ich Boden unter meinen Füßen. Ich fühlte festen Grund. Das Lied war jetzt nur noch leise im Hintergrund zu vernehmen.

‚Wer bist du? Was willst du hier?’

Ich erschrak. Ich drehte mich im Kreis und suchte nach der Quelle der Worte. Dann fand ich sie. Ich sah ein Mädchen, das am Rand einer großen, gläsernen Platte kniete. Ich sah zu Boden und bemerkte, dass ich mitten auf dieser stand. Nebelschwaden waren darunter zu erkennen, die um eine Kreatur herum kreisten. Ich bekam Angst, als ich das Wesen sah, doch irgendwie fühlte ich mich auch geborgen bei seinem Anblick. Es war ein seltsames Gefühl, schwer zu beschreiben.

‚Wer bist du?’, riss mich erneut die Stimme des Mädchens aus meinen Gedanken. Ich blickte zu ihr. Sie sah mich verwundert, fast erschrocken an. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Meine Knie wurden weich und gaben nach. Ich sackte zusammen. Das Mädchen stand auf und kam auf mich zu. Sie kniete sich zu mir und reichte mir ihre Hand. Zögernd nahm ich sie und ließ mir von ihr aufhelfen.

‚Es… tut… mir leid…’, stammelte ich. Ich war so nervös und aufgeregt. Ich wusste einfach nicht, wie ich mich in der Gegenwart von Fremden verhalten sollte.

‚Es ist okay. Tut mir leid, dass ich dir so einen Schrecken eingejagt habe. Das wollte ich nicht.’ Immer weiter sprach sie auf mich ein und ich fühlte, wie ich langsam anfing, mich zu beruhigen. Meine Hände hörten auf zu zittern und auch mein Herz schlug wieder normal.

‚Ich bin Brianna. Ich weiß nicht, wie ich hierher gekommen bin.’, versuchte ich zu erklären. Das Mädchen lächelte mir aufmunternd zu: ‚Schön dich kennen zu lernen. Ich bin Yuna.’

Auch ich musste nun unwillkürlich lächeln.

‚Wo bin ich hier?’, fragte ich, denn jetzt wo ich ruhiger und gefasster war, wollte ich wissen, wo ich mich befand.

‚In der Kammer der Asthra. Ich bin hier, weil ich ein Medium werden will. Ich habe gebetet, doch plötzlich bist du aus dem Nichts aufgetaucht. Ich war so erschrocken.’, antwortete Yuna wissend, doch mich brachte es nicht weiter.

‚Was ist diese Kammer der Asthra? Ich habe noch nie von einem solchen Ort gehört.’

‚Einst, wie heute, opferten sich Menschen im Kampf gegen Sin. Die geopferten Seelen wurden zu Asthra, die in der Kammer der Asthra - tief im Tempel - leben. Die Träume der Asthra manifestieren sich zu Bestia, mit deren Hilfe wir nun in den Kampf gegen Sin ziehen.’, erklärte Yuna, doch all diese Worte ergaben für mich keinen Sinn. Ich wusste nichts von Asthra, Bestia oder Sin. Von so etwas hatte ich noch nie etwas gehört. Yuna sah meinen verwirrten Gesichtsausdruck.

‚Dir sagt das alles nichts, oder?’, sprach sie mir mit diesen Worten aus der Seele. Ich nickte. Nachdenklich legte sie den Kopf in den Nacken.

‚Du bist nicht von hier. Ich meine nicht von dieser Welt. Du siehst nicht so aus, als kämst du von hier, weißt du?’

‚Ich glaube, du hast Recht. Hier erscheint mir alles so fremd, so unwirklich, als wäre all das nur ein Traum.’

‚Vielleicht träumst du ja.’, stellte Yuna fest. Ich dachte daran, wie ich hierhin gekommen bin. Es war wirklich wie ein Traum. Unwirkliche Gestalten, mysteriös verschlungene Pfade. Alles erschien wie ein Traum.

‚Ich denke schon.’, flüsterte ich zu mir selbst, doch auch Yuna hörte meine Worte. Sie legte mir ihre Hand auf die Schulter und nickte mir zu.

‚Dann brauchst du keine Angst haben. Dir kann nichts passieren. All das ist vorbei, wenn du aufwachst, dann bist du wieder dort, wo du hingehörst.’, redete sie mir zu. Dann nahm sie mich in ihre Arme und drückte mich fest an sich.

‚Danke.’, schluchzte ich, denn nun fühlte ich wie Tränen meine Augen füllten. Ich erwiderte ihre Umarmung.

Auf einmal fühlte ich, wie mir Yuna zu entgleiten schien. Sie sackte zu Boden und erst jetzt sah ich die Schweißperlen auf ihrer Stirn.

‚Was ist mit dir?’, fragte ich besorgt. Es war eine dumme Frage, denn ich sah ja, wie erschöpft sie war.

‚Es ist nicht leicht ein Medium zu werden.’

Ich verstand zwar ihre Worte nicht, doch ich nickte zustimmen. Daraufhin lächelte sie: ‚Versuche nicht, es zu verstehen.’

Ich musste kurz lachen. ‚Nein, das tue ich nicht.’

Plötzlich erfüllte der Gesang, der mir so vertraut war und die ganze Zeit nur im Hintergrund zu vernehmen war, laut widerhallend den Raum.

‚Es ist soweit.’, sprach Yuna und versuchte aufzustehen. Ich half ihr dabei und stützte sie, damit sie nicht wieder zusammen sackte.

‚Ich habe so lange auf diesen Moment gewartet. Erfülle mir meine Bitte. Gib mir deine Kraft, damit ich Sin besiegen kann.’

Immer noch hielt ich Yuna fest. Ich konnte spüren, wie ein Zittern ihren Körper durchlief. Dann sah ich, wie eine geistähnliche Gestalt erschien. Wieder fühlte ich mich daran erinnert, dass das alles nur ein Traum war, obwohl er mir gerade noch so wirklich erschienen war. Eine Weile stand sie nur stumm da. Ich wusste nicht wieso, doch plötzlich fühlte ich mich dazu berufen, etwas zu sagen.

‚Tu es! Yuna ist die Richtige! Sie wird Sin mit eurer Hilfe besiegen!’ Die Worte verließen meinen Mund ehe ich sie gedacht hatte, doch sie schienen ihre Wirkung auf diesen Geist nicht zu verfehlen. Nach einem Herzschlag, der wie eine Ewigkeit schien, nickte er.

Yuna drehte sich zu mir um. ‚Was hast du getan?’

‚Ich weiß nicht. Ich hatte das Gefühl, dass ich das sagen musste. Die Worte kamen einfach so über mich.’, entschuldigte ich mich. Nun tat es mir leid, dass ich mich eingemischt hatte.

Der Geist kam auf uns zu. Yuna stieß mich weg und ich landete hart. Vor mir verschwamm alles. Ich spürte, wie die Ohnmacht mich überfiel.

Als ich wieder aufwachte, sah ich Yuna. Sie lag regungslos auf dem Boden. Ich rappelte mich auf und lief zu ihr.

Ihre Augen waren geschlossen und der Schweiß rann in Strömen von ihrem Gesicht. Ich kniete mich zu ihr und hob ihren Kopf. Sachte schlug ich gegen ihre Wange.

‚Wach auf, Yuna! Bitte! Wach auf!’ Ich war verzweifelt. Immer wieder schrie ich, sie solle aufwachen. Nach wenigen Augenblicken schlug sie langsam ihre Augen auf und sah mich an.

‚Gott sei Dank. Du bist aufgewacht. Ich habe mir solche Sorgen gemacht.’, sprach ich zu ihr. Yuna lächelte matt. Sie wirkte müde und erschöpft.

‚Kannst du mir helfen? Ich muss wieder nach draußen. Die anderen machen sich bestimmt schon Sorgen um mich.’

‚Natürlich.’, antwortete ich, ohne zu zögern und half ihr auf. Ich stützte sie ab und so gingen wir zu einer Tür, die mir noch gar nicht aufgefallen war. Ich wollte diese gerade öffnen, doch Yuna hielt mich zurück.

‚Nein, du musst zurück in deine Welt, Brianna.’

Erstaunt sah ich sie an, doch als ich ihren klaren, fordernden Blick sah, ließ ich sie los und ging einen Schritt zurück. Yuna öffnete die Tür und ging hindurch. Nur kurz konnte ich erhaschen, was dahinter lag. Dann schloss sich die Tür wieder.

Ich spürte, wie mich die Dunkelheit wieder fortriss von diesem Ort. Doch daran dachte ich nicht, denn ich konnte nur an eines denken. Vor mir erschien sein Bild. Augen, so blau wie der unendlich weite Ozean, die mir aus einem Gesicht umrandet von blonden Haaren, strahlender als das Gold der Ikari, entgegen blickten. Doch ich wusste mit unerträglicher Klarheit, dass er mich nicht gesehen hatte.“
 

Noch jetzt, wo ich an meinem Schreibtisch sitze und diesen ganzen Traum Revue passieren lasse, muss ich fast nur an ihn denken.

Mein Traum ist zu Ende. Yuna ist fort und auch dieser Junge. Sie sind nur noch Erinnerungen, die mit der Zeit verblassen werden. Doch wie sehr wünsche ich mir, dass es nicht so wäre. Ich wünsche mir so sehr, mit aller Kraft meines Seins, dass dieser Traum wahr werden würde. Oh bitte, lass meine Träume zum Leben erwachen! Lass mich wenigstens zu ihnen zurückkehren und nie wieder aus ihnen erwachen!

Ich schreibe Unsinn – ich weiß –, doch ich würde alles dafür geben, ihn wieder zu sehen.

Es ist genug… Ich sollte den Stift fortlegen und mich von dieser Erinnerung lösen. Es ist vorbei. Der Traum ist ausgeträumt. Es hat keinen Sinn, diesen Scheinbildern nachzutrauern.

So beende ich hier, was ich so leichtgläubig angefangen habe.<

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Langsam streckte und reckte sich Brianna. Sie gähnte einmal herzhaft und erhob sich dann von dem Stuhl. Schlaftrunken taumelte sie zu ihrem Bett zurück. Draußen, vor ihrem Fenster hinter zugezogenen Gardinen, war es finsterste Nacht. Irgendwo würden Wölfe ihr einsames Lied heulen, während die Sterne am Himmel standen.

Brianna dachte nicht an solche Dinge. Todmüde fiel sie in ihr Bett und schlief sofort ein. Ihre Bettdecke lag vergessen am äußeren Rand und eine Ecke hing auf den Boden hinunter.

Für den Rest dieser Nacht träumte Brianna nichts mehr.
 

- Ende 1. Kapitel -

Aufbruch

--- Aus der alten, vertrauten Zeit

tragen mich die Stimmen weit

in ein unbekanntes neues Leben

wo wir zu neuen Erfahrungen streben ---
 

Dieses Wochenende verging für Brianna quälend langsam. Am Tag nach dem Ausflug zur Ruine wurde ihr die unangenehme Folge für ihr Verhalten mitgeteilt: Hausarrest. So konnte sie sich nicht mit ihren Freundinnen treffen, um ihnen von ihrem Traum zu erzählen.

„Brianna, morgen beginnt deine Klassenfahrt…“, begann ihr Vater am Sonntagabend. Brianna, die gerade die Fernsehzeitung nach einem guten, abendfüllenden Film durchforstete, blickte von dieser auf.

„Werdet ihr mir etwa auch die Fahrt verbieten…?“, wollte sie zögernd wissen. Ihre Mutter hob abwehrend ihre Hände und auch ihr Vater schüttelte energisch den Kopf.

„Natürlich nicht“, sagte er. „Du brauchst nicht gleich den Teufel an die Wand zu malen. Deine Mutter und ich denken, dass du mit dem Hausarrest genug gestraft wurdest. Nein, ich wollte nur den Ablauf für morgen mit dir besprechen.“

Brianna ließ erleichtert, die vor Anspannung gehobenen Schultern sinken.

„Die Fahrt ist sowieso schon bezahlt.“, fügte ihre Mutter leicht schmunzelnd hinzu.

„Also“, setzte ihr Vater erneut an. „Ich werde dich morgen früh zum Bahnhof bringen, dann können wir vorher noch in Ruhe gemeinsam frühstücken. Dein Taschengeld bekommst du auch morgen früh, okay? So, dann wäre ja alles geklärt. Was läuft im Fernsehen?“

„Du wirst dich freuen: Eine Komödie!“, antwortete Brianna grinsend und schaltete zum Sender.
 

Brianna saß am nächsten Morgen überglücklich und vollauf zufrieden mit sich und der Welt im Zug. Yvonne und Sophie, die ihr gegenüber saßen, schauten sie neugierig an.

„Was ist das denn nun für ein Traum?“, wollte Yvonne wissen und Sophie nickte zustimmend.

„Okay, ich erzähle euch alles, aber haltet mich bitte nicht für verrückt. Ich weiß selbst, dass es nur ein Traum war, entsprungen meiner überaus prächtig blühenden Fantasie.“

Und so begann sie, ihren beiden Freundinnen von dem Traum zu erzählen. Sie erzählte von ihrem Irrlauf durch den schrecklichen Wald und auch von ihrer Begegnung mit Yuna. Gerade als sie zu dem Jungen kommen wollte, der ihr Herz Achterbahn fahren ließ, brach im Zug ein riesiger Tumult los.

Yvonne sprang sofort neugierig auf und auch Sophie folgte ihr nach einem kurzen Seitenblick zu Brianna.

Die Zurückgebliebene seufzte: „Jetzt, wo der schönste Moment meines Traumes kommt.“

Sie wollte sich gerade enttäuscht in den Sitz zurücksinken lassen, als jemand ihre Hand ergriff und sie hochriss. Ein Arm legte sich um ihre Hüfte und, noch ehe sie auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, spürte sie die Berührung von weichen Lippen auf den ihren. Brianna war so erschrocken, dass sie sich nicht wehrte. In Gedanken war sie immer noch bei ihrem Traum-Jungen und plötzlich erschien er ihr in diesem Kuss so nah und greifbar. Instinktiv schloss sie ihre Augen.

Ein zarter Windhauch strich über ihre feuchten Lippen. Doch Brianna merkte davon nichts, sie war zu tief in ihre Traumwelt gesunken. Eine Stimme riss sie jäh aus dieser heraus.

„Tja, da wäre ich an meinem Ziel angekommen… Meine Liebste hatte schon sehnsüchtig auf mich gewartet.“, erklang plötzlich eine männliche Stimme.

Ein enttäuschtes Raunen ging durch das Abteil und die große Gesellschaft, die sich bis eben hier angesammelte hatte und die gänzlich aus Mädchen bestand, löste sich auf. Im Abteil kehrte wieder Ruhe ein.

Brianna öffnete ihre Augen und erst allmählich begriff sie, wo sie war und wer vor da ihr stand. Es war ein ihr völlig fremder Junge, der sie verschmitzt mit seinen frechen Augen angrinste. Mit erschreckender Klarheit erkannte sie jetzt, was geschehen war. Sofort spürte sie die Hitze, die in ihren Kopf schoss und noch ehe sie darüber nachdenken konnte, dass sie eigentlich viel zu schüchtern war, knallte sie diesem Jungen ihre flache Hand mitten auf dessen rechte Wange.

„Wau, Brianna, das hätte ich dir gar nicht zugetraut!“, hörte sie Yvonnes fassungsloses Gekreische.

„Oh Gott… T’schuldige… Ich meine…“, stammelte sie.

Der Junge fasste sich an die Wange und fiel zurück in den Sitz, der mit einem lauten Zischen unter dem plötzlichen Gewicht nachgab.

„Eine harte Rechte hast du da. Ich hab’s ja nicht anders verdient.“, sprach er und sah sie an. Brianna blickte überall hin, nur nicht in sein Gesicht, und knabberte nervös an ihren Fingern. Sophie und Yvonne setzten sich nun auch wieder hin.

„Tja, das hast du dir selbst eingebrockt, Owen.“, lachte Sophie.

Yvonne sah sie fragend an: „Woher kennt ihr beiden euch denn?“

„Aus dem Kampfsportverein. Sophie ist da echt eine Wucht, die macht jeden Kerl gnadenlos platt, doch eure Freundin dort könnte echte Konkurrenz für unsere Wunderbraut bedeuten.“, antwortete Owen ohne zu zögern, während er auf die immer noch fassungslose Brianna deutete.

„Da schlummern verborgene Talente.“, stimmte Yvonne ihm zu.

Die drei lachten. Nur Brianna lachte nicht. Sie fühlte sich elend, nach dieser Aktion. In ihrem Hals verspürte sie einen großen Klos, der ihr fast den Atem nahm. Ihre Beine zitterten unaufhörlich und ihre Hände kamen diesen in nichts nach.

Sie war froh, als sie ihr Ziel erreicht hatten und aus dem Zug stiegen.

Yvonne drehte sich noch einmal zu Owen um. „Wir wollen nachher eine kleine Erkundigungstour machen. Kommst du mit, Owen?“, fragte sie, worauf er zustimmend nickte.

„Bis nachher dann.“, verabschiedeten sie sich voneinander. Owen ging nach rechts zu den Bungalows der älteren Klasse, welche die Klasse von Brianna, Yvonne und Sophie begleitete, und die drei Freundinnen liefen zu ihren Hütten nach links.

„Musste das sein, Yvonne?!“, meinte Brianna vorwurfsvoll. Diese nickte nur strahlend und grinste ihr frech zwinkernd zu.

„Der ist doch niedlich. Den sollten wir im Auge behalten.“

„Er ist wirklich nett. Mach dir keine Gedanken, Brianna.“, lenkte Sophie ein, bevor Brianna auf Yvonne losgehen konnte.
 

Zur frühen Dämmerung trafen sich die Drei mit Owen am Camp-Ausgang. Brianna war die einzige, die einen kleinen Rucksack dabei hatte.

„Was willst du denn damit?! Ist doch nur unnötiger Ballast.“, sagte Yvonne und sah die Tasche nur verständnislos an. Brianna griff unter die Riemen des Rucksacks, die über ihre Schultern hingen, und umklammerte diese fest.

„Da sind mein Tagebuch plus Stift und meine Kamera drin.“

„Wozu soll das gut sein? Es dämmert schon, bald ist es dunkel. Da bringt eine Kamera nicht viel.“

„Dann schalte ich einfach den Nachtsichtmodus an. Und jetzt lass mich in Ruhe. Wir sollten lieber aufbrechen.“

So gingen sie in den Wald. Bald war es so dunkel, dass sie ihre mitgebrachten Taschenlampen anschalten mussten.
 

Neugierig gemacht durch dieses Licht, ging ein Junge, der bis eben noch an einem Baum gelehnt eine Zigarette geraucht hatte, der kleinen Truppe hinterher.
 

Yvonne spürte die Last ihrer Pumps, als sie mit dessen spitzen Pfennigabsätzen immer wieder in den feuchten Waldboden absackte.

„Wie lange wollt ihr hier noch rumlaufen?! Ich kann bald nicht mehr.“, quengelte sie, doch die anderen blickten sich nur kurz nach ihr um und schüttelten synchron ihre Köpfe, bevor sie weiterliefen.

Nach ein paar weiteren Momenten, die sie durch den Wald liefen, hatte Yvonne genug. Ohne ein Wort ließ sie sich auf den erstbesten Baumstamm nieder. Brianna, die das mitbekommen hatte, hielt die beiden anderen zurück.

„Oh verdammt, Yvonne, was ist denn nun wieder los?“, seufzte Sophie als sie ihre Freundin auf dem Stamm sitzen sah. „Das du dich immer so haben musst…“

„Wie habe ich mich denn?!“, wetterte Yvonne zurück. „Ich bin erschöpft. Wir können doch wohl mal fünf Minuten Pause machen?“

Owen setzte sich neben sie und stieß ihren Fuß an.

„Mit solchen Fußmördern würde ich aber auch nicht lange laufen können.“, neckte er sie.

Durch diese Anmerkung in Rage gebracht antwortete Yvonne in einem überaus giftigen Tonfall: „Wer hat dich denn gefragt?!!“

„Pst, seit mal ruhig.“, flüsterte Sophie den beiden plötzlich zu. „Ich glaube, ich habe da was gehört.“

Die beiden Streithähne verstummten augenblicklich. Auch Brianna saß ganz ruhig und lauschte angespannt. Von weitem konnte sie leisen Gesang hören.

„Da ist was.“, durchbrach Owen die Stille. „Das sollten wir uns näher ansehen.“
 

Je weiter die vier in den Wald hinein liefen, umso lauter wurde der Gesang. Schließlich kamen sie an eine Höhle. Als Brianna den Eingang sah, schoss ihr ein Gedanke durch den Kopf. Es ist wie in meinem Traum, dachte sie und wie zur Bestätigung entdeckte sie einen grünlichen Lichtschein, der aus dem Inneren der Höhle zu kommen schien.

„Lasst uns näher rangehen.“, meinte Owen.

„Mach das, aber ich bleibe hier.“, grummelte Yvonne leise. Sophie sah kurz zu ihr und entschied dann: „Gut, dann gehen Owen und Brianna. Ich bleibe mit Yvonne hier. Wenn irgendetwas passiert, dann schreit ganz laut. Wir holen dann sofort Hilfe.“

Brianna hatte während dieser kurzen Ansage entsetzt ihre Augen weit aufgerissen. Sie wollte gerade etwas erwidern, als Owen schon ihre Hand gefasst hatte und sie entschlossen mit sich zog.
 

Nun waren Sophie und Yvonne allein. Eine Weile standen sie noch unschlüssig da.

„Lass uns auch reingehen und versuchen, ob wir ein Versteck finden.“, beendete Sophie das Schweigen zwischen ihnen. Yvonne hatte sich an einen Baum gelehnt und hob nun abwechselnd immer ein Bein an. Ihre Füße schmerzten, sie hatte das Gefühl als würde sie barfuss auf einem Nagelbrett laufen.

„Hauptsache wir finden irgendwo eine Gelegenheit zum Sitzen.“

„Da drinnen ist es bestimmt nicht so feucht wie hier draußen.“, riet Sophie ins Blaue hinein. Sie wusste es nicht, doch so würde sie ihre Freundin wenigstens überzeugen können, in die Höhle zu gehen.

Yvonne nickte und so gingen die beiden hinein. Der Gesang war drinnen unerträglich laut. Sophie leuchtete mit ihrer Taschenlampe durch die Höhle, bis sie eine kleine Nische entdeckte. Sie schwenkte kurz die Taschenlampe, um so Yvonne darauf aufmerksam zu machen.

„Dort können wir uns verstecken.“, meinte sie und begab sich hin.

Yvonne entdeckte sofort einen Stein, der sich zum Sitzen eignete und ließ sich darauf nieder. Sophie kauerte sich an die Wand und achtete auf das, was in der Höhle geschah.
 

Owen und Brianna hatten sich sofort hinter einem großen Stein versteckt, als sie eine tanzende Gruppe von Leuten entdeckten. Ihre Taschenlampen waren ausgeschaltet.

„Was machen die da?“, flüsterte Owen Brianna zu. Sie zuckte nur mit den Schultern, doch da fiel ihr ein, dass er in der Dunkelheit nicht sehen konnte, was sie tat. Also sprach sie stattdessen: „Ich weiß es nicht. Es scheint wohl irgendeine Art von Zeremonie zu sein.“

Die seltsame Gruppe tanzte um einen Steinkreis herum, während durch die einzelnen Lücken zwischen den Steinen ein grünes Licht brach. Dieses Licht ermöglichte es auch Brianna und Owen, zu erkennen, was dort vor sich ging.

Brianna kam es wie eine halbe Ewigkeit vor. Sie saß mit Owen geduckt in der Höhle nahe dem Steinkreis und sah diesen Gestalten bei ihrem merkwürdigen Tanz zu. Ein Tanz, den sie, egal wie sehr sie sich auch ihren Kopf zermarterte, in keine Kategorie einteilen konnte.

„Wollen die damit irgendetwas beschwören?“, sprach Owen nun wieder.

„Ich habe keine Ahnung. Ich weiß doch selbst nicht, was die da treiben.“, zischte sie ihn an. Diese nervenaufreibende Situation hatte sie ganz vergessen lassen, dass sie eigentlich Fremden gegenüber sehr wortkarg war. Owen kannte sie erst seit dem Morgen im Zug, wo er sie einfach geküsst hatte. Als sie daran dachte, spürte sie wieder die Hitze in ihren Kopf steigen. Sie schob den Gedanken schnell beiseite und rückte ein Stück weiter von ihrem Begleiter weg.

Dieser bemerkte es und sah sich zu ihr um.

„Ach übrigens.“, fing er wieder an. „Ich wollte mich noch mal wegen der Sache heute im Zug entschuldigen.“

Brianna zuckte kurz zusammen.

„Ist schon okay. Ich hab’s eh schon längst vergessen.“, log sie.

„Echt?“, fragte er ungläubig. „Na ja, ich wollte halt nur sagen, dass ich nicht wollte das es… na ja… so machohaft rüberkommt, wie ich dich da einfach packe und küsse…“

Brianna verdrehte die Augen.

„Lass es gut sein. Es ist ja nichts Schlimmes passiert.“, log sie weiter, denn eigentlich verfluchte sie Owen im Innern für das, was er getan hatte.

„Da bin ich jetzt echt beruhigt. Aber ehrlich mal, mir hat’s doch irgendwie gefallen…“

Brianna wollte ihm gerade ihre Faust ins Gesicht schlagen, als der Gesang plötzlich aufhörte.

„Es scheint vorbei zu sein.“, machte Owen sie auf die Stille aufmerksam.

„Das habe ich auch mitbekommen, danke.“, entgegnete sie abfällig.

Sie spürte, wie Owen seine Hand auf ihre Schulter legte. Ihre Hände zitterten.

„Ich wollte damit nur sagen, dass wir hier verschwinden sollten.“

Brianna sah zum Steinkreis und entdeckte nun, was Owen längst gesehen hatte, nämlich dass die Gruppe sich zum Abmarsch bereit gemacht hatte. Und sie gingen genau auf ihr Versteck zu.

„Siehst du? Sie kommen genau auf uns zu. Lass uns gehen.“

Die beiden schlichen leise zum Ausgang der Höhle, doch sie wurden von Sophies Stimme aufgehalten.

„Hey, ihr beiden. Wir sind hier.“

Die zwei folgten der Stimme und kamen so in das provisorische Versteck der anderen.

„Ich habe mir solche Sorgen um euch gemacht.“, sprach Sophie sorgenvoll. „Was ist passiert? Der Gesang hat plötzlich aufgehört.“

Brianna wollte gerade antworten, als sie plötzlich von Owen in die hinterste Ecke der Nische gegen die Wand gedrückt wurde. Mit einem Zischen deutete er ihr, still zu sein.

Sie bekam mit, was Owen so nervös gemacht hatte: Einer hatte sich aus der Tanzgruppe gelöst und kam nun direkt auf sie zu. Kurz vor der Nische blieb er stehen und blickte sich um. Brianna spürte, wie sich ihr Körper vor Anspannung verkrampfte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und das lag nicht nur daran, dass sie jede Faser von Owens Körper spüren konnte.

Der Fremde gab ein kurzes unverständliches, erfreutes Gebrabbel von sich. Er bückte sich und hob etwas auf, bevor er seinen Begleitern nachlief.

Überwältigt von der nun verspürten Erleichterung ließ Brianna sich in Owens Arme sinken.

„Das war haarscharf.“, hörte sie Yvonne und innerlich gab sie ihr Recht. Hätte Owen nicht so schnell reagiert, dann hätte man sie entdeckt. Leise dankte sie ihm.

„Na dann, lasst uns mal sehen, was die da getrieben haben.“, forderte sie die anderen auf und trat aus der Nische. Sie war neugierig, was sie wohl entdecken würden. Dicht neben ihr ging Owen und als sie ihn ansah, bemerkte sie wie sein Blick wachsam durch die Höhle streifte. Seine Augen folgten immer dem Lichtstrahl der Taschenlampe, welche das gesamte Innere der Höhle durchleuchtete. Sie spürte, dass er sie beschützen wollte und wurde ruhiger.
 

Als sie am Steinkreis ankamen, um den bis vor kurzem noch die Fremden getanzt und gesungen hatten, konnte sie ihren Augen nicht glauben. Sie drehte sich zu den anderen um und sah, dass es ihnen nicht anders erging als ihr.

Verschieden große Steine, die von außen nach innen immer kleiner wurden, waren um eine rundliche Platte angeordnet. Diese Platte schien bei näherer Betrachtung eine riesige Tafel zu sein, auf welcher fremdartige Symbole eingraviert waren. Brianna trat durch die äußerste Reihe der Steine. Die anderen folgten ihr.

„Wir sollten uns diese Tafel oder was immer das ist, näher ansehen. Vielleicht gibt sie uns Aufschluss über das, was hier geschehen ist...“

Sie kramte in ihrer Tasche nach ihrem Fotoapparat.

„Ich werde mal ein paar Fotos machen.“, fügte sie noch hinzu, während sie die Verschlusskappe vom Objektiv nahm. Sie durchschritt die innerste Reihe, die nur noch aus Steinklumpen bestand, warf einen prüfenden Blick auf den kleinen Monitor der Kamera, zoomte das Bild noch etwas näher heran und drückte auf den Auslöser.

Langsam trat sie, während sie weiter auf den Bildschirm sah, einen Schritt vorwärts. Dabei berührte sie mit ihrem Fuß den äußeren Rand der Platte. In diesem Moment ertönte mit einem Mal wie aus dem Nichts ein lauter Knall.

Brianna erschrak so sehr, dass sie mit dem anderen Fuß stolperte und auf die Gravuren fiel. Sofort durchdrang ein gleißendes Licht die Oberfläche, auf der sie lag und raubte ihr für einen kurzen Augenblick die Sicht.

Es knallte wieder und dann noch einmal. Immer wieder folgte ein Knall dem anderen. Brianna hatte das Gefühl als befände sie sich mitten in einem Sturmangriff, der gerade seinen Höhepunkt erreicht hatte. Dazwischen ertönte das laute Summen einer Melodie, die ihr merkwürdig vertraut vorkam.

Sie blickte sich nach den anderen um und sah, dass diese sich nun ebenfalls, wie sie, auf den Gravuren der Tafel befanden. Sie lagen oder knieten und hielten sich die Ohren zu, da die explosionsartigen Geräusche und der Gesang nun einen unerträglich lauten Pegel erreicht hatten. Brianna wunderte sich noch, dass sie vier Personen sah, obwohl sie doch nur mit ihren beiden Freundinnen und Owen hier war, doch da verlor sie auch schon das Bewusstsein.
 

– Ende 2. Kapitel –

Wellenspiele

--- Siehst du die Sonne im Meer versinken?

Lass die Hoffnung so nicht entschwinden!

Lass ein kleines Fünkchen bleiben!

Lass ihn all uns're Sorgen vertreiben!! ---
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

So vieles ist mir nicht klar. Es ist etwas geschehen, das ich nicht verstehen kann. Gerade noch war ich in einer dunklen Höhle und nun sitze ich auf einem Steg, die Beine im kühlen Nass, und denke an das eben Geschehene.

Ich fühlte wie das Licht in mich drang, meinen gesamten Körper einzunehmen schien. Nicht enden wollende Explosionen spielten sich vor meinem inneren Auge ab. Immer wieder gab es einen Knall. Mein Kopf dröhnte noch vom ersten, da kam schon der zweite.

Meinen Freundinnen erschien es nicht anders zu ergehen als mir, doch nur ich scheine diesen Wandel durchgemacht zu haben – von der Höhle ans Meer.

Irgendwann verlor ich sie aus den Augen. Um mich entstand eine Finsternis, die so schwarz war, dass sie bald wie ein unendliches Nichts erschien. Auch in diesem Nichts hörten die ewigen Knallgeräusche nicht auf. Sie hallten wieder in meinem Kopf und drohten ihn schier zu entzwei zu reißen. Mein ganzer Körper schien dieser Zerrissenheit ausgesetzt. Ich spürte, dass er bleiben wollte, doch eine fremde Macht riss ihn fort – und mit ihm meinen Geist.

