A Cats' Fishing Ground von Darklover ================================================================================ Kapitel 29: 29. Kapitel ----------------------- Zin folgte Viola ein bisschen wie in Trance, ließ sich an seiner kühlen Hand mitnehmen und bemerkte erst, wo sie gelandet waren, als sie ihm hintereinander verschiedene Lebensmittel in die Hände drückte. Zin sah sich um. Die Küche war ihm vertraut. Genauso, wie das Wohnzimmer. Sein Blick streifte zu der Tür hinüber, von wo aus man über den Flur das Gästezimmer sehen konnte. Sein Zimmer. Zumindest war es das für eine ganze Weile gewesen. Jetzt wollte er es nicht mehr. Einfach aus dem Grund, dass er gar kein Zimmer in diesem Haus für sich beanspruchen wollte, in dem Viola nicht ständig präsent war. Vor allem nachts wollte er nicht ohne sie sein. Weder hier noch an einem anderen Ort. Vorsichtig und mit mehr Präzision, als nötig gewesen wäre, legte er die Sachen auf der Arbeitsfläche ab und zuckte kurz innerlich zusammen, als etwas Flauschig-weißes lautlos auf die Küchenzeile sprang. Flocke. Wieder huschte so ein blasses Lächeln über Zins Lippen und er streckte die Hand aus, um die Katze ein paar Mal freundlich zu streicheln. Auch an sie hatte er immer wieder einmal gedacht in den vergangenen Tagen. Und er hatte sie auch vermisst. Wenn auch auf ganz andere Art, wie er Viola vermisst hatte. Ihr warf er einen fast schon verstohlenen Seitenblick zu, bevor er einmal tief Atem holte und dann von hinten seine Arme um sie schlang. Es war wirklich schwierig, sie nicht ständig zu berühren, zu streicheln oder sie in den Arm zu nehmen. Zin kam sich schon vor wie magnetisch von ihr angezogen. Dabei tat Viola eigentlich nichts Anderes, als sie sonst getan hatte. Und trotzdem ... war es anders. „Was machen wir denn?“, wollte er leise wissen, während er sich nun doch wieder von ihr löste und eine der Tomaten in die Hand nahm, um sie leicht nervös in die Luft zu werfen und anschließend wieder aufzufangen. Als Zin sie von hinten umarmte, ließ sie das Toastbrot sinken und lehnte sich einen Moment mit geschlossenen Augen gegen ihn. Was ist nur los, Zin? Mit dir? Mit mir? Mit uns? Was nur? Sie sprach es nicht aus, obwohl sie es tun sollte. Ja, das sollte sie wirklich. Stattdessen drehte sie sich zu ihm herum, als er sie wieder viel zu schnell losließ, und legte das Toastbrot zur Seite. „Schauen wir einfach, was sich ergibt. Wie wäre es, wenn du die Eier aufschlägst und in einer Schüssel verrührst? Ich schnippel schon einmal die Tomaten klein.“ Paprika wäre vielleicht auch nicht verkehrt und Zwiebeln. Viola dachte es nur nebenbei. Eigentlich kreisten ihre Gedanken ja um ein ganz anderes Objekt. Besser gesagt, um eine andere Person. Ach Zin ... Die Hand mit dem Messer hielt regungslos in der Luft an, bereit, die Tomate zu halbieren, die sie sich auf einem Schneidbrett zurechtgelegt hatte. Für einen Moment starrte Viola ins Leere, während sie das Gefühl hatte, als müsse sie gleich schreien. Einfach nur, um diese erdrückende Schwingung im Raum mit irgendetwas aufzulockern. Ja, schreien war richtig verlockend. Doch sie tat etwas anderes. „Ich habe meinen Vater angerufen“, meinte sie tonlos und zerteilte weiter die Tomate. Natürlich war das total aus dem Zusammenhang gerissen, aber das kümmerte sie nicht. Das war besser, als zu schweigen ... oder zu schreien. „Wegen meiner Wasserphobie“, fügte sie etwas erklärend hinzu. Zins Augen verengten sich für einen Moment zu schmalen Schlitzen, während er über seine Schulter sah und gleichzeitig mit dem Schneebesen in der großen Schüssel mit den Eiern innehielt. Ihm sträubten sich die kurzen Nackenhaare und sofort ließ er die Eier, Eier sein und wandte sich Viola ganz zu. Das Thema war – gelinde gesagt – schwerwiegend. Dafür kannte er Viola gut genug, wenn auch nicht in dem Maße, in dem er es gern getan hätte. Aber er wusste, dass sie nicht oft von ihrem Vater sprach. Was wohl hieß, dass sie kein gutes Verhältnis zu ihm hatte. Daher war Zin vorsichtig, als er auf ihren Gesprächseinstieg einging. „Wann hast du mit ihm gesprochen?“ Das kam Zin als Frage am Sinnvollsten vor. Damit sprach er weder ihre Angst vor Wasser noch die Überraschung an, dass sie sich damit auseinandersetzen wollte. Denn damit hätte Zin nicht gerechnet. Schon gar nicht in der Zeit, in der sie ihn vermutlich jeden Tag dafür verflucht hatte, dass er einfach so im Meer verschwunden war. Ohne sagen zu können, wann und ob er zurückkommen würde. „Hast du etwas herausfinden können?“ „Vor zwei Tagen ... Ich weiß nicht mehr genau.