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A Cats' Fishing Ground

von
Koautor:  Caracola

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28. Kapitel

Sanfte Wellen trieben ihn an den Strand. Kugelten seinen müden Körper über den feinen, weißen Sand, bis er – Füße zuerst – auf dem Trockenen landete. Schwer atmend rappelte er sich hoch, strich sich im Gehen ein paar Algen und Sand von den wackeligen Beinen und stolperte vorwärts.

Der Himmel war noch grau. Die Sonne würde in weniger als einer Stunde aufgehen. Aber noch mühte sie sich redlich, den Horizont zu erklimmen.

Zin arbeitete sich die kleine Anhöhe hoch, den Weg entlang, der zur Terrasse führte. Jeder Schritt ohne die Unterstützung des Wassers um seinen Körper fiel ihm schwer. Seine Muskeln schmerzten. Und das nicht zu unrecht, wenn man bedachte, dass er zweiundzwanzig Stunden ohne Unterbrechung geschwommen war. Er hatte nicht geschlafen und nicht gegessen. Er hatte keine Pause gemacht.

Wie hätte er das auch gekonnt? Er wollte doch so schnell wie möglich bei ihr sein. Er hatte es ihr doch versprochen.

Auf der Treppe vertrat er sich, rutschte an einer hölzernen Stufe ab und kratzte sich das Schienbein auf. Der Schmerz weckte ihn auf und machte ihm sein hämmerndes Herz erst richtig bewusst.

Er war fast da!

Es hatte so unendlich lange gedauert! Die Kilometer hatten sich zu doppelter Länge gestreckt und Zin hatte zwischenzeitlich gedacht, er würde gar nicht mehr ankommen. Aber er ... war hier.

Ja, er war wirklich hier!

Und wäre da nicht die Angst in ihm, dass er ... nicht mehr willkommen war ... er hätte vor Freude jubeln können.

Seine Hand berührte den Türrahmen.

Würde sie ihn hören, wenn er klopfte? Vermutlich schlief sie ja noch. Vielleicht sollte er warten, bis es ein bisschen später –

Oh bitte. Als hätte er warten können!

Zin klopfte dreimal laut an die Tür.

Keine Reaktion.

Er versuchte es noch einmal, bekam dann aber nur Flockes Maunzen von drinnen als Antwort. Also die Hintertür.

Er schaffte es erstaunlich schnell ums Haus herum, durch die Tür und schließlich auch die unzähligen Stufen die Treppen hinauf.

Doch dann ... wurden seine Schritte zögerlich.

Was, wenn er mit seinen Befürchtungen recht hatte? Was wenn ... sie nicht allein –

Seine Finger zitterten, als er die Tür zu Violas Schlafzimmer vorsichtig aufschob. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und sein tropfnasser Körper hinterließ eine kleine Wasserlache auf den Bodenbrettern.

„Viola?“

Sie lag im Bett.

Allein ...

„Viola ...“

Zin trat näher, suchte sich einen Weg durch den Parkour aus Wäschebergen, bis er vor dem Bett auf die Knie ging.

Es war so ... schön, sie zu sehen.
 

Oh Gott. Ihr Kopf tat so weh und was war das? Hatte sie jetzt auch noch Halluzinationen?

Nein. Da war keiner, der ihren Namen sagte. Nur dieses blöde Licht, das langsam stärker wurde und in ihren verquollenen Augen stechende Schmerzen verursachte, obwohl ihre Lider geschlossen waren.

Unwillig murrte sie im Schlaf, drehte sich vom Licht weg und zog die Decke höher ihre nackte Schulter hinauf.

Sie war so erschöpft. Nach dem sie sich wieder mal in den Schlaf geweint hatte, nur um vieles schlimmer als bisher, hatten Alpträume sie gemartert, so dass sie mehrmals schreiend aufgewacht war. Erst gegen Morgen hatte sie endlich ein bisschen Frieden gefunden.

Trügerischer Frieden. Schließlich war sie ja schon wieder halbwach und döste doch noch immer vor sich hin.

Sie zog die Decke noch weiter hoch, über ihren schmerzenden Kopf.

...

Es duftete nach frischer Meeresbrise. Nach Fisch und ...

Nein, das bildete sie sich sicher nur ein.

Ihr Kopf hatte ihr in den letzten Tagen schon zu viele trügerische Hoffnungen gemacht, jedes Mal, wenn sie aufs Meer geblickt und geglaubt hatte, dort draußen eine vertraute Silhouette zu erkennen.

Nein. Noch einmal würde sie darauf nicht mehr reinfallen. Dazu fehlte ihr einfach die Kraft.
 

Oh man ... konnte das wirklich wahr sein?

Ließ es ihn wirklich schmunzeln, wie sie leise murrte und sich die Decke über den Kopf zog?

Und dabei hatte der kurze Blick in ihr Gesicht genügt, um Zin zu zeigen, dass sie wohl nicht besonders gut geschlafen hatte. Schon längere Zeit nicht mehr. Viola hatte dunkle Ringe unter den Augen und sah selbst im Schlaf richtig müde und erschöpft aus.

Eigentlich ... wollte er sie nicht wecken.

Aber konnte er sich wirklich erlauben ...?

Zin ging das Risiko ein. Was konnte ihm schon groß passieren. Mit Krallen und Beschimpfungen, mit einer Faust in seinem Gesicht rechnete er ohnehin. Aber er war nicht tagelang geschwommen, war seinem Herz gefolgt, um jetzt den Schwanz einzuziehen.

Er hob die Decke an, sagte noch einmal ihren Namen, bevor er sich ins Bett wagte, Viola sehr vorsichtig an sich zog und einmal tief und erleichtert seufzte.