Es war sonderbar. Ich erinnere mich noch, wie ich einmal mit einer Holzachterbahn gefahren bin. Der Moment in dem man noch ganz oben auf dem höchsten Punkt schwebt und dann sofort in nahezu gerader Linie in die Tiefe rast. Die Sinne fliegen der Geschwindigkeit hinterher. – So kann man dieses Gefühl beschreiben.

Ich weiß nicht, wo ich bin und was ich tun soll.

-- Ich bin ganz allein.

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Brianna klappte ihr Buch zu und legte es in die Tasche zurück. Seufzend blickte sie zum Horizont. Die Sonne stand noch hoch am Himmel, doch bald würde sie im Meer versinken.

Ein Ball kullerte zu ihr und blieb neben ihr liegen.

„Hallo, kannst du uns den Ball rüber werfen?“

Brianna stand auf und nahm den Ball in die rechte Hand. Sie holte kurz aus und warf ihn dann in die Richtung, wo zwei kleine Jungen standen. Einer der beiden fing ihn geschickt mit der Brust ab, so dass der Ball vor seinen Füßen landete. Er winkte ihr zu.

„Danke!“

„Kein Problem!“, rief Brianna zurück, doch da waren die beiden schon wieder in ihr Spiel vertieft.

Sie warf ihren Kopf in den Nacken und seufzte. Sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Eine Weile haderte sie mit sich, doch dann ging sie auf die Spielenden zu. Da entdeckte sie eine Frau, die auf einer Bank neben den Spielenden saß, ein kleines Baby im Arm. Entschlossen, doch auf wackeligen Beinen, ging sie auf die Mutter zu.

Als sie ankam, sah die Frau kurz von ihrem Kind auf. Brianna räusperte sich.

„Ähm, hallo. Könnten sie mir bitte sagen, wo ich hier bin?“

Die Mutter sah sie verständnislos an.

„In Kilika.“, sagte sie knapp in herablassenden Ton, wobei sie Brianna von oben bis unten musterte.

Brianna fühlte sich unbehaglich. Sie bereute es, zu der Frau gegangen zu sein. Sie dankte ihr kurz und verließ sie dann sofort wieder. Sie blickte nicht zurück, sondern lief geradewegs in Richtung Festland.

Hinter sich hörte sie die Wellen hoch schlagen. Dieses Geräusch verwunderte sie und sie drehte sich um.

„Gerade eben war das Meer doch noch so ruhig.“, murmelte sie zu sich und blickte zum Horizont. Die Sonne stand nun kurz über dem Meer, doch immer wieder wurden ihre hellen Strahlen durch hohe Wellen unterbrochen.

Das Wasser schien unaufhaltbar auf die Insel zuzusteuern. Brianna hatte noch nie eine Springflut miterlebt, doch sie wusste, dass es eine solche sein musste. Sie rannte den Steg entlang, als auch schon erste Wellen den Pier erreicht hatten. Sie spürte nass-kalte Tropfen wie einen kühlen Regenschauer in ihrem Gesicht, während sie immer weiter hastete.
 

„Oh verflucht noch eins. Was war das?“

Yvonne saß hinter einer Reihe von Kisten und fuhr sich zum dreißigsten Mal durch ihre rotbraune Mähne. Immer noch kamen Verhedderungen zum Vorschein, die sie fluchend entfernte. Als sie so ihre Haare wieder einigermaßen stadttauglich gemacht hatte, stützte sie sich vom Boden ab und stand auf. Sie zwängte sich durch einen Spalt zwischen den Kisten und sah sich um.

„Wo bin ich hier? Wo ist die Höhle?“

Rings um sie herum waren weitere Kistenreihen und als sie sich nach links drehte, konnte sie das blaue, teils in der Sonne golden funkelnde, Meer sehen.

„Hm, keine Ahnung…“, hakte sie das Thema ab. Sie hatte keine Lust, sich über solche Dinge Gedanken zu machen, dafür war sie viel zu bequem. Außerdem wollte sie unbedingt einen gemütlicheren Platz finden, als diesen, an dem sie sich befand. Zwischen Kisten gezwängt war nicht gerade ihre Vorstellung von gemütlich. Sie wandte sich um und ging den Weg entlang, bis sie an einer Treppe angelangte. Als sie einen Schalter entdeckte, lief sie sofort zu diesem hin.

Die Frau, die dahinter saß, lächelte sie freundlich an. Yvonne wollte sie gerade fragen, ob sie ein Hotel oder ein Café wüsste, als die Kassiererin sie zu erst ansprach.

„Guten Tag, möchten sie auch Karten für das große Blitzball-Tunier?“

Yvonne stockte kurz der Atem.

„Blitzball?“

„Ja, sie glauben bestimmt auch, es sei schon längst ausverkauft, aber ein paar Karten gibt es noch.“ Die Frau strahlte sie heftig nickend an.

„Nein, danke.“, erwiderte Yvonne kurz, immer noch leicht verwirrt. Die Kassiererin hatte ihre Freundlichkeit abgelegt und sah sie nun nur noch mitfühlend und, Yvonne glaubte, fast verächtlich an.

„Das werden sie noch bereuen. Aber man kann niemanden zu seinem Glück zwingen.“ Daraufhin wandte sie sich von ihrer Kundin ab und widmete sich Arbeiten hinter dem Schalter.

Yvonne blieb noch einen Moment verdutzt stehen, bevor sie die Frau verließ.

„Mami, Mami, kaufst du Blitzball-Karten?“, hörte sie ein Kind, dass gerade wild hin und her springend mit seiner Mutter an ihr vorbeikam.

Yvonne schüttelte den Kopf: „Seltsam…“

Sie verließ das Gebäude, das wohl eine Art Hafen und Stadion in einem zu sein schien, und kam auf eine lange Straße in deren Mitte ein kleiner Rundplatz mit einem Brunnen angelegt war. Sie ging dort hin und setzte sich an den Brunnenrand. Mit beiden Händen schöpfte sie Wasser und klatschte es sich ins Gesicht. Sie fühlte die angenehme Kühle und seufzte wohlig auf.

Immer wieder gingen Menschen an ihr vorbei, die nur das eine Thema kannten: Blitzball. Yvonne tat es als neue Mode ab und sinnte nicht weiter darüber nach. Abermals schöpfte sie Wasser und diesmal trank sie es.

„Hach, das tat gut.“ Sie fuhr sich noch einmal durch ihre Haare und richtete ihre Kleidung, dann ging sie die Straße, leise eine Melodie pfeifend, weiter entlang.
 

Schreie hallten von allen Seiten wider. Es waren angsterfüllte, verzweifelte Schreie, die den Tod so sicher erscheinen ließen wie den gemeinsamen Sonntagabend mit ihren Eltern. Mit Trauer dachte sie an diese Tage zurück und irgendwo tief in ihrem Innersten wusste sie, dass sie solche Abende mit ihren Eltern wohl nie wieder erleben würde.

Brianna sah, wie die Flut die Stege unter sich begrub. Doch nicht nur das Holz barst unter dem Druck der Wassermassen, die kein Ende zu nehmen schienen, auch die Menschen, die Quelle der abertausend Rufe, fielen dem kühlen, heimtückischen Nass zum Opfer.

Die Mutter, die Brianna noch vor kurzem fürsorglich mit ihrem Kind auf dem Arm auf der Bank hatte sitzen sehen, lief den Steg in verzweifelter Flucht vor der immer näher kommenden Welle entlang. Brianna starrte fassungslos und ein leiser Schrei entwich ihrer Kehle als die Welle die Frau unter sich begrub. Sie ließ sich auf den feuchten Boden nieder und verschränkte die Arme unter ihrem Kopf. Sie konnte all das Elend, den Tod und die Verwüstung, nicht mehr ertragen. Indem sie ihren Kopf auf das feuchte Graß drückte, konnte sie zwar all die Geschehnisse nicht mehr sehen, doch hören konnte sie sie trotzdem noch. In ihren Ohren klangen Schreie, berstendes Holz, brechende Knochen und der stetige Todes verheißende Klang der Wellen wider, sie konnte die Geräusche nicht vertreiben, egal wie fest sie ihre Hände auf ihre Ohren presste. Bilder formten sich vor ihrem geistigen Auge, die diese Klänge vervollkommnten.

Irgendwann verstummte der Lärm. Brianna lag noch auf der Erde, sie hatte sich leicht auf die Seite gedreht und ihre Beine herangezogen. Ihr Gesicht war rot und verquollen von den vielen Tränen, die sie vergossen hatte. Auch jetzt noch liefen vereinzelt welche ihre Wangen herab.

Brianna wusste nicht, wo sie war und wie sie hierher gekommen war, nur eines war ihr bewusster als alles andere: Sie wollte hier weg. Den grausamen Tod von so vielen Menschen mit angesehen, ihre Verzweiflung gehört zu haben, hatte sie bis aufs Tiefste erschüttert. Noch immer konnte sie nicht glauben, was hier geschehen war. Sie kannte die Leute nicht und die, die sie kurz kennen gelernt hatte, waren ihr nicht sehr sympathisch, doch ein solches Schicksal wünschte sie nicht einmal ihrem ärgsten Feind.

Wie in Zeitlupe setzte Brianna sich auf und sah den Hafen hinunter. Es war ein Trümmerhaufen, nur vereinzelte Häuser und Teile der Stege hatte dem Gewicht der Wellen standhalten können. Menschen liefen verstört durch diese Trümmer, manche trugen die leblosen Körper ihrer Freunde oder Angehörigen, andere ließen sich immer wieder verzweifelt am Rand eines Steges nieder und fuhren mit ihrer Hand durch Wasser, als suchten sie etwas. Wehklagen durchdrangen die von Trauer und Fassungslosigkeit schwer beladene Luft und bohrten sich in Briannas Herz wie tausend Pfeile. Sie konnte nicht dasitzen und all dem einfach so zusehen, sie musste etwas tun. Kurzerhand erhob sie sich und lief zum Pier zurück.
 

Yvonne hatte über das ‚Höhlen – Ereignis’, wie sie es nun selbst nannte, fast vergessen, dass sie eigentlich total erschöpft war. Jetzt, nachdem sie ein paar Meter gelaufen war, spürte sie den beharrlich lauter werdenden Protest ihres Körpers. Die kurze Erfrischung am Brunnen hatte ihr zwar gut getan, aber ihre Müdigkeit und den stechenden Schmerz in ihren Füßen hatte das Wasser nicht endgültig vertreiben können.

Eine Liege am Pool und einen frischen Eistee, dachte sie bei sich, während sie die Straße weiter entlang ging. Sie erinnerte sich, dass Owen ihre Schuhe als Fußmörder bezeichnet hatte und langsam musste sie sich eingestehen, dass er damit wohl gar nicht so verkehrt gelegen hatte. Für längere Märsche waren ihre Pumps wirklich nicht ausgelegt.

„Owen, wo bist du? Verdammt… Wo seit ihr alle?“, seufzte sie. Allmählich begann sie, sich unbehaglich zu fühlen. Sie kam sich einsam und verlassen vor. Solch eine Situation war sie nicht gewöhnt, sie brauchte Menschen um sich.

Die Menschen neben ihr auf der Straße lachten und plapperten gesellig. Yvonne schnaubte kurz, es sollte verächtlich klingen, doch die der Spur der Einsamkeit darin, war nicht zu überhören.

An einem großen Platz endete ihr Weg. Menschen tummelten sich hier in Massen, doch Yvonnes Augenmerk lag auf einem Gebäude, das ganz nach einem Café oder Restaurant aussah.

Noch ehe sie daran gedacht hatte, dorthin zu gehen, hatten sich ihre Beine schon in Bewegung gesetzt. Sie dachte an ein schönen starken Kaffee und sündhaft süße Cremetorten, als sie plötzlich gegen etwas stieß.

Sie prallte ab und landete hart auf ihrem Hintern. Ärgerlich stieß sie ein paar wüste Flüche aus.

Als sie nach oben blickte, um zu sehen, gegen was sie gestoßen war, schaute sie in ein gleichgültiges Gesicht. Sie glaubte es zumindest, denn tatsächlich konnte sie das Gesicht ihres Gegenübers, verdeckt durch Sonnenbrille und hohen Kragen, kaum erkennen. Eine Hand wurde ihr gereicht und sie zog sich daran hoch.

„Wenigstens nicht gänzlich unhöflich…“, grummelte sie, während sie sich den Staub von ihrem Rock klopfte.

Der Fremde erwiderte eine kurze Entschuldigung und verließ sie daraufhin.

„Hey, du kannst doch jetzt nicht einfach so verschwinden!“, rief sie ihm verzweifelt hinterher. Er blieb stehen und wandte sich ihr wieder zu.

„Warum?“, fragte er knapp.

„Weil, na ja…“ Yvonne überlegte. Sie wusste selbst nicht, wieso sie nicht wollte, dass er sie verließ. Sie sah ihm fest in die dunklen Gläser seiner Brille, hinter denen verborgen fragende Augen sie anblicken mussten, und griff entschlossen nach seiner Hand.

„Weil ich hier fremd und ganz allein bin und du der einzige Normale hier zu sein scheinst. Wenigsten hast du nicht nur dieses komische Blitzball im Kopf.“, sprach sie, wobei sie immer fester seine Hand drückte.
 

Auf ihrem Weg nach unten, entdeckte Brianna ein Schiff, das wohl erst vor kurzem angelegt haben musste. Die Bewohner von Kilika eilten an ihr vorbei auf dieses zu. Es hatte sich schon eine kleine Menschentraube angesammelt, als auch sie am Anlegeplatz ankam. Sie wollte die Leute so kurz nach ihrem Verlust nicht bedrängen, also blieb sie etwas weiter hinter ihnen stehen.

Sie hörte ein erleichtertes Raunen durch die Zusammengekommenen gehen, und kurz darauf setzten sich alle in Bewegung. Brianna folgte ihnen unauffällig.

An einem weiteren Anlegeplatz, der etwas näher am Festland lag, blieben sie stehen. Die Leute verteilten sich und blickten stumm aufs weite Meer hinaus. Brianna konnte noch sehen, wie ein paar Vereinzelte Bündel ins Wasser gleiten ließen. Sie ging näher ran und erkannte nun, dass es sich bei den Bündeln, um die Verstorbenen handeln musste, die in Tücher eingewickelt waren. Mitfühlend bekreuzigte sie sich kurz unbemerkt und sprach ein stummes Gebet für sie.

Als sie ihren Kopf wieder erhob, entdeckte sie am Horizont jemanden, der über das Wasser zu laufen schien.

„Das gibt es doch nicht… Wie ist das möglich?“ Sie konnte ihren Augen nicht trauen. Vielleicht spielten sie ihr aus der Entfernung einen Streich. Sie musste näher ran. Sie lief den Steg zurück und bog nach rechts ab, wo eine kleine Truppe versammelt stand und auf das Schauspiel auf dem Meer blickte. Brianna stellte sich neben diese Zuschauer und blickte ebenfalls hinaus.

Es war kein Wind, nur eine sanfte Brise ging, die leichte Wellenbewegungen auf dem Wasser auslöste. Die Sonne verabschiedete sich gerade. Ihre goldene Silhouette verschwand am Horizont im Meer und schickte letzte Strahlen, die das blaue Wasser in blutroten und goldenen Fäden durchdrangen. Auf diesem farbig leuchtenden Spiegel, unter dem die Opfer des heutigen Tages lagen, stand ein Mädchen. Sie hielt ihren Stab fest umklammert und drehte sich noch einmal kurz um. Erst jetzt erkannte Brianna, wer sich dort auf dem Wasser befand. Es war Yuna, ihre Begegnung aus dem Traum. Sie musste unwillkürlich schlucken.

Doch Yuna schien sie nicht erkannt zu haben. Sie nickte jemanden zu, der wohl unmittelbar neben ihr stehen musste und wandte sich dann wieder dem traumhaften Anblick der untergehenden Sonne zu, der so sehr im Widerspruch zu den heutigen Ereignissen stand, dass es Brianna schwer fiel, Gefallen daran zu finden.

Yuna trat mit einem Fuß nach vorne und hob ihren Stab. Im Licht der Sonne spielten tausend kleine Lichtblitze auf seiner Oberfläche. Sie beugte sich leicht nach vorne und senkte langsam den Stab wieder, während sie beide Füße auf gleiche Höhe brachte. Danach erhob sie sich wieder und deutete mit dem Stab einen Kreis. Wie als wäre das ein Zeichen gewesen, wurde die Luft um Yuna von kleinen strahlenden Kugeln erhellt, die um sie herum flogen und mannigfaltige Schweife nach sich zogen.

Brianna riss vor Staunen die Augen weit auf. So etwas Schönes hatte sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen.

Das Wasser um Yuna herum, schien nun ein Eigenleben entwickelt zu haben. Es bildete einen Strudel, der die Tanzende hoch in die Luft hob. Die Strahlen der Sonne brachen sich darin und auch die umfliegenden Leuchtkugeln gaben ihren Teil dazu bei, dass Brianna fast der Atem stehen blieb.

„Das ist wunderschön…“, murmelte sie. Damit hatte sie die Aufmerksamkeit des Jungen, der neben ihr stand und das Schauspiel mit der scheinbar gleichen Begeisterung wie sie beobachtet hatte, auf sich gelenkt.

„Ja, das mag es sein, aber vor allem ist es ein schmerzvoller Anblick, der einem das Herz vor Trauer fast überquellen lässt.“

Von diesen Worten aus ihrer Trance gerissen, neigte Brianna ihren Kopf nach rechts. Dieser Tag war verdammt anstrengend für sie gewesen, alles war neu und unbekannt, und dann all das Elend, das sie miterleben musste, das alles hatte sie völlig aus ihrem Gleichgewicht gebracht. Doch bis jetzt hatte sie es durch gestanden, alles tapfer ertragen, wie sie fand. In diesem Moment jedoch, wo sie den Jungen erblickte, raubte ihr dieser Anblick die letzte Kraft, die sie noch gehabt zu haben glaubte. Sie fühlte wie ihr alles entglitt und dann wurde es schwarz vor ihren Augen.
 

So etwas Köstliches hatte Yvonne noch nie gegessen, aber vermutlich kam dieser Eindruck nur daher, dass sie schon lange nichts mehr gegessen hatte. Es war bereits dunkel als sie in die Höhle gegangen waren und den Steinkreis entdeckt hatten und hier neigte sich der Tag gerade erst seinem Ende. Es musste also inzwischen fast ein ganzer Tag vergangen sein. Kein Wunder also, dass ihr der undefinierbare Brei wie eine Delikatesse erschien. In der Not frisst der Teufel ja bekanntlich auch Fliegen, dachte sie und schob erneut einen großen Löffel mit dieser Pampe in ihren Mund.

„Du hast lange nichts gegessen.“, stellte ihr neuer Begleiter, der ihr nun gegenüber saß, sachlich fest.

Yvonne nickte nur und stopfte weiter das Zeug in sich hinein. Auf einmal hielt sie inne und blickte fragend von ihrem Teller auf.

„Da fällt mir ein, ich weiß noch gar nicht deinen Namen.“

„Auron.“, kam die knappe Antwort von gegenüber.

„Auron… Fein, ich bin Yvonne.“, erwiderte sie und stand auf. Sie ging um den Tisch, bückte sich etwas und umarmte Auron, der dies, zu überrascht, über sich ergehen ließ. „Freut mich dich kennen zu lernen.“

Danach ging sie wieder zu ihrem Platz und aß weiter, als wäre nichts geschehen. Einen kurzen Moment herrschte betretenes Schweigen zwischen ihnen.

Als Yvonne nun schon denselben Bissen zum hundertsten Mal im Mund hin und her geschubst hatte, entschied sie, dass sie genug hatte und schob den Teller beiseite. Sie nahm das Glas, das vor ihr stand, und trank ein paar kräftige Schlucke, bevor sie sich wieder ihrem Gegenüber zuwandte.

„Kannst du mir sagen, wo ich hier gelandet bin?“, fing sie an. „Eben war ich noch in dieser mysteriösen Höhle und nun…“

„Pst.“, unterbrach sie Auron und Yvonne verstummte augenblicklich. „Nicht hier.“

Nun war es an ihm, aufzustehen. Er schnappte sich ihre Hand und zog sie hoch.

„Wir übernachten hier. Ich weiß, wo die Zimmer sind.“, sprach er zu der Frau hinter der Theke und ging, immer noch Yvonne hinter sich her ziehend, die Treppe nach oben zu den Zimmern.

„Hier sind wir ungestört.“, sagte er und schloss die Tür hinter sich.
 

Briannas Sinne waren wie vernebelt. Nur wie aus weiter Ferne bekam sie mit, was um sie herum geschah.

„Wie war ich?“

„Beim nächsten Mal keine Tränen, Yuna.“

„Um wen kümmerst du dich da, Tidus?“

„Ein Mädchen. Sie hat neben mir gestanden und dir zugesehen, als sie plötzlich zusammengebrochen ist.“

„Aber… Das kann nicht sein… Das ist doch…“

„Was ist Yuna? Kennst du das Mädchen?“

„Ja. Ich traf sie in der Kammer der Asthra in Besaid.“

Nun kam es zu einem heillosen Durcheinander. Brianna konnte die Worte, die nun gesprochen wurden, nicht mehr auseinander halten. Es war die Rede davon, dass es unmöglich war, das es Verrat am Orden wäre und auch davon, dass sich Yuna das alles nur eingebildet hätte.

Langsam schlug Brianna ihre Augen auf. Über sich erblickte sie das besorgte Gesicht des Jungen, der wohl Tidus hieß, nach dem Gespräch zu urteilen, welches sie während ihrer Dämmerphase mitbekommen hatte. Sie wollte sich aufrichten, schaffte es aber nur so weit, bis sie auf ihre Unterarme gestützt leicht saß. Sie war immer noch leicht benommen und in ihrem Kopf dröhnte es unaufhörlich. Jemand brachte ihr eine Schale Wasser und sie nahm sie dankbar an. In einem Zug hatte sie diese gelehrt. Sie spürte, wie langsam ihre Lebensgeister zurückkehrten. Als sie die Schale zurückgab, erkannte sie, dass es Yuna war, die ihr das Wasser gebracht hatte. Sie fühlte ihren durchdringenden, fragenden Blick und wich ihm aus.

„Wie kann es sein?“, fragte Yuna.

Brianna sah sie nun wieder an und zuckte kurz mit den Schultern.

„Ich weiß es nicht.“

„Wenn du wieder träumst… Ich meine…“

„Nein, ich träume nicht…“, unterbrach Brianna sie. „Definitiv… Alles hier ist so echt. Ich kann das raue Holz unter meinen Fingern spüren, den Wind in meinem Gesicht…“

In Yunas Gesicht konnte sie eine Mischung aus Verwunderung und Verzweiflung sehen. Auch ihr hatte der heutige Tag schwer zugesetzt, sie schien die größte Last von allen zu tragen. Doch Brianna wusste nicht, wieso. Lag es vielleicht damit zusammen, dass sie ein Medium war. Brianna glaubte es, doch einordnen konnte sie es nicht, zumal sie nicht einmal mehr wusste (hatte sie es je gewusst?), was ein Medium ist, welche Aufgabe es hat.

Aber auch ihre Anwesenheit und die Erkenntnis, dass es für sie kein Traum war, sondern dass sie wirklich hier war, ließen Yuna so verzweifelt erscheinen. Brianna strengte sich an und versuchte zu lächeln. Yuna Blick war immer noch auf sie gerichtet, sofort erhellte sich auch ihr Gesichtsausdruck.

„Wovon redet ihr beiden da? Traum, Wirklichkeit? Wir haben doch die Realität heute auf erschreckende grausamste Weise am eigenen Leib erfahren.“, wurden die zwei aus ihrer Vertrautheit gerissen.

Tidus und ein paar andere, die Brianna nicht kannte, blickten sie fragend an.

„Du hast recht, Wakka, der heutige Tag war anstrengend. Wir sollten uns erst einmal ausruhen, bevor wir uns mit Brianna unterhalten.“, erwiderte Yuna, während sie einen Mann ansah, dessen Haare sich wie ein Flamme über einem hellblauen Kopfband erhoben.

Yuna wollte Brianna aufhelfen, doch sie hob abwehrend ihre Hand.

„Danke, aber ich will lieber noch einen Moment hier sitzen bleiben.“

Nachdem Yuna sich vergewissert hatte, dass es Brianna gut ging, nickte sie ihr noch einmal kurz zu und verließ sie dann. Auch die anderen, die woher noch um sie herum gestanden hatten und die wohl alle zu Yuna gehören mussten, wie Brianna nun selbst feststellte, machte sich auf den Weg.

Das Meer war schwarz, nur noch blass schlängelte sich ein rotgoldener Faden entlang der ruhigen Oberfläche zu ihr hindurch. Brianna zog die Knie an und faltete ihre Arme darüber. Ein leichter Seufzer entfloh aus ihrem Mund, hinaus in die Nacht, und verband sich auf dem Meer mit dem letzten blassen Faden.
 

– Ende 3. Kapitel –

Gespräche

„Es hat zwar lange gedauert, aber hier ist das neue Kapitel! ^o^“

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Mehr der pochende Schmerz in ihrem Knöchel, als das Geräusch neben ihr, weckte Sophie.

Langsam richtete sie sich auf. Doch in dem Moment in dem sie den pochenden Fuß belastete, schlängelte sich ein enorm stechender Schmerz von ihrem Knöchel ihr Bein entlang nach oben. Enttäuscht ließ sie sich gegen die Wand in ihrem Rücken zu Boden sinken. Jeden weiteren Versuch gab sie noch in der Idee auf.

Neben ihr reckte sich jemand. Als sie sich dorthin drehte, entdeckte sie Owen.

„Es hat keinen Sinn. Dein Knöchel ist verstaucht, wenn nicht noch schlimmeres.“

Fassungslos starrte sie ihn an. In seinem Gesicht spiegelte sich ihr Gemütszustand wider. Er wirkte blass, seine Augen lagen in dunklen Höhlen und seine Lippen waren zwei schmale blassrosa Schlitze. Trotz dieser ansehnlichen Schwäche strahlte er eine gewisse Stärke auf sie aus. Sie fühlte sich geborgen, vor allem jetzt, da sie wusste, dass sie nicht alleine war.

Der Lichtschein, in welchem sie ihn sah, begann plötzlich zu flackern, bis ihr Gegenüber in Finsternis versank. Erschrocken stieß sie einen leisen Schrei aus.

„Keine Sorge. Die Taschenlampe hat wohl den Geist aufgegeben.“, versuchte Owen sie zu beruhigen.

Und, tatsächlich, erst jetzt bekam Sophie mit, dass es tiefste Nacht war. Nur einzelne Sterne funkelten am Firmament, ansonsten war ihre Umgebung in gänzliche Schwärze getaucht.

Sie hörte ein Klacken, etwas wurde geöffnet und wieder geschlossen und mit einem Mal blendete sie ein greller Lichtschein.

„Tut mir leid, das wollte ich nicht.“, entschuldigte Owen sich und senkte die Taschenlampe soweit, bis der Lichtkegel nicht mehr in ihr Gesicht fiel.

„Ist schon okay.“, verzieh sie ihm seinen Ausrutscher, wobei sie ihm ein kurzes huldvolles Kopfnicken andeutete. Über diese Geste musste sie unwillkürlich lachen und auch Owen schloss sich, nach anfänglichem Zögern, ihrem Gelächter an.

Als die beiden sich beruhigt hatten, übergab Owen ihr die Taschenlampe.

„Nimm mal kurz. Ich werde mir deinen Fuß mal anschauen.“ Damit rutschte er zu ihren Füßen.

Sophie hatte flache Stiefeletten an, die sich als denkbar ungünstig erwiesen. Owen versuchte zwar vorsichtig den Schuh über ihren dicken Knöchel zu streifen, trotzdem schmerzte es Sophie. Sie wollte ihm kein schlechtes Gewissen bereiten, weshalb die Zähne zusammenbiss und die Schmerzen stillschweigend ertrug.

Zaghaft hielt er ihren Fuß in der einen Hand, während er diesen mit der anderen abtastete. Auch diese Prozedur ließ sie ohne Klagen über sich ergehen. Nur ab und zu zuckte sie kurz zusammen, wenn er eine schmerzende Stelle erreichte. Dann verharrte er eine Weile und murmelte etwas vor sich hin.

Nachdem er fertig war, setzte er ihren Fuß wieder ab und kroch an ihre Seite zurück.

„Verstaucht, wenn mich nicht alles täuscht.“, teilte er ihr seine Schlussfolgerung mit. Sophie nickte kurz zum Verständnis und sah dann zu ihrem Fuß hinunter. Er war fast auf das Doppelte angeschwollen und pochte immer noch leicht. Die frische Nachtluft strich angenehm beruhigend und kühlend über die nackte Haut.

„Das muss reichen. Kaltes Wasser haben wir ja nicht.“, bemerkte Owen, der ihrem Blick gefolgt war.

„Du kannst Gedanken lesen und bist äußerst praktisch veranlagt…“, murmelte Sophie und grinste ihn an. Er blickte sie kurz verdutzt an, bevor die Erkenntnis ihn sichtlich aufhellen ließ.

„Du meinst das mit den Batterien…? Alte Angewohnheit von mir.“ Er griff in seine Hosentasche und holte ein Päckchen verschweißter Batterien heraus, die an einer Seite aufgerissen war. „So etwas habe ich immer bei mir. Man weiß ja nie, wann die alten den Geist aufgeben.“ Dann steckte er die Packung wieder zurück.

„Tja, und das mit dem Fuß…“, fuhr er fort, während er sich wieder an die Wand lehnte und die Arme hinter dem Kopf verschränkte. „Der Wind ist recht frisch, er wird deinen Fuß also ein wenig kühlen. Morgen früh will ich versuchen, ob ich nicht irgendwo einen See oder so finde.“

Sophie zog ihr gesundes Bein heran und legte ihren Kopf leicht schräg aufs Knie, wobei sie Owen nicht aus den Augen ließ.

„Was glaubst du, ist mit uns geschehen?“, fing sie plötzlich an. Seit sie aufgewacht war, dachte sie unaufhörlich daran. Gerade eben war sie noch in der Höhle gewesen und hatte die Symbole im Steinkreis betrachtet und nun war sie hier, dazu noch mit einem verstauchten Knöchel.

„Ich habe keine Ahnung.“, antwortete Owen, er klang so ratlos, wie sie sich fühlte.
 

Brianna hatte gar nicht mitbekommen, wie sie eingeschlafen war. Jetzt, wo ihr der kühle Nachtwind um die Nase wehte und sie leicht frösteln ließ, wachte sie auf.

Verschlafen rieb sie ihre Augen. Sie hatte fast vergessen, wo sie war, doch jetzt grinste ihr das Meer wieder höhnisch ins Gesicht. Die Trauer drohte, sie aufs Neue zu überwältigen, aber das wollte sie nicht zulassen.

Sie schrie aus Leibeskräften und schlug hart mit ihren Händen auf den Boden.

Erschöpft ließ sie ihren Kopf auf die Knie sinken. Sie hätte nicht gedacht, dass es hilft, seine Wut einfach hinauszuschreien, doch das tat es. Viel zu oft hatte sie allen Ärger und jegliche Trauer in sich hineingefressen. Während des Schreis, hatte sie förmlich gespürt, wie eine schwere Last von ihrem Herzen abfiel.

Sie schloss ihre Augen und dachte an ihre Freunde. So in Gedanken versunken, schlief sie erneut ein.

Dieses Mal weckte sie jemand. Eine Hand griff ihre Schulter und schüttelte sie sachte, bis sie langsam ihre Augen öffnete und nach oben schaute.

„Tidus?“ Verwundert blinzelte sie ihn an.

Es war zwar tiefe Nacht, doch sie konnte ihn ohne Probleme erkennen. Das Licht der Sterne, dass sich in den Wellen brach, funkelte auch in seinen hellblonden Haaren und hüllte sein Gesicht in einen hellen Schein.

Sie hatte ihn nur kurz angeschaut, bevor sie verlegen den Kopf wieder senkte und dem Spiel der tanzenden Sterne auf dem schwarzen Wasser zusah.

„Darf ich mich setzen?“, fragte Tidus. Brianna schob zur Antwort ihre rechte Hand ein Stück weit von sich weg und klopfte kurz auf den Boden, bevor sie sie wieder um ihre Knie legte.

Sie hörte, wie er sich neben ihr auf den Boden plumpsen ließ.

