Kleine Geschichtensammlung von Sternenelfchen (Etwas zum Träumen...) ================================================================================ Kapitel 2: Verlust ------------------ In den nächsten Tagen, die mir wie Wochen erschienen, hatte ich nicht eine freie Minute, mich auch nur zehn Schritte von meinem Hof zu entfernen. Die Arbeit häufte sich und wo ich auch hinflüchtete, in der Hoffnung, nur eine kurze Zeit Ruhe zu haben, erwarteten mich bereits die nächsten Probleme. Nun hatte auch noch eines der Pferde gefohlt und so war bereits über eine Woche vergangen, in der ich keine Gelegenheit erhaschen konnte, auch nur in die Nähe des Hangs am Meer zu kommen. Ich erhoffte mir, die geheimnisvolle Frau wieder zusehen und mehr zu erfahren. Mehr über sie und mehr über ihre Geschichte. Es war seltsam: Obwohl es keine Anzeichen gab, dass die junge Frau überhaupt noch einmal zurück an diesen Ort kehren würde, erhoffte ich – nein, war ich mir sicher, dass ich sie wieder dort antreffen würde. Je mehr ich darüber nachdachte, umso langsamer verging die Zeit. Doch endlich wurde die Situation wieder etwas entspannter. Es gab nicht mehr so viel zu tun und eines Abends erinnerte ich mich wieder an den wunderbaren Moment, als ich mit ihr am Meer saß und sie mir die Geschichte erzählte. Es war schon recht spät, vielleicht zu spät um noch einmal auf den Hang zu gehen; ich tat es trotzdem. Es wehte wieder eine leichte Brise, wie damals, jedoch war sie nicht so angenehm warm. Ich hatte mir eine Decke mitgebracht, denn selbst im Sommer konnte es in der Nacht sehr kühl werden. Zunächst legte ich sie nur ins Gras und setzte mich daneben, doch schon bald war ich durch die Kälte gezwungen, sie um meinen Körper zu wickeln. Gerade, als ich damit fertig geworden war, tauchte eine dunkle Gestalt neben mir auf. Lautlos und so unauffällig, als wäre sie schon die ganze Zeit dort gewesen. Etwas erschrocken richtete ich mich aus der Hocke auf. Ich hoffte… und wurde nicht enttäuscht. Mit einem freundlichen Lächeln ließ sich die junge Frau ins Gras nieder, so sanft, als fiele eine Feder auf die Erde. Ich setzte mich ebenfalls wieder, ohne jedoch den Blick von ihr zu wenden. Sie schaute mich nicht an, sondern blickte direkt aufs Meer. Der Mond legte einen silbrigen Schimmer über das Wasser. Es wirkte wie verzaubert. Wunderschön. Ich suchte ihren Blick, wollte, dass sie mich ansah, doch sie tat es nicht. Ich versuchte es anders. „Hallo.“, meinte ich leise, „Es… es ist schön, dich wieder zu sehen. Was… für ein Zufall.“ Unsicher schenkte ich ihr ein Lächeln. Ihr Blick wurde noch wärmer, als wüsste sie es besser. In ihren Augen erstrahlte ein Glanz, obgleich sie mich immer noch nicht ansah. Enttäuscht schwenkte ich meinen Blick wieder aufs Meer. Da erklang plötzlich wieder ihre leise, zarte Stimme. Sie ähnelte dem Säuseln des Windes und war dennoch klar und deutlich zu verstehen. Sie zerschnitt auch nicht die Stille, wie es wohl meine müde Stimme getan hatte, sie war einfach nur da und erfüllt die Luft mit dem Klang des Windes. Leicht und zart. „Man trifft sich immer zweimal im Leben.“ Augenblicklich sah ich sie wieder an, in der Hoffnung, dass sie meinen Blick erwiedern würde. Ich wurde abermals enttäuscht. Weiterhin sah die Frau wie verzaubert aufs Meer hinaus. „Zum Glück.“, bestätigte ich ihren Satz. Als hätte sie mich nicht gehört, sprach sie: „Ich kannte einmal zwei Mädchen.“ „Ah, wieder eine Geschichte!“, freute ich mich. Die Frau ignorierte meinen Kommentar. Sie wollte weiter erzählen, doch als sie ihren Mund öffnete, musste sie schrecklich husten. Ihr ganzer Körper schüttelte sich und sie kniff fest die Augen zusammen. Aufmerksam wickelte ich mir meine Decke vom Leib und legte sie über die Schultern der jungen Frau, damit sie sich nicht erkältete. Dankbar wickelte sie sich darin ein, schluckte kurz und setzte erneut an. „Beide waren schon seit frühester Kindheit eng miteinander befreundet. Sie trafen sich oft und verbrachten den größten Teil ihrer Freizeit gemeinsam.“ „Oh ja“, platzte es aus mir heraus, „Ich hatte früher auch so einen besten Freund. Damals, als ich noch viel Zeit hatte, haben wir oft miteinander gespielt und allerlei Unsinn angestellt.