Ja, sie würde ihn umbringen. Schon allein dafür, dass er ihre Bettwäsche nass machte. Aber das war Zin egal. Er wollte ... sie einfach wieder festhalten.
 

Mhmm ...

Diese Halluzination wurde immer besser. Nein, wohl mehr ein Traum. Ein guter Traum, wie es schien. Zumindest anfangs.

Zu dem Zeitpunkt, als sich vertraute Arme um sie schlossen, vertrauter Duft sie einhüllte und vertraute Kühle sich von hinten an sie drückte, war das sogar ein wirklich guter Traum.

Doch mit diesen vertrauten Gefühlen kam auch der inzwischen so vertraute Schmerz und zugegeben, die Nässe auf ihrer Haut war nicht unbedingt ein Gefühl, das einen gut weiterschlafen ließ.

Es entwickelte sich nur allzu schnell zu einem Alptraum.

Mehr noch, als sie im Halbschlaf ihre Hände bewegte und sie nach den Armen tasten ließ, die sich um sie geschlungen hatten und sich verdammt echt anfühlten. Entsetzt riss Viola die Augen auf, als sie endlich zu sich kam.

Jeder Muskel in ihrem Körper spannte sich an, während ihre immer noch leicht trägen Sinne sich langsam auf Hochtouren hocharbeiteten.

Sie hatte sich Zins unverkennbaren Duft nicht eingebildet. Ebenso wenig wie sie sich seine so vertraute Körpertemperatur einbilden könnte. Oder die schlanken kräftigen Arme, die sie so selbstverständlich hielten, wie sie es keinem anderen Mann nach ihm erlauben würde.

Als sie jedes noch so winzige Detail durchgegangen war und einen sicheren unverfälschten Schluss zog, begann ihr Herz loszupreschen.

Langsam richtete sich Viola auf einem Unterarm auf und blickte zögerlich über ihre Schulter.

Ihre Stimme war wie weggewischt, aber jeder Atemzug wurde hörbar schneller und flacher, als der vorangegangene.

Zuerst spiegelte sich nichts in ihren Gesichtszügen wieder. Dann wechselte der Ausdruck langsam zu Unglauben, Skepsis, Fassungslosigkeit und zu guter Letzt schlug er in Wut um.

Rasender Wut, die eigentlich nur getarnte Sorge war.

Aber das änderte nichts an der Heftigkeit des Gefühls.

Mit einem mehr als tierischen Laut riss sie schließlich ihren Körper herum und war auf Zin, ehe der auch nur einmal blinzeln konnte.

Violas Hände pressten ihn in die Kissen und ihre Krallen lagen bedrohlich nahe an seiner Kehle, während sie heftig zu zittern anfing.

„Du ...“, begann sie leise und mit vom Weinen rauer Stimme.

„Du ...“ Ihre Stimme wurde etwas kräftiger, während sich ihr Brustkorb unter immer aggressiveren Atemzügen zu dehnen begann und schließlich die Decke von ihren Schultern auf ihre Hüften rutschte. Doch das war ihr egal. Ihre Augen fixierten nur ein einziges Ziel.

Diese sturmgrauen Augen von Zin, die sie in ihren Träumen immer wieder gesehen hatte. Ohne Leben darin und doch jedes Mal immer schmerzvoller mit anzusehen.

„Du Mistkerl!“, presste sie schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Mehr ein Zischen, als wirklich eine verständliche Wortfolge, doch ihre Hände, die plötzlich neben Zins Kopf die Kissen zerfetzten, untermalten die Aussage ziemlich deutlich.

„Du verdammter MISTKERL!“, schrie sie ihn nun wirklich an und musste sich stark zusammenreißen, um Zin nicht zu ohrfeigen. Kurz schien es so, als wolle sie ihm tatsächlich den Kopf vom Körper reißen, als sie ausholte und ihre Krallen erneut hervor brachen. Doch mitten in der Bewegung hielt sie inne, konnte immer noch nicht den Blick von ihm lösen.

Ihre Unterlippe begann heftig zu beben und ihre Augen brannten wie Höllenfeuer. Erst als die ersten Tropfen über ihre Wange kullerten und sie schluchzend nach Atem rang, nahm sie die Hand wieder runter und vergrub stattdessen ihr Elend dahinter.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie geglaubt, ihn nie wieder zu sehen.
 

O-Okay ...

Das mit den Krallen war beängstigend. Viola bedrohte ihn für einen Moment tatsächlich auf eine Weise, die Zins Überlebensinstinkte nicht zum ersten Mal in den letzten paar Tagen hervorriefen.

Andererseits ... war er so müde.

Er war es alles leid. Die Kämpfe, die Toten ... Wenn er bestraft werden sollte und das dafür, dass er zurückgekommen war ... dann sollte sie ihm doch die Augen auskratzen. Zins Lider waren so schwer, seine Glieder so kaputt. Er ...

Er hatte nicht gemerkt, dass er die Augen geschlossen hatte. Vielleicht in der Erwartung des glühenden Schmerzes. Vielleicht, weil er gar nicht mehr anders konnte. Er war zu Viola gekommen, weil er nicht mehr kämpfen wollte. Weil er sich nicht mehr wehren und um sein und das Leben Anderer fürchten wollte.

Warum ... tropfte ihm dann eine salzige Träne auf die Brust?

Was –

Sie ... weinte?

Zuerst war er sich nicht sicher. Das Zittern ihres Körpers hätte auch von der tosenden Wut kommen können. Das hatte er schon einmal an ihr gesehen. Und der „Mistkerl“ war eher dafür ein Zeichen gewesen. Warum also ... sollte sie weinen?

Sein Herz klopfte so hart, dass ihm selbst die Augen brannten.

Er hatte doch nur ...

