Deep down von BurglarCat (grows our greatest strength) ================================================================================ Prolog: fate's path ------------------- 2002 - Stockholm „Und das soll es nun gewesen sein? Das können sie nicht zulassen! Dann gehen wir eben in Berufung!“ Er gab sich keine Mühe die Stimme zu zügeln und ruhig zu bleiben. Es war eine Farce. Seit Monaten hatten sie auf diesen Moment hingearbeitet. Immer wieder hatte sie ihm versichert, dass er sich keine Sorgen machen müsste. Sie hatten die besseren Argumente. Einem Versprechen dem er geglaubt hatte und nun einen schier unzählbaren Preis zahlen musste. „Es würde nichts bringen Mr. Miller. Sie haben die Urteilsbegründung gehört.“ Durchaus, das hatte er. Und er konnte es noch immer nicht fassen. Bei allem was sie vorgelegt hatten, wie konnte da ein solches Urteil überhaupt möglich sein? Er war schon immer im Dienste des Staates gewesen. Weil er davon überzeugt gewesen war, dass er etwas bewegen konnte. Das es in dieser Welt immer einen Weg gab das Recht zu verteidigen. Sein ganzes Leben hatte er dafür gekämpft, dass so etwas in seiner Stadt keinen Platz hatte. Und nun musste er am eigenen Leib erfahren, dass ihr Rechtssystem völlig versagte. Sollte er wirklich einfach nur daneben stehen und das so hinnehmen? War es wirklich allen egal, was hier gerade geschah? „Der Kerl ist ein Verbrecher. Sie wissen es! Man kann ihm keine zwei kleinen Kinder anvertrauen! Können sie sich vorstellen, was er mit ihnen machen wird?!“ Ihre Blicke trafen sich, jedoch nur für einen Moment. Während er da stand und nicht wusste, wie er seine Wut in den Griff bekommen sollte, schien sie förmlich seelenruhig hinter ihrem Schreibtisch zu sitzen. Eine Antwort würde sie ihm schuldig bleiben. In diesem Moment schien es wichtiger für sie zu sein ihre Akten zu sortieren und zu verräumen. Eine Handlung die höchstens dann eine Daseinsberechtigung gehabt hätte, wenn sie an einer Zwangsstörung leiden würde. Er wusste allerdings, dass es nicht der Fall war. Viel mehr handelte es sich um einen unangenehmen Tick, der sich zeigte, wenn sie ein Gespräch beenden wollte. „Ich verstehe ihre Wut, doch wir können nichts tun. Der Staat wird einen genauen Blick auf die Situation haben und die Familie durch einen Sozialarbeiter betreuen.“ „Anstatt solcher Vorsichtsmaßnahmen sollte man sie lieber erst gar nicht in seine Hände geben! Er ist nicht einmal der leibliche Vater!“ Es waren hübsche Worte, die man ihm auftischen wollte, doch was waren sie am Ende wert? Wie konnte er noch glauben, dass man sich angemessen um diese Kinder kümmern würde, wenn man es in erster Instanz zuließ, dass sie in die Hände eines solchen Menschen gegeben wurden? Er hasste diese Situation, diese Machtlosigkeit, die sich in ihm ausbreitete. Denn am Ende konnte er absolut nichts gegen diese Entscheidung tun. Auf dem Papier hatte er nichts mit den Kindern zu tun. Das er sie gemeinsam mit ihrer Mutter aus noch schlimmeren Verhältnissen herausgeholt hatte, sie dabei unterstützt hatte die beiden Mädchen zu adoptieren und ihnen ein neues Heim zu geben. Oder das er in den vergangenen Jahren wie ein Onkel für sie gewesen war, all das hatte in diesem Moment keinen Wert. Stattdessen entschied ein Stück Papier, ein vermeintlicher Trauschein, über das Schicksal zweier Kinder. „Wenn ich sie daran erinnern darf, das sind sie auch nicht. Hören sie..