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A Cats' Fishing Ground

von
Koautor:  Caracola

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27. Kapitel

„Ich sag dir doch, so war’s!“

Das dickwandige Schnapsglas donnerte auf die Bar und die Hand, die es gerade noch gehalten hatte, winkte dem Barkeeper mit zwei Fingern eifrig zu. Noch zwei für ihn und den ungläubigen Kerl neben ihm.

„Ach, komm schon. So ein Seemannsgarn hab ich schon lange nicht mehr gehört. Seemonster. So ein Blödsinn.“

Ein raues Lachen untermalte die Meinung des zweiten Mannes, der sich über das Karo seines Hemdes am Bauch kratzte und dann einen großen Bissen von seinem Zwiebelburger nahm. Eine Spezialität in diesem Laden und neben den hübschen Bedienungen der zweitwichtigste Grund für die meisten Männer hierher zu kommen.

„Es ist aber die Wahrheit. Der Mann meiner Cousine arbeitet auf der Plattform. Hat den Job schon seit drei Jahren. Zuerst war er an der andern Küste, aber dann eben hier. Alle zwei Wochen für eine Woche daheim bei Frau und Kindern. Scheißjob, sag ich dir. Und dann sowas!“

Der Schnaps kam und der Erzähler kippte ihn sofort hinunter, bevor er sich nun doch lieber an seinem halb vollen Bierglas festhielt.

„Kam doch sogar in den Nachrichten, dass die Plattform sabotiert wurde.“

„Ja, schon. Aber von einem Meerjungfrauenangriff haben die da nix gesagt. Oder Dan?“

Wieder war das gleiche, raue Lachen zu hören. Diesmal sogar lauter, sodass sich einige Köpfe nach dem Duo wandten. Allerdings war um diese frühe Stunde in der Bar noch nicht allzu viel los. Die jüngeren Leute kamen erst später. Im Moment waren hauptsächlich die Trunkenbolde des Dorfes und ein paar Trucker für ihr Abendessen hier. Was leider auch bedeutete, dass noch nicht viele der knackigen Damen ihre Schicht angetreten hatten.

„Aber jetzt hört mir doch mal zu. Der hat echt alles gesehen! War dabei, als auf einmal alles Drunter und Drüber ging und die Hölle losbrach. Ehrlich wahr!“

„Ey, jetzt aber mal ehrlich, Bo. Über das Unglück sollte man keine Witze machen. Da sind ein paar Leute schwer verletzt worden. Von manchen weiß man noch nicht, ob sie’s überstehen werden.“

Die Miene des Karohemdträgers wurde ernst. Ja, sie hatten alle von dem Unfall vor der Küste gehört. Wieder einmal war eine der Bohrplattformen einem Unglück zum Opfer gefallen. So, wie es häufiger passierte. Ein echtes Drama, aber das hatte nichts mit irgendwelchen Monstern aus der Tiefe des Meeres zu tun. Da spann sich der gute Bo in seinem alkoholvernebelten Hirn was zusammen.

„Ich sag aber die Wahrheit! Zuerst dachten sie auch, es wäre nur irgendwas mit der Stromversorgung. Der Generator abgesoffen oder sowas. Licht weg, Notstrom weg. Und das beim Abendessen.“

Bo redete sich in Rage. Wenn das so weiter ging, würden sie sich die Geschichte anhören müssen, ob sie wollten oder nicht.

„Hey Bo, willst du nicht auch was essen? Ich geb dir nen Zwiebelburger aus“, versuchte es der Mann im Karohemd – Mike – noch einmal. Auch wenn ihm schon klar war, dass es nicht viel helfen würde.

„Ja, einen Zwiebelburger, Dan. Danke. Und noch ein Bier. Und dann erzähl ich die Geschichte. Ihr werdet es echt nicht glauben. Echte Meermänner haben sie angegriffen. Absolut irre.“
 

Viola kassierte bei den zwei jungen Touristinnen ab, die sich noch schnell ein Abendessen gegönnt hatten, bevor sie die Heimreise ins hiesige Motel antraten und nachdem sie gegangen waren, konnte sie auch den Tisch für die nächsten Gäste herrichten und das Geschirr zurück in die Küche bringen.

Es war noch ruhig heute, was sie dieses Mal ziemlich nervte. Denn gerade jetzt, wo es ihr wieder besser ging und sie allzu gerne Zusatzschichten einlegte, konnte sie zwischendurch auch keine zu langen Pausen ertragen, die sie zum Nachdenken zwangen.

