Lügner! von Maginisha ================================================================================ Kapitel 19: Auf Messers Schneide -------------------------------- Er wartete. Vollkommen regungslos. Beharrlich. Still. Ein Staubpartikel sank vor ihm herab, durchquerte in einem taumelnden Tanz das sonnendurchflutete Rechteck, das durch das Fenster herein fiel, bevor er in den Schatten versank. Sein Blick, der dem glimmenden Funken gefolgt war, wandte sich wieder der Tür zu, die er bereits seit geraumer Zeit beobachtete. Er kannte inzwischen jede Unebenheit, jeden Riss in der weißen Farbe, jeden Fingerabdruck, jeden Kratzer. Es war wie eine Karte zu einem verborgenen Labyrinth, in dessen Zentrum sich die Lösung eines unbekannten Rätsels befand. Er widerstand dem Drang, die Linien mit den Fingern nachzufahren. Viel wichtiger als das, was er sah, war nämlich das, was er hörte. Es waren die Geräusche, die aus dem Badezimmer drangen, das sich hinter der Tür befand. Das Wasserrauschen war seit einiger Zeit verstummt. Seit dem hatte es eine Vielzahl anderer Laute gegeben. Das Reiben eines Handtuchs, das Kratzen einer Zahnbürste, das Fauchen eines Föns, das Klirren von Flaschen und das Klappen von Türen. Er wusste, dass sich die Prozedur im Inneren dem Ende entgegen neigte. Gleich. Gleich würde es soweit sein und er würde bekommen, worauf er gewartet hatte. Das Sonnenlicht brach sich in der spiegelnden Klinge eines Messers.   Schritte näherten sich der Tür, die sich im nächsten Moment öffnete. Schuldig blieb wie angewurzelt stehen. Eine Wolke verschiedener Gerüche umgab ihn wie eine Aura. „Was...? Farfarello!“ Er reagierte nicht auf die Nennung seines Namens. Er war unwichtig. Das, was in diesem Moment zählte, lag im Inneren des anderen verborgen, der ihn aus hellen, blauen Augen ansah. Augen wie der Himmel an einem Sommermorgen. Engelsaugen. „Willst du den ganzen Tag da herumstehen? Komm schon, lass mich vorbei.“ Schuldig versuchte ein ungezwungenes Lächeln auf seine Züge zu zaubern, doch Farfarello sah genau, dass er sich dabei anstrengen musste. Das war neu. Wie so vieles. Etwas hatte sich verändert. Schuldig hatte sich verändert. Farfarellos Auge wurde schmal.   Erst waren es nur Kleinigkeiten gewesen. Ein abgewendeter Blick, ein ein wenig zu bewusstes Ausweichen, ein leichtes Zögern. Es gab wenige Menschen, die sich in seiner Gegenwart ungezwungen bewegten. Er machte ihnen Angst. Bisher hatte Schuldig nicht zu ihnen gehört. Er war etwas besonderes gewesen. An dem Tag, als Farfarello ihn getroffen hatte, hatte er das erkannt. Er hatte ihn geschnitten und er hatte geblutet, aber er hatte keine Angst gehabt. Aber jetzt … jetzt hatte er Angst. „Fürchtest du dich vor mir?“ Die Frage schwebte zwischen ihnen wie ein gezücktes Messer. Schuldig runzelte die Stirn. „Was soll der Blödsinn? Natürlich fürchte ich mich nicht vor dir. Das wäre ja lachhaft.“ Schuldigs Hand griff vor, berührte ihn, schob ihn zur Seite. Scheinbar unbeeindruckt und amüsiert. Aber der Abdruck, den die Finger auf seiner Haut hinterließen, war feucht. Die Geste ein wenig zu hektisch, die Schritte, die sich von ihm entfernten, ein wenig zu schnell. „Du lügst.“ Es war keine Frage dieses Mal.   