Eine Weile saßen sie so still nebeneinander, jeder in seine eigenen Gedanken versunken.

„Yuna hat uns von dir erzählt.“, versuchte Tidus ein Gespräch zu beginnen. Brianna wandte sich kurz vom Meer ab und sah ihn an.

„Was hat sie denn so erzählt?“, wollte sie wissen. Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, zu viel von sich preiszugeben, doch wenn Yuna irgendein verhängnisvolles Detail erwähnt hätte, dann müsste sie wohl alles erzählen.

Allein die Tatsache, dass sie in der Kammer der Asthra war, war ja schon verhängnisvoll genug. Das hatte Yuna erzählt, davon wusste sie, denn sie hatte nach ihrer Ohnmacht das Gespräch zwischen der Gruppe um das Medium mit angehört. Diese Anwesenheit schien hier ein folgenschweres Verbrechen zu sein, obwohl Brianna nicht recht wusste, warum.

„Du warst in der Kammer der Asthra.“, riss Tidus sie wieder aus ihren Gedanken.

Es war nur ein Traum, wollte sie erwidern, doch eine Stimme aus ihrem Innern hielt sie zurück. Yuna schien sie zwar zu verstehen, doch was würden die anderen dazu sagen? Sie wusste es nicht und es wäre vielleicht besser, es nie zu erfahren. Die Frau mit dem Baby erschien ihr wieder. Auf ihre Frage, hatte sie verständnislos reagiert und das war nur ein Teil ihrer Probleme, die sie bekommen würde. Verständnislose Blicke, damit konnte sie umgehen, doch als Ketzerin oder was immer in dieser Realität der Name für jemanden mit unmöglichen Vorstellungen, vielleicht auch nur falschem Glauben, wollte sie nicht abgeschrieben werden.

„Du denkst viel nach. Da geht es dir nicht anders als mir.“, drang seine Stimme wieder an ihr Ohr. Das tat sie tatsächlich, schließlich hatte sie allen Grund dazu. Sie musste noch so viel verstehen: Wie sie hierher gekommen war? Wo sie überhaupt war? Was im Steinkreis geschehen war? Es galt so viele Fragen zu beantworten, und dass konnte sie nur allein.

„Du verstehst gar nichts…“, murmelte sie, woraufhin Tidus ihre Hand ergriff.

Brianna durchfuhr ein Kribbeln, von der festgehalten Hand aus durch ihren gesamten Körper. Gleichzeitig fühlte sie die Hitze sie schier verbrennen und den unwiderstehlichen Drang, diesen Handdruck zu erwidern, ihm gar in die Arme zu fallen. Ihr saß der Mann ihrer Träume gegenüber, das hatte sie fast vergessen. Brianna blieb ganz ruhig, ihr Gefühlschaos ignorierend. Sie ließ ihre Hand ganz locker in seinem Griff und versuchte, gleichgültig zu wirken.

„Vielleicht verstehe ich dich sogar besser, als du denkst.“, fing er vorsichtig an. „Ich komme aus Zanarkand, doch das kann ich hier wohl niemandem erzählen. Mein Zanarkand liegt beinah 1000 Jahre in der Vergangenheit. Das Zanarkand der Gegenwart ist zerstört und ein heiliger Ort.“

Brianna strich mit ihren Händen über ihr Knie. Ihr war etwas unwohl zumute. Hier an diesem Ort, auf einem Steg in Kilika, eine ihr so fremde, und doch im Laufe dieses Tages so vertraut gewordene Stadt am Meer; hier saß ihr der Junge aus ihrem Traum, fremd und vertraut gegenüber. Sie senkte den Blick. legte ihren Kopf auf ihre Knie. Leise begann sie zu schluchzen. Eine sachte Berührung ließ sie wieder aufschauen.

Tidus sah sie mit einer Mischung aus Neugier und Sorge an.

„Eben war ich noch in einer Höhle. Wir haben dort einen Steinkreis entdeckt. Dann wurde ich ohnmächtig und aufgewacht bin ich an diesem Ort hier – vor der Flut…“, stieß Brianna mit plötzlicher Heftigkeit hervor, während sie in die Weite des schwarzen Himmels blickte. Erst nach diesen Worten sah sie Tidus an und merkte, dass er seine Augen weit aufgerissen hatte. Er fasste sich, schüttelte kurz den hellblonden Schopf, ehe er Brianna wieder vertraut anlächelte.

„Du kommst aus einer anderen Welt?“ Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, doch Brianna nickte.

„Wo immer ich jetzt auch bin, ich bin nicht in meiner Welt.“

Tidus hob ein kleines Steinchen auf und warf es fort ins Wasser. Nach ein paar leisen Klatschern auf der Meeresoberfläche, versank es nach einem letzten lauten Platschen.

„Wie kannst du dir da so sicher sein?“, fragte er nach ein paar Minuten.

Brianna lauschte den Geräuschen eines weiteren Steinchens, das Tidus erneut ins Wasser geworfen hatte. Mit ihrer Hand fuhr sie über den Boden neben sich, auf Suche, bis auch sie ein Steinchen fand.

Sie wog es in ihrer Hand. „Gefühl! Weißt du, ich bin oft mit meinen Eltern verreist. In fremde Länder, zu fremden Kulturen. Doch, irgendwie, hatte ich immer so ein Gefühl. Nenn es die Verbundenheit mit der Erde… Ich weiß nicht, aber ich fühlte mich überall geborgen. Hier fühle ich das nicht.“

Nach diesen Worten warf sie ihren Stein, der sofort mit einem lauten Platsch im Meer versank.
 

Mit der Hilfe von Owen hatte es Sophie geschafft aufzustehen. Nun versuchte sie vorsichtig ihren gemarterten Fuß zu belasten. Sie verlagerte langsam das Gewicht von dem gesunden auf den kranken Fuß und tat einen noch etwas unbeholfenen Schritt. Von diesem kleinen Erfolg ermutigt, lächelte sie Owen an.

„Toll! Man könnte fast meinen, du hättest dir den Fuß nie verstaucht.“

„Es tut schon noch etwas weh.“, schwächte sie seinen Freudenjubel ab.

Besorgt nahm er sie noch etwas fester in den Arm.

„Wird es gehen, wenn ich dich weiter stütze?“

Sophie nickte und verlagerte ihr Gewicht noch stärker in Owens Arme. „Klar, so wird es gehen.“, sprach sie, während sie einen weiteren Schritt tat.

„Dann wollen wir uns hier mal etwas umsehen.“ „Ja.“

Da sie nur langsam vorankamen, nutzte Sophie die Gelegenheit, sich etwas umzusehen. In der Nacht hatte sie sich nur auf das matte Licht der Taschenlampe und ihr Gefühl verlassen können. Doch sie hatte da bereits festgestellt, dass sich an einem Berg befinden mussten. Ihr erster Eindruck bestätigte sich nun, wo sie die steilen Hänge sah, die zur linken hinauf und zur rechten weit hinab ragten.

Weiter vorne entdeckte sie einen Torbogen der aus der Wand hinaus ragte, so dass es so wirkte, als wäre er aus dem Berg gemeißelt worden. Darunter konnte sie ein paar Menschen erkennen, die wild hin und her liefen.

„Siehst du das, Owen?“

Owen folgte ihrem Blick. „Menschen! Das ist ja super!“

Sophie lächelte als sie seine überschwängliche Freude sah. Als er seine Schritte beschleunigte, musste sie sich anstrengen, um mit ihm mithalten zu können. Die Geschwindigkeit ließ sie unvorsichtig werden. Sie trat mit ihrem verletzten Fuß zu fest auf und ein stechender Schmerz durchfuhr ihr Bein. Owen bemerkte ihr Stocken und hielt sofort an.

„Sophie?“ Besorgt und voller Reue sah er sie an.

„Ist alles okay.“, wollte sie ihn abwimmeln.

„Nichts ist okay, das sehe ich doch.“, erwiderte er. „Setz dich hin und ruhe dich eine Weile aus.“

Sanft drückte er sie zu Boden, bis sie saß. Sophie war verzweifelt, sie deutete zum Felsbogen und sprach eindringlich zu Owen. „Wir haben keine Zeit. Dort sind Menschen, die können uns helfen. Wir müssen zu ihnen. Jetzt!“

„Sophie, jetzt beruhige dich. So schnell werden die dort nicht verschwinden. Es sieht so aus, als würden sie eine größere Sache planen. Lass erst mal deinen Fuß zur Ruhe kommen und dann können wir weiter.“

Mit einem lauten Seufzer gab sie nach. Owen setzte sich neben sie, doch Sophie achtete nicht weiter auf ihn. Sie verfluchte ihren Fuß dafür, dass er sie aufhielt.

Plötzlich stupste Owen sie an. „Sieh mal, da kommt jemand.“

Tatsächlich hatten sich zwei Männer aus dem Gewusel gelöst und liefen jetzt auf sie zu. Sophie schickte sich an aufzustehen.

„Jetzt hilf mir schon.“, schimpfte sie, weil Owen nur stillschweigend neben ihr saß und ihren Bemühungen kalt lächelnd zusah. Er stand schnell auf und half ihr hoch.

Kurz darauf waren die Männer auch schon bei ihnen angekommen. Atemlos standen sie da, stützten die Hände auf die Knie und sahen die beiden Fremden voller Entrüstung an.

„Was machen Sie hier? Dieses Gebiet ist gesperrt!“

Sophie und Owen tauschten ratlose Blicke.

„Sie sollten schnell sehen, dass sie hier weg kommen!“, schloss der andere sich seinem Begleiter an. Owen zuckte die Schultern. „Wieso denn?“

Empört sperrten die Männer den Mund auf.

„Wir wussten nicht, dass wir nicht hier sein dürfen.“, kam ihnen Sophie zuvor, bevor die beiden sie in wüsten Beschimpfungen haltlos untergehen lassen würden. Owen zwinkerte ihr zu. Er schien beeindruckt von ihrer schnellen Auffassungsgabe. Er legte ein leutseliges Gesicht auf, während Sophie versuchte ihre Situation zu erklären. Sie erwähnte nichts von dem Steinkreis, nur dass sie sich während der Nacht wohl verlaufen haben mussten und nun nicht mehr wussten, wo sie waren. Sie redete unaufhörlich auf die Männer ein, bis die beiden schließlich doch lachen mussten.

„Dummerweise, habe ich mir, während unser Nacht- und Nebelaktion den Knöchel verstaucht und nun sitzen wir hier fest, weil ich in diesem Zustand unmöglich laufen kann.“, schloss sie.

Die beiden Männer sahen zu ihrem Fuß, der noch barfuss war. Owen und sie hatten beschlossen, den Schuh nicht wieder anzuziehen, es wäre eine zu große Tortur und später müsste sie ihn sowieso wieder ausziehen. Der Knöchel war dick geschwollen und mittlerweile auch leicht blau angelaufen.

„Ich hol schnell Hilfe.“, rief einer der beiden Männer, während er bereits zurück zu den anderen rannte.

„Es war sehr klug von dir, nichts von dem Steinkreis zu erzählen. Du hast schnell geschalten.“, flüsterte Owen in ihr Ohr. Seine Anerkennung war nicht zu überhören.

Der zurückgebliebene der beiden Männer beäugte sie misstrauisch. „Was habt ihr da zu tuscheln?“

„Ich habe nur gesagt: Jetzt wird alles gut.“, warf Owen schnell ein. Der Mann rümpfte die Nase und musterte Sophie und Owen von oben bis unten.

Bevor er erneut etwas sagen konnte, kam der andere Mann zurück. Im Schlepptau eine grün gekleidete Frau.

„Was für eine Hilfe.“, raunte Sophie zu Owen. „Ich dachte, die bringen eine Trage oder so was.“

Owen nickte. „Tja, vielleicht soll die dich tragen. Ich trau ihr zwar keine solchen Kräfte zu, aber man kann sich ja irren.“ Die beiden kicherten leise.

„So, wer von euch ist verletzt?“, fragte die Frau, als sie vor den beiden stand.

„Das Mädchen.“, erwiderte der Mann, der sie geholt hatte. Daraufhin zückte die Frau eine kleine bläuliche Flasche und reichte diese Sophie.

„Hier bitte, trink das. Derweil werde ich deinen Fuß leicht verbinden. Ja, ich denke, das wird genügen.“, murmelte sie, während sie Sophies dicken Knöchel beäugte. Sophie schaute ratlos zu Owen, der ebenfalls nur mit den Schultern zucken konnte.

„Du sollst das trinken.“, schalte die Frau von unten herauf und Sophie öffnete schnell das Fläschchen und kippte den Inhalt in ihren Mund. Wider Erwarten schmeckte es gar nicht so schlecht und Sophie trank alles aus. Ein warmes Kribbeln durchfuhr ihren Körper und in ihrem Knöchel staute sich die Hitze auf angenehme Art. Sie sah runter und konnte ihren Augen nicht glauben. Der Knöchel, der bis eben noch fast dreifach so dick wie normal war, war abgeschwollen. Die Frau zog den Verband fest und stand auf.

„So, dann wollen wir mal in die Zentrale gehen.“, sagte einer der Männer. Sophie blickte noch etwas ungläubig.

„Meinst du es wird gehen?“, fragte Owen.

„Ja, ich denke schon.“, erwiderte sie. Sie versuchte ihren Fuß zu belasten und erschrak. „Ich spüre nichts.“

„Was?“ Owen sah sie verwirrt an.

„Sieh doch.“, sprach Sophie und hob das gesunde Bein, so dass nun ihr gesamtes Gewicht auf dem „kranken“ Fuß lag. Owen klappte der Kiefer runter. „Wie ist das möglich?“

„Ich weiß nicht, aber ich glaube, es hat etwas mit dem Fläschchen zu tun, was mir die Frau gegeben hat.“
 

„Guten Morgen, Brianna.“

Als Brianna an dem Treffpunkt ankam, den ihr Tidus gestern noch mitgeteilt hatte, wurde sie freudestrahlend von Yuna empfangen.

„Morgen.“, erwiderte sie und blickte sich in der Runde um.

Sie standen am Fuße einer breiten Treppe. Tidus wartete vor der ersten Stufe, neben dem Mann, der Wakka hieß.

„Yuna, du gibst das Startsignal!“, rief Wakka und winkte ihnen aufgeregt zu.

Nachdem Yuna ihr kurz zugezwinkert hatte, lief sie zu den beiden. Sie stellte sich in Position und hob ihre Hand, doch dann lief sie plötzlich lachend los. Die beiden Jungs sahen sich kurz verdutzt an, bevor sie ihr lachend schimpfend hinterher liefen.

„Sie können es nicht lassen.“, hörte Brianna plötzlich eine Stimme neben sich. Sie drehte sich um und sah eine Frau in einem schwarzen Kleid und streng nach hinten frisierten schwarzen Haaren. Brianna fühlte sich unbehaglich beim Anblick dieser dunklen Frau. Sie wirkte so geheimnisvoll, mysteriös. Schüchtern senkte Brianna den Blick.

„Du kennst mich ja noch gar nicht. Ich bin Lulu.“, wandte sich Lulu ihr nun zu, während sie ihr ihre Hand reichte. Brianna nahm diese wie auf Kommando. „Brianna, ähm, hallo.“

Lulu kicherte über diese Befangenheit. „Vor mir brauchst du keine Angst haben. Yuna scheint dich zu mögen. Ich werde dich trotzdem im Auge behalten.“

„Tun Sie das.“ Erschrocken hielt sich Brianna die Hand vor den Mund. „Hab ich das gesagt… Das tut mir leid.“

Nun lachte Lulu. „Kein Problem. Ich danke für deinen Segen.“

In diesem Moment kam Wakka die Treppe runter gerannt.

„Lulu, Kimhari wir werden angegriffen. Sins Schuppe!“, rief er aufgeregt und ganz außer Atem.

Lulu drehte sich blitzschnell um und ehe Brianna sich versah, war sie auch schon an der Treppe und hastete mit Wakka und Kimhari hoch.

Nur Brianna blieb allein zurück.

„Oh, nein.“, seufzte sie. Vorsichtig ging sie einen Schritt auf die Treppe zu. „Hallo, ist noch jemand hier?“ Sie rief und blickte angestrengt, doch sie konnte niemanden entdecken. Es war wirklich keiner mehr da.

„Ihr könnt mich doch nicht alleine lassen…?“, wimmerte sie. Sie spürte die Angst in ihre Glieder fahren. Allein wollte sie nicht zurückbleiben. Nur nicht wieder alleine sein.

Ihre Hände zitterten und ihre Knie wurden weich. Vor ihrem inneren Auge sah sie die Welle erneut auf sich zukommen. Sie kniff ihre Augen so fest zusammen, dass es schmerzte. Als sie sie wieder öffnete, sah sie tausend Lichter tanzen.

„Ich bleibe hier nicht allein.“, rief sie und hastete die Treppe hinauf. Dorthin, wo die anderen vorhin verschwunden sind.

Als sie oben ankam, blieb sie plötzlich wie starr stehen. Der Atem stockte ihr und ihren Rücken lief es eiskalt hinunter.

Vor sich sah sie ein Monster, ein riesiger Käfer versteckt unter einem stahlgrauen Panzer, so groß wie das Dach einer Villa.

Sie sah, wie Tidus auf diese Kreatur zueilte und sein Schwert nach einem gekonnten Sprung zwischen Kopf und Panzeransatz versenkte. Es gab einen fürchterlichen Aufschrei und Tidus sprang weg, ehe das Monster lichterloh in feuerroten Flammen aufging.

Brianna kauerte sich auf den Boden und hielt sich die Ohren zu. Das Geschrei war entsetzlich und ging ihr durch Mark und Bein.

Die Kreatur kämpfte einen Kampf gegen den Tod, den es nicht gewinnen konnte. Ein letzter verzweifelter Aufschrei, verklang in der Kehle zu einem rasselnden Hecheln, bis die Kreatur schließlich letztendlich verstummte.

Nun waren nur noch die bereits vertrauten Stimmen zu hören.

„Wakka, ich helfe dir.“

„Wir haben es geschafft!“

„Brianna? Bist du okay?“

Brianna erschrak von der Nähe dieser Stimme und hob verschreckt ihren Kopf. Eine leichte Blässe umspielte ihre Nase.

Tidus hatte sich zu ihr gebeugt und ihre Schulter gefasst. Langsam ließ sie sich von ihm hochziehen und sank in seine Arme. Er strich ihr sanft über ihr ebenhölzernes Haar und ließ ihr die Zeit, die sie brauchte.

Einen Moment später hatte sie sich gefasst.

„Was war das?“, fragte sie, doch es war nicht Tidus, der ihr antwortete.

„Sins Schuppe.“, sprach Yuna schwach. Brianna sah sie an. Ihr Blick war finster und unergründlich.

„Wir sollten weitergehen. Wer weiß, ob nicht noch mehr von Sin hier lauert.“, fuhr sie ungehindert fort.

Tidus nickte ihr zu, während er Brianna aus seinen Armen ließ. Kurz schwankte Brianna, von der plötzlichen Freiheit überrascht, doch sie fasste sich schnell. Mit ihrer Faust wischte sie sich noch schnell die letzten Tränen aus ihren Augen, bevor sie sich den anderen anschloss.
 

„Pass auf! Hinter dir!“

Noch ehe diese Worte gänzlich in Sophies Ohren gedrungen waren, hatte sie einen schwungvollen Vorwärtssalto gemacht. Die wolfsähnliche Gestalt verfehlte sie nur knapp und Sophie ließ einen erleichterten Seufzer von sich. Sie setzte zu einem weiteren Sprung an, um der Attacke eines anderen geflügelten Wesens auszuweichen.

Sie wollte sich gerade vom Boden abstützen, als sie etwas hartes unter ihrer Hand fühlte. Sie blickte nieder und entdeckte die hell glänzende Klinge eines Langschwertes.

Sie überlegte nicht lange und nahm den Griff in die Hand. Sie hielt das Schwert mit beiden Händen senkrecht nach oben und wartete auf den Angriff. Als es soweit war, schwang sie die stahlblaue Klinge mit voller Wucht durch die Luft. Sie spürte nur kurz den Widerstand von festem Fleisch, bevor das Schwert wieder leicht wie eine Feder niedersauste.

Es schlug hart auf dem steinigen Boden auf, woraufhin Sophie es abrupt fallen ließ. Angewidert wischte sie sich das Blut aus dem Gesicht und dreht sich um. Die geflügelte Kreatur lag zweigeteilt auf der Erde. Bei diesem Anblick musste Sophie ein leichtes Würgen unterdrücken.

Plötzlich ging das Wesen in tausenden mannigfaltigen Lichtkugeln auf. Als das Licht fort war, war auch das Wesen vollends verschwunden. Sophie blinzelte ungläubig, doch ihr blieb keine Zeit, sich zu wundern, denn der nächste Angriff stand bereits kurz bevor.

Sie wollte gerade erneut das Schwert packen, da schoss ein Schatten an ihr vorbei. Ihre Hand griff ins Leere und da erkannte sie, was es mit dem Schatten auf sich hatte.

Owen stand leicht rechts von ihr und hielt den Griff des Schwertes fest in der Hand. Er stürmte auf den Wolf zu und rammte der Kreatur den kalt glänzenden Stahl in die Brust, als diese sich gerade zur Attacke aufbäumte.

Ein tödliches Jaulen fuhr durch die Höhle, bevor die Kreatur zu Boden ging und sich ebenfalls in tausend Lichter auflöste.

Sophie rannte zu Owen und fiel ihm erleichtert um den Hals. Er umarmte sie ebenfalls und drückte sie fest an sich. Ein kurzes Kribbeln durchfuhr sie, als sie Owens Wärme so nah an sich spürte.

„Was war das gewesen?“, fragte sie, ihren Kopf an seine Brust gelehnt. Sie spürte seinen kräftigen, schnellen Herzschlag an ihrem Ohr.

Er konnte ihr keine Antwort geben, denn er konnte sich diese Wesen selbst nicht erklären.

„Das war unglaublich. Ihr wart wirklich gut.“

Einer der Männer, die sie durch die Höhle führten, betrachtete sie achtungsvoll. Der andere hatte seine Hände in die Hüften gestemmt und pfiff anerkennend.

„Ich werde euch empfehlen. Ihr könntet uns nützlich sein.“, sagte er.

Sophie sah ihn verwundert an. „Was waren das für Wesen?“

„Ach, ein paar lästige Viecher, die hier in der Höhle so rumlungern.“, winkte ihr Führer leichthändig ab.

Owen gab ein kurzes Schnauben von sich, das eine Mischung aus Lachen und Brummen darstellte. Bei diesem Geräusch musste Sophie lächeln.

„Du hast es gehört, lästige Viecher…“, murmelte sie ihm zu.

„Frag mich nicht, wo wir hier hingeraten sind.“, erwiderte er im Flüsterton. Sophie sah ihn verschwörerisch an.

„Mach ich nicht, aber wir sollten sehen, dass wir hier wieder weg kommen.“

„Ich will doch auch nicht hier bleiben, aber wir werden uns wohl oder übel erstmal an diese Leute hier halten müssen.“

Die Heilerin kam auf die beiden zu und musterte sie von oben bis unten.

„Ist bei euch alles okay?“, fragte sie besorgt, während sie Owens Arm nahm und ihn abtastete.

Er zog die Hand rasch zurück. „Uns geht es super.“, erwiderte er schnell, bevor sie sich auch seinen anderen Arm schnappen konnte.

„Wenn ihr meint.“, sprach sie kurz, leicht enttäuscht, und wandte sich dann den anderen zu.

Wenig später, als alle wieder fit waren, liefen sie weiter. Der Weg durch die Höhle blieb ohne weitere Zwischenfälle.

So kamen sie ungehindert an ihrem Ziel, einem großen, wohl erst vor kurzem aufgeschlagenen Lager, an. Vor dem Eingang wandten sich die beiden Männer zu Sophie und Owen um.

„Ihr bleibt hier und wartet.“, gebot ihnen der eine, dann gingen sie durch das Tor und verschwanden aus Owens und Sophies Augen.

Sophie schaute sich um. Sie befanden sich allem Anschein nach auf einem großen Plateau. Dahinter grollte das Meer und die Gischt schlug an die Felsen.

Überall standen Kanonen, wie Sophie ausmachen konnte, und viele Männer und Frauen werkelten an diesen rum. Andere liefen wie aufgestachelt hin und her.

„Kannst du dir vorstellen, was die hier treiben?“, fragte sie Owen. Er blickte sie wieder einmal völlig ratlos an.

„Ich weiß echt nicht, wo wir hier hinein geraten sind, Sophie.“

„Damit stehst du nicht allein…“

Die zwei wurden unterbrochen, als einer der Männer freudestrahlend aus dem Lager herausgeeilt kam.

„Ihr seid dabei. Ihr dürft an der Mi’hen-Offensive teilhaben.“, rief er ihnen beinah ekstatisch zu.

Sophie und Owen sahen sich an.

„Mi’hen-Offensive?“

„Ja, ihr seid an der Front, aber kommt erst mal rein. Ihr werdet schon sehnsüchtig erwartet.“

Während die beiden durch das Tor gingen, hielten sie sich an der Hand.
 

Der Platz war tief ausgehöhlt. Fünf Stufen führten hinunter, ansonsten waren die Senken zum Sitzen geeignet. Eine Möglichkeit, die viele der Anwesenden nutzten.

Die Tür zum Tempel war groß, reich umschmückt und dadurch hervorgehoben, dass sie über der Senke lag. Die Treppe zu dieser war unten weit ausgeladen und ging nach oben hin eng zusammen. In ihrer Mitte war ein goldenes, geschwungenes Geländer, so wie auch an beiden Seiten außen.

Brianna war sprachlos von diesem Anblick. Sie musste sich selbst ermahnen, den Mund wieder zuzuklappen.

Am ehesten ließ sich dieses Bauwerk vor ihr wohl mit einem Sultan-Tempel vergleichen, auch wenn dieser Vergleich an einigen Stellen hinkte.

Der Tempel war hoch, weitläufig gebaut und erstrahlte in einem blütenreinen Weiß. Hoch oben ragten die goldenen, die Sonne reflektierenden Kuppeln in den Himmel.

Brianna blinzelte. Mit ihrer Hand beschattete sie ihr Gesicht, als sie nach oben in diesen Glanz schaute. Es war faszinierend.

So gebannt stand sie nun schon eine ganze Weile auf dem Platz. Die anderen waren in den Tempel gegangen und hatten sie hier zurückgelassen. Dass sie sie nicht im Tempel haben wollten, machte ihr nicht allzu viel aus, denn sie wusste ja den Grund dafür. Sie hatte sowieso keine große Lust gehabt mit hineinzugehen. Hier draußen konnten sie die Sonne und diesen glanzvollen Anblick genießen.

Yuna und ihre Begleiter würden wieder aus der großen Tür herauskommen, sie brauchte nur auf dem Vorplatz zu warten.

Brianna setzte sich auf den marmornen Boden und faltete ihre Hände auf ihrem Schoß. Eine sanft warme Brise wehte und es lag ein beruhigend melodiöser Klang in der Luft.

Ihre Augen geschlossen dachte sie an wieder einmal an ihre Freunde, wie so oft in ruhigen Momenten wie diesen. Was würden sie jetzt wohl tun, fragte sie sich. Leichter Wehmut legte sich auf ihr Herz.

„Bei der kann auch jeder Trottel Garde werden.“

„Der hat nicht schlecht geguckt, als wir ihn in den Aufzug geschubst haben.“

Dröhnendes Gelächter durchbrach die friedvolle Stille. Briannas selige Stimmung löste sich jäh auf.

Als sie zur Tempeltür sah, entdeckte sie zwei Gestalten. Eine schlanke, aufreizend gekleidete Frau in Begleitung eines untersetzten Kerls.

Diese beiden schienen sich über irgendetwas sehr zu amüsieren. Neugierig spitzte Brianna ihre Ohren.

„So eine Riesenhorde um sich zu scharen. Yuna ist eindeutig zu schwach, um es mit Sin aufnehmen zu können. Da wird ihr die Berühmtheit ihres Vaters auch nicht viel nützen…“, geiferte die Frau.

Ihr Begleiter klopfte ihr auf mit der Faust auf die Schulter. „Nur du allein kannst Sin bezwingen, Donna.“

Die Angesprochene, Donna, hob abwehrend die Hand und schenkte ihrem Gegenüber einen finsteren, eiskalten Blick. „Natürlich.“, sprach sie eine Spur zu selbstbewusst, fast selbstherrlich, wie Brianna fand.

„Und lass gefälligst dieses auf die Schulter klopfen! Du weißt doch ganz genau, dass ich das nicht ausstehen kann, Barthello!“, fügte sie noch drohend hinzu, wobei sie seine Hand schnappte und entschieden von sich weg drückte.

Schnellen Schrittes verließen die beiden den Tempelvorplatz. Brianna konnte ihnen nur noch verwundert hinterher schauen.

Eine Weile saß sie noch, den Kopf auf die Faust gestützt, da. Mit der anderen Hand malte sie wirre Zeichen auf den kühlen Stein und beobachtete die vorbei ziehenden und umher stehenden Leute.

Die Mittagssonne brannte heiß, als die anderen aus dem Tempel kamen.

Brianna spürte die Spannung zwischen ihnen schon von weitem. Ohne ein Wort an sie, gingen sie an ihr vorbei. Einzig Tidus blieb bei ihr stehen. Sein Blick war eine Mischung aus Erleichterung und Reue. Er wirkte so geknickt, dass Brianna sich sorgte.

„Was ist passiert?“, erkundigte sie sich vorsichtig bei ihm.

„Ach, nichts.“, winkte er schnell ab. Etwas zu schnell, wie Brianna fand. Forschend betrachtete sie ihn.

„Die haben dich gemeint.“, platzte sie, von ihrer Eingebung überwältigt, heraus.

„Wovon redest du?“ Tidus beäugte sie scharf.

„Vorhin kamen zwei Gestalten aus dem Tempel. Donna und Barthello hießen die, glaub ich. Die haben darüber gesprochen, dass sie jemanden in einen Aufzug geschubst haben. Einen Begleiter von Yuna. Tja, und so, wie du jetzt hier vor mir stehst, kannst das eigentlich nur du gewesen sein.“

Als Brianna mit ihrem Bericht fertig war, sah sie Tidus triumphierend an. Er lächelte leicht verlegen.

„So war’s.“, bestätigte er ihre Vermutungen. „Da habe ich ziemlich großen Mist gebaut.“

„Wieso denn?“ Brianna war verwundert über Tidus Aussage.

„Ich war in den Hallen der Prüfung.“, sprach er verlegen. „Schon wieder.“, fügte er nicht weniger reumütig hinzu.

Brianna zuckte mit den Schultern. „Was ist so schlimm daran?“

„Nur die Garde des Mediums darf sie in die Hallen der Prüfung begleiten.“, entgegnete er scharf.

Brianna vergrub sofort ihren Kopf zwischen ihren Knien. Als sie ein klatschendes Geräusch hörte, blickte sie wieder auf und sah, dass Tidus sich an die Stirn geschlagen hatte.

„Verdammt. Yuna hat mir doch gesagt, dass du ihr in der Kammer der Asthra in Besaid begegnet bist. Du bist ja noch weniger von hier als ich und ich weiß das doch selbst erst seit kurzem. Tut mir leid, Brianna.“ Seine Stimme überschlug sich fast bei diesem entschuldigenden Gestammel, so dass Brianna nicht umhin konnte leise zu kichern.

„Entschuldigung angenommen.“

Tidus entspannte sich sichtlich. „Dann sollten wir jetzt auch gehen, sonst stehen wir hier morgen noch und da müssen wir doch in Luca sein.“, plauderte er, wobei er sie von oben herab mit verschränkten Armen ansah.

Brianna blickte fragend zu ihm hoch. „Was ist denn dort?“

Tidus grinste breit, sein ganzes Gesicht strahlte.

„Das große Blitzball-Tunier!“
 

- Ende 4. Kapitel -

1. Wiedersehen

Viel Spaß beim Lesen des Kapitels!

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Misstrauisch beäugte Yvonne ihren Schuh. Sie saß an der Treppe zum Stadion von Luca. Den rechten Fuß hatte sie am Knöchel auf ihr linkes Knie gelegt.

