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Kleine Weihnachtswunder

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Der erste Schreibprompt des Adventskalenders lautete:
"In der Adventszeit (Winterzeit) ziehen bei jenen Menschen (Weihnachts)Wichtel ein, die diesen Wichteln ein Türchen aufgebaut haben. Sie sorgen mit Streichen, kreativen Ideen und (lieben) Botschaften für eine (besinnliche) Zeit. Was erleben diese Wichtel?

Infos: https://magische-wichteltuere.de/ - Das Thema darf allerdings auch ganz frei interpretiert werden!"

Zur Story: Rudolfine hat nicht sehr viel Glück - wie soll sie ihr Werk vollrichten, wenn einer der Bewohner ständig auf seinen knochigen Beinen bleibt? Da hilft nur, auf den richtigen Zeitpunkt zu warten.... Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Der zweite Schreibprompt im Adventskalender lautete:
"Schreibe eine (Kurz-)Geschichte, die von einem Weihnachtsklassiker inspiriert wurde. Egal ob Buch, Film oder Song. Das Thema darf auch frei und winterlich statt weihnachtlich interpretiert werden."

Zur Story: Chara versucht sich jeden Tag durch den Verkauf von Lebkuchen über Wasser zu halten, was ihm mehr schlecht als recht gelingt. Doch in seinem Inneren reift der Gedanke, einfach abzuhauen und alles hinter sich zu lassen ...

Das Kapitel hier spielt vor dem Beginn des Spiels. Chara ist in dieser Geschichte männlich.

Inhaltswarnung: Essstörung (Unterernährung), Gewalt (Körperlich), Suchtmittel (Alkohol, Tabak) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Der dritte Schreibprompt des Adventskalenders lautete:
"Schreibe eine (Kurz-)Geschichte, die sich mit dem Thema Kälte auseinander setzt. Das Thema darf frei interpretiert werden."

Zur Story: Asriel ist wieder zu Flowey geworden - und mit dieser Verwandlung ist auch wieder diese Kälte in seiner Seele da, die für viele seiner Taten in der Vergangenheit mitverantwortlich war. Nun lebt er zusammen mit Toriel und Frisk auf der Oberfläche - doch diese Kälte hindert ihn nach wie vor daran, das Leben mit anderen Personen in vollen Zügen genießen zu können ...

Das Kapitel hier spielt nach der Route "True Pacifist". Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Der vierte Schreibprompt des Adventskalenders lautete:
Schreibe eine (Kurz-)Geschichte zu dem Lieblingsbild der Person, die ihr Lieblingsbild über deinem gepostet hat (siehe: Türchen 12). Falls du keines gepostet hast, dann wähle das Bild derjenigen Person, die in der Serverliste am nächsten über dir steht (Liste im nächsten Post).
Die Person über mir war Nikki, ihr Bild war ein Herz, welches in den Schnee gelaufen worden war.

Zur Story: Undyne und Alphys kommen von ihrem Einkauf zurück, als sie ihr Weg in den örtlichen Stadtpark führt. Es entsteht eine winterliche Stimmung, welche durch die Legenden, die Alphys ihrer Partnerin erzählt, noch verstärkt wird ...

Das Kapitel spielt nach der Route "True Pacifist". Komplett anzeigen

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Die kleine Tür hinter dem Sockenstapel

Zum wiederholten Male legte sie ihr Ohr an die Tür und begann zu lauschen. Einzig das laute, aufregende Schlagen ihres Herzens war zu hören, und das störte sie gewaltig. Ihr Blick wanderte zu der Uhr, welche sie auf magische Art verkleinert hatte, da sie sonst viel zu groß für ihre Wand gewesen wäre. Sie las eine Uhrzeit ab, zu welcher sich normale Menschen längst ins Bett verirrt hätten. Normale Menschen und auch Monster.

Doch diese Monster hier waren alles andere als normal.

Rudolfine, wie alle anderen Tomte, waren mehr als überrascht gewesen. Eines Tages hatte ihnen der Weihnachtsmann von der Zerstörung der Barriere erzählt, von der Befreiung der Monster und der Heldentat eines kleinen Kindes. Diesem Kind hatte die Welt es zu verdanken, dass aus einer längst vergessenen Legende eine lebhafte Geschichte geworden war. 

Seitdem waren die Türen auch in den neu errichteten Monsterhäusern erschienen, Rudolfine konnte noch das frische Holz an den Wänden riechen. Sie hatte sich gefreut, als ihr endlich ein Haus zugeteilt worden war, jedoch … niemand hatte ihr gesagt, dass ihr Job alles andere als einfach werden würde.

Sie wusste, wenn auch nur ein menschliches Wesen sie zu Gesicht bekommen würde, dann stünde sie ohne Zauberkräfte da. Zudem würde ihr die lebenslange Verbannung aus der Menschenwelt bevorstehen.

Rudolfine ließ sich nicht entmutigen. Es war unbekannt, ob diese Regel auch für Monster galt, dennoch wollte sie nichts riskieren. Sie hatte viele hunderte Jahre in den unterschiedlichsten Häusern verbracht, die Menschen auf die Weihnachtszeit vorbereitet, sie in guten wie in schlechten Zeiten begleitet. Nicht nur einmal war sie bis zum bitteren Ende bei ihnen geblieben.

Das hier hätte ein Job werden sollen, wie es die vergangenen Jahrhunderte nicht anders war. Sie musste nur warten, bis alle Bewohner sich schlafen gelegt hatten, und dann konnte sie ihr Werk verrichten.

Doch leider, leider spielten die Bewohner nicht nach ihren Regeln, besonders Papyrus nicht. Während sein Bruder sich recht oft und früh ins Bett begab, legte sich Papyrus nur selten hin. Und wenn er es doch tat, dann höchstens für drei Stunden.

Wobei, konnte man dabei wirklich von Schlaf reden? Manchmal legte Papyrus sich nur hin und schloss seine Augenhöhlen, wie andere Leute es mit ihren Augen taten. Manchmal schlief er dabei sogar, sein Brustkorb hob und senkte sich und so tat es auch der Pyjama, den er dabei trug. Und manchmal lag er nur mit offenen Augenhöhlen im Bett, starrte an die Decke und schien über etwas nachzudenken.

Die restliche Zeit verbrachte er entweder auf der Arbeit oder in der Küche. Und das alles so unregelmäßig, dass es Rudolfine schwerfiel, ihrer Tätigkeit problemlos nachgehen zu können.

Oft genug musste sie ihre aktuelle Tätigkeit abbrechen, um sich ganz knapp hinter ihre Türe retten zu können. Gleichzeitig verbot es ihr Tomte-Stolz aufzugeben. Die beiden Skelette, besonders Papyrus, freute sich auf Weihnachten und diese Freude war die Energie, die sie am meisten motivierte. Sie waren keine schlechten Wesen, wie es ganz düstere Menschenlegenden in vergangenen Zeiten glauben machen wollten.

Sie waren einfach nur verdammt schlecht darin, so etwas wie einen einigermaßen normalen Alltag zu etablieren.

Es gab jedoch auch Nächte, an denen Rudolfine Sans ebenfalls hätte verfluchen können. Wie oft er sich in die Küche teleportiert hatte, um einen kleinen Snack zu sich zu nehmen? Recht schnell hatte sich Rudolfine an den regelmäßigen Wechsel aus Hell und Dunkel, Laut und Leise, allein oder nicht aus der Küche heraus gewöhnen können. Sie wusste, wenn es so weit war, würde sie die Küche für den Rest der Nacht meiden müssen. Was unpraktisch war, wenn sie die Küche selbst nutzen wollte …

Erst langsam konnte sich die Tomte an die beiden Monster gewöhnen, nahm es ihnen jedoch nur zum Teil übel. Wenn sie wüssten, dass sie hier war, dann würden sie vielleicht mehr Rücksicht auf sie nehmen. Wenn sie nur den Brief gelesen hätten, den Rudolfine ihnen vor die Tür gelegt hatte, gleich, nach ihrer Ankunft im Haus der Skelettbrüder.