Ihr schwirrte zu viel im Kopf herum, als das sie es sofort bewältigen könnte und Arbeit war da immer eine gelegene Ablenkung und brachte zudem auch wieder Geld in die Kasse.

Nachdenken war das Letzte, was sie wollte. Weder über sich, ihre Ängste, ihren Dad, noch über ihren ersten Eisprung seit Jahren der ihr nun nicht mehr erspart bleiben würde. Aber worüber sie am allerwenigsten nachdenken wollte, war Zin.

Zin, der Mann, der sie nachts nicht schlafen ließ. Zin, der ihr schon beim Anblick eines Schokopuddings ein Messer in den Bauch rammte. Zin, der sie blind für alle Männer machte und den sie so wahnsinnig vermisste, wie sie es zuvor nur von ihrer Omi gekannt hatte.

Alles schien sich am Ende nur noch um ihn zu drehen und das konnte sie nicht mehr länger ertragen.

Er würde nicht wieder kommen. Daran änderte auch Tess' Optimismus nichts und die Tatsache, dass Viola vermutlich in ihn verknallt war.

Sie musste ihn ziehen lassen, obwohl er schon längst gegangen war. Auch wenn sie es immer noch nicht über sich brachte, diesen Schritt zu tun.

„Dan, zwei Bier und eine Cola.“

Sie stellte ihr Tablett auf der Theke ab und prüfte noch einmal den Sitz ihres Pferdeschwanzes nach.

„Kam doch sogar in den Nachrichten, dass die Plattform sabotiert wurde.“

„Ja, schon. Aber von einem Meerjungfrauenangriff haben die da nix gesagt. Oder Dan?“

Meerjungfrauenangriff?

Viola warf einen verwirrten Blick zu den zwei Trunkenbolden hinüber, die keinen Meter von ihr entfernt an der Bar saßen und sich angeregt unterhielten.

„Aber jetzt hör mir doch mal zu. Der hat echt alles gesehen! War dabei, als auf einmal alles Drunter und Drüber ging und die Hölle losbrach. Ehrlich wahr!“

Wo soll die Hölle losgebrochen sein?

Viola nahm langsam ihren Bestellblock heraus und tat so, als würde sie noch einmal etwas nachkontrollieren, um Zeit zu schinden und das Gespräch noch ein bisschen länger zu verfolgen. Sie kapierte nicht wirklich, um was es ging, aber allein dass Meerjungfrauen darin vorkamen, weckte ihre Neugierde. Erinnerte sie der Begriff doch zu sehr an Zin.

Ja, wieder einmal Zin!

„... weiß man noch nicht, ob sie’s überstehen werden.“

Mist. Sie hatte nicht gut genug aufgepasst. Dafür sperrte sie jetzt umso mehr die Lauscher auf.

„Ich sag aber die Wahrheit! Zuerst dachten sie auch, es wäre nur irgendwas mit der Stromversorgung. Der Generator abgesoffen oder sowas. Licht weg, Notstrom weg. Und das beim Abendessen.“

Viola kapierte immer noch nicht, um was es ging. Vermutlich nichts Wichtiges, also nahm sie ihr volles Tablett in die Hand und wollte gerade die Bestellungen verteilen, als ein weiteres Stichwort fiel, das sie verharren ließ.

„Echte Meermänner haben sie angegriffen. Absolut irre.“

Zin ...
 

Das Warten war schlimmer, als der gesamte, steile Aufstieg. Immer wieder huschten nervöse Blicke über die Plattform, suchten nach Menschen, die sich irgendwo aus Löchern schälten, die sich wie von Geisterhand im Boden öffneten. Oder einfach nur durch eine Tür kamen, die man übersehen hatte. Hier gab es so viele Ecken, so viele Winkel und alle konnten zu einer Falle werden.

Sie mussten aber warten. Auf das Zeichen. Darauf, dass Zin seine Aufgabe erledigte, für Ablenkung und Verwirrung sorgte. Er musste den Strom abstellen, den zweiten Generator lahmlegen, sodass Dunkelheit auf der Bohrinsel herrschte, bevor die anderen Meermänner sich an die Arbeit machen konnten. Ungesehen und mit minimiertem Risiko. Ein guter Plan.

Die einzige Schwachstelle war das Warten.

Sie mussten sich zu hundert Prozent darauf verlassen, dass Zin nicht nur den Generator finden, sondern auch noch wissen musste, wie man ihn für längere Zeit außer Gefecht setzte. Das erforderte mehr, als nur zu wissen, dass Strom und Wasser eine schlechte Kombination waren.

