Deep down von BurglarCat (grows our greatest strength) ================================================================================ Kapitel 4: dreams ----------------- 2011 - Boston Unruhig wippte sie mit dem Fuß auf und ab, während sie auf den Zettel in ihrer Hand hinunter blickte und versuchte sich die einzelnen Stichpunkte einzuprägen. Sie hatte Angst vor diesem Gespräch aber es musste einfach sein und sie bereitete sich schon seit Tagen darauf vor. Sie hatte sich jeden einzelnen Punkt gut überlegt, hatte sich Argumente herausgeschrieben. Wenn sie sich nicht verunsichern ließ und bei dem blieb was sie wollte, dann könnte es gelingen. Oder? Sie hoffte es zumindest. Was sie allerdings noch mehr hoffte war, dass sie ihn damit nicht wütend machen würde. Es war schlimm wenn er wütend wurde. Seit Jahren versuchte sie alles, um ihn zufrieden zustellen, damit er keinen Grund hatte die Fassung zu verlieren. Immerhin war es nicht sie, die anschließend dafür gerade stehen musste sondern ihre Schwester. Die Angst, dass er vielleicht glauben könnte sie hätte Nami hierzu angestiftet oder, dass er ihre Schwester noch härter bestraften musste, damit Nami nie wieder auf solche Ideen kam, war da. Und sie war berechtigt. Dennoch hatte sie ihre Chance in dieser neuen Situation gesehen und wollte es wenigstens versuchen. Denn, wenn sie es schaffte, dann würde das zumindest für ihre Schwester vieles leichter machen. Deswegen hatte sie darum gebeten mit ihm sprechen zu dürfen und wartet nun auf einem Stuhl vor seinem Büro. „Möchtest du?“ Sie blickte auf und blickte zu Octa, der ihr eine Tüte mit Gummibärchen hinhielt und sie breit angrinste. Langsam schüttelte sie den Kopf und blickte wieder hinunter auf ihren Zettel, der inzwischen schon ziemlich abgegriffen und verknickt war. Sie hatte keinen Hunger. Eigentlich glaubte Nami, dass sie sich sofort übergeben würde, wenn sie auch nur einen Bissen zu sich nahm. Denn ganz gleich wie oft sie sich sagte, dass Aron einfach nur ein Arschloch war, er war eben ein Arschloch nach dessen Regeln sie spielen musste. Ob ihr das passte oder nicht. „Mach dir keine Sorgen. Er hat gute Laune und wird dir sicher zuhören. Das neue Haus ist fertig weißt du? Da wirst du ein noch größeres Zimmer haben als hier.“ Octa redete einfach weiter aber das tat er öfter. Nami wusste, dass er keine Antwort erwartete und, dass er es nicht böse meinte. Vermutlich glaubte er wirklich, dass ein großes, tolles Zimmer ein toller Grund war, um sich zu freuen und das es Nami damit wirklich gut gehen würde. Doch das letzte was sie momentan interessierte war das neue Zimmer das sie bekommen würde. Wesentlich wichtiger war für sie der Umstand, dass sie umziehen würden und, dass Aron von einer lebensverbessernden Maßnahme gesprochen hatte. Sicherlich hatte er es anders gemeint, als Nami es nun auslegen würde aber es hatte sie eben auf die Idee gebracht, dass jetzt ein Zeitpunkt war etwas anzusprechen, was sie sonst vermutlich niemals einfach so tun würde. Wozu es auch unter normalen Umständen keinen Grund oder keine Basis zu gegeben hätte. Und sobald sie einmal umgezogen waren würde es vermutlich nicht noch einmal so eine Chance geben. Sie musste es also jetzt nutzen jetzt, wo die Tür einen Spalt offen stand und sie einen Hauch von Freiheit erspähen konnte. „Und du wirst ein eigenes Atelier haben. Das ist doch cool oder? Da kannst du dann alles machen was du möchtest.