“ Sie atmete tief durch und lehnte sich vor, faltete die Hände auf dem Schreibtisch. Für einen Moment wirkte es auf ihn so, als würde sie denken sie müsse einem bockigen Kind erklären, warum es heute kein Eis zum Abendessen geben würde. „Ich weiß es ist schwer, doch das ist nun einmal das Gesetzt. Sollte etwas geschehen und es den Kindern nicht gut gehen, dann wird man sich darum kümmern. Und im Sinne der Kinder sollten sie nach all den schrecklichen Ereignissen der letzten Monate endlich ein stabiles Umfeld bekommen, denken sie nicht?“ Angestrengt mahlten seine Kiefer aufeinander. Nein. Er dachte nicht, dass das der richtige Weg war. Für ihn stand fest, dass er das Schicksal dieser Kinder besiegeln würde, sobald er sie in die Hand dieses Verbrechers geben würde. Man könnte der Mutter der beiden sicherlich einiges vorwerfen, doch sicherlich nicht, dass sie sich nicht um die beiden gekümmert hatte. Das wohl der Mädchen war immer das wichtigste für sie gewesen. Er hätte seine Hand dafür ins Feuer gelegt, dass mit diesen Papieren etwas nicht stimmte. Das sie gefälscht waren. Doch weder konnte er es beweisen, noch verstand er die Motivation dieses Mannes hinter all dem. „Sie haben jetzt Zeit sich von den beiden zu verabschieden. Er will sie gleich mitnehmen. Vielleicht ist es besser, wenn sie die Zeit nutzen.“ Wieder mahlten seine Kiefer aufeinander. Nein. Alles in ihm wollte sich weigern diesen Schritt zu gehen, diesen Verrat. Er hatte ihnen versprochen, dass alles gut werden würde. Und nun sollte er sie in die Hand dieses Monsters geben? Und gleichzeitig wusste er darum, das er nun nicht von dieser Verantwortung davonlaufen durfte. Er musste sich dem stellen. Ohne noch etwas zu sagen, ohne diesen sinnlosen Kampf weiter zu kämpfen würde er ihr Büro verlassen. Nicht, ohne die Tür lautstark hinter sich zu schließen und seiner Wut wenigstens so etwas Ausdruck verleihen zu können. Es gab selten Momente in denen er gerne solchen Gefühlen nachgeben würde. Heute war sicherlich einer davon und er konnte auch nicht leugnen, dass er darüber nachgedacht hatte sich diese Kinder einfach zu schnappen und aus der Stadt zu verschwinden. Doch wohin sollte das führen? Damit würde er das Leben für diese beiden Mädchen auch nicht verändern oder besser machen. Immer wieder fragte er sich, als er nun den langen, fensterlosen Gang herunter lief, wie ihre Mutter wohl darüber denken würde. Was sie ihm sagen, was sie von ihm in dieser Situation erwarten würde. Sie wollte das beste für die beiden und das einzige, was er in diesem Moment wohl tun konnte war, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sein Vertrauen nicht mehr in die Behörden zu setzen, nicht darauf zu vertrauen, dass diese das beste für die beiden Mädchen im Blick hatten. Er würde es nun selbst in die Hand nehmen müssen. Schließlich kam er vor der Tür zum stehen hinter der sich die beiden befanden. Sie wurden von einer Sozialarbeiterin betreut, er konnte das helle Lachen durch die geschlossene Tür hören. Dabei schloss er für einen Moment die Augen, kämpfte gegen die Tränen, kämpfte gegen das beklemmende Gefühl in seiner Brust. Es half nichts. Er legte die Hand an die Türklinke und würde diese öffnen, schob die Tür langsam auf und blickte auf die beiden Mädchen, die dort auf dem Boden hockten. Papier und Buntstifte lagen dort verstreut und ausgebreitet, während sie dabei waren ein gemeinsames Bild zu malen. Auffällig war, dass der kleine Rotschopf bereits ein deutliches Talent aufwies. Zwar hatte er keine Ahnung von Kunst und diesen Dingen, doch er konnte zumindest sagen, dass sie ihrer älteren Schwester dort wohl etwas voraus hatte. Dafür lag deren Talent eher in der Küche. Sie liebte Backwaren über alles. „Onkel Genzo!