Bevor er selbst richtig realisierte, was er da tat und in welche neuerliche Gefahr er sich brachte, packten seine Hände schon zu. Zin zog Viola an den Schultern zu sich hinunter, schlang seine Arme um sie und hielt sie so fest, dass sie ihm schon diese Krallen direkt in die Halsschlagader rammen musste, um ihn zu töten.

„Es ... ging nicht schneller ...“, flüsterte er leise.
 

Oh Gott. Er war wirklich da. Wirklich bei ihr.

Er war nicht tot. Nein, er war hier. Bei ihr. In ihrem Bett und er ... hielt sie im Arm.

Es war so unlogisch, dass sie auch nur noch eine einzige Träne hervorpressen konnte, so trocken gelegt, wie sie inzwischen eigentlich sein müsste. Doch sie flossen wie Sturzbäche. Liefen Zins Hals hinunter, benetzten einen Teil seiner Schulter, und als sie schließlich ihre Arme um seinen Nacken schlang und ihren Körper auf seinem ausstreckte, kamen immer noch mehr hinzu.

Es schüttelte ihren ganzen Körper, doch mehr als dieser eine Schluchzer kam nicht über ihre Lippen, stattdessen versuchte sie so gut wie möglich normal und nicht abgehakt Luft zu holen.

Es gelang Viola kaum.

Stattdessen presste sie ihre Wange an seine. Verstärkte ihre Umarmung, als könne er einfach so wieder verschwinden und drückte sich zugleich an ihn. An seine kühle Haut. Seinen Duft und dem Gefühl seiner Nähe.

„Verzeih ... mir ...“, hauchte sie kaum hörbar, während sie mit Küssen sein Gesicht benetzte. Sie hatte ihn nicht so anfahren wollen. Es ...

„Es tut mir so leid.“

Sie hatte ihm damit nicht wehtun wollen. Obwohl er ihr so sehr wehgetan hatte. Unabsichtlich zwar. Aber das änderte nichts an den Tatsachen und nichts an ihrem Ausraster.

"Bitte ... ich ... Oh Gott, Zin ...“

Sie klammerte sich erneut an ihn, presste ihr Gesicht in seine Halsbeuge, unfähig auch nur eines ihrer Gefühle in Worte zu fassen.

Sie hatte solche Angst um ihn gehabt.
 

Wie er dieses Gefühlschaos, diese Hochs und Tiefs überstehen sollte, wusste Zin in diesem Moment nun wirklich nicht. Zuerst wollte sie ihn schlagen, ihn verletzen und nannte ihn einen Mistkerl und jetzt ... küsste sie ihn? Nein, das verstand er nicht. Und es schmerzte ihn ein wenig, dass Viola ihn zuerst so anfahren musste, bevor sie sich scheinbar darüber freuen konnte, dass er zurück war.

Ein Schatten huschte deswegen über seine Züge, bevor er sich wieder fing.

Es tat ihm auch leid, dass es so lange gedauert hatte. Aber nicht länger, als er geschätzt hatte. Er war keine zwei Wochen lang weg gewesen ... Sonst hätte er ihr irgendeine Nachricht zukommen lassen. Irgendwie hätte er das schon geschafft. Und wenn er eine Möwe hätte dressieren müssen!

Warum war sie denn so wütend auf ihn? Was hatte er denn falsch gemacht?

„Hör doch bitte auf zu weinen ...“, versuchte er es leise.

Denn so aufgelöst hatte er Viola noch nie erlebt. Wütend ja, das kannte er inzwischen. Und auch wenn er ihre Beweggründe im Moment nicht vollständig nachvollziehen konnte ... Ach herrje, es war einfach schrecklich, dass sie so weinte.

Zin streichelte ihre Haare, die so weich waren, wie er es sich vorgestellt hatte. Nachts, wenn er versucht hatte einzuschlafen. Ohne sie. So weit von diesem kleinen Palast entfernt ...

Er hielt sie weiterhin fest und wartete, bis sie sich vielleicht ein bisschen beruhigen würde.

Dabei fielen ihm selbst die Augen erneut zu.

Er hatte ... sich so darauf ... gefreut ... sie wiederzusehen ...
 

Fast hätte sie gelacht. Vermutlich sogar etwas hysterisch, wenn sie dem nachgegeben hätte. Doch so presste sie ihre Augen fest zusammen, drückte ihre Stirn wieder gegen Zins Hals und versuchte den Strom an Nässe zu stoppen, der sie inzwischen selbst in den Wahnsinn trieb.

Dabei hielt sie den Atem an, was es fast noch schlimmer machte, also versuchte sie, so ruhig wie möglich ein und aus zu atmen.

Dadurch konnte sie in vollen Zügen Zins Duft inhalieren, ihn tief in ihre Bronchien aufnehmen und einen Teil von ihm in ihre Blutbahn bringen.

Aber es reichte nicht. Bei weitem nicht. Also versuchte sie, ihn nicht merken zu lassen, dass sie immer noch mit den Tränen kämpfte.

Sie wandte ihren Kopf von ihm ab, hielt sich zugleich aber immer noch an ihm fest und sah über seine Schulter hinweg in das sanfte Morgenlicht, während sie sich nur allzu deutlich der streichelnden Hand in ihrem Haar bewusst war.

Sie hatte das so sehr vermisst. Ebenso wie sie es vermisst hatte, über seine weiche Haut zu streicheln, die kaum die gespannten Muskeln darunter verbergen konnte. Nein, eigentlich betonte sie seinen athletischen Körperbau nur noch und dass er stets nackt zu sein schien. Aber das störte sie nicht. Überhaupt nicht. Im Augenblick hätte sie gar nicht weniger Kontakt zu ihm haben wollen.

Langsam entspannten sich ihre Muskeln und ihr Körper wurde weich auf ihm. Hoffentlich nicht zu schwer. Sie wollte sich nämlich keinen Millimeter von ihm wegbewegen.