“ Ganz so einfach war es nun nicht. In erster Linie hatte Nami einen straffen Übungsplan und musste viel lernen. Aber vielleicht, ja, vielleicht würde auch das irgendwie möglich sein. Obgleich die Kunst für sie inzwischen einen doch eher anderen Stellenwert eingenommen hatte. Es wäre sicherlich cool, wenn Aron ein liebender Vater wäre, der versuchte das Talent seiner Tochter zu fördern. Das war er allerdings nicht. Und das würde er nie sein. Wobei er selbst diesen Anspruch auch nie gehabt hatte. Er hatte nie versucht eine väterliche oder gar familiäre Beziehung zu ihnen aufzubauen. Wobei Nami auch nicht glaubte, dass er wirklich wusste was es bedeutete eine solche Beziehung zu besitzen. Und selbst wenn er es versucht hätte; sie hätten es nie angenommen. Ihre leiblichen Eltern hatten weder Nojiko noch sie kennengelernt. Zwar hatte Nami früher oft nach ihnen gefragt, doch diese Frage war inzwischen weit weniger präsent als damals. Denn am Ende hatten sie beide eine Familie gehabt. Eine Mutter. Und diese Mutter war ihnen einfach genommen worden. Es war nie ihre Entscheidung gewesen bei Aron zu leben. Niemand hatte sie gefragt. Man hatte Aufgrund der Beziehung zu ihrer Mutter entschieden, doch Nami glaubte nicht daran, dass sie sie einfach ihm überlassen hätte. Das hätte sie ihnen niemals einfach angetan. Die Tür wurde geöffnet und Nami aus ihren Gedanken gerissen. Ein Mann trat aus dem Büro und warf ihr einen kurzen, abschätzigen Blick zu, bevor er sich abwenden und den Gang hinunter verschwinden würde. „Ich denke du kannst jetzt rein. Viel Glück.“ Octa lächelte sie wieder aufmunternd an. Vermutlich waren seine Worte wirklich ehrlich gemeint doch für Nami spielten sie keine Rolle. Anstatt ihr Glück zu wünschen sollte er ihr lieber helfen und sie hier heraus holen. Er müsste eigentlich erkennen in was für einer Lage sie hier steckten, wenn ihn das alles wirklich interessieren würde. Und so waren seine Worte für Nami am Ende auch nur leere Floskeln, die keine Bedeutung hatten. Ohne etwas auf seine Worte zu erwidern würde sie sich erheben und dann in das Büro eintreten. Der Raum hatte für sie schon immer etwas dunkles gehabt, obwohl Licht durch die Fenster fiel und es sogar einige Lampen gab. Aber vielleicht lag dies auch einfach an Aron’s Präsenz, die den Raum in jedem Fall kleiner wirken ließ, als er eigentlich war. Zumindest wirkte der Schreibtisch mit seinem Stuhl viel zu winzig für einen Mann seiner Größe. Aber vielleicht war das auch Absicht, damit er noch größer wirkte als er ohnehin schon war. Eine Methode andere einzuschüchtern? Sie würde es ihm durchaus zutrauen. Zumal es Nami selbst auch nicht half ruhiger zu werden oder dem ganzen Gespräch entspannter entgegen zu blicken. „Mach die Tür zu.“ Der dunkle Bass seiner Stimme hatte immer etwas drohendes an sich auch, wenn er das vielleicht nicht beabsichtigte. Vielleicht aber auch doch. Aron war für sie so durchschaubar wie ein Stück Pappe. Sie folgte seiner Anweisung und würde die Tür schließen, bevor sie an den Schreibtisch herantreten und dort stehen bleiben würde. Zwar könnte sie sich setzen, doch Nami war selbst im stehen noch kleiner als Aron, wenn dieser saß. Sie brauchte diesen stand also. Und es würde sie noch nervöser machen, wenn sie sich nun setzen würde. „Octa sagte du wolltest mit mir reden. Was ist das?