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Lügner!

von

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Menschenjagd

Mit federnden Schritten eilte Schuldig die Treppe zu seinem Apartment empor und nahm dabei immer zwei Stufen auf einmal. Er klimperte mit den Wohnungsschlüsseln und war kurz davor, vor sich hin zu pfeifen. Der Abend war grandios gelaufen und Fujimiya hatte ihm geradezu aus der Hand gefressen. Wobei er zugeben musste, dass ihm dieser Teil seines Jobs wirklich Spaß machte. Der Junge war … anregend. In doppelter Hinsicht. Schuldigs Mundwinkel hoben sich ein Stück weit. So unschuldig und ahnungslos, was gewisse Dinge anging, aber trotzdem kein Püppchen. Ein bisschen wie ein junger Panther; schön, gefährlich, sich seiner Kraft aber nicht bewusst und deswegen fast so harmlos wie ein Kätzchen. Wenn man sich in acht nahm. Ja, er würde jede Minuten ihres Zusammenseins genießen.

 

Schuldig schloss die Tür zu seinem eigenen Reich auf, streifte noch während des Hineingehens die Schuhe ab und ließ die Tür ins Schloss fallen. Mit Befriedigung nahm er die empörten Gedanken des Nachbarn unter sich wahr. Rücksichtnahme, my ass!

Er wanderte durch den kleinen Flur, ohne das Licht anzuschalten, und öffnete die Tür zum Wohnzimmer. Er hatte den Raum kaum betreten, als er sich der Präsenz bewusst wurde. Irgendwo dort im Dunkeln vor ihm war jemand. Er verharrte regungslos in der Nähe der Tür und verfluchte seine eigene Leichtsinnigkeit. Atemgeräusche waren zu hören, seine eigenen und die des Eindringlings. Ein Geruch mischte sich in die samtige Schwärze. Süß und metallisch, der Geruch von frischem Blut. Ein Lächeln breitete sich langsam auf Schuldigs Gesicht aus. Er griff nach dem Lichtschalter. Die Deckenbeleuchtung flammte auf und enthüllte den Besucher, der geduckt auf seinem Couchtisch hockte.

„Na da habe ich ja Glück, dass das hier jetzt kein Till-Schweiger-Film ist“.

Sein Gegenüber hob fragend eine einzelne, weiße Augenbraue. Schuldig rollte mit den Augen.

„Ach vergiss es. Los, runter vom Tisch.“

Er ließ sich auf das Sofa fallen und betrachtete Farfarello, der die Betrachtung erwiderte. Er wusste, dass er nichts von dem Iren zu befürchten hatte. Zum einen zierten Farfarellos Kleidung – und Schuldigs Tisch – deutliche Spuren davon, dass er heute bereits Blut vergossen hatte. Und zum anderen hatte er schlichtweg keine Angst vor ihm. Seit sie sich das erste Mal getroffen hatten, herrschte eine Verbindung zwischen ihnen, die wie eine Freundschaft aussehen mochte, von Schuldig jedoch eher als eine Art Nicht-Angriffs-Pakt betrachtet wurde.

 

Er war damals gerufen worden, um Farfarello zu reparieren. Er sah ihn noch vor sich, wie er mitten im Raum umringt von einem Haufen Leichen auf dem Boden lag und an die Decke starrte. Doch noch bevor der Telepath hatte versuchen können, in den Geist des Killers vorzudringen, der gerade nicht weniger als zehn Rosenkreuz-Wachen um die Ecke gebracht hatte, hatte der aus heiterem Himmel ein Messer gezogen und versucht, ihm die Hand abzuschneiden. Die Narbe des Vorfalls zierte immer noch Schuldigs Handgelenk und erinnerte ihn daran, stets wachsam zu bleiben. Farfarello hingegen schien das als eine verquere Art von Blutsbrüderschaft zu betrachten. Seit dem Tag tat Schuldig so, als wenn der irre Ire normal wäre, und Farfarello tat im Gegenzug so, als wäre das die Wahrheit.

 

„Möchtest du ein Bier?“

Farfarello, der immer noch keine Anstalten machte, vom Tisch zu steigen, schüttelt den Kopf.