„Ich wusste nicht ...“, begann sie schließlich leise.

"Ich meine ... Die Bohrplattform ... Ich ...“

Sie biss sich auf die Unterlippe, ehe erneut das Grauen sie packen konnte, selbst wenn sie nun Zin als lebenden Beweis unter sich spürte, um zu wissen, dass sie ihn nicht verloren hatte. Dennoch ...
 

Seine Hand hielt abrupt inne und Zin öffnete so schnell die Augen, dass sich seine Pupillen nicht früh genug zusammenziehen konnten. Es brannte, aber nicht annähernd so sehr wie die Erinnerung an das, was Viola gerade zu formulieren versucht hatte.

Unwillkürlich versteifte sich sein Körper unter ihrem und Zins Atem wurde unmerklich flacher. Sein Gesicht war für einen Moment wie aus Marmor gemeißelt.

„Du hast davon gehört?“

Als würde es all seine Gefühle Lügen strafen, schlug sein Herz gleichmäßig und ruhig. Es stach nicht einmal besonders, sondern fühlte sich eigentlich eher so an, als wäre es in weiche Watte gepackt. Als könnte ... es gar nicht richtig erreicht werden.

Was gut war.
 

Es wunderte sie nicht, dass ihre Worte die Anspannung in ihm auslösten, die sie nur allzu deutlich spüren konnte. Selbst ihr ging es nicht gut dabei.

Sie hätte es gar nicht ansprechen sollen. Aber sie hatte es getan.

„Die menschliche Version davon, ja“, war ihre leise Antwort, während sie wieder die Augen schloss.

So war es besser. So taten sie nicht so sehr weh. Auch wenn das nicht gerade die Gefühle in ihrem Körper milderte.
 

Zin holte tief Luft. Es war kein Seufzen, aber ein schwerer, belasteter Atemzug. Dabei drehte er den Kopf von Viola weg, die ihn sowieso nicht ansah.

Die menschliche Version.

Sein Körper schien noch schwerer zu werden, seine Muskeln schlaff und müde.

Was sollte er dazu sagen? Es sollte ihn interessieren, was die Menschen erzählten. Wie viel an die Öffentlichkeit gekommen war und was sie vorhatten. Aber gerade jetzt ... wollte er das alles nicht hören. Sein Herz wollte es nicht hören und er wollte nicht daran erinnert werden, wie es sich angefühlt hatte, dort zu sein. Er wollte ... nicht derjenige sein, der dort gewesen war.

Zins Hand glitt von ihrem Haar auf Violas Rücken und blieb ruhig dort liegen. Lediglich seine Fingerspitzen zuckten leicht, während er an einen imaginären Punkt irgendwo an der Wand starrte.

Er wusste nicht, was er sagen sollte.

Eigentlich ... wollte er gar nichts sagen.
 

Viola wartete ab, ob er irgendetwas darauf erwidern wollte. Doch er tat es nicht. Ganz im Gegenteil, er war beunruhigend still, nach diesem einen ... Seufzer?

Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Sie wusste nicht, wie sie richtig reagieren sollte.

Sollte sie jetzt nicht eigentlich glücklich sein, dass Zin hier war?

Ja, doch. Das sollte sie, aber irgendwie wollte sich die bleierne Schwere nicht von ihrem Herz heben.

Er war hier. Aber für wie lange?

Spielte das im Moment überhaupt eine Rolle?

Nein, eigentlich nicht. Nicht jetzt. Nicht in diesem Augenblick.

Langsam, um sich nicht noch mehr zu verraten, wischte sich Viola die letzten Tränenspuren aus dem Gesicht, ehe sie Zins Nacken ganz los und sich von seinem Körper auf die Seite fallen ließ, während ein Bein immer noch über seinen Oberschenkeln lag.

Ihr Kopf war gesenkt, ebenso wie ihr Blick, doch langsam folgte sie der Spur ihrer Hand, die sie zart über seine Brust nach oben streicheln ließ. Über die starken Stränge seines Halses, federleicht seine Kieferkiemen entlang, ehe ihre Hand auf seiner Wange liegen blieb und ihre Augen sich über Zins Kinn hocharbeiteten, seine Nase entlang zu seinen Augen.

Sie schaffte es nicht lange, dort hineinzusehen. Sah sie doch, dass etwas nicht mit ihm stimmte.

Immer stärker tat es ihr leid, dass sie ihn in ihrer rasenden Verzweiflung so angefahren hatte. Sorge getarnt als Wut.

Sie war selbst ein verdammtes Miststück.

Langsam ... fast zögernd und auch unsicher hob sie ihren Kopf, ließ ihre Hand immer noch warm auf seiner Wange liegen, während ihre Lippen vorsichtig Zins Kinn streiften. Zart hauchte sie einen Kuss darauf.

Er wollte nicht reden? Gut. Dann musste er das auch nicht. Er musste gar nichts. Er durfte tun und lassen, was er wollte.

In diesem Augenblick wollte sie erneut für ihn da sein, und zwar nur für ihn. Nur hatte er keine sichtbaren Wunden, die sie hätte versorgen können. Aber das bedeutete nicht, dass sie aufgab. Nein, ganz bestimmt nicht.

Sanft küsste sie seine Lippen, zog sich aber gleich wieder zurück. Wusste nicht, ob er das jetzt wollte, oder nicht. Also hielt sie ihn einfach fest. Versuchte irgendeine Reaktion von ihm zu ergründen, mit der sie umgehen konnte.
 

Die Leere wich aus seinem Blick, als er Violas warme Hand auf seiner Wange spürte. Sie glitzerten nicht wie sonst, waren aber auch nicht mehr so vollkommen starr und müde, wie eben noch, als er in einen nicht vorhandenen Spiegel an der Wand gesehen hatte.

