Black Rain von chronographics ================================================================================ Kapitel 14: Chaos ----------------- Shinya schlüpfte in seinen Schlafanzug und zog seinen warmen Yukata* über. Eine Tasse Tee wäre jetzt auch nicht schlecht. Mit einer Kanne Tee und seiner Lieblingstasse ging er ins Schlafzimmer und ließ sich auf dem Boden vor seinem Bücherregal nieder. Was wollte er jetzt lesen? Morgen hatte er eine Vorlesung in Physik, also heute lieber nichts darüber. Sonst würde er wieder die meiste Zeit halb schlafend im Hörsaal verbringen. So konnte er sich zumindest einreden, es interessant zu finden. Also lieber etwas Philosophisches. Er zog ein Buch aus dem Regal, legte sich auf sein Bett und begann zu lesen. Es ging um schicksalhafte Liebe. Shinya legte seine Lektüre zur Seite. «Liebe... irgendwie war ich noch nie verliebt. Ich weiß eigentlich nicht einmal, wie sich so etwas anfühlt... man will bei dem sein den man liebt... fühlt Dinge, wie bei sonst keinem Menschen... mmh... eigentlich wie bei mir und... » Die Klingel riss ihn aus seinen Gedanken. «Wer ist das denn jetzt? Um diese Zeit...» "Hi Shin, kann ich rein kommen?" ein völlig durchweichter Toshiya stand im Türrahmen und fror erbärmlich, als Shinya die Tür öffnete. "Natürlich. Was ist denn passiert? Du siehst ja furchtbar aus!" er zog den Blauhaarigen in seine Wohnung und schob ihn direkt ins Bad. "Du stellst dich am Besten erst mal unter die heiße Dusche." Shinya drückte seinem Freund ein Handtuch in die Hand. "Und währenddessen such ich dir trockene Kleider von mir raus. Und dann erzählst du mir, was los ist, ja?" Toshiya nickte und Shinya ging in sein Zimmer um in seinem Kleiderschrank zu kramen. «Was geb' ich ihm nur für Kleider? Den großen weichen Pulli hat immer noch Kaoru... und Unterwäsche bräuchte er vermutlich auch, so durchweicht wie er ist... Wo hab ich denn nur... ah, genau, die Boxershorts, die mir Tante Rin geschenkt hat... mir sind die viel zu groß, aber Toshiya könnten sie passen...aber mit Snoopy drauf? Egal... Hauptsache sie passen. Und einen Pulli... genau und die Baggys... die könnten auch von der Größe her reichen... so...» Shinya machte sich wieder auf den Weg zum Badezimmer. Scheinbar war Toshiya fertig mit Duschen, denn er hörte kein Wasser mehr laufen. Zaghaft klopfte Shinya an. Er konnte ja schlecht einfach so hinein platzen. Er spürte wie es ihn heiß überlief, als er an Toshiya dachte. «Shinya... genug jetzt...» Vorsichtig schob er die Tür auf. Toshiya saß zusammengesunken auf dem Badewannenrand, das Handtuch um die Hüften geschlungen und starrte vor sich hin. "Hier, ich hab die Kleider von mir rausgesucht. Ich hoffe sie passen." Toshiya blickte auf "Danke." "Ich... äh... geh dann schon mal ins Wohnzimmer." Shinya schloss die Tür hinter sich und lehnte sich von außen dagegen. In ihm machte sich ein Gefühl von Verwirrung breit. Was fühlte er für Toshiya? Der Blauhaarige ließ sich neben Shinya aufs Sofa fallen. Er seufzte. Shinya blickte auf und sah ihn an "Toshiya, magst du mir vielleicht sagen, was los ist?" Toshiya legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. "Ich wollte mich bei Die entschuldigen und ihm meine Hilfe anbieten. Ich merke ja, dass es ihm nicht gut geht. Aber er hat mich kaum zu Wort kommen lassen und mich dann aus seinem Zimmer geworfen... und..." seine Stimme wurde leiser "dann bin ich einfach abgehauen. Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, dass er mich so behandelt... und..." Toshiya schlug sich die Hände vors Gesicht. "Weißt du Shin, es geht schon seit Tagen... oder besser Wochen schon so. Die... er ist so launisch und reizbar. Schlimmer als ein Teenie in der allerschlimmsten pubertären Phase... Ich weiß nicht mehr was ich machen soll..." "Meinst du nicht, dass es ihm längst Leid tut?" Shinya streichelte sanft über Toshiyas nasse Haare. Mit einem Mal hatte er keine Hemmungen mehr, ihn zu berühren. «Vielleicht, weil er mich jetzt als Freund braucht...» "Weißt du, ich kenne deinen Bruder nicht so gut wie du, nicht mal annähernd, aber ich glaube, er ist nicht so gefühlskalt, dass er nicht längst bemerkt hat, dass er zu weit gegangen ist." Toshiya schaute Shinya mit wässrigen Augen an. Seit wann war Shinya so ein Menschenkenner? Woher wusste er, wie er seine Worte in solchen Situationen setzen musste? «Ich kenne wohl nur seine trauernde, hilfsbedürftige Seite. Aber er ist wirklich stark...» Ihn fröstelte wieder. "Toshiya, du bist immer noch total unterkühlt. Ein Wunder, dass du dir da draußen nicht den Tod geholt hast. Das Beste ist, du legst dich auf der Stelle ins Bett. Ich mache dir eine Wärmflasche und Tee habe ich auch noch im Schlafzimmer..." "Aber..." "Kein aber." Erschöpft sank der Blauhaarige auf Shinyas Bett nieder. "Hier, trink das, das wärmt von innen!" Shinya reichte seinem Freund eine Tasse Tee. "Und dann leg dich hin und deck dich zu." Besorgt musterte Shinya das blasse Gesicht Toshiyas, der sich in die Kissen vergraben hatte und dessen Atem jetzt ruhig und gleichmäßig ging. Vorsorglich breitete er noch eine weitere Decke über ihn. Gerade als er ihm sanft mit der Hand über die Wange streicheln wollte, klingelte das Telefon. "Hallo Kaoru, gut dass du anrufst. Toshiya ist bei mir. Ich habe ihn erst mal ins Bett gesteckt, er war total ausgekühlt." "Die beiden hatten wieder Krach und Toshiya hat es zu Hause nicht mehr ausgehalten..." "Gute Nacht" Shinya konnte sich nicht dagegen wehren, dass er wieder rot wurde. «Bestens aufgehoben... ja, sicher... auch wenn mich der Geschwisterzoff nichts angeht... aber ich möchte, dass es Toshiya gut geht...» Shinya zog seinen Yukata aus und setzte sich neben Toshiya aufs Bett. Sein Gesicht zeichnete sich hell gegen die Kissen ab und wurde durch das einfallende Licht von außen noch zusätzlich hervorgehoben. Wieder stieg dieses Gefühl in ihm auf. Aber es war anders. Bedrückender. Gepaart mit Traurigkeit. Was wenn er sich doch in ihn verliebt hatte? Aber das konnte nicht sein. Toshiya war ja keine Frau, trotz seinem recht femininen Äußeren. Und wenn doch? Nein, das durfte nicht sein. Toshiya war einer seiner besten Freunde. Mit seinen Gefühlen für ihn würde er ihn hintergehen. Er brauchte ihn doch jetzt - irgendwie. Shinya legte sich neben Toshiya unter die Decke, peinlichst darauf bedacht, so weit wie möglich Abstand von ihm zu halten. +++++++++ «Was ist das denn?» Als Shinya am nächsten Morgen aufwachte, spürte er etwas warmes, dass sich um ihn geschlungen hatte. Schlaftrunken öffnete er die Augen. Toshiya hatte im Schlaf seinen Arm um Shinya gelegt und sich an ihn gekuschelt. Shinya schoss sofort wieder das Blut ins Gesicht und sein Herz begann wie wild zu klopfen. «Was mach ich nur, wenn Toshiya jetzt aufwacht... » Aber konnte sich noch nicht davon lösen, genoss die Wärme die Toshiya ihm schenkte. Schließlich schob er vorsichtig Toshiyas Arm von sich und versuchte sich geschickt aus dem Bett zu manövrieren, ohne dass der Andere es mit bekam. Als er es endlich geschafft hatte, stürzte er aus dem Zimmer und flüchtete sich ins Bad. Seine Gefühle in ihm fuhren jetzt Achterbahn. Er ließ sich an der Tür hinab gleiten