Schuldig wandte ihm den Rücken zu. Tat so, als wäre er nicht beeindruckt. Aber Farfarello hörte, wie sich sein Atem beschleunigte. Sah, wie die Bewegungen, mit den er sich anzog, ein wenig zu abgehackt waren. Schuldig nestelte an den Knöpfen eines Hemdes herum. Hellgrün wie Frühlingsgras, auf dem die Lämmer weideten. „Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber ich habe keine Zeit für solchen Unsinn. Die Nacht war lang und morgen wird die Hölle los sein. Takatoris Mega-Event. Also lass mich meinen letzten Tag noch genießen.“ Farfarello legte den Kopf schief. Er schmeckte die Worte, drehte sie hin und her. Etwas darin war falsch. Er versuchte herauszufinden, was es war.   „Etwas macht dir Angst.“ Wiederum keine Frage. Er hörte, wie Schuldig aufstöhnte. „Sag mal, willst du mich eigentlich wahnsinnig machen? Wenn ja, Glückwunsch, du hast es geschafft. Zufrieden jetzt?“   Farfarello schüttelte den Kopf. Er war keinesfalls zufrieden. Da war etwas an Schuldig, das ihn reizte. Etwas, das er nicht greifen, nicht sehen konnte. Etwas, das in seinem Inneren verborgen lag. Etwas, das ihn den Griff seines Messer fester greifen ließ. Das in ihm den Wunsch weckte, es zu verletzen, zu zerstören, zu töten. Ein Gefühl, das ihn normalerweise nur überkam, wenn er denjenigen begegnete, die sich für Gottes auserwählte Kinder hielten. Aber Schuldig war keines von ihnen. Er war ebenso wie Crawford ein Jünger des Teufels, von ihm mit der Macht ausgestattet, die anderen Schäfchen zu verderben und ins Dunkel zu locken. Farfarello hatte es erkannt und sich ihnen angeschlossen. Er wusste, dass es noch mehr von ihnen gab und sie alle sorgten dafür, dass Gottes Schöpfung langsam, aber sicher zurückweichen musste. Dass Blut und Krieg und Chaos in die Welt einzogen und sie mit Verderbtheit und Sünde überzogen, bis nichts mehr von dem übrig blieb, was ER einst erschaffen hatte. Dann würde ER erkennen, was es hieß, sich von seinen Kindern abzuwenden. Sie würden sich gegen ihn wenden und ihn töten und Farfarello würde dabei stehen und lachen. Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. „Na, Anfall vorbei?“ Schuldigs Stimme war leichter als noch vor einem Augenblick. Er musterte Farfarello. „Ich hoffe, du hast die Kaffeemaschine nicht schon wieder in der Mangel gehabt. Ich brauche das Zeug morgens wirklich. Such dir doch bitte irgendwas anderes, um deine Blasphemie auszuleben. Nicht alles, was perfekt erscheint, ist auch vom Allmächtigen geschaffen. Die Mitarbeiter der Firma Saeco würden sich zwar bestimmt freuen zu hören, dass du glaubst, dass sie unter göttlicher Führung arbeiten, aber mal ehrlich ...“ Farfarello zuckte zusammen. Das war es. Das war es, was Schuldig verändert hatte. Er stand unter dem Einfluss einer höheren Macht, die die Kräfte des Teufels in den Hintergrund treten ließ. Die ihn weich und anfällig werden ließ. Die ihn zu einem Opfer machte. „Pass auf, was du da denkst.“ Schuldigs Augen blitzten auf. „Ich bin alles andere als ein Opfer.“   Farfarello grinste. Er hob sein Messer und kam langsam auf Schuldig zu. Mit einer bedächtigen Geste setzte er die Klinge an dessen Kehle. „Aber da ist etwas an dir, das dich schwach werden lässt. Ich würde zu gern wissen, was das ist.“ „Das liegt nur an ...