Sonnengeboren von Tamy-kitsune ================================================================================ Kapitel 2: Schattenfall ----------------------- Jahrhunderte vergehen ... Herbstlicher Nebel hüllt das Tal in einen grauen, feuchten Schleier. Düster ist auch der wolkenbedeckte Himmel. Und doch gut zu erkennen ist eine Statue, die auf dem Hügel über den Ruinen eines schon lange verlassenen Dorfes steht. Sie wirkt lebendig, die Gestalt mit den segnend erhobenen Armen einer Göttin, aber sie trägt einfache, fast häßlich zu nennende, einer Unsterblichen unwürdige Kleidung. Ein Raubvogel, der von den östlichen Bergen kommt, umkreist sie zum wiederholten Male und landet auf den Armen, stößt krächzende Schreie wie Rufen oder Lachen aus. Erst als er die Reiter sieht, die auf die Ruinen zukommen, stößt er sich mit kraftvollem Schwung wieder ab und kreist im Himmel. Für einen Augenblick glühen die Augen der Statue auf - in lebendigem, glitzernden Zorn. Dann sind sie wieder leblos wie zuvor. "Das sind nur die Ruinen eines Dorfes! Kein heimliger Ort, um ihr eine Zuflucht zu finden, mein Prinz. Außerdem könnten hier die Geister längst vergangener Menschen ihr Unwesen treiben - solche Stätten haben das an sich", murmelt der breitschultrige Mann, der vor dem zartgliedrigen Jüngling reitet. "Mir ist nicht ganz wohl an diesem Ort. Hier riecht es nach dunklen Göttern und bösartigen Geistern." "Ach, mein guter Galain!" lacht der junge Mann, der die Augen gegen die aufgehende Sonne beschirmt und die Abhang vor ihnen hinaufblickt. "Vielleicht sollten wir uns von dort oben aus umsehen, wenn wir in den Ruinen eine Unterkunft gefunden haben! Außerdem brauchen unsere Pferde dringend eine Rast, und ich fühle ich mich auch müde und zerschlagen. Außerdem werden uns unsere Feinde in ihrem heiligen Tal nie vermuten. Hier soll ihre Göttin schlafen. Ha, ich lache darüber!" "Wie ihr meint!" brummt der andere unwillig und steigt von seinem Roß, führt es zu einer verfallenen Tränke, die noch immer durch ein Rinnsal gespeist wird. Er ärgert sich über den Leichtsinn seines Schützlings, der als einziger Sproß der königlichen Familie überlebt hat und die Hoffnung seines Volkes ist. Doch er zögert, die Pferde zu tränken, als er den Bottich genauer in Augenschein nimmt: Das Wasser ist grün und schlammig. "Das können wir vergessen", meint er, als der Jüngling an ihn herantritt. "Dann suchen wir eben auf dem Hügel die Quelle!" befiehlt dieser knapp. "Glaubst du davon lasse ich mich schrecken?" Sie folgen dem Rinnsal, während um sie herum der Nebel weicht und mehr von der Landschaft preisgibt. Schließlich entdecken sie den Quell, der aus einem Felsenriß entspringt und stillen ihren Durst. Der Ältere kümmert sich um die Tiere, während der junge Prinz plötzlich die Augen zusammenkneift und seinen Dolch zieht. "Was ist?" zischt der andere besorgt, doch eine Geste gebietet ihm schweigen. mit dem Blick folgt er dem jungen Mann, der zur Spitze des Hügels hinaufschleicht. Nun sieht auch er die reglose Gestalt inmitten von zerfallenem Stein. Der Prinz hat in seinem kurzen Leben schon so viel erlebt, daß er sich jetzt nicht schrecken läßt. Er kriecht um die Gestalt herum und erhebt sich mit einem trockenen Lachen, als er erkennt, was er vor sich hat. "Eine Statue!" entfährt es ihm, als er die Figur betrachtet, die weder Spuren des Windes noch des Regens zeigt. Es ist ein Weib, daß die Hände abwehrend gegen die Berge im Osten erhoben hat - so scheint es zumindest. Die Augen sind weit aufgerissen - in Qual oder Anstrengung? Er erstarrt. Die Augen! Es sind funkelnde Juwelen, die so wertvoll wie sein Reich sein müssen. Er