“ Viola zuckte mit den Schultern. Die letzten Tage waren wirklich so ineinander übergegangen, dass sie es tatsächlich nicht mehr genau sagen konnte, wann sie mit ihrem Vater telefoniert hatte. Aber dafür wusste sie nur zu gut, was sie erfahren und welche Entscheidungen sie getroffen hatte. Während sie also nun daran ging, die rote Paprika zu entkernen und klein zu hacken, überlegte sie nicht lange, ehe sie Zin antwortete. „Ich kam zu ein paar interessanten Erkenntnissen.“ Das wegen der Pille, die sie jetzt nicht mehr nehmen würde, verschwieg sie Zin. Er hatte sie ohnehin noch nicht gefragt, wie sie verhütete oder vielleicht machte er sich auch überhaupt keine Gedanken darüber, dass sie von ihm schwanger werden könnte. Es wäre ohnehin möglich, dass sie von Natur aus nicht kompatibel waren. Was sie persönlich nicht weiter störte. Wie gesagt, sie dachte nicht weit im Voraus. „Man ... wollte mich ertränken“, gab sie schließlich leiser zu, ohne den Blick von ihrer Arbeit zu heben, oder sich in ihrer Tätigkeit unterbrechen zu lassen. „Erklärt wohl Einiges“, fügte sie schnell hinzu. „Und mein Vater meinte, ich sollte eine Konfrontationstherapie machen. Scheint die einzig wirkungsvolle Methode zu sein, um mir die Angst vor Wasser zu nehmen.“ Wie und wann sie das tun sollte, wusste sie zwar noch nicht. Aber sie gab hier auch nur nüchterne Fakten zum Besten. Keine ihrer persönlichen Gedanken oder Gefühle. Es war so, als würde er die Szene von außen betrachten. Als würde er sich selbst dabei zusehen, wie er sich in Zeitlupe von der Arbeitsfläche abstieß, in einer fließenden Bewegung wieder hinter Viola stand, seine Hände auf ihre legte, ihr das Messer aus den Fingern wand und sie zu sich herum drehte. Die Welten fuhren mit einem Schnalzen in Zins Kopf wieder zusammen. Er steckte wieder in seinem Körper, der mit sorgenvollen Augen auf Viola hinabsah und sie festhielt. Sein Atem ging schwer und gedrückt. Als könne er auch nur ansatzweise nachvollziehen, was Viola bei dem empfinden musste, was sie ihm gerade gesagt hatte. Wie es ihr ergangen sein musste, als sie diese Wahrheit von ihrem Vater erfahren hatte. Über das Telefon! Es wurde heiß in der wattigen Umwicklung, die sein Herz immer noch im Griff hielt. An einigen Ecken und Enden fing die Verpackung an zu schwellen und sich zu schwärzen. Noch schmolz sie nicht, aber ... „Es tut mir so unendlich leid, dass ich ... nicht hier war.“ Zins Hände schmiegten sich um Violas Gesicht, sanft und vorsichtig, als könne er sie zerbrechen. „Und wie ... geht es dir? Weißt du, was du jetzt tun willst?“ Schocktherapie hörte sich nicht sonderlich gesund an. Wer war ihr Vater denn, dass er ihr so etwas raten konnte und Viola auch noch in Betracht zog, sich an diesen Ratschlag zu halten? Er umarmte sie, zog sie an seine Brust und überlegte, was er selbst tun konnte. Immerhin ... wusste er sehr genau, welche Gefahren es im Meer gab. Und die gingen im seltensten Fall vom Wasser selbst aus. „Wenn ich dir irgendwie helfen kann ... sag es mir bitte.“ Viola antwortete nicht, als Zin ihr ins Gesicht sah und sie schwieg auch eine ganze Weile, während sie sich einfach nur nach Zuneigung lechzend an ihn kuschelte. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, die Hände fest auf seine Brust und die Seiten gepresst, um ihn von sich aus festzuhalten. So stand sie für eine kleine Ewigkeit da, ohne zu sprechen, auch ohne großartig zu denken. Stattdessen atmete sie einfach nur dieses unglaubliche Gefühl ein, das ihr dieser Mann immer wieder so einfach schenken konnte. Und dass es dabei gar nicht so einfach war, machte es für sie nur noch kostbarer. „Du hast deine eigenen Schlachten zu schlagen, Zin“, hauchte sie leise, aber deutlich. „Und ich die meinen.“ Wobei ihre Probleme ihr wie Nichts vorkamen, wenn sie an die von Zin dachte. Genau aus diesem Grund jammerte sie hier auch nicht rum. Und weil sie in den meisten Fällen zu stolz war, um Schwäche zu zeigen. Zumindest bei so etwas Wichtigem. „Und was ich tun werde?“ Viola musste sich dazu zwingen, sich ein Stück von Zin zu lösen, um mehr Rückgrat zu beweisen und ihn anzusehen. „Keine Ahnung. Mir vielleicht ein heißes Schaumbad einlassen?“ Sie versuchte zu scherzen und brachte auch ein kleines Lächeln zu Stande, aber es war nicht von Dauer. „Vielleicht könntest du mitkommen. Als moralische Unterstützung sozusagen.“ Mehr an Hilfe wollte sie nicht von Zin fordern, der doch schon schwer genug an seinem eigenen Päckchen zu tragen hatte. Seine Finger strichen über ihr Haar, schoben es ihr sachte hinter ihr Ohr und streichelten dann wieder Violas Wange, während Zin sich unsicher darüber war, wie viel von dem, was sie gesagt hatte, scherzhaft und wie viel ernst gemeint gewesen war. Ein Schaumbad wollte sie nehmen? Wo Viola schon Regen oder eine Dusche verabscheute? Nein, das wäre wahrscheinlich noch etwas zu viel für den Anfang. Aber egal, was sie tun würde oder für welche Herangehensweise sie sich entschied, eines war sicher. "Natürlich werde ich das. Ich gebe dir so viel Rückendeckung, wie du brauchst.