“ Und traurig fügte ich hinzu: „Er und seine Familie mussten leider fortziehen. Ich weiß nicht, wo er jetzt wohnt und ob er überhaupt noch lebt.“ Mitgenommen seufzte ich. Die Frau hatte mich, während ich sprach, aufmerksam angesehen – zum ersten Mal an diesem Abend – nicht, als wäre meine Geschichte von größtem Interesse, sondern als würde sie auf mein Innerstes horchen, die Gefühle. Seltsam, wie offen man es ihr ansah. Sie war keineswegs undurchschaubar, man musste nur genau hinsehen und verstehen… „Sie taten alles gemeinsam“, fuhr sie fort, “doch eines Tages hatten sie einen fürchterlichen Streit. Dabei entwich der Jüngeren eine Beleidigung. Die Andere konnte ihr das nie verzeihen, so sehr sich ihre Freundin auch entschuldigte.“ Sie sprach nicht weiter. Stille. Ich sah sie verwundert an. Sie schien betrübt. Plötzlich meinte ich, etwas Glänzendes an ihrer Wange zu sehen. Mit ausdrucksloser Mine wischte die junge Frau mit der Hand drüber. Nun war nichts mehr zu sehen. Sie fuhr fort. „Von da an sprachen sie nie wieder ein Wort miteinander. Ihre Freundschaft war zerbrochen.“ An dieser Stelle mischte ich mich ein. „Und das nur, weil sich die eine im Wort vergriffen hatte? Ist das nicht ein wenig übertrieben?“ Die Frau antwortete nicht. Das tat sie nie. Sie erzählte nur und schien sie die Worte der anderen nicht wahrzunehmen. Stattdessen wollte sie wieder zu erzählen beginnen, doch wurde sie abermals durch einen Hustenanfall aufgehalten. Sie schien sich wohl erkältet zu haben. Das wunderte mich nicht. Schließlich hatte sie weder eine Jacke noch eine Decke dabei. Nach einiger Zeit war sie wieder bereit, weiter zu sprechen. "Die Jahre vergingen und seither waren sich die beiden Frauen nie wieder begegnet. Beide hatten inzwischen einen Ehemann und Kinder und eines Tages kam die Ältere wieder in das Dorf, aus dem sie nach ihrer Heirat weggezogen war. Sie erinnerte sich wieder an ihre Vergangenheit, ihre Kindheit und den Streit. Sie hatte ihrer Freundin nie vergeben. Plötzlich wollte sie, dass alles noch einmal von Vorne anfängt und wollte sich entschuldigen. So kam es, dass sie ihre ehemalige Freundin ausfindig machte, die noch immer in diesem Dorf wohnte, und sie klopfte an ihrem Haus klopfte. Als diese die Tür öffnete und ihre alte Freundin sofort erkannte, fielen sich beide vor Freude in die Arme." Gespannt hatte ich zugehört. Ich erinnerte mich noch immer an meine vergangene Freundschaft. „Ich kann“, sprach ich in die Stille hinein, „mir sehr gut vorstellen, wie es den beiden in diesem Augenblick erging. Es muss wohl etwas ganz besonderes sein, dieses Wiedersehen.“ Auch ich wünschte mir ein Wiedersehen mit meinem Jugendfreund. Die Frau nickte langsam und fuhr fort: „Beide waren so froh, sich wieder zusehen und diesen Streit ein für allemal aufklären zu können. Sie wollten sich fortan des Öfteren treffen und verabredeten sich. Doch die Eine kam zu ihrem Treffen nicht. Als es der Älteren zu lang des Wartens wurde, begab sie sich zum Haus der Freundin und klopfte an. Es öffnete niemand und als sie bei den Nachbarn nachfragte, erfuhr sie voll Schrecken und Trauer, dass ihre Freundin von einer plötzlich aufgetauchten schweren Krankheit binnen nur einer Woche dahin gerafft worden war.“ Wieder schluckte die Frau. Ihre Mundwinkel zuckten und es spielte schon lang kein Lächeln mehr auf ihren Zügen. „Und so war ihre Freundschaft endgültig und ewig, doch ihre Zweisamkeit dahin.“ Ich sah die junge Frau neben mir an. Ich konnte ihren Blick nicht deuten. Kein Lächeln, aber auch kein Schmerz. Kein Gefühlsausdruck, nichts. Ich vermochte nicht, so wie sie, ins Innerste eines Menschen zu schauen. In diesem Augenblick kam ich mir so schrecklich dumm und hilflos vor. „Das… was für ein Pech…“, begann ich und brach dann doch wieder ab. „Wäre sie doch nur früher zurück zu ihrer Freundin gekehrt. Hätte doch nur eine früher nachgegeben.“ „Der Stolz der beiden hat es unmöglich gemacht, sich selbst eine längere gemeinsame Zeit zu schenken“, sprach die Frau und sah wieder mich an, eindringlich wie immer. „Kanntest du die beiden Frauen?“, platze es unüberlegt aus mir heraus und sie wandte ihren Blick rasch wieder von mir ab und blickte aufs Meer. Eine Antwort gab sie nicht. Wie immer. Hosted by Animexx e.V. 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