Wochenende in Manitoba von Vampyrsoul ================================================================================ Prolog: -------- ›Ich wünsche dir ebenfalls eine gute Nacht. Tut mir leid, ich war bisher sehr beschäftigt. Sei mir bitte nicht böse.‹ ›Ist nicht schlimm. Du bist ja nicht zum Spaß dort. Arbeite nur nicht zu viel.‹ »Wuhhh, Izzy! Gibt es da jemanden, von dem ich wissen müsste?« Gail ließ sich neben mir aufs Sofa fallen und versuchte, einen Blick auf mein Handy zu erhaschen. Schnell zog ich es weg. »Was? Nein, natürlich nicht.« »Sicher? Du grinst dein Handy aber sehr verdächtig an.« Meine beste Freundin und Mitbewohnerin versuchte, wie vorhergesehen, mir das Handy aus der Hand zu reißen. »Vor mir musst du doch nichts geheimgehalten.« Ich schnaubte. Als wäre das bei ihrer Neugierde überhaupt möglich. »Ich halte nichts vor dir geheim.« »Dann kannst du mir doch auch sagen, von wem die SMS ist.« Sie setzte sich ruhig neben mich, doch ich kannte sie viel zu gut; sie hatte noch lange nicht aufgegeben. Sobald ich unachtsam wurde, würde sie erneut zuschlagen. »Nein, weil es dich nichts angeht.« »Also gibt es da doch jemanden! Sonst würdest du nicht so ein Geheimnis darum machen.« Ich verdrehte die Augen. Sie gab aber auch echt keine Ruhe! Also musste ich meine Strategie ändern. Am besten funktionierte das, indem man sie auf ein Thema lenkte, das sie noch mehr liebte, als ihre Nase in meine Angelegenheiten zu stecken. »Apropos Geheimnis: Wie läuft die Planung für Abbys Geburtstagsparty? Hat sie schon Lunte gerochen?« »Nein, noch überhaupt nicht. Ich hoffe, das bleibt so. Es wäre übrigens deutlich leichter, zu planen, wenn ich endlich wüsste, ob du auch mitkommst!« »Ja ... Ich weiß nicht. Du weißt, ich hab dich und Abby und alle anderen furchtbar gern, aber ich hab auch keine Lust, dort als einziger Single rumzurennen. Da komm ich mir einfach so fehl am Platz vor.« »Dann musst du dir eben jemanden suchen.« Ich schnaubte. »Klar, weil ich mir auch einfach eine*n Partner*in aus den Rippen schneiden kann.« Sie zog die Augenbrauen hoch. »Wer hat denn was von Partner*innen gesagt? Du hast doch nur Angst, dass du abends allein rumsitzt, oder nicht?« Ich nickte knapp. »Dann reicht doch jemand, der dir Gesellschaft leistet. ... Wie wäre es denn mit dem süßen Kerl, mit dem du in letzter Zeit so häufig rumhängst? Vielleicht hätte er ja Lust mitzukommen.« Ich sollte Steve fragen, ob er mit uns ein Wochenende im Nirgendwo verbrachte? »Ich weiß nicht recht ...« Da Gail jedoch keine Ruhe geben würde, ergänzte ich: »Ich werde ihn mal fragen.« Eifrig nickte sie. »Auf jeden Fall! Wir hätten dich wirklich gern dabei. Und was du bisher erzählt hast, scheint er wirklich nett. Ich bin sicher, er passt in unser Trüppchen.« Unsicher zuckte ich mit den Schultern. Da war ich mir nicht so sicher. Klar, Steve war nett, sonst würde ich ihn kaum alle paar Wochen treffen, aber ob er in unsere Clique passte, dabei war ich mir nicht sicher. Wenn nicht, konnte das ein sehr unangenehmes Wochenende für uns alle werden. »Warum.« Sie äffte meine Geste nach. »Weil ich mir nicht sicher bin?« Theatralisch seufzte sie. »Immer dasselbe mit dir! Gibt es denn irgendwas, was wirklich dagegen spricht?« »Nein«, murmelte ich. »Gut, dann fragst du ihn am besten jetzt, ob er mitkommt.« Bevor ich reagieren konnte, schnappte sie sich mein Handy und hielt es mir vor die Nase. »Ich kenn dich, du zögert das sonst nur raus.« Ich nahm das Gerät und legte es zurück auf den Tisch. »Er ist gerade beruflich in Boston, da hat er keine Zeit für. Ich frag ihn, wenn er zurück ist.« »Oh nein, so kommst du mir nicht davon!« Sie nahm sich erneut das Telefon. »Er kann ja immer noch später antworten. Wenn du nicht schreibst, dann tu ich es!« Um Gottes willen! Bloß nicht. Dann sah sie ja, was wir zuletzt geschrieben hatten. Schnell nahm ich es ihr ab und tippte eine kurze Nachricht. ›Hey, ich will nicht weiter stören, aber meine beste Freundin nervt gerade. Wir wollen in drei Wochen mit unserer Clique für das Wochenende wegfahren. Hast du Lust mitzukommen?‹ Kurz überlegte ich, zu erwähnen, dass alle anderen mit ihren Partner*innen dort waren, ließ es dann aber. Ich wollte ihn nicht abschrecken oder bedürftig klingen. Herausfordnerd sah ich zu Gail. »So, ich hab geschrieben. Lässt du mich jetzt in Ruhe?« »Vielleicht.« Ihr durchtriebenes Grinsen gefiel mir gar nicht. Und sie bewies gleich, dass mein Gefühl richtig war. »Kann es sein, dass du gerade schon mit ihm geschrieben hast? Du hat schon wieder dein Handy so angelächelt.« »Was? Nein!« Das war doch albern! Ich hatte gar keinen Grund zu lächeln. »Natürlich nicht.« Sie grinste noch immer so hinterhältig und strich mir über die Wange. »Oh, Izzy, du bist bis über beide Ohren verknallt!« Ich grummelte. Was sollte ich denn sagen? Leider entsprach das absolut der Wahrheit. Kapitel 1: ----------- Steve wartete, wie abgemacht, bereits vor seinem Haus auf mich. Ich konnte es selbst kaum glauben, aber tatsächlich hatte er sich auf das Abenteuer eingelassen und fuhr mit uns für das Wochenende weg. Das wurde sicher nicht nur für ihn spannend. Wie immer trug er die Jeansjacke, auf deren Rücken ein Totenkopf mit gekreuzten Säbeln gestickt war, darunter trug er, soweit ich das an der Kapuze ausmachen konnte, einen grünen Hoodie. Hoffentlich wurde ihm das nicht zu kalt, wenn wir bei unserem Ziel ankamen. Erschrocken sprang er zurück, als ich neben ihm hielt. Natürlich hatte er aus der anderen Richtung mit mir gerechnet. Einen Moment starrte er den SUV verwundert an, doch als ich ausstieg, erkannte er mich und lächelte. »Hallo. Neues Auto?« »Hi. Nein, von meinen Eltern geliehen. Mein Auto ist zu klein, um uns alle nach Westbourne zu bringen. Wir müssen auch noch meine Mitbewohnerin und ihre Freundin abholen. Den Rest treffen wir dort.« Ich ging um das Auto herum und öffnete ihm den Kofferraum. Leicht neigte er den Kopf, wobei seine schwarzen Haare auf die rechte, rasierte Seite fielen, und betrachtete das Innere. »Hast du deine Sachen vergessen?« »Nein, die sind noch zu Hause, ich wollte sie nicht unnötig spazierenfahren. Wie gesagt, wir müssen eh nochmal zu mir.« Er hievte seine Reisetasche hinein. Da er deutlich weniger trainiert wirkte als ich, hatte ich ehrlich damit gerechnet, dass ich das übernehmen müsste. Bevor ich den Kofferraum schloss, fragte ich vorsichtshalber: »Hast du deinen Pass griffbereit?« »Oh!« Er schlug sich die Hand vor die Stirn und wühlte noch einmal in seiner Tasche. Sobald er den Reisepass gefunden hatte, steckte er ihn sich in die Bauchtasche des Hoodies. »Danke.« »Kein Ding. Du hast dann alles?« Er überlegte kurz, dann nickte er. »Gut, dann steig mal ein.« Während er zur Beifahrertür ging, erklärte er: »Du hättest nicht extra wegen mir hier rausfahren müssen. Ich hätte mich auch nach Rapid City bringen lassen können. Oder ich hätte euch abgeholt und wir wären mit meinem Auto gefahren.« Ich stieg ebenfalls ein. »Mit deinem Auto?! Nimm es mir nicht übel, aber ich würde schon gern ankommen, ohne, dass das Auto auseinanderfällt.« Dann hätte ich mich doch lieber in meinen MINI gequetscht. Sein alter Jeep war sicher mindestens halb so alt wie er selbst. Während ich den Motor startete, schob ich hinterher: »Und es war kein Umweg, ich komm grad von meinen Eltern, ich hab dort übernachtet. Sie wohnen in Lead, es liegt also auf dem Weg.« Empört plusterte er die Wangen auf. »Sag nichts gegen Will! Er ist sehr zuverlässig und hat mich bisher überall hingebracht.« »Will? Du nennst dein Auto Will?!« Ich widerstand dem Drang, ihn anzusehen. Auch wenn ich die Strecke im Schlaf kannte, da ich in der Nachbarstadt aufgewachsen war, ich sollte mich dennoch konzentrieren. »Klar, warum nicht? Hat dein Auto etwa keinen Namen?« »Nein. Warum sollte mein Auto einen Namen haben?« »Das arme Auto. Es braucht ganz dringend einen. Bis du dir einen ausgedacht hast, nenn ich es Mausi!« Sollte mir recht sein, dann hieß mein Auto eben Mausi. »Hast du für noch mehr Gegenstände eigene Namen?« »Aber sicher! Jeder Gegenstand hat seinen eigenen Namen verdient! Das hier ist übrigens Agathe.« Als ich nach rechts sah, um auf die Hauptstraße in Richtung Rapid City einzubiegen, hielt er sein Handy so, dass ich es sehen konnte. Lachend schüttelte ich den Kopf. Ich mochte seine lockere Art. Ich war mir sicher, er würde viel Spaß mit der Clique haben. Dennoch hatte ich etwas Muffensausen, als ich vor unserem Haus hielt. Eigentlich hatte ich ihn und Gail noch vor dem Wochenende miteinander bekanntmachen wollen, aber leider hatte sich das nicht ergeben. So musste ich mich auf meine Einschätzung verlassen. Hoffentlich lag ich nicht daneben, sonst konnte es uns den ganzen Urlaub verderben. »Darf ich mit hochkommen?«, fragte Steve, als ich mich abschnallte. »Klar, komm mit. Ich weiß eh nicht, ob die beiden schon fertig sind.« Gemeinsam stiegen wir aus und gingen zum Wohnhaus. Bevor ich die Haustür aufschloss, klingelte ich, damit sie vorgewarnt waren. Es wäre Steve sicher peinlich, wenn sie gerade nackt durch die Wohnung rannten, wenn wir ankamen. Überraschenderweise waren sie komplett angezogen und es sah nicht aus, als wäre das in Eile geschehen – Wobei das bei Gail eh schwer auszumachen war, ihre Kleidung wirkte immer etwas zusammengewürfelt, wenn sie nicht gerade einen Gerichtstermin hatte. Ich hatte tatsächlich damit gerechnet, dass sie es bis zur letzten Minute auskosteten, die Wohnung für sich allein zu haben. Sie hatten sich schließlich seit drei Monaten nicht gesehen. Ich sollte versuchen, ein Zimmer zu erwischen, das nicht neben ihrem lag. »Izzy! Da bist du ja endlich.« Gail kam auf mich zugestürmt und fiel mir um den Hals. »Äh, ich bin doch sogar zu früh?« »Keine Sorge, Gail ist schon den ganzen Tag so aufgeregt und kaum auszuhalten«, erklärte Abby und begrüßte mich ebenfalls herzlich. »Ach so, also nichts Neues.« Ich drückte sie noch einmal fester an mich und gab ihr einen Kuss auf die Wange, wobei ich darauf achtete, das Make-up, welches den Bartschatten abdeckte, nicht zu verschmieren. Scheinbar war auch sie wegen Steve etwas nervös gewesen, da sie das sonst eher für unnötig hielt. »Alles Gute zum Geburtstag!« »Danke! Ich bin so gespannt, was ihr ausgeheckt habt! Gail hat mich den ganzen Morgen genervt, ich soll endlich meine Tasche packen.« Diese hörte uns nicht einmal zu, sondern musterte Steve neugierig. Sobald sich ihre Blicke trafen, machte sie einen Schritt auf ihn zu und hielt ihm die Hand entgegen. »Hi, ich bin Gail; sie. Die beste Freundin und Mitbewohnerin von unserem Schnucki hier.« Ich verdrehte die Augen. Das tat sie jedes Mal, seitdem wir uns in der Junior High kennengelernt hatten! Steve lächelte, wischte sich die Hand kurz an der Jeans ab und erwiderte den Handschlag. »Hi. Ich bin Steve. Das Anhängsel vom Schnucki.« Abby löste sich aus meiner Umarmung, jedoch nicht, ohne sich noch einmal mit einem Blick bei mir zu versichern, dass alles sicher war. Ich hoffte es so inständig! Dann ging sie auf Steve zu. »Hallo. Ich bin Abby; sie.« Dieser musterte sie einen Moment eingehend, zog nachdenklich die Stirn in Falten und erwiderte dann mit demselben Lächeln wie bei Gail: »Hi. Steve ... ähh ... er? Alles Gute zum Geburtstag! Aaron hat leider nicht gesagt, dass es ein Geburtstagskind gibt, sonst hätte ich eine Kleinigkeit besorgt.« »Überhaupt nicht schlimm.« Abby strahlte übers ganze Gesicht. Auch ich atmete erleichtert auf. Wenn er so problemlos auf Abby reagierte, dann wurde es sicher ein entspanntes Wochenende. Meine Menschenkenntnis hatte mich nicht im Stich gelassen. Gail schien ebenso erfreut. Sie nahm kurz die Hand ihrer Freundin in die ihre und drückte sanft zu, dann wanderte ihr Blick von mir zu Steve und wieder zurück. »Ihr seid noch bei Aaron?« »Ehm, ja, irgendwie hat sich das nie ergeben.« Ich wandte mich ihm zu. »Da Gail mich allen immer als Izzy vorstellt, nennen mich eigentlich alle meine Freunde so. Also wenn du magst, steht es dir frei. Aber Aaron ist auch okay.« Im Endeffekt hatte sie recht. Aaron nannten mich nur flüchtige Bekannte und Arbeitskolleg*innen. Für alle anderen war ich Izzy. Etwas verlegen sah er zu Boden. »Wenn es recht ist, bleib ich erstmal bei Aaron. Wenn dich sowieso alle Izzy nennen, wird sich das eh schnell erledigen.« »Ja klar, kein Problem.« Ich lächelte noch einmal, dann wandte ich mich an Abby und Gail. »Habt ihr dann alles und können wir los?« »Ich muss noch meine Sachen aus dem Bad holen!« Schnell rannte meine Mitbewohnerin los, während ihre Freundin in ihr Schlafzimmer eilte und dort noch etwas holte. Ich seufzte. War ja klar. So laut, dass sie mich hoffentlich verstanden, rief ich: »Ich bring meine Tasche schonmal ins Auto.« Zumindest aus dem Bad war ein bestätigender Laut zu vernehmen, daher ging ich in mein eigenes Zimmer, um meine Sachen zu holen. Meine Tasche stand fertig gepackt auf dem Bett. Vorsichtshalber holte ich noch einen zusätzlichen Parka aus dem Schrank, falls Steve wirklich die Temperaturen unterschätzte. Als ich mich umdrehte, um das Zimmer zu verlassen, erschrak ich. Steve war mir unauffällig gefolgt und sah sich unverhohlen um. Mir entging nicht, dass sein Blick dabei nicht nur an den drei Prideflaggen über meinem Bett, sondern auch an der Aktzeichnung an der gegenüberliegenden Wand hängen blieb. Ich hatte vor einiger Zeit einem Bekannten für Übungen als Modell zur Verfügung gestanden und als Bezahlung hatte er eines der Bilder für mich ausgearbeitet. »Na, neugierig?« Er grinste und fuhr sich mit den Fingern durch den Pony. »Klar. Deshalb bin ich ja mit hochgekommen.« Ich lächelte nur und ließ ihn sich weiter umschauen. Ich hatte nichts zu verbergen. Irgendwie hatte es sich nie ergeben, dass er zu mir kam oder ich zu ihm. Wie sich so vieles bisher nicht ergeben hatte. Vielleicht bot das Wochenende ja die ein oder andere Gelegenheit für Gespräche. »Ist das alles, was du mitnimmst?« Er deutete auf meine kleine Tasche. »Japp. Der Kofferraum ist zwar groß, aber auch nicht unendlich. Vor allem Abby hat eine große Tasche, weil sie auch nur hier zu Besuch ist.« »Hauptsache, du hast auch alles, was du brauchst.« Bevor er sich umdrehte, wanderte sein Blick noch einmal kurz zum Akt, dann verließ er das Zimmer. Kaum waren wir am Auto angekommen, sah er sich einmal kurz zur Tür um, dann rutschte er etwas dichter zu mir. Gerade laut genug, flüsterte er: »Darf ich dich etwas fragen?« Alarmiert horchte ich auf. Das klang nicht gut. »Sicher.« »Ich hab doch nichts Falsches gesagt, oder?« Ich haderte. Mir war durchaus klar, worauf er hinaus wollte. »Ich wüsste nicht, dass du etwas Falsches gesagt hättest. Sonst hätten wir dich schon darauf hingewiesen. ... Es wäre nur schön gewesen, wenn du Abby nicht so lange angestarrt hättest.« »Ich hab sie doch nicht angestarrt, ich hab nur ...« Er stoppte mitten im Satz, drehte sich um und lief auf die Haustür zu. Aus der Tür kamen gerade Abby und Gail, bei denen er stehenblieb. Er wandte sich direkt an Abby, welche ihn einen Moment verwirrt betrachtete und dann freudig nickte. Gail schlug sich die Faust in die offene Handfläche und erwiderte etwas. Da alle drei lachten, machte ich mir keine weiteren Sorgen. Ich kannte meine beste Freundin gut genug, dass es nur symbolisch gemeint war. Sie kamen zum Auto und ich verstaute auch die letzten beiden Taschen, während die drei darüber diskutierten, wer wo sitzen wollte. Letztendlich entschieden sie, dass vorerst Steve vorne saß und sie eventuell später tauschten. Sobald wir saßen, wandte ich mich nach hinten: »Alle anschnallen, es geht los!« Kapitel 2: ----------- In Bismarck fuhr ich von der Interstate. Abby, Gail und Steve hatten bereits vor einer halben Stunde angefangen zu quengeln, dass sie Hunger hätten. Ich war zwar kein Fan von Fastfoodketten, aber wenigstens konnten wir uns dort sicher sein, dass wir alle etwas zu Essen fanden. Also hatte ich mich dazu breitschlagen lassen, zum McDonald’s zu fahren, der vom Navi angezeigt wurde. »Geht ihr schon mal vor, ich tanke bei der Gelegenheit gleich.« Bis zu unserem Ziel schaffte ich es mit der Tankfüllung nicht mehr. Dann mussten wir seltener halten und kamen früher an. »Ich komm mit!«, meldete sich Gail von hinten. »Du willst ja nur wieder Benzin schnüffeln!«, neckte ihre Freundin und kassierte dafür einen Knuff gegen den Oberschenkel. Ich suchte ihren Blick im Rückspiegel. Gut, offenbar wollte sie ein paar Minuten mit mir allein haben. »Sucht am besten schon einen Platz für uns, hier scheint es echt voll zu sein.« »Sollen wir auch gleich bestellen?«, bot Steve an. »Ist lieb gemeint, aber ich hab überhaupt keine Ahnung, was ich möchte. Ich bin viel zu selten in solchen Dingern.« »Das überlass mal uns, wir finden schon was für dich.« Ich war nicht sicher, ob Abbys Grinsen aufmunternd oder hämisch war. Dennoch nickte ich. So schlimm konnte es nicht werden. Ich setzte sie und Steve vor der Tür ab und fuhr dann mit Gail, die sich schnell auf dem Beifahrersitz platzierte, zur Tankstelle. »Oh mein Gott! Ist der niedlich!