“ Er deutete auf die Notizen, die Nami noch immer in ihrer Hand hatte. Sie hatte vergessen diese in die Hosentasche zu stecken, um ihre Handpunkte selbstbewusst vortragen zu können. Das konnte sie nun wohl vergessen. Egal. Wenn sie sich jetzt schon von dieser einfachen Frage beirren lassen würde, dann könnte sie das ganze Unterfangen einstampfen. Das durfte sie einfach nicht zulassen! Diese eine Chance musste sie nutzen und es einfach richtig machen. „Notizen“, wandte sie ein und schob die Karten in ihre Gesäßtasche. Es musste einfach ohne gehen. Aron setzte an sie die gleichen Maßstäbe wie an seine Leute und wenn man ihm nicht in die Augen blicken konnte, dann respektierte er niemanden. Nicht, dass er das sonst tat, doch man erhöhte die eigenen Chancen durchaus, wenn man es schaffte etwas Selbstbewusstsein aufzubringen. Und genau das musste sie nun tun. Nicht nur für sich. Vor allem auch für ihre Schwester. Nami atmete tief durch, während sie den stechenden, durchdringenden Blick ignorierte der ihr von Aron zugeworfen wurde. Vielleicht hatte Octa recht und er hatte durchaus gute Laune. Das würde zumindest erklären, warum er sie nicht drängte sondern einfach nur schweigend da saß und wartete. Das musste genutzt werden. Alles sprach dafür, dass sie den richtigen Zeitpunkt gewählt hatte und nun keinen Rückzieher machen durfte. „Ich will, dass sich in Zukunft etwas verändert. Ich will, dass du Nojiko in Ruhe lässt und sie nicht mehr Kontrollierst. Sie soll ihr Ding machen, sie will in einem Café arbeiten und sich etwas aufbauen. Du brauchst sie nicht. Du hast nichts davon ihr ihr Leben zur Hölle zu machen“, begann sie schließlich ihre Ausführungen. Nami wusste nicht wie viel sie bekommen konnte, doch diese eine Sache? Die wollte und musste sie einfach erreichen. Nojiko litt unter dieser ganzen Situation, obwohl Aron sie nicht brauchte. Er nutzte sie lediglich aus Druckmittel gegen Nami aus und sperrte sie ein. Er nahm ihr die Luft zum atmen und zum leben. Das durfte einfach nicht mehr sein. Nami ertrug es nicht mehr und wenn sie wenigstens Nojiko aus all dem befreien konnte, dann war es alles was wichtig war und das was irgendwie ausreichen musste. „Und warum genau sollte ich das tun?“ Fragte er schließlich nur. Natürlich musste sie ihm etwas anbieten. Er tat nie etwas aus reiner Herzensgüte und wenn man einen Deal einging, dann musste dieser zu seinen Gunsten ausfallen. Das hatte sie schon früh lernen müssen und das auf höchst unangenehme Weise. „Du wolltest, dass ich mich euch anschließe. Das ich ganz einsteige. Ich mache es. Aber nur, wenn du sie gehen lässt, wenn wir in das neue Haus ziehen.“ Ganz einsteigen. Die eigene Zukunft danach ausrichten. Es bedeutete sich bewusst dazu zu entscheiden, dass darin die eigene Zukunft liegen würde und, dass man sich nicht abwandte. Dass er dem ganzen vertrauen konnte und sie sich dazu entschied würde ein Teil seines Teams zu werden. Für Aron bestand darin durchaus ein Unterschied und es bedeutete auch, dass Nami ein eigenes Interesse daran haben würde zu lernen und gute Arbeit für ihn zu leisten. Sie war sich darüber bewusst, dass hier nichts illegales passierte und auch, dass sie dafür bestraft werden konnte. Gefängnis. Sie verpflichtete sich anders und das war es, worauf er bisher immer hingearbeitet hatte. Das sie sich dazu entschied zu ihm zu gehören. Freiwillig. Ob sie das so sah? Nein. Aber es war das einzige was sie ihm anbieten konnte, damit er ihr hoffentlich diesen einen Wunsch erfüllen würde, den sie hatte. Sie bot ihm Loyalität. Das, was er schon öfter gefordert hatte und, was er ihr auch immer wieder vorwarf. Er hatte keinen Grund zu vertrauen. Den musste sie ihm nun geben, da sie keine andere Chance hatte hier weiter zu kommen. „Du machst das also, weil du dir erhoffst zu bekommen was du willst?