Broken Life - gebrochenes Dasein von Kizu8 (Wieviel Schmerz erträgt eine Seele..?) ================================================================================ Kapitel 22: Zu Zweit da draußen ------------------------------- Ich fühle nichts mehr. Ich schaue raus, doch meine Sinne sind blind. Meine Welt ist voller Lärm, doch mein Ohr sträubt sich, sie an zu nehmen. Ich habe das Gespür meiner Zunge verloren, verblüht sind die Knospen auf ihr. Mein Körper - ein befremdlicher Klumpen, der an Knochen klebt, welche ich nicht mehr als meine erkennen kann. Das Blut fühlt sich trocken an, es kratzt mir in den Adern. Staubig ist mein Atem, Asche meine Seele. Mein Odem trägt sie hinaus, will sie dem Wind mitgeben. Doch sie ist zu träge, zu zerrissen. Der Sturm da draußen droht sie zu zerbrechen. Elendig sinkt sie zu Boden, sucht Schutz bei ihrer Mutter. Doch der Vater verdammt sie, bricht ihr das Genick. Raubt ihr den letzten Schatten des Herzens. Ich fühle nichts mehr, habe alles gegeben. Sitze hier und recke dem Licht mein lebloses Haupt entgegen. Meine Sinne schenkte ich der Dunkelheit, meinen Körper der Welt. Doch ich spüre deine Schwingen noch. Du bist wieder da, Schwester. Ein paar Vögel zogen vor dem Fenster ihre Kreise. Sie neckten sich, hüpften auf dem Fensterbrett umher, zwitscherten vergnügt. Sanft fielen Schneeflocken zu Boden, regten ihn zum Träumen an. Aber sie schafften es nichts, seine Augen blieben grau und leer. Die Eiskristalle schmolzen schnell dahin und vergingen, je ehe ein Lebewesen wirklich von ihnen Notiz nehmen konnte. Vielleicht war es das. Sie starben zu schnell, sie fristeten halbherzig ihr Dasein. Er hasste das. Angeekelt wollte er den Blick davon wenden, aber er konnte nicht. Seit Stunden, wenn nicht sogar Tagen lag er da, und starrte apathisch hinaus. Er atmete, sein Herz schlug, der Stoffwechsel verlief normal, aber er zeigte keine Reaktionen mehr. Er existiere zwar, aber er lebte nicht. Ich fühle nichts mehr, habe alles gegeben. Niemand konnte ihm helfen. Es war alles so verdammt anders geworden. Keiner wusste mit ihm umzugehen. Sie kamen ab und zu, redeten sich den Mund fusselig und versuchten den Schein des Papstes zu wahren. Ihre gespielte Nächstenliebe verursachte bei ihm Übelkeit, doch er blieb reglos. Ihre Worte erreichten ihn nie, sie verloren sich im Wind, in dieser Welt. Sie bewegten nur Staubkörnchen in der Luft. Ein Grund mehr sie nicht zu beachten. Es war alles so sinnlos. Er schwebte ihm absoluten Nichts. Es gab kein Vor, kein Zurück. Hüllenlos steckte er im Nirgendwo fest. Er war gerettet worden, gegen seinen Willen. Er hatte alles hinter sich lassen wollen, hatte alles abgeschlossen. Und nun wurde er dazu verdammt, weiter die Lungenflügel zu bewegen. Es war keine Folter, es war aber auch kein Geschenk. Es war nichts. Rein gar nichts. Es war ihm egal. Ich fühle nichts mehr, habe alles gegeben. Da, neben seinem Bett, saß sie. Füllte den Raum mit ihrer Aura - seit Ewigkeiten. Sie war still, aber nicht stumm. Er hörte sie. Ihr Flüstern schmückte den Wind. Das Echo hallte in ihm wider. Unbeeindruckt nahm er es wahr. Er spürte sie, ohne dass er es wollte. Ohne dass es ihm widerstrebte. Sie war einfach da. Er akzeptierte es. Sie kam ihm nicht zu nah, sie