“ Schuldig schluckte und sein Adamsapfel streifte das scharfe Metall. „Meine Gabe. Sie ist momentan ein wenig schwer zu kontrollieren.“ Farfarello schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. „Du hast schon mal besser gelogen, Mastermind.“ Er drückte die Schneide noch ein wenig fester gegen die weiche Haut, unter der das Blut pulsierte. Es wäre leicht gewesen, es jetzt zu beenden. Schuldig versuchte ein Lachen. „Was willst du hören? Soll ich dir jetzt meine Sünden beichten? Das haben wir beide doch schon lange hinter uns.“ Farfarello lehnte sich leicht vor. „Vielleicht nicht deine Sünden, sondern deine Hoffnungen und Träume.“ Ein winziges Zucken verriet ihm, dass er den Finger auf die richtige Stelle gelegt hatte. Die Wunde gefunden hatte, in die er bohren musste. Schuldig schnaubte abfällig und wandte sich von ihm ab. „Träume und Hoffnung? So etwas habe ich nicht. Dieser Selbstbetrug ist etwas für die Schwachen auf dieser Welt.“ „LÜG MICH NICHT AN!“ Mit einem kräftigen Stoß hatte er Schuldig zu Boden geworfen. Er kniete sich über ihn und funkelte ihn mit gebleckten Zähnen an. „Da ist etwas in dir, dass dich verändert. Das dich schwach werden lässt. Das mich dazu bringt, dich töten zu wollen. Also sprich und sprich schnell, wenn dir dein Leben lieb ist. Was. Ist. Es.“ Schuldigs Brust hob und senkte sich. Er schluckte. Da war ein Flackern in seinen Augen. Farfarello sah, dass er überlegte, wie er flüchten konnte. Aber es gab kein Entrinnen. Er hatte ihn an den Boden genagelt und er hatte ein Messer. Schuldig mochte schnell sein, aber so schnell, dass er ihm entkommen konnte, war auch er nicht. „Ich … du würdest es nicht verstehen.“ Nichts als Ausreden. „Versuch es.“ Farfarellos Stimme glich mehr einen Knurren als einer menschlichen Lautäußerung.   Schuldig nickte vorsichtig. „Es ist … es ist Fujimiya. Er hat … sich in mich verliebt und ich ...“ Er schloss die Augen. „Es liegt an der Telepathie. Ich habe mich damit infiziert. Es ist wie ein Geschwür, ein Krebs, der ständig weiter wächst. Es fängt an, mich zu beeinflussen. Ich habe keine Kontrolle darüber.“ Farfarello dachte über das Gehörte nach. Es klang wie etwas, das er glauben konnte. Gott hatte einen Engel geschickt, um den Jünger des Teufels zu bekehren. Das weiße Licht in seinem Inneren hatte den Gefallenen geblendet, hatte ihn geschwächt und angreifbar gemacht. „Was wirst du dagegen tun?“ Er wusste, dass Schuldig wusste, dass mehr hinter der einfachen Frage steckte. Sie beinhaltete das Versprechen, dass, wenn er nichts unternehmen würde, Farfarello das für ihn übernehmen würde. Endgültig. „Ich … ich werde mit ihm Schluss machen. Noch heute.“ Engelsaugen sahen ihn an. „Wenn du mich aufstehen lässt, erledige ich es gleich. Dann wird alles wieder wie früher.“ Farfarello betrachtete Schuldig noch einen Augenblick, bevor er seinen Griff lockerte, sich zurückzog und den anderen aufstehen ließ. Schuldig sah missbilligend an sich herab. „Jetzt bin ich voller Staub.“ Farfarellos linker Mundwinkel hob sich. „Eitelkeit ist eine Todsünde.“ Schuldig zeigte ihm den Mittelfinger und griff nach Handy und Schlüssel. „Ich bin heute Abend zurück. Und lass die Kaffeemaschine in Ruhe.