“ Es war gewiss nicht so, dass Aron dumm war. Und Nami hatte auch damit gerechnet, dass er ihr nicht sofort alles abnehmen würde. Aber sie hatte das alles immerhin auch nicht mit jemandem besprechen und nach einem besseren Weg suchen können. Sie war in dieser Sache ganz auf sich gestellt und musste selbst einen Weg finden. Doch Nami hatte nie Verhandlungen geführt, sie war verunsichert und hatte ein äußerst schlechtes Blatt auf der Hand. „Ich will ein besseres Leben.“ Zumindest das konnte sie ehrlich sagen. Sie wollte, dass ihr Leben sich veränderte, das es nicht so blieb wie es war. Genau genommen brachte es durchaus Vorteile mit sich, wenn sie sich ihm anschließen würde. Und gleichzeitig hatte Nami keine Vorstellung davon, was genau das bedeutete und; ob sie irgendwann einen Weg finden würde das alles ganz hinter sich zu lassen. Doch wenn dies nun das beste war, was möglich war, dann müsste sie sich diesem Weg zumindest öffnen. Wie lange sollte das denn sonst noch so weiter gehen? Etwas musste sich einfach verändern und sich bewegen. Irgendetwas. Und Aron würde sich nicht bewegen. Er war nicht darauf aus irgendjemandem auch nur einen Millimeter entgegen zu kommen. Er schürzte die Lippen und strich sich dabei nachdenklich über das Kinn, während er langsam nickte und so wirkte als müsse er das alles einen Moment wirken lassen. Ob er wirklich darüber nachdachte? Schwer zu sagen und wenn er sich nicht in die Karten blicken lassen wollte, dann war das unmöglich. Zumindest für Nami, die sich in all dem noch nicht weiter zurechtfand. Nichts von all dem folgte Regeln, die sie lernen oder irgendwo nachschlagen konnte. Es war eine Welt mit Menschen, die sie einfach nicht verstand, obgleich sie fast ihr halbes Leben mit ihnen zusammenlebte und sie einfach mehr gelernt haben sollte als das. „Und du bist bereit alles für ein besseres Leben zu tun?“ „Ja.“ Wieder nickte er langsam und würde dann eine Schublade öffnen und dort hineingreifen. Sie konnte nicht sehen wonach er suchte, doch sie sollte sich diese Fragen nicht lange stellen müssen. Er würde einen Umschlag auf seinen Schreibtisch legen und ihr diesen herüber schieben. „Wenn du das machst, dann können wir über dein besseres Leben sprechen. Und jetzt verschwinde.“ „Aber..“ „Ich wiederhole mich ungerne. Geh.“ Der Ton wurde etwas rauer und sie wusste, dass sie den Bogen nicht überspannen sollte. Das eigene Glück herauszufordern war in der Regel nie eine besonders gute Idee und so griff Nami nur nach dem Umschlag und würde sich dann auf den Weg hinaus machen. Sie verließ das Büro und trat wieder auf den Gang hinaus, wo Octa noch immer saß und auf sie gewartet hatte. Immerhin durfte er sie auch nicht aus den Augen lassen. Der große Mann war meistens an ihrer Seite und hatte die ehrenvolle Aufgabe darauf anzupassen, dass sie nichts machte, was Aron in irgendeiner Weise ein Dorn im Auge sein könnte. „Und, wie ist es gelaufen?“ Er hatte etwas von einem unruhigen Elternteil, welcher sein Kind gerade von einer Prüfung abholte. Dabei war weder das eine noch das andere der Fall aber es hätte Nami mit ihrem Bewacher auch durchaus schlechter treffen können. Es gab andere die deutlich anders mit ihr umgehen würden. „Weiß nicht.