“ In diesem Moment wäre ihm gern ein Scherz eingefallen. Etwas, das die Stimmung weiter lockern konnte. Aber das Thema war nun einmal alles Andere als locker. Es war schwer und niederdrückend und zeugte bloß von noch mehr Problemen, von denen Zin gar keine Ahnung gehabt hatte. Vermutlich wäre er doppelt so schnell hierher geschwommen, wenn er es gewusst hätte. „Wann immer du bereit bist.“ Noch einmal drückte er sie an sich, küsste ihre Stirn und atmete tief ihren Duft ein. Die Hitze in seinem Herzen schwoll noch ein bisschen weiter an, griff auf die Umklammerung über, die sich aber weiterhin gegen diesen Angriff behauptete. Er ... konnte noch nicht über sich hinaus. Und im Moment war auch nicht er selbst wichtig. Viola schloss die Augen, um Zins Küsse besser wahrzunehmen. Sie sog diese Berührungen und Gesten förmlich in sich auf, als wäre sie vollkommen ausgedörrt, was Zuneigung anging. Zum Teil kam sie sich aber auch wirklich so vor. Die Tage ohne Zin waren ihr selbst mit Tess und Dan wie die einsamsten Tage in ihrem bisherigen Leben vorgekommen. „Ich wüsste niemanden, den ich als meine Rückendeckung wollen würde, außer dir.“ Sie umfing Zins Gesicht ebenfalls mit ihren Händen, ließ ihre Fingerspitzen zart über die Schlitze an seinem Kiefer gleiten und zog ihn schließlich weiter zu sich herab, um seine Lippen küssen zu können. Die Leidenschaft und das Feuer fehlten. Dafür wurden diese beiden Elemente mit Zuneigung, Hingabe, Wärme und Zärtlichkeit aufgewogen. Sanft waren diese Küsse und zart. Wie eine zarte Blumenknospe, die sich zwar zurückhielt, doch schon die volle Kraft besaß, um sich in voller Schönheit zu entfalten. Dabei beließ Viola es für den Moment. Hätte sie jetzt weiter gemacht, sie hätte sich nie wieder von Zin losmachen können. „Ich hab Hunger“, hauchte sie gegen seine Lippen und löste sich dann gänzlich von ihm. „Wie stets um die Eier?“ Hunger ... war ein gutes Zeichen. Er selbst hatte dieses Gefühl in den vergangenen Tagen kaum verspürt. Eigentlich hatte Zin nur dann etwas gegessen, wenn ihn jemand aus seiner Familie dazu genötigt hatte. Und auch jetzt warf er eher einen skeptischen Blick auf die Eier, die er in der Schüssel hatte warten lassen. Wenn Viola Hunger hatte, sollte sie auch etwas zu essen bekommen. Da würde sich Zin schon einmal ins Zeug legen. Wenn er ihr auch sonst nicht von großer Hilfe sein konnte und sich so mies fühlte, wenn er an die Zeit dachte, die sie hier allein mit dieser Nachricht hatte sein müssen. „Gib uns noch eine Minute.“ Sagte er daher leise und fing an, sich über seine Aufgabe herzumachen, bis er entschied, dass er Viola sein Werk präsentieren konnte. Vielleicht war es nicht perfekt, aber ... damit würde sie wohl oder übel leben müssen, wenn sie es ihm nicht besser beibrachte. Lernen würde er in jedem Fall. „Was noch?“ Viola sah an Zins Schulter vorbei in die Schüssel, hauchte ihm einen kleinen Kuss auf seinen Bizeps und nahm dann die Schüssel mit dem kleingeschnittenen Gemüse, um es unter die Eier zu mischen. „Dazu noch Salz und ein paar Kräuter“, erklärte sie, griff nach den Gewürzen und gab nach Gefühl davon in die Schüssel, während sie Zins Taille mit einem Arm hielt, da sie ihn einfach immer wieder berühren musste. „Jetzt verrührst du das Ganze noch einmal ordentlich und dann kann es in die Pfanne“, erklärte sie weiter und bereitete schon einmal die Pfanne vor. Sie überließ es Zin, die Rühreier mit dem Gemüse fertig zuzubereiten. Erklärte ihm nur, dass man das Gemüse auch vorher braten konnte, wenn man es nicht so knackig haben wollte. Sie persönlich mochte es jedoch, wenn es noch etwas fest war. Neben ihm briet sie noch ein paar Speckstreifen, während Toasts in regelmäßigen Abständen aus dem Toaster sprangen. Zin war so nett und deckte den Tisch, so dass sie sofort mit dem Essen beginnen konnten, nachdem sie auch den Speck fertig hatte. Aber Viola hatte gelogen, was ihren Hunger anging. Sie verspürte weder Hunger noch Appetit, da sie aber schon seit mehreren Stunden nichts mehr gegessen hatte, war es trotzdem kein Problem für ihren Magen, etwas in sich aufzunehmen. Es schmeckte eben nur nicht wirklich. Obwohl das Essen gut war. „Wie lange wirst du bleiben, Zin?