Ein Stapel an weißen Socken, und Dach aus Zetteln, über welche sich die Brüder gegenseitig anschrieben, hatten den Brief restlos unter sich begraben. Und hier war es auch mit Rudolfines Toleranz am Ende. Sie wusste nicht, was die Socken bereits alles gesehen, erlebt und absorbiert hatten – und ihrem Seelenfrieden zuliebe wollte sie auch nie eine Antwort auf diese Frage haben. Einen zweiten Brief zu schreiben, kam auch nicht in Frage und so blieb ihre Anwesenheit ein kleines Geheimnis, dass ihr ein wenig die Arbeit erschwerte.

Gleichzeitig spielte es ihr auch in die Hand, dass die Brüder sich gegenseitig als Hauptverdächtiger in Betracht zogen, was ihre bisherige Dekorationsarbeit anging. Papyrus ging davon aus, dass er es entweder selbst erledigt und nur wieder vergessen hatte. Oder dass sein Bruder es endlich schaffte, nicht mehr so faul zu sein, wie er oft laut meckernd im Wohnzimmer erzählte.

Sans dagegen schien entweder seinen Bruder im Verdacht zu haben oder jemand anderen. Da er aber oft einen sehr zufriedenen Eindruck machte, durch die unbekannte Hilfe nicht mehr selbst Hand anlegen zu müssen, schien er sich eher bedeckt zu halten. Oder war auch er komplett ahnungslos?

So recht konnte Rudolfine es nicht sagen, gleichzeitig war ihr das Risiko zu hoch, um es zu überprüfen.

 

Ihr Ohr lag auf der Tür, sie hatte sich so einiges vorgenommen, was sie bisher nicht hatte erledigen können. Zwar war noch genug Zeit bis zum Weihnachtsfest und dennoch: Sie wollte nicht alles auf den letzten Drücker schaffen.

Von außen konnte sie keine Geräusche hören, nicht einmal das Öffnen der Kühlschranktür. Sollte sie es wirklich riskieren?

Vorsichtig öffnete Rudolfline ihre Tür ein Stück, sofort sah sie die Dunkelheit, die im Wohnzimmer herrschte. Mit einer raschen Bewegung löschte sie das Licht in ihrem kleinen Zimmer, um keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen zu können. Offensichtlich hatten sich beide Skelettbrüder hingelegt und das auch noch in ihre eigenen Betten. Rudolfine konnte ihr Glück kaum fassen.

Sofort schnappte sie sich ihre Zauberbox und sah sich im Wohnzimmer um. Dekorationen waren bisher noch keine vorhanden, eine Tatsache, die dringend geändert werden musste. Rudolfline öffnete ihre Zauberbox und sprach wenige Worte. Sofort glitten mehrere Meter Lametta aus der Box heraus, flossen wie ein Wasserstrom durch die Luft, angeführt von Rudolfines Bewegungen mit dem Zeigefinger.

Ihre Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt und so legte sie das Lametta um das Treppengeländer, wie auch das Geländer des ersten Stocks.

Anschließend verteilte sie kleine Kerzen rund um einen kleinen, mit Zuckerstreuseln verzierten Stein. Mit einem Schnipsen aktivierte sie die Kerzen und sie erfüllten den Raum mit ihrem künstlichen Flackern. Fasziniert sah Rudolfine diese an. Seit es einer Tomte unabsichtlich gelungen war, durch einen unbeaufsichtigten Adventskranz fast das komplette Haus ihrer Familie abzubrennen, bestand der Weihnachtsmann nun auf die künstlichen Versionen mit Batterie.

Es waren echte Kerzen mit einem unechten Feuer. Kopfschüttelnd wunderte sich Rudolfine über den Einfallsreichtum der Menschen, konnte jedoch den Nachhaltigkeitsgedanken dahinter verstehen.

Als letztes musste sie sich für heute nur noch um die Träume der Brüder kümmern, doch, würden diese das zulassen?

 

Mit leisen Schritten schlich sie die Treppe hinauf, vermied die eine knarzende Stufe und wischte sich den Schweiß vom Gesicht, als sie ihr Ziel erreicht hatte. In Sans Zimmer würde sie nicht kommen, die Tür war Tag und Nacht abgesperrt. Nur ganz selten konnte sie hören, wie Sans seine Tür öffnete, doch meistens verließ er sich auf seine eigenen Teleportationskräfte.

Sie warf, obwohl sie es besser wusste, einen Blick auf Sans Tür, diese wirkte vollkommen unverändert. Dann musste eben doch Papyrus ran.

Jungen verboten, Mädchen verboten, nur Papyrus erlaubt, stand auf einem Schild, dass unter anderem seine Zimmertür zierte. Rudolfine kannte derartige Schilder bereits aus der Vergangenheit, meistens waren es Teenager, die die Spuren ihres Erwachsenwerdens mit peinlichster Genauigkeit vor dem Rest der Familie verbergen wollten. Manchmal waren es auch Zimmer jenseits von Ordnung und Übersicht. Ganz selten war auch beides der Fall.

Sie schlich um das Bett herum, welches wie ein Auto geformt war. Es war viel öfter verlassen als benutzt, soweit Rudolfine es mitbekommen hatte und so zuckte sie zusammen, als sie das größere Skelett darin schlafen sehen konnte. Als hätte sie bis zum Schluss nicht mit diesem Anblick gerechnet.

Sie ging noch ein Stück weiter und kletterte an der Seite herauf, um einen besseren Blick auf ihn werfen zu können. Ein wenig beschlich sie die Angst, dass er wieder mit offenen Augen die Decke anstarren würde, dass er sie sehen und für sie alles vorbei sein würde … doch das regelmäßige Heben und Senken seiner Bettdecke konnte Entwarnung geben.

Es war alles in Ordnung und Papyrus schlief tief und fest. Zwar war sein Schlaf nie von langer Dauer, aber so intensiv, dass sie für den Moment in Sicherheit war.

Ihr Blick wanderte von der Decke wieder zum Skelett selbst, er hatte die Augen eng zusammengepresst und seine Zähne knirschten geräuschlos aufeinander. Ein Albtraum, dass den jungen Mann quälte, das konnte sie sofort erkennen.

Der Arme, schon wieder einer dieser Albträume, dachte sie voller Mitleid, als sie langsam zu seinem Bett hinaufschwebte. Dann kletterte sie zu ihm herüber, bis sie bei seinem Gesicht angekommen war. Sein Schädel fühlte sich wärmer an, als sie es erwartet hatte, kaum hatte sie ihre Hand an seinen Kieferknochen gelegt.

Ich werde dich nun von deinen Albträumen befreien, dachte sie vor sich hin, als sie sich auf die passende Zauberformel konzentrierte. Ihre Hand begann zu leuchten und wärmte sich auf, es erforderte viel von ihrer Konzentration und doch war es ein Kinderspiel für sie.

Welchen Traum könnte ich dir stattdessen schenken? Diese Frage stand im Raum, als ihr Blick auf das Bett fiel, in welchem Papyrus lag. Hatte er nicht erwähnt, dass er damit viel zu gerne in seinen Träumen fuhr? Oder auch mit der echten Version in der Garage? Doch da die Tomte keine Ahnung hatte, wie das echte Auto von Papyrus aussah und sie keine Zeit verlieren wollte, musste das Bettauto herhalten. Sie schickte Bilder von einer gemütlichen Autofahrt, ein ganz normaler Ausflug in die Berge, durch ihren Geist in den seinen hinein. Es dauerte nicht lange, bis sich sein Gesicht entspannte und er zufrieden zu lächeln begann. Papyrus würde nun für den Rest der Nacht einen erholsamen Schlaf genießen können.

Rudolfine dagegen spürte, wie ihr die Energie erneut ausging und dass sie für heute ihr Werk getan hatte. Vorsichtig kletterte sie aus dem Bett heraus und verließ das Zimmer genauso schnell, wie sie es betreten hatte. Auch die Treppe stellte keine Probleme dar. Die eine Stufe im Sinn, ging sie zum Wohnzimmer zurück und blickte sich zufrieden um. Ob sie es bemerken würden? Rudolfine hoffte es sehr, ihr Werk sollte nicht umsonst gewesen sein. Und wer würde nicht ein wenig Anerkennung für sein Werk bekommen wollen?