«, platzte es aus ihr heraus, sobald ich anfuhr. »Warum hast du ihn mir bisher nicht vorgestellt?« »Weil ich Angst hatte, dass du ihn mir wegschnappst«, witzelte ich. »Niemals! Das weißt du doch.« Ich sah kurz zu ihr und grinste, während ich auf das Gelände der Tankstelle einbog. Natürlich wusste ich das. »Ich war einfach unsicher, ob er sich nicht doch als Arschloch entpuppt.« Die Angst musste ich nun nicht mehr haben. Er, Abby und Gail hatten sich hervorragend verstanden. Die gesamte Fahrt über waren sie nur am Quatschen. »Du hattest richtig Schiss, wie er auf Abby reagiert, oder?« Wahrheitsgemäß nickte ich und hielt. »Er hat mich sogar am Auto noch gefragt, ob er etwas falsch gemacht hat. Ich hab ihm gesagt, dass ich das Starren nicht so toll fand, aber sonst nichts wüsste.« Meine beste Freundin lachte. »Ach, deshalb hat er sich bei ihr entschuldigt und versichert, dass er nicht starren wollte, sondern nur nicht wusste, was er antworten soll. Außerdem meinte er, sie sollte ihm ruhig gehörig den Kopf waschen, wenn er etwas Verletzendes sagt oder tut.« Überrascht drehte ich den Kopf zu ihr. »Echt, hat er?« Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sich sofort entschuldigte, wo doch sein Ansatz mir gegenüber eher nach Herausreden klang. »Ja! Total süß.« Gails Stimme rutschte eine Oktave nach oben. Ich lachte fröhlich, als ich ausstieg. Nun machte ich mir überhaupt keine Sorgen mehr, dass es ein Fehler gewesen sein könnte, ihn mitzunehmen, wenn er sogar explizit darum bat, ihn auf Fehltritte aufmerksam zu machen, und darauf nicht mit Ausreden reagierte. »Was meinst du, wird es mit Channing genauso einfach?«, wollte ich von Gail wissen, die das Fenster herunterfuhr und die Nase in die Luft hielt. »Klar, warum denn nicht?«, antwortete sie, nachdem sie die Luft einmal tief eingesogen hatte. »Mach dir doch nicht so viele Gedanken. Das wird ein richtig schönes Wochenende.« Ich nickte und befüllte dann schweigend den Tank. Als ich mich nach dem Bezahlen wieder ins Auto setzte, fuhr Gail das Fenster hoch und musterte mich dabei aus den Augenwinkeln. »Sag mal, kann es sein, dass du dir vor allem wegen dir selbst Gedanken machst?« »Hä? Was meinst du?« Ich startete den Motor und fuhr los. »Ach, Izzy«, sie wuschelte mit der Hand durch meine kurzen Haare und grinste, »du machst dir von uns allen am meisten Sorgen, wie Steve wohl reagieren wird. Kann es sein, dass du dir vor allem Sorgen machst, ob er dich akzeptiert?« Genervt stöhnte ich und schob ihre Hand weg, sobald ich es mir erlauben konnte, meine eigene vom Lenkrad zu nehmen. »Also hab ich recht! Mensch, mach dich deshalb doch nicht fertig. Er scheint echt klasse zu sein, ich wüsste nicht, warum sich das im Bezug auf dich plötzlich ändern sollte. Lass ihm nur einfach Zeit, wenn er sie braucht.« Ich brummte, steuerte auf den Parkplatz des Fastfoodrestaurants und stellte das Fahrzeug auf den ersten freien Platz. Das sagte sie so einfach. Bisher hatte ich in der Hinsicht eher schlechte Erfahrungen gemacht. Gail legte ihre Hand auf meine, als ich den Schlüssel aus dem Schloss zog. »Gib ihm eine Chance. Wenn du es nicht wenigstens versuchst, wird es erst recht nicht klappen. Sei einfach ehrlich und erklär es ihm in Ruhe.« Genervt verdrehte ich die Augen. »Ja, Mama!« »Guter Junge.« Grinsend kniff sie mir in die Wange. Im oberen Stock fanden wir Abby und Steve, die an einem vollgepackten Tisch saßen. Lachend stocherte Steve in einem Salat und sagte dann etwas zu Abby, was ich nicht verstehen konnte. Diese bemerkte mich und winkte uns zu. Innerhalb weniger Sekunden hatte sich Gail neben ihre Freundin auf die Bank geschmissen und suchte unter dem Haufen an Burgern ihren geliebten McRib. Als ich mich setzte, biss sie bereits herzhaft hinein. Steve starrte sie einen Moment vollkommen perplex an, doch dann nahm Abby wohl ihr Gespräch wieder auf. »Welche magst du denn am liebsten?« »Wenn ich mich wirklich nur auf eine festlegen muss, dann DoReMi.« Er griff nach einem Burger und einer Schachtel Pommes und legte beides vor mich. »Abby hat gesagt, das sollte dir schmecken.« Während ich einen Blick darauf warf, stellte Abby noch einen Getränkebecher dazu. »Danke.« Filet-O-Fish? Na gut, damit konnte ich mich wohl anfreunden. Es hätte schlimmer laufen können. Andererseits war es nicht meine beste Freundin, die für mich bestellt hatte. Sie hätte sicher irgendwas geholt, mit dem sie mich nerven konnte. Ich packte den Burger aus und biss hinein. Er schmeckte wie erwartet nach Pappe, aber wenigstens bekam ich ihn runter. »Sag mal, hast du eine Ahnung, worüber die beiden reden?«, fragte Gail und deutete auf ihre Freundin und Steve, die sofort wieder ihre Diskussion aufgenommen hatten. Ich zuckte mit den Schultern. »Steve steht auch total auf Magical-Girl-Animes!«, quietschte Abby ihre Freundin fröhlich an. »Auf was?« Gail half mir augenrollend auf die Sprünge: »Sowas wie Sailor Moon, glaub ich.« »Ah.« Ich erinnerte mich, Abby hatte lauter Zeug mit Zeichentrickmädchen in Schuluniformen. Ich sah, dass sie in unterschiedlichen Stilen gezeichnet waren, interessierte mich aber nicht genug dafür, um sie unterscheiden zu können. Skeptisch sah ich zu Steve. »Und du magst diese Filme auch?« »Serien!«, fiel mir Abby mit genervten Unterton ins Wort. Er zuckte leicht verlegen mit den Schultern. »Ich mag allgemein Animes ganz gern. Und ab und zu kann man sich auch mal ein Magical-Girl-Anime ansehen.« Gerade hatte das aber noch ganz anders geklungen. Auch Abbys Blick zeigte, dass sie den Tonwechsel bemerkte. War es ihm peinlich? So war meine Nachfrage doch gar nicht gemeint! Es interessierte mich einfach, was er sich ansah. »Kannst du mir einen empfehlen? Ich bin bisher noch nicht damit warm geworden, aber vielleicht hast du ja einen guten Tipp?« Überlegend verzog er das Gesicht, dann hatte er eine Idee: »Ich hab ein paar Filme, vielleicht sind die ja eher was für dich als Serien. Ich kann dir die mal ausleihen.« Bevor ich das Angebot annehmen konnte, schlug Gail vor: »Warum schaut ihr euch die nicht zusammen an?« »Dann kann dir Steve auch ein paar Sachen erklären«, half Abby nach. Steve wich meinem Blick aus und murmelte: »Klar, wenn wir Zeit finden.« Genau darum hatte ich das Angebot direkt annehmen wollen. Jedes Mal, wenn es darum ging, dass wir etwas bei ihm oder mir machten, wich er aus. Es hatte mich schon sehr gewundert, dass er so bereitwillig beim Wochenende zugesagt hatte. Dennoch bekräftigte ich mein Interesse: »Ich würde mich wirklich freuen.« Er lächelte leicht und nickte. »Wohin genau entführt ihr mich denn nun eigentlich? Müssen wir noch lange fahren?« Da ihr Oberkörper leicht vibrierte, wackelte Abby wohl mit den Beinen. Wie immer, wenn sie nervös war. Ich grinste. Es wunderte mich, dass sie so lange ausgehalten hatte, ohne neugierig nachzufragen. Ich sah meine beste Freundin fragend an. Wollten wir es ihr endlich sagen? Spätestens an der Grenze hätte sie doch sicher eine Ahnung. Doch Gail schüttelte eisern den Kopf. »Du erfährst es, wenn wir da sind.« »Mensch! Ihr seid so gemein. Sag du’s mir doch wenigstens!«, bettelte sie Steve an. »Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich es auch nicht weiß.« Als er kurz zu mir sah, zwinkerte ich ihm zu.Ich hatte ihm auch nur gesagt, dass wir in Richtung Kanada fuhren und er seinen Ausweis brauchte. Abby zog zweifelnd die Augenbrauen zusammen, beließ es jedoch dabei und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dann sagt mir doch wenigstens, wie lange wir noch fahren!« »So fünf, sechs Stunden musst du dich wohl noch gedulden«, gab Gail etwas nach. Ihre Freundin riss die Augen auf. »Wollt ihr nach Alaska?!« »Ja natürlich«, erklärte ich lachend. Zumindest mit der Richtung hatte sie recht. Wir waren bisher ziemlich gerade in Richtung Norden unterwegs. »Uff. So dicke Sachen hab ich gar nicht mit«, murmelte Steve. »Ich auch nicht. Wir müssen nochmal zurück!«, stieg Gail ein. »Nicht dein Ernst!?«, protestierte ich. »Wir haben schon mehr als die Hälfte hinter uns. Ich fahr jetzt nicht mehr zurück. Egal, was du meinst, vergessen zu haben!« »Soll ich dich eigentlich mal ablösen beim Fahren?«, bot Steve an. »Nein, ich glaub nich...« »Das ist eine gute Idee!«, fiel mir Gail ins Wort und sah mich mahnend an. »Ein oder zwei Stunden Pause tun dir sicher gut. Immerhin wollen wir doch alle heil ankommen.« Ich verdrehte die Augen. Leider musste ich einsehen, dass sie recht hatte. Ich sollte nicht so lange am Stück fahren. Und wenn Steve sich anbot, warum nicht? Mit Gail hatte ich schon im Vorfeld ausdiskutiert, dass sie mir das Fahren überlassen und lieber die Zeit mit ihrer Freundin genießen sollte. Und Abby als Geburtstagskind die Arbeit überlassen kam für mich nicht in Frage. »Ist ja gut, Mama.« »Ach, was hab ich nur für einen gut erzogenen Jungen«, schwärmte Gail und streckte mir dann die Zunge raus. Steve lachte und wandte sich dann an Abby: »Sind die beiden immer so?« »Ja. Das ist sogar noch recht harmlos. Sie halten sich noch zurück, weil du dabei bist und wir in der Öffentlichkeit sind.« »Oh, wegen mir müsst ihr euch nicht zurückhalten.« »Hast du gehört?«, fragte Gail mit einem süffisanten Grinsen. »Du musst dich wegen ihm nicht zurückhalten.« Ich warf ihr einen bösen Blick zu und schnipste gegen ihr Ohr. Sie sollte diese Anspielungen lassen! Steve schien sie nicht bemerkt zu haben, er war mit den Resten seines Salats beschäftigt. Als er damit fertig war, stapelte er die Verpackung. Dabei fiel sein Blick auf meine Pommes. »Magst du die nicht?« »Bedien dich«, bot ich an. Ich kämpfte noch immer mit dem Burger, mehr als ein paar bekam ich davon sowie nicht runter. Ich verstand nicht, was so viele an diesem Fraß fanden. »Danke.« Begeistert griff er zu und nahm sich eine Hand voll. »Dürfen wir eigentlich auch im Auto essen?«, erkundigte sich Abby, die mittlerweile ebenfalls fertig war. »Wenn ihr nicht kleckert, ja. Also Gail nicht.« Ich deutete auf den Soßenfleck auf ihrer Brust. Sie streckte mir die Zunge heraus und wischte ihn erst mit dem Finger, dann der Servierte weg. »Schön, dann hol ich mir gleich noch einen Milchshake.« Steve sah auf, schien kurz zu hadern, dann rief er: »Ich auch!« »Sind die gut?« Ich hatte sie noch nie probiert und konnte mir das daher überhaupt nicht vorstellen. »Auf jeden Fall! Weißt du was? Ich lad dich auf einen ein«, beschloss Steve. »Schoko, Vanille oder Erdbeere? Ich würde Schoko empfehlen.« »Dann nehm ich den doch.« Ich erwiderte sein Grinsen und sah ihm nach, als er mit Abby nach unten lief, um sich anzustellen. Gail sah ihnen ebenfalls nach, bevor sie die Tabletts stapelte und mit mir gemeinsam zu einem der Wagen brachte. »Uff. Sorry. Ich hätte wirklich gedacht, dass er die Gelegenheit ergreifen würde, mit dir zusammen einen Film zu schauen. Ich meine, er hat dich im Auto die ganze Zeit angehimmelt.« Ich zuckte mit den Schultern und ging mit ihr nach unten. »Das verstehe ich eben auch nicht. Er reagiert darauf, wenn ich mit ihm flirte, scheint auch Spaß daran zu haben und macht mit, aber sobald ich ihm ein Angebot mache, Zeit zu zweit zu verbringen, schrickt er sofort zurück.« Aber gut, dass sie das auch sah, ich hatte schon Angst, dass ich mir das einbildete. »Er weiß aber schon, dass du pan bist, oder?« »Ja, sicher. Er müsste schon echt hinterm Mond leben, um das nicht mitbekommen zu haben.« Wenn man sich in einer Gegend wie Deadwood-Lead für LGBTIQ+-Rechte einsetzte, dann konnte man davon ausgehen, dass die Leute einen dafür kannten. Vor allem, wenn man dann auch noch als Moderator für den örtlichen Radiosender arbeitete. »Warum?« Sie zuckte mit den Schultern. »Es hätte ja sein können, dass er Angst hat, dass du beleidigend wirst, wenn er versucht, sich dir zu nähern. Aber eigentlich hast du recht, es ist fast unmöglich, nicht mitzubekommen, dass du unter anderem auf Männer stehst. Vielleicht magst du es trotzdem nochmal im Laufe des Wochenendes einfließen lassen? Kann ja sein, dass er es wirklich nicht mitbekommen hat.« »Klar, es kann sicher nicht schaden.« Es würde sich sicher eine Gelegenheit dafür ergeben. Wenn er dann immer noch so reagierte, musste ich einfach davon ausgehen, dass er selbst nicht mitbekam, dass er mir ständig schöne Augen machte, und es daher nicht absichtlich tat. »Hier, das ist deiner.« Steve und Abby stießen wieder zu uns und er hielt mir einen Pappbecher entgegen. »Abby hat Erdbeere und ich Vanille, du kannst also alle mal kosten, wenn du magst.« Ich nahm den Becher entgegen und probierte einen Schluck. Das war gar nicht so schlecht! Da mich Steve erwartungsvoll anstarrte, tat ich dies auch kund, was er mit einem Strahlen zur Kenntnis nahm. Wenn es ihn so glücklich machte, probierte ich gerne noch viele weitere Dinge, die er mir empfahl. »Dann lasst uns mal weiterfahren. Wir haben noch einen langen Weg vor uns«, mahnte Gail und griff nach dem Arm ihrer Freundin, um sie zum Ausgang zu zerren. Steve und ich folgten. Kapitel 3: ----------- »Oh mein Gott, ihr seid so toll!«, schrie Abby und sprang aus dem Auto, noch bevor ich richtig eingeparkt hatte. Schon seitdem wir die kanadische Grenze überquert hatten, gab es für sie kein Halten mehr. Die ganze Zeit hibbelte sie aufgeregt auf der Rückbank herum und erklärte immer wieder, wie sehr sie sich freute. Ich bewunderte, dass Steve das so lange stoisch ertragen hatte und sich trotzdem auf den Verkehr konzentrieren konnte. Für mich war schon die letzte Stunde anstrengend gewesen. Aus dem Haus, vor dem wir parkten, kamen drei Personen. Es war schon wieder länger her, dass sie sie zuletzt gesehen hatte, doch sie hatten sich kaum verändert. Was mir auffiel, war, dass Channing sich scheinbar die Haare geschoren hatte, während die von Ryan schon wieder so lang waren, dass sie sich auf seinem Kopf kräuselten. Ich fand das süß, aber ihn störte es in der Regel gewaltig. Gail hatte mir mal erklärt, dass es daran lag, dass viele Schwarze Menschen von klein auf erzogen wurden, ihre Haare nicht natürlich zu tragen. Auch sie hatte lange gebraucht, bis sie sich mit ihren abgefunden hatte. Kurz nachdem ich sie kennengelernt hatte, hatte sie sogar eine Phase, in der sie versuchte, ihre Haut zu bleichen. Mittlerweile war sie zum Glück schon lange von dieser Idee weg. Sobald Abby bei der Tür ankam, fiel sie allen voller Freude um den Hals. Mit einem breiten Grinsen folgte Gail ihrer Freundin. Steve blieb noch einen Moment sitzen, während ich weiter verzweifelt versuchte, in die Lücke zwischen Channings und Summers Wagen zu kommen. »Wow, ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir so viele sind.« »Ist das denn schlimm?« Das wäre natürlich schade, wenn es ihm wirklich zu viele neue Leute waren. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass es ihn störte. »Nein, schon gut. Es wird sicher lustig.« Er lächelte mich an und stieg aus, nachdem das Auto auch beim dritten Versuch noch immer nicht richtig in die Lücke passen wollte. Eilig folgte ich ihm. Für den Moment störte das Auto am Straßenrand nicht und Gail konnte mit so großen Fahrzeugen deutlich besser umgehen als ich. Sie würde es mit Freude umparken. Die drei Personen musterten Steve neugierig. Ryan begrüßte mich zuerst, indem er mich kräftig in den Arm nahm. »Izzy! Schön dich wiederzusehen. Und wen hast du da mitgebracht? Ist das dein neuer Freund?« Er ließ mich los und hielt Steve die Hand hin. »Hi, ich bin Ryan und benutzte er als Pronomen.« Tja, damit sollte wohl klar sein, dass es nicht ausgeschlossen war, dass ich auf Steve stand. »Die beiden sind nicht zusammen«, stellte Gail für mich klar, als sie ihren Freund umarmte. Gern hätte ich Steves Reaktion mitbekommen, doch Summer sprang währenddessen an mir hoch und klammerte sich an mich. »Hallo Bubi, lange nicht gesehen.« »Hallo Wirbelwind, ich freu mich auch, dich zu sehen.« Ich drückte sie fest an mich und gab ihr einen Kuss auf die Wange. Channing stellte sich in der Zeit ebenfalls bei Steve vor: »Hi. Mach dir keine Illusionen, dass du das Schlimmste überstanden hast, nur weil du die Autofahrt mit den dreien überlebt hast. Es wird noch schlimmer. Ich bin Channing, Pronomen: le.« Da mich das kleine Monster wieder losgelassen hatte, bekam ich diesmal auch Steves Antwort mit: »Danke, es war wirklich nicht so schlimm. Ich mag die drei. Ach so: Ich bin Steve, er.« Diesmal klang er schon deutlich sicherer, sein Pronomen mitanzugeben, als noch in Rapid City. Er schien schnell zu lernen und sich anzupassen. Das gefiel mir. Summer wandte sich nun auch an ihn. »Hi. Ich bin Summer und für mich kannst du sie benutzen.« »Hallo.« Er winkte ihr leicht verlegen zu. »Weiterhin Steve und er.« Channing grinste, bevor le uns aufforderte: »Holt mal eure Sachen, dann können wir euch eure Zimmer zeigen.