“, fragte sie schließlich, nach dem die Hälfte auf ihrem Teller verputzt war. Viola bestrich dabei äußerst gründlich ein Toastbrot mit viel Butter und das so konzentriert, dass sie Zin nicht ansehen konnte. Sie sollte es vielleicht tun, weil das eine für sie äußerst gewichtige Frage war. Doch sie hatte Angst davor, was sie in seinem Gesicht lesen könnte. Sein Mund blieb ihm offen und die Gabel mit dem Bissen Ei mitten in der Luft stehen, als Viola ihn das so unvorbereitet fragte. Sofort wollte sein Magen rebellieren und etwas in Zin erwartete, dass sein Herz zu rasen beginnen würde. Doch stattdessen wurde ihm wieder kalt, sämtliches Blut wich aus seinem Gesicht und er wurde aschfahl. Auch seine Schultern sanken nach unten, bis er nicht einmal mehr die Gabel halten konnte und sie auf seinem Teller ablegen musste. „So lange, wie ich kann“, antwortete er wahrheitsgemäß und sah Viola dabei stets an. Selbst wenn sie sich nicht dazu entscheiden sollte, aufzublicken, würde er sich ihr stellen. Und dem, was noch alles an dieser Frage hing. „Mein Aufbruch war ... etwas hektisch und nur mit meinem Vater abgesprochen. Aber erstmal ... werde ich hier bleiben.“ Die folgende Pause dehnte sich. Lange und immer länger. „Wenn dir das Recht ist.“ Mit unglaublicher Präzession bestrich sie ihr Toastbrot auch noch mit einer hauchdünnen Schicht Erdbeermarmelade und legte es dann beiseite. Ihre Gefühle waren gemischt, als Zin ihr erklärte, dass er so lange bleiben würde, wie er konnte. Sie wusste nicht, was das bedeuten sollte. Würde jemand ihn holen kommen? Würde er von selbst gehen? Wie lange konnte er denn bleiben? Und ... was war denn nun bei ihm los? Mit ihm? Warum war der Aufbruch hektisch gewesen? Warum wusste nur sein Vater davon? Und warum fragte er schon wieder, ob sie das ebenfalls wollte? Sollte die Antwort darauf nicht eigentlich klar sein? Einen Moment lang starrte Viola ihren Speck auf dem Teller an, ehe sie den Blick hob. Nein. Wie sollte er es denn wissen? „Wenn es nach mir ginge, könntest du dich hier häuslich einrichten“, erklärte sie schließlich langsam. Es klang vielleicht nicht so, aber das war ein Angebot für ein Privileg, das sie bis auf Flocke bisher niemandem zu Teil werden ließ. "Die Frage ist: Wie lange kannst du bleiben?“ Bei dieser Aussage musste Zin ein bisschen lächeln. Seine Zehen knubbelten seine Schwimmhäute, bis er sich eine Antwort überlegt hatte, die präzise genug, aber doch nicht zu endgültig klang. Immerhin wusste er selbst noch nicht, wie lange er bleiben konnte. Das hing von so vielen verschiedenen Dingen ab. Unter anderem auch von Viola. Aber da sie ihm erklärt hatte, er könne gerne bei ihr bleiben ... „Das freut mich, zu hören. Wirklich. Ich würde auch sehr gern sehr lange hier bleiben. Bei dir.“ Seine Hand legte sich auf ihre und sein Daumen streichelte über die weiche Haut von Violas Handrücken. Sofort wurde ihm wieder bewusst, wie sehr er sie vermisst hatte. Wie sehr ihm der Kontakt in jeglicher Form zu ihr gefehlt hatte. „Viola, es ist so ...“ Ohne, dass er etwas dagegen tun konnte, verfinsterte sich Zins Blick. Seine Augen wurden zu einem düsteren Stahlgrau. „Für eine Weile mögen wir den Menschen aus dem Bereich des Riffs vertrieben haben. Aber wir wissen nicht, wann sie wiederkommen. Es ist so viel ...“ Rasierklingen schnitten sich von innen in seinen Hals. „Es ist so viel schief gegangen. Wir haben so viel falsch gemacht. Ich bin mir sicher, dass die Menschen auf die Plattform zurückkehren und weiter bohren werden. Diesmal vielleicht sogar verbissener als zuvor. Bloß wann das sein wird ... da habe ich keine Ahnung.“ „Dann ...“ Viola holte einmal tief Luft, dennoch klang ihre Stimme etwas erstickt. „... ist es noch nicht vorbei?“ Zin musste ihr diese fast rhetorische Frage nicht beantworten. Sie konnte es auch so in seinen Augen sehen. In seinen Gesichtszügen und vielleicht spürte sie es auch ein bisschen, durch die Hand, die auf ihrer lag. „Ich ...“ Viola nahm Zins Hand zwischen ihre Finger und strich hauchzart mit ihren Fingerspitzen über seine Schwimmhäute, während sie die feine Zeichnung seiner Haut betrachtete. „Bleib hier“, begann sie schließlich. „Erhol dich. Gib dir Zeit. Denk über alles nach und ... vielleicht ... kann ich dir dann ... helfen. Wenn es so weit ist.“ Sie hauchte einen Kuss auf Zins Handrücken und ließ seine Hand dann los, um aufzustehen und ihr Geschirr wegzuräumen. Sie hatte weder Hunger noch sonderlich Lust darauf, fertig zu essen. Außerdem würde sich Flocke über etwas Abwechslung in ihrem Speiseplan freuen. Vielleicht nicht über die Paprika und die Tomaten, aber über den Rest ganz bestimmt. „Es muss doch eine andere Lösung geben. Einen anderen Weg, diese Menschen aufzuhalten. Ohne dass du ... oder die anderen euer Leben riskieren müsst.