und verbarg den Kopf in den Händen. Er schämte sich zutiefst. Es war ihm ja nicht einmal unangenehm gewesen. Und Toshiya hatte das ja sicher nicht mit Absicht gemacht. Schließlich hatte der geschlafen und außerdem, so sagte sich Shinya selbst, ging es ihm momentan nicht so gut, verständlich dass er sich da im Schlaf an ihn gekuschelt hatte. Toshiya schlug die Augen auf und sah gerade noch, dass jemand wie gehetzt das Schlafzimmer verlies. Wo war er eigentlich? Und warum lag er völlig angezogen im Bett? Langsam dämmerte ihm, dass er sich nicht bei sich zu Hause im Bett befand, sondern bei Shinya. Und alle Geschehnisse des letzten Tages fielen ihm wieder ein. Der Streit mit Die, die missglückte Entschuldigung und seine Flucht von zu Hause. Toshiya dreht sich auf den Rücken und seufzte. Wie sollte das bloß weiter gehen. Und mit Shinya... er erinnerte sich dunkel daran, dass er sich wohl in der Nacht an ihn geklammert haben musste, als er so gefroren hatte. Ob der Kleine es bemerkt hatte? «Hoffentlich nicht... es reicht ja schon, dass ich ihm bald nicht mehr ins Gesicht sehen kann ohne rot zu werden... oh Gott... was mach ich nur... Toshimasa, reiß dich zusammen... krieg dein Gefühlschaos wieder unter Kontrolle... ja verdammt, Shinya ist total süß... aber er ist dein Freund und er steht garantiert nicht auf dich...» ++++++++++ Das Frühstück und den Weg zur Uni hatten sie, fast schweigend, hinter sich gebracht. Toshiya trug immer noch Shinyas Kleider und in einer Tüte seinen Kimono. Keiner der beiden verspürte das Bedürfnis mit dem anderen zu reden und beide hingen ihren verworrenen Gedanken nach. Shinya dachte über seine Freundschaft und Gefühle für Toshiya nach und Toshiya über seine Gefühle für Shinya und den Streit mit seinem Bruder. Schließlich trennten sich ihre Wege und jeder verschwand in seinem Hörsaal. ++++++++++ Oh Gott, dass kann doch wohl nicht wahr sein... jetzt kann ich ihm nicht mal mehr in die Augen sehen... ich hätte mich nicht dazu hinreißen lassen dürfen, die Nähe zu ihm so zu genießen. Ich bin ein Mann und er ist ein Mann. Und das ist nicht normal. Abartig sich in einen Kerl zu verlieben... was würde er sagen, wenn er es erfahren würde? Wahrscheinlich wäre es dann vorbei mit unserer Freundschaft... aber ich kann nichts gegen diese Gefühle machen... und wenn ich es ihm einfach sage? Und ihn bitte, Verständnis dafür zu haben? Verständnis wofür? Dass ich mich in ihn, einen Kerl verknallt habe? Und dann? Sagen, dass ich mich schon wieder unter Kontrolle bekommen werde und diese Gefühle sicher irgendwann im Sand verlaufen werden? Und wenn sie es dann doch nicht tun? Und es nur noch schlimmer wird? Und es würde immer zwischen uns stehen... Und wenn er das gleiche für mich fühlt? Mal abgesehen davon, dass ich mir da nicht die geringsten Hoffnungen zu machen brauche, es ist sowieso nicht so, aber wenn... wie sollten wir das unseren Eltern beibringen... oder unseren Freunden... einfach so von wegen, hört mal alle her, wir sind nicht schwul, wir haben uns nur aus Versehen in einander verknallt weil er so feminin aussieht, tja, Pech gehabt, akzeptiert es oder lasst es bleiben? In diesem Land ist es nun mal so, dass es nicht akzeptiert wird... nicht ohne weiteres zumindest... aber die Frage stellt sich sowieso nicht... diese Liebe ist sowieso nur einseitig... also was soll's? Warum zerbreche ich mir hier eigentlich so den Kopf... Lieber auf die Vorlesung konzentrieren... Anmerkungen Yukata: leichter Kimono aus Baumwolle, entweder fürs Haus oder für den Sommer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)