spürt einen Stich in seiner Brust. Die soll er hier lassen? Nie und nimmer! Damit kann er genügend Söldner anwerben um zurückzuerobern, was ihm genommen wurde! Noch zögert er. Die Legenden der Feinde kommen ihm in den Sinn: In diesem Tal schläft die Göttin der Weisheit, die einst unter ihnen lebte, so heißt es da - und sie sei unzerstörbar und ewig wie Stein. Ist sie das oder hat er nur ein Abbild vor sich? Sie kommt ihm seltsam bekannt vor, aber er kann nicht sagen, ob er sie schon einmal in Träumen oder der Wirklichkeit gesehen hat. Sein Herz pocht, als er näher tritt, dann atmet er erleichtert aus: Nein, der Glanz in den Augen ist tot! Nur die Spiegelung des Lichtes. Er lacht wieder und winkt seinen Begleiter herbei. "Sieh dir das an Galain! Das ist der Schlüssel zu unserem Sieg!" Er deutet auf die Juwelen in der Statue, die als Augen dienen. "Mit ihnen werden wir uns die Armee kaufen, die mir mein Erbe zurückgeben wird!" verkündet er mit glühendem Eifer und hebt seinen Dolch. "Laßt es sein!" lenkt sein Begleiter furchtsam ein. "Wenn die Geschichten wahr sind, dann lenkt Ihr den Zorn der Götter auf uns, und wir verlieren auch noch unser Leben! Die Juwelen werden euch nur Unglück bringen." Seine Augen weiten sich, seine Stimme beginnt zu zittern, als er auf den Himmel blickt. Von dort nähert sich ein Falke - größer und glanzvoller als die, die er kennt. "Nicht, Prinz! Das ist ein Götterbote!" "Was für ein Unsinn! Er ist uns gewogen, nicht dieser 'schlafenden Göttin', die unsere Feinde seit Jahrhunderten anbeten, seit sie vom wahren Glauben abfielen!" schnaubt der Jüngling und setzt die Spitze seines Dolches an, um die Gemmen herauszubrechen. Er beißt die Zähne aufeinander und strengt seine Muskeln an, doch die Klinge gleitet ab und schneidet in seine Hand. Blut quillt aus der Wunde und netzt die Lippen der Statue. Ein Schrei läßt den Prinzen zurückweichen. Sein Begleiter deutet auf den Falken, der den Hügel umkreist. "Seht, er will sich auf uns herabstürzen! Wir sind verloren!" Der hellhaarige Mann steckt den Dolch fort und zieht sein Schwert. "Du wirst mich nicht so leicht bekommen, Dämonenvogel!" frevelt er. Alle Ehrfurcht ist aus seiner Stimme gewichen, ein anderer Wahn scheint ihn ergriffen zu haben. Währenddessen röten sich bleiche Wangen und steinerne Augen beginnen grün, immer lebendiger und heller zu blitzen, steinernes Haar beginnt wie Feuer zu lodern und zu glühen. Arme senken sich steif, dann macht die Statue einen Schritt und hebt den Kopf. Ihre Augen sind auf den Falken gerichtet, der einen gellenden Schrei von sich gibt. "Rekianna!" "Bei den Göttern, Herr!" Der bärtige Mann legt dem Jüngling die Hände auf die Schultern und reißt ihn zur Seite, als er bemerkt hat, daß Leben in die Statue gekommen ist. "Das ist ein verwunschener Ort! Laßt uns fliehen, solange noch Zeit ist. Seht ihr nicht? Das muß die schlafende Göttin sein, und jetzt ... fordert sie den Götterboten heraus. Bitte Herr, kommt, ehe euch noch ein Unglück geschieht!"" "Nein, ich will sehen, was dort geschieht!" Der Prinz ist voller Mut und Neugier, doch gegen die Stärke des anderen kommt er nicht an. Rekianna spürt, wie sie aus dem langen Schlaf erwacht ist. In ihr pulst das Blut der Sonnengeborenen heiß und unbeständig wie das Himmelslicht, während sie unter sich das Summen der älter gewordenen Erde spürt. Doch was hat ihr die Äonen währende Rache gebracht? Über ihr kreist Ralkan, und sie weiß, das der Kampf nur aufgeschoben ist, den er vor langer Zeit forderte. Er hat sein Versprechen wahr gemacht, und das einzige Mittel an den Ort gebracht, das den Zauber Alter Drachen lösen kann - königliches