“ Sie hoffte es. Betete inständig dafür. Aber Viola hatte in diesem Punkt keine Ahnung. Sie wusste nur, dass sie nicht noch einmal Tage wie die Vergangenen durchmachen wollte. Als sie aufstand und den Tisch verließ, zog sich das weiche Band noch enger um Zins Herz. Er starrte ins Leere und sah doch Szenen vor sich, gestochen scharf und so real, dass ihm die Nackenhaare zu Berge standen. Wieder wurde ihm kalt und eine Gänsehaut kroch über seine Arme, bevor er die Ellenbogen auf den Tisch stützte und sein Gesicht in den Händen vergrub. Seine Worte wurden begleitet von einem Seufzen, das so tief aus Zins Innerem kam, dass er es selbst nie für möglich gehalten hätte. „Ich möchte dich da nicht mit reinziehen, Viola.“ Nein. Sie sollte damit am besten überhaupt nichts zu tun haben. Viola sollte weder zwischen die Fronten noch in Gefahr geraten. Ihr sollte nichts passieren und sie ... sollte nicht ... Zin sackte ein ganzes Stück in sich zusammen, während weiter ein grausiger Film vor seinem inneren Auge ablief. Sein Atem zitterte und er konnte sich nur sehr schwer losreißen, um wieder bei Viola zu sein. Und zwar ganz allein bei ihr. „Es ist schon ... genug geschehen. Wenn dir wegen diesem ... ganzen Mist auch noch etwas zustoßen würde ... das könnte ich nicht ertragen. Wirklich nicht.“ Seine Stimme war leise und dünn geworden, zitterte wie trockenes Laub im Wind. Nein, das würde er nicht ertragen. Lieber würde er sich ... vor sie stellen. „Ach ja?“ Es klang nicht sehr freundlich von ihr, und dass sie ihr leeres Trinkglas etwas zu hart abstellte, half auch nicht wirklich. Dabei zog sich ihr Innerstes zusammen und krümmte sich, konnte sie doch nur zu deutlich Zins ... Leid wittern. Ihm ging es nicht gut. Ganz und gar nicht gut und das sah man ihm auch an. Dennoch wallte leise Wut in ihr auf, wenn sie auch nur ein bisschen länger über seine Worte nachdachte. Es klang so, als wolle er sie vor dem Unglück beschützen, dass ihn und seine Familie heimsuchte. Es klang so, als wäre so wahnsinnig viel passiert, obwohl er nicht darüber reden wollte. Doch gerade deshalb war ihre Stimme scharf, wenn auch gedämpft, als sie sich wieder zu ihm herumdrehte. „Glaubst du denn, ich könnte es? Glaubst du denn, ich könnte noch einmal mit ansehen, wie dein Rücken in Fetzen hängt und noch mit der gleichen Gelassenheit herangehen, die ich damals einer mir fremden Person gegenüber empfunden habe? Glaubst du das wirklich? Oder, dass es mir egal ist, dass du einfach dein Leben riskierst?“ Viola stemmte ihre Hände in die Hüften und versuchte immer noch so leise wie möglich zu sprechen, um ihn nicht anzuschreien, denn das hatte er wirklich nicht verdient. „Weißt du eigentlich, dass ich dir am liebsten den Kopf abgerissen hätte, weil du dich erneut der Gefahr ausgesetzt hast? Ich weiß, dass es gefährlich ist. Aber ich bin kein zartes Blümchen, das schon bei größerer Windstärke eingeht. Ich bin durchaus hart im Nehmen, und wenn du wieder einmal auf die Idee kommst, dein Leben einfach so zu riskieren, dann will ich verdammt noch mal, wenigstens dabei sein, wenn das passiert. Alles ist besser, als diese beschissene Ungewissheit!“ „Nein, das willst du nicht.“ Es war ein Grollen. Tief und wankend kam es aus seiner Brust, wo Zins Herz so heftig gegen sein Gefängnis rebellierte, dass es selbst zu zerspringen drohte. Zin schob den Stuhl zurück. Langsam stand er auf, drehte sich herum und sah Viola aus Augen an, die so kalt waren wie Polareis. „Du bist kein zartes Blümchen und das weiß ich.“ Sie hatte es ihm schon mehrmals gezeigt. Auf Gute, wie auch auf negative Weise. Aber gerade jetzt ... war es nicht an Viola, hier auf den Tisch zu hauen. Zwar blieb Zin, wo er war, aber seine sonst so schmale Figur schien sich auszudehnen, mehr Masse anzunehmen und wäre da nicht die vollkommene Ruhe in seinen Zügen gewesen, man hätte ihn als bedrohlich bezeichnen können. „Mir ist klar, dass du mir den Kopf abreißen wolltest. Ich bin mir darüber bewusst, dass die Ungewissheit furchtbar für dich gewesen sein muss. Aber ... Glaube mir, das ist besser, als die Wahrheit zu kennen!“ Im Gegensatz zu Viola war Zin lauter geworden. Sein Blick funkelte dunkel und seine Fäuste waren so fest geballt, dass seine Knöchel weiß hervorstachen. „Willst du die Wahrheit über denjenigen wissen, den du jetzt nicht mehr einfach so zusammennähen würdest? Ja?“ Die Rasierklingen waren wieder da. Sie schnitten sich tief in Zins Hals, wollten ihn am Weitersprechen hindern. Sein Herz stolperte bei dem bloßen Gedanken, was Viola tun würde. Was sie tun musste ... wenn er weitersprach. „Ich habe jemanden umgebracht!“ Es trieb Zin selbst die Luft aus den Lungen, als er es endlich aussprach. Seine Knie begannen zu zittern, sein Gesicht wurde grau. „Ich habe ...