“ Farfarello betrachtete die silberne Klinge seines Messers und lächelte. Vielleicht würde er das tun.         Schuldig war aus seiner Wohnung geflohen. Er hätte gern behauptet, dass es anders war, aber so gut konnte nicht einmal er lügen. Jetzt saß er hinter dem Steuer seines Wagens und starrte blicklos auf die Straße, an deren Rand er geparkt hatte. Sein Weg hatte ihn unbewusst in das Viertel geführt, in dem Ran wohnte. Nun, vielleicht nicht ganz unbewusst. Er wusste, dass er das Problem lösen musste. Farfarellos Gedanken waren in diesen Punkt ziemlich klar gewesen. Wenn Schuldig es nicht beendete, würde er Ran töten. Und Schuldig wusste, dass er das konnte. Ran mochte mit einem Schwert umgehen können, aber egal wie gut er war, er konnte es nicht mit einem Gegner aufnehmen, der keinen Schmerz, keine Ermüdung kannte. Er musste an alte Vampirfilme denken. Ob Farfarello wohl starb, wenn man sein Herz mit einem Pflock durchbohrte? Oder musste man ihm den Kopf abschlagen? Schuldig griff nach seinem Handy. Er hatte Crawford eine Nachricht geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Das Gleiche mit Nagi. Natürlich hätte er anrufen können, aber er verspürte momentan wenig Neigung, mit noch jemandem aus seinem Team zu sprechen. Der Patzer, den er sich Farfarello gegenüber erlaubt hatte, war schlimm genug. Es hatte niemand davon wissen sollen und jetzt? Jetzt lag alles in Scherben. Er seufzte und griff nach dem Türöffner. 'Ist doch keine große Sache. Leute machen ständig mit einander Schluss. Ich sage ihm …' Seine Gedanken verliefen sich im großen Nichts. Er hatte keine Ahnung, was er Ran sagen sollte. Ein einfaches 'Es ist vorbei' würde wohl kaum ausreichen. Aber was sonst? 'Die Arbeit lässt mir keine Zeit für eine Beziehung' oder 'Wir wollen einfach zu verschiedene Dinge im Leben' waren zwar die Wahrheit, würden aber für Ran keinen Sinn ergeben. Er wusste ja nicht, wer Schuldig wirklich war. Vielleicht sollte er einfach gar nichts sagen. Spätestens morgen oder in den Tagen danach würde Ran es sowieso herausfinden. Er könnte es natürlich mit der Wahrheit versuchen, aber dann würde er vermutlich Rans Wohnung nicht mehr lebend verlassen. Er ließ seine Hand wieder in den Schoß sinken und ballte sie zur Faust. Verdammt, es war doch nur ein Gefühl. Ein lächerliches, überflüssiges, kitschiges Gefühl, das nicht einmal ihm selbst gehörte. Er hätte gewusst, wenn es so gewesen wäre. Oder anders gesagt, er wusste, dass er dieses Gefühl bisher nicht gekannt hatte. So etwas wie Liebe hatte es in seinem Leben nicht gegeben und er konnte nicht sagen, dass er es irgendwie vermisst hatte. Er wollte dieses Leben zurück. „Verdammt, Schuldig, reiß dich zusammen. Du wirst es ja wohl noch schaffen, einem dummen, kleinen Jungen das Herz zu brechen. Eine deiner leichtesten Übungen. Also los, geh endlich da raus und zieh es durch.“ Entschlossen öffnete er die Tür und stieg aus dem Wagen. Nur nicht weiter darüber nachdenken. Er würde schon wissen, was er sagen musste, wenn es soweit war.   