sprach nicht zu ihm, sie berührte ihn nicht. Sie war einfach da. Hier neben ihm. Sie war einfach da. Dass sie ebenfalls nach draußen sah, wusste er natürlich. Er musste sie nicht sehen, nicht riechen oder fühlen. Er spürte sie einfach, er vernahm ihre innere Stimme. So schenkten sie der Welt da draußen ihre Zeit, ohne sie zu verlieren. Sie waren zu zweit, aber nicht beisammen. Die Luft rutschte ihnen die Kehle entlang, ihre Herzen schlugen trostlos gegen den Brustkorb und sie sahen hinaus. Sahen mit ihren toten Augen dem Leben nach. Die Schneeflocken fielen unbeirrt weiter zu Boden, küssten mit dem letztem Atemzug die Mutter, bis sie wieder vom Himmel entsandt wurden. So sahen die beiden dem Leben zu, wie es sich drehte und an jedem Wesen vorbeizog. Wie der Wind mal an dem einen riss und den anderen aber nach vorne trieb. Und sie fühlten nichts, sogen nur die Luft mir ihren Stimmen und Schicksalen ein, um sie am Ende mit ihrer eigenen Geschichte zu bereichern. Und diese Luft gesellte sich dem Wind und flog mit ihm um die Welt. Darum hatte sein Engel auch fliegen können. Weil der Wind den Schwingen Auftrieb gegeben hatte. Seine Stimme hatte sie erreicht, sein Wind hatte sie bewegt. Und nun saß sie neben ihm, starrte hinaus ohne eine verbliebene Feder. Sie war seinem Ruf zu sehr gefolgt. Sie hatte ihre eigenen Grenzen zu weit überschritten. Er hatte es gespürt, wie sie ihn gerettet hatte. Wie sie ihn aus der Dunkelheit gezogen hatte. Doch leider konnte sie seine Sinne nicht mehr retten, sie selbst hatte viel zu viel bezahlen müssen. So blickten die beiden hinaus, besahen sich, was sie verloren hatten. Ihre Flügel waren verkohlt, die Seelen verbrannt. Kraftlos sickerte der letzte Rest Blut durch ihre Venen. Sie waren beide erschöpft, schauten sich nicht an. Sie wusste vom anderen, spürten ihn. Die Lebenden zogen an ihnen vorbei, wussten nicht wer die beiden waren. Aber es war ihnen egal. Es war, als würde sein Atem ihrer sein. Sein Herzschlag war ihr Puls. Sie teilten sich die eigene Leere, waren der frühere Zweck des anderen. Sie waren die Vergangenheit, das Spiegelbild. Geboren aus dem Leib der Mutter, hatten sie aus der Hand des anderen gelebt. Ihre Kraft hatten sie aus der gegenseitigen Schwäche geschöpft. Ihr Ziel war ihr Verderben zugleich. Sie mussten den anderen nicht sehen oder hören, weder fühlen noch riechen. Sie wussten von ihm. Sie wussten von ihrem Spiegelbild. Eine Symbiose zur Ewigkeit verurteilt. Sie waren eins. Es gab keine Fragen mehr, Antworten konnten sie nicht mehr ausfüllen. Das Privileg der Klarheit waren mit dem Chaos verschmolzen. Es war ihnen egal. Es konnte keinen Blick zurück mehr geben, abgebrannt war das alte Haus. Tausend Wege lagen vor ihnen. Und so waren sie ganz ruhig und starrten hinaus. Erinnerungen hatten sich aufgelöst. Das alte Leben war mit ihnen untergegangen. So lag er da, sah den Vögeln dabei zu, wie sie im Schneetreiben tollten und atmete einfach. Am Anfang hatte er das neu gewonnen Leben verachtet. Doch nun lag es vor ihm, wie eine weiße Leinwand. Er hatte die Möglichkeit auf ihr zu malen. Er musste es nicht. Er konnte laufen, er konnte versuchen zu leben. Er musste es nur wollen. Es gab keine Ketten mehr, die ihn hindern würden. Er begann bei Null. Ihm