Er blickte zu Viola auf, spürte ihr Haar, das seine Schulter und sein Ohr kitzelte. Sein Blick wirkte fragend und immer noch nicht ganz konzentriert.

Selbst als sie ihn auf die Lippen küsste, änderte sich das nicht.

Was würde als Nächstes passieren? Würde sie ihn von sich stoßen? Oder wieder weglaufen?

Zin fürchtete sich davor, von ihr allein gelassen zu werden. Er verstand Viola nicht. Er wüsste nicht, was er tun sollte ... was sie von ihm erwartete, wenn sie ihn zurückstieß.

Als sie sich von ihm löste, schnellte Zins Hand auf ihren Rücken. Sein Arm legte sich um ihre Taille. Nicht fest, aber seine Muskeln waren so angespannt, als müsse er sofort losspringen, um sie in der nächsten Sekunde einzufangen. Bloß ... was dann? Würde sie ihm diesmal tatsächlich die Haut von den Knochen ziehen?

Er presste die Lider aufeinander und ließ seinen Kopf schwer auf das malträtierte Kissen sinken. Was hätte er dafür gegeben, dass sie ihn noch einmal küsste. Noch dazu, wo er nicht den Mut aufbrachte, es von sich aus zu tun.

„Ich ... Willst du, dass ich wieder gehe?“
 

Konnte ihre Sorge denn tatsächlich noch weiter übertroffen werden? Selbst jetzt, wo Zin bei ihr war?

Das war im Grunde keine wirkliche Frage. Denn die Antwort kam prompt, als er nach ihr griff und sie festhielt. Nicht einengend. Nicht schmerzhaft, aber auf eine Art, wie sie es nicht anders interpretieren konnte.

Er wollte sie nicht gehen lassen und trotzdem ... trotzdem fragte er sie, ob sie ihn loswerden wollte?

„Um Himmelswillen, nein!“, brach es leise aus ihr hervor, ehe sie ihre Arme wieder um seinen Nacken schlang und ihre Hand in einer schützenden und zugleich besitzergreifenden Geste auf seinen Hinterkopf legte.

Er würde ihr jetzt nicht entkommen. Genauso wenig wie sie ihm.

„Ich habe dich vermisst“, gestand sie ihm schließlich etwas unsicher und küsste seine Schläfe.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisst habe.“

Ihr Bein umklammerte seine Hüfte. Sie wurde mutiger.

„Ich meine, dir kann doch nicht entgangen sein, zu was für einen Jammerlappen du mich gemacht hast“, scherzte sie leise, auch wenn ihr Gesicht ernsthaft blieb und ihre Lippen über seine Wange streiften.

Das hätte sie gleich tun sollen. Von Anfang an hätte sie anders reagieren müssen. Aber ...

„Ich will nicht, dass du gehst.“

Sie hauchte es leise flüsternd gegen seine Lippen, schmiegte ihren Körper mit mehr Nachdruck an ihn und streichelte ihn weiter. Besänftigend und sich selbst beruhigend.
 

Sein Atem kam zögerlich über seine Lippen. Es klang wie ein winziger Schmerzenslaut und irgendwie ... war es das auch. Jetzt fing Zins Herz an, langsam schneller zu schlagen. In seiner Hülle aus Watte. Es klopfte von innen dagegen, als wolle es die Ummantelung sprengen, von der Zin nicht wusste, wer sie dort angebracht hatte.

Auf jeden Fall ... fühlte es sich richtig an, dass er dagegen protestierte. Auch wenn es wehtat. Und ... ihn schwachmachte.

Plötzlich wurde sein Körper wirklich tonnenschwer. Sein Kopf rollte auf dem Kissen gegen Violas Schulter. Dort blieb er liegen, mit fest geschlossenen Augen und ruhigem Atem. Sein Herz klopfte gleichmäßig. Er ... war noch nicht so weit.

„Ich hab dich ... auch vermisst.“

Er konnte vor sich selbst gar nicht zugeben, wie sehr. Das hätte nur bedeutet, dass er sich auch anderen Gefühlen stellen müsste. Dem von Angst ... Verlust ... und Trauer.

„Ich möchte ... hier bleiben ...“

Seine Arme schlangen sich um ihren Körper, drückten seinen Kopf noch fester gegen ihre Halsbeuge, bis es ihm fast den Atem nahm. Aber das machte nichts. Solange er hier bleiben und sich ... verstecken konnte ... brauchte er keinen Sauerstoff.

Zin spürte, wie Viola ihn streichelte. Wie ihre warmen Hände seiner kühlen Haut gut taten. Wie heiß seine Wangen wurden und ... wie müde er war. So ... unendlich müde.
 

„Dann bleib hier.“

Für eine Weile oder auch für die Ewigkeit, Viola war alles recht, Hauptsache er war hier.

Sie veränderte noch einmal ein bisschen ihre Lage, ehe sie Zin endgültig in Ruhe ließ. Seine Stimme klang so müde, wie sie sich bisweilen in den letzten Tagen gefühlt hatte. Aber jetzt war er sicher. Hier war er sicher. Bei ihr. Sie würde schon auf ihn aufpassen. Das hatte sie vor seiner Abreise getan und würde sie auch weiterhin tun, sofern es in ihrer Macht stand.

Vorsichtig zog sie die Decke wieder weiter über ihre beiden Körper, bis zu Zins Schulter hoch, ehe sie ihren Arm darunter wieder um ihn schlang und ihre Wange an seinen Kopf schmiegte.

Sie war auch müde und ihre Augen musste sie sowieso einmal durch ein paar neue ersetzen, doch sie schlief nicht ein. Selbst dann nicht, als Zins Körper sich in ihren Armen langsam entspannte und seine Atmung gleichmäßig und tief wurde.