“ Dass Zin für sie entschied, was sie wollte und was nicht, schmeckte Viola gar nicht. Doch es war mehr die Art, wie er es sagte, die ihr sämtliche Härchen im Nacken aufstellten, während die Wildkatze in ihr die Ohren bedrohlich anlegte und wild mit dem Schwanz zuckte. Dass er ihr zugestand, sie sei kein Blümchen, besänftigte sie in diesem Punkt kein bisschen. Zudem reagierte sie äußerst empfindlich auf die Stimmung im Raum und ihr war sehr wohl bewusst, dass etwas vorging. Viola trat keinen Schritt vor Zin zurück, wie sie es vielleicht hätte tun sollen, ob der deutlichen Dominanz die er ausstrahlte. Manche würden es sicher als Bedrohung sehen, doch sie kannte sich damit aus. Das war es nicht. Er bot ihr lediglich die Stirn. Trotzdem wollte sie gerne wissen, was die Wahrheit war. Doch irgendetwas warnte sie. Gebot ihr zu schweigen und stattdessen geduldig und wachsam zu sein. Ihr Blick huschte zu Zins geballten Fäusten. Sie bereute ihre Entscheidung nicht. „Ich habe jemanden umgebracht!“ Der Satz zerschnitt förmlich die bebende Luft zwischen ihnen und für einen Moment wurde Viola ganz starr, während sie immer noch Zin über die Theke hinweg fixierte. Sie bemerkte nicht, wie sich ihre Krallen in das Holz bohrten, oder wie sich all ihre Muskeln anspannten und ihr Herz sich überschlug. Stattdessen war sie vollkommen auf das fixiert, was Zin ausmachte. Seine Haltung, sein Geruch, die Art von subtilen Gesten, die man nur mit viel Übung bemerken konnte. Doch sie war eine Jägerin und wusste genau, worauf sie achten musste. Von Zin ging keine Gefahr aus. War auch nie Gefahr ausgegangen. Nicht für sie und das war das Einzige, was sie wissen musste. Viola blickte lange in sein fahles Gesicht, ehe sie ihre Krallen wieder einfuhr und sich aus ihrer leicht geduckten Haltung erhob, von der sie selbst nicht einmal gewusst hatte, dass sie diese angenommen hatte. „Wie kam es dazu?“, wollte sie schließlich wissen. Kühl und ohne irgendwelche Anschuldigungen oder sonstige Gefühle. Sachlich. Selbst zu blinzeln kam einer Anstrengung gleich. Zins Muskeln waren so angespannt, dass seine Sehnen sich schmerzhaft zu Wort meldeten und sein Nacken sich versteifte. Er sah Viola an. Und ... sah sie doch nicht. Seine Augen huschten hin und her, während sein Verstand zwischen hier und vor zwei Tagen sprang, als wäre es ein und dieselbe Minute. Und nur deshalb konnte er es erzählen. Nur, weil er für eine gefühlte Ewigkeit nicht zwischen jetzt und dort unterscheiden konnte, bekam Zin den Mund überhaupt auf. Wäre er sich dessen bewusst gewesen, dass er in Violas Küche stand, vor ihr, und dass sie ihn wirklich hören konnte, er hätte es nicht gesagt. Er hätte ihr nicht von diesem Abend erzählt. Davon, dass er doch mit auf die Plattform geklettert war. Aus Angst, die Anderen könnten eine Dummheit machen. Er war mitgekommen, weil sie ihn brauchten. Weil sonst ein anderer am Strom herumgeschraubt und sich damit vermutlich selbst umgebracht hätte. „Ich bin erst wieder an Deck gekommen, als es schon brannte. Irgendetwas ist schief gegangen. Die Menschen hätten uns gar nicht entdecken sollen. Das ... machte alles schwierig.“ Zin hatte die Angst in den Gesichtern der Menschen gesehen. Und die Wut und Trauer in den Augen seiner Familienmitglieder. Es war ein verzweifeltes Aufbegehren der Meermenschen gewesen. „Sie sind aufeinander losgegangen. Alles ging ... so schnell und doch so langsam.“ Alles brannte, es war heiß. Schüsse fielen. Leuchtraketen und so viel Lärm. „Man bekam kaum Luft. Rauch überall und darin die verbrannten Partikel des Drecks auf der Plattform. Ich habe ... Kip am Boden gesehen. Er war am Kopf verletzt. Und seine Seite hat geblutet. Irgendwo hat Ban gerufen, dass wir zurück sollten. Einfach von Bord springen ...“ Zin war so froh gewesen, die Stimme seines Bruders zu hören. Es war seine einzige Orientierungsmöglichkeit gewesen. „Ich hab ihn schließlich gefunden. Direkt an der Reling. Es war nur noch ein Stück. Fast hätten wir es geschafft und dann ...“ Dann hatte sich Bans Gesicht verändert. Die Augen tränend vom Rauch hatte Zin es gesehen, bevor er seinen Namen hörte. „Ich habe ... mich umgedreht. Kips Körper mit mir herum gerissen. Ich ...“ Sie waren zu Boden gegangen, als der Mensch auf sie schoss. Als Kips toter Körper auf Zin landete. „Er war von sich genauso entsetzt, wie von unserem Anblick. Ich ... habe es in seinen Augen gesehen.“ Der Mann hatte Angst gehabt. Aber mit der Waffe in der Hand. Mit dieser Macht, die ihn beschützen konnte. Vor den Monstern, die aus dem Meer gekommen waren ... ging diese Panik in etwas Anderes über. „So schnell konnte ich nicht wieder auf die Beine kommen. Es kamen noch mehr Menschen. Sie hatten den Schuss gehört, wussten, wo wir waren. Ban rannte an mir vorbei, riss den Mann mit der Pistole um. Sie ... rangen am Boden.