„Mussten diese Schuhe sein? Gab es denn keine hübscheren?“, zeterte sie nun schon zum hundertsten Mal.

Auron hatte ihr ein neues Paar Schuhe besorgt, da sie unmöglich in ihren Pumps weiter rumlaufen konnte.

Als sie am ersten Abend ihre Schuhe ausgezogen hatte, hatte sie zähneknirschend feststellen müssen, dass ihre Fußsohlen von Blasen übersät waren.

„Tja, nun weiß ich auch, weshalb meine Füße mich so gemartert haben…“, hatte sie geseufzt. Wie auf Kommando hatte sie die Zimmertür ins Schloss fallen hören, und als sie sich dorthin rumgedreht hatte, musste sie feststellen, dass Auron verschwunden war.

Ohne langes Nachsinnen über diese plötzliche Aktion, war sie aufgestanden und ins Bad gegangen.

Eine Weile später, ihre Füße hatten sich im kühlen, nach frischen Kräutern duftenden Nass langsam wieder regeneriert, war er wiedergekommen. Stumm hatte er etwas vor ihre Füße geschmissen.

Vorsichtig hatte sie nach unten gesehen. Ihr Herz hatte einen erschreckten Satz nach hinten gemacht.

„Was soll das sein?“, war ihre erste unmittelbare Frage gewesen.

„Schuhe. In deinen anderen kannst du unmöglich weiterlaufen.“

Nun saß sie hier und spielte an den Schnürsenkeln. Die Schuhe sahen grauenvoll aus und passten so ganz und gar nicht zu ihrem Outfit. Ihr Rock war marineblau, ihre Weste hell und die Schuhe, die waren dunkel. Schwarz mit einem länglichen gelben Streifen an der Außenseite. Eines wusste Yvonne ganz sicher, sie musste andere Schuhe auftreiben. Jetzt, wo ihre Pumps verschwunden waren.

Nachdem Auron das Zimmer verlassen hatte, konnte sie sie nirgends mehr finden. Sie vermutete ganz stark, dass ihr neuer Begleiter ihre teuren Pumps gegen diese billigen Stoffüberbleibsel eingetauscht hatte. Bei diesem Gedanken bedachte sie ihn mit einem boshaften, verwünschenden Blick.

„Soll dich der Teufel holen.“, murmelte sie und zog die Schnürsenkel wieder fest.

Sie stand auf, richtete ihren Rock gerade und ging dann zu Auron, der an der Kasse mit der Frau dahinter sprach.

„Oh, sie sind doch die von neulich.“, wurde sie kalt lächelnd begrüßt. „Die, die keine Blitzball-Karten haben wollte.“, fügte die Kassiererin noch in einem nicht weniger bissigen Tonfall hinzu.

„Da stand ich wohl etwas neben mir.“, zwinkerte Yvonne breit grinsend.

„Das glaub ich ja auch…“ Die Kassiererin griff unter die Theke und zauberte zwei große, längliche Karten hervor, die das Symbol einer Welle mit einem blau-weißen Ball davor zeigten.

„Aber ich würde sagen, ihr habt noch mal Glück gehabt. Diese zwei Karten wurden heute wieder abgegeben. Ihre Besitzer können leider nicht zum Spiel kommen, ja, das haben sie sehr bedauert.“

Auron nahm die zwei Karten kurzerhand an sich. Dafür reichte er der Kassiererin ein paar Münzen, die klimpernd in ihre aufgehaltene Hand fielen.

„Recht vielen Dank und viel Spaß beim Spiel.“ Nach diesen Worten schloss sie die Glasfront vor ihrem Schalter. Die Scheibe verdunkelte sich, zurück blieb ein weißer Schriftzug ‚Ausverkauft’.

Yvonne gab Auron einen kräftigen brüderlichen Klaps auf die Schulter.

„Da haben wir ja wirklich enormes Glück gehabt.“, pfiff sie.

Auron wandte sich ihr zu. Sein Gesicht war unergründlich, die Augen, wie gewöhnlich, versteckt hinter der Sonnenbrille, so dass Yvonne nur ahnen konnte, ob er sie verdrehte. Sie glaubte nicht daran, so wie sie ihn bisher kennen gelernt hatte.

Er war eher ruhig, gelassen, beinah gleichgültig. Manchmal glaubte Yvonne, sie würde nie eine Gefühlsregung an ihm feststellen können, was sie jedoch nicht davon abhielt, es weiter zu versuchen. Wenigstens ein Zucken um die Mundwinkel, das würde ihr schon genügen. Fürs erste zumindest.

Diesmal war ihr Versuch wieder gescheitert. Es lag vielleicht nur daran, dass sie zu schwach war für einen kräftigen, umhauenden Schlag. Gedankenverlorenen betrachtete sie ihre Handfläche.

„Wir wären schon irgendwie zum Spiel gekommen.“

Yvonne sah nun wieder nach oben. „Warum ist das Spiel denn so wichtig?“, fragte sie leicht skeptisch. Auron hatte ihr nicht allzu viel gesagt, nur das Nötigste. Sie selbst hatte ihm alles erzählt. Noch bevor sie darüber nachdenken konnte, was das anrichten könnte.

Sie wunderte sich selbst, wie sehr sie diesem Mann vertraute. Immerhin hat er ihr alles zu Spira erzählt. Die verhängnisvolle, trauerbelastete Geschichte Spiras, Sin und das Medium, ja selbst über Blitzball war sie aufgeklärt worden. Yvonne wusste inzwischen genug, um sich auch allein durchschlagen zu können. Sie konnte sogar den Gruß, wie sie diesen Schabernack selbst nannte, mit dem sich hier jeder begrüßte.

‚Einen leichten Schritt nach vorne, in die Knie gehen, die Arme weit ausgestreckt und dann die Hände vor die Brust übereinander führen…’, betete sie sich die Stellung aufs Neue vor, wer weiß, wann sie mal nützlich werden könnte.

Aber über sich, hatte Auron nie gesprochen. Sie wusste weder, was er bisher getan oder was er je tun würde. Wahrscheinlich würde sie erst erfahren, was er vorhat, wenn es schon hinter ihnen lag.

Auron sah sie fest an. „Du könntest deine Freunde vielleicht wieder treffen. Bei dem Spiel kommen Leute aus ganz Spira zusammen.“

„Ich weiß noch nicht mal, ob sie auch wirklich hier auf Spira sind.“ Yvonne war sich immer noch nicht sicher, ob ihre Freunde auch wirklich mit durch den Steinkreis in diese Welt geschleudert wurden. Sie war immerhin alleine aufgewacht, da ist es genauso gut möglich, dass es nur sie, durch die Berührung der Steinplatte, hierher verschlagen hat.

„Das kannst du nicht wissen.“, sprach Auron beinah freundschaftlich aufmunternd.

„Vielleicht hast du ja Recht. Es ist zumindest den Versuch wert.“ Als sie diese Worte ausgesprochen hatte, glaubte sie sogar daran. Sie würde die Hoffnung nicht aufgeben, nicht bevor sie nicht ganz Spira erkundet und nirgendwo eine Spur ihrer Freunde entdeckt hätte.

Das Blitzball-Turnier war ein erster Anfang.
 

Brianna schlenderte über das lang gezogene Vorderdeck des Schiffes, das sie nach Luca bringen sollte. Um ihr herum herrschte emsiges Treiben. Sie hätte nicht gedacht, dass so viele auf dem Schiff sein würden. Bis jetzt hatte sie sich in ihrer Kajüte versteckt, doch da konnte sie schlecht die ganze Reise über bleiben. Sie brauchte frische Luft.

Nun ging sie hier. Sie beobachtete das Treiben nur aus der Ferne, so bald jemand seinen Kopf zu ihr drehte, blickte sie schnell weg. Es war die sicherste Methode, um möglichen Gesprächen aus dem Weg zu gehen und diese beherrschte sie perfekt.

Als sie zum Bug sah, entdeckte sie Yuna. Einsam stand sie dort und blickte auf den Weg, der noch vor ihnen lag.

Kurzerhand schlenderte Brianna zu ihr nach vorne.

„Wie ist die Aussicht?“, versuchte sie einen Anfang zu machen. Yuna drehte sich zu ihr. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung.

„Ach, du bist es Brianna.“

Brianna nickte und stellte sich an Yunas Seite. Der blaue Ozean breitete sich vor dem Bug ihres Schiffes aus. Nirgendwo war ein Ende zu entdecken, so sehr Brianna ihren Blick auch anstrengte. Die Sonnenstrahlen glitzerten auf den leichten Wogen.

„Das Meer ist wunderschön.“, murmelte sie in Gedanken versunken. „Man kann gar nicht glauben, dass…“

„Was für eine Gefahr es in sich birgt.“, schloss Yuna. „Sin lauert in den Tiefen, also lass dich nicht zu sehr gefangen nehmen, von diesem Anblick.“

Brianna sah ihren traurigen Blick in die Ferne und sie konnte die tief darunter liegende Entschlossenheit spüren. Um Yuna auf andere Gedanken bringen zu können, wechselte sie das Thema. Sie lehnte sich an die Reling, beugte sich nach vorne und streckte ihre Arme weit aus, so dass sie nur noch von dem Geländer gehalten wurde.

„Ich bin der König der Welt!“, schrie sie in den weiten blauen Himmel über ihnen. Yuna blickte sie verdutzt an.

„Das wollte ich schon immer mal machen.“, lachte Brianna und entfernte sich wieder von der Reling.

Yuna lachte nun ebenfalls, doch ihr Blick war immer noch leicht verwirrt. „Du machst vielleicht merkwürdige Sachen. Was sollte das?“

„Das kannst du nicht verstehen, aber bei mir auf der Erde gibt es eine Szene in einem Film, die ich so oft gesehen habe, dass ich schon gar nicht mehr mitgezählt habe. Die wollte ich unbedingt mal nachmachen, wenn ich mal auf einem Schiff bin.“

„Wirklich merkwürdig.“, entgegnete Yuna leichthin.

„So bin ich eben.“, winkte Brianna ab.

Eine Weile lachten die beiden noch ausgelassen miteinander, als Yuna plötzlich inne hielt und Brianna fest anschaute.

„Danke, Brianna.“ Yuna nahm Briannas Hand und hielt sie fest in ihren beiden. Durch diese Aktion durcheinander gebracht, senkte Brianna unsicher den Blick.

„Du musst dich nicht bedanken. Wofür denn auch?“, reagierte sie leicht verunsichert.

Yuna zwinkerte vergnügt. Einmal noch drückte sie Briannas Hand, bevor sie sie wieder losließ.

„Ich werde dann mal gehen. Wir sehen uns später, Brianna.“ Mit diesen Worten verschwand sie.

Brianna stand noch eine Weile alleine an der Reling und ließ sich den kühlen Meerwind ins Gesicht wehen. Um sich die Füße noch ein bisschen zu vertreten, schlenderte sie etwas auf dem Deck entlang.

Sie wandelte sinnend, tief versunken in Gedanken. Die Wellen brachen am Bug des Schiffes und breiteten sich nach hinten aus.
 

*Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen,

Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen.

Herrschend blickt er auf die grimme Tiefe

Und vertrauet, scheiternd oder landend,

Seinen Göttern.*
 

„Das war schön. Ist das von dir?“ Tidus kam Hände klatschend auf sie zugelaufen.

Verwirrt blickte Brianna nach rechts und nach links. „Ich hatte gedacht, ich wäre allein.“

Tidus lächelte. „Ich hatte wohl etwas versteckt gesessen.“, sprach er fast entschuldigend. Kurz lächelte auch Brianna. Sie fühlte eine leichte Wärme in ihrem Gesicht und fasste sich an die Wange. Noch bevor Tidus etwas merken konnte, ging sie schnell an ihm vorbei zur Reling am Heck. Sie beugte sich leicht darüber und beobachtete den Wasserwirbel und die vielen Schaumkronen, die sich von diesem stetig nacheinander ins offene Meer lösten.

„Woher hast du diese Zeilen nun?“ Tidus war neben sie getreten und blickte sie, ebenfalls nach vorne gebeugt, von der Seite an.

„Es ist nicht von mir.“, erwiderte Brianna. „Ich hab die Zeilen aus einem Gedicht von einem großartigen Dichter. Ich weiß auch nicht, weshalb ich daran gedacht habe…“

Sie griff mit beiden Händen um die oberste Sprosse der Reling und ließ sich nach hinten fallen. Ihren Kopf ließ sie in den Nacken fallen. Erst als ihr leicht schummrig wurde, zog sie sich wieder nach vorne. Tidus stand still neben ihr und schaute in das zurückliegende Gewässer.

„Soll ich dir was zeigen?“, fragte er sie plötzlich. Brianna nickte, woraufhin Tidus zu einem weiß-blauen Ball ging, der wie festgewachsen auf dem Boden lag.

„Pass auf!“, rief er ihr zu. Dann warf er den Ball in die Luft. Er kickte ihn mit dem Fuß gegen den Mast und sprang dann weit nach oben. Brianna staunte über die Höhe, die er erreichen konnte. Am höchsten Punkt begann Tidus sich zu drehen. Er vollzog die Schrauben in einer Geschwindigkeit, dass Brianna es partout nicht schaffte, die Umdrehungen zu zählen. Ohne Vorwarnung kickte Tidus den inzwischen zurückgekommenen Ball mit einer immensen Kraft in die weite Ferne. Brianna konnte nur noch staunend hinterher schauen. Begeistert lief sie zu Tidus und fiel ihm um den Hals.

„Einfach genial!“, schrie sie in sein Ohr.

Tidus Atem kitzelte an ihrem Hals. „Das war der Jekkt-Spezial.“

Plötzlich ließ Brianna von ihm ab. Der hintere Teil des Schiffes hatte sich gefüllt. Überall standen Leute, die Münder und Augen vor Staunen weit aufgerissen. Alle jubelten und ein paar Jungs, die Brianna in ihren Aufzügen irgendwie an Wakka erinnerten, kamen auf sie zugestürmt. Sie reihten sich um Tidus und sprachen hektisch auf ihn ein.

Aus dem sprachlichen Gewirr konnte Brianna sich keinen Reim machen. Sie fühlte sich etwas benommen, so entschied sie sich, in ihre Kabine zurückzugehen.

Sie hob kurz die Hand, wie zum Abschiedsgruß, dann ging sie an den Massen vorbei, zu der Tür, die zum Unterdeck führte.

Zwischen den Schaulustigen glaubte sie kurz, Yuna zu erkennen, doch sie hatte keine Lust auf ein weiteres Gespräch. Die Einsamkeit der kleinen Kajüte war jetzt das, was sie wollte.

Vor ihrem Schiff erschien bereits Luca.
 

Yvonne rannte zwischen den vielen Kisten aufgeregt hin und her.

„Hier bin ich aufgewacht!“, schrie sie überrascht. Sie lugte hinter die aufgestellte Reihe und entdeckte den Hohlraum, in dem sie vor gar nicht allzu langer Zeit gesessen und gegrübelt hatte. Fragend schaute sie Auron an. „Was wollen wir hier?“

„Das Schiff müsste bald ankommen. Es dauert nicht mehr lange bis Spielbeginn.“

Verwundert schaute Yvonne abwechselnd zwischen dem Meer und Auron hin und her. Sie lief den Pier entlang, bis sie an dessen Ende kam und blickte mit abgeschirmter Hand zum Horizont.

Auron stellte sich stumm neben sie, seinen Blick wie ihrer in die Ferne gerichtet.

Mit der Zeit wurde Yvonne immer aufgeregter, sie spürte ihr Herz schneller und lauter schlagen. Hibbelig lief sie ein paar Schritte hin und her. Sie schränkte sich bei Auron unter und sah ihn bittend an. „Siehst du schon was?“

Auron blieb stumm und sah sie auch nicht an. Nervös ließ sie seinen Arm los und lief wieder hin und her. Sie legte ihre Handflächen aufeinander und sah wieder ins Gesicht ihres Begleiters. „Und jetzt?“

Auron schüttelte den Kopf ganz leicht. Enttäuscht ließ Yvonne ihre Hände sinken und den Kopf hängen. Sie sah noch einmal zum Horizont, als sie einen überraschten Schrei ausstieß. An der Linie zwischen Himmel und Ozean konnte sie einen dunklen Punkt ausmachen, der stetig größer wurde. Ein Seitenblick zu Auron bestätigte ihre Beobachtung. Sie glaubte fast, seine Mundwinkel hätten sich zu einem flüchtigen Lächeln gehoben. Sein Blick ruhte sanft und erleichtert auf dem schwarzen Punkt. Yvonne war erstaunt. Es war die erste Gefühlsregung überhaupt, die sie an Auron feststellen konnte.

Sie fragte sich, was es wohl mit dem Schiff, das sich da näherte, auf sich hatte. Wer würde da wohl auf sie zufahren?

„Das Schiff fährt gleich ein. Wir sollten sehen, dass wir etwas Abstand gewinnen.“

„Du meinst, wir sollen uns verstecken? Aber, wieso denn?“, fragte Yvonne verblüfft.

„Es hat seinen Grund.“, erwiderte Auron kurz, etwas ärgerlich über die dumme Frage. Yvonne grummelte vor sich hin, doch dann ging sie mit Auron hinter die Kisten.

Als das Schiff ankam, füllte sich das Deck augenblicklich mit Menschenmassen. Aus den Lautsprechern ertönte eine laut hallende Stimme, woraufhin alle Anwesenden in einem riesigen Jubel ausbrachen. Von dem Schiff stiegen eine Reihe junger Männer, alle blau-gelb gekleidet, die ihren überschwänglichen Fans zuwinkten.

Die Lautsprecherstimme ertönte aufs Neue, doch diesmal hielt der Jubel sich in Grenzen. Die Leute blieben eher stumm, bis auf gedämpftes Getuschel und Gekicher mit dem Nebenmann.

Yvonne achtete nicht auf die Truppe, die nun vom Schiff kam, denn sie hatte etwas anderes entdeckt. Ihre Augen weiteten sich und in ihrem Bauch breitete sich ein beschwingtes, jubelndes Gefühl aus.

„Brianna.“, schluchzte sie, überwältigt von ihren Freudentränen. Sie wollte hinter den Kisten vortreten und zu ihrer Freundin laufen, doch Auron hielt sie zurück. Wütend funkelte sie ihn an.

„Lass mich! Dort ist Brianna!“, fuhr sie ihn in ihrem zynischsten Tonfall an.

„Wir gehen. Du wirst deine Freundin noch früh genug wieder sehen.“

Yvonne wollte widersprechen, doch irgendwie schaffte sie es nicht. Stattdessen folgte sie Auron wortlos hinter den Kisten weiter zum Ausgang vom Pier.

Später saßen sie in dem Café. Auron saß ihr gegenüber. Er schien über irgendetwas angestrengt nachzudenken und sie hatte keine Lust ihn dabei zu stören. Immer noch war sie wütend, dass er sie nicht zu Brianna gelassen hatte. Sie verstand den Sinn dahinter nicht.

Ohne Vorwarnung stand sie auf und schlug ihre Hände auf den Tisch, dass es nur so klirrte. Der Stuhl fiel laut krachend hinter ihr um.

„Ich lass mich nicht von dir aufhalten! Ich werde jetzt zu Brianna gehen!“, brüllte sie Auron an.

„Dann sollten wir jetzt ins Stadion gehen.“, erwiderte dieser nüchtern.

Yvonne ließ resignierend ihren Kopf sinken. „Du machst mich fertig.“, grummelte sie leise vor sich her.
 

Der Raum war erfüllt von den Stimmen der Besaid-Spieler. Brianna hatte sich in eine Ecke zurückgezogen und beobachtete diese ruhelose, begeisterte Stimmung, die kurz vor dem ersten Spiel hier herrschte.

Eine Tür wurde aufgerissen und Wakka trat, den Daumen in die Luft gereckt, ein.

„Jungs, wir haben den Freischein gewonnen! Nur zwei Spiele bis zum Sieg!“ Noch bevor er ausreden konnte, brach im Raum ein riesiger Freudenjubel aus. Alle umarmten sich überschwänglich gegenseitig bis die vielen einzelnen Gesichter in einem riesigen Knäuel untergingen.

Brianna ließ sich von der überquellenden Freude anstecken. Sie wollte zu Tidus, um ihm zu diesem Glückstreffer von Wakka zu gratulieren, doch sie konnte ihn nirgends entdecken. Auch Yuna war weg. Ihr Magen drehte sich und sie glaubte fast, jetzt und hier zusammenbrechen zu müssen.

Die Hand auf ihren Bauch gelegt, schleppte sie sich zu Lulu, die neben der Tür an der Seite von Wakka stand.

„Lulu, weißt du wo Tidus und Yuna sind?“, fragte sie, bemüht gleichgültig zu klingen.

Lulu sah sie ungerührt an. „Man hat Auron gesehen und die beiden wollten diesem Gerücht nachgehen. Ich schätze, sie sind irgendwo in Luca.“, erwiderte sie.

Brianna Sicht verschwamm. Sie nickte kurz zu Lulu, bevor sie aus dem Zimmer stürmte. Draußen setzte sie sich auf die Treppe zum Stadion und steckte ihren Kopf zwischen ihre Knie. Sie zählte bis zehn und atmete einmal tief durch.

„Jetzt reiz dich zusammen, Brianna.“, schalt sie sich selbst. „Was ist dein Problem?!“

Der Vorplatz zum Stadion hatte sich inzwischen, seit ihrer Ankunft hier in Luca, weiter gefüllt. Brianna schielte zu einem Pärchen an der Mauer, das sich leidenschaftlich in den Armen lag. Bei diesem Anblick verdrehte sie die Augen und schüttelte ihren Kopf. Mühsam zog sie die Luft durch ihre Zähne, bevor sie sie in einem langen Seufzer wieder ausatmete.

Plötzlich hörte sie ein wildes Kreischen. Sie glaubte fast ihren Namen zu hören und auch die Stimme kam ihr seltsam vertraut vor.

„Die klingt fast so hysterisch wie Yvonne.“, kicherte sie. In diesem Moment erschien auch Yvonne und fiel ihr freudig jubelnd um den Hals.

Brianna fühlte sich in Zeitlupe versetzt. Langsam hob sie ihre Arme, hielt kurz inne. Ihre Hände zitterten. Ihr Herz schien fast zu zerspringen. Dann umarmte sie Yvonne und der Bann war gebrochen. Die Tränen überkamen sie. Heulend ließ sie ihren Kopf auf die Schulter ihrer Freundin sinken.
 

Yvonne hielt ihre Freundin noch lange im Arm. Zuerst hatte sie es gar nicht glauben können, als sie sie entdeckt hatte. Sie hatte Auron stehen lassen und war kreischend zu ihr gerannt.

„Ich hab die Hoffnung schon fast aufgegeben, euch je wieder zu sehen.“, schluchzte Brianna. Yvonne streichelte ihr tröstend über den Rücken.

„Ich konnte es auch erst glauben, als ich dich vom Schiff kommen gesehen hab.“

Brianna schluckte kurz und sah ihre Freundin dann ungläubig an. „Schiff?“ Skeptisch wurde Yvonne von ihr beäugt.

„Ja, ich habe dich am Pier gesehen, doch leider konnte ich da noch nicht auf dich losstürmen.“, entschuldigte sich Yvonne. Betreten schaute sie kurz zur Decke, bevor sie sich wieder auf ihre Freundin konzentrierte, die sie immer noch argwöhnisch ansah.

„Ist ja jetzt auch egal, Hauptsache ist doch, dass wir uns wieder gefunden haben.“, sagte sie und grinste breit. Brianna nickte monoton.

„Jetzt erzähl. Was ist dir bis jetzt so widerfahren?“, fuhr Yvonne gewohnt neugierig fort. Sie stellte sich in erwartungsvolle Pose und tippte abwartend mit ihrem Fuß.

Brianna schien nachzudenken. Ungeduldig verschränkte Yvonne die Arme. „Jetzt sag schon.“

„Es ist nicht grad das, was man sich nach langem Wiedersehen erzählen sollte.“, wimmelte Brianna sie kurz ab. Yvonne ließ enttäuscht den Kopf auf die Brust sinken.

„Wie ist es dir denn so ergangen?“, wollte Brianna das Thema wechseln.

Ein Strahlen kehrte in Yvonnes Gesicht zurück. Es schien als hätte sie nur auf einen Anstoß gewartet. Sie überflutete Brianna mit ihrem Redeschwall. Sie erzählte davon, wie sie aufgewacht ist, wo sie hingegangen ist, wie sie Auron getroffen hatte…

„Ach, ich werde ihn dir gleich mal vorstellen.“, schloss sie im Plauderton und drehte sich einmal auf der Suche. „Hm, wo ist er denn bloß.“, murmelte sie nachdenklich.

Sie war so überstützt auf Brianna zugeeilt, als sie sie gesehen hatte, dass sie Auron einfach so zurückgelassen und nicht mehr an ihn gedacht hatte.

„Wart kurz.“, sprach sie zu Brianna und ging dann dorthin, wo sie Auron stehen gelassen hatte. Er war nicht mehr da. „Mist.“ Wütend stampfte sie mit ihrem Fuß auf den Boden.

Eine Weile lief sie noch über den Platz, doch nirgends war ein Fünkchen von Auron zu entdecken. Resigniert schlich sie zu ihrer Freundin zurück.

„Das mit der Vorstellung muss wohl noch warten.“

Brianna sah sie leicht schief an. „Du kannst doch deinen Retter nicht einfach so mir nichts dir nichts stehen lassen.“, tadelte sie. „Tja, aber so bist du nun mal.“ Brianna lachte.

„Mir geht es da aber auch nicht anders als dir.“, sprach sie nach einer Weile weiter.

Yvonne war verblüfft. „Dann bist du jetzt auch allein?“

Sofort schüttelte Brianna energisch mit dem Kopf. „Nein, nein, die anderen sind hinten in der Mannschaftskabine. Ich wollte nur gerade nach Tidus und Yuna suchen.“

Yvonne war mehr als erstaunt über ihre Freundin. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich einem Fremden anschließen könnte. Und nun war sie gleich mit einer ganzen Horde zusammen.

Brianna musste ihre Verwunderung bemerkt haben. „Yuna ist ein Medium und ihre Garde reist mit ihr durchs Land. Dann ist da noch die Blitzball-Mannschaft von Besaid. Da sind mit der Zeit einige zusammen gekommen.“

„Wer ist Yuna?“, wollte Yvonne wissen. Brianna sah sie in einer Mischung aus Enttäuschung und Erstaunen an.

„Ich hatte euch doch von meinem Traum erzählt?“, fragte sie vorsichtig an. Da erinnerte sich Yvonne wieder. An die Zugfahrt und ihr kurzes Gespräch bevor Owen reingeplatzt war.

„Ja, klar, das hatte ich ganz vergessen in all der Aufregung.“ Sie bedachte Brianna mit einem konspirativen Blick. „Da hattest du ja verdammt viel Glück, dass du gleich auf ein bekanntes Gesicht gestoßen bist und ich hatte schon gedacht, dass du in deiner Not jeden x-Beliebigen anquatschst.“ Sie bemerkte das wütende Funkeln in Briannas Augen. „So kenne ich dich nämlich nicht.“, wollte sie sie schnell beschwichtigen, doch sie merkte, dass sie schon zu weit gegangen war.

„Tut mir ja leid, dass ich dir zu zurückhaltend bin. So bin nun mal.“, fauchte Brianna sie zornig an.

„Immer mit der Ruhe. Das war nicht bös gemeint. Ich war eben erstaunt.“
 

Brianna kochte innerlich vor Wut. Nie hätte sie auch nur im Traum ahnen können, dass Yvonne so über sie dachte. Klar, sie war eben sehr still, halt von schüchterner Natur. Ihren Freundinnen gegenüber war sie jedoch stets offen und ehrlich. Sie hätte mindestens gedacht, dass sie ihr gegenüber ebenso offen waren. Und nun musste sie feststellen, dass Yvonne sich nie getraut hatte, ihre wahre Meinung über sie preiszugeben. Tja, nun war es ihr halt herausgerutscht. Nun wusste sie, wie Yvonne wirklich über sie dachte.

Enttäuscht wandte sie sich ab und ging die Stufen zum Mannschaftsraum runter.

„Hey, Brianna, warte mal!“, rief ihr Yvonne hinterher. „Sei doch nicht gleich eingeschnappt. Ich hab das doch gar nicht so gemeint!“

Kurz vor der Tür blieb Brianna stehen und verschränkte die Arme, während sie zu Yvonne hoch blickte. Als sie Yvonne so deprimiert auf der obersten Stufe stehen sah, entspannte sie sich und winkte ihre Freundin zu sich. Sofort kam sie hinuntergestürzt.

„Wollen wir reingehen?“, fragte Brianna und deutete auf die Tür. Yvonne nickte beschwingt, also öffnete Brianna die Tür und trat in den Raum.

Sofort entdeckte sie Tidus, der im hinteren Teil des Raumes mit Wakka und Lulu diskutierte. Sie blickte sich kurz nach Yvonne um und zeigte auf die drei. „Warte kurz.“

Dann ließ sie ihre Freundin zurück und ging zu den drein.

„Wir müssen was tun.“ Tidus sprach eindringlich auf die anderen beiden ein.

„Ja, du hast recht.“, entgegnete Wakka. „Geh du und rette Yuna. Ich werde sehen, ob wir das Beste aus dem Spiel machen können.“

„Wir sagen sofort Bescheid, wenn wir Yuna zurück haben.“, versprach Lulu.

Brianna näherte sich vorsichtig. „Was ist mit Yuna?“

Die drei sahen sie erstaunt an.

„Wer hat sie entführt?“, fragte sie eindringlicher und untermauerte ihre Frage noch mit einem scharfen Blick.

Tidus kam auf sie zu und legte seine Hände auf ihre Schultern. „Die Al-Bhed haben Yuna entführt. So hoffen sie, das Spiel zu gewinnen. Aber, das werden wir nicht zulassen. Wir holen sie zurück und dann gewinnen wir das Spiel.“

„Ich komme mit.“, sprach Brianna sofort. Nun wandte sich auch Lulu ihr zu. „Das wirst du nicht. Du bleibst hier. Wir machen das schon, keine Sorge.“

Empört biss sich Brianna auf die Unterlippe. „Ich will mitkommen.“

„Es ist besser, wenn du hier bleibst. Wer weiß, was uns erwartet.“, sagte Tidus eindringlich. Er sah ihr fest in die Augen. Sie konnte ihm einfach nicht widersprechen. Stumm nickte sie und trat betreten zur Seite.

„Keine Sorge, Wakka. Ich werde rechtzeitig zum Spiel zurück sein.“, versicherte Tidus Wakka noch, ehe er mit Lulu zur Tür hinaus eilte.

Yvonne war inzwischen an Briannas Seite getreten. „Wer war das denn?“, raunte sie ihr zu.

Brianna lief leicht rot an und blickte verlegen. „Das war Tidus.“

Anerkennend pfiff Yvonne durch ihre Zähne, sie schien nicht abgeneigt Tidus gegenüber. „Und die, die noch bei ihm war?“, fragte sie weiter.

„Das ist Lulu. Ach, und der ihr ist Wakka.“ Damit zog Brianna Wakka zu sich und Yvonne.

Yvonne zögerte nicht lange und stellte sich selbst vor. Wakka schien etwas ratlos, also erklärte Brianna ihm kurzerhand die Situation, wobei sie jedoch die Sache mit dem Steinkreis geschickt umging. Bei ihren Worten schien Yvonne kurz zu stutzen, doch sie verstand schnell und bekräftigte Briannas Aussage dann noch einmal.

Nachdem sie ihre Schuldigkeit gemacht hatten, sackten Yvonne und Brianna Rücken an Rücken auf der Bank, die in der Mitte des Raumes stand, zusammen. Die Spieler standen alle im Kreis und tauschten eifrig Spielstrategien miteinander aus.

„Bei der Story müssen wir jetzt bleiben.“, flüsterte Brianna Yvonne zu.

„Ganz schlecht.“, erwiderte Yvonne.