Schuldig zuckte mit den Schultern, erhob sich, ging zum Kühlschrank und nahm eine Dose heraus. Es zischte, als er den Verschluss öffnete.

„Dosenbier macht ja bekanntlich schlau“, witzelte er, bevor er sich wieder auf die Couch fallen ließ.

„Schönen Abend gehabt?“ Er wies auf die Blutspuren.

Farfarello antwortete nicht, stieg aber endlich vom Tisch und begann im Zimmer umherzuwandern. Er hinterließ eine Spur blutiger Abdrücke. Schuldig atmete innerlich tief durch. Er mochte schöne Dinge, wenngleich sich seine Definition von schön auch hier und da von denen normaler Leute unterschied. Farfarello hingegen hasste alles, was makellos erschien. Vielleicht war es die göttliche Macht, die er hinter allzu viel Perfektion vermutete. Wann immer er auf ein Objekt oder einen Menschen traf, die sich anmaßten, seinem Bild überirdischer Schönheit zu entsprechen, hatte Farfarello das Bedürfnis, sie zu zerstören, zu beflecken und mit der sündigen Menschlichkeit zu verunstalten, die er an sich selbst so verabscheute. Heute schien das Objekt des Anstoßes Schuldigs Teppich zu sein. Der Telepath seufzte lautlos.

„Hat dein Besuch einen bestimmten Grund?“

Er fragte, obwohl er wusste, dass es einen 'Grund' bei Farfarello selten gab. Zumindest keinen, den man mit bloßem Auge erkennen konnte. Farfarello war wie ein streunender, einäugiger Kater, der kam und ging, wie es ihm passte, und dabei manchmal irgendetwas anschleppte, von dem er dachte, dass es Schuldig gefallen könnte. Wenn der Telepath Glück hatte, war es noch lebendig.

„Du warst aus“, stellte der Ire fest und beäugte misstrauisch Schuldigs Kaffeemaschine. „Hast du gejagt?“

Schuldig lachte auf. „Wohl eher geangelt. Ich habe da einen dicken Fisch am Haken.“

Farfarello blieb stehen und sah zu ihm herüber. In seinem Gesicht, das einst schön gewesen sein mochte, jetzt aber von Narben verunstaltet war, stand ein unleserlicher Ausdruck. Als er wieder zu sprechen begann, hatte seine heisere Stimme einen fast ehrfürchtigen Klang.

„Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht. Von nun an wirst du die Menschen lebendig fangen.“

Schuldig lächelte ihn an. „Ich hoffe, du hast nicht vor, ständig mit Bibel-Zitaten um dich zu werfen, ansonsten könnte das etwas schwierig mit uns beiden werden. Ich bin kein sehr gläubiger Mann.“

Farfarello antwortete nicht, aber Schuldig wusste, dass er aufmerksam zuhörte.

„Tja weißt du, es trifft sich nämlich recht gut, dass du hergekommen bist. Ich wollte dich ohnehin etwas fragen. Hättest du nicht Lust, mit mir zusammenzuziehen? Nur für eine Weile. Ich brauche ...“

Er kam nicht weiter, da Farfarello sich wieder in Bewegung gesetzt hatte. Er kam jetzt direkt auf Schuldig zu, ging jedoch an ihm vorbei in Richtung der zweiten Tür.

„Ich bekomme das Schlafzimmer“, war alles, was er sagte, bevor er die Tür hinter sich zuzog.

Schuldig atmete ein weiteres Mal tief durch und leerte den Rest der Bierdose mit einem Zug. Dann stand er auf und folgte Farfarello, um wenigstens noch einen Teil seiner Garderobe in Sicherheit zu bringen.

 

 

 

 

Aya lag wach und starrte an die Decke. Er wusste, dass er eigentlich schlafen sollte, aber sein gesamter Körper summte vor Energie. Tausende Bilder stolperten und purzelten durch seinen Geist und er wusste, dass er ein geradezu dämliches Grinsen auf dem Gesicht hatte. Aber da er allein auf seinem Bett lag, sah er keinen Grund dafür, es zu verstecken, auch wenn seine Gesichtsmuskeln so langsam gegen diese ungewohnte Beanspruchung zu protestieren begannen.