Als er die Stufen zu Rans Apartment hinaufstieg, kamen ihm noch einmal Zweifel. Was, wenn Ran gar nicht zu Hause war? Musste er vielleicht arbeiten? War er in diesem lächerlichen Blumenladen und tat so, als wäre er ein ganz normaler Bürger? Schuldig schloss die Augen und lauschte. Da. Da war er. Er war tatsächlich zu Hause. Schuldigs Herz begann schneller zu schlagen, sein Hals wurde eng. Er würde es durchziehen müssen. Jetzt. Sonst wäre es zu spät. Sonst würde er... „Tim?“ Er öffnete die Augen und sah, dass er bereits vor der Tür des Apartments stand. Wie er dorthin gekommen war, war ihm ein Rätsel. Ihm gegenüber stand Ran in der Türöffnung. Er trug ein enges, weißes T-Shirt und eine locker sitzende, graue Sweathose. Seine Füße waren nackt und seine Haare leicht feucht. Einige der roten Strähnen fielen ihm in die gerunzelte Stirn. „Was tust du hier?“ Die Frage war nicht unbedingt freundlich und Schuldig öffnete ganz automatisch seinen Geist. Er sah, warum Ran zu Hause war – eine Mission gestern Abend, er hatte den tödlichen Streich geführt – und auch, warum er so wenig erfreut war, ihn zu sehen. Er hatte vor, die Beziehung zu beenden. Die Erkenntnis traf Tim wie ein Hammerschlag. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber es kam kein Laut über seine Lippen. Warum? Warum wollte er das tun? Er glitt tiefer in die Gedanken und sah den Grund. Es schnürte ihm das Herz ab. Ran wollte ihn retten. Er wollte ihn beschützen vor der Welt aus Blut, Tod und Gewalt, von der er dachte, dass sie ihm fremd war. Er wollte verhindern, dass er verletzt wurde. Ohne zu überlegen, trat Tim vor und presste seine Lippen auf Rans Mund. „Ich hatte Sehnsucht nach dir“, murmelte er in den Kuss, den Ran nur zögernd erwiderte. Gott, das war so wunderbar. Seine Hände begannen, fast ohne sein Zutun an Rans Körper entlangzustreichen. Er wurde in die Wohnung gezogen, die Tür schloss sich hinter ihnen. Natürlich. Was sollten sonst die Nachbarn denken. Sein Kuss wurde fordernder. Ran schob ihn von sich. „Du kannst nicht einfach herkommen und ...“ Er brach ab und für einen Augenblick glaubte Tim, einen Anflug von Röte auf seinen Wangen zu sehen. Ran war immer noch wild entschlossen, mit ihm Schluss zu machen. Sein Ehrenkodex oder was auch immer hatte ihn davon überzeugt, dass es nur zu Tims Besten war. Aber er wollte das nicht. Das war ihm in dem Moment klar geworden, als er es in Rans Gedanken gesehen hatte. Wenn sie es einfach so beendeten, würde er derjenige sein, der mit einem gebrochenen Herzen daraus hervorging. Es schmerzte jetzt schon viel zu sehr, obwohl noch keiner von ihnen auch nur ein Wort darüber verloren hatte. Er musste das unbedingt verhindern und er wusste auch schon, wie er das anstellen würde.   „Du hast recht, tut mir leid.“ Er trat einen Schritt zurück und fuhr sich durch die Haare. „Ich hatte gestern einfach einen harten Tag und hatte gehofft...na ja.“ Er zuckte mit den Schultern und sah zu Boden. „Es war dumm von mir.“ Er hörte, er spürte, wie Ran weich wurde. Der Beschützerinstinkt, den er ihm gegenüber hatte, sprang auf das hilfsbedürftige Gebaren an und eine Hand hob sich in seine Richtung. Ein wenig unsicher schwebte sie zwischen ihnen, bis Ran sich einen Ruck gab und ihn am Arm berührte. Tim sah nicht auf, bis Ran einen Schritt auf ihn zutrat und den Kopf neigte. „Willst du mir erzählen, was los war?