„Wieso?“

„Na, weil Auron die ganze Geschichte kennt. So wie sie wirklich abgelaufen ist.“

Brianna seufzte. „So ist es nun mal.“, entgegnete Yvonne leicht gereizt auf diesen Seufzer. Langsam drehte sich Brianna zu ihrer Freundin. Sie ließ ihre Füße baumeln und stützte ihre Hände auf die Bank. Yvonne setzte sich ebenfalls nach vorn und stützte nachdenklich ihren Kopf auf ihre übereinander gefalteten Hände.

„Yuna und Tidus wissen ja auch Bescheid.“ Bei diesen Worten war Yvonne empört aufgesprungen. „Wie bitte?!“, rief sie aufgebraucht.

Die Jungs aus der Mannschaft hielten kurz in ihren Plänen inne und schauten sich nach den beiden um.

„Still. Komm, setz dich wieder, Yvonne.“, flehte Brianna ihre Freundin leise an. Still setzte sich Yvonne wieder neben sie. Die Mannschaft widmete sich nun auch wieder ihren Strategien.

„Tidus ist in einer ganz ähnlichen Situation wie wir, deswegen habe ich ihm alles erzählt. Tja und bei Yuna, sie wusste es ja eh schon alles.“, versuchte sich Brianna entschuldigend zu erklären.

„Wegen dem Traum, ich weiß.“ Yvonne sah sie leicht verlegen an. „Tut mir leid, dass ich so ausgerastet bin.“

Kurzerhand umarmte Brianna ihre Freundin einmal fest. „Ich bin auch nicht sauer. Du wirst schon deine Gründe gehabt haben.“, gestand sie ebenfalls ein.

„Hey, wir müssen jetzt zum Spiel.“ Wakka war inzwischen zu ihnen getreten. „Wollt ihr hier warten oder ins Stadion gehen?“

„Ich will das Spiel sehen.“, erwiderte Brianna entschlossen.
 

Deprimiert ließ Yvonne ihre Schultern hängen. Das Spiel hatte sie über die Wiedersehensfreude ganz vergessen. Nun, da Auron fort war, gab es für sie keine Möglichkeit mehr ins Stadion zu kommen. Die Karten sind mit ihm verschwunden.

„Ich muss leider passen.“

Brianna schaute sie leicht schockiert an. „Willst du das Spiel nicht sehen?“, fragte sie ungläubig.

„Doch schon.“, erwiderte Yvonne. „Ich hab nur keine Karten und ohne komm ich schlecht ins Stadion.“

Nun schaltete sich Wakka ein. „Das ist doch kein Problem.“ Er zückte zwei Karten und gab sie ihnen.

Yvonne blickte fassungslos, als Brianna die Karten an sich nahm. Kurz bedankte sich Brianna bei Wakka und schnappte sich dann Yvonnes Hand, um sie aus dem Raum zu schleifen.

„Er gibt uns einfach so Karten?“ Yvonne konnte es immer noch nicht fassen. „Wo hat er die her? Es war doch alles ausverkauft?“

Lachend erwiderte Brianna, während sie ihre Freundin weiter beharrlich hinter sich her zog: „Mensch, die Besaid-Aurochs spielen doch selbst mit. Da hat man halt Karten in Reserve.“

„Wenn du meinst.“, erwiderte Yvonne. Sie war immer noch skeptisch. So leicht ließ sie sich von Brianna nicht überzeugen.

„Mach dir keine Gedanken. Freu dich einfach aufs Spiel.“

Brianna gab am Einlass die Karten ab. „Viel Spaß beim Spiel.“, betete der Einlasser monoton vor sich her, während er die Karten anriss.

„Werden wir haben.“, winkte Brianna freudestrahlend ab und rannte, immer noch Yvonne im Schlepptau, die Stufen hinauf. Yvonne musste aufpassen, dass sie nicht stolperte. In dieser Situation war sie nun doch dankbar für die neuen Schuhe.

Im Stadion erwartete sie eine unglaublich laute Geräuschkulisse. Von allen Rängen drangen Anfeuerungsrufe.

Als Yvonne in die Mitte schaute, kniff sie kurz verblüfft ihre Augen zusammen. Eine riesige mit Wasser gefüllte Kugel schwebte dort und drinnen schwammen schon die Spieler des ersten Teams.

„Auron hat mir davon erzählt, aber ich hatte es einfach nicht glauben können.“, raunte sie zu Brianna, die genauso verblüfft schien wie sie.

„Ja, so etwas hätte ich mir auch im Traum nicht vorstellen können.“
 

Noch euphorisch vom Spiel traten Brianna und Yvonne in den Mannschaftsraum. Yuna saß bereits dort, zusammen mit Tidus und Lulu.

Erleichtert sah Brianna, dass es ihr gut ging. Sie wollte sofort zu ihr, doch es gab zunächst noch etwas anderes zu erledigen. Sie ging zu den versammelten Besaid-Aurochs.

„Ihr habt grandios gespielt. Der Sieg war mehr als verdient.“ Sie schüttelte jedem einzelnen Spieler die Hand und nickte ihnen anerkennend zu.

Jetzt, da das erledigt war, konnte sie zu Yuna und den anderen gehen. Hinter sich hörte sie Yvonne, die ihr in nichts nachstehen wollte und nun ebenfalls eifrig auf die Spieler einredete.

„Yuna, wie geht es dir?“, fragte sie, noch leicht besorgt, als sie vor Yuna stand. Yuna lächelte ihr unbekümmert zu. „Alles in Ordnung mit mir. Du brauchst dir keine Gedanken machen.“

„Sie hatten gedacht, dass sie uns auf diese Weise schlagen könnten, aber da haben wir ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht.“, sagte Tidus triumphierend.

„Das war trotzdem ganz schön knapp am Ende.“, machte Yvonne, die inzwischen auch zu ihnen gestoßen war, Tidus auf den knappen Ausgang des Spiels aufmerksam.

Zwischen den drein auf der Bank machte sich Verwirrung breit. Yuna stand auf und musterte Yvonne misstrauisch von oben bis unten. „Und, wer bist du?“

„Das ist eine sehr gute Freundin von mir. Yvonne.“, reagierte Brianna blitzschnell. „Yvonne, das sind Yuna, Tidus und Lulu kennst du ja schon. Und das ist… Hm, deinen Namen kenne ich selbst noch gar nicht.“ Während ihrer Vorstellung hatte Brianna an passender Stelle auf den Vorgestellten gezeigt. Bei dem großen, blauhaarigen „Tier“, das sie aufrecht stehend um einiges überragte und dessen Stirn ein abgebrochenes Horn zierte, hatte sie gestockt.

Yuna lachte. „Mensch, da bist du nun schon so lange bei uns und kennst noch nicht mal Kimhari.“

„Du bist mir irgendwie noch nie aufgefallen.“, entschuldigte sich Brianna bei Kimhari. Der würdigte sie nur eines kurzen despektierlichen Blickes.

„Wo kommst du denn her, Yvonne?“, erkundigte sich Yuna neugierig.

Yvonne zögerte. Hilfe suchend blickte sie sich nach Brianna um.

„Wir sind vom selben Ort.“, antwortete Brianna für Yvonne. „Ich glaube, dass letzte Spiel fängt gleich an, oder?“, fügte sie fragend hinzu und beendete somit das Thema um Yvonne.

„Ja, du hast recht.“, stellte nun auch Tidus, nach einem kurzen Blick auf die Anzeigetafel fest. „Wakka, wie sieht’s aus?“

Wakka humpelte auf sie zu. Er war ziemlich schwach auf den Beinen. Das letzte Spiel hatte ihn doch mehr zugesetzt, als Brianna zuerst geglaubt hatte. Lulu eilte schnell zu dem Verletzten und stützte ihn.

„Leute, mal herhören. Diesmal wird Tidus mitspielen.“, begann er. Seine Stimme war brüchig. Die Blicke aller Mitspieler waren gespannt auf ihn gerichtet. Als Brianna zu Tidus blickte, konnte sie den Glanz der schieren Vorfreude in seinen Augen sehen. Innerlich freute sie sich riesig für ihn.

Einer der Spieler trat resignierend aus der Reihe, den Kopf auf die Brust gesenkt. „Okay, Chef. Ich werde euch kräftig anfeuern.“

Wakka hob verneinend die Hand. „Tidus wird für mich spielen. Jungs gebt euer bestes.“

Ein erstauntes Raunen ging durch den Raum. Jeder wollte widersprechen, doch Wakka beharrte auf seiner Entscheidung.

Er richtete sich noch etwas mehr auf und sprach zur versammelten Mannschaft im Raum.

Andächtig hörte Brianna der Rede zu. Sie war beeindruckt von Wakkas Fähigkeiten als Mannschaftskapitän. Beim abschließenden Beifall fiel sie begeistert mit ein.

„Brianna, komm wir wollen zu den Rängen.“ Yuna war bereits mit Yvonne an der Tür.

„Geht schon mal, ich komme gleich nach.“, rief sie den beiden zu. Sie fasste all ihren Mut zusammen und ging zu Tidus. Er wollte gerade mit der Mannschaft durch die Tür zum Spielfeld gehen.

„Tidus?“ Er drehte sich zu ihr um und schaute sie erwartungsvoll an.

Brianna schluckte noch einmal kräftig. „Viel Erfolg beim Spiel.“ Daraufhin gab sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange.

Noch bevor sie vollends rot anlaufen konnte, war sie aus dem Raum gerannt und blieb atemlos an der Treppe stehen.
 

Jason lehnte lethargisch am Geländer der obersten Ränge und rauchte genüsslich eine Zigarette.

Der Trubel um ihn herum interessierte ihn herzlich wenig. Das Spiel, das gerade lief, war ihm auch egal.

Er blickte in den Himmel und grinste hämisch, bei dem Gedanken an das, was hier gleich geschehen würde.

Als er Schritte hörte, drehte er sich zu den Stufen des erhöhten Podiums. Er ließ die Zigarette vor seine Füße fallen und trat sie energisch aus. Vor seinen Augen erschien eine große Gestalt. Gekleidet in einen blauen, an der Hüfte mit einem dicken, roten Band zusammengebundenen, langen Mantel. Sein langes Haar, in einem helleren blau als seine Kleidung gehalten, hing fast ungerührt vom Wind steif nach unten.

„Meister Seymor.“, begrüßte Jason ihn mit einer kurzen ehrfürchtigen Verneigung.

„Ist alles vorbereitet?“ Seymor schaute herabwürdigend auf seinen Gehilfen, der diesen Blick immer noch leicht nach vorn gebeugt erwiderte.

Jason hatte es im ersten Moment bereut, dass er den anderen in die Höhle gefolgt war, als er hier aufgewacht war. Völlig orientierungslos war er durch die Gegend geirrt, bis er eines Tages von Seymor aufgelesen wurde. Nun war er hier und die rechte Hand von Seymor, der einen großen Einfluss hier in dieser Welt zu haben scheint. Jason hatte sich schon immer gerne den Mächtigen angeschlossen, zumindest so lange, bis er selbst ein gewisses Ansehen erreicht hat.

„Ich habe alles zu ihrer vollsten Zufriedenheit ausgeführt. Es wird genau so ablaufen, wie sie es geplant haben.“

Bei diesen Worten huschte ein höhnisches Lächeln über Seymors Lippen. „Sehr schön. Dann kann es ja losgehen.“
 

Brianna ließ sich von dem überwältigenden Freudenjubel im Stadion anstecken und brüllte ihre Begeisterung lauthals heraus. Gerade war das 2:1 für die Besaid-Aurochs gefallen. Die Mannschaft war auf dem besten Weg zum Pokal.

„Das Team ist einfach super und Tidus ist als Stürmer schlichtweg genial!“, schrie Yvonne ihr ins Ohr.

Brianna nickte energisch, während sie die Mannschaft weiter lautstark anfeuerte.

Doch allmählich merkte sie, wie die Anfeuerungsrufe sich verwandelten. Inzwischen schienen alle nach Wakka zu rufen. Erstaunt blickte sie nach allen Seiten.

„Was ist denn nun los?“

„Sie haben Wakka wohl im letzten Spiel in ihr Herz geschlossen.“, antwortete Yuna, während sie weiter gebannt auf das Spielfeld in der Wasserkugel blickte. „Tidus scheint es auch gemerkt zu haben. Er verlässt das Spiel.“

Brianna nahm das Spielfeld nun genauer unter die Lupe und tatsächlich, Tidus schwamm zum Ausgang. „Nicht doch.“, murmelte sie leicht enttäuscht.

„Es ist das Beste, und das weiß Tidus auch.“ Yuna sah Brianna beschwichtigend an. „Er tut so mehr für das Spiel, als er es je auf dem Spielfeld könnte.“

Um sie herum brachen nun erneut Freuden- und Anfeuerungsrufe aus. Alle riefen Wakka zu, der gerade das Spielfeld betrat.

Wakka schien durch diese Begeisterung um seinetwillen neue Kraft geschöpft zu haben. Er spielte härter und besser als beim ersten Spiel und führte sein Team unter dem lärmenden Beifall der Zuschauer zum 3:1-Sieg.

Erleichtert fielen sich die Mädchen auf der Tribüne um den Hals.

„Sie haben es geschafft.“, jubelte Yuna und Brianna fiel mit ein. „Sie haben den Pokal!“

Auf einmal brach auf der Tribüne ein riesiger Tumult aus. Die Leute schrieen, wobei es sich nun nicht mehr um Freuden-, sondern um Angstschreie handelte.

Erschrocken sah sich Brianna um und auch Yuna und Yvonne blickten alarmiert durch die Reihen.

„Oh mein Gott, was ist das?!“, kreischte Yvonne. Brianna folgte ihrem Blick und erschauderte. Ihr erstes Monster, das sie gesehen hatte, hatte ihr schon einen eiskalten Schauer über den Rücken gejagt, doch diesmal war es nicht nur eins, sondern dutzende verschiedenartige Monster, die sie in keine Kategorie einteilen konnte.

Die Zuschauermassen drängten zum Ausgang.

„In diesem Gedrängel kommen wir nie rechtzeitig zum Ausgang.“, stellte Brianna mutlos fest. Yuna bestätigte ihre Vermutung. „Dann bleibt uns nichts anderes übrig, als zu kämpfen.“

Yvonne und Brianna schauten gleich schockiert drein. „Wir können aber nicht kämpfen.“, sprachen sie wie aus einem Mund.

„Ihr müsst.“
 

- Ende 5. Kapitel -

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Der Fünfzeiler in der Szene, wo Brianna auf dem Schiff ist, ist übrigens aus dem Gedicht „Seefahrt“ von J.W. Goethe.
 

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Ist dieses Kapitel tatsächlich so lang geworden? Hui, ich schreibe und schreibe und dann guck ich auf die Seitenzahl und kriege einen leichten Schock. Inzwischen kommt aber in den Kapiteln auch `ne Menge zusammen.

Das nächste Kapitel wird wohl leider wieder etwas länger auf sich warten lassen. Vor mir liegen jetzt erst einmal ein Referat und Klausuren. In den SF werde ich dann aber wieder mehr Zeit finden.

Gruß, Jenny

Erkenntnisse

Brianna fühlte sich hundeelend. Die Hände über ihren Kopf zusammengeschlagen, kauerte sie am Absatz der Treppenstufe. Um sie herum herrschte ein Tosen wie auf dem Höhepunkt einer Schlacht. Und dies war eine Schlacht, wie sie Brianna noch nie erlebt hatte. Ihr stand ein übermächtiger Gegner gegenüber. David gegen Goliath – doch ihr fehlte die List, um siegreich aus diesem Kampf hervorzugehen.

Im Angesicht des übermächtigen Feindes hatte sie das Erstbeste getan, was ihr eingefallen war: Sie war weggelaufen und hatte sich versteckt. Nun hoffte sie, dass dieser Kampf bald ein Ende finden würde. Ein Ende, dem sie heiß entgegenfieberte.

Die Schweißperlen rannen ihr eisig die Stirn hinab. Ihre Haare klebten in ihrem Nacken.

Neben sich spürte sie die vertraute Anwesenheit ihrer Freundin. Ein wenig beruhigte sie die Vorstellung, dass es der sonst so gewieften Yvonne nun auch nicht anders erging als ihr.

Plötzlich begann Yvonne zu sprechen. Ihre Stimme klang brüchig, die Panik darin war nicht zu überhören. „Yuna hält das nicht mehr lange durch.“

„Was können wir denn schon ausrichten?“, erwiderte Brianna. Das Schuldeingeständnis kam ihr schneller über die Lippen als ihr lieb war. Sie hatten Yuna im Stich gelassen, wo sie doch auf sie gebaut hatte. Brianna fühlte sich immer schlechter, ihr Gewissen lastete schwer auf ihrer Seele. Unermüdlich schlug ihr Herz in leisem Vorwurf gegen ihre Brust.

„Wir sind feige. Wir lassen Menschen im Stich, die uns vertrauen.“, gab sie zu. Yvonne sah sie erbost an.

„Willst du etwa, dass wir freiwillig in den Tod rennen?!“ Die Frage klang verärgert, doch Brianna hörte, dass das schlechte Gewissen auch an ihrer Freundin nagte. Sie sah so schlecht aus, wie Brianna sich fühlte. Die Augen geschwollen und blutunterlaufen, von den vielen Tränen, die Yvonne bereits vergossen hatte. Der Zwiespalt zerriss ihr Herz – Angst und Verrat. „Denn sterben werden mir mit Sicherheit, wenn wir uns da jetzt einmischen.“

„Wenn wir es nicht tun, wird Yuna sterben.“, flüsterte Brianna.

Yvonne legte einen Arm um ihre Freundin. „Sie wird wahrscheinlich so oder so sterben. Wir können nichts für sie tun. Warum sollten wir uns selbst opfern?“

Brianna überblickte das Schlachtfeld. Der Kampf forderte seine Opfer. „Es ist so ungerecht.“ Sie fühlte, wie ihre Worte unter ihren Schluchzern untergingen. Es war ein grausamer Anblick, doch Brianna konnte sich nicht davon abwenden. Sie musste eine Entscheidung treffen, doch sie haderte noch mit sich selbst.

Eine entfernt an einen Tiger erinnerte Kreatur packte gerade einen Mann am Bein. Kräftig warf es den Kopf hin und her, wodurch sein Opfer durch die Luft geschleudert wurde. Brianna konnte den Schmerz des Mannes fühlen als wäre es ihr eigener, als der Oberschenkelknochen knackend nachgab und zerbrach. Der schlaffe Körper flog durch die Luft und landete hart an der Tribüne. Regungslos blieb der Mann liegen. Das Blut schoss fontänenartig aus dem Stumpf und Brianna überkam ein unwillkürlicher Würgereiz. Sie spürte wie ihr Magen sich krampfhaft zusammenzog. Gerade noch rechtzeitig wandte sie sich von Yvonne ab, bevor sie sich übergab.

Yvonne klopfte ihr tröstend auf den Rücken und hielt ihre Haare zurück.

„Ist alles in Ordnung mit dir?“, fragte sie besorgt. Brianna nickte, während sie sich mit der Faust über den Mund wischte.

Trotz dieser markerschütternden Beobachtung konnte Brianna nicht den Blick vom Schlachtfeld nehmen. Plötzlich entdeckte sie mitten im Kampfgewühl das Medium. Sie schluckte, als sie sah, wie verzweifelt ihre Lage war. Yuna schwitzte, ihre Augen wirkten glasig, ihr Blick starr. Mit letzter Kraft hielt sie sich an ihrer gerufenen Bestia fest. Doch trotz dieser sichtbaren Schwäche strahlte sie die grimme Entschlossenheit einer Amazone aus.

Brianna konnte dem ganzen nicht länger zusehen. Die Stärke von Yuna ließ sie selbst wie eine kleine, schwache Maus erscheinen. Entschlossen blickte sie zu Yvonne.

„Ich habe einen Entschluss gefasst.“, verkündete sie ihre Entscheidung und ihre Worte ließen keinen Zweifel an ihrer Ernsthaftigkeit zu. „Ich werde Yuna helfen und mir ist egal, was mit mir passiert.“

Yvonnes Augen huschten ratlos hin und her.

„Es gibt keinen Ausweg. Ich kann Yuna nun mal nicht so einfach im Stich lassen.“, sprach Brianna eindringlich auf ihre Freundin ein. Nur leicht nickte Yvonne. „Ich weiß, dass du recht hast.“, erwiderte sie zögerlich.

Ein leichtes Lächeln umspielte Briannas Lippen. In ihren Augen glänzte die pure Entschlossenheit, doch dahinter versteckte sie ihre Angst vor dem unausweichlichen Tod.

Sie stand auf und rannte zum Geländer, das die obersten Sitzreihen von den unteren trennte.

„Wollen wir denn ewig leben?“, brüllte sie in das Kampfgetümmel. Ihr Entschluss stand fest, sie würde kämpfen.
 

Die Kanonen standen dicht aneinander aufgereiht vor den Transportwagen, bereit an den Rand der Klippe geschoben zu werden. Diese Aufgabe hatte man Sophie, Owen und ein paar anderen zugeteilt. Sophie war für den vorderen Teil zuständig, Owen war ganz hinten eingeteilt, weshalb die beiden sich nicht sehen konnten.

Gerade mühte sich Sophie damit ab, eine der vielen Waffen an seinen vorgesehenen Platz zu schieben. Es war eine schweißtreibende Arbeit. In Strömen lief ihr der Schweiß von der Stirn und brannte in ihren Augen. Ihr T-Shirt, das sie oberhalb des Bauchnabels zusammengebunden hatte, war bereits klitschnass geschwitzt. Doch sobald würde diese Arbeit kein Ende finden, wie Sophie mit einem Blick auf die noch übrigen Waffen bitter feststellte.

Trotz all ihrer Bemühungen und obwohl sie ihre ganze Kraft aufwandte, bewegte sich die Kanone kaum einen Millimeter. Resigniert hielt sie inne. Aus ihrer Hosentasche kramte sie ein Tuch hervor und wischte sich damit den Schweiß aus dem Gesicht.

Seufzend warf sie das Tuch in den Dreck. Bis Einbruch der Dämmerung mussten alle Kanonen an ihrem Platz stehen. Die Sonne stand schon jetzt in ihrer Mittagshitze. Sophie schätzte die Zeit so gegen eins, das hieß, ihr blieben nicht mal mehr ganz sechs Stunden und bis jetzt hatte sie gerade zwei von diesen schweren Teilen vorgeschoben.

Wenn sie weiter in diesem Schneckentempo arbeitete, würde sie es nie rechtzeitig schaffen. Erneut stemmte sie sich gegen die Kanone. Sie spannte jeden einzelnen Muskel in ihrem Körper an, doch noch immer kam sie nicht schneller voran.

„So wirst du doch nie rechtzeitig fertig.“

Bei diesen Worten erschrak Sophie und drehte sich sofort um, bereit es mit jedem Angreifer aufzunehmen. Sie atmete erleichtert auf, als sie sah, dass es nur Owen war. Doch schon im nächsten Augenblick musste sie schlucken. Er stand, sein Hemd lässig über die Schulter geworfen, vor ihr und lächelte sie verschmitzt an. Sein Körper glänzte von der harten Arbeit, die hinter ihm lag. Sophie wusste nicht wieso, doch dieser Anblick, raubte ihr den Atem. Wieso sie auf einmal so empfand war ihr vollkommen schleierhaft, wo sie ihn doch schon so oft so gesehen hatte.

Sie schüttelte sich kurz, um ihre Gedanken wieder frei zu bekommen. Dann machte sie sich wieder an ihre Arbeit. Eine solche Ablenkung konnte sie jetzt überhaupt nicht gebrauchen.

„Ich hab zu tun, Owen. Kannst du deine Späße nicht woanders treiben?“, zeterte sie entnervt und stemmte sich gegen die Kanone. Sie hörte, wie Owen kurz auflachte.

„Eigentlich hatte ich ja vor, dir zu helfen.“, entgegnete er ihr lässig. Sophie stemmte sich mit ihrer ganzen Körperkraft gegen die Kanone.

„Du willst mir doch nicht weismachen, dass du schon fertig bist?“, presste sie atemlos hervor, während sie versuchte das Monstrum ein Stück weiterzubewegen. Wieder lachte Owen.

„Natürlich bin ich längst fertig.“

Sophie spürte neue Schweißperlen auf ihrer Stirn.

„Na, dann hilf mir doch endlich!“, fuhr sie ihn aufgebracht an. Diesmal blieb Owen stumm. Er ging auf sie zu und stellte sich vor sie ihn. Beschwichtigend legte er eine Hand auf ihre Schulter. „Du machst das ganz falsch.“

„Wie bitte?!“, erwiderte Sophie grantig. Die Arbeit war schwer genug, da brauchte sie nicht noch die dummen, herablassenden Kommentare von Owen. Der tätschelte immer noch ihre Schulter, als könnte er sie damit wieder beruhigen. Zornig stieß sie seine Hand weg und funkelte ihn an.

„Ich will damit nur sagen, es gibt einen Trick bei diesen Dingern.“

„Schön, und warum hat mir den bis jetzt noch keiner gezeigt?“

„Ich hab’s ja auch nur durch Zufall rausbekommen.“

Darauf erwiderte Sophie nichts. Neugierig beäugte sie die Kanone. „Was soll denn dieser Trick sein?“, fragte sie honigsüß. Sie hoffte, dass sie Owen nicht zu sehr verärgert hatte und er ihr immer noch helfen wollte.

„Ein Hebel.“, antwortete er knapp. Sophie beugte sich zur Kanone und tastete sie überall ab. „Nichts.“, murmelte sie enttäuscht, als sie plötzlich Owens Körper in ihrem Rücken spürte. Er griff an ihr vorbei, wobei er ihre Hand sachte berührte. Unwillkürlich zog Sophie sie zurück. Zum Glück bemerkte Owen ihre kurze Panikattacke nicht.

„Siehst du, hier ist er.“ Sophie schaute zu der Stelle, auf die Owen deutete und entdeckte einen kleinen roten, völlig unscheinbaren Schalter.

„Und was bewirkt dieser Schalter?“, wollte sie wissen. Zögernd zog sie ihre Hand wieder vor und legte den Schalter um.

„Weißt du, die Räder an der Kanone haben eine Sperre.“

„Ach, und das ist der Schalter zur Bedienung?“

„Genau genommen, waren die Räder bei dir die ganze Zeit gesperrt.“

Ungläubig trat Sophie ein paar Schritte zurück, um die Waffe noch einmal ganz in Augenschein nehmen zu können. Die Kanone selbst stand auf einem hohlen Block, dessen Seiten aus Holz bis fast auf den Boden reichten. Wenn es also Räder gab, dann mussten diese dahinter versteckt sein.

„Ich habe überhaupt nicht gewusst, dass dieses Ding überhaupt Räder besitzt.“ Es war mehr eine Tatsachenfeststellung, die Sophie laut ausgesprochen hatte.

Owen grinste: „Hast du etwa gedacht, du müsstest einen schweren Klotz kilometerweit schieben?“

Schäckernd nahm er sie in den Schwitzkasten und verwuschelte ihre Haare. Sophie befreite sich, indem sie ihren Ellenbogen in Owens Bauch rammte. Ihr Herz schlug wie verrückt. Seine Nähe machte sie ganz verrückt. Sie konnte einfach nicht begreifen, weshalb sie auf einmal solche Gefühle hatte. Hatte Owen schon immer so anziehend auf sie gewirkt? Schließlich hatte er schon immer eine gewissen Wirkung auf Frauen, doch ihr selbst war es nie so aufgefallen. Vielleicht war sie zu sehr in ihren Sport vernarrt gewesen, dass sie die Männer dabei ganz übersehen hat.

Sie sprach kurz ein paar dankende Worte zu ihm, die er grinsend entgegennahm. Dann lief sie wieder zur Kanone und machte sich erneut daran, diese zu ihrem vorgesehenen Platz zu schaffen.

Der Tipp von Owen wirkte Wunder, schon nach nicht mal einer Stunde, hatte sie ihre Arbeit geschafft. Erschöpft ließ sie sich gegen ihre letzte gebrachte Waffe sinken und blickte in den blauen Himmel. Owen hockte sich vor sie, die Arme auf die Knie verschränkt und griente sie wohlwollend an.

„Danke noch mal für deine Hilfe.“, fing sie an, als Owen nach einer Weile Grinsen immer noch nichts gesagt hatte.

Er beugte sich ein Stück nach vorne und tippte mit dem Finger auf seine rechte Wange. „Hier will ich ihn haben.“, flötete er fröhlich. Sophie stutzte.

„Und was, wenn ich fragen darf?“

Sein Lächeln wurde immer breiter und nahm schließlich sein gesamtes Gesicht in Beschlag. Zwinkernd beugte er sich noch weiter vor, bis seine Knie schließlich den Boden berührten.

„Na was wohl. Einen Dankeschönkuss.“ Er hielt nun seine Wange ganz dicht vor ihr Gesicht. Sophie schluckte, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Eine mögliche Ausrede gab es nicht, zumindest nicht ohne ihre Gefühle für ihn preiszugeben, also tat sie es.

Ihre Lippen berührten kaum seine Wange und doch war es wie ein Griff in die Steckdose. Ihr ganzer Körper war elektrisiert. Ein Gefühl übermannte sie, das Blut gefror in ihren Adern und ihr Bauch startete erste tollkühne Versuche in der Rodelweltmeisterschaft.

Sie konnte es nicht länger ignorieren. Es zog sie immer mehr zu ihm hin. Sie begehrte ihn, liebte ihn sogar.
 

Voller Edelmut hatte Brianna sich tollkühn zwischen Yuna und ihrem scheinbar unbezwingbaren Gegner gestellt, doch nun wusste sie absolut nicht, was sie tun sollte. Sie war blindlings in diese Situation gerannt, ohne groß über ihre Verteidigung nachzudenken. Von weitem hatte diese Kreatur viel kleiner ausgesehen und nicht so Furcht einflössend.

Im Anblick dieses zentnerschweren Riesen schlotterten ihr buchstäblich die Knie. Die Waffe dieses Ungetüm war fast genauso groß wie es selbst und würde Brianna mit Leichtigkeit platt wie eine Flunder machen.

Brianna war wie erstarrt, die Angst lähmte sie. Plötzlich ergriff Yuna ihre Hand und zog sie nach hinten zu sich und ihrer Bestia. Gerade rechtzeitig, denn nicht einmal einen Herzschlag später, sauste die riesige Keule zu Boden, an eben die Stelle, wo zuvor noch Brianna gestanden hatte. Brianna krauste es nur bei dem Gedanken daran.

„Willst du unbedingt sterben?“, fragte Yuna sie atemlos vor Entsetzen. Brianna schüttelte energisch den Kopf.

„Ich wollte dir doch nur helfen.“, antwortete sie kleinlaut.

„Helfen, indem du dich selbst opferst?“

„Zu mehr bin ich doch nicht fähig. Ich kann nicht kämpfen, ich weiß noch nicht mal wie ein Schwert aussieht und Bestias rufen kann ich erst recht nicht. In Sport bin ich eine Niete. Wie soll ich dir denn anders helfen können, wenn nicht, indem ich dir mehr Zeit verschaffe?“

Yuna sah sie in einer Mischung aus Entsetzen und Mitleid an. Dieser Ausdruck in Yunas Gesicht demotivierte Brianna schlagartig. Schluchzend ließ sie auf die Knie fallen. Die Hände auf den Boden gestützt vergrub sie ihren Kopf zwischen ihren Beinen.

„Wieso sagst du so etwas? Jeder Mensch hat seine Bestimmung und deine ist es bestimmt nicht, heute hier zu sterben.“ Yuna sprach leise, ihre Worte klangen tröstend. Als Brianna sie wieder ansah, bemerkte sie, wie auch dem Medium die Tränen kamen.

„Ich weiß nicht, wie ich zu dir stehe.“, sagte Brianna plötzlich. Sie wusste nicht, warum sie es tat. Die Schuldgefühle hatten sie ganz plötzlich übermannt. Ihr war nicht klar, wie das Medium zu ihr stand und wie Yuna reagieren würde, wenn sie sterben würde. War ihre Bindung etwa schon so fest und innig, dass Yuna ihren Tod betrauern würde? Oder trauerte Yuna um jede Seele, gerade weil sie ein Medium ist? Genauso wenig wie sie Yunas Gefühle verstehen und einsortieren konnte, konnte sie ihre eigenen begreifen. Empfand sie wirklich freundschaftliche Gefühle oder war es nur Dankbarkeit? Yuna verstand sie, wusste von ihrem Schicksal. Aber jetzt, wo Yvonne wieder bei ihr war, erschien ihr Yuna auf einmal so nebensächlich, überhaupt nicht mehr von Bedeutung.