Der Abend mit Tim war wunderbar gewesen und hatte irgendetwas mit ihm angestellt, dass er sich nicht so recht erklären konnte. Oder wollte, denn das hätte bedeutet, dass er sich auch mit weiteren Fragen beschäftigen musste. Und im Moment wollte er sich mit nichts beschäftigen, als mit der Erinnerung an Tims Lachen, das Funkeln seiner Augen, den feinen Schwung seiner Lippen, die Aufmerksamkeit, mit der er Ran überschüttet hatte. Ja, Ran, denn Aya machte sich keine Illusion darüber, dass Tim, hätte er die volle Wahrheit gewusst, vermutlich voller Entsetzen davongelaufen wäre.

Seufzend drehte er sich auf den Bauch und umarmte sein Kissen. Sein Blick fiel auf das Heft, das er vor dem Löschen des Lichts noch durchgeblättert hatte. Die Abenteuer von Tim und Struppi. Tim hatte es ihm mitgebracht.

„Damit du weißt, wovon der komische Europäer da redet“, hatte er gesagt und gelacht und sich die Haare hinter das Ohr gestrichen. Ran hätte die Geste am liebsten selbst wiederholt. Aber natürlich ging das nicht, immerhin waren sie in der Öffentlichkeit. Nur ein einziges Mal hatten sich ihre Finger kurz gestreift und Aya hatte das Gefühl gehabt, einen Stromstoß zu bekommen. Er schluckte, als er sich vorstellte, wie es wohl wäre, Tim tatsächlich zu berühren, und ein ziehendes Gefühl in seiner Lendengegend verriet ihm, was ohnehin schon klar war. Er schüttelte leise lachend den Kopf und der lange Ohrring stieß gegen seinen Hals.

'Das hättest du dir wohl nicht träumen lassen, Schwersterchen', dachte er, während er die Finger über das warme Metall gleiten ließ. 'Dein großer Bruder steht nicht auf Frauen.'

Es war ja nicht so, dass er noch nie mit einem Mädchen aus gewesen wäre. Es war nur einfach nicht … Es hatte sich nicht so angefühlt, wie er gedacht hatte, dass es sich anfühlen müsste. Andererseits hatten ihm die Vergleichsmöglichkeiten gefehlt und so hatte er angenommen, dass es eben so sein müsse. Man fand sich nett, man tat Dinge gemeinsam, man sprach über Dinge, die einen interessierten, hörte dem anderen zu, wie dieser über Dinge sprach, die ihn interessierten. So etwa. Seit er Tim kannte, wusste er, dass es anders war. Wenn er Tims Stimme hörte, hätte dieser über Dosenerbsen referieren können, es wäre Aya egal gewesen, solange er nur weitersprach. Wann immer er Aya ansah, fuhr ihm dieser Blick direkt in den Magen, seine Knie wurden weich und er bekam dieses verdammte Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht.

Er drehte sich wieder auf den Rücken und beobachtete den Streifen Mondlicht, der durch einen Spalt in der Jalousie hereinschien. Was Tim wohl gerade tat? Wahrscheinlich schlief er. Oder lag er ebenso wie Aya noch wach und betrachtete den gleichen Mond? So nah und doch so fern. Er würde aufpassen müssen, dass er den Zauber nicht zerstörte. Aufpassen, dass die Schatten nicht das wenige Licht auslöschten, das sich in sein Leben gestohlen hatte. Er wollte nicht, dass das hier vorbei war.

Irgendwann fielen ihm nach einer gefühlten Ewigkeit doch die Augen zu und er begann zu träumen. Und das erste Mal seit Wochen waren seine Träume weniger dunkel als das, was ihn am Morgen erwartete.

 

 

 

„Irgendwas ungewöhnliches?“ Crawford warf Nagi einen fragenden Blick zu. Der verneinte.