Viola wachte über ihn und wehe dem, der es wagte, seinen Schlaf zu stören. Der bekam es mit ihr zu tun!

Zumindest für eine ganze Weile, bis sie selbst langsam einzudösen begann. Aber ganz in Katzenmanier hielt sie immer ein Ohr offen, während ihre Finger ab und zu noch träge über seinen Nacken und die kurzen Haarstoppeln streichelten.
 

***
 

Es war hell im Raum, als er zum dritten oder vierten Mal aufwachte. Diesmal wirklich und nicht nur, um sich kurz zu orientieren, seine brennenden, verquollenen Augen einmal zu öffnen und dann weiter zu schlafen.

Zin fühlte sich ausgeruhter. Noch nicht fit, aber zumindest so, dass er sich ein paar Sachen stellen konnte. Zum Beispiel dem warmen Körper, der da neben ihm lag und sich so um ihn geschlungen hatte, dass Zin an manchen Stellen nicht ganz sicher war, wo Viola begann und er aufhörte.

Es war ein schönes Gefühl. Warm und ehrlich. Und das war etwas, das er wirklich sehr und aufrichtig vermisst hatte. Zwar waren sie vor seiner Abreise nicht für lange dazu gekommen, sich so in den Armen zu halten, aber ... da hatte es doch den einen oder anderen Vorgeschmack gegeben. Allerdings viel zu wenig, um über Tage und Nächte hinweg daran zu zehren.

Das war auch der Grund, aus dem Zin sich sehr vorsichtig streckte, sich ein Stück von Viola losmachte, bloß um sie dann in eine feste, aber liebevolle Umarmung zu ziehen. Er versuchte sie einzuhüllen, nicht nur, sie festzuhalten. Ja, es war schon so, dass er sie nicht mehr loslassen wollte. Aber das war ... bei weitem nicht alles. Sie hatte ihm so sehr gefehlt. So sehr, wie es nach den wenigen Wochen, die sie zusammen verbracht hatten, eigentlich gar nicht sein konnte. Oder doch?

Noch immer war Zin sich nicht sicher, was Viola von der Sache hielt. Wie sie dieses Mal reagieren würde, wenn sie aufwachte und sich in seinen Armen fand. Würde sie ihn schlagen? Ihn von sich stoßen? All das war möglich. Und es ... machte Zin schon wieder müde.
 

Noch vollkommen entspannt und mit geschlossenen Augen, streckte sie vorsichtig die Spitze ihrer Zunge heraus und leckte flüchtig über die kühle Haut, gegen die ihr Gesicht da plötzlich gedrückt wurde.

Den Geschmack auf ihrer Zunge zu analysieren war nicht schwer. Aber zugleich half es ihr, Wahrheit von Traum zu unterscheiden.

„Du bist noch da ...“, murmelte sie leise.

„Das ist gut.“

Sein Geruch alleine hätte ihr nämlich nicht als Beweis dafür gereicht. Zu oft war eine Meeresbrise durch ihr Zimmer gefegt. Bisweilen konnte sie auch noch den unverkennbaren Duft von Mann, und zwar von ihrem Mann in ihren Laken wittern.

Doch es war inzwischen mehr Einbildung, als sonst etwas gewesen.

Einen Moment lang, als irgendetwas sie geweckt hatte, hatte sie tatsächlich geglaubt, Zins Erscheinen geträumt zu haben. Aber der Geschmackstest hatte ihr das Gegenteil bewiesen und auch, dass er sie festhielt ... sie regelrecht umschlang, sollte ihr Beweis genug sein.

Trotzdem schob sie ihre Finger zwischen ihrer beider Körper hervor, strich zuerst über seine Brust, dann über seine schlanke Seite auf seinen Rücken.

Sie konnte sie immer noch spüren, die Narben waren unverkennbar und würde auf immer und ewig ein Teil von Zin sein. Doch das hatte sie noch nie gestört und würde sie auch nie stören. Sie gehörten zu ihm und waren ihr lebender Beweis dafür, dass sie sich tatsächlich begegnet waren. Mehr als einmal.

Violas Hand glitt seinen Rücken hoch, umarmte ihn, während sie ihre Wange gegen sein Schlüsselbein drückte und wohlig seufzte.

Das erste Mal seit Tagen, dass sie auf diese Weise aufgewacht war. Daran hätte sie sich nur allzu leicht gewöhnen können.

Langsam hob sie den Kopf.

„Ich würde ja sagen, zwick mich, damit ich auch wirklich nicht träume, aber ich hab eine bessere Idee.“

Verschlafen und mit halb geschlossenen Augen, suchten ihre Lippen nach seinem Mund.

Die paar Fehleinschätzungen störten sie überhaupt nicht. Sein markantes Kinn war ebenso küssenswert, wie seine Wange oder sein Mundwinkel und letztendlich traf sie ja doch das Ziel.

Nein. Sie träumte nicht. Diesen Geschmack – als sie seine Unterlippe zwischen ihre Lippen sog – konnte sie sich nicht erträumen. Nicht in hundert Jahren.
 

Sie küsste ihn.

Für Zin schien es das erste Mal seit Tagen, dass so etwas wie der Anflug eines Lächelns über seine Lippen huschte. Zwar wurde das im nächsten Moment davon weggewischt, dass er Violas Kuss erwiderte. Aber das machte nichts. Ganz im Gegenteil würde er diese beiden Dinge immer gern gegeneinander eintauschen.

Und er musste ihr recht geben. Es war gut, dass er noch hier war. Dass sie beide noch hier waren.