Müde rieb sich Rudolfine die Augen. Es lagen noch eine Menge Dinge vor ihr, die sie noch erledigen wollte, doch diese würden bis zur nächsten Nacht warten müssen. Oder bis zur übernächsten. Wann auch immer sich ihr die nächste Gelegenheit bieten würde.

Für heute jedoch hatte sie genug. Leise verschloss sie die Tür hinter sich, überlegte, welche Art von Schokolade die beste wäre, mit welchen sie die Plätzchen verzieren könnte. Ihr Weg führte sie sofort auf ihr Bett – kaum hatte sie sich auf die Decke gelegt, wurden ihre Augen schwer. Zufrieden, wenigstens ein bisschen was erreicht zu haben, begann Rudolfine zu lächeln und ihr Geist trug sie in die schönsten Träume, die sie sich hätte vorstellen können.

Der kleine Junge mit den Lebkuchen

„Dass du es ja nicht wagst, ohne Geld wieder nach Hause zu kommen“, hatte sein Vater ihm gesagt, während sein Blick sich in seine eigenen, müden Augen gebohrt hatte.

„Du wirst jede einzelne dieser Lebkuchen verkaufen, jede einzelne von ihnen! Denk ja nicht daran, sie zu verschenken, wir sind doch nicht die Heilsarmee! Wenn du sie wegwirfst, werde ich das wissen!“

Wie üblich hatte er auf einem dicken Batzen Kautabak gekaut, die einzige Freude, die sich sein Vater zusammen mit einer großen Flasche Alkohol gönnte. Sein Atem stank nach Nikotin, mit jedem Wort hauchte er den unausstehlichen Geruch in Charas Nase. Er hatte schon lange gelernt, flach genug zu atmen, um so wenig wie möglich davon abzubekommen. Allein die Tatsache, dass sein Vater ausnahmsweise den Vodka ignoriert hatte, rettete Charas Nasenhaare ein klein wenig.

„Und komme ja nicht auf die Idee, sie zu essen. Du sollst damit Geld verdienen und dich nicht an unseren Waren vergreifen wie ein Affe ohne Anstand!“

Charas Blick wurde kalt, er schluckte jegliche Sprüche, die ihm auf der Zunge lagen, herunter. Solange sein Vater nur seine übliche Rede hielt, solange er seine zitternde Hand oder seinen Gürtel bei sich behielt, war alles gut. Chara wusste, wann es sinnvoll war, den Mund zu halten. Wenn der Vater komplett blau war von seinem Lieblingswasser mit den Namen Vodka, konnte er ihm alles an den Kopf werfen, was er wollte. Je mehr sein Vater getrunken hatte, desto mehr neigte er zum Weinen und Jammern. Am nächsten Tag war alles wieder vergessen, doch diese Tage wurden immer seltener. Stattdessen beschränkte sich sein Vater darauf, jeden Tag auf dem gleichen bisschen Kautabak herumzukauen, bis seine Zähne jegliche Substanz herausgedrückt hatten.

„Nein, Vater, das werde ich nicht tun“, war Charas Antwort darauf gewesen. Bloß nicht zu viel sagen, bloß keinen falschen Blick aufsetzen. Chara hatte jeden Grund dafür, ruhig zu bleiben.

Ihm war zuletzt eine Legende in die kleinen Ohren gekommen, eine Art von Geschichte, die ihm sein Vater niemals erzählen würde. Eine Art von Geschichte, die der Vater als Schwachsinn bezeichnen würde.

Doch Chara hatte diese Geschichte gefallen. Seit er sie eines Tages während seiner Schicht in der Fußgängerzone aufgeschnappt hatte, hatte sich jedes einzelne Wort in sein Herz geprägt. Er hatte keine weitere Familie, keine Freunde und auch kein Geld, um sich ein Buch zu kaufen. Selbst für eine Bibliothekskarte fehlten ihm die finanziellen Mittel.

Auf der anderen Seite, sein Vater sah darin nur Material, um den Ofen für die nächsten Stunden beheizen zu können, und das Buch der Bibliothek dann zu erstatten? Die Schulden würden ewig auf Charas kleinen Schultern lasten.

Deshalb ging Chara die Worte immer wieder und wieder durch. Während seiner Tagesschichten, wenn nicht sonderlich viele Menschen in der Fußgängerzone unterwegs waren. Wenn er im Bett lag und sich unter seiner dünnen Decke zu einem Ball zusammengerollt hatte, in der Hoffnung, so viel an Körpertemperatur wie möglich zu behalten. Wenn sein Vater ihm einen Vortrag über seine alte Arbeit hielt, wie viel besser die Welt doch vor zwanzig Jahren gewesen war. Einen Vortag, den Chara sicherlich auch im Schlaf aufsagen könnte, wenn er sich dafür nur genug interessieren würde.

Vaters olle Kamellen interessierten ihn aber nicht. Stattdessen mochte er die Geschichte, in welcher die Menschen über eine andere Spezies gesiegt hatten. Wie eine Gruppe von Monstern besiegt und in den Untergrund des Mount Ebott verbannt wurde. Dass sie seitdem hinter der Barriere ihr Dasein fristen würden. Niemand wusste, ob an der Legende was dran ist, hatte der fremde Vater zu seiner Tochter gesagt. Die Tochter hatte einen erschreckten Eindruck gemacht, doch Chara konnte das nicht verstehen. Er konnte nicht verstehen, warum die Tochter so eine Angst haben würde. Er wusste auch nicht, warum der Mann es ihr erzählte; warum Chara ausgerechnet diese Geschichte zu hören bekommen hatte. War es Schicksal? Immerhin war diese Geschichte, so heroisch der Vater sie auch rüberbringen wollte, nur ein weiteres Zeugnis dafür, wie verdorben und schlecht die Menschheit an sich war.

Chara fand sich in seiner Abneigung nur bestätigt, und war deshalb froh, außer seinem Vater keinen weiteren Menschen zu kennen, mit dem er sich regelmäßig abgeben musste.

Die Kunden, die seine Lebkuchen abkauften, waren stets andere, er hatte keine Stammkunden. Er verließ sich dagegen auf die Laufkundschaft, die durch die Läden lief, nach Geschenken oder Ablenkung suchten. Sie gaben ihm Geld, hin und wieder ein Lächeln, doch davon konnte er sich nichts kaufen. Sein Herz erreichte es sowieso nicht.

 

Nun stand Chara wie üblich in der kleinen Spalte zwischen zwei Häusern, die Wände schützten ihn vor den strengen Winden, die seit Tagen die Stadt fest in ihren Händen hielt. In seinem Korb lagen noch sechs der Lebkuchen, vier hatte er bereits verkaufen können.

Chara sah sich um, der Nachmittag war bereits fast vollkommen vorbeigegangen und nur wenige Menschen hatten seine Stelle passiert. Normalerweise war die Gegend belebter, da sich hier viele Geschäfte befanden, in welcher Verzweifelte ihre Käufe auf die letzte Minute erledigen konnten. Chara war dies alles egal, solange genug Menschen an ihm vorbeiliefen und seine Lebkuchen kauften, das war für ihn die Hauptsache. Geld bedeutete Freude. Geld bedeutete, dass sein Vater mit ihm zufrieden war. Geld bedeutete, dass er hin und wieder Essen bekommen würde. Je mehr Geld, desto mehr Essen. So einfach war das. Das hatte Chara schon sehr schnell verstanden.

Die Praxis wich jedoch von der Theorie ab. Als hätten sich die Menschen einen neuen Ort zum Einkaufen gesucht, war eine deutlich geringere Menge an Menschen unterwegs. Oder war ihnen alle das Geld abhandengekommen?

Chara konnte es sich nicht erklären, nur mit der Situation zurechtkommen und versuchen, das Beste daraus zu machen.

Um sich abzulenken, ging er wieder die Geschichte durch, die er vom unbekannten Vater belauscht hatte. Dass es den Berg tagsächlich gab, daran hatte Chara keine Zweifel. Ab und zu hatte er den Mount Ebott in der Ferne betrachten können. Das ist ein Ort, an den man nicht hingeht. Das ist ein Ort, den man nur aufsucht, wenn man verschwinden möchte.