« Wir taten, wie uns geheißen, und betraten gemeinsam das Haus. Ich war im Gegensatz zu Gail und Abby noch nie dort gewesen und sah mich daher genauso neugierig um wie Steve. Das Wohnzimmer mit der offenen Küche war riesig und an den Esstisch passten ohne Probleme zehn Personen. Durch die Glasfront in Richtung Terrasse hatte man einen guten Ausblick auf einen ebenso großen Garten. Oberhalb des gewaltigen Zimmers befand sich ein Balkon, der etwa die Hälfte der Breite einnahm und auf dem ein Kickertisch und eine Tischtennisplatte zu sehen waren. »Wir hatten dich wohl etwas falsch verstanden«, wandte sich Ryan an mich, sobald alle durch die Tür waren. »Wir dachten, ihr seid zusammen, darum haben wir euch zusammen im Gästezimmer im ersten Stock eingeplant. Ist das trotzdem in Ordnung?« »Sonst kann auch einer von euch in das Gästezimmer hier unten. Allerdings hat das nur ein WC und muss das Bad im zweiten Stock mitbenutzen«, bot Channing an. Gail grinste gehässig und fiel lir ins Wort: »Oder Izzy kommt mit nach ganz oben.« Ich erschauderte bei dem Gedanken. Ich mochte die fünf, aber mit ihnen auf einem Stockwerk schlafen, war gleichbedeutend mit kein Auge zubekommen. Es war schon schlimm genug, wenn Abby in der WG zu Besuch war, beziehungsweise früher noch öfter Ryan und Channing bei uns gewesen waren. Channing schien den Ton nicht zu bemerken. »Ja klar, das geht auch. Gail wollte sowieso bei Ryan und mir schlafen, so weit ich weiß. Du müsstest dir dann das Bad mit Summer und Abby teilen.« »Wirklich lieb gemeint«, schlug ich das Angebot aus. »Aber ich hab keine Ohropax mit.« »Du bist aber auch empfindlich«, neckte Summer. »Nein, ich kenne euch nur sehr gut, meine Liebe.« Da sie sich nicht wehren konnte, wuschelte ich ihr durch die langen, dunkeln Haare. »Also von mir aus ist es okay, wenn wir uns ein Zimmer teilen.« Ich sah zu Steve. »Dir ist aber auch niemand böse, wenn du lieber allein schläfst. Ich kann dir nur sagen, dass du dann unten definitiv besser dran bist. Gerade Channing, Ryan und Gail kommen mitten in der Nacht auf die dollsten Ideen.« »Ein Mal!«, kam es sofort empört von Ryan, der die Arme vor der Brust verschränkte. »Einmal zu viel!« Ehrlich, wer kam mitten in der Nacht auf die Idee, man könnte ja mal ein paar Turnübungen machen! Steve biss sich leicht auf die Unterlippe, sah mich einen Moment verschämt an. »Wenn das für dich in Ordnung geht, dann können wir uns gern das Zimmer teilen.« »Sehr gern.« Um ihm seine Nervosität zu nehmen, lächelte ich ihn offen an. »Dann kommt mal mit.« Ryan ging voran die Treppen rauf. Im ersten Stock blieb er stehen und lotste Steve und mich zu einem Zimmer, während Channing die drei Frauen mit nach oben nahm. Der Raum war, genau wie das Wohnzimmer, schlicht und funktional eingerichtet. Im hinteren Bereich befand sich ein Wandschrank, der noch leer schien, der Rest des Raumes wurde von einem großen Bett dominiert. Immerhin musste Steve keine Angst haben, dass ich ihm im Schlaf zu nahe kam. Ich warf meine Tasche auf das Bett, Steves landete daneben. »Lasst euch beim Auspacken ruhig Zeit, das Essen dauert noch gut eine Stunde. Fühlt euch einfach wie zu Hause. Das Haus steht euch offen.« Damit verabschiedete sich Ryan und zog die Tür hinter sich etwas ran. Ich ließ mich mit einem gewaltigen Seufzer nach hinten auf das Bett fallen. Die Fahrt war anstrengend, auch wenn Steve die zweite Hälfte allein übernommen hatte. Für den Rückweg nahm ich mir vor, mich regelmäßig mit ihm abzuwechseln. Erschrocken sah ich auf, als plötzlich ein zweiter Körper neben mir landete. Steve hatte sich ebenfalls einfach fallenlassen und sah nun mit einem leichten Grinsen zu mir. »Wollen wir wirklich auspacken oder lieber ein Schläfchen halten?« »Kurz hinlegen klingt gut, aber ich würde dennoch gern vorher auspacken.« Obwohl er noch gut zehn Zentimeter von mir entfernt lag, war er mir ungewohnt nah. Einerseits wollte ich das ausnutzen, andererseits verwirrte es mich. »Hast recht.« Er sprang auf, schnappte sich seine Tasche und packte aus. Ich verfuhr mit meinen Sachen ebenso. Nach fünf Minuten waren wir fertig und er fragte: »Hast du dir schon das Bad angeschaut?« Ich verneinte und folgte ihm. Wie erwartet kam das Bad ebenfalls recht schmucklos daher. Dennoch war alles Nötige vorhanden: zwei Waschbecken, eine Wanne mit Duschvorhang und ein WC, sowie genug Ablagen für alles. »Das linke ist meins!«, verkündete Steve, rannte an mir vorbei und stellte seine Waschtasche demonstrativ auf das dünne Brett, das über dem Waschbecken angebracht war. Ich zuckte mit den Schultern und stellte meine zum anderen Waschbecken. Mir waren beide recht, im Grunde waren sie gleich. »Wollen wir uns dann wirklich noch hinlegen? Wir haben noch Zeit.« »Ich werd mich auf jeden Fall noch etwas ausruhen. So wie ich die anderen kenne, wird es ein langer Abend.« Ich verließ das Bad und zog mir die Jeans aus. Das Shirt konnte ich anbehalten. Als ich kurz aufsah, bemerkte ich, dass Steve mich beobachtete. Um ihn nicht zu verschrecken, wandte ich den Blick wieder ab und verzog mich unter die Decke. Er ging um das Bett herum und machte es sich bequem. »Kann ich heute Abend auf die andere Seite?« Ich drehte mich so, dass ich ihn ansehen konnte. »Ehm, klar. Von mir aus können wir auch jetzt schon tauschen.« Er nickte, erhob sich nur so weit wie nötig und kroch über mich. »Okay, ich wäre auch aufgestanden ...« Ich rutschte etwas weg, da er aber kein Problem mit Nähe zu haben schien, nur so weit, dass ich bequem liegen konnte. »Hat es einen besonderen Grund?« Er legte den Kopf auf das Kopfkissen und hielt sich die Hand vor das linke Auge, das sowieso halb vom Kissen und seinen Haaren verdeckt war. »Ja. Ich kann dich sehen, ohne den Kopf zu heben.« »Oh, ja klar! Sorry. Du siehst auf dem Auge gar nichts, oder?« Ich hatte ein paar Mal mitbekommen, dass er sich vor Dingen erschrak, die von links kamen, und sich das Auge kaum bewegte. Aber ich hatte ihn nie genauer danach gefragt. »Jupp. Wenn du mal was richtig Gruseliges sehen willst, kann ich es ja mal rausnehmen.« Er lachte lauthals, als ich bei dem Gedanken erschauerte. »Aber keine Sorge, ich kann trotzdem normal Autofahren.« »Das hoffe ich doch! Sonst muss ich mir nochmal deinen Führerschein zeigen lassen.« »Später.« Er rückte sich das Kissen noch einmal zurecht und zog die Decke höher. »Kannst du mir das mit Channings Pronomen erklären? Oder soll ich ... ehm, ja, da fängt’s schon an ... Also, soll ich Channing lieber selbst fragen?« Wieder biss er sich verlegen auf die Lippe. »Wie du magst. Du kannst auch lich fragen. Le freut sich sicher darüber.« »Mir ist das ehrlich gesagt etwas peinlich. Also ich kann ... le?« »Lich«, verbesserte ich. »Also ich kann lich nachher genauer fragen, aber kannst du mir das zumindest etwas erklären? Ich mag mich nicht vollkommen blamieren.« »Klar. Aber vorweg: Dir ist niemand böse, wenn du noch Fehler machst bei der Grammatik. Und auch so, wenn du dich mal vertust, dann entschuldige dich einfach kurz und verbesser dich. Mach da bitte kein Drama draus.« »Ja klar.« Er nickte verstehend. »Ich vermute, du hast noch nie mit Neopronomen zutungehabt?« Er schüttelte den Kopf. »Keine Sorge, das lernst du ganz schnell. Ich find’s übrigens toll, dass du dich auch gleich mit deinem Pronomen vorgestellt hast.« »Danke.« Seine Wangen wurden leicht rot und scheinbar versuchte er, das mit der Decke zu kaschieren. Dabei war das gar nicht nötig. Er sah damit niedlich aus. »Da fällt mir ein: Welche benutzt du?« Er hatte recht. Ich war davon ausgegangen, dass es klar war, immerhin kannten wir uns schon eine Weile. Allerdings hatten wir nie darüber gesprochen. »Er.« »Okay, das kann ich mir merken.« Er grinste. »Kannst du mir dann wenigstens erklären, wie das mit dem Pronomen funktioniert? Alles andere frag ich dann nachher Channing.« Ich nickte und erklärte ihm dann, wie die verschiedenen Formen von le gebildet wurden und nannte ihm auch ein paar Eselsbrücken. Dadurch kamen wir zwar nicht mehr zum Schlafen, aber es zeigte sich, dass Steve eine Menge Fragen hatte, die ich ihm nicht beantworten konnte. Natürlich, ich hatte mich grob mit trans* Themen beschäftigt, aber für einen Teil der Fragen, verwies ich ihn doch lieber auf Channing und Abby. Ich wollte nichts Falsches sagen und wenn er sie beide in einer ruhigen Minute darauf ansprach, ob sie ihm vielleicht ein paar Fragen beantworteten, würde zumindest Channing sicher zusagen. Le war bei sowas ziemlich geduldig und so weit ich das beurteilen konnte, klang das nicht nach Fragen, die Steve nur aus Sensationslust stellte. Kapitel 4: ----------- Durch ein Klopfen an der Tür wurden wir unterbrochen. Ich rief, dass wir gleich so weit waren, schlüpfte aus dem Bett und zog mich an. Schade, dass die Zeit so schnell vergangen war. Es war wirklich angenehm, mich so mit ihm zu unterhalten. Hoffentlich fanden wir während des Wochenendes noch mehr Zeit für solche Gespräche. Es war eben doch etwas ganz anderes als sich irgendwo zu treffen, wie wir es bisher getan hatten. Steve zog sich ebenfalls an und folgte mir dann nach unten. Gemeinsam halfen wir beim Decken des Tisches und setzten uns. Channing und Ryan hatten ein chinesisch angehauchtes Abendessen, bestehend aus Ginger Beef und gebratenem Reis, gezaubert und während alle fleißig zugriffen, betrachtete Steve das Essen zunächst eingehend. »Worin habt ihr den Reis angebraten?«, fragte er nach einer Weile zögernd. »Olivenöl. Warum?« Besorgt betrachtete Channing erst Steve, dann das Essen. »Oh, gut.« Er lächelte kurz, griff dann nach dem Reis und tat sich etwas auf. Abby lachte. »Keine Sorge, hier wird nicht alles unnötig in Schweinefett frittiert. Du kannst problemlos zugreifen.« Steve zwinkerte ihr zu und probierte etwas. Dann hob er den Daumen. »Gut so. Sonst hätte ich den echt leckeren Reis verpasst.« »Danke für das Kompliment«, bedankte sich Ryan. »Hättest du ihn dann nicht gegessen?« Während Steve den Kopf schüttelte, empörte sich Abby: »Hat Izzy euch etwa nicht gesagt, dass Steve Vegetarier ist?« »Israel Aaron Adams! Sowas musst du uns doch vorher sagen!«, meckerte Channing. Vollkommen überfordert hob ich die Hände. Woher hätte ich das denn wissen sollen? Er hatte es nie erwähnt; und ich wie immer vergessen zu fragen. Bevor ich mich rechtfertigen konnte, fuhr le bereits fort: »Keine Sorge, dann gehen wir morgen nochmal einkaufen. Du sollst ja nicht verhungern, nur weil Izzy eine Trantüte ist.« »Nein, nicht nötig, ihr müsst nicht extra für mich kochen«, beeilte Steve sich, zu sagen, und hob dabei abwehrend die Hände. »Ich bin es gewohnt, mir das rauszusuchen, was ich essen kann. Es ist wirklich nicht nötig.« »So ein Unsinn! Es ist doch selbstverständlich und überhaupt kein Problem. Morgen gibt es Moose Stew. Was willst du denn dann essen? Trocken Brot? Das vergiss mal ganz schnell wieder!«, redete Ryan sich in Rage. Steve zog ein wenig den Kopf ein. »Ehm, danke.« »Was meinst du eigentlich damit, du bist es gewohnt, dir das rauszusuchen, was du essen kannst?«, fragte ich nach einer Weile, in der sich alle dem Essen gewidmet hatten. Es dauerte einen Moment, dann sah er auf. »Ich wohn doch noch bei meinen Eltern und sie halten nicht viel von vegetarischer Ernährung. Wenn ich also nicht immer für mich allein kochen will und deshalb mit ihnen esse, dann muss ich eben sehen, was ich finde.« »Das ist doch total daneben!«, regte sich Gail auf. Alle anderen nickten zustimmend. »Nehmen sie wenigstens etwas Rücksicht?«, versicherte sich Ryan. Steve schien das langsam unangenehm zu werden, denn er verzog unauffällig das Gesicht. Kein Wunder, immerhin ging es um seine Eltern. Bevor ich darauf reagieren konnte, erwiderte er etwas kleinlaut: »Schon ein wenig. Sie achten mittlerweile zumindest darauf, dass immer etwas für mich dabei ist.« Channing sah noch nicht zufrieden aus, nickte aber. »Na immerhin etwas.« »Hey, wie wär’s: Wenn ich das nächste Mal bei Gail und Izzy bin, kommst du vorbei und wir kochen eine richtig geile vegetarische Lasagne«, schlug Abby vor. »Das Angebot musst du annehmen!«, grätschte Summer rein. »Abby ist die absolut beste Köchin! Vor allem, wenn es um Vegetarisches geht.« Steve lächelte erst Summer und Abby, dann Gail und mich an. »Dann hab ich wohl kaum eine andere Wahl, oder? Außer ihr habt etwas dagegen?« »Nein, natürlich nicht. Du bist jederzeit willkommen.« Ich lächelte zurück, stockte dann jedoch. Moment! Hatte er gerade Abbys Einladung angenommen, ohne zu zögern? Immer wenn ich ihn zu uns eingeladen hatte, war er zurückhaltend geworden und vertröstete mich. Was machte ich falsch? Gail lachte. »Wir werden erstmal sehen, ob du nach diesem Wochenende überhaupt noch zu uns willst. Vielleicht sind wir dir auch viel zu abgefahren.« »Oh, das glaub ich kaum. Ihr seid alle mega sympathisch!« Steve strahlte alle in der Runde an. Überrascht von dem Kompliment wusste zunächst niemand etwas zu sagen, dann versicherten insbesondere Abby und Ryan ihm, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. »Izzy«, säuselte Summer mir ins Ohr. »Hier spielt die Musik.« Ich seufzte. Sie hatte recht, ich sollte mich aufs Spiel konzentrieren, so schlecht wie heute hatte ich schon lange nicht mehr gespielt. Aber es fiel mir schwer. Immerhin saß Steve unten gemeinsam mit Abby, Channing und Gail auf der Couch und unterhielt sich angeregt mit ihnen. »Mein lieber Scholli, da hat es jemanden aber richtig hart erwischt!« Ryan klopfte mir auf die Schulter und hielt dann die Dartpfeile in meine Richtung. »Hatte ich wohl doch nicht so unrecht, was dich und ihn angeht, hm? Wie kommt’s, dass du dann hier oben bist, statt bei ihm unten?« »Er wollte ein wenig mit Abby und Channing quatschen, ich glaub, ich hätte da gestört.« Ich riss mich nun doch los, stellte mich in Position und versuchte, mich so weit zu konzentrieren, dass ich wenigstens die Scheibe traf. Ryan warf noch einmal einen kurzen Blick nach unten. »Irgendwelche trans Themen?« Ich nickte und warf. Immerhin zwei Pfeile trafen, wenn auch eher schlecht als recht. »Ja. Er hat mich vorhin schon ziemlich gelöchert. Die beiden können hoffentlich etwas mehr erzählen.« »Mich wundert, dass sich Abby darauf einlässt. Sie hat doch sonst eher die Schnauze voll von Aufklärungsarbeit«, überlegte Ryan laut. »Sie und Steve scheinen sich aber auch mega gut zu verstehen, warum also nicht?« Summer nahm mir die Pfeile ab und stellte sich in Position. »Ich find es eher faszinierend, dass die beiden sich erst seit heute kennen. Sie wirken echt, als wären sie schon immer befreundet.« Ich nickte, lächelte und versuchte, mir nicht anmerken zu lassen, dass mich das insgeheim ärgerte. Steve und ich kannten uns seit etwa einem halben Jahr und trafen uns halbwegs regelmäßig. Dennoch war er mir gegenüber nie so aufgeschlossen gewesen. Ich wollte nicht eifersüchtig sein und gönnte es ihnen, immerhin war Abby eher schüchtern und brauchte, bis sie auftaute, dennoch kam ich immer wieder auf dieselbe Frage zurück: Was machte ich falsch? »Du musst dir keine Sorgen machen, Abby wird ihn dir ganz sicher nicht streitig machen.« Ich sah zu Summer. In Gedanken versunken war mein Blick wieder auf das Wohnzimmer unter uns gewandert, wo Abby, Steve und Gail herzlich lachten, während Channing eher etwas verhalten wirkte. »Ich weiß.« Sie gab die Pfeile an Ryan, dann grinste sie mich schelmisch an. »Nicht den Kopf hängen lassen, Großer. Das wird schon. Oder brauchst du etwas Hilfe?« Erneut seufzte ich. »Vielleicht. Ich hab absolut keine Ahnung, was ich falsch mache.« »Du machst dir zu viele Gedanken.« Ryan warf die Pfeile nacheinander und traf mit zweien das Bull’s Eye. Während er sie wieder aus der Scheibe zog, drehte er sich zu mir. »Geh runter, frag ihn, ob er mitspielen möchte und dann komm endlich mal in die Puschen.« »Er mag kein Dart.« Zumindest war das die Kurzfassung. Vorhin hatte Steve mir erklärt, dass er weder die Entfernung gut einschätzen noch zielen konnte. Natürlich machte es da wenig Spaß. »Wie weit seit ihr eigentlich? Also ich meine beziehungsmäßig?« Summer bedeutete mir ungeduldig, endlich die Pfeile an mich zu nehmen. Ich zuckte mit den Schultern und spielte meine Runde, bevor ich ihr antwortete: »Gar nicht. Wir treffen uns ab und zu, um ins Kino oder eine Bar zu gehen, das war’s.« »Kino? Und dann habt ihr nicht mal gefummelt?« Ryan sah mich skeptisch an. Ich verdrehte die Augen. »Für dich wohl kaum vorstellbar, aber: Ja.« Summer musterte mich erneut, grinste dann wieder breit. »Kino und Bar? Als Date oder als Freunde?« »Als Date.« »Hast du ihm das auch so gesagt?« »Ja kl... Ich denke schon. Also auf jeden Fall sollte das klar gewesen sein, dass es als Date gemeint war ...« »Oh Izzy!« Ryan klopfte mir kräftig auf die Schulter, Summer stieg in sein Gelächter ein. Von dem lauten Gelächter aufgeschreckt, sahen die vier auf der Couch zu uns nach oben. »Hey, macht nicht so ein Radau!