Ban fühlte die Blicke der Anderen auf sich.

Er ignorierte sie, da er wusste, was die Blicke bedeuteten.

Es ist dein kleiner Bruder. Du kennst ihn. Wird er schaffen, was wir ihm zutrauen? Oder ist es alles ein Himmelfahrtskommando. So ... wie Zin es vorausgesagt hat?
 

„Wie gesagt, die meisten waren beim Abendessen. In dem Gebiet ist das Meer häufig ruhig. Daher haben sie auch keine große Plattform aufgestellt. Nur eine von diesen Kleinen. Nicht viele Leute an Bord. Fast alles automatisiert.“

Bo lief ein bisschen Zwiebelsauce über die Unterlippe. Er leckte sie weg, bevor er einen weiteren Schluck Bier hinunter schüttete und sich dann wieder auf seine Geschichte konzentrierte. Seine Zuhörer schienen allmählich aufmerksamer zu werden. So kam es ihm zumindest vor.

„Umso schlimmer, als der Strom ausgefallen ist. Natürlich haben alle erstmal gedacht, dass sie sich keine Sorgen machen müssen. Es gibt ja einen zweiten Generator. Das Licht ging auch erstmal wieder an. Für 'ne Weile zumindest. Aber dann ... war wieder alles duster.“

Er wedelte mit dem Bierglas so heftig herum, dass Schaum auf die blanke Theke spritzte.

„Ich hätte mir dabei auch nicht viel gedacht. Aber wisst ihr, dann ging es los. Draußen auf der Plattform hat sich irgendjemand an den gesicherten Geräten zu schaffen gemacht. Ist wohl was mit einem ziemlichen Knall kaputt gegangen. Da waren dann alle in heller Aufregung. Alle Mann raus auf Deck und sehen, was los ist.“
 

Sie hatten die Drahtverkleidung des Bohrkerns eingerissen. Nicht gerade subtil, aber hoffentlich wirkungsvoll. So kamen sie zumindest an das eigentliche Übel heran. Wenn sie die Kabel herausrissen, sie ins Meer warfen und vielleicht noch mehr zerstören konnten ...
 

"Draußen war’s noch nicht ganz dunkel. Deshalb haben sie gesehen, dass Leute an Deck waren. Keine Ahnung, wie viele, aber der Mann meiner Nich- ne, meiner Cousine. Der meinte, es müssten so an die fünfzig gewesen sein. Alle riesig groß und breit. Schleimige Haut, und grüne Haare. Echt gruselige Monster eben. Die haben sich an den Geräten zu schaffen gemacht. Irgendwo hat’s gebrannt.“
 

Während sie endlich die Bestellung an den dafür vorgesehenen Tisch brachte, war Viola nicht bei der Sache. Zumindest nicht, was ihre Arbeit anbelangte. Ihr feines Gehör war immer noch auf die Worte des Mannes ausgerichtet, der da an der Bar saß und Horrorgeschichten zu erzählen schien.

Zumindest kam es Viola so vor, nachdem sie nach und nach begriff, dass es wohl um eine Bohrinsel ging, und zwar nicht um irgendeine Bohrinsel.

Um die Bohrinsel.

Alle um sie herum hatten keine Ahnung, aber sie selbst wusste, was das bedeutete und ihr Herz schlug schmerzhaft fest in ihrer Brust, während sie versuchte, sich ihre Sorge um Zin nicht anmerken zu lassen.

Oh Gott. Sie hatten die Bohrinsel wirklich angegriffen!

Lebte er noch? War jetzt alles überstanden? Gab es überhaupt Überlebende? War sein Zuhause noch zu retten gewesen?

Auch wenn sie es irgendwie schaffte, nebenbei weiter zu arbeiten, diverse Bestellungen auf ihren Block zu kritzeln, von denen sie Sekunden später keine Ahnung mehr hatte, war sie doch hauptsächlich auf das Gespräch der beiden Männer fixiert und auf diese Version der Geschichte.

Viola hätte interessiert, was wirklich vorgefallen war. Denn das Zin oder seine Brüder weder schleimig waren, noch grüne Haare hatten, konnte sie aus ganzer Überzeugung sagen. Was war also noch alles erfunden? Und was wahr?
 

Ein roter Blitz schoss in den dunkler werdenden Himmel, zog Rauch hinter sich her und explodierte mit einem Knall, der Ban innerlich zusammenfahren ließ. Hinter ihm ertönte ein Knall. Wieder wurde der Himmel in rotes Licht getaucht.