„Geh doch weg, wenn es dir hier bei mir nicht passt!“, hatte sein Vater sehr oft gesagt und das war alles, was Chara dazu wissen musste. Lange Zeit hatte Chara diesen Satz an sich abprallen lassen, doch seit zwei, drei Wochen? Erschien ihm die Möglichkeit, in einem Berg voller gefährlicher Monster zu verschwinden, als tröstlich.

Die Alternative war, eines Tages in seinem Bett zu verhungern oder auf der Straße zu erfrieren. Irgendwann würde Chara noch weiterwachsen und dann? Würden ihm seine Kinderklamotten nicht mehr passen, ihm keinen Schutz mehr vor den strengen Temperaturen des Winters mehr geben können. Chara würde sein rasches Ende finden, dessen war er sich bewusst. Es war nur eine Frage der Zeit, auch kam es stark auf das Wie an. Chara wusste nur eins: Wenn er schon keine Kontrolle über sein Leben hatte, dann wollte er wenigstens für den letzten Moment, für ein paar Minuten, das Sagen haben.

 

Müde blickte er sich um, die wenigen Menschen, die sich auf der Straße befanden, ignorierten ihn oder waren zu tief in einem Gespräch vertieft. Sein Magen schmerzte, und ein Gefühl von Übelkeit stieg in ihm auf. Beim Anblick der Lebkuchen lief ihm das Wasser im Mund zusammen. Sofort zwang sich Chara, seine Aufmerksamkeit wieder auf die Menschen zu bringen. Immerhin mussten sie ihm die restlichen Lebkuchen abkaufen, sonst konnte er nicht eher nach Hause gehen.

Sein Korb musste leer an Lebkuchen und voll an Geld sein, sonst würde ihn sein Vater nicht mehr hineinlassen. Er hatte es probiert, doch sein Vater hatte ihm keine Gnade, kein Mitleid gezeigt. Es waren die schlimmsten Nächte und Chara versuchte, so wenig wie möglich daran zu denken.

Eine kleine Welle durchfuhr seinen Kopf, der sich wie leergefegt anfühlte. Er war froh, dass er direkt zwei Häuserwände zur Seite hatte, an welche er sich stützen konnte. Sie gaben ihm den Halt, dem ihm sonst niemand geben wollte.

Mit den kalten Fingern rieb er sich über seine müden Augen, und um sich wach zu halten, versuchte sich wieder vorzustellen, wie die Monster wohl ausgesehen hatten. Angeblich gab es unter ihnen Skelette, Echsenwesen und gar Ziegen, die auf zwei Beinen laufen würden! Allein die Vorstellung gab Chara ein Gefühl der Freude, brachte ihn aber auch zum Nachdenken. Wer waren die wirklichen Monster? Die Wesen, die seit knapp tausend Jahren von der Welt abgeschnitten waren? Oder die Monster im Menschenkostüm, die fürchterliche Taten vollbrachten, mit der Überzeugung, im Recht zu sein?

Für Chara lag die Antwort ganz klar auf der Hand.

Es fiel ihm schwer, ein Lächeln auf seine Lippen zu zaubern oder die Menschen anzusprechen. Seine Stimme war schwach, leise und überhörbar. Wieder und wieder schluckte er Speichel und Übelkeit herunter, doch sie wollten nicht gehen.

Wieder sah er auf seinen Korb hinab, sah die leckeren Lebkuchen, wie sie darauf warteten, gegen wenige Münzen eingetauscht und zeitnah verspeist zu werden. Nur zu gerne würde Chara seine eigenen Zähne in diese kleinen Köstlichkeiten drücken, seinen eigenen kleinen Magen damit füllen. Doch sein Vater würde nach dem Geld fragen, das er ihm nicht geben konnte. Zehn Lebkuchen gegen zwanzig Münzen. Das wäre eine viel zu große Differenz von zwölf Münzen. Die Strafe, die sich sein Vater dafür ausdenken würde, wollte Chara sich lieber nicht vorstellen.

Wenn Chara dem Verlangen nachgeben und diese Lebkuchen essen würde, dann hätte er nur noch zwei Möglichkeiten. Er könnte sie essen, es seinem Vater erzählen und dann mindestens erneut Bekanntschaft mit dessen Gürtel machen. Oder er könnte davonlaufen, sich verlaufen und dann langsam erfrieren. Wo würde der Unterschied liegen? Keiner der beiden Wege war erstrebenswert, es war nicht so, als hätte Chara eine andere Wahl …

Er riss seine Augen auf, ein Geistesblitz durchzuckte seine Gedanken, es war so hell, dass sein Innerstes zu glühen schien. Warum war er nicht gleich auf die Idee gekommen? Wollte er nicht wenigstens ein Teil seines Schicksals in den Händen halten? Wollte er nicht bestimmen, wie seine Geschichte enden würde?

Ein schwaches Lächeln, mehr konnte Chara nicht zustande bringen. Selbst wenn es nur eine Legende war, welche Rolle würde es dann spielen? Niemand würde nach ihm suchen, niemand würde ihn vermissen. Sein Vater würde meckern, aber mehr? Nein, so viel Energie würde der Mann nicht in sein ungewolltes Kind stecken. Auch dies hatte er Chara eines Abends wissen lassen, während sie beide ganz genüsslich an einer trockenen Entenkeule geknabbert hatten.

 

Verlockend lagen die Lebkuchen in seinem Körbchen und lachten ihn an. Nach all der Zeit des Verzichtens, des Hungerns, des Leidens: Warum nicht? Er hatte sich ohnehin immer öfter ausgemalt, wie es wäre, wegzulaufen. Wie es wäre, den ganzen Weg bis zum Berg zurückzulegen und für immer in seinem Inneren zu verschwinden? Da konnte er auch gleichzeitig sein letztes, leckeres Mahl genießen, nicht wahr?

Sofort nahm Chara die Silbermünzen heraus und steckte sie in seine Hosentasche, sie fühlte sich sofort viel schwerer an. Dann nahm er einen der Lebkuchen heraus, konnte sein Glück kaum fassen – und biss hinein.

Glückseligkeit erfüllt seine Seele, der Geschmack von Schokolade, Zimt und Lebkuchengewürz bereiten sich auf seiner Zunge aus. Schöne Dinge, die er schon lange nicht mehr hatte schmecken dürfen. Tränen liefen seine Wangen hinab und er wischte sie hastig mit seinem langen Ärmel weg.

Dann folgte der zweite Lebkuchen, der dritte, der vierte. Hatte er die ersten beiden Lebkuchen mit großen Bissen und eiligem Kauen verschlungen, beim dritten und vierten gelang ihm das mit dem Genuss dann schon eher. Sofort wünschte er sich, er hätte ein wenig Wasser, um sich den Gaumen wieder anzufeuchten. Doch er hatte nichts dabei und der Schnee um sich herum, grau, matschig, war keine Alternative.

Schließlich fanden, nachdem er diese ausgiebig gegessen hatte, auch die letzten Lebkuchen den Weg in seinen Magen. Chara wusste es natürlich besser und doch hatte er das Gefühl, als hätte er ein ganzes Menü verspeist. Schon lange hatte er nicht mehr so viel Nahrung auf einmal zu sich nehmen können!

Zufrieden blickte Chara sich um, weder konnte er enttäuschte Kunden sehen noch seinen Vater mit rotem Gesicht und wehendem Gürtel.

Chara hatte den ersten Schritt getan, am Ende war der Hunger doch zu groß gewesen. Und der nächste Schritt wartete auf ihn. Der Mount Ebott wartete auf ihn, wenn es denn sonst niemand tat. Er hatte seine Ware aufgegessen, anstatt sie in Geld umwandeln.

Und wenn! Das spielte keine Rolle mehr!

Erfüllt mit Energie und Entschlossenheit, ließ Chara den Korb neben sich fallen. Dorthin, wo er nun gehen würde, brauchte er diesen Korb nicht mehr. Sollte ihn doch jemand finden und behalten, das war Chara recht.