«, schrie Gail und drohte scherzhaft mit der Faust. Kurz traf mich Steves Blick und er lächelte, bevor er sich wieder dem Gespräch widmete. Summer versicherte sich, dass uns nicht weiter zugehört wurde, dann fragte sie: »Also, wie sieht es aus, möchtest du – wie Ryan es so schön sagt – in die Puschen kommen? Dann ist wohl das Wochenende die beste Gelegenheit dafür.« »Ja, sicher. Aber ich hab absolut keine Ahnung, wie ich das anstellen soll. Ich meine ... wenn er wirklich meint, ich hab nur Interesse als Freund an ihm, wäre es doch ...« »Izzy!«, mahnte Ryan genervt. »Nicht so viel nachdenken! Für den Fall, dass er kein Interesse an dir hat, was ich übrigens nicht glaube, könnt ihr doch immer noch Freunde bleiben.« Ich seufzte. »Irgendwelche Vorschläge?« »Ja.« Summer nahm die Pfeile auf. »Ich beende jetzt das Spiel und danach gehen wir runter. Ich werd mal Abby ein wenig ablenken und dann findet sich für dich sicher auch eine Gelegenheit, etwas zu unternehmen, woran dein Schatz Spaß hat. Wenn sich hier im Haus nichts finden lässt, ist ihm eh nicht mehr zu helfen.« Nur bedingt überzeugt stimmte ich zu und musste dann mit ansehen, wie sie treffsicher das Spiel für sich entschied. Wenig überraschend war mein Punktestand noch immer der höchste. Es lohnte sich nicht, mit Ryan um den zweiten Platz zu spielen. Dieser legte mir den Arm um die Schulter und ging mit mir gemeinsam zur Treppe. »Na dann komm mal, wir wollen dein Sonnenscheinchen doch nicht länger warten lassen.« ›Sonnenschein‹ gefiel mir. Denn wenn Steve nicht gerade etwas verunsichert war, dann passte es sehr gut zu ihm. Ohne sein freudiges Lächeln sah man ihn selten, dennoch war er definitiv kein Klassenclown. Kapitel 5: ----------- So hatte ich mir die gemeinsame Unternehmung mit Steve aber nicht vorgestellt! »Nun mach schon, Izzy! Rechter Fuß auf Rot«, feuerte Gail mich an. »Das ist doch nicht so schwer.« An sich nicht. Dabei Steve nicht umzuschubsen, war eher die Herausforderung. Wie zur Hölle hatten wir es geschafft, uns in diese Position zu bringen? Vorsichtig streckte ich den Fuß aus, bis er einen der Farbkreise berührte. »So und jetzt bleibt ihr beiden Hübschen mal kurz so, ich will das für die Nachwelt festhalten.« Ryan tauchte in meinem Blickfeld auf, das Handy bereits im Anschlag. »Untersteh dich!«, drohte ich, obwohl ich gerade wenig dagegen unternehmen konnte. Gail kicherte. »Hab dich nicht so. Du hast doch nur Angst, dass ein falsches Bild von dir entsteht. Dabei seht ihr beide so sexy aus.« »Natürlich!« Was denn auch sonst? Schließlich blieb Steve kaum etwas anderes übrig, als mir sein Hinterteil gegen die Hüfte zu drücken, da wir es irgendwie geschafft hatten, beide mit dem Gesicht nach unten auf allen vieren zu stehen, er jedoch unter mir. Wie sollte da kein falsches Bild entstehen? Mir war durchaus klar, was Ryan und Gail dachten. Vermutlich hatte der ganze Vorschlag, dieses Spiel zu spielen, nur dazu gedient, uns in so eine Situation zu bringen. Steve warf einen unsicheren Blick über seine Schulter, dann machte er sich kleiner, sodass er mich nicht mehr berührte. Na ganz große Klasse! »Ach Mensch, Izzy, manchmal bist du ein echter Spielverderber.« Ryan steckte das Handy zurück in seine Hosentasche. Hoffentlich ohne auf den Auslöser gedrückt zu haben. Ja klar, natürlich war ich der Spielverderber, weil ich nicht in einer sexy Pose abgelichtet werden wollte. Ein Rattern verriet, dass Gail den Pfeil erneut drehte, dann verkündete sie mit wenig Elan: »Rechte Hand auf Gelb.« Steve streckte sich nach einem der Kreise, der viel zu weit entfernt war, und verlor das Gleichgewicht. Schnell griff ich unter seinen Bauch, fing ihn ab und ließ mich mit ihm gemeinsam zur Seite rollen. »Was war das denn?« Ryan betrachtete uns misstrauisch. Das fragte ich mich auch. Eigentlich hatte ich nach ihm gegriffen, damit er mich nicht unkontrolliert umriss, doch tatsächlich war keinerlei Schwung in seiner Bewegung gewesen. Vielmehr schien es, dass er sich absichtlich hatte fallen lassen. »Ich konnte mich nicht mehr halten«, antwortete Steve mit einem Schulterzucken und rappelte sich auf. »Scheinbar bin ich echt zu müde. Ich werd ins Bett gehen.« Ich war noch halb dabei, mich ebenfalls aufzurichten, da beugte er sich kurz zu mir und drückte mir einen Kuss auf die Wange. »Schlaf gut.« »Du auch.« Endlich kam ich wieder auf die Beine und konnte eine entspannte Haltung einnehmen. Er verabschiedete sich bei Gail ebenfalls mit einem Küsschen auf die Wange, wie er es zuvor auch bei Abby, Summer und Channing getan hatte. Vor Ryan blieb er etwas unsicher stehen, lachte aber, als dieser ihn einfach seinerseits küsste. Dann flüchtete er regelrecht die Treppen hinauf zu unserem Gästezimmer. »Du Esel!« Mein Kopf ruckte nach vorne, als mich Gails Hand am Hinterkopf traf. Überfordert hob ich die Arme. »Was hab ich denn nun schon wieder falsch gemacht?« »Alles!«, antwortete Ryan. »Steve sucht deine Nähe und du hast nichts besser zu tun, als ihm zu verstehen zu geben, dass du sie nicht willst!« »Ich wollte doch einfach nur nicht, dass du dieses scheiß Foto machst!« »Jungs, es ist gut«, ging Gail dazwischen, indem sie jedem von uns eine Hand auf den Oberarm legte. »Du hast recht, das mit dem Foto war eine beschissene Idee. Deswegen müsst ihr euch aber nicht streiten. Geh lieber hoch zu Steve und schau nach, ob alles in Ordnung ist.« Ich atmete einmal tief durch, zählte bis drei und nickte dann. Ändern konnte ich es nicht, also musste ich retten, was zu retten war. Als ich ihn zum Abschied umarmte, murmelte Ryan: »Sorry, ich hab nicht nachgedacht. Tut mir leid.« »Passiert.« Ich klopfte ihm leicht auf den Rücken. Manchmal war er einfach ein riesiges Trampeltier. »So und jetzt schnapp ihn dir, Tiger!« Gail schubste mich in Richtung der Treppe, bevor ich ihr eine gute Nacht wünschen konnte. Ryan rief mir hinterher: »Wir sehen uns morgen früh.« An unserem Zimmer angekommen, klopfte ich, bevor ich die Tür langsam öffnete. »Ich bin’s, Aaron. Kann ich reinkommen?« »Ja, klar. Es ist doch auch dein Zimmer.« Er lag mit dem Rücken zur Tür auf dem Bett, halb auf dem Bauch, halb auf der Seite und las etwas auf seinem Handy. Ich deutete auf die Bettkante. »Darf ich.« Etwas umständlich drehte er sich herum und nickte dann. »Klar.« Das Handy schaltete er aus und legte es auf die Ablage neben dem Bett. Nachdem ich mich gesetzt hatte, schwieg ich einen Moment. Natürlich musste ich mit ihm sprechen, aber ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte. »Ist alles in Ordnung?.« »Doch, klar«, versicherte er schnell, wobei er aufgesetzt fröhlich wirkte. Da er sich aufrichtete, rutschte er gleichzeitig etwas von mir weg. »Wie kommst du darauf?« »Es wirkte so, als hättest du absichtlich verloren.« Ich sah auf meine Hände, die sich miteinander beschäftigten. »Nein, so ein Quatsch. Ich war müde und konnte mich nicht mehr halten.« Nachdenklich nickte ich. Sicher, ich konnte es dabei belassen, wieder runtergehen und ihn in Ruhe lassen. Aber das fühlte sich falsch an. Die Stimmung zwischen uns war viel zu angespannt. »Es hatte nichts mit dir zu tun, dass ich das Foto nicht wollte«, erklärte ich leise. »Ja, das dachte ich mir schon.« Seine Finger strichen leicht über den Ärmel meines dünnen Pullovers. Fast hätte ich es nicht gespürt. »Was auch immer der Grund ist, du musst es mir nicht sagen.« Ich sah auf und in sein sanftes Lächeln. Zaghaft erwiderte ich es. »Hättest du das Foto gewollt?« Er zuckte mit den Schultern. »Klar, warum nicht. Das Spiel hat Spaß gemacht und es wäre eine schöne Erinnerung.« »Tut mir leid.« Energisch schüttelte er den Kopf. »Für was? Wenn du das nicht willst, ist es doch okay. Wir können sicher noch ein ...« »Nein, nicht wegen dem Foto. Ich hab das Gefühl, heute alles falsch zu machen.« »So weit ich sagen kann, sind wir angekommen.« Nun musste ich doch lachen. Die Gelegenheit nutzte er, sich neben mich zu setzen und einen Arm locker um mich zu legen. Dabei lehnte er sich gegen meinen Oberarm. »Was ist denn los?« Ich seufzte, sah ihm einen Moment in die Augen. Er erwiderte den Blick und drückte sich dichter an mich. Vorsichtig legte ich den Arm, an den er sich gelehnt hatte, um seine Schulter. Es war das erste Mal, dass er mir so nah war. Zuerst dachte ich, er wollte von mir weg, als er herumrutschte und sich aufrichtete. Doch offenbar wollte er nur seine Beine sortieren, denn er griff kurz darauf nach meinen und legte sie über seine Oberschenkel. Dann schlang er beide Arme um meinen Oberkörper und drückte mich an sich. »Also, was ist los?« Mein Herz spielte verrückt. Ich hatte wirklich nicht erwartet, dass er mich einfach in den Arm nehmen würde. Vielleicht hatte ich ja doch noch eine Chance? »Ich hatte gehofft, dich dieses Wochenende etwas besser kennenzulernen. Bisher hab ich aber eher das Gefühl, dich zu vertreiben.« »So ein Quatsch!« Er drückte mich etwas weg und sah mir streng ins Gesicht. »Um mich zu vertreiben, müsstest du dir schon etwas mehr Mühe geben.« »Sicher?« Er strich sanft durch meine Haare. »Sicher. Ich hab auch absolut keine Ahnung, wie du auf die Idee kommst, dass es anders sein könnte.« »Weil ich nicht wusste, dass du Vegetarier bist und ich dich dadurch in eine unangenehme Situation gebracht habe. Außerdem das gerade ... Du hast dich absichtlich gegen mich gedrückt, oder?« Es wurde mir erst jetzt klar, dass Steve, seitdem wir angekommen waren, deutlich mehr meine Nähe suchte, als es bisher der Fall gewesen war. Da hatte es eher gewirkt, als versuche er, mich auf Abstand zu halten. »Vielleicht? Ich ziehe es vor, mich dazu nicht zu äußern.« Ich schmunzelte, da sein Tonfall durchaus etwas verriet. Dann fuhr ich fort: »Ich ... Ich bin nicht sicher, ob ich das sagen soll ... Ich will nicht, dass du das nur mir zuliebe machst ... aber als Abby dich zum Essen eingeladen hat, hast du sofort zugesagt. Immer wenn ich dich eingeladen habe, hast du gezögert und keine wirkliche Antwort gegeben.« Sein Blick war streng, als er mich erneut etwas von sich drückte. »Du hast mich nie zu dir eingeladen. Dann hätte ich nämlich zugesagt. Ganz im Gegenteil, du es eher so klingen lassen, als wolltest du zu mir.« Seufzend strich ich mir über die Stirn und kniff mir in die Nasenwurzel. Da es langsam unbequem war, so zu sitzen, machte ich mich los und lehnte mich mit dem Rücken ans Kopfende. »Dann waren unsere Treffen für dich vermutlich auch keine Dates?« Er schmunzelte und legte seinen Kopf gegen meine Brust. »Ich hatte es gehofft, war mir aber nicht sicher.« »Magst du dann, wenn wir wieder zu Hause sind, offiziell mit mir auf ein Date gehen?« Ich hielt den Atem an. Er hatte darauf gehofft, aber wollte er es wirklich? »Jain?« Er sah zu mir hoch und biss sich unsicher auf die Unterlippe. »Ich würde gerne mit dir auf ein Date gehen, das wir auch so nennen. Aber ich möchte nicht, dass wir es vor jemand anderen so nennen. Außer vor deinen Freunden.« »Du möchtest es also geheimhalten?« Das gefiel mir nicht. Ich hatte meine Beziehungen nie geheimgehalten. »Ja. Wenn das für dich okay ist«, murmelte er. »Vorerst zumindest. Meine Familie weiß nicht, dass ich schwul bin. Und meine Freunde auch nicht.« Langsam legte ich die Hand auf seinen Rücken und strich darüber. Hoffentlich war es in Ordnung, wenn ich nachfragte: »Bei deiner Familie wirst du sicher deine Gründe dafür haben. Aber warum verheimlichst du es vor deinen Freunden? Ich meine, es sind deine Freunde.« Er zuckte mit den Schultern. »Es hat sich einfach nie ergeben, es ihnen zu sagen. Ich glaube, sie ahnen es, aber ich trau mich noch nicht ganz, es auszusprechen.« Ich seufzte ergeben. »Okay, meinetwegen behalten wir es vorerst für uns und sehen erstmal, wohin es uns führt.« »Das gefällt dir nicht, oder?« Aufmerksam beobachtete er mein Gesicht. »Nein. Ich hab es noch nie geheimgehalten, mit wem ich ausgehe.« Steve nickte und da er aussah, als würde er einen Rückzieher machen wollen, schob ich hinterher: »Aber, wenn du es dir wünscht, ist es okay. Ich find es zwar nicht schön, aber ich mag mit dir ausgehen – und mit dir zusammen sein, wenn es sich ergibt. Wenn du das lieber erstmal geheimhalten möchtest, dann werde ich dich nicht drängen.« Immerhin wusste ich ja noch nicht einmal, wie lange er bereits sicher war, schwul zu sein, und was seine genauen Gründe waren, es für sich zu behalten. Es würde mir schwerfallen, aber ihn zu einem Coming-out zu drängen, kam für mich nicht in Frage. Er sollte die Zeit bekommen, die er brauchte. »Danke.« Er drückte einen sanften Kuss auf meine Wange. Schweigend genoss ich die Nähe und streichelte seinen Rücken. Kapitel 6: ----------- »Darf ich dich um noch etwas bitten?« Mit dieser Frage riss Steve mich aus dem Halbschlaf. Ich packte ihn etwas fester und drückte ihn an mich. Er war so schön angenehm warm. Meinetwegen konnte er für immer so an mich gekuschelt bleiben. »Sag mir, worum es geht.« »Geh mit mir auf ein richtiges, offenes Date; jetzt.« Ich lachte, doch dann öffnete ich die Augen und sah in sein Gesicht. »Du meinst das ernst!« Bekräftigend nickte er. »Ja! Geh mit mir aus. Ich bin mir sicher, wir finden hier irgendwo in der Nähe ein Kino oder ein Restaurant. Ich lad dich auch ein.« Brummend schüttelte ich den Kopf. Ich sollte mitten in der Nacht mit ihm in der Gegend herumfahren und dafür seine Körperwärme aufgeben? Danach stand mir nun wirklich nicht der Sinn. »Kann das nicht warten, bis wir wieder zu Hause sind?« Er richtete sich auf und senkte leicht den Kopf. »Ich würde gerne richtig mit dir auf ein Date gehen. Eines, wo wir nicht ständig darauf achten müssen, wer uns sieht. Bei dem wir auch Händchen halten können, wenn wir es denn wollen oder kuscheln oder ... keine Ahnung, was man halt so macht auf einem Date, wenn man nicht ständig aufpassen muss.« »Ach so!«, fiel nun auch bei mir der Groschen. Sofort saß ich aufrecht. »Du meinst, weil uns hier niemand kennt.« Er nickte und biss sich erneut auf die Unterlippe, diesmal jedoch eher neckisch. »Hättest du Lust? Auch wenn es schon recht spät ist.« Unter diesen Bedingungen sah die Lage schon ganz anders aus. Natürlich wollte ich mit ihm auf dieses Date gehen! Das war die ideale Gelegenheit, ihn so zu erleben, wie er wirklich war. »Auf jeden Fall!« Er strahlte und schlang seine Arme um mich. Zärtlich drückte ich ihn an mich. »Komm, wir sollten uns beeilen. Sonst ist es wirklich zu spät. Und noch können wir Ryan und Channing fragen, ob sie einen Tipp haben, wohin wir gehen können.« »Klingt gut. Lass uns erst fragen, dann wissen wir, was wir anziehen müssen.« Er sprang auf und lief aus dem Zimmer. Einen Moment sah ich ihm grinsend nach, bevor ich folgte. So kannte ich ihn: aufgeweckt und zu jeder Schandtat bereit. Die etwas schüchterne und unsichere Art, die er heute gezeigt hatte, hatte auch etwas für sich, aber eigentlich mochte ich ihn gerade dafür, dass er so selbstsicher und direkt war. Ich holte ihn am Anfang der Treppe ein und ging mit ihm nach unten. »Huch, was macht ihr denn hier? Wolltet ihr nicht ins Bett?« Etwas erschrocken löste sich Gail von Ryans Lippen, als sie uns auf der Treppe hörte. »Steve meint, dass ein Date eine viel bessere Idee wäre. Und ich muss ihm da zustimmen.« »Stimmt!« Ryan nickte Steve mit einem Lächeln zu und streckte den Daumen in die Höhe, während Gail jubelte und dabei fast von seinem Schoß fiel. Schnell packte er sie an der Hüfte. »Wo wollt ihr denn hin?« »Wir wollten eigentlich dich und Channing fragen, ob ihr einen Tipp für uns habt.« »Worauf habt ihr denn Lust? Wolltet ihr eher was Essen oder Kino, Party?« Steve strahlte auf einmal übers ganze Gesicht. »Gibt es hier einen Schwulenclub oder so?« Kurz zögerte er, dann sah er zu mir. »Also wenn du Lust hast.« »Äh, okay.« Das war jetzt nicht das erste, an das ich gedacht hätte, aber wenn er darauf Lust hatte, sprach von mir aus nichts dagegen. »Puh, da muss ich passen. Ich hab keine Ahnung. Aber ich glaub nicht, dass es in nächster Nähe etwas in die Richtung gibt. Wenn ihr wollt, können wir kurz googeln.« Bevor wir antworten konnten, hatte sich Gail bereits neben ihren Freund gesetzt und ihr Handy hervorgeholt. Flink tippte sie darauf herum und verzog am Ende das Gesicht. »Ich find gerade nichts, was nicht mindestens zwei Stunden entfernt ist.« »Schade, aber wohl nichts zu machen.« Steve zuckte mit den Schultern. »Dann eine ruhige Bar?« »Klingt gut, dann kann ich mich auch mit dir unterhalten.« »Da kann ich euch eine empfehlen. Wenn ich euch die Adresse sage, könnt ihr euch die bis zum Auto merken oder soll ich sie lieber aufschreiben?« »Aufschreiben«, beschloss ich und drückte Ryan mein Handy in die Hand, auf dem ich bereits eine Notizapp geöffnet hatte, während er redete. »Du und dein Erbsenhirn!«, neckte er und tippte eine Adresse ein. Uninteressiert zuckte ich mit den Schultern. Dann war ich eben schlecht darin, mir Dinge zu merken, durchs Leben kam ich dennoch sehr gut. Ryan gab mir das Handy zurück und wünschte uns viel Spaß, Gail schloss sich ihm an. Steve schenkte beiden ein dankbares Lächeln, verabschiedete sich und nahm dann meine Hand. »Kommst du?