“ Tat sie wirklich nicht. Kurz sah sie zu ihm und würde sich dann dem Umschlag zuwenden, den sie öffnete und dann hinein blickte. Sie sollte das tun, was darin war. Ein Auftrag? Ein Test? Konnte sicherlich alles sein auch, wenn das was sie am Ende herausziehen würde doch etwas unerwartet kam. Sie zog die Brauen zusammen und blickte auf die Skizze, die sie zu Tage gefördert hatte. Ein Hai. Einer der von Wellen umfangen wurde. Es war eine durchaus ansprechende Zeichnung, da legte jemand wert auf Qualität. Das konnte Nami durchaus zuordnen und irgendwie gefiel ihr das Bild, obgleich es ihr auch ein ungutes Gefühl bereitete. „Es ist also so weit. Du musst ihn echt überzeugt haben.“ Octa klopfte ihr anerkennend auf die Schulter auch, wenn sie nicht wusste warum eigentlich. Wovon hatte sie ihn überzeugt? Und was sollte sie mit diesem Bild machen? „Dann komm. Ich bringe dich ins Studio, es wird sicher ein paar Stunden dauern, bis das fertig ist. Oder wir müssen für eine zweite Session hin. Steht drauf wo es hinkommen soll?“ Seine Hand hatte sich auf ihren Rücken gelegt, damit er Nami langsam weiterschieben konnte. Ein paar Stunden? Session? Noch immer schien es nicht ganz zu ihr durchzudringen, was das alles zu bedeuten hatte. *** „Fuck..“ Nami ließ ihre Tasche fallen und schleppte sich zu ihrem Bett, um sich darauf sinken zu lassen. Die Hand wanderte zu ihrem linken Oberarm und legte sich auf die Folie, die auf die Haut geklebt worden war. Die Haut darunter fühlte sich schrecklich heiß an, glühte fast. Kein Wunder, die Prozedur hatte sieben Stunden gedauert. In den ersten Stunden war es okay gewesen. Nami hatte blöde Witze gerissen und versucht sich einzureden, dass das alles nur halb so wild war. Ein Tattoo, nichts weiter. Jeder zweite hatte inzwischen ein Tattoo und manche waren einfach nur schrecklich hässlich. Dieses wäre wesentlich ansehnlich, so hoffte sie. Gleichzeitig würde damit für immer eine Verbindung zwischen ihr und Aron auf ihre Haut gebannt werden ohne, dass sie etwas dagegen unternehmen konnte. Es wäre unmöglich das wieder verschwinden zu lassen. Ja, Laser waren eine wunderbare Erfindung aber selbst das müsste man sich leisten können. Abgesehen von den Schmerzen und dem Umstand, dass es vermutlich eh nicht alles verschwinden würde. Gegen Ende der Sitzung hatte Nami einfach nur noch Schmerzen gehabt. Die Haut war gereizt, wund und jeder Stich, jedes wischen mit dem Tuch hatte sich so angefühlt als würde man mit Schleifpapier über ihre Haut reiben. Jetzt war sie lediglich froh, dass es vorbei war auch, wenn das Bild ihren ganzen Oberarm zierte und kaum zu verdecken oder zu verheimlichen war. Für Außenstehende würde es vermutlich keine Bedeutung haben aber Octa hatte ihr erklärt, dass es in ihren Kreisen durchaus zu Aron’s Markenzeichen gehörte. Wenn man jemandem mit einem Fisch-Tattoo sah, dann war das ein sicheres Indiz. Wobei es wohl noch mehr war aber so genau hatte Nami auch nicht zugehört. Octa hatte davon gesprochen als sei es das größte, was man erreichen konnte. Etwas worauf man stolz sein sollte und, was sie als Ehre ansehen könnte. Nami empfand nichts von all dem. Da war nur Schmerz und leere. „Wo bist du gewesen?“ Nami zuckte zusammen. Sie hatte nicht wahrgenommen, dass sie nicht mehr alleine war. Sofort griff sie nach ihrem Shirt und versuchte es wieder über die Folie zu ziehen, damit man nicht sah, was sich dort an ihrem Arm verbarg. Das Licht im Zimmer hatte sie nicht eingeschaltet, doch stockfinster war es deswegen auch nicht. Sie hörte die Schritte, die näher kamen, spürte wie sich die Matratze etwas senkte, als sich die andere neben sie setzte. Nami sah sie nicht an, sie hielt sich angespannt an ihrem Oberarm fest und versuchte dem keinen Raum zu geben. Verdammt! Dabei sollte sie doch wissen, dass es eigentlich unmöglich war etwas geheim zu halten. Zumindest vor ihr. Es gab keinen Menschen auf dieser Welt, der sie besser kannte. Keinen Menschen, dem sie mehr vertraute oder der ihr näher stand. Nojiko war ihre Schwester. Vielleicht nicht blutsverwandt, doch sie waren als Schwestern aufgewachsen und hatten eine Familie gehabt. Für Nami spielte es keine Rolle was ein DNA Test dazu sagen würde. Sie waren Schwestern und daran würde nichts und niemand etwas ändern. „Nami?