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Diagnose: Schreibblockade

Dreimonatige Challenge
von

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29.4.2024: flüssig

Gleichmäßig schwang das Pendel der Wanduhr von Seite zu Seite, kam seiner Arbeit zuverlässig und unermüdlich mit einem monotonen Geräusch nach, das erst nur eine unbeachtete Hintergrundbeschallung gewesen war und nun mit jedem Schlag dröhnender wurde. Es hämmerte in Hellens Kopf, während sie das Blut in ihren Ohren rauschen hörte und spürte, wie jede Flüssigkeit aus ihrem Mund verschwand. Sie starrte hinauf zu Benjamin, der seine Großmutter noch immer schützend umarmt hielt, während er gleichzeitig fast eines Schutzschildes gleich vor seinem Großvater stand. Kühl blickte er auf sie hinunter, während seine Großeltern nicht wussten, was gerade geschah. Seine Großmutter wollte wissen, warum ihr Enkel sich so abweisend gegenüber ihres Gastes verhielt und sein Großvater fragte, woher sie sich kannten. Benjamin aber musterte Hellen voller Abscheu, bevor er das unerträgliche Ticken mit seiner Stimme wieder übertönte.

„Der Kerl ist sich wirklich für nichts zu schade, was?“, lag blanker Ekel in seinen Worten, die er beinahe ausspuckte wie Galle.

„Jetzt schickt er auch noch seine Angetraute hierher?!“

Hellen wollte aufspringen und protestieren, aber sie fühlte sich wie angenagelt, die Hände und Füße taub, die Kehle gelähmt.

„Ich kenn sie von der Schule. Die war in meiner Parallelklasse“, knurrte er, an seine Großeltern gewandt, um ihnen endlich zu erklären, woher er so genau wusste, wer da gerade vor ihm saß. Ja, Hellen erinnerte sich an Ben, das Sportass, das besonders im Schwimmunterricht mit Bestleistungen beeindruckt hatte. Der wie ein Fisch in fließenden Bewegungen seine Bahnen gezogen hatte, als wäre er eins mit dem flüssigen Element gewesen. Neben Richard war er einer der beliebtesten Jungen der Schule gewesen; durch alle Jahrgänge hindurch. Eigentlich waren die beiden jungen Männer nie richtige Konkurrenten gewesen – lagen ihre Vorzüge doch in völlig unterschiedlichen Richtungen – aber trotzdem hatte Hellen damals das Gefühl gehabt, dass Richard eine gewisse Genugtuung verspürte, als Ben sich kurz vorm Abschluss eine Muskelverletzung zugezogen hatte. Seine Sportkarriere war so vielversprechend gewesen, aber durch die verletzte Schulter hatte er keine Aussicht darauf gehabt, sie weiter ausbauen zu können. Zumindest nicht mit der Unterstützung, die ihm zur Verfügung gestanden hatte, von Ärzten, die zwar ihr Bestes getan hatten, um ihm zu helfen, aber deren Ausrüstung und Erfahrung nicht an das heranreichte, was ein Richard sich in so einem Fall sicherlich hätte leisten können…

Früher war ihr bei Ben nie so eine Kälte aufgefallen wie jetzt. Hellen schluckte hart gegen die schmerzende Kehle und griff mit zittrigen Fingern nach ihrem Tee, während Ben seine Großeltern weiter darüber in Kenntnis setzte, wen sie sich da ins Haus geholt hatten.

„Wenn ich mich nicht irre, sind die beiden im letzten oder vorletzten Schuljahr damals zusammen gekommen und spielen sich seitdem als Vorzeigepärchen auf. Achtet mal auf die Fotos in den Tageszeitungen, wenn mal wieder irgendeine Wohltätigkeitsveranstaltung oder so was war: Richie Rich steht dann zwar im Vordergrund, aber sie ist auch oft genug mit abgelichtet“, nickte er zu Hellen und ließ seine Großmutter los, um stattdessen auf den Tisch zu zu treten und die Arme vor der Brust zu verschränken. Hellen schaute Bens Großeltern an und sah das Entsetzen, die Enttäuschung ihren Augen, aber auch die wachsende Erkenntnis, je länger sie sie anschauten. Dank des Regens, der von ihrem Styling nicht allzu viel übrig gelassen hatte, war es ihnen nicht sofort aufgefallen, aber jetzt fiel es wie Schuppen von den Augen.