„Es tut mir leid.“, flüsterte sie.

Yuna fasste sie plötzlich an den Schultern. „Ich möchte, dass du meine Garde wirst.“, sprach sie und sah Brianna fest an.

Brianna war so erschrocken über dieses Angebot, dass sie fast hintenüber gefallen wäre, hätte sie sich nicht an Yunas Arm festgekrallt. „Du willst was?“, fragte sie ebenso erstaunt wie überrumpelt.

„Dafür musst du aber überleben, hörst du?“

Brianna nickte monoton, ihr Blick war wie starr auf die Kreatur gerichtet, die ihnen beiden noch immer gegenüberstand. Sie sah, wie sich die Muskeln des Riesen anspannten. Schwerfällig tat er einen Schritt, wobei er seine Keule über den Kopf hob. Er holte aus zu einem neuem Schlag, durchfuhr es Brianna wie ein Blitz. Sie würden nicht mehr rechtzeitig ausweichen können. Wie in Zeitlupe sah sie die Keule näher kommen, als ihr die Sinne schwanden.
 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

Ich hatte die riesige Keule in Form eines Sternes auf mich niedersausen gesehen. War es etwa doch meine Bestimmung an diesem Tag zu sterben? Ich dachte es, doch wie immer sollte Yuna recht behalten…

Der riesiege Stern verwandelte sich. Tausend kleine funkelnde Sterne tanzten nun über mir und verschlangen den großen, der sich daraufhin in noch mehr kleinere Exemplare verwandelte. Ein Funkeln umgab mich, dass mir fast die Sinne raubte. Ich konnte nichts mehr sehen, nur noch Licht.

Ich hörte den dumpfen Aufschlag und wusste, dass mir sämtliche Knochen im Leibe gebrochen sein mussten. Wusste ich es wirklich? Woher sollte ich, denn ich war körperlos. Eine Seele ohne Hülle, nur einfach da. Die vollkommene Reinheit des Geistes.

Langsam verflüchtigten sich die abertausend Sterne. Ich sah den Riesen. Seine Arme hingen schlaff. Seine Waffe war nirgends zu entdecken. Hatte ich sie zerschmettert? Wie sollte das geschehen sein?

Als ich auf den Boden um mich herum blickte, sah ich, dass ich von tausend Scherben umgeben war. Scherben, in denen sich das Licht der Sonne brach, was sie wie funkelnde Diamanten aussehen ließ.

Ich wusste nicht, was geschehen war, doch ich fühlte eine unbändige Kraft in mir. Es schien fast so, als wäre mein Körper immer nur ein Hindernis gewesen und nun, wo ich ihn los war, könnte ich tausend Armeen auf einmal bezwingen. Ich hob meinen Arm und wie auf Kommando, als hätten sie nur darauf gewartet, erhoben sich mit meiner Hand die tausend Diamanten aus Glas.

Mir war immer noch nicht klar, was nun eigentlich los war, doch irgendwie wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich strich mit meiner ausgestreckten Hand sachte die Luft, die mich umgab wie ein Mantel aus Seide. Ich strich sie glatt und mit dieser Bewegung verfestigten sich die Scherben und nahmen Gestalt an. Ein riesiger Speer, entsprungen meiner Vorstellungskraft, schwebte vor mir. Seine scharfe Spitze schlug Funken wie aus tausend und einer Nacht. Ich bewegte meinen Arm aufs Neue. Langsam zog ich ihn an meine Brust und der Speer folgte auf dem Fuße. Blitzschnell ließ ich ihn wieder nach vorne schnellen. Der Speer schoß wie ein Pfeil durch die Luft direkt auf den Riesen zu und durchbohrte ihn auf Höhe seines Herzens (wenn er denn eines besaß).

Ich ließ meine Hand fallen und mit dieser letzten Bewegung zersprang der Speer wieder in tausend Scherben. Der Riese stand starr. Von der Stelle aus, wo ich ihn getroffen hatte, begann er langsam, sich aufzulösen, bis er letztendlich ganz in mannigfaltigen Lichtern verschwand.

Was hatte ich getan? Wie war das möglich gewesen?

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*
 

Auf dem Felsvorsprung, der wie Sophie herausgefunden hatte, Fungus-Pass genannt wurde, herrschte ein hektisches Gewimmel. Viele Soldaten, zumeist Freiwillige, die sich für die Mi’hen-Offensive gemeldet hatten, wuselten an den Kanonen, um letzte Feineinstellungen vorzunehmen, oder sie liefen panisch hin und her, holten Informationen, reichten diese weiter. Alle schienen sie unheimlich aufgeregt zu sein, so als würde bald etwas großes auf sie zukommen. Sophie hatte nie näher danach gefragt, denn es war ihr, ehrlich gesagt, egal. Vor allem jetzt, wo sie nur noch Augen für einen hatte.

Heimlich hatte sie sich aus dem Trubel fort geschlichen und saß nun gedankenverloren am Strand. Sie lauschte der Gischt, die stetig an die Felsen schlug. Ein beruhigender Gedanke, der Gedanke an die weite Unendlichkeit des Meeres. Man kann sich darin verlieren und wenn man genug von der Einsamkeit gekostet hatte, dann könnte man zurück an Land, dass sich frohlockend vor dem Bug ausstreckte.

Sie brauchte diesen kurzen Moment, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Das heillose Durcheinander, was der Kuss bewirkt hatte, musste wieder in Ordnung gebracht werden. Erst dann könnte sie ihm wieder in die Augen sehen.

Immer noch konnte sie es nicht begreifen. Warum waren auf einmal solche Gefühle da? Wie lange kannte sie Owen schon? 6 Jahre? Vielleicht auch länger. So oft hatte sie mit ihm gekämpft, ob in einem fairen Turnier- oder Übungskampf oder in einer wilden Balgerei. Sie hatte so oft seine Muskeln, seinen athletischen Oberkörper, der noch von der letzten Anstrengung glänzte, gesehen. Meist war sie nur einen Fingerbreit von seinem Gesicht entfernt, konnte seinen Atem in ihrem Gesicht spüren. Es war alles in Ordnung gewesen. Er war ihr Kumpel, ihr bester Freund. Mehr hatte sie in ihm nie gesehen. Bis jetzt.

Er hatte sich in letzter Zeit nicht anders gegeben als sonst. Seine freundschaftlichen Neckungen haben bei ihr noch nie ein solches Gefühl ausgelöst, wie sie es jetzt verspürte.

Sophie zog seufzend ihre Knie ran und legte ihren Kopf darauf. Mit ihren Armen umklammerte sie ihre Beine, während sie weiter der Gischt lauschte. Bis jetzt hatte sie nur darüber gegrübelt, warum sie auf einmal so empfand, doch langsam müsste sie sich auch die Frage stellen, wie und ob sie es ihm überhaupt gestehen sollte. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht und auch jetzt noch erschien ihr der Gedanke so abwegig, dass sie ihn schnell wieder beiseite schob.

Auf einmal hatte Sophie das Gefühl, dass sie nicht mehr alleine war. Erschrocken blickte sie sich um und tatsächlich entdeckte sie jemanden. Es war Owen, der sie nachdenklich betrachtete.

„Wie lange stehst du da schon?“, frage sie. Owen ging auf sie zu und ließ sich neben ihr in den weichen Sand plumpsen. Den Kopf aufgestützt blickte er sie weiter ruhig an.

„Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?“, fragte er sie plötzlich, so als hätte er ihre Frage nie gehört. Leicht gekränkt schürzte Sophie die Lippen.

„Kommt ganz drauf an.“, erwiderte sie missmutig.

„Wir werden sie wahrscheinlich eh nie wieder sehen, also kann es dir genauso gut sagen.“

Neugierig schaute Sophie ihn an. Sie bemerkte seinen verklärten, träumerischen Blick. Etwas, was sie vorher noch nie an ihm gesehen hatte. Nicht einmal annähernd konnte sie erraten, von wem Owen da sprach, aber eines wusste sie: So wie er dreinschaute, musste es etwas ernstes sein. Ein Mädchen, in das er verliebt war. Nur wer das sein könnte, war Sophie absolut schleierhaft. Owen war zwar sehr beliebt beim anderen Geschlecht, aber er selbst hatte sich nie großartig darum bemüht, etwaige Gefühle zu erwidern. Er war ein Sunnyboy, aber ein ziemlich eigensinniger.

„Raus mit der Sprache.“, drängte sie ihn.

„Es ist wegen Brianna.“ Dieser Name versetzte Sophie einen Schlag. Brianna. Was empfand er für sie? Für dieses unscheinbare Mauerblümchen? Der Morgen im Zug kam ihr wieder in den Sinn. Owen war in ihr Abteil gestürmt und hatte Brianna gepackt und ihr seinen Kuss auf die Lippen gepresst. Sie hatte vorher nie darüber nachgedacht, aber nun bereitete ihr dieser Vorfall Kopfzerbrechen. Warum hatte er sie geküsst? Warum nicht Yvonne? Warum nicht sie? Schließlich war sie die einzige, die ihn kannte, ja sogar mit ihm befreundet war.

Owen beachtete ihr kurzes Stutzen nicht und sprach weiter.

„Obwohl ich ihr nur kurz begegnet bin, glaube ich, dass ich etwas für sie empfinden könnte.“

„Du meinst du liebst sie.“, schaltete Sophie sich kurz dazwischen.

„Vielleicht. Sie war mir vorher nie aufgefallen, bis zu dem Morgen im Zug, weißt du. Aber als ich sie da gesehen habe…“

„Brianna kann man ja zu leicht übersehen, weißt du?“, erwiderte Sophie bissig, doch sofort überkam sie ein schlechtes Gewissen. Auch wenn sie Owen liebte, Brianna war ihre beste Freundin und sie sollte sie nicht schlecht machen vor ihm.

„Und warum erzählst du mir das alles?“, versuchte sie schnell abzulenken und Owen stieg bereitwillig darauf ein.

„Du bist doch ihre beste Freundin?“

Stumm nickte sie. Ja, das war sie. Eine der wenigen, denen sich Brianna wirklich anvertraute.

„Du kennst sie und würdest mir vielleicht dabei helfen, sie besser zu verstehen. An dem Morgen im Zug war sie doch ziemlich mürrisch, woran ich ja nicht unbedingt unschuldig bin. Aber in der Höhle, da war so etwas zwischen uns…“

„Brianna ist eher der zurückhaltende Typ. Sie wirft sich nun mal nicht gleich jedem an den Hals.“

„Das meinte ich doch auch gar nicht. Ich glaube ja, dass sie mich mag, aber sicher bin ich mir nicht. Würdest du vielleicht mal mit ihr reden, falls wir sie je wieder sehen?“

Innerlich kapituliere Sophie. Wenn Owen etwas für Brianna empfand und Brianna diese Gefühle erwidern würde, dann würde sie den beiden nicht im Weg stehen. Resigniert schmiss sie ihre angesammelten Steine fort.

„Wenn es das ist, was du willst, dann werde ich es tun.“

Owens Gesicht strahlte, wie die aufgehende Sonne am Morgen. Stürmisch umarmte er sie.

Eine einzelne Träne schlich sich aus ihrem Auge. Sie würde es dabei belassen müssen. Ihre eigenen Gefühle musste sie nun tief in ihrem Innern verschließen. Vielleicht starben sie ab mit der Zeit. Das konnte sie nicht wissen. Wer weiß, vielleicht würde sich alles zu ihren Gunsten wenden. Vielleicht würde Owen eines Tages mehr in ihr sehen, als nur eine gute Freundin.
 

Der Raum war klein, spärlich eingerichtet. Die wichtigste Funktion, der dieses Zimmer nachkommen musste, war wohl die einer Schlafstätte. Es standen lediglich ein paar Betten an der Wand, daneben jeweils ein kleines Nachtschränkchen. Außerdem noch ein Tisch in der Ecke rechts von der Tür und darum verteilt ein paar Stühle. Von der Decke schien ein kaltes Licht, das den Raum in eine matte Helligkeit tauchte.

Brianna lag in einem der Betten und träumte wirres Zeug. Vor ihrem Auge erschien eine Kammer, die ihr seltsam vertraut vorkam. Schattenhafte Gestalten standen in der Mitte eines Steinkreises, ähnlich dem, durch den sie in diese Welt gelangt war.

Bedächtigen Schrittes trat eine der Gestalten aus dem Kreis und ging auf sie zu. Brianna erschauderte. Sie kannte diese Wesen unter den schwarzen, weinrot geränderten Kapuzen, die schimmerten wie purer Satin. Sie hatte sie schon einmal gesehen. Fieberhaft dachte sie nach, wo, doch es wollte ihr partout nicht einfallen.

Die Gestalt war bei ihr angekommen. Ein entsetzter Schrei entwich aus Briannas Kehle, als sie durch den Spalt der Kapuze das Gesicht des Fremden zu erkennen versuchte.
 

Nervös tippelte sie mit dem Finger auf die Tischplatte. Ihren Kopf auf die flache Handfläche gestützt, streifte ihr Blick immer wieder durch den kleinen Raum. Sie sah zum Bett in dem Brianna lag und noch immer zu schlafen schien.

Yuna hatte sich einen Stuhl daneben gerückt und wechselte nun regelmäßig den Lappen, der auf Briannas Stirn lag.

„Wird sie je wieder aufwachen?“, fragte sie besorgt, woraufhin Yuna ihr einen bekümmerten Blick schenkte. Sachte schüttelte sie den Kopf, ihre kurzen Haare bewegten sich kaum. „Ich weiß es nicht.“

Yvonne konnte diese Anspannung nicht länger aushalten. Ein letztes Mal schlug sie nun auf die Tischplatte und stand dann auf. Sie lief zu Briannas Bett und als sie dort ankam, fing sie an ihrer Freundin leichte Ohrfeigen zu verpassen.

„Wach auf! Du musst aufwachen!“, schrie sie hektisch. Yuna erhob sich und drückte Yvonne sanft fort. Ihre Augen schienen in Yvonnes Seele blicken zu können, so intensiv sah das Medium sie an.

„Davon wird sie auch nicht aufwachen. Wir müssen Geduld haben.“, redete sie beschwichtigend auf Yvonne ein. Ruhig, aber bestimmt führte sie sie vom Bett weg, zurück zum Tisch, wo sie sie in den Stuhl drückte. Yvonne ließ es zu. Sie war viel zu ermattet, als dass sie sich hätte wehren können.

„Ich weiß immer noch nicht genau, was passiert ist.“ Anstatt zu Brianna zurück zu gehen, hatte sich Yuna nun ebenfalls am Tisch niedergelassen und sah Yvonne fragend an.

„Sie muss irgendetwas bewirkt haben, aber wie?“, fuhr sie fort. Ein Schulterzucken war Yvonnes einzige Antwort. Sie wusste nicht, was passiert war. Sie hatte dem ganzen ja nur aus der Ferne zugesehen, Yuna war unmittelbar dabei gewesen. Wenn sie es nicht wusste, wer dann?

„Ich habe nur gesehen, wie ihr beide am Boden lagt. Du warst bewusstlos, genauso wie Brianna, aber bei ihr war etwas anders.“

„Sie muss den Eisengiganten besiegt haben.“

„Und wie soll sie das, bitteschön, geschafft haben?“

„Ich weiß es nicht, aber sie hat ihn besiegt.“, beharrte Yuna.

Yvonne dachte nach. „Ich habe euch nur aus der Ferne gesehen. Dummerweise wurde ich von euch abgelenkt, als mich ein Tiger verspeisen wollte. Als ich dann wieder zu euch gesehen habe, war das riesige Monster, dass euch eben noch platt machen wollte, plötzlich verschwunden. Ich habe keine Ahnung wie und warum, aber plötzlich löste es sich auf.“

Nun tippelte Yuna mit den Fingern auf der Tischplatte. Sie wirkte müde und ausgelaugt. Doch Yvonne konnte erkennen, dass auch das Medium eifrig nachdachte.

Auf einmal hörten sie ein Stöhnen vom Bett.

„Brianna ist aufgewacht!“, schrie Yvonne und sprang alarmiert auf. Sekundenschnell war sie am Bett und blickte zu Brianna, die sich unruhig hin und her wälzte. Yuna stand neben ihr und blickte wie sie, beunruhigt auf die noch immer Schlafende.

Das Medium reagierte, ehe Yvonne etwas tun konnte. Sachte streichelte sie über Briannas Wange und flüsterte beruhigende Worte. Yvonne sah diesem ganzen eher skeptisch zu. Viel lieber hätte sie selbst ihre Freundin beruhigt. So trat sie ans Kopfende des Bettes und fühlte Briannas Stirn.

„Sie ist ja glühend heiß!“, stellte sie erschrocken fest. Sie griff zur Wasserschüssel, die auf dem Nachtschrank stand, und nahm den Lappen, der noch immer darin lag, heraus. Nachdem sie ihn kräftig ausgewrungen hatte, legte sie ihn behutsam auf Briannas Stirn.

Yuna lächelte sie an. „Es wird schon wieder.“

„Ich weiß nicht, sie hat so hohes Fieber…“

„Mach dir keine Sorgen, ich werde mich um sie kümmern. Vielleicht solltest du etwas frische Luft schnappen gehen?“

Yvonne wollte etwas erwidern, doch sie wusste, dass Yuna recht hatte. Die ganze Nacht hatte sie an Briannas Bett gesessen. Obwohl sie sich furchtbare Sorgen um ihre Freundin machte, sah sie ein, dass sie etwas Ruhe brauchte.

„Okay, aber ich bleibe nicht lange weg. Und wenn ich wieder da bin, dann wirst du dich endlich ausruhen, klar?“, sprach sie in festem, entschlossenen Ton. Yuna nickte. „Einverstanden.“

„Und pass mir ja gut auf Brianna auf!“, rief sie noch, bevor sie die Tür hinter sich schloss. Sie verharrte kurz, den Knauf noch in der Hand. Seufzend ließ sie den Kopf hängen, doch dann machte sie sich auf.
 

Sie schlenderte über den Brunnenplatz, genoss die ersten Sonnenstrahlen am Morgen und trällerte fröhlich ein Liedchen. Doch diese Atmosphäre war nicht Ablenkung genug. Gequält von den Sorgen, die sich um ihre Freundin machte, ließ sie sich am Brunnenrand nieder. Ihre Hand fuhr durch das seichte Wasser, als sie plötzlich glaubte Auron erkannt zu haben.

Ihr Gesicht erhellte sich augenblicklich. Bis vor kurzem hatte sie noch gedacht, ihn nie wieder zu sehen und nun war er hier. Zum Greifen nah. Sie sprang auf und lief ihm hinterher.

Sie folgte ihm bis zu einer Treppe. Gerade als sie ihn auf sich aufmerksam machen wollte, hielt sie erschrocken inne. Auron sprach augenscheinlich mit jemanden. Geduckt schlich sie die Stufen hinauf und versteckte sich hinter dem gemauerten Geländer.

„Da bist du also wieder.“

Yvonne riss erstaunt die Augen auf. Der Gesprächspartner von Auron war kein anderer als Tidus höchstpersönlich. Wieso sprachen die beiden miteinander? Yvonne hörte nur mit halbem Ohr zu, vielmehr dachte sie darüber nach, was Tidus wohl von Auron wollte oder besser, was Auron von Tidus wollte. Er hatte ja, wie sie sich nun selbst zusammenreimte, auf ihn gewartet. Am Schiff. Wieso war er da noch mal so schnell verschwunden, überlegte sie. Sie wusste es immer noch nicht. Wieso wollte er Tidus nicht sofort sehen, wo er doch eh auf ihn gewartet hatte. Yvonne zermarterte sich ihr Köpfchen, doch egal wie sie es drehte und wendete, sie kam auf keine vernünftige Erklärung.

„Du warst derjenige, der damals einfach so verschwunden war nach all dem, und nun verlangst du Entscheidungen von mir? Erzählst mir Dinge, die ich einfach so glauben soll?“ Tidus klang wütend und enttäuscht, doch Yvonne konnte seine Worte nicht einsortieren. Innerlich schalt sie sich selbst dafür, dass sie nicht hingehört hatte. Vielleicht hätte ihr das Zuhören mehr Aufschluss gegeben, als ihre haltlosen Überlegungen.

Als sie ein Stückchen rückte, merkte sie, wie sich ein Stein unter ihrer Sohle lockerte. Sie versuchte noch ihn aufzuhalten, doch sie schaffte es nicht. Geräuschvoll fiel er die Stufen runter. Auron und Tidus blickten alarmiert um sich.

Schnell kroch Yvonne ein paar Stufen rückwärts, bevor sie sich aufrichtete und gemächlich die Treppe nach oben schritt. Sie hoffte nur, dass Auron und Tidus nicht mitbekamen, dass sie sie belauscht hatte. Immerhin hatte sie eh nichts mitbekommen von ihrem Gespräch, warum also sollte sie deswegen erwischt werden?

„Oh, hallo Auron.“, sprach sie betont überrascht. „Und, Tidus? Was macht ihr denn hier?“
 

Ängstlich hatte sich Brianna hinter einem der Steine verkrochen. Sie wimmerte. Immer noch konnte sie nicht glauben, was sie gesehen hatte. War es wirklich real?

Die Gestalt stand immer noch ruhig an dem Ort, wo Brianna sie zurückgelassen hatte. Nach ihrer Erkenntnis hatte sie sich sofort versteckt. Sie wollte nur eins, weg von hier.

„Wir haben dir diese Gabe gegeben und nun entscheide, was du damit tun wirst.“ Eiskalt drangen diese Worte zu ihr durch. Es jagte Brianna einen Schauer über den Rücken. Wie seelenlos doch diese Stimme klang.

In ihrem Kopf dröhnte es. Brianna fühlte, wie die Ohnmacht sie zu übermannen schien. Die letzten Worte der Gestalt hallten noch in ihrem Kopf wieder. Immer wieder hörte sie diese in tausendfachem Nachklang.
 

„Sie wird deine Rettung oder dein Untergang sein.“
 

– Ende 6. Kapitel –
 

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Hier mach ich erst mal Schluss. So langsam kommt die Geschichte ins Rollen. ^^
 

Die Sache mit Owen und Sophie hat sich nun doch ganz schön schnell aufgeklärt. Ich hatte ja eigentlich vor, erst später Brianna da mit ins Spiel zu bringen, aber das erschien mir alles zu langatmig. Ich wollte lieber gleich reinen Tisch machen…
 

LG, Jenny

Machtspiele

An dem Haus eines Menschen erkennt man seinen Stand. Das denkt sich Jason zumindest immer. Er ist ein Schmarotzer, das gibt er ehrlich zu, und deshalb schließt er sich prinzipiell nur den Reichen und Mächtigen an – eben Leute, die ihn auch weiterbringen können.

Die Aktion nach dem Blitzball-Turnier war ein voller Erfolg gewesen. Er hatte die Schreie der Massen genossen. Das hätte er sich schon denken können, klar, aber es dann doch live zu erleben, dieses berauschende Gefühl, das übertraf all seine Erwartungen.

Seymor, den er momentan für einen nützlichen Faktor in seinem Leben hielt, hatte den Plan ausgeheckt. Zu dem Zeitpunkt war Jason schließlich noch nicht seine rechte Hand. Dafür hatte er dann den Plan ausgeführt, noch ein klein wenig verbessert. Er war stolz auf sich. Der Effekt war grandios gewesen.

„Beinahe wäre die ganze Aktion fehlgeschlagen.“ Seymor stieg eleganten Schrittes die Stufen hinunter. Sein Haus, eine große, prächtige Villa in viktorianischen Stil gehalten, lag inmitten eines ‚Dorfes’ unter der Erde. Zunächst hatte Jason sich davor gescheut, auch nur einen Fuß in diese Höhle zu setzen, an deren anderem Ende man unweigerlich in einem entsetzlichen Gewitter landet. Doch was blieb ihm anderes übrig? Das Haus hatte ihn dann für alles entschädigt.

„Ist sie aber nicht.“, erwiderte er etwas gereizt. „Letztendlich konnten Sie doch noch den glorreichen Helden spielen.“

Entlang der Treppe, die auf beiden Seiten in schwungvollem Bogen nach oben führte, hingen Gemälde von Seymors Ahnen, von Meisterhand gemalt und in golden verzierte Bilderrahmen gesteckt. Jason hatte nicht schlecht gestaunt, als er dieses Haus zum ersten Mal betreten hatte. Von da an wusste er irgendwie, dass dieser seltsame Kauz, der ihn aufgelesen hatte, noch nützlich sein könnte. Und sein Gefühl trog Jason nie. Bereits die Aktion im Stadion hatte ihm schon Seymors Macht in diesem Lande gezeigt.

„Es wäre um einiges leichter gewesen, wenn mir dieses Mädchen nicht dazwischen gefunkt hätte.“ Seymor stand nun vor Jason. Er überragte ihn kaum. Jason konnte ihm noch gut in die Augen sehen. Doch ansonsten wirkte dieser Seymor unnatürlich. Seine bläuliche Haarfarbe, der blasse Teint und die langen dünnen Finger trugen nicht unbedingt zu einer normalen Erscheinung bei. Als Jason dieses Dorf zum ersten Mal betreten hatte, konnte er es nicht glauben. Hier liefen überall solch merkwürdige Gestalten rum. Aber er hatte sich davon nicht beirren lassen. Seymor war mächtig, so mächtig wie Jason bald selbst sein würde. Wenn alles nach Plan verlief.

„Was hätte sie denn schon ausrichten können. Sie hat doch mit Müh und Not gerade mal ein Monster besiegt.“, entgegnete Jason achselzuckend.

Das Mädchen hatte es im Stadion irgendwie geschafft, ein Monster zu erledigen. Es sah gefährlich aus, doch wirklich bedrohlich konnte es ihrer Aktion nicht werden.

„Sie ist nicht wirklich mächtig. Wahrscheinlich weiß sie noch nicht einmal was von ihrer Gabe.“, fuhr Jason ungehindert fort. Seymor betrachtete ihn eine Weile nachdenklich, bevor er sich entschloss, etwas zu sagen.

„Du hast recht. Sie scheint noch ganz am Anfang zu stehen. Ihre Gabe ist ungewöhnlich, aber keineswegs hinderlich für uns.“

Jason verschränkte die Arme vor der Brust und nickte entschieden. Vielleicht stellte das Mädchen doch eine größere Gefahr dar, aber er wollte seinen „Meister“ damit nicht belasten. Er selbst würde sich dieser Sache annehmen, wenn Gefahr im Verzug wäre. Mit Frauen konnte er schließlich immer noch am Besten umgehen.
 

Schon minutenlang herrschte eisiges Schweigen auf der Treppe zur Mi’hen-Straße. Nervös huschten Yvonnes Augen zwischen Auron und Tidus hin und her. Die Hände, die sie hinter ihrem Rücken versteckt hatte, zupften aufgeregt an den Falten ihres Rockes.

Langsam hielt sie diese Unsicherheit nicht mehr aus. Warum sahen die beiden sie so scharf an? Es war beinahe so, als könnten sie auf den Grund ihrer Seele blicken und alle Wahrheiten erkennen. Haben sie mitbekommen, wie sie gelauscht hat? Sie hoffte so sehr nicht, aber wirklich wissen konnte sie es nicht. Nachfragen konnte sie erst recht nicht. Da könnte sie sich das Messer genauso gut gleich selbst in den Rücken rammen. Sie müsste es klüger anstellen. Nur wie?

„Yvonne? Was machst du denn hier?“ Tidus war der Erste, der sich zu Wort meldete. Es war als würde damit eine zentnerschwere Last von ihrem Rücken genommen. Sie stellte sich aufrecht und strahlte die beiden übereifrig an. Auron, der gerade etwas sagen wollte, überlegte es sich anders, als der Wortschwall von Yvonne ihn förmlich unter sich begrub.

„Ich bin nur ein wenig spazieren gegangen. Wisst ihr. Brianna ist noch immer bewusstlos und Yuna wollte, dass ich mal etwas Abstand gewinne. Ja, ich mache mir einfach zu große Sorgen um Brianna. Sie ist ja schließlich auch meine beste Freundin.“

Yvonne stoppte, als sie sah, wie Auron seine Hand ihr entgegen hob. Einen kurzen Moment überlegte sie, ob sie etwas zurückweichen sollte. Diese Geste von Auron konnte sie nicht recht einsortieren. Sie war verwirrt. Doch viel Zeit zum Nachdenken blieb ihr nicht, denn schon hatte Auron seine Hand auf ihre Schulter gelegt. Nun war sie vollends verwirrt. Das kannte sie von Auron gar nicht.

„Mach dir keine Sorgen.“ Knapp und präzise hatte er die Sache auf den Punkt gebracht. Aber nicht nur das. Erleichtert ließ Yvonne ihre angespannten Schultern sinken. Die beiden hatten ihren kleinen Lauschangriff nicht mitbekommen.

„Wir sollten trotzdem mal nachsehen gehen.“, meinte er. Sie zögerte noch etwas. Diese Worte aus Aurons Mund machten sie noch mehr nervös, als sein ganzes bisheriges Verhalten.

„Meinst du wirklich? Aber wieso denn? Brianna schläft bestimmt noch, da können wir eh nicht viel machen.“ Yvonne fuhr sich mit einer flinken Geste durch die Haare und schaute die beiden fragend an. „Ich hätte vielmehr Lust auf einen Kaffee. Wer kommt mit?“

Tidus setzte gerade zum reden an, doch Auron brachte ihn mit vorgehaltener Hand zum augenblicklichen Verstummen.

„Wir können uns nicht noch länger in dieser Stadt aufhalten. Das Medium muss weiterreisen.“

Enttäuscht senkte Yvonne den Kopf. Jetzt, wo sie sich allem Anschein nach dieser Gruppe angeschlossen hatte, musste sie wohl oder übel auch das tun, was sie taten. Sie wollten weiterreisen, also blieb keine Zeit noch ein wenig in Luca abzuhängen. Sie hätte es zu gerne getan, denn die Stadt gefiel ihr. Es war lebhaft hier, man hatte einfach immer Leute um sich und genau das war es, was Yvonne mochte.

Doch, nun wo Auron weiterreisen wollte, musste sie wohl Abschied nehmen von Luca.
 

Das Getränk schmeckte so widerlich, wie es aussah. Ungehalten schmiss Jason den Becher an die Wand, wo er scheppernd zerbrach. Die bräunliche Flüssigkeit lief in den kleinen Furchen in der Tapete nach unten und auf den Teppich, auf welchem sie einen unschönen Fleck hinterließ.

Das Dienstmädchen stand unschlüssig im Eingang. In ihren Händen hielt sie noch das Tablett, ihre Nägel bohrten sich in das silberne Metall.

„Es tut mir leid, Sir. Soll ich Ihnen vielleicht etwas… äh… anderes bringen?“, erkundigte sie sich. Jason tat diese Bitte mit einer lässigen Handbewegung ab.

„Sie wollen mich wohl vergiften! Von Ihnen nehme ich nichts mehr an!“ Trotzig ließ er sich in den Sessel fallen. Er legte die Fingerspitzen an die Stirn und schüttelte leicht den Kopf.

Vorsichtig trat das Mädchen in den Raum hinein. „Sir?“, fragte sie, während sie weiter in Richtung Sessel ging. „Ist… ist alles in Ordnung?“

Sie löste eine Hand vom Tablett und streckte diese behutsam nach Jason aus. Auf einmal schnellte seine Hand nach oben und ergriff ihre. Ängstlich wollte sie zurückweichen, doch er hielt sie so fest, dass es kein Entkommen gab.

„Sir… bitte.“

Jason hob seinen Kopf. Eiskalte Augen starrten sie an. Doch plötzlich huschte ein Lächeln über seine Lippen.

„Wie heißt du?“

„S… Sarah…. Sir.“ Ihr Gesicht verzog sich vor Schmerz. „Bitte Sir, lassen Sie los.“

Jason reagierte nicht auf diese Worte. Vielmehr drückte er noch fester zu, was Sarah einen entsetzten Schmerzenschrei entlockte. Das Tablett fiel zu Boden. Klirrte noch ein Weilchen, bis es still liegen blieb. Mit der anderen Hand wollte sie sich befreien, aber es gelang ihr nicht. Blitzschnell hatte Jason auch diese im Griff. Nun stand er auf. Er drückte ihre Arme nach unten und zwang sie, rückwärts durch den Raum, zurück zur Tür.