“ Nojiko’s Hand legte sich auf ihre Schulter, die sie besorgt drückte. Ausgerechnet die Schulter, die gerade für Stunden von einer Nadel malträtiert worden war. Nami zuckte leicht zusammen und schnaufte schwer. Sofort zog sich die Hand ihrer Schwester wieder zurück. „Was ist passiert? Was haben sie mit dir gemacht?“ Nami schwieg weiter auch, wenn sie wusste, dass die Frage berechtigt war. Es waren schon oft Dinge geschehen, obgleich sie Nahm’s Verfehlungen öfter damit bestraften, dass sie Nojiko etwas antaten. Dennoch wäre es auch für Nami nicht das erste Mal, wenn man sie bestrafen würde. Körperlich. Aron hatte da seine ganz eigenen Mittel und Wege, obgleich Nami sich stets geweigert hatte Nojiko das volle ausmaß dessen zu berichten, was geschah, wenn man sie wegbrachte. Ihre Schwester hielt es damit nur wenig anders. Vermutlich lag beidem der Impuls zu Grunde einander zu schützen, damit sie sich keine Sorgen machten. Doch was brachte es am Ende? Sicherlich hatten sie beide sehr ähnliche Erfahrungen gemacht und ihre Vorstellungskraft reichte durchaus aus, um das alles entsprechend einzuordnen und sich darüber im klaren zu sein, dass man keine Kaffeefahrt machte. „Nichts“; drang es gepresst über Nami’s Lippen. Wie sollte sie das ihrer Schwester erklären? Darüber hatte sie sich einfach noch keine Gedanken gemacht. Ihr größtes Problem hatte darin bestanden Aron von ihrem Plan zu überzeugen und dafür zu sorgen, dass sich hoffentlich etwas veränderte. Die Wahrscheinlichkeit, dass das funktionierte hatte sie in gewisser Weise durchaus als unmöglich angesehen. Zumindest, dass diese Entscheidung ohne Geschrei und lange Diskussionen stattfinden würde. Ihr ganzer Fokus hatte auf diesem einen Gespräch gelegen, so dass sie einfach vergessen hatte über weiteres nachzudenken. „Nichts? Ihr wart Stunden weg. Was ist das?“ Sie hätte sich einen Pulli anziehen sollen. Nami bereute es gleich, doch es war nicht zu ändern. Sie hatte diesen Plan ganz falsch aufgestellt und jetzt entglitt ihr die Situation einfach. Fast so als hätte sie in den vergangenen Jahren nichts dazu gelernt! „Was ist das? Nami?!“ Der Ton ihrer Schwester wurde energischer, als sie nach ihrem Shirt packte und daran zog. Sie kam an ihren Oberarm und Nami zuckte schmerzlich zusammen. Der ganze Arm war eine einzige Wunde und so schrecklich heiß. „Das ist nichts“; versuchte sie es wieder und drehte sich etwas von ihrer Schwester weg. Der Ärmel wurde weiter hinunter gezogen in einem kläglichen Versuch das alles zu verbergen. Nein, sie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht, wie sie das alles ihrer Schwester erklären sollte. Und das Nojiko es verstand, das bezweifelte Nami doch sehr. Eigentlich hatte sie sich genau deswegen eine völlig andere Geschichte und Erklärung einfallen lassen wollen. Doch nun fehlte ihr die Zeit dazu und das sie gleichzeitig dieses Tattoo verstecken musste, das war auch nie Teil ihres Plans gewesen. „Lüg mich nicht an!