Stattdessen, mit einem immer breiter werdenden Grinsen, machte Chara sich auf den Weg. Durchschritt die Fußgängerzone, verließ die Stadt und ließ die Menschheit wie auch seine Vergangenheit hinter sich. Vor ihm lag der Berg, die Monster die angeblich dort lebten und ein Schicksal, welches Chara noch nicht sehen konnte. Es war ihm mittlerweile egal, was mit ihm passieren würde. Ob er in dem Berg nun sein Ende fand oder in den Fängen der Monster geriet – es war alles besser als das, was er bis jetzt durchgemacht hatte. Und darauf freute er sich mit ganzem Herzen.

Die kleine Blume im Schlafzimmer

„Frisk, vielen Dank, dass du mir zugehört hast. Aber jetzt solltest du zurück zu deinen Freunden gehen, ok?

Oh, und bitte … wenn wir uns … ähm … uns später wieder sehen sollten … verwechsle Es bitte nicht mit meinem wahren Ich, ok?

Mir wäre es lieber, wenn du mich so in Erinnerung behalten könntest, wie ich im Augenblick gerade bin. Als jemand, der dein Freund war, wenn auch nur für eine ganz kurze Zeit…“

….

...

..

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Liebe. Zuneigung. Mitgefühl.

All dies waren Emotionen, die für einen kurzen Augenblick in seinen Körper zurückgekehrt waren. Er hatte sie mit einer Intensität gespürt, die ihm zuvor bisher unbekannt gewesen war. Es hatte ihn überwältigt. All die Liebe, die die Seelen mit ihm geteilt hatten, es war nahezu unbeschreiblich gewesen. Die Liebe zu sich selbst, zu Frisk, zu ihren Freunden und Verwandten – es hatte sein Herz erwärmt. Wie lange war es her, dass er seine eigenen Eltern lieben konnte? Seine eigenen Freunde?

Es war ein schönes Gefühl, er hatte jede Sekunde davon genossen.

Doch nun war dieses schöne Gefühl wieder weg. Seine Beine waren weg, stattdessen hatte er Wurzeln. Seine Arme waren weg, stattdessen hatte er Blüten. Sein Fell war weg, stattdessen hatte er Blütenblätter. Sein Körper hatte erneut keine Seele mehr und seine Liebe war weg. Geblieben waren ihm nur noch Hass, Trauer, Verbitterung.

Die Welt um ihn herum war wieder grau, trostlos, langweilig. Da änderte auch der Umzug an die Oberfläche nicht, zu welcher Frisk ihn genötigt hatte. Wie konnte ein Kind so dermaßen penetrant sein? Hatte er ihr nicht gesagt, dass er, Flowey, sich um die Blumen in den Ruinen kümmern möchte? Dass er den anderen nicht noch weiteren Kummer bereiten wollte?

Vor allem jetzt, da es ihn wieder an Liebe und Mitgefühl mangelte?

Vor allem jetzt, obwohl er nicht zu retten war?

Die Tränen seiner Eltern, das Mitgefühl seiner Freunde, all das hatte ihn nur genervt. Er kannte all das zur Genüge; er hatte viele Wörter zu hören bekommen, die ihm bereits schon einmal gesagt worden waren. Es waren Worte aus Zeitlinien, die schon lange nicht mehr existierten. Es war nur wenig neues dabei und am liebsten hätte Flowey sie dabei nur zu gerne unterbrochen, doch Frisks Blicke allein hatten ihn zurückgehalten.

Denn das war der Unterschied. Frisk war sein moralischer Kompass, seinen eigenen hatte Flowey schon vor langer Zeit verloren. Sie war sein Leuchtturm in einem Meer aus Unwissenheit, an welchem sich Flowey nach Herzenslust orientieren konnte.

„Sieh es doch so, nun lebst du auch an der Oberfläche. Die Blumen dort unten werden auch ohne deine Pflege zurechtkommen, da bin ich mir sicher. Und auch du kannst einen Neuanfang starten.“

 

Einen Neufang? Flowey schüttelte bei dem Gedanken den Kopf. Wie naiv dieses Kind nach wie vor war! Wenn Frisk das Gleiche wie er durchgemacht hätte, dann würde sie nicht solch einen Unsinn von sich geben.

Natürlich, auch Frisk hatte mehrere kleinere, sowie größere Resets hinter sich. Flowey konnte noch nicht einmal sagen, in der wievielten Zeitlinie sie sich nun befanden. Wie oft hatte das Kind die Monster aus dem Untergrund befreit? Nur einmal? Oder doch öfters? Wie oft war es vorgekommen, dass Frisk ihn aus der Erde geschaufelt und in einem kleinen, farblosen Tontopf aus dem Berg hinausgetragen hatte?

Und überhaupt, was sollte das denn? Spricht da über Freiheit und Neuanfang, spuckt große Töne, dass Flowey nun fast alles tun könnte, was er wollte – nur um ihn dann in einem kleinen Topf gefangen zu halten.

Flowey hätte fast angefangen zu lachen, wenn es ihm nicht im Hals stecken geblieben wäre. Frei und doch gefangen. Welch Ironie. Chara hätte sicherlich Gefallen daran gefunden.

 

Chara…

Flowey sah aus dem Fenster, beobachtete, wie Frisk zusammen mit Toriel den Einkauf aus dem Auto lud und ins Haus hineintrug. Wie sie ihre Arme und Beine benutzten, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Flowey sah an sich herab. Klar, er konnte seine Wurzeln benutzen, doch damit kam er nur durch weichen Erdboden. Der Tontopf war seine Grenzen und das gefiel ihm nicht. Was nur musste er ihnen einflüstern, damit Sie ihm wenigstens einen größeren Topf gaben? Oder ihn mal für ein paar Stunden Auslauf im Garten geben würden?

Auslauf?

Flowey begann zu grinsen. Auslauf … als wäre er ein Hund. Oder was auch immer Menschen sich im Haus hielten und nur kurzzeitig an die frische Luft ließen.

Er hörte ein Geräusch, jemand ging langsam die Treppe hinauf. Flowey erkannte die Schritte, es konnte sich dabei nur um Toriel handeln.

„Ah, du siehst dir wieder die Umgebung an – sehr schön. Wenn du möchtest, kannst du uns nachher auf unseren Spaziergang begleiten“, sagte Toriel mit sanfter Stimme. In ihrer Hand trug sie eine bunte Packung, Flowey kannte sie bereits zu gut. Pflanzendünger, genau die richtige Sorte für die Art von Blume, die er nun war. Er erwiderte nichts, und sah nur zu, wie ihre Pfote eine großzügige Menge rund um seinen Stängel im Topf verteilte.

Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn auf einen Spaziergang eingeladen hatte, und würde auch nicht das letzte Mal sein. Sie würde es ihm wieder anbieten, immer wieder und wieder.

Doch was sollte ihm das bringen? Er würde nur einen leichten Luftzug in seinen Blütenblättern spüren, und das sehen, was Frisk oder Toriel ihm zeigen würden.

War das erstrebenswert? Warum vertrauten sie ihm nicht? Warum ließen sie ihn nicht einfach in die Erde versinken und die Welt auf seine Art erkunden? Warum sollte er auf ihre Gnaden angewiesen sein müssen?

Die Zeiten der elterlichen Abhängigkeit war vorbei, er konnte auf seinen eigenen Wurzeln stehen, wenn es sein musste. Warum also diese Beschränkung? Die Kälte des Winters machte ihm nichts aus und mit ein wenig Druck würde er auch durch den gefrorenen Boden kommen. Es wäre nichts, was er nicht aus seiner Zeit aus Snowdin nicht bereits kennen würde.

 

 Flowey verstand es nicht. Er wollte nicht ihr Mitgefühl, es würde ohnehin nichts an seiner Situation ändern. Er wäre immer noch eine seelenlose Blume.

Oder war genau das der Grund, warum sie ihn hier gefangen hielten? Eben weil er keine Seele, keine Moral, keine Hemmungen hatte? Dabei hatte er doch seine Lektion gelernt …

Und selbst wenn er seiner Langeweile nachgehen wollte, die Zeit für Experimente war längst vorbei. Er hatte keine Kontrolle mehr über die Zeitlinien, Frisk war nun die Person mit der höchsten Menge an Entschlossenheit. Ihre Entschlossenheit war größer als die seine. Seit Frisk in den Untergrund gefallen war, hatte Flowey nicht einen einzigen Reset mehr tätigen können. Daher war schon lange Schluss mit derartigen Dingen.