“ Und dann ... zog ein weiterer Mensch eine Waffe. Zin hatte das Metall in den Flammen des Feuers blitzen sehen. „Es war nicht einmal eine Sekunde Zeit, um nachzudenken. Wenn ich nicht ... Er hätte Ban erschossen.“ Zin hatte sich auf den zweiten Mann geworfen, hatte das kühle Metall der Waffe in den schwitzenden Händen des Menschen gefühlt. Den gekrümmten Finger um den Abzug. Es fiel Viola nur allzu leicht, das Erzählte aus der Bar, mit Zins Geschichte zusammenzufügen und sich erneut ein Schreckensbild auszumalen, das sie bis in die Knochen erzittern ließ. Sie konnte dabei den Blick nicht von Zin abwenden und sie hätte es auch gar nicht gewollt. Sie sah, wie er litt. Wie ihm das alles zu schaffen machte, wie er damit kämpfte, nicht alles auf einmal zuzulassen. Vielleicht konnte er so viel auf einmal gar nicht verarbeiten, und dass er sich schwere Vorwürfe zu machen schien, weil er jemanden umgebracht hat, nagte zusätzlich an ihm. Viola war nie gut darin gewesen, ihresgleichen zu trösten. Schreien und Fluchen, ja das waren Dinge, die lagen ihr schon eher. Aber das hieß nicht, dass sie es nicht versuchen würde. Langsam, nachdem Zin einfach nur noch schwieg und ins Leere zu starren schien, als wäre er immer noch gefangen in den Ereignissen vor ein paar Nächten, kam Viola auf ihn zu und schob sich in sein Blickfeld. „Ich will, dass du mir zuhörst“, sagte sie sanft, aber bestimmt und hob langsam ihre Hände an sein Gesicht. „Und ich will, dass du mir dabei in die Augen siehst.“ Sie zog seinen Kopf zu sich herunter, wartete, bis seine Augen sie wirklich sahen, ehe sie fortfuhr. „Zin, hör mir genau zu. Ich kann nicht nachvollziehen, wie dir zu Mute sein muss, aber ich kann dir sagen, dass manche Dinge getan werden müssen. Du musstest es tun, weil du damit deinen Bruder beschützt hast und das ist für mich der einzige Grund, weshalb man so etwas tun sollte, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Du hast es nicht aus Rache getan. Denn ich glaube einfach nicht, dass du so etwas tun könntest. Und ganz bestimmt hast du es nicht getan, weil es dir Spaß macht. Nein. Zin, das war Notwehr. Verstehst du das? Notwehr. Nichts anderes. Also bitte halte dich deswegen nicht für schlecht. Denn das bist du in meinen Augen nicht.“ Sie sah ihn noch eindringlicher an. „Ihr alle hattet keine Wahl. Weder die Männer, die dort arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, noch ihr die dadurch zu Schaden gekommen seid. Die einzigen Schuldigen sind die Leute, die diese Bohrung angeordnet haben. Verstehst du das?“ Ja, er verstand es. Natürlich verstand er. Aber das änderte nichts an dem, was er getan hatte und womit er selbst fertig werden musste. Zin hatte vorher noch nie einen Menschen getötet. Nicht einmal einem geschadet. Er war ihnen aus dem Weg gegangen, soweit das irgendwie möglich war. Er wollte niemandem wehtun. Das war einfach nicht seine Art. Wie hatte er da ... nur ein Leben auslöschen können? Wieder lief eine Gänsehaut über seinen Körper und seine Augen glitten an denen von Viola ab. Aber nicht so weit, dass er sie vergessen hätte. Wie sie sein Gesicht hielt und versuchte, ihm zu helfen. „Du hast recht. Wenn wir etwas wirklich Sinnvolles tun wollen ... müssen wir die Bohrungen an anderer Stelle verhindern.“ Wenn er nur eine Idee hätte, wie sie das bewerkstelligen sollten. Auf der Reise hierher hatte er keinen Gedanken daran verschwenden können. Nicht einmal etwas annähernd Logisches hatte sich in seinem Hirn abgespielt. Zin hatte nur ein Ziel gehabt. Jetzt ... wo es erreicht war, wusste er nicht weiter. Zumindest nicht so schnell, wie er es gerne würde. „Ich habe keine Ahnung, wie ich weiterkomme“, sagte er leise aber wahrheitsgemäß. Zin sah wieder Viola an, hatte das Gefühl, in ihren Augen zu versinken. Und endlich schaffte er es auch, seine Hände auf ihre Hüften zu legen. „Ich muss mir etwas einfallen lassen.“ „Wir werden uns etwas einfallen lassen, okay?“, meinte sie schließlich und ließ ihre Hände zu Zins Hals hinabgleiten, während sie ihn immer noch von unten herauf ansah. „Aber dieses Mal bitte mit mehr Geduld. Wäre das in Ordnung für dich? Ich meine, solange kein konkreter und gut durchdachter Plan auf dem Tisch ist, könnt ihr sowieso nichts ausrichten. Also bitte, lass dir selbst auch mehr Zeit.“ Er brauchte es. Viola sah es in seinen Augen, dass er erst einmal wieder mit sich selbst halbwegs ins Reine kommen musste, ehe man ihm erneut so zusetzen konnte. Verdammt, wieso konnte er nicht einfach bei ihr bleiben? „Ist deine Familie vorerst in Sicherheit?