« »Schönen Abend euch noch«, wünschte ich den beiden, die schon wieder mit sich beschäftigt waren, und ließ meine Finger zwischen Steves gleiten. »Wir können übrigens froh sein, dass es hier keinen Dresscode gibt«, witzelte ich, als wir die Bar betraten. Steve drehte sich halb zu mir um und grinste. »Stimmt, wir haben doch vergessen, uns umzuziehen.« »Du hattest es aber auch eilig.« Er schmunzelte. »Ich wollte eben schnell mit dir allein sein. Was magst du trinken?« »Lass uns an die Bar gehen, ich will einen Cocktail.« Dann konnte ich einmal auf die Karte sehen, ob es überhaupt alkoholfreie gab. »Klingt gut.« Er ergriff erneut meine Hand und zog mich zur Bar. Dort ließ ich mich neben ihm nieder und blätterte in der ausgelegten Karte. Zumindest ein paar Drinks gab es. Ich suchte mir einen aus und bestellte mit ihm zusammen, als der Barkeeper bei uns ankam. Als wir mit Getränken versorgt waren, fragte ich an Steve gewandt: »Wie kamst du eigentlich ausgerechnet auf einen Schwulenclub?« Er zuckte mit den Schultern. »Weil ich noch nicht oft in welchen war und dachte, dass es Spaß machen könnte. Zumindest das letzte Mal war sehr lustig.« »Du warst schon einmal in einem?« Das überraschte mich, immerhin hatte er gesagt, dass er nicht offen schwul lebte. »Ehm, ja, als ich letzten Monat in Boston war. Mich kannte dort ja niemand.« »Ah. Daher wohl auch die Idee, dass wir hier ausgehen?« Er nickte und schlürfte an seinem Sex on the Beach. Dabei sah er mich von unten herauf an. »Um ehrlich zu sein, war es schön, sich einfach mal nicht ständig verstellen oder aufpassen zu müssen.« Zärtlich strich ich mit den Fingern über die rasierten Haare an seiner rechten Schläfe. Ich hatte das schon lange tun wollen und das leichte Kitzeln unter den Fingerspitzen war genauso schön, wie ich es mir erhofft hatte. »Ich bin sicher, du findest deinen Weg. Setz dich nicht unter Druck. Du wirst merken, wenn du so weit bist, dich zu outen.« »Danke.« Er lächelte mich offen an. »Dennoch vermisse ich es etwas.« »Warst du denn allein in dem Club?« Hoffentlich hörte sich das für ihn nicht genauso eifersüchtig an wie für mich. Ich wollte ihm kein schlechtes Gewissen machen und im Grunde war es für mich auch vollkommen in Ordnung, wenn er sich mit einem anderem getroffen hatte. Dennoch wäre es schön gewesen, wenn ich mit ihm hätte weggehen können. Scheinbar hörte er den Ton nicht, denn er grinste noch immer selig. »Ja. Ich bin für ein paar Tage bei einem Bekannten aus dem Internet untergekommen. Ich weiß grad nicht, ob ich dir erzählt hatte, dass ich wegen einer Falschinfo spontan doch zwei Tage früher fahren musste?« Ich nickte. Ja, hatte er. Mich regte das noch immer für ihn auf. Es hatte ihn sehr gestresst. »Da hat mir der Bekannte angeboten, dass ich bei ihm schlafen kann, weil kein Hotel mehr frei war. Am ersten Abend hat er mir die Fingernägel richtig schön gemacht und am zweiten sind wir dann in einen Club feiern gegangen.« Ich schluckte die Fragen herunter, die mir durch den Kopf gingen, und bestellte noch einen Cocktail. Das war der falsche Ort und die falsche Zeit für solche Themen. Ich sollte die Zeit nutzen, mehr über das zu erfahren, was ihn bewegte, als möglicherweise doch noch als eifersüchtiger Kerl rüberzukommen. »Was meinst du mit: Er hat dir die Fingernägel schön gemacht?« »Er hat sie mir gefeilt und lackiert. So mit allem drum und dran! Ich hab es selbst auf dem Flug versucht, aber das sah nicht mal halb so gut aus. Moment, ich zeig es dir.« Steve zog sein Handy aus der Jackentasche und tippte darauf herum. Als er gefunden hatte, was er suchte, hielt er das Display in meine Richtung. »Das sieht echt genial aus, oder?« Auf dem Selfie hielt Steve seine Hände halb vors Gesicht. Sie sahen aus, als hätte man sie professionell gepflegt, und die einzelnen Finger jeder Hand waren in einer anderen Farbe lackiert. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, aber das passte so wahnsinnig gut zu Steves Persönlichkeit! Außerdem zeigte das Bild noch eine zweite Person. Sie war etwa im selben Alter wie Steve und ich, hatte einen etwas unordentlichen Ziegenbart und halblange, schwarze Haare. Auch sie hielt ihre Finger in die Luft, die Nägel waren jedoch komplett schwarz lackiert und spitz zugefeilt. Dennoch lenkten mich die wahnsinnig anziehenden, fast schon bernsteinfarbenen Augen vom Rest des Gesichtes ab und vermittelten mir das Gefühl, diese Person schon einmal gesehen zu haben. »Ist das dein Bekannter? Die Fingernägel sehen übrigens echt klasse aus und passen super zu dir. Das könntest du ruhig öfter machen.« »Ja. Er hätte sich sicher eher die Finger abgehackt, als sich die Nägel so bunt zu machen.« Steve kicherte, sah noch einmal auf den Bildschirm, dann steckte er das Handy wieder ein. »Hätte ich gewusst, dass deine Freunde so toll sind, hätte ich den Nagellack mitgebracht. Also ... ich meine ... ich hatte mir schon gedacht, dass deine Freunde toll sind ...«, haspelte er. »Aber ich wusste ja nicht, dass sie auch alle ...« Ich wartete eine Weile, ob er noch etwas sagte, doch scheinbar hatte er sich so verrannt, dass er keine Worte mehr fand. »Du meinst, du wusstest nicht, dass sie auch alle queer sind?« »Ja, genau!« Entschuldigend lächelte er mich an. »Ich wusste nicht, ob das Wort okay ist.« »Doch, das ist in Ordnung. Zumindest von uns hat niemand ein Problem damit.« Ich strich erneut über die kürzeren Haare und lächelte ihn an. Diesmal drückte er sich für einen Moment leicht den Kopf gegen meine Finger. Dann richtete er sich wieder auf, jedoch nicht, ohne mir noch ein bezauberndes Lächeln zu schenken. »Darf ich dich eigentlich noch etwas über die anderen fragen?« »Kommt darauf an, was?« »Gail und Abby sind ein Paar? Oder hab ich das falsch verstanden?« Skeptisch nickte ich. Noch war ich mir nicht sicher, in welche Richtung diese Nachfrage ging. »Und offensichtlich Gail und Ryan. Channing auch? Also ich meine Ryan und le gehört doch das Haus, oder?« »Ja. Aber das mit Ryan, Channing und Gail ist eher so eine On-Off-Sache. Als die beiden nach Kanada gezogen sind, hat Gail eigentlich die Beziehung beendet, aber trotzdem ändert sich das jedes Mal, wenn sie sich treffen.« Ich zuckte hilflos mit den Schultern. Mittlerweile hatte ich aufgegeben, das verstehen zu wollen. Aber es ging mich ja auch nichts an. Solange sie glücklich und sich einig waren, ging es mich nichts an. »Ist doch schön, wenn es trotzdem klappt.« Bei seinem Lächeln war ich mir nun sicher, dass er wirklich aus reiner Neugierde und nicht aus Argwohn fragte. Das ließ einen schweren Stein von meinem Herzen fallen. »Und Abby ist noch mit Summer zusammen?« »Genau. Wobei sich auch Summer, Ryan und Channing noch über ein paar andere Ecken kennen. Also ich meine: Sie haben jeweils noch andere Partner*innen, die wiederum Partner*innen haben, die mit den anderen verpartnert sind.« »Äh ... Ich glaub, ich brauch noch einen Cocktail, um den Satz zu verarbeiten.« Er bestellte noch einen Sex on the Beach, dann sah er mich wieder an. »Aber sie selbst sind keine Partner?« »Nicht, dass ich wüsste. Sie verstehen sich zwar gut, aber ich glaub nicht, dass da irgendein Interesse besteht.« »Und du?« Steve legte leicht den Kopf schief, gab mir das Gefühl, mich ganz genau zu beobachten. »Hm? Was ist mit mir?« Worauf wollte er hinaus? »Du bist als Einziger nicht involviert? Oder sind Ryan und du ...« Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Wie kommst du ausgerechnet auf Ryan?« »So weit ich weiß, bist du doch schwul, oder nicht?« Noch konnte ich das Lachen nicht ganz aus meinem Gesicht verbannen. »Okay, eine Frage nach der anderen: Nein, ich bin mit keinen von ihnen in irgendeiner Form verpartnert oder in einer anderen als freundschaftlichen Beziehung. Und zur zweiten Frage: Nein, ich bin nicht schwul.« »Oh.« Er sah zur Seite und kratzte sich im Nacken. Da ich gerade nicht näher auf die zweite Frage eingehen wollte – das hob ich mir lieber für einen ruhigen Moment zwischen uns beiden auf – strich ich sanft über seinen Oberschenkel. Er sollte zumindest merken, dass meine Aussage zwischen uns nichts änderte. »Wäre es denn schlimm, wenn ich irgendwie mit ihnen verbunden wäre?« Er sah eine ganze Weile in seinen Drink. Das hatte ich nicht erwartet. Eigentlich hatte ich nur etwas ablenken wollen. Irgendwann sah er wieder auf und erklärte: »Ich bin nicht sicher. Ich hab nichts dagegen, wenn jemand so glücklich ist. Aber für mich wäre es nichts. Wenn ich mich auf eine Beziehung einlasse, dann will ich keine zweite. Und ich fände es auch nicht schön, wenn mein Partner noch jemand anderes hätte.« Ich nickte und lächelte ihn an. Hatte er wirklich Angst, ich könnte negativ darauf reagieren? Es schien zumindest so. Erneut strich er sich mit der Hand über den Nacken, bevor er mich direkt ansah. »Wäre denn für dich so eine klassische Zweierbeziehung in Ordnung?« Erneut konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen, zog ihn leicht an mich und küsste seine Stirn. »Ja, natürlich. Nur, weil viele meine Freunde Beziehungen zu mehreren Personen haben, muss das doch nicht für mich gelten. Ich habe lieber eine Person, der ich mich voll und ganz widme. Mir würde es aber nicht stören, wenn diese noch andere Partnerschaften pflegt.« Es gab immerhin genug Gründe dafür. Ich hoffte nur, dass Steve zumindest im Moment nicht danach fragte. Leider tat er mir nicht den Gefallen, das Gesprächsthema einfach zu ändern. »Es wäre also in Ordnung, wenn dein Partner noch andere hätte, aber du nicht? Warum? Das ist doch total unfair.« Ich seufzte. Wäre ja auch zu schön gewesen. »Weil es nicht immer um Fairness geht. Ich kann nicht jedes Bedürfnis meiner Partnerperson erfüllen. Warum sollte ich sie also davon abhalten, es woanders zu stillen?« Steve legte den Kopf leicht schief, musterte mich aufmerksam. »Das klingt, als gäbe es da etwas ganz Bestimmtes, woran du denkst.« Unwohl wich ich seinem Blick aus. Ich wollte nicht weiter auf das Thema eingehen. Ich hatte gehofft, es noch etwas hinauszögern zu können, es wenigstens nicht dieses Wochenende diskutieren zu müssen. Es so lange liegen zu lassen, kam mir nun aber falsch vor. Dennoch wollte ich nicht gerade jetzt darüber reden. Das war etwas, was ich in Ruhe und unter zwei Augen mit ihm besprechen wollte. Ich legte meine Hand auf seinen Unterarm. »Darüber würde ich lieber mit dir allein und ohne Zuhörer reden. Was hältst du davon, wenn wir das Thema jetzt erstmal sein lassen, Spaß haben und nachher oder morgen nochmal in Ruhe darüber reden?« »Ja, ja klar, okay.« Die Angst und Skepsis in seiner Stimme gefielen mir nicht, doch für den Moment mussten wir das wohl aushalten. Ich wollte noch nicht mit ihm zurückfahren. Wir hatten uns doch schließlich auf dieses Date gefreut. »Worüber wollen wir sonst reden?« Hilflos zuckte ich mit den Schultern. Alles, was ich sonst auf einem ersten Date gefragt hätte, wusste ich über ihn bereits. Schließlich trank ich den Rest meines Cocktails mit einem Schluck aus. »Dann lass uns zurückfahren.« Sein Nicken wirkte geradezu erleichtert. Er trank noch zur Hälfte aus und bezahlte, dann folgte er mir zum Auto. Kapitel 7: ----------- Als Steve aus dem Bad kam, hatte er seine Ohrringe und die Piercings in seiner Nase und an seiner Augenbraue gegen unauffällige Stecker getauscht. Er grinste kurz verlegen und sah dann an sich hinab. Nervös zupfte er seinen kurzen Pyjama zurecht, bevor er sich neben mich legte und die Decke über sich zog. Langsam rutschte er an mich heran und deutete an, den Arm um meinen Oberkörper zu legen. »Darf ich?« »Ja klar.« Sobald er sich an mich gekuschelt hatte, legte ich meine Hand wieder in seinen Nacken und streichelte ihn. Meine Nase vergrub ich in seinen Haaren und sog den Duft ein. »Tut mir leid, dass ich unser erstes Date versaut hab.« Er wuselte etwas herum, dann fühlte ich seinen warmen Körper an meinem. Er hatte sich einfach so unter meine Decke gekuschelt. »Um ehrlich zu sein glaube ich nicht, dass es unser erstes Date war. Vielleicht offiziell, aber es hat sich nicht so angefühlt. Also lass uns das vergessen. Es war ein verdorbenes Date von vielen, davon sollten wir uns nicht entmutigen lassen.« Erleichtert nickte ich und zog ihn noch etwas fester an mich. Die Einstellung gefiel mir. Ich konnte also hoffen, dass er noch einmal mit mir auf ein Date ging. »Magst du mir jetzt erzählen, was du vorhin meintest?« Seine Finger streichelten so sanft über meinen Bauch, dass ich es kaum spürte. Ich schloss die Augen und ließ den Kopf ins Kissen sinken. Von wollen konnte nicht die Rede sein. Ich wollte dieses Wochenende genießen. Zu oft war ich fallengelassen worden, wenn ich das ansprach. »Hey, Aaron.« Steves Hand streichelte über meine Wange, als ich nach einer Weile noch immer nicht geantwortet hatte. Ich öffnete die Augen und versuchte mich an einem Lächeln. »Sorry.« Er richtete sich etwas auf und kam mir näher. Seine Nase strich leicht über meine, dabei flüsterte er: »Schon gut. Nur sprich mit mir. Was ist los? Ich erwarte sicher nicht, dass du alle meine Bedürfnisse erfüllen kannst, falls es das ist, was dir Sorgen macht.« Bei der Berührung zog sich eine Gänsehaut über gesamten meinen Körper. Vorsichtig legte ich meine Hand in seinen Nacken. Es war absolut der falsche Zeitpunkt, dennoch konnte ich sein Angebot nicht ablehnen. Schon seit Monaten hatte ich wissen wollen, wie sich seine Lippen anfühlten. Warum er mich gerade jetzt küssen wollte und dass ich mich ihm zuerst hätte erklären sollen, war in diesem Moment egal. Die zarte Berührung dauerte nur einen winzigen Augenblick, doch sie ließ meinen Magen aufgeregt kribbeln. »Tut mir leid, das war etwas voreilig«, murmelte er, nachdem er sich nur wenige Millimeter von mir entfernt hatte. »Aber ich kann es nicht einfach stehen lassen, wenn jemand, den ich sehr gern hab, sich selbst klein macht.« Ich kraulte seinen Nacken. »Ich fand das ausgesprochen schön.« Nur leichter wurde es dadurch für mich nicht. Ihn jetzt noch zu vergraulen würde ich mir nicht verzeihen können. Er ließ mir keine Gelegenheit, mich um Kopf und Kragen zu reden, und küsste mich erneut. Diesmal zog ich ihn automatisch dichter an mich. Das Kribbeln war einfach unglaublich! Dennoch musste ich ihn irgendwann wieder aus meinem Griff entlassen. Es war nicht richtig, dem Gespräch auf diese Weise aus dem Weg zu gehen. »Hör mir bitte zu. Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.« Er richtete sich auf und sah mich mit schuldbewusster Miene an. »Tut mir leid. Es fühlt sich nur so schön an.« »Vielleicht können wir ja gleich weitermachen?« Wenn er dann überhaupt noch wollte. »Das klingt nach einem guten Plan.« Verlegen lächelte er. Seine Wangen hatten eine sanfte Röte gewonnen. Da es sich komisch anfühlte, von oben herab von ihm angesehen zu werden, stützte ich mich seitlich auf dem Ellenbogen ab. »Was ich gerade meinte, war ... Also es wäre für mich in Ordnung, nicht die einzige Beziehungsperson zu sein, weil ...« Ich atmete tief durch. »Ich hab kein Interesse an Sex. Ich ...« »Wie, du hast kein Interesse an Sex? So gar nicht?« Ich rappelte mich hoch und setzte mich auf. Verdammt, was hatte ich denn auch erwartet?! Natürlich reagierte er scheiße. So wie die meisten. »Ja, überhaupt nicht! Und ich brauche auch nicht nur die richtige Person, die mir zeigt, wie toll Sex ist!« Steves Augen wurden groß und er wich vor mir zurück und machte sich klein. Er kauerte an seinem Ende der Matratze und sah mich nur halb an. »Das hab ich doch gar nicht gesagt.« Seine verschreckte Reaktion ließ mich verstummen. Hatte ich ihn falsch verstanden? Er legte die Arme um seine Beine und verbarg das Gesicht halb hinter seiner Schulter. »Ich mag es auch nicht. Also ›richtigen‹ Sex ... Analverkehr. Darum dachte ich ... Keine Ahnung, die meisten reagieren da total negativ drauf, wenn ich das sage. Du bist der Erste, der auch sagt, dass er es nicht mag.« »Oh. Tut mir leid ... ich hab überreagiert.« Ich streckte die Hand nach ihm aus, wollte ihn entschuldigend streicheln, doch er wich zurück. Möglichst schuldbewusst sah ich ihn an. Verdammt, ich hatte so sehr mit einer negativen Reaktion gerechnet, dass ich seinen Tonfall komplett fehlinterpretiert hatte. »Ich wollte dich nicht so anfahren. Mir wurde nur so oft gesagt, dass das schon noch kommen würde mit der richtigen Person. Und deine Aussage ... Ich dachte, es kommt jetzt schon wieder sowas.« Er schüttelte den Kopf und ein schiefes Lächeln zierte sein Gesicht. Auch seine Haltung lockerte sich etwas. »Ich versteh schon, was du meinst. Ich bin dir auch nicht böse. Ich höre das doch auch immer wieder, wenn ich sage, dass ich keinen Analverkehr mag. Dabei ist es halt wirklich nur das. Alles andere find ich toll, besonders Blowjobs. Darf ich die Frage nochmal vor dem Hintergrund stellen? Du magst gar keinen Sex? Oder nur bestimmte Sachen nicht?