Wozu das also alles? Was war der Sinn, was war der Zweck? Flowey zog es schon lange vor, allein zu bleiben. Warum sollte er wieder versuchen, mit seiner Mutter zu leben? Er hatte es oft genug versucht, doch er hatte ihre Liebe niemals erwidern können. Ihr Mitgefühl niemals spiegeln können.

Auf der anderen Seite – der Dünger sorgte dafür, dass er sich kräftig fühlte, lebendig und aus irgendeinem Grund nagten auch viel weniger Schädlinge an ihm herum. Früher hatte er ihnen einen saftigen Tod durch seine Samen verpasst, jetzt schienen sie ihn gänzlich zu meiden.

Auch bekam er deutlich mehr Sonne ab, was ihm bei der Photosynthese unterstützen würde. Damit würde er nicht nur sich selbst mit Energie versorgen, sondern auch seine Umgebung mit frischem Sauerstoff. Zumindest hatte er diese Schlüsse aus Toriels langatmiger Erklärung ziehen können.

Dennoch, Flowey vermisste es, seinen Blütenkopf jederzeit in die Erde zurückziehen zu können und an einem anderen Ort wieder auftauchen zu lassen.

Dies war der Inbegriff der wahren Freiheit und er vermisste sie. Seufzend wand er seinen Blick aus dem Fenster.

„Wir können dich natürlich nicht dazu zwingen, Flowey, aber ich denke, es könnte dir guttun. Ein bisschen frische Luft bekommen, mal was anderes zu sehen als unseren Vorgarten – wir können dir auch gerne etwas zu essen oder trinken auf dem Weihnachtsmarkt kaufen.“

Flowey verdrehte die Augen und war gleichzeitig froh, dass Toriel sein Gesicht nicht sehen konnte. Wenn sie nur wüsste… vermutlich zog sie wieder die falschen Schlüsse, aber Flowey hatte keine Lust, sie zu korrigieren. Es hatte ihn immerhin mehrere Wochen und sehr viele Nerven gekostet, sie dazu zu bringen, seinen neuen Namen zu verwenden. Asriel gab es nicht mehr, dieser Name hatte nichts, absolut nichts mit seiner neuen Existenz zu tun. Asriel war ein kleines Monster, er selbst eine kleine Blume. Asriel war zu Emotionen in der Lage, die für Flowey unerreichbar waren.

Nein, diese Leben hatte er hinter sich gelassen und dazu gehörte auch der alte Name.

„In Ordnung, ich werde dich wieder in Ruhe lassen“, sagte Toriel und er konnte den verletzten Unterton hören, den sie so sehr zu unterdrücken versuchte. Er konnte ihn hören – und in ihm regte sich nichts. Kein Mitleid, kein schlechtes Gewissen, nichts. Es war ihm vollkommen egal, so wie es ihm immer egal war. Als Kind hätte er es gar nicht erst so weit kommen lassen, doch dieses Kind war er nicht mehr.

Es gab jedoch etwas anderes, dass in ihm ein kleines Flämmchen zum Lodern brachte. Viele würden Flowey als gefühlsloses Etwas bezeichnen, doch das stimmte nicht. Damit lagen sie so weit von der Wahrheit entfernt, wie Asgore vor seiner zweiten Chance, wieder mit seiner Frau in eine Beziehung kommen zu können. Nein, Flowey kannte, spürte sämtliche Emotionen und Gefühle. Es waren nur genau zwei, die ihm abhandengekommen waren. Die mitsamt seiner Seele in tausend Stücke zersprungen waren.

Freude, Glück, Zufriedenheit, Dankbarkeit. All das war ihm nach wie vor nicht fremd. Und gegen eine Tasse mit leckerem Fruchtpunsch konnte er selbst er nichts sagen. Besonders, wenn er dafür nicht bezahlen müsste? Mal ganz von der Tatsache abgesehen, dass er ohnehin kein Geld besaß.

„Sag mal, Toriel, wenn ich mit euch mitkomme … könnte ich dann eine Tasse mit Fruchtpunsch haben?“

Toriel, die den Raum bereits vollständig verlassen hatte, drehte sich wieder um und spähte durch die offene Tür hinein.

„Aber natürlich, Flowey, du kannst auch gerne zwei Tassen bekommen. In letzter Zeit warst du so brav und ein so guter Zuhörer, ich denke, du hast dir das mehr als verdient.“

Ja, das habe ich! Immerhin musste ich mir all deine langweiligen Geschichten aus der Schule anhören! Ich musste all das Garn halten für diese kleinen Untersetzer, die du unbedingt nähen wolltest!

Ich musste all das Geweine und deine sonstigen emotionalen Ausbrüche ertragen, seit du die Wahrheit über mich erfahren hattest.

Flowey kämpfte gegen den Drang, auch nur einen dieser Sätze auszusprechen. Es kitzelte ihn auf der Zunge und nur zu gerne würde er seine Gedanken in Worte fassen. Ihm selbst würde es ja nicht wehtun und was Toriel empfand, lag jenseits seiner Vorstellungskraft.

Dennoch, er hielt sich zurück. Seine Mutter würde nur erneut in Tränen ausbrechen, zumal sie ihn gerade erst für sein Betragen gelobt hatte. Damit würde er nur jegliche Bemühungen der letzten Wochen zunichtemachen. Flowey war vielleicht nicht in der Lage, Liebe zu empfinden. Aber er war nicht auf den Blütenkopf gefallen. Mittlerweile wusste er, wann er seine scharfe Zunge für sich behalten sollte. Egal, wie viel Spaß es ihm bereiten würde. Manchmal musste er weiterdenken, an sein langfristiges Wohl und nicht an den kurzfristigen Spaß, der oft nicht sonderlich zielführend war. Dann noch dieser vorwurfsvolle Blick von Frisk und die lange Zeit, die er in Toriels Trost investieren müsste… nein, da waren zwei Tassen mit Fruchtpunsch doch viel besser!

„Das freut mich sehr, Toriel!“, sagte Flowey stattdessen, als diese sich ihm näherte, seinen Topf hochhob und aus dem Zimmer trug. Er lächelte, und er freute sich schon auf den Geschmack von warmen Äpfeln und Orangen, die sich auf seiner Zunge ausbreiten würden. Denn dies war ein wahrer Ausdruck von Köstlichkeit und wer würde jeden einzelnen Schluck davon genießen. Jeden Einzelnen.

Das kleine Herz im Schnee

„Den Anime müssen wir uns auf jeden Fall nochmal ansehen!“, sagte Undyne entschlossen und ballte ihre freie Hand fest zu einer Faust. Mit der anderen trug sie die schwere Einkaufstüte. Die, die sie ihrer Freundin nicht zumuten wollte. Grinsend blickte Undyne in den fast dunklen Himmel, bevor sie wieder zu Alphys hinabsah. Zusammen gingen sie durch die unbelebten Gassen der Stadt, die das Volk der Monster seit kurzem bevölkert und bewohnt hatten.

„Meinst du, dass es davon eine neue Staffel geben wird?“

Alphys, welche ebenfalls eine Einkaufstüte in ihren Krallen hielt, erwiderte den Blickkontakt für ein paar Sekunden. Eine nachdenkliche Miene erschien auf ihrem Gesicht, als sie den Kopf wegdrehte.

„Soweit ich weiß, wurde im April die dritte Staffel angekündigt. Wir werden uns wohl noch ein wenig gedulden müssen. Aber ich hätte absolut nichts dagegen, wenn wir uns die bisherigen Episoden noch einmal ansehen würden.“

Undyne verzog unwillig ihren Mund, bevor sie einen schnippischen Ton von sich gab.