„Alles ruhig. Eine der Kameras im westlichen Sektor hat einen Wackelkontakt, aber ansonsten keine Schwierigkeiten.“

„Gut, halte mich auf dem Laufenden. Schuldig?“

Der Telepath lehnte in einer Ecke und hatte die Augen geschlossen. „Watanabes Schoßhund hat ganz fürchterliche Kopfschmerzen und einen nervösen Finger am Abzug. Mal ehrlich, der Typ kompensiert doch irgendwas mit der Riesen-Knarre.“

„Lass dich nicht ablenken“, knurrte Crawford und strich seinen hellen Anzug glatt. Er straffte sich und kehrte in den Nebenraum zurück, wo Reiji Takatori es sich in einem rot gepolsterten Sessel bequem gemacht hatte. In der einen Hand hielt er ein Glas, die andere nahm gerade seine Zigarre aus dem Mund.

„Das wird doch hier hoffentlich keine abendfüllende Veranstaltung wird, Hirofumi. Ich bin ein viel beschäftigter Mann.“

Sein Sohn, der neben einem Fenster stand, das fast die gesamte Wand einnahm, beugte den Kopf. „Ich denke, du wirst dich gut unterhalten fühlen. Masafumi schließt gerade die letzten Vorbereitungen ab, dann können wir mit der Vorführung beginnen.“

„Masafumi ist auch hier?“, fragte einer der anderen Anwesenden. Er war ein beleibter Mann mit einer Sonnenbrille, die er trotz der fortgeschrittenen Stunde nicht abgenommen hatte. An seinem Arm hing eine blonde Schönheit, die sich gelangweilt an einem Glas Champagner festhielt.

„Ja, mein Bruder unterstützt dieses Projekt mit einigen wissenschaftlichen Errungenschaften. Sie werden später noch Gelegenheit haben, diese in Augenschein zu nehmen.“

„Uh, das wird sicher aufregend“, ließ sich die Blonde vernehmen und rekelte sich ein wenig näher an ihren Begleiter heran. Der schubste sie unsanft von sich.

„Lass los, Karen. Wenn ich dich brauche, lasse ich dich rufen.“ Er schnippte mit den Fingern und einer der Bodyguards, die an der Wand standen, lockerte den Griff um seine Waffe und machte einen drohenden Schritt auf die Blondine zu. Die funkelte ihn wütend am und raffte dann den Saum ihres langen, geschlitzten Rocks.

„Danke, ich finde selber hinaus“, verkündete sie und nahm sich auf dem Weg noch ein Glas Champagner, als hätte sie lediglich einen normalen Empfang verlassen, um sich die Nase zu pudern. Die dicke Metalltür fiel hinter ihr ins Schloss.

 

Ein knisterndes Geräusch erklang plötzlich aus den Lautsprechern, die neben den Fenstern angebracht waren.

„Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Wir können anfangen.“ Masafumis Stimme klang leicht verzerrt, aber es war nicht schwer, die Vorfreude herauszuhören. Hirofumi nickte zufrieden.

„Meine Herren, wenn ich Sie nach vorn bitten dürfte?“

Takatori und die anderen Männer nahmen am Fenster Aufstellung. Hinter der dicken Scheibe lag im Halbdunkel das alte Elektrizitätswerk. Backsteingebäude, gusseiserne Fenster und metallene Türen reihten sich im Dunkeln auf. Im Hintergrund konnte man die Masten und Leitungen erkennen, die einst dazu gedient hatten, den hier erzeugten Strom an die Umgebung zu verteilen. Jetzt waren die Gebäude verlassen, durch zerbrochenes Fenster strich der warme Wind und die Masten ragten wie Gerippe gefallener Kreaturen in den dunkeln Nachthimmel empor. Ein halber Mond beleuchtete die Szene und verlieh der Kulisse etwas Unheimliches, Bedrohliches, indem er die Schatten dunkler werden und den Verfall deutlicher hervortreten ließ.

Inmitten dieser Szenerie wurde jetzt eine Tür geöffnet und etliche Gestalten betraten einen Innenhof. Einige von ihnen waren bewaffnet und gingen mit sicherem Schritt, während andere nur zögernd in das silbrige Licht traten oder sogar vorwärts gestoßen wurden. Als sie in der Mitte des Platzes angekommen waren, hörte man wieder Masafumis Stimme aus dem Lautsprecher, die offensichtlich auch auf dem Hof zu hören war.