“ „Ach, es ist albern. Es gab … Stress bei der Arbeit. Nagi hat was Dummes angestellt und mein Chef ist total ausgerastet. Es wurde ziemlich viel geschrien und es kam zu … Handgreiflichkeiten. Ich habe alles getan, was ich konnte, um dem Jungen zu helfen, aber ...“ Zwei Fingerbreit Wahrheit. Natürlich zog Ran die falschen Schlüsse. Es war so einfach. „Das scheint dich ziemlich mitgenommen zu haben.“ Rans Stimme war wie Balsam auf seiner Seele. Das dunkle Timbre, das ihm bis in den Magen fuhr. Die Wärme seines Körpers, die auf seiner Haut prickelte. Er schloss die Augen. Wollte sich nur noch fallen lassen, all die Probleme vergessen. Was ging ihn die Welt da draußen an? Sollte sie sich drehen oder nicht, er wollte nur genau hier sein. Hier und jetzt bei Ran, der ihn an sich zog und der so furchtbar gut roch. Tim vergrub seine Nase an Rans Halsbeuge und atmete tief ein. Seine Lippen streiften das kleine Stück nackte Haut, das er erreichen konnte. Der Griff, der ihn hielt, wurde ein wenig fester. Er spürte, dass Ran es auch wollte. Konnte hören, wie sein Widerstand wankte. 'Nur ein bisschen noch. Nur ein letztes Mal. Was macht ein weiterer Tag schon für einen Unterschied? Eine weitere, kleine Lüge. Es ist bisher gut gegangen und er braucht mich jetzt. Ich kann ihm das nicht antun.'   Tim schickte seine Finger auf Wanderschaft. An Rans Seiten entlang, den Rücken hinauf über die Schulterblättern bis zum Nacken und dann wieder die Wirbelsäule hinab. Auf Hüfthöhe wurde er langsamer. Er hob den Kopf und sah Ran in die Augen. Sein Mund war halb geöffnet. Er leckte sich über die Lippen. 'Küss mich!', dachte er und Ran war mehr als bereit, dem mentalen Befehl nachzukommen, der ihm wahrscheinlich nicht einmal bewusst war. Er verschloss Tims Mund mit seinem eigenen und kam noch ein Stück näher. Tim wich zurück, bis er in dem engen Flurstück die Wand in seinem Rücken spürte. Er drückte sich dagegen und fühlte die beruhigende Schwere, die sich auf ihn legte. Gefangen zwischen dem Hindernis in seinem Rücken und dem festen Körper, der sich an ihn presste, lehnte er sich in die Berührung. Heiße Erregung pumpte durch seine Adern und ließ ihn hart werden. Er spürte Rans Zunge an seinen Lippen und öffnete gehorsam den Mund. Seine Finger klammerten sich an den weichen Stoff der grauen Hose. Er erntete ein Grollen und einen Oberschenkel, der sich zwischen seine Beine schob. Unwillkürlich drängte er sich dagegen und genoss den süßen Druck. Oh, das war gut. Mehr, weiter, härter. Er unterbrach den Kuss und legte den Kopf in den Nacken. Sofort waren Rans Lippen an seinem Hals, hinterließen eine feuchte Spur auf ihrem Weg nach unten. Willig öffnete er die Beine noch ein wenig mehr, gewährte Ran besseren Zugang. Griff nach dessen Hintern, zog ihn enger an sich, rieb sich an ihm. Er spürte die unmissverständliche Härte, die sich gegen seine presste. Spürte den Hunger, das Verlangen, die Gier. Sein Herz klopfte wie wild und er hätte am liebsten … er wollte … „Fick mich!“ Die Worte waren seinem Mund entflohen, bevor er es verhindern konnte. Er hatte Deutsch gesprochen, er wusste es, aber die Botschaft war trotzdem angekommen. Ran sah ihn ein wenig unsicher an. „Ich ...