„Dann hoffe ich doch mal, dass es den Anime auch als Dub geben wird. Ich habe absolut keine Lust, mir beim Schauen die Untertitel anzusehen. Wenn ich mich mit Texten unterhalten will, kann ich ja auch gleich einen Manga lesen.“

Mit Überzeugung in der Stimme stemmte sie ihre freie Hand in die Hüfte, blickte auffordernd in Alphys‘ Richtung, als würde sie eine Bestätigung von ihr hören wollen. Ein nervöser Schweißtropfen floss Alphys‘ Stirn hinab.

„Nun, ja, also, ich kann es verstehen. Ich bin ehrlich gesagt auch kein großer Fan von Sub bei Animes. Es ist schwer, wenn man gleichzeitig Untertitel lesen muss und Fertig Ramen essen möchte. Da bekomme ich oft nur die Hälfte mit. Oder meine Nudeln werden kalt.“

Undyne nickte verständnisvoll, dann ballte sie ihre Hand ein weiteres Mal, noch intensiver als beim letzten Mal.

„Dann werden die sich einfach mal Mühe geben müssen! Immerhin will ich noch sehen, mit welchen fiesen Typen dieser starke Schleim noch alles den Boden wischen wird. So einen hätten wir damals in der royalen Armee benötigt, damit wären wir die stärksten Krieger aller Zeiten gewesen!“

Undyne presste die Zähne eng zusammen. Dann entspannte sich ihr Gesicht und sie sah mit einem Lächeln zu ihrer Freundin hinab. Kleine, rote Abdrücke zeichneten sich auf der Innenseite ihrer Hand ab, doch Undyne richtete ihre Aufmerksamkeit lieber auf Alphys.

Diese bemerkte das sofort, ihr Gesicht färbte sich von dem üblichen Gelb zu einem knallbunten Rot.

„Achja, und wenn du mehr von diesen Menschenlegenden finden solltest, das wäre auch ziemlich cool. Die letzten Bücher, die du mir geborgt hattest, habe ich mittlerweile durchgelesen und ich sehne mich noch mehr nach solchen Geschichten.“

„Die kann ich dir gerne geben, Undyne, ein paar neue müsste ich in der Zwischenzeit wieder aufgetrieben haben.“

Ihr Weg führte sie in einen kleinen Park, welcher vollkommen ausgestorben wirkte. Frischer Schnee war in den letzten Stunden gefallen und da es für die meisten Kinder bereits viel zu dunkel war, passierten sie auf ihrem Heimweg viele unberührte Flächen. Selbst jetzt fielen noch einzelne, kleine Flocken vom Himmel hinab. Einer von ihnen berührte Alphys‘ Nasenspitze und schmolz schneller davon, als sie ihn wegwischen hätte können. Lediglich die Flocke, die sich in ihre Wimpern verirrt hatte, hielt sich dort recht hartnäckig.

Ein Anblick, der Undyne zum Lächeln brachte. Doch sie behielt es lieber für sich, es reichte, dass sie ihre Freundin einzig und allein durch ihre Blicke aus der Fassung gebracht hatte.

 

Stattdessen zwang sie sich dazu, sich in der Umgebung umzusehen und nach einem neuen Anhaltspunkt zu suchen. Einem neuen Gesprächsstoff, mit dem sie ihre Freundin ablenken und diese sich wieder entspannen könnte. Dann kam ihr eine Idee.

„Hättest du Lust, mir von einer dieser Legenden zu erzählen? Wie du weißt, bin ich kein Fan von Kälte und es würde mich für den Rest des Weges vom Frieren ablenken“, sprach Undyne den Gedanken aus, den die sich wenige Sekunden zuvor halbwegs zurechtgelegt hatte.

Alphys schwieg vor sich hin, lediglich ihre knarzenden Schritte im frischen Schnee waren zu hören. Undyne befürchtete schon, Alphys würde nun gar nicht mehr zu Wort finden, als diese ihr das Gegenteil bewies.

„Ich kenne tatsächlich eine kleine Legende. Es ist keine besonders lange, ich denke, die solltest du lieber selbst nachlesen. Ich will dir ja nicht die besten Geschichten vorwegnehmen. Die sind wirklich sehr gut, du solltest das auf jeden Fall die Tage mal nachholen…“

Undyne räusperte sich unauffällig, nur ein kleines bisschen, doch es genügte, um Alphys wieder auf Kurs zu bringen.

„Oh, ich schweife wieder ab, nicht wahr? Jedenfalls, es gibt da unter den Menschen die Legende vom Mistelzweig. Laut dem Buch, das ich gelesen habe, stammt diese Legende aus der altnordischen Mythologie. Man sagt, wenn zwei Leute sich unter dem gleichen Zweig befinden, dann müssen sie sich einen Kuss geben. Dieser Kuss soll zum einen die Fruchtbarkeit fördern, zum anderen den Frieden bringen können. Da man die Pflanze nutzt, um einen Waffenstillstand auszurufen und um sich danach dann wieder versöhnen zu können.“

Undynes Gedanken begannen zu rattern, kurz musste sie auf Alphys Einkaufstasche linsen, bevor sie den Blick wieder wegschweifen ließ. Zu gerne würde sie den einen oder anderen lockeren Spruch bringen. Immerhin hatte sie gesehen, wie Alphys ein kleines Bündel an Mistelzweigen gekauft hatte.

„Fruchtbarkeit, verstehe, so weit denkst du also bereits voraus.“

Dann hätten wir damals im Krieg gegen die Menschen wohl einfach nur ganz viele von diesen Dingern gebraucht.

Gedanken wie diese lagen auf ihrer Zunge, begannen sie zu kitzeln und zu reizen, zu nerven und zu quälen. Doch ihre Lippen bewegten sich nicht, ihre Mundmuskeln gehorchten ihren Befehlen nicht. Etwas hielt sie zurück und das konnte sie weder verstehen, noch ausstehen. Sonst war ihre Zunge mehr als locker, ihr Mund hatte sie nur zu oft in unnötige Schwierigkeiten gebracht. Warum also ging das auf einmal nicht mehr?

Noch einmal versuchte Undyne ihre Gedanken zu sortieren, gänzlich reaktionslos wollte sie Alphys‘ Erzählung nicht im offenen Raum stehen lassen. Immerhin hatte sie selbst um diese Ablenkung gebeten. Zumindest konnte sich Undyne nicht mehr darüber beschweren, dass sie im Gesicht frieren würde.

„Ich verstehe, das scheint wohl eine sehr vielfältige Pflanze zu sein, wenn  sie zu all diesen Dingen in der Lage ist“, stammelte Undyne mehr schlecht als recht vor sich hin. Sofort verspürte sie den Wunsch, den ganzen Weg bis zum Mount Ebott rennend zurückzulegen und in das Loch an der Spitze hineinzuspringen.

Sie schaffte es noch nicht einmal, Alphys ins Gesicht zu sehen.

„Ja, das stimmt, es soll viele Pflanzen hier auf der Oberfläche geben, denen man eine Menge an Fähigkeiten nachsagt.“

„Ich verstehe, das ist ja wirklich sehr praktisch.“

 

Das Gespräch war eingeschlafen, keine von beiden wollte den Elefanten im Raum ansprechen. Stattdessen konzentrieren sie sich auf sich selbst, auf die Schritte, die sie in den kalten Schnee setzten und auf die einzelnen Flocken, die auf ihren Körpern landeten.

Wieder war das gelegentliche Knirschen und Knacken alles an Geräuschen, die sie zu hören bekamen. Langsam, als sie die Hälfte der großen Parkanlage hinter sich gebracht hatten, spürte Undyne die Kälte an ihren Wangen wieder intensiver und stärker. Die peinliche Berührung hatte ein Ende gefunden und das Blut war längst wieder an anderen Körperstellen an der Arbeit.

„Kennst du noch eine Legende?“, fragte Undyne, obwohl sie sich nicht sicher war, ob sie die Frage bereuen würde. Scham war ein ekelhaftes Gefühl, eins, vor dem nicht einmal einer der besten Kriegerinnen der Monster sicher war. Nein, es musste bekämpft werden! Das konnte Undyne nicht auf sich sitzen lassen, auf keinen Fall! Und jede Ablenkung davon war ihr mehr als recht, wie auch die Ablenkung von den eisigen Temperaturen um sich herum.