„Wie Sie sehen, haben wir eine Anzahl von Freiwilligen für unsere heutige Veranstaltung hier versammeln können. Sie und wir werden Zeuge einer ganz neuen Form der Unterhaltungsbranche werden. Nicht umsonst sagt ein Sprichwort: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Die Kandidaten des heutigen Abends werden, wenn sie das Spiel gewinnen, eine nicht unerhebliche Geldsumme von uns erhalten. Die Aufgabe, die sie dabei haben, ist einfach. Sie müssen nur überleben.“

Bei diesen Worten öffnete sich eine weitere Tür auf der anderen Seite des Hofes. Vier Männer traten heraus. Sie alle waren maskiert und bis an die Zähne bewaffnet. Einer von ihnen trug eine doppelläufige Schrotflinte, ein anderer eine lange, von einer gezackten Klinge geschmückte Lanze. Der nächste hatte einen Bogen auf seinem Rücken und der vierte führte ein Paar monströser Hunde an der Leine. Die Tiere knurrten und geiferten, als könnten sie es nicht erwarten, sich auf ein hilfloses Opfer zu stürzen. Unter den 'Kandidaten' machte sich Unruhe breit.

 

„Wie Sie sehen, meine Herren, haben wir keine Kosten und Mühen gescheut, Ihnen eine gute Auswahl an Jägern zu liefern.“ Masafumi sprach mit stolz geschwellter Brust. „Ihr Ziel ist es, die Kandidaten einen nach dem anderen ausfindig zu machen und zu eliminieren. Beide Parteien haben dazu drei Stunden Zeit. Nach Ablauf der Zeit erhalten alle Überlebenden ihre Belohnung. Im Gegenzug erhält jeder Jäger seine Bezahlung in Abhängigkeit von der Zahl seiner Opfer. Es gibt also nicht nur einen Wettstreit zwischen den beiden Gruppen, sondern auch unter den rivalisierenden Jägern.“

Einer der Männer im Überwachungsraum trat näher an das Fenster und kniff die Augen zusammen. „Irre ich mich oder hat einer der Hunde einen Rückenkamm?“

Hirofumi lächelte hintergründig. „Die Hunde wurden von meinem Bruder speziell für die Jagd gezüchtet. Sie werden Sie später noch in Aktion bewundern können.“

„Lassen wir die lange Vorrede und fangen endlich an.“ Takatori pochte ungeduldig mit dem Fingerknöchel gegen die Scheibe. „Wir wollen sehen, was du so großspurig angekündigt hast.“

Hirofumi verbeugte sich pflichtschuldig.

„Natürlich Vater.“ Er drückte auf einen Knopf an der Wand und sprach in ein Mikrofon. „Lasst die Spiele beginnen.“

 

Im gleichen Augenblick begannen die Wachen auf dem Hof, in die Luft zu schießen. Die Kandidaten schraken zusammen und stoben in verschiedene Richtungen davon. Gerade, als der letzte von ihnen zwischen den Gebäuden verschwinden wollte, traf ihn ein Schuss in den Rücken. Er brach mit einem heiseren Schrei zusammen und blieb regungslos liegen. Der Jäger mit der Schrotflinte steckte eine Handfeuerwaffe in seinen Gürtel.

„Eins“, verkündete er und grinste seine Gegenspieler an.

„Das war gegen die Regeln“, beschwerte sich der mit der Lanze.

„Nur weil du zu langsam bist“, zischelte der mit dem Bogen. Er wartete nicht weiter ab und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Binnen Sekunden war er in den Schatten verschwunden. Die anderen Jäger folgten ihm auf dem Fuße.

 

„Die weitere Jagd können Sie dann hier verfolgen, meine Herren.“

Hirofumi drückte auf den Knopf einer Fernbedienung und schon erwachten an der Wand mehrere Monitore zum Leben. Die Bilder wechselten, schienen einzelne Personen zu verfolgen. Auf einem stieß der Jäger mit der Lanze gerade seine Waffe in den Bauch eines am Boden liegenden Opfers, dessen Gesicht zu einem lautlosen Schrei geöffnet war. Dunkles Blut besudelte die umliegenden Wände und die Maske des Jägers.