“ Tim ließ ihn nicht zu Wort kommen. Er griff in Rans Haare und zog ihn wieder in einen wilden Kuss. Mit der anderen Hand versuchte er irgendwie, sein Hemd und alles andere loszuwerden, bis Ran sie schließlich festhielt und nun seinerseits begann, ihn auszuziehen. Tim ließ es geschehen, überließ Ran die Führung. Fühlte Hände, wie sie über seinen Körper strichen, Finger auf seiner nackten Haut, fordernde Lippen auf seinem Mund. Es war wunderbar und doch nicht genug. Er wollte ihn in sich spüren. Ran hingegen schien sich Zeit lassen zu wollen. Er hatte das Hemd von Tims Schultern gestreift und widmete sich jetzt der Aufgabe, seine Hose zu öffnen. Er zog langsam den Reißverschluss nach unten und strich sanft mit nur einer Fingerkuppe über den Stoff darunter. Tim stöhnte auf. Er konnte nicht anders, als sich erneut in die Berührung zu lehnen, bis der Kontakt vollständig hergestellt war. Er brauchte es jetzt sofort. Kein quälendes Vorspiel mehr, keine federleichten Küsse auf seiner Brust, kein vorsichtiges Erkunden seiner nach Aufmerksamkeit schreienden Erektion. „Bitte!“ Seine Stimme war leise, heiser, fast flehend. „Bitte, Ran, jetzt!“ „Aber ...“ Violette Augen musterten ihn einen Augenblick lang zweifelnd. Dann nickte Ran. „Okay, warte hier.“ Die Momente, in denen er allein war, waren furchtbar. Er schloss die Augen und lehnte sich an die Wand. Die geistige Verbindung, die er aufrecht erhielt, verriet ihm, was Ran tat. Er lächelte, als kurz darauf eine kleine Tube in seine Hand gedrückt wurde. „Dafür, dass du mich nicht erwartet hast, bist du aber gut vorbereitet.“ Eine Welle von Verlegenheit wusch über ihn hinweg und wurde im nächsten Augenblick von einer Springflut der Erregung hinfort gespült, als er das Gel auf Rans Erektion verteilte. Er merkte, wie seine Hände zitterten. Seine eigene und Rans Lust verwoben sich in seinem Inneren zu einem glühend heißen, alles überstrahlenden Strang, in dem kein Platz mehr für Zweifel war. Ohne zu zögern, drehte er sich herum und drängte sich an die pulsierende Härte. Jetzt, jetzt war es endlich soweit. Verlangen lief in heißen Kaskade sein Rückgrat hinunter und bildete in seinen Eingeweiden einen feurigen See. Er wollte es jetzt, er brauchte es. Jetzt!   Er zuckte kurz, als Ran in ihn eindrang und atmete gegen den leichten Schmerz an. Es tat weh, aber der Drang, endlich ausgefüllt zu werden, war größer. Ohne Rücksicht schob er sich nach hinten und hörte ein Keuchen. Warme Finger legten sich auf seine Hüfte, stabilisierten ihn, während er mit den Händen an der Wand nach Halt suchte. „Ran, jetzt!“, forderte er erneut und schob mit einer entschiedenen, mentalen Geste Rans Zweifel hinfort. Und endlich, endlich begann sich Ran in ihm zu bewegen. Er gab einen Laut von sich, der irgendwo zwischen einem Schrei und einem Stöhnen lag. 'Ja! Jajaja! Mehr. Weiter. Nimm mich!' Mehr und mehr. Er wimmerte, stöhnte, krallte sich an die Wand, während sein Geist sich in Rans Gedanken bohrte. Bei jedem Stoß, jedem erneuten Eindringen wagte er sich weiter vor, wühlte sich durch Gedanken und Erinnerungen. Tiefer, weiter, härter. Immer mehr und mehr. Finger, die sich um seine Erektion schlossen, Lippen auf seiner Schulter, Schweiß auf seiner Stirn. Er spürte es und gleichzeitig war er es, der sich selbst von hinten nahm. Rein und raus. Heiße Lava, die durch seine Adern strömte, seinen