Blut! In den Gedanken des Prinzen sieht sie, wie die Sonnengeborenen den fürstlichen Knaben dazu gebracht haben, an diesen Ort zu kommen. Sein Volk mußte sterben - zerstörtes Spielzeug... Es ist also so weit. Sie kann dem Spiel nicht länger ausweichen. Und doch - es ist kein Spiel mehr ... Ihre scharfen Augen erspähen den Falken, der seine Herausforderung in den Himmel schreit und eine Schar von Vögeln aufscheucht. "Also gut. Ich werde mit dir kommen!" ruft sie zu ihm hoch und wirft einen letzten Blick auf die beiden Sterblichen, die den Hügel hinunterlaufen. Der Jüngere hat sie geweckt, wenn sie ihn doch nur belohnen könnte, um den Sonnengeborenen ein Schnippchen zu schlagen ... Aber anderes ist jetzt wichtig. Ralkan darf keinen Verdacht schöpfen! Dann zerfließt ihre Gestalt zu Nebel, erhebt sich als roter Adler in den Himmel und schwebt majestätisch über dem Tal, bis sie Ralkan erreicht hat. Dann stürzt sie wie ein Pfeil hinab, um ihn anzugreifen - um das zu einem Ende zu bringen, was vor langer Zeit begonnen hat. Sie vergißt das, was sie einmal war... Der Prinz senkt sein Schwert und stößt einen lauten Fluch gegen seinen Begleiter aus. "Warum hast du das getan?" brüllt er ihn an, während er kein Auge von den beiden Raubvögeln läßt, die sich ineinander verkeilt haben und dem Wald zustürzen. Federn regnen herab. Die prachtvollen Tiere verschwinden aus ihrer Sicht, während der junge Mann eine Feder auffängt. "Das ist Gold" murmelt er plötzlich. "Pures Gold! Galain, wir müssen noch mehr davon finden!" Der Ältere will etwas sagen, aber er schwiegt, als er in die Augen seines Prinzen sieht. Und so gehorcht er, bis sie genug haben, daß es für eine kleine Armee reichen wird. "Dank Euch, fremde Göttin", ruft der Prinz schließlich, aber seine Stimme verhallt ungehört. Die Vögel sind nicht mehr aufgetaucht, selbst als sie davonreiten, entdecken sie keine Spur mehr von ihnen. Es ist geschehen: Ein Sonnengeborener ist tot. Bleich und kalt, bar jeden Feuers, wie ein verschiedener Sterblicher liegt Ralkan mit zwischen den Wurzeln zweier uralter Bäume, während sein Blut den Boden netzt und sich mit der Erde verbindet. Rekianna steht vor dem einstmals stolzen und stattlichen Mann, dessen unsterbliche Kraft sich in einem Hieb von ihr verflüchtigt hat. Nur Sonnengeborene können ihresgleichen vernichten, doch es ist, wenn der König es nicht befielt, der größte Frevel, den sie begehen können. Aber Rekianna spürt keine Verzweiflung und keine Angst mehr. Sie hat schon vor langer Zeit mit den Unsterblichen gebrochen, und nun werden sie sie nicht mehr bedrohen, denn sie hat ihre Macht bewiesen. Ihre Kraft, die sie hat verleugnen wollen, um nicht den Pfad einzuschlagen zu müssen, den der König von ihr verlangt. Rekianna blickt zum Himmel. Nur für sie sichtbar blinkt ein neuer Stern am Himmel - Ralkans Seele, die sie auf immer beobachten und verfolgen wird. Doch er wird keine Macht mehr über sie haben. Aber das stärkt nur ihren Entschluß. "Du hast gewonnen, mein König. Vor Äonen hast du meine Mutter erschlagen, die Nachterwachte, und nun ist es an mir, die Waage wieder zu richten, und ihren Platz einzunehmen. Erst jetzt verstehe ich, warum dies alles geschehen muß. Mit Ralkans Blut werde ich mein Schicksal besiegeln um das zu sein, was ich nie sein wollte. Du hast deine Gegenspielerin bekommen - aber glaube ja nicht, daß ich deine Schlichen nicht durchschaue!" Und sie beugt sich hinunter und tränkt ihre Hände mit dem Blut des Sonnengeborenen, ehe sie ein verwobenes Muster um sich malt und in dunklen Schwaden in der Tiefen der Erde verschwindet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)