„Wir arbeiten noch daran, auch den Ton zu übertragen.“ Hirofumi senkte entschuldigend den Kopf. „Mit den nötigen Mitteln sollte das allerdings kein Problem sein.“

„Da, da sind die Hunde.“ Watanabe, ein unauffälliger Man mit schütterem Haar und gelblichen Augen deutete auf einen der Monitore. „Können Sie das Bild näher heranzoomen?“

Hirofumi drückte einige Knöpfe. Der Bildausschnitt wurde größer und man konnte erkennen, wie die zwei Tiere sich langsam an einen Mann heranschlichen, den sie in der Ecke eines Gebäudes in die Ecke getrieben hatten. Der Mann hatte Augen und Mund weit aufgerissen. Panisch versuchte er, die nackte Wand hinaufzuklettern. Ohne Erfolg. Einer der Hunde war jetzt so nahe, dass er sein Opfer mit einem Sprung erreichen konnte. Man sah, wie sich auf seinem Rücken lange Stacheln aufstellten. Fast glaubte man, ein bedrohliches Rascheln hören zu können, das sich unter das Knurren des Tiers mischte. Der Mann presste sich mit dem Rücken gegen die Wand, als könne er so dem Monster entkommen. Er schrie noch einmal, dann waren die beiden Tiere über ihm und rissen ihn zu Boden. Der Todgeweihte verschwand hinter den massigen Leiber und das letzte, was man von ihm sah, war ein im Todeskampf zuckendes Bein, das wirkungslos versuchte, nach einem der Hunde zu treten.

„Wenig eindrucksvoll“, urteilte Watanabe.

„Warten Sie ab.“ Hirofumi sagte etwas in ein Funksprechgerät. Kurz darauf erschien der Jäger, dem die Hunde folgten, auf der Bildfläche und rief die Tiere von der zerfleischten Leiche zurück. Der Mann gab einige Handzeichen und die Tiere liefen in verschiedene Richtungen davon.

Auf einem weiteren Monitor fiel ein Mann gerade einem Kopfschuss zum Opfer, ein weiterer wurde von dem Bogenschützen an die Wand genagelt. Der Schütze trat zu ihm und riss ihn mit brutaler Gewalt von der Wand. Er hielt ihn mit einer Hand hoch und schlitzte seinen Körper dann der Länge nach mit einem Jagdmesser auf. Blut und Gedärme ergossen sich auf den Asphalt.

„Sind ja nicht mehr viele übrig“, bemerkte Takatori und strich sich über den Schnurrbart. Er verfolgte den Weg des anscheinend vielversprechenden Kandidatens, der sich bereits zu dem Wald aus stählernen Kolossen durchgekämpft hatte. Er lief noch einige Meter und begann dann, einen der Strommasten emporzuklettern. Keiner der Jäger war bereits in diesen Bereich angekommen und es schien, als habe der Kletterer gute Chance, sich hier ein sicheres Versteck zu suchen. Da erschien am Rand des Bereichs ein vierfüßiger Schatten.

„Jetzt passen Sie auf.“ Hirofumi änderte wieder den Vergrößerungsfaktor, sodass man jetzt auf einem Monitor den Mann auf dem Mast, auf dem anderen den Hund sehen konnte, der mit der Nase am Boden immer näher kam. Wenige Augenblicke später hatte er den Mast erreicht. Glühende Augen richteten sich nach oben, er stellte die Pfoten auf die unterste Sprosse …. und begann zu klettern. Das Entsetzen des Mannes, der jetzt auf der Spitze des Mastes festsaß, war selbst auf dem Schwarz-Weiß-Bild klar zu erkennen. Der Hund hingegen benutzte seine Pfoten, aus denen jetzt große Krallen herausragten, wie Steigeisen. Er kam näher und näher …

 

Aus dem Nebenraum waren plötzlich panische Schreie zu hören. Ein Brüllen wie von einem Tiger mischte sich darunter gefolgt von dem Geräusch von blanken Krallen auf Metall. Die Anwesenden fuhren auseinander, die Wachen an den Türen entsicherten ihre Waffen. Die Türklinke des Raums wurde heruntergedrückt, die Tür schwang auf … und herein kam Nagi. In seinen Händen sein Laptop, aus dem jetzt gurgelnde Schreie hervordrangen, die plötzlich verstummten. Auf dem Monitor an der Wand kippte ein lebloser Körper zur Seite und verschwand in der Tiefe.