Zu ihrer Überraschung ließ Alphys mit ihrer Antwort nicht lange auf sich warten.

„Ich kenne tatsächlich noch eine kleine Legende, die ich dir erzählen könnte. Es geht um etwas, was sich die Menschen wohl seit mehreren hundert Jahren weitergeben. Aber ob an dieser Legende was dran ist, weiß ich natürlich nicht.“

Undyne zuckte mit den Schultern.

„Hey, das weiß man doch bei den meisten Legenden nicht. Aber sieh es doch mal so, unsere Existenz war für die Menschen auch eine lange Zeit nichts weiter als eine Erzählung, also könnte schon was dran sein.“

Sie zuckte ein weiteres Mal mit den Schultern, um ihre Worte zu unterstreichen.

„Sag schon, um was geht es in der Legende?“

Alphys räusperte sich ein wenig, bevor sie schließlich zu sprechen begann.

„Es fing alles mit zwei Feen an, die täglich über die Menschheit wachten. Die eine Fee war für die positiven Gefühle zuständig, die andere für die negativen Gefühle. Sie beide waren sehr wichtig und die eine konnte ohne die andere nicht richtig existieren.“

Alphys räusperte sich erneut, und ihre Stimme klang auch deutlich weniger fest, als es noch vor wenigen Minuten der Fall war. Geduldig ging Undyne neben ihrer Freundin den Weg entlang, der vor ihnen lag und wartete darauf, dass diese mit ihrer Erzählung fortführen würde.

„Jedenfalls, war die dunkle Fee neidisch auf die helle Fee, besonders auf die warme Emotion namens Liebe, die sie immer unter die Lebewesen brachte. Romantische Liebe, platonische Liebe, familiäre Liebe – all dies teilte sie mit den Menschen und Tieren. Irgendwann hatte die dunkle Fee genug und sprach einen Fluch auf die Menschheit aus. Wenn zwei Menschen sich finden und lieben sollten, dann würde sich das Gefühl des Hasses an ihnen heften, sich an ihrer Liebe zehren und sie irgendwann schließlich vollkommen aufgebraucht haben. Dann würden sie sich nur noch anschreiben, anschweigen oder sofort Schluss machen. All diese negativen Gefühle, sie würden die dunkle Fee immer stärker und stärker machen.“

Undyne, die mit diesem Richtungswechsel überhaupt nicht gerechnet hatte, schluckte ein wenig.

„Wow, das klingt ziemlich heftig. Daher kommt wohl der Spruch, dass Liebe und Hass nah beieinanderstehen sollen, nicht wahr?“

Sie sah zu Alphys hinunter und diese nickte bestätigend den Kopf.

„Das wäre zumindest eine sehr gute Erklärung, ja.“

 

Schweigend gingen sie nebeneinanderher, Undyne wartete erneut darauf, dass sie noch mehr von Alphys zu hören bekommen würde, doch diese sagte nichts. Ließ nur ihre einzelnen Schritte für sich sprechen. Viel zu neugierig brach Undyne das Schweigen.

„Ok, und das wars? Normalerweise haben diese Legenden doch immer ein gutes Ende. Oder willst du mir sagen, dass das alles war.“

Sie konnte im Augenwinkel das heftige Kopfschütteln sehen, wie auch die hochroten Wangen auf Alphys Gesicht.

„Nein, natürlich nicht, ich habe nur überlegt, ob ich auch nichts vergessen werde. Es ist so, dass die helle Fee natürlich nicht wegsehen konnte, über das böse Werk ihrer Schwester. Leider war es ihr nicht möglich, etwas gegen den Fluch zu unternehmen, da die dunkle Fee bereits viel zu viel Kraft durch ihn erlangt hatte. Aber sie konnte dafür einen Zauber aussprechen. Wenn die Menschen, die Paare, die sich lieben, eine bestimmte Handlung ausführten, dann würde ihre Liebe sicher sein und das bis ans Ende aller Zeiten. Dann hätte der Fluch keine Wirkung mehr auf sie.“

Positiv überrascht sah Undyne auf die Einkaufstüte, die sie mit sich trug und gab ein lautes Schnalzen von sich.

„Geht doch, geht doch. Du kannst mich doch nicht an so einem Cliffhänger zurücklassen, also wirklich! Und jetzt sag schon, was für eine Handlung war es, die sie da machen mussten? Sich gegenseitig mit ihren meterlangen Schwertern bekämpfen? Die Fäuste kreuzen?“

Alphys räusperte sich mehrere Male, schien mit den nächsten Worten zu kämpfen. Genau das regte Undynes Neugierde umso mehr an. Jetzt wollte sie erst recht wissen, was die Menschen laut der Legende tun mussten.

„Jetzt mach es doch nicht so spannend, Mann!“

Neugierde glitzerte in ihrem Auge, als sie zu Alphys hinuntersah.

„Nun ja, sie mussten laut der Legende ein Herz in den Schnee laufen, in einen frischen, unberührten Schnee. Sobald sich ihre Füße berühren würden, aktivierte sich der Segen der guten Fee und die Beziehung stand für alle Ewigkeiten unter einem guten Stern.“

Undyne blinzelte, schien über das nachzudenken, was Alphys ihr soeben erzählt hatte. Dann sah sie sich um, erst zu einer Seite, dann zur anderen … schließlich wurde sie fündig.

„Los komm!“, sagte sie und schnappte sich Alphys rechten Arm. Ohne ihr ein Wort der Erklärung zu liefern, rannte sie vom Weg ab, auf eine Gruppe von Bäumen zu. Wenige Meter vor ihnen blieb sie stehen. Verwundert blickte Alphys sie an.

„Was ist los, hast du was gefunden? Etwa diesen kleinen Hund, den Papyrus neulich gesucht hat?“

Undyne schüttelte wild den Kopf, wieder stieg ihr die Hitze unangenehm in die Wangen. Sie war dankbar für die Stiefel, die ihr Toriel geschenkt hatte, ohne diese könnte sie nicht das machen, was sie spontan geplant hatte.

Mit einem hohen Grad an Entschlossenheit im Herzen, drehte sie sich zu Alphys um.

„Komm, lass uns dieses Herz ablaufen. Normal glaube ich nicht an Flüche und derartigen Kram, aber auf der anderen Seite… man muss ja auch nichts riskieren, nicht wahr?“

Ihre Atmung ging schneller als normal und sie hoffte, dass Alphys dies nicht bemerken würde. Doch diese schien mit ihrer eigenen Nervosität beschäftigt zu sein. Die Pupillen zuckten wild hin und her, ihr Kopf leuchtete heller als Rudolfs Nase und ihr gesamter Körper zitterte.

„Wie…. Was… Moment, du willst waaaaaaaaas?“, stammelte sie laut vor sich hin.

Undyne nahm ihren ganzen Mut zusammen, den sie in ihrem gesamten Körper finden konnte. Es war nicht viel und dennoch, diese geringe Menge musste reichen.

„Ja, ich möchte das zusammen mit dir machen. Du bist mir sehr wichtig, die Beziehung zu dir ist mir wichtig und …. Argh, komm schon, du weißt genau, dass mir dieser Gefühlsduselkram nicht liegt. Komm, lass es uns einfach tun, ok? Mir wird auch langsam zu kalt, wenn du verstehst, was ich meine.“

Alphys zuckte zusammen, als hätte ihr jemand einen Schlag verpasst. Dann wurde sie ruhig – sie schien tiefe Atemzüge zu nehmen, um sich wieder beruhigen zu können. Als sich ihre Blicke wieder trafen, war ihr Blick fest und voller Energie. Eine Energie, wie sie Undyne viel zu selten bei ihrer Freundin zu sehen bekam.

„Ok, lass es uns tun!“, sagte sie, und Undyne ließ ihren Arm los. „Wir treffen uns am besten da vorne an dem Stein. Es ist laut Legende nicht wichtig, dass das Herz perfekt aussieht. Hauptsache, unsere Füße berühren sich am Ende.“

Undyne nickte, um zu zeigen, dass sie die Anweisung verstanden hatte.

„Gut, dann lass uns loslegen“, sagte sie und machte den ersten Schritt.



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