Geist, bis plötzlich …   Nichts mehr. Er fiel. Haltlos, tiefer und tiefer, ein Druck auf seiner Brust. Er konnte nicht atmen, sich nicht bewegen. Er wollte schreien, aber er konnte nicht. Schwärze umgab ihn, vollkommene Dunkelheit. Kaltes, erbarmungsloses, lebloses Nichts. Er starb. Er fühlte, wie das Leben aus ihm wich, wie er aufgab und sich in die eiskalte Umklammerung des Todes begab. Während sein Körper weiter den Gipfel der Lust erklomm, trudelte sein Geist tiefer und tiefer in den Sog der endgültigen Finsternis. Panisch versuchte er, dagegen anzukämpfen, aber das Gewicht war zu schwer, der Druck zu groß, er würde ... 'Ran!' Eine helle Stimme von irgendwo, eine Hand, die sich auf seine Brust legte. Der Druck wurde leichter, der Schmerz ebbte ab. Wärme umfing ihn, es wurde heller. 'Ran!' Noch einmal rief sie ihn. Es dröhnte um ihn herum. Staub, Krachen, rollender Donner. Er blinzelte, konnte nichts sehen, alles war grau und dann … dann riss die Verbindung plötzlich ab.   „Ran!“ Der Klang seiner eigenen Stimme hallte in seinen Ohren wieder. Er war zurück, spürte feuchte Klebrigkeit auf seinem Bauch, sein Herz, das gegen seine Brust hämmerte, den warmen Körper, der sich gegen ihn lehnte mit ebenso fliegendem Atem und zittrigen Gliedern wie er selbst. Ihm wurde für einen Augenblick schwarz vor Augen und die Welt schien sich zu drehen. Besorgnis umfing ihn. „Alles in Ordnung?“ Ran zog sich aus ihm zurück und drehte ihn herum, sodass sie einander in den Armen lagen. Der andere nicht weniger ein wackeliges Wrack als er. Sie nahmen die Wand als Stütze. Lippen streiften seine Stirn. Er legte den Kopf an Rans Schulter. Wollte nicht sprechen, nichts sagen müssen. Die Nachwirkungen der körperlichen und geistigen Vereinigung hatten ihn bis in seine Grundfesten erschüttert und er hatte das Gefühl, wenn er sich jetzt bewegte, würde er einfach auseinanderfallen. Er brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu sammeln.   Minutenlang standen sie einfach nur so da, bis das Zittern in seinen Beinen sich etwas gelegt hatte und sein Herz wieder in einem einigermaßen normalen Rhythmus schlug. Erst dann wagte er es, den Kopf zu heben und Ran in die Augen zu sehen. Darin rangen Sorge und Zuneigung gerade um die Vorherrschaft und er spürte, wie sich ein schlechtes Gewissen zu regen begann. Das musste er sofort unterbinden. „Das war großartig“, schaffte er trotz der Trockenheit in seinem Mund hervorzubringen und küsste Ran leicht auf die Wange. „Genau das, was ich gebraucht habe.“ Ein schmales Lächeln antwortete ihm. „Ich … fand es auch sehr schön.“ Die leichte Sorge, die in den Worten mitschwang, vertrieb er mit einem weiteren Kuss. Er schlang die Arme um Rans Hals und küsste ihn so lange und ausgiebig, dass der schließlich protestierend den Kopf abwandte und ihn entschieden in Richtung Bett schob. Dort angekommen fielen sie einfach auf die Matratze. Tim ließ sich an Rans Seite gleiten, ein Bein über seinem Oberschenkel drapiert, den Arm über seinem Brustkorb. „Lass uns ein wenig ausruhen“, murmelte er und schloss die Augen. Er brauchte jetzt wirklich eine Pause. Über alles weitere würde er sich danach Gedanken machen.     Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)