“ Natürlich ließ Nojiko sich nicht einfach so abspeisen. Sie war ihre große Schwester und diese Rolle nahm sie immer und immer wieder ein. Das es Nojiko nicht gefiel, dass sie ohnehin kaum Einfluss auf diese Situation hatte und nichts tun konnte, das machte es gerade nicht einfacher. Für keine von ihnen. Nojiko war an sie herangetreten, stand inzwischen vor ihr, damit sie nun nach ihrem Shirt greifen konnte. Nami sträubte sich, sie versuchte ihre Schwester auf Abstand zu bringen. Sie hasste es, wenn man sie in die Ecke drängte und Nojiko wusste es genau. Doch gerade hatte sie nicht die Kraft sich gegen ihre Schwester zu wehren. Sie kam nicht dagegen an und dann wurde ihr Ärmel hoch gezogen. Inzwischen rannen die Tränen über ihre Wange. Sie hatte Schmerzen und war schlichtweg überfordert mit der ganzen Situation. „Nami..“ Nojiko ließ von ihr ab, trat einen Schritt zurück und starrte ihren Arm an. Viel konnte man durch das Licht sicherlich nicht erkennen. Unter der Folie hatte sich etwas Flüssigkeit gesammelt und das eigentliche Tattoo war ohnehin schlecht zu erkennen. Am Ende war das aber nicht das entscheidende. Nojiko war schlau, sie konnte durchaus eins und eins zusammenzählen und sich denken, dass Nami sich hier kein Freundschaftstattoo hatte stecken lassen. Sie schluchzte, hatte den Blick abgewandt, weil sie sich nicht traute Nojiko in die Augen zu sehen und sich ihrem Urteil, ihrer Reaktion zu stellen. Es war das, wovor sie durchaus am meisten Angst hatte. Noch mehr als vor Aron oder dem was seine Leute vielleicht tun könnten, wenn sie etwas falsch gemacht hatte. Das schlimmste was Nami geschehen konnte war es ihre Schwester zu enttäuschen. Die Angst sie als Menschen, als Bezugsperson zu verlieren, war das schlimmste für sie. Immerhin war sie alles was Nami noch hatte, alles was ihr geblieben war. Sie war ihre Familie, obgleich es Aron sicherlich schon immer ein Dorn im Auge gewesen war, wie sie zueinander standen und er mehrfach versucht hatte sie voneinander zu trennen. Doch auch hier hatte er immer in einem Dilemma gesteckt. Er hatte Nojiko nie gebraucht, wäre sie sicherlich am liebsten losgeworden. Doch gleichzeitig war sie doch das perfekte Druckmittel, wenn es um Nami ging. Er hatte schnell erkannt wie stark dieses Band war und, wie groß Nami’s Angst. Er hatte mit dieser Angst gespielt. Immer und immer wieder und Nami war bestrebt, nichts falsches zu tun und ihre Schwester auf keinen Fall von sich weg zu treiben. Und nun prangte dort auf ihrem Oberarm dieses Tattoo. Etwas, das sie für immer an Aron band. Als würde sie sich dem freiwillig hingeben und alles verraten was ihnen beiden wichtig war. Ihre Familie. Ihre Mutter. „Was ist das?“ Die Frage wurde nur gehaucht. Nami fragte sich, ob sie sich das alles nur eingebildet hatte oder, ob Nojiko sie wirklich gestellt hatte. Musste sie ihr diese Frage wirklich beantworten? Nami biss die Kiefer feste zusammen, schaffte es kaum noch die Tränen zu kontrollieren. Sie musste die Nase hochziehen, schnappte etwas nach Luft und versuchte zumindest sich zu kontrollieren. „Ein Tattoo..“ Gut, das war das offensichtliche. Und doch war Nami schlicht und ergreifend überfordert. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Das sehe ich aber.. warum? Das ist eins von ihm, oder nicht?“ Nojiko schaltete zumindest schneller als Nami es getan hatte, als sie den Umschlag geöffnet hatte. Natürlich tat sie das. Sie durchschaute Aron und seine Masche ziemlich gut. Vermutlich war sie ihm auch deswegen ein Dorn im Auge, obgleich ihr Protest doch am Ende ganz anders ausfiel als der von Nami. „Für ein besseres Leben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)