Sie ... waren hier!
 

„Keiner von uns hätte das im Angesicht dieser ... dieser ... Kreaturen anders gemacht. Jeder hat sich irgendwas geschnappt. Natürlich zur Verteidigung. Immerhin hatten die riesige Klauen und Zähne. Wie Haigebisse! Man musste echt Angst haben. Um Leib und Leben!

Ich hätte mir vermutlich in die Hose gepisst, aber dann hätte ich auf den Ersten von diesen Monstern mit bloßen Händen eingeprügelt. Ich mein, das muss ja ein Fehler der Natur sein, dass sowas überhaupt existiert. Vielleicht waren das auch Mutanten oder sowas. Auf jeden Fall hochgefährlich. Das war klar.

Darum mussten sich die Arbeiter auch verteidigen. Sonst wären sie gefressen worden!“
 

Natürlich griffen sie sofort nach den Waffen. Sie waren doch Menschen. Wie hatte Ban eigentlich etwas Anderes erwarten können? Eine dieser roten Kugeln wurde auf sie abgefeuert, Geschrei brach los, irgendwo schlug die Ladung ein, explodierte.

Ban registrierte mit einem scharfen Grinsen, dass es eine Schalttafel an der Apparatur getroffen hatte, die er gerade auseinandernehmen wollte. Funken sprühten daraus hervor.

Gut.

Sogar hervorragend!

Da hörte er den ersten Schrei. Einer seiner eigenen Leute. Kim. Man hatte ihm mit einer Metallstange auf den Schädel geschlagen. Blut lief an seiner Schläfe herab.
 

„Und dumm sind diese Tiere auch noch. Bis auf ihre echt scharfen Klauen hatten die keine Waffen dabei. Natürlich war’s auch so gefährlich. Aber hey, das war so, als würde man mit Pistolen auf Fische zielen. Die konnten gar nichts Anderes tun, als ins Meer zurück zu flüchten!“

Diesmal kam das Lachen von Bo.

„Ziemlich viele haben sie abgestochen. Vielleicht zwanzig von den fünfzig, die sich auf die Plattform getraut haben!“

„Bo, jetzt aber mal halblang. Wenn die Arbeiter diese Meermänner wirklich zurückgetrieben haben, wie ist denn dann das Drama passiert?“

„Ach!“ Bo winkte harsch ab. „Irgendeiner hat eine Leuchtrakete in die falsche Richtung geschossen. Du weißt schon: Vor Panik. Da ging es doch zu, wie in der Hölle. Monster überall. Da kann sowas passieren. Im Gefecht!“

Das Gefecht schien auch in Bos Kopf umzugehen, so wie er sich gebärdete.

„Aber weißt du, was das Wahnsinnigste war? Was einer von denen geschrien hat ... In unserer Sprache! Das haben die an Bord echt gehört! War unheimlich, das sag ich dir. Wo man doch nicht denkt, dass diese Kreaturen was mit der Bibel und unserem Herrn am Hut haben ...“

„Jetzt mach aber mal halblang, Bo ...“

„Ne! Ehrlich!“
 

Die Plattform wurde von einer Explosion erschüttert, das Deck neigte sich zur Seite, Metall ächzte und Ban wurde durch eine Feuerwand geblendet. Irgendetwas war passiert. Er hatte nicht genau gesehen, was.

Eigentlich war es auch egal. Jetzt war nur wichtig, sich zurückzuziehen. Sie hatten Chaos gesät. Jetzt mussten sie ihre Ärsche retten.

Los! Weg hier!

Das Pfeifen durchschnitt den Lärm, zog die paar Meermänner an die Reling zurück auf die Ban sich geschwungen hatte. Bereit, die anderen in Sicherheit springen zu lassen, bevor er selbst ging.

Los, los, los!

Er schubste seine Männer ins Meer. Einen, nach dem Anderen. Zwei, drei ... vier.

Eine Pause entstand, in der er sich umsah. Mit suchendem Blick und die leblosen Körper zählend, die auf dem Deck verstreut lagen. Sollte er ... konnte er noch einen von ihnen retten?
 