Nagi deutete eine Verbeugung an. „Ich habe gehört, dass Sie gerne Ton hätten und habe mir erlaubt, das zu arrangieren.“

Er stellte den Laptop auf den Tisch und fing einen Blick von Crawford auf. Bevor der jedoch etwas sagen konnte, hatte Hirofumi sich schon des Jungen schon angenommen.

„Das ist ja ganz erstaunlich. Wie hast du das angestellt? Mein Techniker sagte mir ...“

„Ihr Techniker ist ein Idiot.“

Hirofumis Lippen kräuselten sich belustigt. „So, ist er das. Ich werde es ihm ausrichten. Vielleicht möchtest du ihm ja erklären, wie er seine Arbeit zu machen hat?“

Nagi warf einen Blick in Crawfords Richtung. „Das ist nicht meine Entscheidung. Ich bin Angestellter Ihres Vaters. Was immer er entscheidet, ist für mich bindend.“

„Soso“, mischte sich jetzt eine weitere Stimme in das Gespräch. Takatori trat hinzu und Nagi verbeugte sich erneut und ein wenig tiefer als zu vor. „Du scheinst ja wirklich was auf dem Kasten zu haben, Junge. Siehst gar nicht danach aus. Ich bin ein wenig beeindruckt. Und meine Söhne können, wie es scheint, hier noch ein wenig Hilfe gebrauchen. Ich möchte, dass du dich darum kümmerst.“

„Natürlich Takatori-sama.“

Hirofumi nahm diese Entwicklung mit positiver Überraschung auf. „Dann gefällt dir mein Projekt, Vater?“

„Natürlich. Ich hätte zwar nicht gedacht, dass da der Fall sein könnte, aber ich finde, es hat durchaus Potenzial.“

„Die Gäste müssten stärker in das Spielgeschehen eingreifen können.“ Nagi hatte den Kopf weiterhin gesenkt, aber die Geste hatte ein wenig an Unterwürfigkeit verloren. „Es sollte möglich sein, Wetten auf den möglichen Verlauf abzuschließen und diesen direkt zu beeinflussen. Beispielsweise indem die Wettenden ihrem favorisierten Kandidaten Hilfestellung in Form von Waffen oder anderen Dingen zukommen lassen können.“

„Ja aber, wie sollte das möglich sein?“ Hirofumi blickte skeptisch auf den mageren Jungen, der ihn gerade vorführte, als wäre die ganze Sache seine Idee gewesen.

„Die technische Umsetzung sollte sich relativ einfach realisieren lassen, wenn das Gelände erst besser vernetzt ist. Ich habe da schon ein paar Ideen.“

Nagi sah auf und in seinem Gesicht stand nur mühsam verhaltene Zufriedenheit. „Alles natürlich nur mit Ihrer Erlaubnis, Takatori-sama.“

Takatori lachte und hieb Nagi mit seiner Pranke auf die Schulter. „Der Junge weiß, wie man es macht. Also schön, ich stelle die für die nächsten Tage hierher ab. Möbel den Laden ordentlich auf und dann werden wir uns eine weitere Show ansehen. Ich kann es kaum erwarten.“

„Wie Sie wünschen, Takatori-sama.“

 

'Wie Sie wünschen, Takatori-sama? Ich glaube, dir haben sie was in den Eistee getan. Na warte Bürschchen, wenn ich dich in die Finger kriege.'

Nagi stand wie vom Donner gerührt. Die Stimme in seinem Kopf war eindeutig Schuldigs gewesen. Er hatte zwar nicht verstanden, was der andere gesagt hatte, aber wie es aussah, war der Telepath ziemlich wütend.

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Soundtrack:
„Addicted to you“ - Avicii
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