„Es tut mir leid, dass du auch nur annehmen musstest, ich würde dich wieder allein lassen ...“, meinte er etwas kratzig. Seine Stimme schien sich schon umgewöhnt zu haben und verhielt sich leicht bockig, nachdem er sie so viele Stunden überhaupt nicht hatte nutzen wollen. Naja, das würde schon wieder werden.

Vorsichtig küsste er Violas Lippen, ohne die Augen zu öffnen. Das Bild, die Situation wirkte zu zerbrechlich, um sie mit einem Blinzeln zu zerstören. Oder auch nur zu wagen, sich zu stark zu bewegen. Deshalb streichelte auch nur Zins Daumen über Violas weiche Haut. An der Stelle, wo ihr Hüftknochen in den Schwung ihrer Taille überging. ... Wie so eine Stelle so schön sein konnte ...

Zin seufzte leise, ließ aber erst gar keinen Raum für Fragen oder mögliche Erklärungen. Stattdessen küsste er weiter. Er streichelte Violas Lippen mit seinen eigenen. Stupste seine Nasenspitze an ihre und wurde bald sogar so mutig, mit seiner Zungenspitze die Kurve ihres Mundwinkels nachzuzeichnen.

„Ich hab dich so sehr vermisst ...“
 

Sie konnte es nicht oft genug hören. Dass er sie vermisst hatte. So sehr sogar. Allein dieses kleine Wort 'sehr' trieb Glücksgefühle in ihren Bauch, obwohl sich ihre eigene Gefühlswelt noch nicht so recht der Situation anvertrauen konnte. Doch das änderte sich nach und nach.

Zum einen, als sie langsam ihren Mund öffnete, um Zins Zunge mit ihrer eigenen zu begegnen und zum anderen ließ es sie nicht kalt, wie er ihr über die Hüfte streichelte. Sie hatte so lange, so heftige Schmerzen gehabt und erst seit einem oder zwei Tagen war die Pein des Frauseins und alles Drumherum verblasst. Aber wirklich wohl fühlte sie sich erst jetzt, da Zins Hände sie sanft berührten und jedes restliche Gefühl von Schmerz fortwischten.

Sie wollte gerade ohnehin nicht mehr darüber nachdenken. Eigentlich über gar nichts. Nur über die Art wie ihre Haut auf seine traf. Wie seine Zunge die ihre liebkoste und wie ihre Hände seinen Körper ebenfalls streichelten. Mutiger, als die seinen, aber nicht weniger zärtlich und gefühlvoll.

Sie wollte ihm nicht wehtun. Auch wenn sich das bei ihrer Natur sicherlich nicht vermeiden ließ, so nahm sie es sich doch fest vor und gerade jetzt war jede Berührung von ihr, jede Zuwendung eine Entschuldigung an Zin und seinen Körper.
 

Er küsste sie lange. Wie ein Verdurstender labte sich Zin an diesen Küssen. An der Zuneigung, die er darin zu spüren hoffte. Genauso, wie in den streichelnden Händen, die über seinen Körper wanderten.

Warum ... hatte er sich vorher nie Sorgen darüber gemacht? Dass Viola ihn vielleicht wirklich zurückweisen würde. Dass er sie durch sein Weggehen zu sehr verletzt und es versaut hatte, was auch immer sich da zwischen ihnen angebahnt hatte.

Jetzt erst kam diese Angst. Wie eine Woge wollte sie über Zin schwappen und ihn mit sich reißen.

Und es war nur Viola, die ihn festhielt. Sie war sein Fels in dieser Brandung, selbst wenn er wusste, dass sie es in seinem Element nie sein konnte. Sie war so stark und manchmal doch schwach. So, wie jeder es einmal war. Und auch sein durfte.

Gern gestand Zin ihr zu, was er sich selbst versagte. Schwäche ... Einen Moment, in dem man tat, was man sonst nie tun würde ...

Zin löste sich aus dem Kuss. Musste es einfach, als ihn die Erinnerungen und die Bilder überkamen.

Feuer, Chemikaliengeruch ... Metall. Das Klicken und Ban, wie er Zins Namen schrie.

Ein Schwall Kälte ließ ihn erzittern, den keine warme Decke der Welt hätte stoppen können. Zin fröstelte und eine Gänsehaut zog sich so vehement über seinen Körper, dass er das Gefühl bekam, seine Zähne würden in kürzester Zeit aufeinander klappern.

Nähe und Wärme suchend kuschelte er sich noch stärker an Violas Körper, vergrub sein Gesicht erneut an ihrem Hals und atmete so ruhig wie möglich den Duft ihres Haars ein. Allerdings zitterte sein Atem und ein stacheliger Kloß saß ihm im Hals.
 

Sie konnte spüren, dass etwas nicht stimmte, noch bevor Zin von einer deutlichen Gänsehaut überzogen wurde.

Viola spürte es, wie Hunde ein herannahendes Unwetter spürten, noch ehe man es sehen konnte. Sie spürte es, wie Katzen das Leid ihrer Besitzer spüren konnten. Es war mehr als bloßes Wissen, es war ein tiefes Gefühl. Ein Ziehen an ihrem Herzen und ein unangenehmer Druck in ihrem Bauch.

Sein Körper schien kälter zu werden, als würde irgendetwas jede Restwärme daraus ziehen, wo er doch sonst schon so kühl war.

Es musste unangenehm für ihn sein, und dass er sich keinen Moment später noch stärker an sie kuschelte, verstärkte dieses Gefühl und die Sorge um ihn.

Zuerst zog Viola die Decke bis zu Zins Nacken hoch, ehe sie ihre beiden Arme wie einen schützenden Kokon um ihn schlang und auch ihr Bein um ihn wickelte.

Sie schmiegte ihre Wange an die weichen Stoppeln seines Haares, liebkoste und streichelte seinen Nacken zärtlich. Nicht wie eine Geliebte, sondern wie eine Mutter, auch wenn sie nicht gedacht hätte, dass sie dazu fähig war.

