Felidae von Samarium (Tagebuch des Professor Julius Preterius) ================================================================================ Kapitel 11: 7. Mai 1980 ----------------------- Der Frühling hat mit Pauken und Trompeten in den Gärten hinter dem Gebäude Einzug gehalten und sie schwindelerregend bunt zum Leben erweckt. Angesichts des ewig grellen Sonnenscheins und des Duftfestivals ringsumher möchte man vor Freude jauchzen. Trotzdem bin ich wohl der unglücklichte Mensch auf Gottes Erden. Heute morgen haben wir an zehn Tieren einen neuen Versuch unternommen. Das Ergebnis war die schlimmste Pleite, die wir bis jetzt erlebt haben. An unterschiedlichsten Körperregionen der Probanden wurden lange Schnitte angebracht, so daß große, klaffende Wunden entstanden. Nachdem wir die Schnittstellen mit der »Suppe« bestrichen hatten, preßten wir sie mit der chirurgischen Zange zusammen. Es war grauenerregend. Zunächst pappten die Wundränder tatsächlich zusammen, dann aber fraß sich das Gemisch innerhalb von Sekunden in das Fleisch hinein und ließ es matschig und fransig werden. Die Wunden wurden immer größer, bis sie schließlich unter dem herausspritzenden Blut und einer eitrigen Körpersubstanz nicht mehr zu erkennen waren. Als die Reaktion ein Ende fand, waren alle zehn Tiere tot. Ich begreife das alles nicht. Es widerspricht einfach der Logik. Obwohl wir das Aciditäts-Problem mittlerweile im Griff haben, will das Präparat sich mit lebenden Zellen immer noch nicht vertragen. Ich bin vor Scham, Wut und Selbstzweifeln so überwältigt, daß ich am ganzen Körper zittere. Am liebsten würde ich jetzt auf Teufel komm raus weiter experimentieren, doch ich habe keine Idee, wie ich das vor dem Team rechtfertigen soll... 23:25 Seitdem die anderen das Gebäude verlassen haben, spende ich mir mittels einer Flasche Rotwein selbst Trost. Dabei kreisen meine Gedanken ununterbrochen um das schier unlösbare Problem. Doch die Grübelei bringt keine besonderen Erkenntnisse, weil ich in meinem Konzept keinen Fehler entdecken kann. Deswegen werde ich gleich einen neuen Versuch starten. Obgleich ich niemanden Rechenschaft schuldig bin, muß ich dieses Experiment geheim halten, weil ich offen gesagt selbst keinen plausiblen Grund dafür sehe. Ich fürchte, der namenlose Streuner wird daran glauben müssen. 2:30 Ein Wunder ist geschehen! Es hat auf Anhieb geklappt! Das ist vielleicht etwas übertrieben, aber das Experiment kann in der Tat als in Ansätzen gelungen bezeichnet werden. Während ich die kleine Operation durchführte, fragte ich mich plötzlich, was ich mitten in der Nacht im OP zu suchen hatte. Ich kam mir wie ein Verbrecher vor, und all mein tun erschien mir so sinnlos und verrückt. Mit einem Erfolg hatte ich von Anfang an nicht gerechnet. Es war eher das trotzige Verhalten eines Kindes, das sich verzweifelt gegen den allmächtigen Vater aufbäumt, obwohl es weiß, daß es gegen ihn nicht die Spur einer Chance hat. Und dann das hier... Nachdem ich den Streuner rasiert, ihm eine muskelerschlaffende Injektion verabreicht und mit ausgestreckten Pfoten auf dem Operationstisch festgebunden hatte, brachte ich einen zirka fünfzehn Zentimeter langen Schnitt an seinem Bauch an. Er schrie und knurrte erbärmlich und versuchte zu beißen. Bevor aus der Wunde richtig Blut fließen konnte, präparierte ich sie mit dem Gemisch. Dann preßte ich die Wundränder mit Daumen und Zeigefinger zusammen, und ehe ich mich versah, geschah das Wunder: Sie klebten Augenblicklich zusammen. Ich war derart überrascht, daß ich das, was ich sah, für ein Trugbild hielt, hervorgerufen vom guten Rotwein, der meine Sinne zugegebenermaßen ein wenig vernebelt hatte. Daraufhin wurde ich schlagartig nüchtern. Tausend Fragen schossen mir durch den Kopf, aber sie alle verloren an Bedeutung angesichts dieses langersehnten Triumphs. Warum wirkte das selbe Mittel, das noch sechszehn Stunden vorher versagt hatte? Lag es an der Dosierung? Hatten meine Mitarbeiter schlampig gearbeitet? Ich setzte mich auf einen Stuhl und beobachtete bei einer Zigarette den Patienten, der über seine Schockheilung selbst überrascht zu sein schien. Eineinhalb Stunden vergingen, in denen ich den OP aufräumte und mich krampfhaft bemühte, von meiner Wolke des Glück hinabzusteigen. Dann untersuchte ich die Wunde noch einmal. Die Wundränder hatten sich inzwischen etwas voneinander gelöst, was vernachlässigbar ist, da wir erst am Anfang der Entwicklung stehen. So nähte ich den Schnitt sicherheitshalber und steckte den Patienten in den Käfig zurück. Er blickte mich perplex an, als wolle er wissen, was das Ganze zu bedeuten habe. Ich lachte leise und wollte den Raum verlassen, als mir plötzlich einfiel, daß der Patient ja noch gar keinen Namen besaß. Nach kurzer Überlegung verfiel ich schließlich auf die klassische Methode der Namengebung und taufte meinen Helfer und Freund »Claudandus«. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)