« Dankbar lächelte ich ihn an. Auch wenn er noch immer am anderen Ende saß, schien er mir den Ausraster nicht übelzunehmen. »Es liegt nicht daran, dass ich es nicht mag. Ich habe kein Problem mit Sex, mir macht es sogar halbwegs Spaß, aber ich hab von mir aus nur kein Verlangen danach.« »Was heißt das genau?« Mittlerweile sah er mich wieder direkt an und ließ die Arme locker neben sich hängen. »Das heißt, dass ich asexuell bin. Ich habe nicht das Verlangen, mit jemandem Sex zu haben. Ich bin wahnsinnig verknallt in dich, jedes Mal, wenn ich dich sehe, habe ich einen ganzen Haufen Schmetterlinge im Bauch und ich möchte dich ständig berühren; aber nicht sexuell, sondern dich einfach nur im Arm halten, dich küssen und streicheln.« Ein Schmunzeln huschte über sein Gesicht und er krabbelte auf mich zu. »Warum tust du es dann nicht?« Vorsichtiger als zuvor streckte ich die Hand nach ihm aus und wanderte mit den Fingern über seinen Arm, sobald ich ihn erreichen konnte. Er kam noch näher und ließ sich in meine Arme ziehen. Mit einem erleichterten Seufzen vergrub ich meine Nase wieder in seinen Haaren. »Tut mir leid, dass ich dir Angst gemacht hab.« Er schwieg dazu und kuschelte sich an mich. Eine Weile genoss ich das Kuscheln, doch dann wurde mir das Schweigen unangenehm. Es war gut, ihn so zu halten, aber geklärt hatten wir nichts. Es hing noch ganz deutlich zwischen uns, vergiftete die Atmosphäre und sorgte dafür, dass weder er noch ich uns wirklich entspannen konnten. Daher nahm ich meinen Mut zusammen: »Willst du gar nichts dazu sagen?« Er drehte etwas den Kopf, um mich wieder ansehen zu können. Es war offensichtlich, dass er seine Worte mit Bedacht wählte: »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich kann es nicht nachempfinden. Wenn ich mich verliebe, dann möchte ich auch Sex mit der Person.« Ohne es aktiv zu wollen, drückte ich ihn fester an mich. Ich hatte gewusst, dass ich ihn dadurch verlieren könnte. Dennoch klammerte ich mich nach wie vor an die Hoffnung, dass es nicht der Fall war. Immerhin lehnte er sich noch immer an mich, das war doch gut, oder? »Könntest du dir trotzdem vorstellen, weiterhin mit mir auf Dates zu gehen?« Steve lachte so herzlich, dass mir das Herz bis zum Hals schlug. Ich liebte die wenigen Momente, in denen er so ausgelassen war. »Ist das die neue Art zu fragen, ob wir zusammen sind?« Meine Wangen wurden warm, als ich nickte. An solche Situationen würde ich mich wohl nie gewöhnen. Ich fühlte mich jedes Mal wieder wie damals als Teenager, als ich meinen ersten Freund nach einem Date fragte. Zögerlich nickte er. »Ich weiß zwar nicht, wie das funktionieren wird, aber ich würde es gern versuchen.« Sanft strich ich über seinen Nacken, damit er mich ansah, dann küsste ich ihn stürmisch. »Aaron«, raunte er gegen meine Lippen und drückte leicht gegen meinen Oberkörper. Ich ließ den Griff um ihn etwas lockerer. Er lehnte sich leicht zurück und suchte meinen Blick. »Ich hab keine Ahnung, was das wird, aber wenn du so weitermachst, ist das für mich nicht mehr nicht-sexuell.« »Oh. Okay. Tut mir leid.« Verlegen lächelte ich ihn an. »Schon gut, ich habe nur sonst das Gefühl, dich zu etwas zu drängen, was du nicht magst.« Zärtlich streichelte ich über seine Wange. Süß, dabei hatten wir doch nur geknutscht. »Keine Sorge, ich sage schon, wenn ich etwas nicht möchte. Küssen und Kuscheln ist aber eigentlich immer in Ordnung.« »Können wir trotzdem einen Gang runterschalten?« Er rutschte von meinem Schoß, breitete dann aber die Arme einladend aus, nachdem er sich gegen die Wand gelehnt hatte. »Sei mir bitte nicht böse, aber ich muss damit erstmal klarkommen und es verstehen. Dafür brauche ich Zeit. Vorher hätte ich immer das Gefühl, dich zu drängen.« Ich nahm das Angebot an und kuschelte mich an seine Brust. »Ist schon in Ordnung. Ich habe nicht erwartet, dass mit einem Gespräch alles geklärt ist. Ich bin schon froh, dass du nicht direkt weggerannt bist. Lass dir alle Zeit der Welt. Und das Angebot, dass du dir für Sex jemand anderen suchen kannst, steht noch immer.« Er strich durch meine Haare. »Auch wenn ich noch keine Ahnung habe, wie das alles laufen wird, aber da bin ich mir sicher: Ich will keine andere Person für Sex.« Ich nickte. »Ist okay.« Wenn er da so sicher war, dann würde ich mir auch keine weiteren Sorgen deshalb machen. Notfalls wusste er, dass er mich darauf ansprechen konnte. Steve zog die Decke über uns und während er mir über den Rücken streichelte, schlief ich ein. Kapitel 8: ----------- Noch halb schlafend befreite ich mich aus Steves Griff und stolperte ins Badezimmer. Ich fand es ja schön, dass er gern mit mir kuschelte, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sich so an mich klammern würde. Hoffentlich konnte er es mir verzeihen, wenn ich ihn für einen Moment allein ließ. Da ich schon einmal aufgestanden war, wusch ich mich kurz und putzte die Zähne. Danach schlich ich zurück ins Schlafzimmer und kuschelte mich wieder zu Steve unter die Decke. Er wachte davon auf, drehte sich zu mir und stahl sich einen Kuss. Grinsend zog ich ihn an mich. »Guten Morgen.« Murmelnd gab er es zurück, drückte sich dich an mich, dann hob er den Kopf und grinste mich an. »Danke für das tolle Date gestern.« Erst war ich perplex, dann grinste ich zurück. »Schön, wenn es dir trotzdem gefallen hat.« »Natürlich! Sonst wäre ich wohl kaum nach dem ersten Date mit dir im Bett gelandet. Für wen hältst du mich denn?« Er versuchte, empört zu schauen, konnte jedoch das Grinsen nicht unterdrücken. »Ich dachte, wir hatten uns darauf geeinigt, dass es nicht unser erstes Date war?« »Das erste Offizielle.« Bevor ich etwas erwidern konnte, wurde die Tür aufgerissen. »Oh toll, ihr seid schon wach! Helft ihr uns dann beim Frühstückmachen?« »Dir auch einen wunderschönen guten Morgen.« Steve, der sich unter der Decke versteckt hatte, sobald er Summers Stimme gehört hatte, brummte etwas, was ich nicht verstand. »Wir kommen sofort. Lass uns erstmal anziehen. Wir treffen uns unten«, schob ich hinterher, als sie sich noch immer nicht bewegte. Manchmal war sie echt anstrengend. Sie scannte mit dem Blick noch einmal das Bett, dann grinste sie hämisch. »Kein Ding, aber lasst euch nicht zu viel Zeit.« Genauso schnell wie sie im Zimmer aufgetaucht war, war sie auch schon wieder verschwunden. Ich streichelte einmal zärtlich über Steves Nacken. »Sorry, ich hätte dich vorwarnen sollen. Das macht sie jedes Mal.« »Wäre nett gewesen.« Zum Glück hatte er seinen Humor nicht verloren und grinste schon wieder. »Sie hat mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt.« »Dabei haben wir doch nicht mal etwas getan.« Verschmitzt grinste ich ihn an. Ehrlich, wenn er wüsste, wobei ich die anderen schon alles erwischt hatte, wäre es ihm nicht so peinlich. »Na ja, wir haben gekuschelt. Und normalerweise achte ich schon darauf, dass mich niemand dabei erwischt.« »Oh, stimmt. Tut mir leid. Daran habe ich gar nicht mehr gedacht.« Entschuldigend strich ich über seinen Oberarm. »Schon gut, ich hab ja gesagt, dass es bei deinen Freunden in Ordnung ist. Ich hatte nur nicht so schnell damit berechnet.« »Dennoch tut es mir leid. Du hättest selbst entscheiden sollen, wann wir es ihnen zeigen.« »Ach, schon in Ordnung.« Versichernd lächelte er mich an. »Kommst du eigentlich mit duschen?« »Ich dusche lieber nach dem Essen und geh dann schonmal runter und helfe.« Steve wirkte tatsächlich kurz enttäuscht, dann nickte er. »Gut, dann bis gleich. Und lass dich nicht zu sehr löchern.« Ich erhielt noch einen Kuss, dann verschwand er im Bad. »Na, hattet ihr einen schönen Abend?«, fragte Abby, sobald ich in die Küche kam. »Schau doch mal, wie er grinst. Natürlich hatten sie einen schönen Abend.« Channing klopfte mir lachend auf die Schulter. Gail kam zu mir, umarmte mich freudig und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Leise erklärte sie: »Ich freu mich so für euch.« »Ich hab doch noch nicht einmal was gesagt!«, erklärte ich verzweifelt. Manchmal waren meine Freunde einfach etwas übereifrig. Auch Summer mischte sich nun ein: »Das sah aber gerade schon sehr niedlich aus, wie ihr gekuschelt habt.« Meine beste Freundin quietschte und fiel mir erneut um den Hals. »Jetzt erzähl schon, wie ist der Abend gelaufen?« »Wir waren kurz etwas trinken und sind dann wieder zurück, nachdem wir bemerkt haben, dass wir uns lieber in Ruhe unterhalten sollten. Das haben wir dann auch getan. Sag mal, ich wollte eigentlich helfen, hast du was für mich zu tun«, wandte ich mich an Ryan. »Du kannst dich um die Eier kümmern.« Er deutete auf die Kochinsel, wo eine Packung Eier und Speck neben der Pfanne stand. »Ist gut. Ich brauch aber noch eine zweite Pfanne.« Ich bückte mich, um eine Zweite aus dem Schrank zu holen. Über die Schulter hinweg fragte ich: »Ist die fürs Ei oder den Speck gewesen?« »Äh?« Hilfesuchend sah er sein Freundil an. »Du brauchst noch eine Fleischpfanne«, gab le die Antwort direkt an mich. Verstehend nickte ich und griff in das Regal, das entsprechend mit ›Fleisch‹ betitelt war. Dann machte ich mich daran, die Eier über einer Schüssel aufzuschlagen. Mir war klar, dass Gail mich noch immer abwartend ansah, doch wenn sie etwas wissen wollte, dann musste sie schon fragen. Lange dauerte es auch nicht, bis sie es tat. »Worüber habt ihr denn geredet?« »Kann ich dir sagen, wenn Steve da ist«, blockte ich sie für den Moment ab. »Was ist, wenn ich da bin?«, hörte ich im selben Moment seine Stimme. Als ich aufsah, sprang er gerade die letzten drei Stufen der Treppe herunter. Er kam direkt auf mich zu, zögerte kurz, dann legte er den Arm um mich und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Aufmunternd lächelte ich ihn an. Es war toll, dass er trotz seiner Angst zu mir kam. »Ich wurde gerade ausgequetscht, was wir gestern gemacht haben, und wollte auf dich warten, weil ich nicht wusste, was ich über unser Gespräch erzählen darf.« »Ach so. Gibt es da etwas zu erzählen?« Er sah sich kurz in der Runde um. Während Gail uns verträumt grinsend ansah, nickte Summer bestätigend, als wäre das keine rhetorische Frage. Alle anderen wirkten aber auch neugierig. Steve sah mich einmal kurz versichernd an, sein Griff um meine Taille wurde etwas fester, dann antwortete er: »Eigentlich haben wir nur über unsere Beziehung geredet.« Das erfreute Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen. Er meinte es also ernst: Er wollte eine Beziehung mit mir. Vorsichtig beugte ich mich zu ihm, bis er mir entgegenkam und wir uns zögerlich küssten. »Es freut mich für euch beide, dass es so gut gelaufen ist«, erklärte Channing ruhig. »Aber wie sieht es nun mit dem Ei aus?« Ich löste mich von Steve und salutierte scherzhaft. »Kommt sofort!« Er sah sich in der Küche um und deutete dann auf die Teller und Schüsseln. »Soll ich schon mal was zum Tisch bringen?« »Gern. Ich helf dir«, bot Abby an und erklärte ihm kurz, was bereits so weit war. Kapitel 9: ----------- »Darf ich euch kurz stören?« »Was gibt’s denn, Hasenpups?« Summer drehte sich nicht einmal zu mir um, sondern starrte weiter auf den Fernseher, auf dem sie sich mit Gail und Abby ein Rennen lieferte. Ich setzte mich im Schneidersitz auf das freie Ende der Couch, damit ich alle drei im Blick hatte, wenn sie schon nicht zu mir sehen konnten. Nervös kaute ich auf der Innenseite meiner Wange herum. »Ich weiß, eigentlich sollte Steve euch das fragen, aber ich glaub, er kommt gar nicht auf die Idee: Hättet ihr Lust, ihn euch heute Nachmittag mal zu schnappen und ihm zu zeigen, wie man sich richtig die Nägel macht?« »Klar, können wir machen, bisher ist ja nichts geplant«, erklärte sich Abby sofort bereit. Gail warf mir einen schnellen Blick zu, den sie sofort bereute, da sie in ein Hindernis fuhr. »Wie kommst du denn darauf?« »Er hat mir gestern Abend erzählt, dass ein Freund ihm mal die Nägel gemacht hat. Es schien ihm sehr gefallen zu haben und er war ein wenig enttäuscht, dass er das für das Wochenende nicht gemacht hat, weil er nicht sicher war, ob es in Ordnung wäre.« »Hätte er mal machen sollen. Das sieht bei ihm sicher großartig aus.« Gehässig lachend schoss Summer Abby mit einer Schildkröte ab. Diese boxte gegen das Knie ihrer Freundin. »Na warte!« Für einen Moment ergaben sich die drei vollkommen dem Endspurt des Rennens. Natürlich feuerte ich dabei meine beste Freundin an, die im letzten Moment durch eine fliegende Schildkröte hinter den anderen zurückfiel. Jubelnd fuhr Abby den Sieg ein. Während die Tabelle auf dem Bildschirm erschien, krabbelte sie zum Schrank unter dem Fernseher und holte einen weiteren Controller hervor. Diesen hielt sie auffordernd in meine Richtung. »Vielleicht habt ihr ja zu dritt eine Chance gegen mich.« Ich nahm ihn entgegen und wartete, bis Summer alles eingestellt hatte, damit ich ihn anmelden konnte. Uns war allen klar, dass wir nur auf unser Glück hoffen konnten und nicht wirklich eine Chance hatten. Dennoch machte mir das Spiel Spaß, daher nahm ich die Einladung gerne an. Bis Steve mit Channing und Ryan vom Einkaufen zurückkam, verging sicher noch eine ganze Weile. »Boah, danke, das war super lecker!« Steve lehnte sich auf dem Stuhl zurück und strich über seinen Bauch. »Danke, dass ihr euch die zusätzliche Arbeit gemacht habt!« »Kein Problem«, gab Abby etwas schüchtern zurück. Mit Komplimenten konnte sie noch nie gut umgehen. »Kannst du dich jetzt überhaupt noch bewegen oder sollen wir eine Weile warten?« Steve sah Summer verwundert an. »Warten? Womit?« »Izzy hat einen kleinen Anschlag auf dich angezettelt.« Nun wanderte sein Blick zu mir. »Er hat erzählt, dass du ein wenig traurig bist, weil du dich nicht getraut hast, Nagellack aufzutragen. Wenn du möchtest, dann machen wir das und zeigen dir ein paar Tricks.« Sofort strahlte er und nickte eifrig. »Oh mein Gott, ja, bitte!« »Nur die Nägel, oder magst du noch etwas anderes ausprobieren?«, fragte Gail nach. »Wenn du so fragst ... Ich hab schon mal mit dem Gedanken gespielt, auch Make-up auszuprobieren.« Während er das sagte, wanderte sein Blick langsam auf den Tisch. »Das kann ich dir zeigen. Du wirst so toll aussehen!« Abby schien regelrecht von seiner Begeisterung angesteckt. Ryan räusperte sich. »Darf ich mich da eventuell anschließen?« Kurz wanderten alle Blicke zu ihm. Scheinbar hatte niemand diese Frage gerade von ihm erwartet, da er häufig genug fast toxisch männlich war. Doch Abby lächelte direkt. »Klar, warum nicht? Ich kümmer mich um Steve und du kannst dir aussuchen, ob Gail oder Summer dir etwas zeigen sollen.« Schon an seinem Grinsen war klar, dass gleich nichts Vernünftiges aus seinem Mund kommen würde. »Dann Gail. Ich wollte ja keine Kriegsbemalung lernen.« »Vollpfosten!«, meckerte Summer. Es rumpelte unterm Tisch und Ryan zog laut schreiend das Knie an. »Das würde ich dir eh nicht zeigen!« »Du bist manchmal ein unsensibles Ekel!«, äußerte sich auch Gail. »Ich mach das nur, wenn du dich entschuldigst.« »Sorry«, wandte er sich an Summer, »das war unnötig. Ich hab’s nicht böse gemeint.« Mit einem Nicken nahm sie die Entschuldigung an. Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass ich es wirklich attraktiv fand, wenn sie sich so stolz zeigte. »Kannst du mir dann auch gleich die Haare schneiden?«, fragte er dann Gail. Genervt stöhnte sie, während Channing und ich uns nur angrinsten. So ging es jedes Mal. Sie würde es sowieso tun, auch wenn sie die längeren Haaren lieber mochte. Andererseits schien er sonst niemanden an seine Haare zu lassen. »Was machen wir dann Schönes, wenn die anderen sich einen Beautynachmittag gönnen?«, sprach Channing mich an. »Oder wolltest du auch?« »Nein, eher nicht.« Ich mochte kein Make-up. Es störte mich schon, wenn ich es nur für kurze Zeit bei Turnieren tragen musste. »Also auch keine Vorschläge?« Lauernd sah le mich an. »Na komm, spuck’s schon aus. Was hast du dir ausgedacht?« »Ich wollte eine neue Hebefigur ausprobieren. Ich bin nicht ganz sicher ...« »Channing, lass das, bitte! Das wird schiefgehen«, bat Ryan und wandte sich lir mit besorgtem Blick zu. Le seufzte. »Wie du hörst: Ryan hält es für zu gefährlich. Deshalb würde ich es gerne erstmal allein versuchen, bevor ich das im Cheerleading-Team vorstelle.« Er wollte erneut etwas sagen, wurde jedoch von Gail unterbrochen: »Lass lich es doch ausprobieren. Izzy hat genug Erfahrung. Wenn er meint, dass das nicht möglich ist, dann hört le viel eher auf ihn.« Zweifelnd sah er zu mir, schien sich versichern zu wollen, dass ich sein Freundil wirklich davor bewahrte, sich zu verletzen. »Keine Angst, ich pass schon auf lich auf«, versicherte ich ihm. Wenn er es für eine schlechte Idee hielt, dann musste es schon sehr gewagt sein. Ein wenig stachelte mich das ja schon an. »Na gut ... Wenn wir es knallen hören, dann wissen wir Bescheid.« So ganz schien er noch nicht überzeugt, aber letztendlich vertraute er mir wohl. Steve lehnte sich etwas zu mir und fragte recht leise: »Hattest du nicht gesagt, dass du im Moment nicht trainieren darfst?« »Was?! Warum sagst du nichts?