„Potzblitz! Jetzt weiß ich auch, warum Sie mir so bekannt vorkamen!“, stieß der Schuster aus und schüttelte den Kopf. War das etwa alles eine Finte gewesen? Die hilflose Frau auf der Bank, die an seine Gutmütigkeit appellieren sollte?

„Bestell deinem Freund einen schönen Gruß, er soll meine Großeltern endlich in Ruhe lassen! Sie werden nicht verkaufen und wenn er sich auf den Kopf stellt! Und jetzt gehst du lieber, du bist hier nämlich flüssiger als flüssig: überflüssig!“, rümpfte Ben die Nase und wandte sich so zur Tür, dass sich auch ohne zusätzliche Handbewegung eine mehr als eindeutige Geste daraus entwickelte. Hellen wollte sich am Tisch hochdrücken und aufstehen, aber ihre Knie gaben nach. Sie kannte diese Leute erst kurze Zeit und trotzdem trafen sie die plötzliche Abweisung und der falsche Eindruck, den sie von ihr gewannen.

„Ich wusste nichts davon“, brachte sie schließlich heiser hervor und schüttelte leicht den Kopf.

„Mit Richards Geschäften hab ich nichts zu tun. Ich wusste nicht, dass…“. Sie brach ab und ließ die Schultern sinken. Nur allzu deutlich war in den drei Gesichtern zu lesen, dass sie ihr nicht glaubten.

„Erspar uns das Theater! In was für einer Welt lebst du denn bitte, wenn du keine Ahnung haben willst, was dein Freund für ein abgezocktes Arschloch ist?!“, knurrte Ben und erntete dafür einen empörten Ausruf seiner Großmutter. Bei allem Ärger, den sie Bens ehemaligem Mitschüler verdankten, wollte sie solche Kraftausdrücke in ihrem Haus nicht hören.

„Sie sollten jetzt wirklich gehen“, meldete sich der Schuster plötzlich zu Wort und packte das belegte Brötchen in einen Frischhaltebeutel, den er Hellen kurz drauf vor die Nase hielt. Ihre geröteten Augen ließen ihn nicht kalt, also wandte er sich ab, als sie die Tüte griff und zum Ende der Sitzbank rutschte, um hinter dem Tisch hervor zu kommen.

„Ich studier Tiermedizin und er ist mit seinen Geschäften so beschäftigt, dass wir uns oft nur abends oder frühmorgens sehen und da reden wir selten über beruflichen Themen“, versuchte Hellen es noch einmal und musste schnell merken, dass der kleine Funke Hoffnung vom eisigen Hauch der Ablehnung ausgeblasen wurde. Sie fühlte, wie Bens Hand sich auf ihren Rücken legte, warm und doch voller Härte, mit der er sie zur Haustür schob.

„Hast du keinen Mantel?“, sprach er beinahe fahrig, als er im Vorbeigehen zur Garderobe blickte und dann wahrnahm, wie dünn Hellens Kleid wirklich war. Sie schüttelte den Kopf und bekam eine Gänsehaut, kaum, dass er die Tür öffnete und ein kalter Wind sie begrüßte. Kurz blitzte ein Funke Mitleid in Bens Augen auf.

„Wir hatten damals zwar nur in den AGs miteinander zu tun, aber ich fand dich trotzdem nett. Schade, dass du dich ausgerechnet auf so einen miesen Kerl eingelassen hast“, griff er nach kurzem Zögern seine eigene Jacke von der Garderobe und drückte sie Hellen in die Hände. Irritiert starrte sie erst ihn und dann sein Kleidungsstück an.

„Tu mir den Gefallen und komm nicht auf die Idee, sie hierher zurück zu bringen. Gib sie einfach am Hallenbad ab, da geb ich Schwimmunterricht“, hielt er mit einer Hand die Tür fest im Griff, während er die andere auf die Hüfte stützte. Sein Fuß tippte ungeduldig auf und ab. Hellen nickte, doch in ihrem Kopf herrschte noch immer ein Nebel und Wirrwarr aus den vielen Erkenntnissen der letzten Stunden und Momente.

„Danke… auch an deine Großeltern für ihre Gastfreundschaft. Und… auch wenn du mir nicht glaubst: Ich wusste es wirklich nicht und ich wollte auch niemandem weh tun. Es tut mir leid…“, murmelte sie und stieg die wenigen Stufen der Eingangstreppe hinab, während sie sich wieder fragte, warum sie sich eigentlich entschuldigte. Das dumpfe Klacken der Haustür ließ sie zusammenzucken.



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