Dort angekommen, löste er kurz seinen festen Griff und schlug die Tür zu. Er drehte den Schlüssel im Schloss. Sarah beobachtete das ganze zunächst noch, bevor sie eine Chance zu erkennen glaubte. Sie war frei. Jason war zu sehr mit dem Schloss beschäftigt. In der Zwischenzeit konnte sie durch das Fenster entschwinden. Es war im zweiten Stock, doch unter dem Fenster waren ein paar Kisten aufgestapelt. Dort könnte sie weich landen.

Sie wollte gerade entwischen, aber Jasons Reaktion war einfach zu schnell. Er hatte ihre Hand ergriffen und über ihrem Kopf gegen die Wand gedrückt, noch ehe sie einen Schritt tun konnte. Mit ihrer anderen Hand verfuhr er genauso, bis er beide in seiner linken festhielt. So stand sie nun, gefesselt wie zur Opferung, die Arme über ihrem Kopf an der Wand, gefangen in Jasons hartem Griff.

Sie schluckte, als Jason sachte über ihre Wange strich.

„Weißt du, du bist schön, aber auch dumm. So etwas erwarte ich von meinem Spielzeug, nicht von meiner Bediensteten.“

Er fasste ihr Kinn, zog ihren Kopf noch ein wenig nach vorne und presste dann seine Lippen auf ihre.
 

Yvonne war die erste, die den Raum betrat. Sofort fiel ihr Blick auf das Bett, in dem, zu ihrem Bedauern, noch immer Brianna lag und tief und fest schlief.

„Sie ist immer noch nicht aufgewacht, hm?“, wandte sie sich an Yuna. Diese schüttelte nur resignierend den Kopf.

Auron und Tidus waren inzwischen auch im Raum.

„Yuna.“, sagte Tidus. Er ging an Yvonne vorbei auf Yuna zu, die sich gerade von ihrem Platz neben dem Bett erhob. „Wie geht es ihr?“, fragte er, während er besorgt zur schlafenden Brianna sah.

„Sie ist sehr unruhig und redet im Schlaf.“

„Was hat sie gesagt?“, erkundigte Yvonne sich sofort. Yuna zuckte kurz mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Es war zu undeutlich, zusammenhanglose Laute.“

Seufzend ging Yvonne zum Bett und setzte sich an den Rand. Ihre Augen waren glasig. Es war ihr bewusst, dass sie die Tränen irgendwann nicht mehr würde unterdrücken können.

„Warum? Was ist nur mir dir geschehen?“, schluchzte sie. Eine Träne rann ihre Wange hinab. Schnell wischte sie sie weg. Nein, sie würde nicht weinen. Sie musste stark sein. Für Brianna.

„Wir sollten aufbrechen.“, meinte Auron.

Entsetzt blickte Yvonne auf. Sie sah, wie Yuna leicht nickte und ihr dann einen entschuldigenden Blick zuwarf. „Wir können nicht noch länger verweilen.“

„Ja, ich weiß, aber was wird aus Brianna? Wir können sie doch nicht einfach so zurücklassen.“, sagte Yvonne. Betrübt senkte sie den Blick. „Und sie wird so schnell nicht aufwachen, glaube ich.“

Schweigen erfüllte den Raum. Yvonne sah zwischen den anderen hin und her.

Auron, der still und souverän an der Wand neben der Tür lehnte. Mit seiner Aufbruchsstimmung machte er sie ganz nervös.

Direkt neben ihr Yuna, die sich inzwischen wieder der Wasserschüssel zugewandt hatte. Sie wrang gerade den Lappen aus. Die vielen Tropfen trafen plätschernd auf das Wasser und brachten es in Unruhe.

Nicht weit von dem Medium entfernt, stand Tidus. Er schien über irgendetwas nachzudenken. Sein Blick war auf Yuna gerichtet, doch Yvonne glaubte nicht, dass er sie ansah.

„Wir lassen sie nicht zurück.“, sprach er auf einmal. Erstaunt blickten alle im Raum ihn an.

Auron zuckte mit den Schultern.

„Wie?“, wollte Yvonne wissen. Tidus antwortete nicht. Er ging an ihr vorbei und schob die Bettdecke zur Seite. Sofort sprang Yvonne dazwischen.

„Sag mal, tickst du noch richtig? Was soll das?“, zischte sie ihn an und deckte Brianna wieder zu. „Raus hier!“

Yuna reagierte, bevor Yvonne ihn mit einem kräftigen Schubs nach draußen befördern konnte. Stattdessen schob das Medium ihn sanft aus dem Zimmer, wobei sie auch Auron einen flüchtigen Blick zuwarf.

„Ihr beide geht mal kurz nach draußen. Wir kümmern uns inzwischen darum, dass Brianna was anzuziehen bekommt.“, meinte sie noch und schloss die Tür.

„Was hat er sich nur dabei gedacht?“, zeterte Yvonne.

Yuna führte ihre Hände zusammen, zuckte mit den Schultern und lächelte ihr zu. „Er wollte sie nicht zurücklassen.“

Rasch ging sie zum Bett zurück. „Jetzt sollten wir ihr was Vernünftiges anziehen.“, meinte sie und schlug die Bettdecke zurück. „Im Nachthemd kann sie schlecht nach draußen.“

Yvonne lachte. „Ja, da hab ich wohl etwas überreagiert.“ Vom Stuhl nahm sie Briannas Sachen. Yuna hatte sie säuberlich dort hingelegt. „Also dann, ans Werk mit uns.“

Yvonne war glücklich. Ihre größte Sorge hatte sich in Luft aufgelöst. Sie würden Brianna nicht zurücklassen, das war die Hauptsache. In dieser fremden Welt konnte sie froh sein, eine Freundin wie sie dabei zu haben und außerdem wusste sie nicht, wie Brianna wohl reagieren würde, wenn sie wieder allein hier aufwachte.
 

Die verloschene Glut erwachte zu neuem Leben, als Jason an der Zigarette zog. Er inhalierte den Rauch tief, ließ ihn sich in seiner Lunge ausbreiten, bevor er ihn in einer großen Wolke wieder ausatmete. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen umspielte ein genüssliches Lächeln.

Das Mädchen war schnell aus seinem Zimmer verschwunden, als er sie ziehen ließ. Vermutlich war sie zu ängstlich, sich bei ihm für diese wunderbar innigen Momente zu bedanken. Er schrieb das ganze ihrer Dümmlichkeit zu. Aber immerhin hatte sie sich letztendlich kaum gewehrt. Dafür war sie wohl zu überrascht gewesen von seiner direkten Art. Er nahm einen weiteren Zug und diesmal gab er dem Rauch die Form von Ringen, die in die Höhe stiegen und an der Decke zerbrachen.

Als es an der Tür klopfte, erhob er sich aus dem Bett und drückte die Zigarette auf einem gläsernen Teller aus, den er eigens dafür besorgt hatte. Schnell warf er sein Hemd über, bevor er die Tür öffnete.

„Seymor, schon Sie zu sehen. Was kann ich für Sie tun?“

„Rede nicht so viel. Wir werden bereits bei der Mi’hen – Offensive erwartet, also lass uns aufbrechen.“

Jason verbeugte sich leicht und nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte. Danach schloss er die Tür wieder. Kurz blieb er noch stehen, lehnte sich gegen die Tür. Was soll das nun schon wieder?, dachte er sich. Von einer Mi’hen – Offensive hatte Seymor noch nie was erwähnt. Wahrscheinlich war das schon wieder eine Phase seines Planes.

„Ich werd’s wissen, wenn ich erstmal da bin.“, meinte er zu sich selbst. Rasch knöpfte er sein Hemd zu, zog seine Jacke an und nahm die Zigarettenschachtel vom Tisch. Diese schwenkte er zunächst noch kurz in der Hand. „Lange werde ihr auch nicht mehr reichen…“ Danach steckte er sie ein und ging aus dem Raum.

Seymor wartete bereits auf ihn. Neben ihm standen seine Bediensteten, unter diesen auch das Mädchen Sarah. Als diese Jason entdeckte, lief sie puderrot an und senkte den Blick. Jason würdigte sie keines Blickes. Sie hatte ihre Schuldigkeit getan und nun war sie nur noch unnötiger Ballast.

„Hier bin ich, Meister. Bereit zur Abfahrt.“

Seymor warf ihm einen abschätzigen Blick zu. „Gut, dann los.“

„Ach, einen Moment noch.“, wandte Jason ein. „Ich würde gern noch kurz etwas mit Ihnen besprechen.“ Während er diese Worte sprach, warf er Sarah einen höhnischen Blick zu. Sie hatte kurz neugierig aufgeschaut, senkte aber schnell wieder den Blick, als Jason sie ansah.

„Was gibt es denn noch?“ Seymor schien entnervt. Er hatte es eilig von hier wegzukommen, aber Jason musste diese Angelegenheit noch erledigen.

„Es geht um das Dienstmädchen, dass ihr mir zugeteilt hattet.“

Sarah war bei diesen Worten unmerklich zusammengezuckt.

„Was ist mit ihr?“

„Ich halte sie für unfähig. Sie hat wertvolles Geschirr zerstört. Mal ganz davon abgesehen, dass sie keinen vernünftigen Tee zubereiten kann. Ich sehe mich außer Stande, noch länger ihren Dienst für mich in Anspruch zu nehmen.“

Sarah war inzwischen schluchzend an die Brust einer Kollegin gesunken, die ihr nun liebevoll über den Schopf strich und beruhigend auf sie einsprach.

„Was soll ich also deiner Meinung nach tun?“, fragte Seymor. Jason grinste. Seine Manipulation schien erste Früchte zu tragen und die Entlassung würde sein erster Erfolg sein.

„Ich schlage vor, sie auf der Stelle raus zu werfen. Sie ist für Sie nicht länger tragbar.“

Seymor schien kurz nachzudenken. Er blickte in die Reihe seiner Bediensteten. „Mir ist der Fleck in Ihrem Zimmer nicht entgangen.“, meinte er. „Ich würde sagen, Sarah, Sie entfernen den Fleck augenblicklich, bevor Sie dieses Haus verlassen.“

Sarah sackte auf die Knie. Noch immer schluchzend nickte sie kurz. Ihre Kollegin trat vor und wandte sich zornig an Seymor. „Sir, das können Sie nicht tun. Sarah hat ihre Pflichten immer bewusst erledigt. Sie ist Ihnen doch immer treu ergeben gewesen!“

„Schweig oder willst du ihr Schicksal teilen?“, entgegnete Seymor ungehalten. Sie verstummte augenblicklich und reihte sich wieder unter den anderen ein. „Und nun geh an deine letzte Arbeit in diesem Haus!“, sagte er noch zu Sarah.

Sofort sprang sie auf. Mit gesenktem Kopf, ging sie schweigend die Stufen hinauf zu Jasons Zimmer. Die restlichen Bediensteten rückten zusammen und füllten so die Lücke, die Sarah hinterlassen hatte.

Ein hämisches Grinsen huschte kurz über Jasons Lippen. Das war erst der Anfang., dachte er bei sich.
 

Die anderen warteten schon alle am großen Platz. Leicht wehmütig blickte Yvonne zum Café zurück. Wie gerne hätte sie noch einmal dort gesessen, auch wenn das Essen nicht das Beste gewesen war.

Yvonne überlegte, wo wohl die Reise hingehen würde. So ganz hatte sie den Sinn dahinter noch nicht verstanden, auch wenn Yuna versucht hatte, ihr alles zu erklären. Sie schob die Gedanken beiseite. Warum sollte sie sich jetzt auch den Kopf darüber zerbrechen? Sie liebte es zu reisen und neue Orte, aber vor allem neue Menschen kennen zu lernen. Der Grund dahinter war zweitrangig.

In der Tür entdeckte sie Yuna, die gerade hinaustrat. Hinter ihr erschien Tidus, Brianna hatte er Huckepack genommen. Yvonne musste lächeln. Sie dachte daran, wie Tidus darauf bestanden hatte, Brianna zu tragen. Nun schlenderte er den Weg zu ihr, als wäre Brianna leicht wie eine Feder.

„Wird sie dir auch wirklich nicht zu schwer?“, fragte sie ihn noch einmal.

„Ich trage sie doch nur bis zur Mi’hen – Straße, dort kann sie dann auf einem Chocobo.“, entgegnete er ihr.

Ein Chocobo, noch eines der merkwürdigen Dinge, die Yvonne immer noch nicht ganz verstanden hatte. Vermutlich würde sie es begreifen, wenn sie ihn sehen würde.

„Dann können wir ja endlich los.“, sagte Lulu, die mit Wakka, Auron und Kimhari an der Treppe stand, die vom Platz aus nach oben führte. Yvonne grinste sie an. Lulu war für sie ein Buch mit sieben Siegeln. In ihrer Gegenwart wusste sie nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Lange hatte sie darüber nachgedacht, doch letztendlich war sie zu dem Schluss gekommen, dass es ihr doch ziemlich egal war, was andere Menschen von ihr hielten, also gab sie sich auch bei Lulu so wie immer. Wenn es ihr gegen den Strich gehen würde, hätte sie wahrscheinlich schon längst was gesagt, ansonsten war es Yvonne auch egal.

„Es hat etwas länger gedauert, uns hübsch zu machen, aber nun können wir. Ja, da hast du Recht.“, entgegnete sie ihr lässig, wie immer. Lulu verschränkte die Arme und schüttelte kurz den Kopf. In ihrem Seufzer klang Missmut mit, aber Yvonne überhörte diesen einfach.

Sie liefen die Treppe hinauf. Schon nach den ersten paar Stufen hatte Yvonne genug. Sie hörte auf, mitzuzählen. Grummelnd nahm sie eine Stufe nach der anderen und hoffte, bald oben angekommen zu sein. Dafür würde sie drei rote Kreuze machen. Yuna, die ihre Frustration mitbekommen hatte, drehte sich zu ihr um.

„Wir haben es gleich geschafft.“, flüsterte sie ihr aufmunternd zu.

„Das hoffe ich doch stark. Ich habe keine Lust einen neuen Weltrekord in Treppen steigen aufzustellen.“, entgegnete Yvonne. Auf diese Worte musste Yuna lachen.

„Sieh nach oben, es ist wirklich nicht mehr weit.“

Yvonne schaute hoch. Das Ende der Treppe war wirklich fast erreicht.

Nach ein paar Stufen waren sie auf einem weiteren kleinen Platz angekommen, der in einer Straße endete. Der Platz war zwar weniger belebt als der in Luca, aber auch hier herrschte reges Treiben. Yvonnes Blick fiel sofort auf einen großen gelben Vogel.

„Das sind also Chocobos.“, meinte sie verzückt. Yuna nickte zustimmend. Ein paar Chocobos rannten an ihr vorbei, jeweils einen Reiter auf dem Rücken, und verschwanden am Ende der Straße. Andere standen gehorsam neben ihren augenscheinlichen Besitzern, die auf neue Kundschaft warteten. Tidus ging gerade zu einem. Schnell schloss Yvonne sich ihm an.

„Wir würden gerne einen ihrer Chocobos mieten?“, fragte Yuna den kleinen untersetzten Mann. Der streichelte sanft über das gelbe Gefieder seines Tieres. „Sie können diesen haben. Er wird ihnen treu sein, aber nur bis zum Ende der Mi’hen – Straße.“

Yuna nickte und gab dem Mann ein paar silberne Taler in die Hand. Derweil packte Tidus Brianna auf den Rücken des Chocobo.

„Willst du auf ihm reiten?“, fragte er. Erstaunt blinzelte Yvonne ihn an. „Keine Sorge, wir führen ihn. Dir kann also nichts passieren.“

„Wirklich?“, fragte sie noch einmal nach und als Tidus grinsend nickte, ging sie zum Chocobo und saß auf.

„Du kannst dich an seinem Hals festhalten, aber pass auf, dass du ihm keine Federn ausziehst. Das können sie nämlich gar nicht leiden.“, meinte Wakka augenzwinkernd. Alle aus der Truppe sahen sie leicht belustigt an, wie sie etwas unbeholfen auf dem Vogel saß.

„Ich hab eben noch nie auf so was gesessen!“, zischte sie in die Runde.

Die Reise ging ohne weitere Zwischenfälle los. Wakka führte den Chocobo, während Yvonne mit Brianna hinten aufsaß. Neben ihr liefen Tidus und Yuna. An die Seite von Wakka hatte sich Lulu gesellt und die Nachhut bildeten Auron und Kimhari.

„Pass gut auf Brianna auf.“ Yvonne schaute verblüfft von diesen Worten zu Tidus.

„Keine Sorge, ich lasse sie schon nicht runterfallen.“, entgegnete sie ihm.
 

Mit seinem Fuß zeichnete er Kreise auf den staubigen Boden. Er hasste es, hier zu warten, während Seymor die wichtigen Dinge erledigte. So hatte er nicht gewettet, aber was sollte er sonst tun. Er durfte kein Aufsehen erregen. Sein Plan war fehlerlos, bis auf das eine Manko, dass es wohl noch ein Weilchen dauern würde.

Gelangweilt schaute er sich um. Es herrschte Hektik. Die Soldaten wuselten wie tausend kleine fleißige Ameisen, die für den Wintervorrat sorgten. Jason zog die Zigarettenschachtel aus seiner Tasche, klopfte gegen die Unterseite, so dass eine Zigarette hinausragte, die er anschließend mit dem Mund raus zog. Geschickt knipste er sein Feuerzeug an. Die Flamme loderte klein auf dem silbernen Metall.

Plötzlich ließ er das Feuerzeug fallen. Mit einem klackenden Geräusch fiel es auf den Stein. Die Flamme war wieder erloschen. Mit weit aufgerissenen Augen sah er zu den beiden Personen, die sich eben unter die anderen gemischt hatten. Vorsichtig wich er zurück und stellte sich in den Schatten einer Ritze im Berg.

Er kannte die beiden nur zu gut. Wie oft hatte sie ihn im Training, wie auch in Wettkämpfen, geschlagen, während er daneben gestanden und gegrinst hatte. Zorn stieg in ihm auf. Er ballte die Hände zur Faust. Am liebsten wäre er zu ihnen gegangen und hätte sie zu Boden geschlagen, als Rache für all die Schmach, die sie ihm erteilt hatte. Doch er musste sich gedulden. Die beiden wussten nicht, dass er auch hier war. Er konnte sich ihnen jetzt nicht offenbaren. Irgendwann würde die Zeit kommen. Er musste nur abwarten und das konnte er.
 

Der Ritt auf dem Chocobo war angenehm. Yvonne ließ die Landschaft vorbeiziehen, grüne Hügel, kleine Hütten und ab und zu ein paar Menschen. Es war beruhigend all das im entspannten Sitzen zu genießen und fast wäre Yvonne dabei eingeschlafen. Doch plötzlich rührte sich Brianna, die vor ihr saß.

„Anhalten!“, schrie sie zu den anderen. Als sie stoppten, sprang sie schnell vom Chocobo.

„Was ist denn los?“, fragte Tidus. Yvonne blickte sich nicht zu ihm um, dafür war sie zu sehr auf Brianna konzentriert, doch sie antwortete ihm.

„Ich glaube, Brianna wacht auf.“

„Ja, du hast recht.“, meinte Yuna, die inzwischen auch zu ihnen getreten war.

Brianna lag auf dem Chocobo, ihren Kopf an seinen Hals gelehnt. Ihre Arme hatte sie an sein Gefieder gelegt. Leicht öffnete sie ihre Augen. Yvonne jauchzte. „Brianna, du bist endlich wach!“

Noch immer benommen, starrte Brianna sie an. „Was ist passiert?“, murmelte sie. Das Sprechen fiel ihr schwer, zu sehr schwirrten ihre Sinne im Chaos. In ihrem Kopf dröhnte es unaufhörlich.

Yvonne selbst war so glücklich, dass sie Brianna nur schnappte, vom Chocobo zog und sie fest in die Arme nahm. Erst als ein leiser Protest von ihrer Freundin kam, ließ sie sie wieder los. Zusammen setzten sie sich auf die Wiese; an eine Stelle, wo Brianna sich gegen einen Stein lehnen konnte.

„Wie geht es dir?“, fragte Yuna, während sie sich nun ebenfalls neben Brianna setzte.

Brianna lächelte. „Ganz gut.“, meinte sie Schultern zuckend.

„Wenn man bedenkt wie lange du geschlafen hast. Da muss es dir ja gut gehen.“, lachte Yvonne.

„Wie lange hab ich denn geschlafen?“, erkundigte Brianna sich verwundert. Yuna und Yvonne sahen sich kurz an. In diesem Fall würde Yvonne dem Medium das Wort überlassen. Sie selbst konnte sich in solchen Dingen noch nie besonders gut ausdrücken.

„Zwei Tage sind seit dem Angriff auf das Blitzball – Stadion vergangen. Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht.“, meinte Yuna.

„Wirklich?“ Brianna konnte es nicht glauben. Man hatte sich um sie gesorgt? So ein Gefühl hatte sie noch nie gehabt. Als sie aufsah, merkte sie, dass alle um sie herum standen und auf sie nieder blickten.

Yvonne nickte eifrig. „Ich dachte schon, ich hätte dich verloren.“

Euphorisch von dem Glücksgefühl, das sie nun durchströmte, wie ein Bach die üppige Landschaft, vergaß Brianna alle Schmerzen und sprang auf.

„Unkraut vergeht nicht.“, sagte sie grinsend.

Yvonne erhob sich und starrte ihre Freundin ausdruckslos an. Wie konnte Brianna nur solche Witze darüber machen? Sie hatte sich Sorgen gemacht, geglaubt, ihre Freundin würde nie mehr aufwachen und sie lachte einfach nur drüber. Ohne ein Wort gab sie ihr eine schallende Ohrfeige.

Briannas Hand war sofort hochgeschnellt und nun hielt sie ihre Wange. In Yvonnes Augen standen Tränen. Etwas, was Brianna noch nie bei ihr gesehen hatte.

„Wieso bist du so leichtsinnig?!“, schrie Yvonne sie an.

Yuna legte eine Hand auf Yvonnes Schulter.

„Es ist gut.“, meinte sie. „Brianna ist wach und das ist doch das Einzige, was jetzt zählt.“

Eine Weile sah Yvonne das Medium an. Sie hatte recht. Leicht nickte sie ihr zu.

„Dann können wir ja weiter.“

Erstaunt blickte Yvonne sich zu Auron um. Er stand da wie immer, die Arme verschränkt. Seine Aura strahlte Nervosität aus, er wollte unbedingt weiter. Sie wusste, dass er damit gar nicht so verkehrt lag. Das Medium musste seine Reise schnell beenden, um gegen Sin kämpfen zu können, bevor noch mehr Unschuldige starben.

„Kannst du laufen?“, fragte sie Brianna.

„Ich denke schon.“

„Gut, dann lasst uns aufbrechen.“
 

– Ende 7. Kapitel –
 

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Gut, das war’s an dieser Stelle erst mal wieder.

Jasons Part zu schreiben hat Spaß gemacht. Bei Yvonne fiel es mir etwas schwerer, da musste ich lange auf die Muse warten…

Ich verspreche, dass das nächste Kapitel schneller kommt (ich hoffe, ich kann’s auch halten ^^’)
 

An dieser Stelle noch ein großes Dankeschön von mir an euch!!!
 

LG, Jenny

Offenbarung

Die Mi’hen – Straße endete an einem mittelgroßen Platz, an dessen anderem Ende man durch einen Torbogen zum Funguss – Pass gelangte.

Brianna hatte sich gut erholt. Sie war den ganzen Weg hierher gelaufen, so dass sie den Chocobo zu seinem Besitzer zurückkehren lassen konnten.

Es war ein herrlicher Tag. Der Himmel in hellem Blau, aus dem die Sonne ihre wärmenden Strahlen auf die kleine Truppe schickte. Als Brianna zu Yvonne sah, merkte sie, dass diese den Tag sichtlich genoss. Ihr Gesicht hatte sie der Sonne entgegengestreckt und ihr Strahlen kam denen der Sonne in nichts nach. Brianna war aufgefallen, dass sich ihre Freundin noch nicht einmal beschwert hatte, wie sie es sonst so gerne tat.

„So schweigsam.“, sprach sie Yvonne an. Diese blickte sich verwundert zu ihr um. Dann grinste sie. Ein breites fröhliches Grinsen, das die Mundwinkel bis fast an ihre funkelnden Augen brachte.

„Was ist mit dir los?“ Langsam wurde Brianna ungeduldig. Ihre Freundin war so ganz anders, so überhaupt nicht sie selbst, dass sie schon fast Angst um sie bekam. „Wo bleiben deine Flüche und Nörgeleien?“

„Auf die musst du im Moment verzichten, fürchte ich.“, entgegnete Yvonne, woraufhin sie in schallendes Gelächter ausbrach. Nach kurzem Nachdenken fiel Brianna mit ein. Zurzeit war es egal, Hauptsache sie waren glücklich.

Die anderen kamen zurück, als die beiden noch immer lachend ihre Bäuche hielten. Prompt hörten sie auf. Brianna wischte sich noch eine Träne fort, die ihr der überschwängliche Lachanfall eingebracht hatte.

„Und, habt ihr was erreicht?“, fragte sie, als sie sich wieder einigermaßen gefasst hatte.

Yuna schaute etwas trübsinnig und Tidus schüttelte den Kopf. Der Rest der Truppe stand nur da. Als sie hier angekommen waren, wurden sie am Weitergehen gehindert, mit der Begründung, dass hinter dem Tor gleich ein Kampf gegen Sin stattfinden würde. Brianna selbst war zunächst erleichtert gewesen. Auf einen weiteren Kampf konnte sie gut verzichten. Doch Yuna hatte sie sofort scharf angesehen, als sie ihre Erleichterung geäußert hatte. Sie erklärte ihr, dass sie sich keine weiteren Verzögerungen leisten konnten und Auron meinte auch, dass sie schon genug in der Zeit zurück hingen. Brianna hatte eingesehen, dass sie um dieses Schlachtfeld wohl auch nicht drum herum kommen würde.

„Sie sagten, der Zugang sei für alle gesperrt. Selbst ein Medium mit ihrer Garde darf da nicht durch.“, meinte Yuna. „Da werden wir die Reise wohl für ein Weilchen unterbrechen müssen.“

Die anderen nickten und Auron brummte noch: „Etwas, was wir jetzt wirklich nicht gebrauchen können.“

Resigniert ließen sie die Köpfe hängen.

Brianna hatte die seltsame Gestalt, die sich ihnen genähert hatte, gar nicht bemerkt. Jetzt, wo diese sprach, schaute sie neugierig auf.

„Lady Yuna, schön Euch zu sehen.“

Das Medium drehte sich erschrocken zu der Stimme um. Ihr Gesichtsausdruck erhellte sich augenblicklich. Leicht lächelte sie ihrem Gegenüber zu.

„Primas Seymor. Mir ist es auch eine Ehre.“, begrüßte sie ihn, während sie leicht in einen eleganten Knicks ging.

Brianna beachtete die beiden nicht weiter, denn sie hatte etwas Interessanteres entdeckt. Hinter der imposanten Erscheinung mit dem Namen Seymor, stand noch jemand. Zuerst war er ihr nicht aufgefallen, da er, zwar fast so groß wie Seymor, sich dennoch hinter seinem breiten Mantel und den langen Haaren gut verstecken konnte.

Seine Augen hatten sie fixiert. Auch jetzt noch starrte er sie an, obwohl er längst gemerkt haben müsste, dass sie ihn ebenfalls ansieht. Brianna fühlte sich unbehaglich unter seinem Blick, der sich so tief in sie hineinzufressen versuchte, dass sie glaubte keinen Schritt mehr gehen zu können. Sie wollte ihren Blick abwenden, doch sie konnte es nicht. Der Fremde erinnerte sie irgendwie an ihre Heimat. Seine Kleidung war so gegensätzlich zu der hier üblichen und so genau ihre. Ihr Herz machte einen Satz. War er etwa auch durch den Steinkreis hierher gelangt? Nachdenklich musterte sie sein Aussehen. Jeans, Hemd, Turnschuhe … Fast glaubte sie, wieder zu Hause zu sein, doch dann musste sie sich ermahnen, dass immer noch Yuna, das Medium, in der Nähe war; und der Rest der Truppe. Es war also unmöglich, dass sie wieder zu Hause sein könnte.

Als sie diese Gedanken beiseite schob und diesen vertrauten Fremden wieder ansah, fiel ihr auf, dass er aus dem Schatten von Seymor getreten war und nun direkt auf sie zukam. Erschrocken zuckte sie kurz zusammen. Das hatte sie nicht gewollt. Vermutlich würde er sie ansprechen. Sie ausfragen. Über ihre Heimat, wo sie herkam? Ihm musste ihre Ähnlichkeit auch aufgefallen sein … Seine Augen hielten an ihr fest und ließen ihr kein Entkommen.

Hilfe suchend blickte sie sich um. Yvonne. Sie könnte ihre Rettung sein. Mit ihrem Redeschwall konnte sie jeglichen Verdacht im Keim ersticken. Ihr Gegenüber kam nie zum Reden, dass vermied sie geschickt, indem nur ihr Mund vor Lauten überquoll.

Brianna entdeckte sie bei den anderen. Sie unterhielt sich gerade angeregt mit Wakka. Verdammt., schoss es Brianna durch den Kopf. Yvonne sah nicht einmal nur für eine Sekunde zu ihr. Es war unmöglich, ihr ein Zeichen zu geben, damit sie ihr zu Hilfe eilen konnte. Diese Idee musste sie verwerfen.

Er war da. Groß und kräftig stand er vor ihr. Sein Blick fest in ihrem verankert. Stahlharte Ketten, die sie nicht zu sprengen vermochte. Sie musste ihn ebenfalls ansehen.

Ein Lächeln formte sich auf seinen Lippen. Brianna war dazu nicht imstande. Ihre Gesichtszüge schienen wie festgefroren.

„Darf ich neugierig sein? Wo kommst du her?“

Diese Frage kam so unverhofft und war für sie wie ein Schlag in die Magengegend. Ihre Augen brannten, sie hatte es nicht gewagt zu blinzeln. Mühsam rang sie um ihre Selbstbeherrschung. Tausend Fragen schossen durch ihren Kopf. Konnte sie ihm vertrauen? Wer ist er? …

Ihre Überlegungen formten sich schnell in einen einzelnen Gedanken. Sie würde niemandem trauen können. Er war fremd, sie kannte ihn nicht, hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Es war zu gefährlich, ihm gegenüber auch nur irgendetwas preiszugeben.

„Aus Luca. Ich reise mit dem Medium.“, sagte sie. Diese Antwort kam prompt und klang entschlossen. Niemand hätte auch nur erahnen können, dass sie log. Doch ihr Gegenüber musterte sie mit argwöhnischem Blick. Er glaubte ihr nicht. Vermutlich, weil er wusste, dass es anders war. Aber woher sollte er das wissen? Brianna kramte im Chaos ihrer Erinnerungen, aber nirgendwo entdeckte sie sein Gesicht. Markantes Kinn, tiefe Stirn, stahlgraue Augen, schwarzes Haar. Der Typ wäre ihr doch aufgefallen, wenn sie ihn gesehen hätte und sein Gesicht hätte sich in seiner Formvollendung bestimmt in ihr Erinnerungszentrum gebrannt.

„Aus Luca, also. Hm.“, meinte er. „Ich hätte schwören können, dass ich dich schon einmal woanders gesehen habe.“

Instinktiv wich Brianna zurück.

„Ihr müsst Euch irren. Ganz sicher hätte ich euer Gesicht nie vergessen können.“, erklärte sie kühl.

Seine Augen musterten sie weiter, doch dann gab er sie frei. Er schüttelte seine kurze Mähne, wobei sich die Sonnenstrahlen in seinem pechschwarzen Haar verfingen. Der Anblick versetzte Brianna in Trance. Wie Glühwürmchen in der Nacht., dachte sie. Der Zauber verflog und damit auch ihre Faszination. Vor ihr stand wieder er. Nichts weiter.