«, meckerte Channing sofort. »Die Trainingssperre ist aufgehoben. Wenn es wirklich nur eine Hebefigur ist und ich dich nicht durch die Gegend werfen soll oder wieder auf Rollen steige, ist alles in Ordnung.« Sie brauchten sich wirklich keine Sorgen machen. Wäre die Verletzung nicht ausgeheilt, hätte ich das schon gesagt. Nach 20 Jahren Sportakrobatik konnte ich gut einschätzen, was ich meinem Körper zutrauen konnte. »Was ist denn passiert?« Mich wunderte, dass Gail ihnen nichts gesagt hatte. Sonst war sie doch die Erste, die immer alles erzählte. Dann war es wohl an mir. »Ich hab mich beim Training langgelegt und das Handgelenk gebrochen.« »Und warum Rollen?«, fragte Summer nach. »Oh, haben wir uns so lange schon nicht mehr gesehen?« Vehement und mit vorwurfsvollen Blick schüttelte sie den Kopf. »Ich brauchte mal eine neue Herausforderung und hab mit Rollschuhgymnastik angefangen. Offenbar liegt mir das aber nicht so gut.« »Hu, dann pass nur auf, dass du dir nicht noch irgendwann das Genick brichst.« »Werd ich nicht, ich versprech es dir.« Ganz im Gegenteil, ich hatte den Entschluss gefasst, es sein zu lassen. Nicht, weil ich es mir nicht zutraute, sondern weil ich merkte, dass es mir nicht so viel Spaß machte wie gehofft. »Lasst uns abräumen. Oder möchte noch jemand was?« Da alle den Kopf schüttelten, sammelte Ryan die Teller ein. Wir standen ebenfalls auf und halfen. Nachdem jeder zweimal gelaufen war, stand alles in der Küche. Steve und ich machten den Abwasch, während alle anderen schon einmal Vorbereitungen trafen und darüber diskutierten, wer wohin ging. Kapitel 10: ------------ Ich fing Channing auf und setzte lich lachend auf dem Boden ab. »Ist alles in Ordnung?« »Ja, alles gut.« Le lächelte und befreite sich von meinen Händen. »Danke, dass du es versucht hast.« »Kein Problem. Besser als hättest du erst beim Training bemerkt, dass das so nicht geht.« »Dennoch, deine Tipps waren echt klasse und sind sicher Gold wert. Hast du dir mal überlegt, wenn du selbst nicht mehr turnen kannst, Trainer zu werden?« Le schnappte sich die Handtücher von der Couch. Mit einem tupfte le sich ab, das andere gab le mir. Mit einem Nicken nahm ich es lir ab. »Danke. Vielleicht. Ich hoffe ja, dass es bis dahin noch ein paar Jahre sind.« »Du solltest es dir wirklich überlegen. Du hast super viel Erfahrung und kannst gut erklären. Außerdem macht das total viel Spaß mit den Kindern.« Eher ablehnend zuckte ich mit den Schultern. »Ich kann nicht so gut mit Kindern. Vermutlich würde ich eher die Amateure trainieren.« Le seufzte und verdrehte dabei die Augen. »Izzy, du solltest wirklich lernen, dir mehr zuzutrauen. Vertrau mir, du könntest auch Turnierakrobaten trainieren. Du solltest es wirklich versuchen.« Ich wischte mit dem Handtuch über mein Gesicht, damit le nicht bemerkte, dass ich rot wurde. Ich wusste doch selbst, dass ich mich manchmal kleinredete. »Oh, ihr seid auch fertig?« Summer kam die Treppe herunter. »Wollt ihr dann eure Lieblinge sehen?« »Natürlich!« Channing ließ sich auf der Kante der Couch nieder und sah gespannt zur Treppe. Ich setzte mich daneben und legte meine Hand leicht auf leine, da le sie nervös miteinander verknotete. Ich konnte mir Ryan auch nicht mit Make-up vorstellen, daher verstand ich leine Aufregung. Anderseits half mir der Körperkontakt, selbst nicht zu angespannt zu sein. »Gut, dann können wir ja anfangen. Meine verehrten Menschen, hiermit eröffne ich die erste Westbourne-Makeover-Show.« Channing und ich sahen uns kurz an, grinsten, dann klatschten wir übertrieben begeistert. Was hatten wir auch erwartet, wenn wir die fünf allein ließen? »Unser erster Kandidat ist Ryan ... Fass-mir-nicht-ins-Auge. Gestylt wurde er von der wunderbaren Gail, die ihm nicht nur die Haare geschoren, sondern auch ein bezauberndes Make-up aufs Gesicht gezaubert hat.« Hinter der Ecke trat Ryan hervor und lief die Treppe hinunter. Er hielt genau auf Channing und mich zu. Le hielt verblüfft den Atem an. Ryan sah wirklich umwerfend aus. Es war eine gute Idee gewesen, Gail diese Arbeit zu überlassen, weder Summer noch Abby hätten die Erfahrung gehabt, die Farben so gut auf seinen Teint abzustimmen. Ich hatte keine Ahnung, wie sie es hinbekommen hatte, aber sein Gesicht wirkte schmaler, die einzelnen Partien waren stärker betont, wobei es bis auf einen leichten, sicher beabsichtigen, Silberschimmer komplett natürlich aussah. Gleichzeitig überdeckte es kaum den Dreitagebart, was ihn auf mich sehr attraktiv wirken ließ. Den Augenlidern hatte sie ein sanftes Blau und – wie ich erkannt, als er näherkam – kleine Strasssteinchen verpasst. Lediglich den fast weißen Lippenstift fand ich nicht so schön, doch er schien sich damit wohlzufühlen. Vor seinem Freundil blieb er stehen und hob fragend die Augenbraue. Ein paar Mal öffnete le den Mund und schloss ihn wieder, dann hauchte le: »Wow!« »Ist das ein gutes oder ein schlechtes Wow?« Ich hatte ihn noch nie so verlegen gesehen. Er lachte leicht und führte den angewinkelten Finger zum Mund, als wollte er sich auf den Knöchel beißen. Channing stand auf, hielt die Hand fest und küsste ihn. »Ein gutes Wow.« »Das ist gut zu hören. Es hat nämlich echt viel Arbeit gemacht, weil er einfach nicht stillhalten wollte.« Ich war so fokussiert auf Ryan, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass Gail ihm gefolgt war. »Nein, du hast gute Arbeit gemacht.« Channing ließ leinen Partner los und ging zu Gail, um ihr ebenfalls einen sanften Kuss zu geben. Vor Freude strahlte sie und fuhr dann mit der Hand über die Stoppeln auf Ryans Kopf. Offenbar war sie der Meinung, dass radikal kurz die beste Option war. »Dann musst du mal sehen, was Abby gemacht hat.« Sobald wir saßen, räusperte sich Summer und verkündete: »Unser zweites Modell ist Steve Kleeblatt. Die Schermaschine wurde von Abby geführt, die auch für das farbenfrohe Make-up verantwortlich ist.« Oh Gott! Abby hatte ihm doch hoffentlich nicht auch die Haare geschoren! Erleichtert atmete ich auf, als Steve im Gegensatz zu Ryan nicht langsam die Treppen herunterkam, sondern immer zwei Stufen auf einmal nahm und dann die letzten drei heruntersprang. Er hatte seine Haare noch, Abby hatte lediglich den Undercut nachgeschnitten. Dafür hatte sie die – zugegebenermaßen sehr unnatürlich aussehende – schwarze Farbe daraus entfernt. Jetzt waren sie mittelbraun und die vordersten Strähnen erstrahlten in leuchtendem Grün. Das passte sich auch dem Make-up an, das er im Gesicht trug. Es war nicht ganz so auffällig wie bei Ryan, sondern sehr dezent und betonte seine grau-grünen Augen. Strahlend kam er auf mich zu und sprang mir schon fast auf den Schoß. Triumphierend hielt er mir die Fingernägel unter die Nase, die eine ähnliche Farbe angenommen hatten wie seine Haarsträhnen. »Schau mal, wie toll die geworden sind!« Damit er nicht runterfiel, legte ich einen Arm um seine Taille und rutschte noch ein Stück auf die Couch. Ich nahm seine Hand in meine und betrachtete sie eingehend. Die Nägel waren nicht durchgängig grün, Abby hatte sie mit feinen blauen Strichen verziert und jeweils an den kleinen Finger ein rotes Steinchen geklebt. Sanft strich ich mit dem Daumen über Steves Handrücken. »Das ist wirklich fantastisch.« Ich sah kurz auf, um Abby ansehen zu können, die die Treppe herunterkam. »Danke dir.« Sie lächelte nur und winkte ab. Ich hätte sowieso keine Aufmerksamkeit mehr für sie übergehabt, da mir Steve um den Hals fiel und sich an mich drückte. »Danke, danke, danke!« Um kein Make-up im Gesicht zu haben, küsste ich ihn in die Halsbeuge. Wer hätte ahnen können, dass ihn eine solche Kleinigkeit so glücklich machen würde. »Bitte schön. Hauptsache, es gefällt dir.« »Ja, total!« Er lehnte sich etwas zurück und sah auf seine Nägel. »Schade, dass ich das morgen früh schon wieder abmachen muss.« Hilfesuchend sah ich auf, doch auch meine Freunde schienen ratlos und schauten etwas betreten drein. Also war es an mir, ihn wenigstens etwas zu trösten: »Lass es doch wenigstens die Fahrt über drauf. Ich wollte eh Abby und Gail erst zu Hause absetzen, bevor ich dich wegbringe. Dann kommst du kurz mit hoch und wir machen das ab.« Meine beiden Freundinnen nickten bekräftigend, als Steve kurz zu ihnen sah. Und sofort strahlte er wieder. »Und was sagst du zu den Haaren?« »Steht dir. Geht das denn mit deinem Job in Ordnung?« »Das ist nur Sprühfarbe, die geht nach einmal waschen raus«, erklärte Gail, die es sich mittlerweile gemeinsam mit Summer ebenfalls auf der Couch bequem gemacht hatte. »Ich war schon froh, dass ich Entfärber gefunden habe, dann auch noch richtige Haarfarbe zu finden wäre wirklich Glück gewesen.« »Das ist der Vorteil, wenn so viele Leute im Haus ein- und ausgehen: Im Laufe der Zeit hat man von allem etwas da, weil jeder irgendwas vergisst«, erklärte Ryan, bevor ich nachfragen konnte, warum sie so etwas überhaupt hatten. »Was sagst du eigentlich zum Make-up?«, fragte Gail. »Das sieht doch richtig cool aus, oder?« Kurz überlegte ich, dann entschied ich mich, die Wahrheit zu sagen. »Es sieht ganz gut aus, aber ehrlich gesagt, gefällt mir Steve ohne besser.« Er grinste. »Das ist gut, ich mag es nämlich auch nicht so. Es ist ganz witzig, das Mal auszuprobieren, aber ich glaub, es ist nicht so ganz meins. Aber Abby hat mir noch gezeigt, wie ich ganz dezent, welches raufmachen kann. Ich glaub, das mach ich irgendwann mal.« »Klar. Wenn du willst, kannst du dafür zu uns kommen. Wir haben einiges da«, bot ich ihm an. Statt darauf zu antworten, drückte er mir einen Kuss auf die Lippen und lehnte dann den Kopf gegen meine Brust. Einen Moment später murrte er und erhob sich von meinem Schoß. »Ich seh nichts.« Kurz war ich über die Aussage verwirrt, dann wurde mir klar, dass die anderen rechts von mir saßen, er in dieser Haltung aber das Auge verdeckte. Bevor ich den Entschluss fassen konnte, mich ans andere Ende zu setzen, fragte Gail: »Wo hast du jetzt eigentlich Agathe? Du wolltest uns doch noch was zeigen.« »Ach ja!« Steve sprang auf und rannte erst zum Esstisch, dann in die Küche. »Oben, neben dem Bett«, klärte ich ihn auf, bevor er verzweifelte. Mir war schon oft aufgefallen, dass er Dinge liegenließ und dann fast vergaß, daher hatte ich es lieber nach oben gebracht, bevor es in der Küche verloren ging. »Danke!« Er rannte an mir vorbei, gab mir einen erneuten Kuss auf die Wange, dann verschwand er nach oben. »Lass mich raten, was du denkst: So süß!«, feixte Summer und stieß mir mit de Ellenbogen in die Rippen. »Du hast regelrecht Herzchen in den Augen, wenn du ihm nachsiehst.« Channing lächelte mich an, als ich wieder zu ihnen sah. »Gail, du solltest aufpassen. Wenn er so weitermacht, dann läuft er dir nicht nur den Rang bei Izzy ab, sondern auch noch den als die aufgedrehteste Person von uns«, neckte Ryan meine beste Freundin. Bevor ich reagieren konnte, saß diese mit dem Rücken zu mir auf meinem Schoß. »Das glaubst aber auch nur du. Izzy nimmt mir niemand weg.« »Richtig. Darf ich dich trotzdem darauf hinweisen, dass du schwer bist?« Sie schnaubte beleidigt und machte sich bewusst noch schwerer. Ächzend ergab ich mich meinem Schicksal. Als Steve einen kurzen Moment später wieder nach unten kam, warf er ihr einen verwunderten Blick zu, bedeutete ihr mit einer Handbewegung aber, sitzen zu bleiben. Er hockte sich mitten zwischen die anderen, schaltete sein Handy an und suchte etwas. »Da!« Er hielt es in die Runde und zeigte allen das Bild, das er auch mir am Vorabend gezeigt hatte. Unweigerlich verzog ich erneut das Gesicht. Wer war dieser Typ? »Oh, das sieht auch echt gut aus. Schade, dass wir nicht so viel verschiedenen Nagellack hier hatten«, bedauerte Abby, als sie auf den Bildschirm sah. »Das steht dir wirklich.« »Du hast das trotzdem gut hinbekommen«, lobte er sie. »Und das ist dein Freund, der dir das gemacht hat?«, fragte Ryan und deutete auf den anderen. Steve nickte. Summer sah sich das Bild ebenfalls noch einmal genauer an und stockte. »Ist das nicht ... das ist doch Samsa, oder?« Steve sah verwundert auf und nickte erneut. »Ja. Woher kennst du ihn?« »Er war mal Sänger in einer Band, die vor ein paar Jahren sehr bekannt war. Death Demons. Das müsste dir doch auch was sagen, oder?«, wandte sie sich an mich. Ich überlegte kurz. Ja, doch, das sagte mir etwas. Sie waren wirklich sehr angesagt gewesen und dann genauso schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Das Schicksal vieler Bands. »Ja, gab es da nicht irgendeinen Skandal?« »Welchen meinst du denn? Dass sie sich getrennt haben, weil der Gitarrist drogenabhängig war, oder dass sie es sich ziemlich mit ihren Fans verscherzt haben, weil sie Fanfiktions über sich verboten haben und sogar gerichtlich dagegen vorgegangen sind?« Summer rümpfte die Nase. Ich schüttelte den Kopf. Nein, nichts davon sagte mir etwas. »Vermutlich erinnert sich Izzy eher daran, dass der Sänger – Samsa war’s? – und der Gitarrist – keine Ahnung, wie der hieß – gerüchteweise ein Paar waren«, mutmaßte Abby. »Ich kann mich aber auch nur wegen der vielen aufgebrachten Fanfiktionschreiber*innen an die erinnern. Angeblich sollen die die Fics nur verboten haben, weil sie zu nah an der Wahrheit waren.« »Stimmt das eigentlich?«, fragte Summer an Steve gewandt nach. »Du scheinst ihn ja zu kennen, weißt du das?« Als ich meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete, hatte ich das Gefühl, dass er etwas bleicher geworden war. Für einen Moment sah er Summer einfach nur an, dann schüttelte er hastig den Kopf. »Nein, keine Ahnung.« Kurz tauschte ich einen Blick mit meiner besten Freundin. Hatte sie das auch bemerkt? Ja, auch sie schien besorgt. »Ich muss aber zugeben, ich kann mit dem Bandnamen nichts anfangen. Ich kannte bis zu unserem Treffen nur einen Nickname von ihm. Erst da hab ich erfahren, dass er Musiker ist, aber wusste nicht, dass er so bekannt war.« Gut, vielleicht musste ich mir doch keine Sorgen machen. Vielleicht war er einfach nur wegen des Bekanntheitsgrads seines Bekannten nervös geworden. Zumindest wirkte diese Antwort schon bei Weitem nicht mehr so nervös und fahrig wie die zuvor. »Dann hast du auch noch nie seine Musik gehört?«, fragte Gail nach und stand bereits auf. »Nee, noch gar nicht. Wäre interessant.« Langsam schien sich Steve wieder zu beruhigen. Gail schaltete die Wii an, nahm eine Fernbedienung mit und loggte sich dann darüber ins Internet ein. Routiniert navigierte sie, bis sie auf Youtube ein Video aufrief. Während alle anderen gespannt darauf warteten, dass es startete, erhob ich mich von der Couch. Schon die Vorschau des Kerls, der halbnackt auf der Bühne stand, war mir zu viel. »Ich geh mal duschen.« Nur Channing sah mich kurz an, die anderen nickten als Zeichen, dass sie mich verstanden hatten, nahmen den Blick aber nicht vom Fernseher. Kapitel 11: ------------ »Trag ihn doch hoch«, flüsterte Gail mir zu. »Nein.« Ich wollte Steve nicht das Gefühl geben, wie ein Kind behandelt zu werden. Es war zwar wirklich schön, ihn schlafend in meinem Arm zu halten, aber ich würde ihn so nicht ins Schlafzimmer tragen und dann vielleicht auch noch ausziehen. Zumal er sicher noch seine Piercings wechseln wollte. Zärtlich streichelte ich ihn wach und erklärte ihm, dass der Film, den wir uns alle im Wohnzimmer angesehen hatten, zu Ende war und wir ins Bett gehen sollten. Nicht nur er war eingeschlafen, auch Channing schlief in den Armen leines Freundes. Leise erklärte er Gail, dass sie noch eine Weile unten blieben. Nach einem kurzen Kuss folgte sie ihrer Freundin und Summer nach oben, ich wartete noch einen Moment, bis Steve so weit wach war, laufen zu können, dann folgten wir. Oben gingen wir beide ins Bad, bevor wir uns gemeinsam ins Bett kuschelten. Da Steve sich das Make-up vom Gesicht waschen musste, wirkte er nun wieder etwas wacher. Das zeigte sich auch, als er seine Hände unter mein Shirt schob und lachte, als ich zurückzuckte, weil er mich kitzelte. Da er nicht aufhörte, schnappte ich mir seine Hand und hielt sie fest. »Wolltest du nicht gerade noch schlafen?« »Ja und nein. Eigentlich mag ich die letzten Stunden mit dir noch ausnutzen.« »Wenn du magst, können wir noch ein wenig reden, aber denk daran, dass wenigstens ich morgen fahren muss.« Er wirkte ein wenig traurig, nickte aber. »Vielleicht sollten wir dann direkt schlafen?« Zärtlich strich ich ihm mit den Fingerspitzen über die Wange und lächelte. »Ist schon okay, eine Weile bin ich sicher noch wach. Und du bist viel zu aufgedreht, um jetzt zu schlafen.« »Ja, vermutlich hast du recht.« Er kuschelte sich an mich. »Danke, dass du mich gefragt hast, ob ich mitkomme. Das Wochenende war unglaublich schön.« Zärtlich legte ich einen Arm um ihn. »Freut mich, dass es dir so gefallen hat. Ich hatte schon Angst, dass es dir zu viel werden könnte.« »Nein, überhaupt nicht! Ich mag deine Freunde. Ich wünschte, ich hätte auch solche.« Mit der Hand wanderte ich über seinen Oberarm. »Die hast du doch jetzt. Du solltest nur nicht vergessen, sie morgen noch nach ihren Nummern zu fragen. Ich bin sicher, besonders Abby freut sich darüber.