stand alles offen. Langsam ging die Sonne unter und ihre letzten Strahlen suchten sich den Weg in die Welt. Der Himmel spielte mit den Farben, gestaltete Wolken zu watteförmigen Tupfen um. Die Dämmerung war schon immer der beste Künstler gewesen. Wehmütig erlosch das Farbenspiel alsbald und die kühle Nacht deckte die Erde zu. Der Mond thronte über dem dunklen Schleier und spiegelte sanft das ferne Licht der vergessenen Sonne wider. Wie Samt fielen die Strahlen auf sein Gesicht, hüllten es in einen zerbrechlichen Glanz. Ganz gleich ob Nacht oder Tag, das Licht rief die beiden immer wieder. Doch ob sie es annehmen würden, wäre ihre Entscheidung. Er betrachtete den Mond nüchtern, spürte wie sie es ihm gleichtat. Er spürte ihren ruhigen Puls. Sein Herzschlag stellte sich auf den ihren ein. Automatisch. Er konnte es nicht beeinflussen. Jeder hatte für den anderen einmal die Flügel gegeben, nun waren sie eins. Jeder lebte aus der Hand des anderen. Eine Krankenschwester betrat den fast vollständig dunklen Raum. Kopfschüttelnd durchquerte sie ihn und schloss die Gardinen, damit die schwere Finsternis einkehrte. Die Frau sprach das Mädchen an, aber diese nickte nur stoisch. Danach verschwand die Gestalt, so schnell wie sie gekommen war. Die Leinwand war schwarz geworden. Man hatte den Raum als solchen verschlossen. Plötzlich kam es ihm vor, als würde er keine Luft mehr bekommen. Der Sauerstoff ging aus, das Atmen verfehlte seine Wirkung. Der Brustkorb wurde eingedrückt. Doch er verspürte nicht die Lust, dem Einhalt zu gebieten. Es war ihm egal. Er fühlte dabei nichts. Auf einmal stand sie neben ihm auf, streckte die Glieder und ging sicheren Schrittes zum Fenster. Sie musste nichts sehen, sie wusste, wo das Licht herkommen würde. Es zog sie an. Rauschend räumte sie die Gardienen bei Seite. Der Knoten in seinem Hals löste sich augenblicklich. Das kalte Mondlicht erhellte wieder sein Antlitz. Somit floss das Blut wieder zum Herzen. Er kam sich merkwürdig frei vor. Der Sauerstoff strömte mühelos durch den Körper. Ihre Stimme - sie sang ein Lied. Er vernahm es als leises Gesäusel. Wie eine Nuance der Nacht schwirrte sie in seinem Kopf. Es war angenehm, eine sanfte Briese. Sie wollte etwas sagen, er spürte es deutlich. Er blickte sie daraufhin an. Ihr schwarzes Haar wallte seidig über den Rücken, verlieh dem gefallenen Engel etwas entgültiges. Sie war verloren. Ja, verloren - wie er. "Sie werden es wohl nie verstehen.." sagte sie matt. Ein Lächeln überkam ihre Lippen nicht, doch er konnte ihre milde Aura spüren. Auch wenn sie viel davon einbüßen musste, hatte sie es doch nicht ganz verlernt. Ja, die Lebenden würden es nie verstehen. Sie sprach das aus, was er wusste. Vielleicht war es gut so, dass niemand sie verstehen konnte. Keiner würde sie mehr gefährden. > Sie werden es wohl nie verstehen..< Vielleicht war dies eine Garantie für etwas Neues. Für eine gute Gelegenheit. Die Leinwand lag wieder weiß vor ihm. Er könnte auf ihr malen. Sie könnte auch auf ihr malen. Sie könnte seine Farben benutzen Es würde ihn nicht stören. Diese Aura, dieses Lächeln - vielleicht war das der richtige Anfang. Vielleicht war das die erste Sekunde nach Null. Ich danke euch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)