“ „Ja.“ Dass er damit gleich beide Fragen beantwortete, konnte Viola natürlich nicht wissen. Deshalb ließ Zin mit einer Hand ihre Hüfte los, zog sich einen Stuhl heraus und ließ sich darauf nieder, bevor er Viola so zu sich zog, dass sie schließlich auf seinem Schoß landete. Dass sie sich nicht dagegen wehrte, ließ Zins Herz ein bisschen schneller schlagen und ihm wurde ein wenig wärmer zumute. „Sie sind in Sicherheit.“ Vorsichtig schob er Viola eine Strähne hinter ihr kleines Ohr. „Vom Riff war nicht mehr viel zu retten und jetzt, da die Menschen wohl entweder die Bohrinsel abbauen oder sie reparieren werden, ist es zu gefährlich, sich in der Nähe aufzuhalten. Meine Familie ist in unser Winterlager zurückgekehrt.“ Was hieß, dass sie noch ein oder zwei Tage unterwegs sein würden. Vielleicht auch drei – denn sie hatten jüngere Kinder bei sich. „Das klingt beruhigend.“ Viola schlang ihre Arme um Zins Hals und kuschelte sich an ihn. Wie schon so oft drückte sie ihre Nase dabei gegen seine Haut und sog tief den beruhigenden Duft nach Meer, Wind und Mann ein, der Zin so eigen war. Es beruhigte sie wirklich, das zu hören. Doch noch mehr beruhigte es sie, ihn so halten, ihm so nahe sein zu können. Er war hier und das bedeutete, dass er nicht irgendwo da draußen war und sich irgendwelchen Gefahren aussetzte. „Und du hast Zeit“, fügte sie gedämpfter hinzu und streichelte nachdenklich über seine Brust. „Uns wird schon etwas einfallen. Ganz sicher.“ Noch war sie zuversichtlich, obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie tun könnten. Doch davon hatte sie sich noch nie abhalten lassen. Und wenn sie diese ganze Bohrinsel höchstpersönlich in die Luft jagen musste. Irgendeine Lösung gab es bestimmt. Nur wäre ihr eine dauerhafte Lösung sehr viel lieber. „Ist es“, meinte Zin knapp und ließ sich noch ein bisschen mehr auf die Wärme ein, die Violas Körper so nah an seinem ihm spendete. Sie war wie ein kleiner Ofen, der da gemütlich auf seinem Schoß saß. Zin bedauerte sehr, dass er im Moment nicht mehr als diese körperliche Wärme empfinden konnte. Für wärmende Gefühle oder gar ... Hitze, die sich in einer körperlichen Reaktion zeigen würde, war er gerade irgendwie ... nicht zu gebrauchen. Dabei wäre es schön gewesen. Sich mit Viola zu verbinden. Sehr schön sogar. Zin wurde es etwas leichter um die Brust. Er streichelte Violas Oberarm, hinunter bis zu ihrem Ellenbogen und schließlich ihren Fingern. Er hielt ihre Hand in seiner, bis er einmal tief durchatmete und er sich gerade in seinem Stuhl aufrichtete. „Und ja, das stimmt. Ich habe ein bisschen Zeit. Zeit, in der ich gerne mehr herausfinden möchte. Über die Bohrinsel, die Firma, der sie gehört und noch ein paar andere Sachen.“ Das wäre zumindest ein guter Anfang. Mehr Informationen halfen weiter. Und verhinderten weitere überstürzte Aktionen, die Zin genauso verabscheute, wie es Viola offensichtlich tat. „Außerdem möchte ich gern ... Zeit mit dir verbringen.“ Genauso, wie er es vor seinem Weggehen getan hatte. Nur ... anders. Die Tatsache, dass er dieses Telefongespräch mit Violas Vater verpasst hatte und nicht für sie hatte da sein können, wurmte Zin mehr, als er gerade vor ihr zugeben konnte. Jetzt wollte er es besser machen. Er wollte sich diese wunderbare Frau verdienen, ihr helfen und sie unterstützen. Etwas, das sie schon die ganze Zeit wie selbstverständlich für ihn tat. Das wollte er wirklich? Also so richtig echt und unverfälscht? Viola sah Zin nicht an, während sie darüber nachdachte, ob sie sich diesem hoffnungsvollen Gefühl in ihrem Bauch hingeben sollte oder nicht. Zin war kein Lügner. Das war er ganz bestimmt nicht. Aber manchmal wusste man selbst nicht, ob man etwas Gesagtes auch später wirklich einhalten konnte. Für den Moment jedoch wollte sie ihm glauben, dass er Zeit mit ihr verbringen wollte. Es hörte sich so gut an. Tröstend und wiederum auch sehr beruhigend. Bei ihr konnte ihm nichts passieren. Da war sie sich absolut sicher. Aber obwohl sie sich innerlich immer mehr zu freuen begann, blieb sie äußerlich ruhig. Es war noch nicht alles in Ordnung und das spürten sie beide wohl sehr deutlich. Darum streichelte sie auch nur ruhig mit ihrem Daumen über seinen Handrücken, während sie durch das Fenster aufs Meer hinaus sah. „Wir könnten in das einzige Internetcafé gehen, das diese Insel zu bieten hat, um zu recherchieren. Eine wirkungsvollere Methode fällt mir im Augenblick leider nicht ein.“ Sie schloss die Augen, lehnte sich noch mehr an Zin und genoss es einfach, von ihm gehalten zu werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)