« »Abbys hab ich schon«, verkündete er stolz. »Sie wollte mir, wenn ich wieder zu Hause bin, noch ein paar Links schicken.« »Darf ich fragen worüber?« »Ehm ...« »Du musst es mir nicht sagen, wenn du nicht möchtest«, schob ich schnell hinterher. Er sollte nicht das Gefühl bekommen, mir alles sagen zu müssen. »Doch, schon ... Also sie wollte mir ein paar Infoseiten über trans Personen schicken.« Verstehend nickte ich. »Dich interessiert das Thema also?« »Na ja, ja. Also, ich glaub ... ich bin nicht ganz männlich. Aber auch keine Frau! Nur eben nicht wirklich ein Mann. Also, wenn das überhaupt Sinn macht.« »Klar macht das Sinn.« Zärtlich streichelte ich über seinen Nacken. »Du weißt aber schon, dass du nicht weniger männlich bist, nur weil du Nagellack magst, oder?« »Ja, natürlich!« »Tut mir leid, ich wollte es nur angemerkt haben, nicht, dass du meinst, dass du deshalb ... ach, du weißt, was ich sagen möchte, oder?« Er nickte, küsste mich dann zärtlich. »Ja, weiß ich. Aber nein, das ist es nicht. Es ist irgendwie ... Ich kann’s nicht wirklich erklären. Als ich gestern mit Channing und Abby geredet habe, da fühlte sich einiges recht vertraut an, was sie erzählt haben. Also gerade bei Channing. Ein paar Sachen kann ich total nachempfinden und ... Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Vielleicht ist es auch nur Einbildung, weil ich die beiden so mag, oder irgendwas. Aber ... Ach, keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, was ich stattdessen bin.« Da er zum Ende hin immer unsicherer geworden war, erklärte ich ihm: »Es ist vollkommen in Ordnung, wenn du dir unsicher bist oder noch nicht die richtigen Worte hast. Ich weiß nicht, was sie dir genau erzählt haben und es geht mich auch nichts an, aber auch sie brauchten Zeit, sich selbst zu finden. Niemand erwartet von dir, das direkt zu wissen. Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst und wenn du Fragen hast, Channing und Abby beantworten sie bestimmt gern, wenn du lieb fragst.« Er nickte. »Ja, das haben sie mir schon angeboten. An uns ändert das aber nichts, oder? Ich meine, du hast doch gesagt, du stehst nicht nur auf Männer.« Ein leichtes Lachen konnte ich mir nicht verkneifen. »Natürlich nicht. Ich mag dich, wie du bist, und, nur weil du dich selbst entdeckst, ändert das an dir als Person nichts. Also klar, kann so eine Selbsterkenntnis etwas an dir verändern, aber sicher nicht zum Schlechten. Ich würde mich freuen, wenn ich dich auf deinem Weg begleiten dürfte. Und wenn ich dir irgendwie helfen kann, und sei es nur zum Reden, kannst du jederzeit zu mir kommen.« »Danke.« Steve schlang den Arm um meine Taille und drückte das Gesicht dichter an meine Brust. Zärtlich streichelte ich über den Kopf. Schade, dass Steve glaubte, sich dafür bedanken zu müssen. Dabei war es für mich selbstverständlich. »Gibt es denn etwas, was ich im Moment ganz konkret für dich tun kann? Zum Beispiel dir mit Sachen aushelfen oder dich, wenn wir allein sind, mit einem anderen Namen und/oder Pronomen ansprechen?« »Ich weiß nicht. Vermutlich sollte ich etwas ändern, oder? Aber ich hab das Gefühl, dass es noch zu früh ist, mich festzulegen.« »Niemand verlangt von dir, dich festzulegen. Du kannst jederzeit ausprobieren, was sich für dich gut anfühlt. Und wenn du erstmal oder für immer bei deinem jetzigen Namen und Pronomen bleiben möchtest, dann ist das auch in Ordnung. Es ist deine Entscheidung, wie du dein Geschlecht ausdrücken möchtest. Ich wollte dir nur die Möglichkeit bieten, dich in einem vertrauten Rahmen auszuprobieren. Tut mir leid, wenn du dich dadurch bedrängt fühlst. Das war überhaupt nicht meine Absicht.« Da war ich wohl etwas voreilig gewesen. Dabei wollte ich doch nur zeigen, dass ich, so gut es ging, helfen wollte. »Nein, so hab ich das doch gar nicht verstanden. Es ist nur: Ich würde schon gern einiges probieren, aber ich weiß nicht genau wie. Also zum Beispiel Pronomen. Geh ich dann einfach hin und sag: ›Die nächsten drei Wochen sprecht ihr mich bitte mit le an‹ oder wie? Und was ist, wenn mir das dann doch nicht gefällt?« »Ja, so in etwa kannst du das machen. Wenn du ein Pronomen für dich ausprobieren willst, dann kannst du das denjenigen sagen, denen du damit vertraust, und die tun das dann. Und wenn du merkst, dass es dir doch nicht gefällt, dann sagst du ein anderes. Genauso mit dem Namen. Aber du kannst es genauso gut auch erstmal für dich im Kopf ausprobieren, bis du dir sicher bist. Dafür gibt es keine Regeln, du solltest das tun, was sich für dich richtig anfühlt.« »Wenn ich also sage, dass ihr mich als nicht-binäre Person ansprechen sollt, dann sag ich euch das einfach und ihr sprecht dann von ›le‹?« »Oder eben mit einem anderen Pronomen, das du gerne möchtest, ja.« »Es gibt noch mehr?« Steve riss die Augen auf. »Klar.« Lachend zählte ich ihm die Pronomen auf, die mir spontan einfielen. »Aber du kannst auch bei ›er‹ bleiben, wenn es sich für dich besser anfühlt. Oder sogar ›sie‹ oder sagen, dass du gar kein Pronomen für dich möchtest.« »Nein, ›sie‹ fühlt sich komisch an. Und ›they‹ kenn ich, wenn man nicht weiß, welches Geschlecht jemand hat, aber hab ich noch nie für eine Person explizit gehört. Aber das klingt interessant!« Es war süß, wie aufgeregt Steve plötzlich wurde. Das war schon ziemlich ansteckend. »›They‹ ist sogar ziemlich gängig. Soll ich es mal für dich versuchen, damit du weißt, wie es sich anfühlt?« »Ja, gern!« Kurz überlegte ich, bis mir passende Sätze einfielen. Hoffentlich war das nicht zu viel des Guten. »Ich mag Steve. They ist sehr nett und besonders mag ich their lustige und neugierige Art. Ich verbringe gern Zeit mit them.« Steve lachte und their Wangen färbten sich rot. »So hab ich mir das jetzt nicht vorgestellt.« »Wie denn sonst?« Lächelnd strich ich them eine Strähne hinters Ohr. »Weniger kitschig? Ich meine ... ich find es süß und bin mir sicher, du meinst es ernst, aber es ist trotzdem etwas peinlich.« »Tut mir leid. Ich wollte nicht kitschig sein. Aber das war das Erste, was mir zu dir einfiel.« »Ist in Ordnung.« They küsste mich. »Soll ich es nochmal probieren und etwas sachlicher?« They schüttelte den Kopf. »Nein. Ich glaub, das ist nichts für mich. Das fühlte sich nicht an, als würdest du über mich reden, sondern über jemand anderes mit dem Namen Steve.« »Magst du ein anderes Pronomen versuchen?« »Nein, ich glaub, für heute lass ich es. Ich muss mir das nochmal überlegen. Vielleicht wissen ja auch Channing und Abby noch ein paar oder können mir sagen, wie ich das machen kann, dass es sich auch so anfühlt, als würdest du wirklich über mich reden und nicht über andere.« »Klar, kein Problem. Niemand hetzt dich. Dann bleibst du vorerst bei ›er‹?« »Ja.« Er nickte bekräftigend und küsste mich dann noch einmal. »Dennoch: Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast.« »Nicht der Rede wert. Ich würd es jederzeit wieder tun. Wenn du magst auch weniger kitschig.« Grinsend kuschelte er sich dichter an mich. »Danke. Wollen wir dann schlafen?« »Sicher.« Ich griff über ihn hinweg und schaltete das Licht aus, bevor ich meine Arme um ihn schlang. Kapitel 12: ------------ »Möchtest du mich langsam loslassen? Wir sollten runter zum Essen.« Steve hatte mich scheinbar die ganze Nacht nicht losgelassen, den er schlang noch immer den Arm um mich, als ich aufwachte. Auch nach einer halben Stunde, in der wir gedöst und gekuschelt hatten, lockerte sich sein Griff nicht. »Nur, wenn ich muss.« »Na ja, aufstehen, anziehen, essen, nach Hause fahren, das alles wird so wirklich schwer.« Er murrte. »Können wir das Frühstück nicht ausfallen lassen?« »Können schön, aber ich würd es nicht gerne tun. Dann müssen wir unterwegs öfter halten und sitzen länger im Auto.« »Hast ja recht.« Er drückte sich noch einmal näher an mich. Ich vergrub meine Nase in seinen Haaren und sog seinen Geruch ein. »Du kannst mich jederzeit besuchen kommen, wenn du magst, und auch über Nacht bleiben.« Er sah auf und strahlte mich an. Zu meiner Freude nahm er diesmal das Angebot, ohne zu überlegen, an. »Ja, gern.« »Musst du morgen wieder arbeiten?« »Nein, ich hab mir freigenommen, weil ich nicht wusste, wie anstrengend das mit dem Fahren wird.« »Möchtest du dann vielleicht mit zu uns kommen. Ich würde dich dann morgen nach Hause fahren.« Mit klopfendem Herzen wartete ich auf seine Antwort. Eine weitere Nacht mit ihm wäre für mich ein Traum. Lange sah er mich an, zögerte. »Ich würde gern, aber ich kann nicht. Ich muss heute nach Hause. Tut mir leid.« »Du musst dich nicht entschuldigen. Wenn dir ein anderes Mal lieber ist, ist das in Ordnung.« Natürlich konnte ich nicht verbergen, dass ich enttäuscht war, aber das war kein Grund, sich zu entschuldigen. Er hatte sicher seine Gründe. »Wenn du magst, könnte ich am Mittwoch vorbeikommen. Dann bringe ich auch einen Anime mit, den wir uns ansehen können.« »Gern. Geht das denn so ohne weiteres bei dir unter der Woche?« »Ja. Ich kann direkt nach der Arbeit zu dir kommen und fahr dann am Morgen auch von dir aus dorthin.« »Klingt nach einem guten Plan.« Sehr gut sogar. Es freute mich, dass er selbst einen Termin nannte. Das zeigte mir, dass er mich nicht nur vertrösten wollte. »Es kann nur sein, dass ich noch nicht zu Hause bin, wenn du kommst, aber Gail müsste da sein.« »Ist in Ordnung, wir kommen schon ohne dich klar.« »Ja, das befürchte ich auch.« Sein Grinsen bestätigte mich darin, dass es auch zu meinem Nachteil ausgehen konnte, wenn ich sie allein ließ. »Keine Sorge, wir machen schon nichts kaputt.« Ich hob zweifelnd die Augenbraue. Davon würden sie mich noch überzeugen müssen. Scheinbar sollte der zärtliche Kuss, den er mir gab, das erledigen. »Dann sollten wir wohl aufstehen?« »Ja, bevor Summer gleich wieder hier ist.« Ich küsste ihn noch einmal, dann stand ich auf und ging mit ihm gemeinsam ins Bad. Nachdem ich Abby und Gail zu Hause abgesetzt hatte, fuhr ich Steve nach Hause , von dort wollte ich zu meinen Eltern, um Mausi zu holen. Ich brauchte es morgen wieder. Kurz vor Deadwood fragte Steve plötzlich: »Kennst du den Amish Shop, gleich rechts an der Straße?« »Ja. Warum? Was willst du kaufen?« Aus den Augenwinkeln sah ich, dass Steve grinste. »Nichts. Gegenüber ist ein Feldweg, fahr da rein.« »Okay.« Gab es doch noch eine Abkürzung hier in der Gegend, die ich nicht kannte? Sobald das Schild des Ladens in Sicht kam, hielt ich nach dem Feldweg Ausschau. Tatsächlich befand er sich genau gegenüber. Er bestand lediglich aus trockenem Boden und war offenbar von einer großen Maschine gewalzt worden. Vermutlich eines der Geräte, die in der Mine verwendet wurden, aber damit kannte sich Steve deutlich besser aus als ich. Sobald ein paar Bäume die Sicht auf die Hauptstraße versperrten, bat Steve: »Halt mal bitte an.« Da ich nicht wusste, wie viel Verkehr auf dem Weg herrschte, suchte ich mir eine Stelle, an der ich an den Rand fahren konnte, und hielt. Erwartungsvoll sah ich zu ihm herüber. Bevor ich fragen konnte, was er hier wollte, legte er mir die Hand auf den Oberschenkel und erklärte: »Ich wollte mich schonmal von dir verabschieden, bevor wir in der Stadt sind. Weil ... na ja, du weißt schon. Man weiß nie, ob die Nachbarn gerade schauen.« »Klar. Hab ich nicht dran gedacht. Danke fürs Erinnern.« Ich schaltete vorerst den Motor aus. Er beugte sich zu mir und wartete, dass ich ihn küsste. »Danke, dass du mich eingeladen hast. Ich hatte schon lange kein so tolles Wochenende mehr. Ich hätte es wirklich bereut, das Angebot nicht anzunehmen.« »Ich freu mich auch, dass du dabei warst. Es war wirklich schön, dich endlich mal richtig kennenzulernen, nicht immer nur für ein paar Stunden.« Zärtlich streichelte ich mit den Fingerspitzen durch das rasierte Haar. Obwohl er heute Morgen versucht hatte, die Farbe aus dem Pony zu waschen, war sie noch immer leicht zu sehen. Hoffentlich bekam er das wieder hin, bevor er zur Arbeit musste. »Ja. Ich freu mich schon auf Mittwoch.« Er griff nach meinem Nacken und zog mich näher, damit er mich noch einmal küssen konnte. »Wir hätten das definitiv schon viel früher machen sollen. Tut mir leid, dass ich dich so hingehalten hab.« »Es war ein Missverständnis, mehr nicht. Mach dir deshalb keinen Kopf.« »Ich versuch’s. Immerhin haben wir alle Zeit der Welt, das jetzt aufzuholen.« Er lächelte mich noch einmal an, dann lehnte er sich zurück in den Sitz. Ich sah das als Zeichen, ihn nach Hause zu bringen. Ich startete den Motor wieder, wendete und fuhr nach Deadwood. Erst als wir in die Wohngegend abbogen, in der Steve wohnte, nahm er die Hand von meinem Oberschenkel. Vor dem Haus seiner Eltern hielt ich und beobachtete ihn, wie er sich abschnallte und aus dem Wagen stieg. Er ging um das Auto herum und holte seine Tasche aus dem Kofferraum. Bevor er ihn wieder zuschlug, rief er: »Danke nochmal. Wir sehen uns Mittwoch! Bis dann.« »Bis Mittwoch.« Der Kofferraum fiel zu und er lief auf die Hochveranda zu. Mit einem fröhlichen Lachen winkte er mir, während ich anfuhr. Epilog: -------- Zärtlich küsste ich Steves Hand und betrachtete für einen Moment verträumt die bunten Fingernägel. In den letzten acht Monaten hatte ich sie kaum ohne Lack gesehen, doch so bunt waren sie selten. Für die Arbeit musste sier halbwegs seriös wirken, weshalb sier sich da auf unauffällige Farben beschränkte. Auffällige und knallige Farben hob sier sich für besondere Anlässe auf. So wie heute. Ich vermutete, dass es siem bei sienem Vorhaben Sicherheit verlieh. Sier fühlte sich damit so wohl. »Du musst nicht. Ich kann auch wieder fahren«, erinnerte ich sien, als ich merkte, dass sier zögerte. Steve hob eine Augenbraue. »Du willst, dass ich mich die nächsten Tage rollend fortbewege, oder? Ich muss den Kuchen meiner Mutter dann ganz allein aufessen.« Sier kam einen Schritt näher und küsste mich vorsichtig. »Außerdem will ich endlich mehr Zeit mit dir verbringen können. Und das geht nur, wenn du auch mal hierher kommst.« Ich lächelte. Nie hatte ich sien gedrängt, sich zu outen, sier hatte ganz allein angefangen, mich erst sienen Freund*innen, dann den Arbeitskolleg*innen vorzustellen. Bei sienen Eltern hatte Steve bisher gezögert, vor einer Woche dann aber gefragt, ob ich heute mit siem kam. Nur zu gern hatte ich die Einladung angenommen. Steve zog sienen Schlüssel aus der Tasche, öffnete uns damit die Tür. Im Flur hielt sier nicht, sondern ging direkt zur Küche durch. Dort stand eine ältere Frau über einen Mann etwa im selben Alter gebeugt, der in einem Rollstuhl saß. Sie band dem Mann das große Baumwolltuch hinterm Nacken zu, dass sie über seinen Oberkörper und die Beine gebreitet hatte, dann sah sie sich zu Steve um, dier grüßte. »Hallo Schatz, da seid ihr ja endlich. Ich hatte schon Sorge, dass unterwegs etwas passiert ist.« »Tut mir leid, wir haben ein wenig die Zeit vergessen.« Sier drehte sich halb nach mir um, streckte die Hand aus, damit ich näherkam. Als ich sie annahm, sah sier wieder zu sienen Eltern. Mit leichter Verunsicherung in der Stimme erklärte sier: »Das ist übrigens Izzy.« Für einen kurzen Moment zögerte siene Mutter, dann kam sie auf mich zu, lächelte und reichte mir die Hand. »Hallo, Izzy. Willkommen bei uns. Ich bin Molly. Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn wir uns duzen?« »Ja, sicher, gern.« Ich schüttelte ihre Hand. Sobald sie mich losgelassen hatte, nahm sie Steve in den Arm, streichelte siem über den Rücken und küsste siene Stirn. Was sie siem zuflüsterte, verstand ich nicht, aber sier legte ebenfalls die Arme um sie. Steves Vater war ebenfalls zu uns gekommen. Er hob die Linke ein Stück. »Hallo Izzy. Nenn mich Mike. Schön, dich kennenzulernen.« »Ich freu mich ebenfalls.« Statt mich loszulassen, hielt er meine Hand fest, auch wenn er dabei nicht viel Kraft aufwendete. Er sah mir direkt in die Augen. »Muss ich dir jetzt den Schwiegervater-Talk halten oder weißt du auch so, dass du meinen Sohn gut behandeln sollst?« »Dad!« Sofort war Steve an meiner Seite. »Was? Das macht man doch so mit Schwiegersöhnen, oder nicht? Hättest du vorher etwas gesagt, hätte ich die Rede vorbereitet. So kommt der junge Mann gerade noch darum herum.« »Keine Sorge, Mike meint das nicht ernst«, beruhigte mich Steves Mutter. »Kommt ihr dann jetzt endlich an den Tisch? Kaffee und Tee werden kalt.« »Dann bekommst du sie eben zu hören, wenn du um seine Hand anhältst.« Mike ließ mich los und lächelte mich offen an. Bevor ich dazu kam, etwas zu erwidern, schlang Steve siene Arme um mich und küsste mich auf die Wange. »Dann muss ich dir einfach nur zuerst einen Antrag machen.« Nachdem ich mich durch vorsichtiges Annähern versichert hatte, dass es für sien in Ordnung war, küsste ich Steve flüchtig. Wenn sier mir einen Antrag machte, würde ich ihn ohne zu Zögern annehmen und sien bis dahin hoffentlich auch offiziell nicht zum Ehemann, sondern zur Eheperson nehmen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)