„Zwei wollten entkommen. Einer hat den anderen gestützt. Weißt schon, weil der ziemlich was abbekommen hatte. Würde man ja gar nicht glauben, dass Tiere so aufeinander achtgeben. Das muss man denen fast lassen. Aber dumm war’s trotzdem. Hätte der eine sich nicht um den anderen bemüht, wäre er vielleicht auch davon gekommen. Aber so ...“
 

Er erkannte Zin sofort. Allein der schlanke Körper, der unter dem Gewicht eines weiteren Meermanns zur Seite gebeugt war. Er schleifte den Freund vorwärts, weg vom Feuer, auf die Reling zu.

Zin! Hier!

Eine Erschütterung hätte Ban fast ins Meer geworfen. Er sah seinen Bruder straucheln, stolpern. Aber er hielt sich auf den Füßen, zog den anderen Körper mit sich.

Zin!

Ein Schemen. Dunkel gegen das Licht des Feuers. Er tauchte hinter Zins schwankender Silhouette auf. Schwankte ebenfalls.

Er hielt etwas in der Hand. Er ...

„ZIN!!!“
 

„Hätte jeder von uns in der Situation gemacht. Ihn erschossen. Aber ehrlich, mir wäre auch das Blut in den Adern gefroren. Wenn ich gehört hätte, wie das Monster schreit. Gerade sowas. Wirklich.“

Bo senkte den Blick in sein Bierglas. Seine Miene wirkte fast ein bisschen betroffen. „Hätte nicht gedacht, dass die so ein Wort wie Sünde überhaupt kennen.“
 

Nein. Nicht Zin. Nein, verdammt!

Der Stift in ihrer Hand zerbrach. Plastik splitterte, die Kugelschreibermine fiel zu Boden, während die Feder irgendwo davon sprang.

Nein, das durfte nicht wahr sein. Das konnte doch nicht wahr sein!

Auch das hölzerne Tablett knackte, während sich ihre Krallen hineinbohrten und ihm noch mehr zusetzten.

Nein, nein, NEIN!

Viola konnte nicht atmen. So sehr sie es auch versuchte. Ihr Brustkorb war wie zugeschnürt, selbst ihr Herz schien sich aus der engen Fessel mit wildem Pochen befreien zu wollen. Doch der Knoten zog sich immer weiter zu.

Die Welt verschwamm vor ihrem Blick, aber das kümmerte sie nicht. Sie starrte ohnehin nur eine abgenutzte Pinnwand mit nicht mehr ganz aktuellen Eventflyern und Vermisstenanzeigen von Hunden und Katzen an, die im Gang zu den Toiletten hing.

Der Ort, wo sie sich zurückgezogen hatte.

Um weiter zu lauschen.

Um ihre möglichen Reaktionen nicht vor allen preisgeben zu müssen und doch könnte jederzeit einer der Gäste vorbeikommen, um dem Ruf der Natur zu folgen.

Dann würde man sie so sehen. Total aufgelöst. Kurz vor einem Dammbruch, der ein ganzes Tal niederwälzen könnte und zugleich bereit, jedem die Kehle herauszufetzen, der ihrem Mann wehgetan hatte.

Oh Gott.

Sie rutschte an der vom Rauch verfärbten Wand entlang zu Boden.

Er wurde zwar täglich gereinigt, aber wirklich sauber würde er nicht mehr werden. Trotzdem war es ihr egal.

Nein ... bitte, begann sie zu flehen.

Bitte nicht Zin!

Ein Geräusch schreckte sie auf. Jemand betätigte die Spülung in der Männertoilette. Würde vermutlich gleich herauskommen und sie sehen, da die meisten Kerle hier nichts von Händewaschen hielten.

Sie musste hier raus!

Also kam sie wieder auf die Beine, lief den Flur entlang an Dans Büro und den Umkleideräumen vorbei, direkt auf den Hinterausgang zu.

Sie stolperte im Freien fast gegen einen großen Müllcontainer und konnte nur in letzter Sekunde einem Karton mit leeren Schnapsflaschen ausweichen. Danach warf sie das Tablett auf den Boden und begann zu laufen.

Nicht auf die Straße.

Zum Strand. Zum Wasser. Als könne sie ihn dort auch nur irgendwie erreichen.

Ihre Schuhe und Socken sogen sich nur allzu schnell mit Nässe voll, schon bald waren auch ihre Shorts vollkommen durchnässt, doch als das Wasser ihren Bauchnabel erreichte, konnte sie nicht mehr weiter.

Stattdessen starrte sie blind von dem Tränenvorhang auf das schwarze Wasser hinaus, die Arme fest um sich geschlungen und der Schrei, der sich in ihrer Kehle bildete, endete letztendlich in einem atemlosen Schluchzen.



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