„Vielleicht muss ich dir recht geben.“, erwiderte er gelassen. Wenn er gekränkt war, so ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken.

Bevor er noch irgendetwas sagen konnte, kam Tidus angelaufen. Brianna sah ihn an. Sein Haar war pures Gold durchweg und nicht nur der Anschein von Goldfunken auf Pech. Er war ihr realer Traum, nichts anderes sollte sie in Bezauberung versetzen dürfen. Das schwor sie sich.

„Wir können doch durch!“, rief er ihr freudestrahlend zu. Seine Stimme hatte den Klang von tausend summenden Glöckchen, eine Sinfonie anstimmend.

Plötzlich fasste sie jemand an der Schulter. Erschrocken schaute sie auf. Der Fremde hatte sie gepackt und kurz geschüttelt. Vermutlich hatte er ihren träumerischen Zustand bemerkt und wollte sie nun wach rütteln. Grob stieß sie die Hand weg und funkelte den Übeltäter zornig an.

„Ich dachte, du kippst gleich vor meinen Augen um.“, meinte er entschuldigend.

Brianna biss sich auf die Zunge, ihren Kommentar verkneifend. Stattdessen nickte sie ihm kurz dankbar zu, woraufhin er sie wieder angrinste.

„Ich sollte dann mal gehen.“, sagte er. „Ach übrigens, mein Name ist Jason.“ Er wollte schon gehen, hatte sich nun aber wieder ihr zugewandt und schaute sie erwartungsvoll an.

Nach einem kurzen Seufzer erwiderte sie: „Ich bin Brianna.“

Zufrieden verschwand er. Brianna sah ihm noch ein Weilchen hinterher, wie er sich wieder neben Seymor gesellte und die beiden gemeinsam durch das Portal schritten.

„Brianna, kommst du?“, riss Tidus sie aus ihren Gedanken.

Eifrig nickte sie ihm zu und schloss sich, zusammen mit ihm, wieder der Truppe an. Sie gingen durch dasselbe Portal wie zuvor Jason. Vermutlich werde ich ihn früher wieder sehen, als mir lieb ist., dachte sie grimmig.
 

Das harte Training hatte sich bezahlt gemacht. Sophie vollführte einen eleganten Vorwärtssalto, zückte ihre Messerchen, die sie gekonnt zwischen ihren Fingern festklemmte, ließ ihre bemesserte Faust mit dem Schwung ihres nächsten Saltos hervorschnellen und traf ihren Gegner mitten an seiner Kehle.

„Wäre er echt, dann hättest du ihn grad gnadenlos kalt gemacht.“ Owen klang begeistert. Vielleicht auch ein klein wenig neidisch, was Sophie triumphierend zur Kenntnis nahm.

„Da habe ich dich überflügelt, gibt’s doch zu.“, zog sie ihn auf. Sie steckte die Messer zurück in den dafür vorgesehen Gürtel um ihrer Taille und grinste ihn schadenfroh an.

Owen reagierte blitzschnell. Noch ehe Sophie sich versah, war er hinter sie gehechtet und die Klinge seines Kurzschwertes schwebte gefährlich nahe unter ihrem Kinn. Mit der flachen Seite drückte er sie ihr an die Kehle.

„Du solltest aber deine Deckung nicht vergessen.“, flüsterte er ihr ins Ohr. Sein Atem kitzelte ihre Haut, mehr als der kalte Stahl der Klinge. Sie musste sich zusammen reißen, um sich nicht sofort umzudrehen und ihn in ihren Küssen zu ertränken. Stattdessen umfasste sie die Klinge und drückte diese von sich weg. Es war anstrengend und erforderte ihre ganze Konzentration, denn Owen hielt mit all seiner Kraft dagegen. Sobald sie ihre Chance sah, duckte sie sich unter dem Schwert hindurch. Sie ergriff ihre Messer, drehte sich geschwind um, während sie ihren Arm ihm entgegen rasen ließ.

Owen reagierte seinerseits damit, dass er die Hand, in der er das Schwert hielt, über seinen Kopf erhob und auf sie niedersausen ließ. Kurz vor ihrer linken Schulter stoppte er, wie auch Sophie ihren Angriff zentimeternahe vor seinem Gesicht abbrach.

„Ebenbürtig.“, kam es gleichzeitig aus ihren Mündern.

„Die Zeit für Spielchen ist vorbei, jetzt wird es ernst.“, unterbrach ein Soldat ihren Kampf. „Wir sollen uns alle auf dem großen Platz vor dem Strand versammeln.“

Die beiden nickten zum Zeichen, dass sie verstanden hatten und auch gleich da sein würden. Owen ließ sein Schwert in die Scheide sinken, Sophie verstaute ihre Messer wieder im Gürtel.

„Dann geht es jetzt los.“, meinte sie, als sie den Weg zum Strand hinunter liefen.

Man hatte ihnen erklärt, dass sie mit Hilfe von Sins Schuppen, den so genannten abgestoßenen Hautresten von dem Monstrum Sin, dass die Bevölkerung Spiras in Angst und Schrecken versetzte, versuchen wollte, eben dieses anzulocken. Wenn es auftaucht, dann würde ihre Geheimwaffe zum Einsatz kommen und Sin, Gesetz dem Fall, dass alles gut geht, endgültig vernichten.

Sophie und Owen waren im Sturmtrupp eingeteilt worden. Ihre kämpferischen Fähigkeiten seien herausragend, hatte man zu ihnen gesagt und sie prompt von den Kanonen zum Sturm versetzt. Nun würden sie hier unten auf Sin warten und derweil seine Schuppen, die sich zu gefährlichen Monstern entwickeln konnten, in Schach halten.

Sie waren nicht begeistert, ihr Leben aufs Spiel setzen zu müssen, aber ihnen blieb nichts anderes übrig. Wenn sie sich weigern würden, so würde das wohl folgenschwere Konsequenzen nach sich ziehen. Sie waren nun einmal in diese Situation geraten und nun mussten sie die Suppe eben auslöffeln, bis zum letzten verdammten Rest, auch wenn es sie ihr Leben kosten würde.

„Ich fühl mich absolut nicht wohl bei dieser Sache.“, sagte Sophie mit vorwurfsvollen Blick auf Owen.

„Ich kann nichts dafür, dass wir nun in diesem Schlamassel stecken.“, erwiderte er.

„Aber ich?!“ Sophie war gereizt. Das alles hier schlug auf ihr Gemüt und hinterließ tiefe Furchen. „Was kann ich denn dafür, dass ich mir den Fuß verletzt hab?!“

Beschwichtigend hob Owen seine Hand. „Nichts. Das habe ich doch gar nicht gesagt. Es war dummer Zufall, mehr nicht. Keiner von uns ist schuld.“

Sophie blieb stumm und senkte den Blick. Schweigend schritten sie nebeneinander her zu ihrem selbst aufgestellten Galgen. Alles, was sie jetzt noch tun konnten, war so lange wie möglich durchhalten. Am Leben bleiben bis der Kampf vorbei und Sin besiegt war. Sophie fröstelte nur bei dem Gedanken daran. Im Kampf gegen Owen oder die Trainingspuppe war sie kühn und sprang ihrem Feind mitten ins Gesicht. Sie wusste jedoch nicht, wie sie reagieren würde, wenn ihr ein Monster gegenüberstehen würde, dass wohl um einiges stärker sein musste als sie. Ihr erster Feind hier war Glücksache gewesen. Das Überraschungsmoment hatte auf ihrer Seite gestanden, doch dieses Mal würde es diesen Zeitpunkt wohl nicht geben.

Die Lagebesprechung war kurz. Was sollten sie auch anderes tun, als blindlings in die feindliche Linie einzubrechen? Die Lage war glasklar.

Nun hockten sie in Stellung. Warteten auf das Unvermeidliche, das sich aus den Tiefen des blauen Ozeans erheben würde.
 

Brianna verschlug es fast den Atem bei diesem Anblick. Überall saßen die verschiedensten Gestalten in Gefechtsbereitschaft. Kanonen waren aufgestellt und mit jeweils drei Mann besetzt. Einer für den Nachschub, einer fürs Laden und einer zum Abfeuern.

Als sie den Bergrand entlanglief und hinunterschaute, konnte sie noch mehr Leute entdecken. Eine einzige Masse aus Kampfesmutigen schob sich der nähernden Flut entgegen. Sie blieb stehen und ließ diese Gewalt auf sich wirken. Wie viele von ihnen werden heute wohl sterben., überlegte sie bitter. Sie mochte den Kampf nicht und nach dem, was Yuna ihr über Sin erzählt hatte, würde es wohl ein kurzes gnadenloses Abschlachten der Krieger werden. Es war hoffnungslos. Niemand würde auch nur ansatzweise daran glauben, dass sie eine Chance hätten. Doch tausend entschlossener Gesichter nach zu urteilen, glaubten diese Leute an einen Sieg. Die Geheimwaffe gab ihnen den Mut eines Berserkers; verzweifelte Entschlossenheit.

Brianna atmete schwer aus. Bereits in Luca hatte es Tote gegeben, und sie wäre beinahe eine davon geworden. Hatte sie dort nur überlebt, um jetzt hier zu sterben?

Den Angriff auf Kilika hatte sie mit einer riesigen Portion Glück heil überstanden. Die Wucht der Wellen war unaufhaltsam auf den kleinen Ort niedergegangen. Ihr drehte sich der Magen um, als sie daran dachte. Wieder sah sie nach unten.

„Ich hoffe, ihr könnt den Wellen trotzen …“, meinte sie und leise schickte sie ein Stoßgebet gen Himmel.

Tidus packte sie bei der Hand und führte sie in ein Lager. Der Rest stand bereits dort und Auron war in ein Gespräch mit einem kleinen untersetzten Mann vertieft. Die treibende Kraft hinter den Todesmutigen, die sich heuchlerisch in ihrem sicheren Lager versteckt. Brianna musste würgen, nur bei dem Gedanken daran, wer die Lorbeeren für einen eventuellen Sieg erhalten würde. Sie verfluchte die Machtstrukturen, die auf Spira ihre Fäden so heimtückisch gesponnen hatten.

„Wir werden kämpfen. Wir haben geschworen, alles zu tun, um Sin zu vernichten und wenn dies eine Chance dazu ist, dann sollten wir sie auch ergreifen.“, sagte Yuna. Die Truppe gab eifrig seine Zustimmung, nur Brianna und Yvonne blieben ruhig.

Das Medium sah sie an.

„Ihr solltet hier bleiben. Hier ist es sicher, bis der Kampf vorbei und Sin besiegt ist.“, meinte sie. Brianna senkte betrübt den Blick.

„Bist du dir sicher?“, fragte sie. „Sollen wir nicht auch helfen?“

Energisch schüttelte Yuna den Kopf, wobei ihre kastanienbraunen Haare hin und herflatterten. „Nein, ihr seid im Kampf nicht erfahren genug. Ihr würdet beim ersten gegnerischen Schlag sterben. Es ist besser, wenn ihr hier bleibt.“

Tidus legte seinen Arm um Brianna und grinste sie siegesgewiss an. „Keine Sorge. Wir kümmern uns um Sin. Aus dem machen wir Kleinholz.“ Seine Worte klangen fest und entschlossen, doch sein Gesicht zeigte ein anderes Bild. Brianna vermochte es nicht einzuordnen.

So blieben Yvonne und sie zurück, während sich die anderen ins Kampfesgetümmel stürzten. Es tat Brianna nicht leid. Sie war zu schwach, um nur irgendein Fünkchen von Chance zu haben. Außerdem gehörte sich nicht in diese Welt. Warum sollte sie versuchen, gegen einen Feind dieser zu kämpfen und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen? Zu Hause wartete ihre Familie. Bestimmt machten sie sich schon Sorgen um sie. Was würden die Lehrer sagen, wenn sie feststellten, dass zwei aus ihrer Gruppe fehlten? Vielleicht auch vier …, überlegte sie. Immerhin wusste sie nicht, was mit Sophie und Owen geschehen war.

„Meinst du, man hat unser Verschwinden schon bemerkt?“, fragte sie Yvonne, die neben ihr saß und ihre Nägel betrachtete. Sie wandte sich vom Anblick ihres zersplitterten hyazintblauen ‚Kunstwerkes’, das es zweifellos vor ein paar Tagen noch gewesen sein musste, ab und sah Brianna direkt in die Augen.

Ihr Blick war trüb, doch ihr Mund war zu einem Lächeln verzogen. Auch Yvonne machte sich Gedanken, wenn sie es auch gekonnt in ihrer Art überspielte.

„Ich weiß es nicht.“, meinte sie schlicht. „Bestimmt, schließlich sind wir schon seit ein paar Tagen hier. Wer weiß, vielleicht sind sie schon wieder abgereist und haben unseren Eltern die schlimme Nachricht von unserem spurlosen Verschwinden mitgeteilt und jetzt sitzen sie allesamt um den Tisch und heulen sich die Augen aus.“ Kurz lachte Yvonne bei dem Gedanken daran. Brianna war es nicht zum Lachen.

Ihre Eltern machten sich bestimmt Sorgen. Sie würden alles daran setzen, sie wieder zu finden. Yvonnes Eltern waren da ganz anders. Sie kümmerten sich nicht um ihre Tochter. Erlaubten ihr nächtelanges Fernbleiben, nur weil sie keine Zeit hatten, sich Gedanken zu machen. Yvonne ließ es sich nie anmerken, aber vermutlich litt sie unter der Teilnahmslosigkeit ihrer Eltern.
 

Die Schlacht hatte begonnen. Der Wind trug das Klirren von Schwertern, das dumpfe Geräusch der abgefeuerten Kanonen und auch die abertausend Todesschreie zu ihnen hinauf. Es war wie in Kilika. Brianna konnte die Macht von Sin fühlen und wusste, dass es für die Kämpfer kein Entrinnen gab. Ihre einzige Flucht war der Tod, der unheilsam über dem Schlachtfeld schwebte und auf seine Beute wartete.

Sie versuchte in ihre eigene Welt zu flüchten. Dorthin, wo sie die Schreie nicht hören würde, doch es gelang ihr nicht. Immer wieder zog sie der Hauch des Vergänglichen zurück in die harte Realität, zerstörte ihre Zuflucht und ließ auch ihr kein Entkommen.

Sie konnte nicht tatenlos herumsitzen, während andere ihr Leben verloren. In Luca hatte sie es geschafft, ein Monster zu besiegen. Wie, das wusste sie nicht. Alles, was sie wissen musste war, dass sie es geschafft hatte und vielleicht wieder schaffen würde. Ihre Gabe, von der das Kapuzenwesen gesprochen hatte … Was hatte es mit ihr auf sich? Sie würde es nur erfahren, wenn sie diese nutzen würde. Sie stand auf. Yvonne schaute sie ausdruckslos an.

„Wo willst du hin?“, fragte sie nur. Ihre Stimme klang seltsam monoton. Auch sie ließen die Schreie nicht kalt, doch Brianna konnte und wollte nicht zulassen, dass ihre Freundin sich in Gefahr begab.

„Ich muss nur mal ganz kurz für kleine Königsmiezen.“, erwiderte sie. Yvonne nickte stumm und vergrub dann wieder den Kopf zwischen ihre Knie.

Brianna zögerte kurz, doch dann rannte sie aus dem Lager und mitten ins Schlachtfeld. Fast wäre sie über etwas gefallen, doch sie schaffte es gerade noch, das Gleichgewicht wieder zu finden. Als sie sich umdrehte, um nach dem Hindernis zu schauen, verkrampfte sich ihr Magen. Sie übergab sich augenblicklich neben dem Jungen mit den weit aufgerissenen grasgrünen Augen.

Sie hätte nicht gedacht, so schnell auf einen Toten zu treffen und die Überraschung hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. Verwirrt lief sie durch die Reihen der Kämpfenden auf der Suche nach einem vertrauten Gesicht. Es war mehr Glück, dass sie den geifernden Mäulern der Monster so knapp entkam. Sie achtete nicht darauf, sondern setzte nur hastig einen Fuß vor den anderen. Ihre Richtung war unklar, es war eine verzweigte Linie mitten durch die ausdruckslosen Gesichter.

Irgendwann fühlte sie das Nass durch die Nähte ihrer Schuhe dringen. Es kroch ihre Beine hinauf und reichte ihr schon bis an die Hüften, als sie endlich wieder zur Besinnung kam.

Erschrocken blickte sie sich um. Sie hatte die Schlacht hinter sich gelassen, doch damit war sie auch etwas weitaus Schlimmeren in die Arme gelaufen.

Das Meer war ruhig. Die Ruhe vor seinem Angriff. Brianna stand regungslos und starrte zum Horizont, wo sich die Gischt schon weiß vom blauen Wasser abhob.

Der Plan war aufgegangen. Die Schuppen hatten ihn angelockt – Sin.
 

Sophie kämpfte verzweifelt mit all der Kraft, die sie noch aufbringen konnte. Jeder Knochen in ihrem Leib tat weh und sie glaubte fast zu zerspringen. Sie hatte dem letzten Angriff eines Monsters nicht ausweichen können und es war schwer auf ihr gelandet. Nur das knackende Geräusch und der unerwartete Schmerz hatten sie bei Bewusstsein gehalten. Als das Monster erneut zum Angriff angesetzt hatte, konnte sie sich gerade noch wegrollen und so in Sicherheit bringen vor dem alles zermalmenden Klotz.

Sie richtete sich auf. Vor ihren Augen drehte sich kurz die Welt, doch sie fasste sich schnell wieder. Wenn sie jetzt in Ohnmacht fallen würde, dann wäre alles aus. Sie musste kämpfen und durfte nicht eher aufgeben, bis einer von ihnen tot am Boden lag.

Langsam hob sie ihren rechten Arm. Gott sei Dank hatte er nichts abbekommen. Nur der linke war unbrauchbar geworden und hing nun schlapp herunter. Sie würde ihn nicht brauchen. So konnte sie wenigsten alle Kraft in ihren rechten Arm lenken.

Sie setzte zum Sprung an. Auch ihr Gegner hatte sich zu einer neuen Attacke gewappnet. Jetzt hieß es: alles geben. Sie hatte nur diese eine Chance oder sie würde wieder unter dem zentnerschweren Gewicht landen und dieses Mal würde es nicht so glimpflich ausgehen.

Ihre Hand verkrampfte sich und hielt die Messer fest wie angeklebt. Einen Schrei auf ihrer Zunge, schlug sie mit aller Macht zu.

Sie traf genau die richtige Stelle. Mit einem rasselnden letzten Atemzug hauchte das Monster sein Leben aus und blieb regungslos liegen, bis es in tausend hellen Lichtschweifen verschwand.

Sophie fühlte, wie die Erschöpfung sie zu übermannen schien und krallte die Nägel in ihren linken Arm. Der Schmerz hielt sie aufrecht. Es war keine Zeit, um auszuruhen. Sie befand sich mitten im Kampf und jede Achtlosigkeit wurde mit dem Tod bestraft.

Jemand drängte sich an ihr vorbei. Sophie wollte etwas schreien, doch die Stimme versagte ihren Dienst. Starr blickte sie auf die davonlaufende Gestalt.

Tonlos formten ihre Lippen nur ein Wort: „Brianna.“

Ihre Unachtsamkeit wurde auf der Stelle bestraft. Die Hauer eines riesigen undefinierbaren Monsters drangen in ihr Fleisch. Sofort wurde ihr schwarz vor Augen. Selbst der Schmerz konnte sie jetzt nicht mehr aufrecht halten.
 

Brianna stand wie festgenagelt. Die Wellen schwappten an ihr hoch, tauchten sie in Nässe, doch sie bewegte sich nicht vom Fleck. Sin, versteckt unter der blauen auftürmenden Welle, kam immer näher, doch sie blieb stehen. Ihr Gesicht zeigte keinerlei Gefühl. Ihre Finger blieben ruhig. Die Augen wie starr auf das Unvermeidliche gerichtet.

Ihr Mund fühlte sich so trocken an, als hätte sie ein Fellknäuel verschluckt. In ihrer Kehle brannte die Trockenheit und ihre Augen tränten vom angestrengten Blick. Die Tränen liefen ihre Wangen hinunter, verharrten am Kinn und sammelten sich dort zu einem Tropfen, der geräuschlos ins Meer fiel.

Auf einmal teilte sich die Welle und zum Vorschein kam ein riesiges Monstrum, dass Brianna fast um das zehnfache überragte. Da war er, der Herr über das Meer und aller Schicksale auf dieser Welt und nun hatte auch Brianna ihr Schicksal in seine Hand gegeben.

Sie blieb weiter bewegungslos stehen. Obwohl sie wusste, dass Sin sie unter sich begraben würde, tat sie keinen Schritt, um auszuweichen. Sie sah in seine großen Augen, in den sich die Weite des Ozeans widerspiegelte. Die Wellen schlugen ihr nun bis zur Brust. Unaufhaltsam näherte sich ihr der Tod in Gestalt dieses übermächtigen Wesens.

Doch es stoppte. Kurz vor ihr hielt es inne und seine Augen blickten in ihre. Sie hielt dem Blick stand. In ihrem Innersten wusste sie, was kommen würde und hatte keine Angst mehr. Sie war nun an einem Punkt angelangt, an dem sie gefühllos in die Leere der Zeit schaute. Die Welt um sie herum hatte aufgehört sich zu drehen. Alles war bedeutungslos. Wenn das Nichts sie verschlingen würde, dann würde sie ewig fliegen können. Warum also sollte sie davor Angst haben?
 

Das glänzende Schwarz von Sins Augen verschluckte sie. Nahm sie in sich auf. Sie tauchte ein in die Schwärze seiner Seele. Weit hinten strahlte ein Licht. Schwach und kurz davor, gänzlich von dem schwarzen Nichts verschluckt zu werden. Brianna schwebte darauf zu. In dem Licht stand ein Mann. Seine hoch gewachsene Gestalt nahm das Licht vollständig für sich in Anspruch. Seine gebräunten Muskeln strahlten eine längst vergangen Stärke aus. Irgendwie erinnerte er Brianna an Tidus, obwohl seine schwarzen Haare so dunkel wie seine glanzlosen Augen waren.

„Bist du Sin?“, fragte sie und ihre Stimme klang in ihren Ohren wie von weiter Ferne. Nicht so, als hätte sie diese Worte ausgesprochen. Der Mann sah sie an. Sie wusste nicht, was er dachte. Sein Gesicht verriet kein Gefühl, und seine Stimme klang kalt und nüchtern, als er antwortete: „Ja.“

„Aber wie? Wer bist du? Wie kann es sein, dass ein Mensch dieses Monstrum ist, das ganz Spira in Angst und Schrecken versetzt?“

„Ich bin längst kein Mensch mehr.“, erwiderte er. Brianna stutzte, doch er fuhr ungehindert fort. „Es ist nur noch der Rest meiner vergangen Seele, die sich tapfer in diesem Gefängnis hält.“

Der Mann erzählte ihr alles. Die Worte sprudelten nur so aus seinem Mund, fast so, als hätte er schon ewig darauf gewartet, das alles endlich loswerden zu können. Brianna lauschte ruhig und riss vor Staunen die Augen auf. Alles war wie ein Traum und vermutlich war es auch einer. Aber trotzdem war dieser Mann im Inneren von Sin so real wie sie. Es erinnerte sie an ihre erste Begegnung mit Yuna. Auch damals hatte sie nur geträumt, doch sie war wirklich da gewesen. Das hatte das Medium ihr bestätigt. Diesmal war es genauso.

Der Mann vor ihr verstummte. Nur der stetige Gang der Wellen war noch zu hören. Brianna sah ihn nachdenklich an. Diese Enthüllungen waren zu viel für sie. Konnte sie all das glauben?

Plötzlich verschwand das Licht und mit ihm der Mann, der gleichzeitig Sin ist und es nicht ist. Brianna strauchelte, streckte ihre Arme nach ihm aus, wollte ihn festhalten. Es gelang ihr nicht.

Sie war allein im Dunklen. Als sie das Wasser fühlte, wusste sie, dass sie wieder im Meer war. Etwas schlug sie zur Seite. Die Wellen begruben sie, als Sin an ihr vorbei schwamm.

Sie schaute zum Strand und entdeckte die riesige Kanone, die dort aufragte. Die Geheimwaffe, die allen so viel Mut geschenkt hatte. Ihr Schrei prallte ungehört an dem Schuss ab.

Das Salz des Meeres brannte in ihren Augen und ließen Tränen in Sturzbächen ihre Wange hinab rinnen. Sie redete sich ein, dass es an dem Salz lag, doch sie wusste, dass es etwas anderes war.

Sin war nicht vernichtet, der Schuss kam bis zu seinem unsichtbaren Schutzschild und verschwand dort, ohne sein Ziel erreicht zu haben. Gleichzeitig setzte Sin zum Gegenangriff an. Seine todbringende Welle aus Licht verschlang alles Leben, das sich am Strand tummelte. Nun war alles aus. Brianna ließ sich nach hinten ins kühle Nass fallen und schwebte auf dem Meer dem Vergessen entgegen. Die Tränen liefen zur Seite, verfingen sich in ihren Haaren oder kitzelten in ihren Ohren. Doch sie war wie betäubt. Es war vorbei. Die Schlacht war verloren.

Brianna fühlte sich als Unglücksprophetin, hatte sie die Niederlage doch vorausgesehen. Nie hätte sie gedacht, dass es so wehtun würde. Trotzdem sie den Ausgang kannte, zerriss es ihr immer noch das Herz.

Sin verschwand in den Tiefen des Meeres und mit ihm die Gefahr. Vielleicht hatten ein paar diesen alles vernichtenden Angriff überlebt? Brianna machte sich keine allzu großen Hoffnungen. Die Welle hatte alles unter sich begraben und der helle Strahl jegliches Leben verbrannt.

Sie schwamm zum Strand zurück. Ihre Arme bewegten sich wie in Zeitlupe und Brianna glaubte, ewig zu schwimmen.

Vor sich konnte sie das Ausmaß der Katastrophe sehen. Es war schlimm. Überall lagen Menschen, ihre Augen stierten leblos in den blauen Himmel. Ihre Beine versagten Brianna den Dienst und sie sackte zu Boden. Die Tränen flossen unaufhaltsam, obwohl sie geglaubt hatte, längst keine mehr zu haben.

Die Entschlossenheit, die sich vor dem Kampf noch so deutlich in den Gesichtern der Kämpfer abgezeichnet hatte, war nun nicht mehr da. An ihre Stelle hatte sich das blanke Entsetzen im Angesicht des Todes festgefressen.

Brianna wollte fort, zurück in ihre Welt und wenn sie das nicht mehr konnte, dann wollte sie nur noch sterben. Warum nur war sie auf dieser Welt und mitten in diesen Krieg geraten? Einen Krieg, der mit unfairen Mitteln gefochten wurde. Die Überstärke auf der Seite des Gegners. Ein Krieg, in dem es keine Gefühle geben durfte, doch wo Gefühle an erster Stelle standen.
 

„Ich bin Jekkt. Der Vater von Tidus. Ich sehe ihn dort oben auf dem Schlachtfeld, Seite an Seite mit dem Medium. Er kämpft, wie ich einst gekämpft habe. Deswegen habe ich ihn hergeholt. Ich hoffe, dass er mich befreien kann.“
 

In Gedanken wiederholte Brianna diese Worte ständig.
 

„Ich bin Jekkt. Der Vater von Tidus.“
 

Dumpf hämmerten sich diese Worte in ihren Kopf. Klangen in ihren Ohren, schienen ihr Innerstes zu zerreißen.
 

„Ich hoffe, dass er mich befreien kann.“
 

„Warum musstest du mir das sagen?!“, schrie sie in abflauende Flut. „Warum?! Ich habe dich nie darum gebeten!“ Schluchzer erstickten ihre Stimme. Sie weinte, vergrub ihr Gesicht in ihren Händen und weinte unaufhörlich.
 

– Ende 8. Kapitel –
 

*-------------------------------------*
 

Das war’s dann auch schon wieder.

Ich habe doch tatsächlich dieses ganze Kapitel der Mi’hen – Offensive gewidmet. Hm, aber es ließ sich so leicht weg schreiben. Ging fast wie von selbst. Ich hoffe, die Begeisterung hat mich nicht blind gegenüber Fehlern gemacht. Wenn doch, dann gebt mir Bescheid.
 

Bis zum nächsten Kapitel!
 

LG, Jenny



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Kommentare zu dieser Fanfic (16)
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Von: abgemeldet
2006-10-14T15:07:21+00:00 14.10.2006 17:07
Das war ein rundum gelungenes Kapitel und vorallem schön lang ^^
Macht weiter sooooo !!! ^-----------------------^
Von: abgemeldet
2006-10-12T15:33:28+00:00 12.10.2006 17:33
Hey, ich weiß gar nicht, was du hast! Das ist doch gut geworden^^
Also mir gefällts und ich bin schon gespannt, wies weiter geht!^^

LG
Schwarzfahrerin
Von: abgemeldet
2006-09-11T13:32:58+00:00 11.09.2006 15:32
ich will weiterlesen... *snief*
Von: abgemeldet
2006-08-28T11:36:16+00:00 28.08.2006 13:36
thx für die benachrichtigung ^-^
wieder einmal klasse geschrieben xD~
aber langsam könntest du mir doch wirklich mal was liefern, wo ich kritik verüben könnte xDDDD
immer kann ich nur schreiben: geil, klasse, hammerhart, toll ^-^ es gibt einfach nichts auszusetzen xDD
also schön weiter schreiben

dat eve-dingens
Von: abgemeldet
2006-08-28T08:25:00+00:00 28.08.2006 10:25
Danke für deine ENS ^^
Mir hat das Kapitel super gefallen und freu mich schon total aus nächste Kapitel ^^
Von: abgemeldet
2006-08-27T17:55:56+00:00 27.08.2006 19:55
Bonjour^^
ich war grade fertig mit lesen, als ich deine ENS bekommen habe^^
trotzdem danke...
Ich fand das kapi wieder ganz toll... allerdings bin ich eher ein freund der langatmigkeit, deshalb hätte es mich auch nicht gestört, wenn du die sache mit Brianna, Sophie und Owen etwas länger herausgezögert hättest... Scheint aber noch sehr interessant zu werden^^
Ich habe da schon so eine gewisse ahnung, was Brianna angeht und würde mich freuen, wenn ich bald erfahre wies weiter geht^^

also^^ wir lesen uns ne?
Sayonara Yuna

P.S. erste^^
Von: abgemeldet
2006-07-06T15:10:03+00:00 06.07.2006 17:10
ok vergiss den teil im letzten kommi bezüglich auron und yvonne xDDDD hassu wieder fein gemacht *keks geb* xDDDDD nein ernsthaft tolles kapi und bin gespannt wie es weitergeht insbesondere wegen jason
Von: abgemeldet
2006-07-06T14:55:50+00:00 06.07.2006 16:55
*räuspa* als erstes sry, dass es so lang mit kommi gedauert hat*gomen* aber du kennst ja meine ansicht von deiner story, auch wenn ich in diesem kapi yvonne und auron vermisst hab, kann natürlich sein, dass es von dir so gewollt war
Von: abgemeldet
2006-07-04T16:40:17+00:00 04.07.2006 18:40
Boaaa !!*staun*
Was für ein langes und super-tolles Kapitel ^-^
Vorallem weil Auron wieder mit dabei war*-*
Ich für meinen Teil freu mich schon wieder riesig auf die Fortsetzung ^^
Von: abgemeldet
2006-07-04T14:02:24+00:00 04.07.2006 16:02
holla^^ da ich schockiert bin, dass sich keienr die mühe macht, die zu schreiben, hab ich das einfach mal selber übernommen^^
tja... was soll ich sagen... ich finde, dass du die charas wundervoll getroffen hast^^ allerdings frag ich mich, wie man kirmahri übersehen kann.... also ich könte kein 2m großes, blaues mitzekätzchen übersehen^^
joa...
was soll ich sagen... unglaublich, dass die story immernoch interessant ist, wenn man sie praktisch schon kennt^^ du machst das gaaaaaaaaaaaaaaaanz fein^^

freu mich schon aufs nächste kapitel
Sayonara
Yuna

--Deutschland wird weltmeister... und wehe wenn nicht, dass muss ich meine fingernägel wieder umlackieren--


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