Ihre andere Hand folgte der Linie seines Rückgrats, strich fürsorglich über die Narben, die von seinem Leid erzählten und obwohl es viellicht besser wäre, wenn er endlich aussprach, was ihn quälte, konnte sie ihn doch nicht dazu zwingen.

Allerdings vergrößerte sein Schweigen ihr eigenes Grauen immer mehr.

Sie hatte die Erzählungen des Mannes nicht vergessen. Die Angst um Zin, die sie gepackt und bis jetzt nicht mehr losgelassen hatte.

Für quälend lange Momente hatte sie tatsächlich versucht, seinen Tod zu akzeptieren, obwohl es keine Beweise dafür gegeben hatte und es war ihr nicht einmal ansatzweise gelungen.

Sie gab ihn nicht her. Wollte ihn nicht hergeben und obwohl das alles sie selbst überraschte, sie verwirrte und verunsicherte, war sie sich doch darin einig, dass sie ihn auch nicht in Zukunft hergeben wollte. Nicht in naher Zukunft. Weiter als bis darüber hinaus, hatte sie noch nie über ihr Leben nachgedacht.

„Zin ...“, flüsterte sie leise, fast schon fragend, während sie ihre Wange über sein kurzes Haar streichen ließ.

„Ich ... Ich bin da ... okay?“

Für ihn und nur für ihn würde sie da sein und ihren eigenen Egoismus hinten anstellen. „Ich bleibe auch da.“

Sie küsste sanft seine Schläfe, hielt ihn noch enger umschlungen, bis sie ihm damit fast den Atem rauben musste.

„Versprochen.“
 

Selbst sein Atem schien kalt gegen Violas Haut zu schlagen. Als würde Zin gegen eine Fensterscheibe in einem eingeschneiten Haus hauchen. Bloß, dass ihm nicht von außen, sondern von tief in seinem Inneren kalt war. Violas Arme und ihr ganzer Körper, der sich um ihn geschlungen hatte, konnten daran leider nicht viel ändern. Zwar fühlte Zin sich ein bisschen weniger allein, aber ... schuldig fühlte er sich trotzdem. Und das würde auch immer so bleiben. Schließlich konnte man der Wahrheit nicht entrinnen.

Zin lag eine scheinbare Ewigkeit so da. Still, wie aus Marmor und genauso kalt. Erst, als seine Muskeln gegen die unbewegte Haltung protestierten, öffnete er die Augen, atmete versuchsweise tief durch und streckte ein wenig seine Glieder, bevor er seinen Kopf hob, um Viola anzusehen.

„Ich möchte ... mit dir zusammen Frühstück machen.“ Aus großen, gefühlserstickten Augen sah er sie an. „Meinst du ... das geht in Ordnung?“
 

Sie war nicht eingeschlafen, sondern eher in so eine Art mitfühlende Starre verfallen, aus der sie sich erst jetzt, da Zin sich rührte, wieder befreien konnte.

Viola hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt, nachdem er weder gesprochen, sich noch sonst irgendwie gerührt hatte. Aber am Ende hatten sich ihre Gedanken nur noch im Kreis gedreht.

Was war passiert? Wie würde es jetzt weiter gehen? Mit Zin oder ohne sie? Wollte er bei ihr bleiben? War es jetzt vorbei oder würde er wieder gehen?

Irgendwann hatte sie einfach zu denken aufgehört, da sie keine einzige Antwort darauf hatte und somit langsam wahnsinnig wurde.

Wie dankbar sie Zin am Ende war, dass er mit ihr Frühstück machen wollte, bewies nur wieder einmal ihren eigenen Egoismus. Doch sie konnte nichts dagegen tun.

„Natürlich“, meinte sie sanft und ließ ihn langsam los, um ihre eigenen steifen Glieder etwas zu strecken. Noch einmal strich sie Zin über die Wange, hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn und stand dann schließlich auf, um sich etwas überzuziehen.

Sie gab sich nicht weiter mit Unterwäsche ab, sondern schlüpfte gleich in eine kurze Trainingshose, die ihr nicht einmal bis über die Mitte der Oberschenkel ging, und streifte sich ein ärmelloses Top in der gleichen blauen Farbe über.

Danach griff sie nach Zins Hand.

„Komm.“

Sie lotste ihn an den Wäschebergen vorbei und führte ihn merkwürdig betrübt die Treppe hinunter.

Immer noch nicht wollte sich die Freude über sein Erscheinen in ihr durchsetzen. Ganz im Gegenteil. Mit jedem Schritt, den sie gemeinsam taten, hatte sie das Gefühl, sie würde ihn noch mehr verlieren.

Warum das so war, wusste sie nicht. Doch es war etwas zwischen ihnen, dass sie nicht aussprachen. Über das Zin nicht sprechen konnte und sie akzeptieren musste. Dennoch war es schwer, zu akzeptieren, dass er sie von etwas ausschloss.

Doch sie wollte ihm helfen und keine Vorhaltungen machen, weshalb sie nichts dergleichen sagte, sondern stattdessen anfing, ihm nach der Reihe eine Packung Eier, Speck, Tomaten, Käse und Butter in die Hand zu drücken, damit er alles auf die Arbeitsfläche ablegen konnte.

Sie wusste zwar noch nicht genau, was sie frühstücken sollten, da sie noch nicht mal wirklich Hunger hatte, aber solange es ihre und vor allem seine Hände beschäftigte, war es gut.

Zwischendurch fütterte sie auch Flocke, die wieder sehr präsent auf der Anrichte war und sich auch nicht von diesem Platz vertreiben ließ.

Nicht, dass das jemand von ihnen beiden versucht hätte.



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