“ Der Ausruf riss ihn aus seinen Gedanken, er blinzelte, dann sackte er auf die Knie und breitete die Arme aus. Sofort rappelten sich die beiden auf, kamen ihm entgegen gelaufen und stürzten sich lachend in seine Arme. Dabei drückte er die beiden feste an sich, würde sie am liebsten nicht mehr loslassen. „Können wir jetzt endlich wieder nach Hause?“ „Ja, du hast versprochen wir gehen Eis essen!“ Ja, das hatte er versprochen. Ein Versprechen, welches er nun nicht würde einhalten können. Langsam löste er sich und blickte in die erwartungsvollen Augen, die so unterschiedlich waren, wie die Schwestern selbst. Ein bernsteinfarbenes Paar und eines mit einem dunklen Saphirblau. Was sie allerdings gemeinsam hatten war die Freude und die Hoffnung. So lange hatte er gebraucht, um ihnen diesen Ausdruck zurück zu geben, nach dem Tod ihrer Mutter. Und nun würde er derjenige sein, der ihn wieder zerstören würde. „Nein..“ Seine Stimme war belegt, er musste sich räuspern auch, wenn er ihr nicht die nötige Kraft verleihen konnte. Deutlich spürte er, wie der Klos in seinem Hals stärker wurde. „Das mit dem Eis müssen wir verschieben. Mr. Sawyer wird euch gleich mitnehmen und euch-“ „Nein! Warum?! Du hast gesagt wir müssen nicht dahin!“ Das hatte er gesagt. Er hatte es gesagt, weil er sich so verdammt sicher gewesen war, dass man die richtige Entscheidung treffen würde. Weil er geglaubt hatte, dass so etwas in ihrem Rechtssystem nicht möglich sein. „Ich will da nicht hin! Du hast es versprochen!“ Tränen überschwemmten die Bernsteine, quollen aus den kleinen Augen hervor und bahnten sich den Weg über die Wangen. Es zerriss ihm das Herz. „Ich…“ Doch er sollte nicht dazu kommen die Worte zu formen, die ihm so schwer auf der Zunge lagen. Er klopfen an den Türrahmen unterbrach ihn. Dort stand ein Mann, schwarzer Anzug. Breit gebaut, das kantige Gesicht zeigte keine Regung, als er auf die beiden Kinder hinunter blickte. Das schwarze Haar war zu einem strengen, straffen Zopf zusammengefasst. „Gehen wir“, drang es ausdruckslos über seine Lippen. Die Mädchen wichen zurück, wurden aber von der Sozialarbeiterin zurückgehalten und wieder in Richtung Tür geschoben. „Kinder, ihr müsst euch keine Sorgen machen, ihr werdet ein gutes Zuhause bekommen.“ „Der Boss wartet auf euch, wir sollten uns beeilen.“ Ein anderer Mann kam dazu und schob ihn auf Seite. Das weiße, krause Haar des anderen war in fünf Zöpfen an den Kopf geflochten. Auch er war breit gebaut und kantig. Gegen ihn wirkten die Kinder wie winzige, kleine Puppen. Sie schrieen, wehrten sich, als sie beide auf den Arm genommen wurden. Die kleinen Fäuste trommelten unaufhörlich gegen den Körper, gegen die Schultern. Er schenkte dem allerdings keine Beachtung und setzte sich wieder in Bewegung, um die beiden hinaus aus dem Zimmer zu tragen. Das Schreien wurde lauter. „Onkel Genzo! Wir wollen das nicht!“ „Onkel Genzo!“ Hilflos musste er da stehen, hatte keine Zeit gehabt sich zu verabschieden, sich zu erklären. Das einzige was ihm blieb war zu sehen, die die beiden Kinder über den Gang und dann zum Ausgang gebracht wurden. Das einzige was bleiben würde war der Schmerz in seiner Brust und die Schreie, die er nie wieder vergessen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)