How to save a life von Funkenherz (Midnight x Mt. Lady) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Dumpf prasselte der Regen auf die Blätter der Bäume und Büsche hinab, durchweichte die schmalen, lehmigen Wege und schlug Blasen in den Pfützen, welche sich bereits gebildet hatten. Die Pflanzen bogen sich unter dem Wasser, während der wolkenverhangene, graue Himmel jede Hoffnung auf besseres Wetter zu Nichte machte. Wind fegte über die freien Flächen und zerrte an den Blättern und Ästen der wenigen Bäume. Bis auf die pfeifenden Windböen und das stetige Prasseln des Regens, war es totenstill auf dem umzäunten Gebiet. Totenstille...wie überaus passend. Genauso passend wie die Tatsache, dass sich außer ihr bei dem schlechten Wetter niemand her verirrt zu haben schien. Einsam und verlassen stand die zierliche Blondine auf dem schmalen, vom Regenwasser aufgeweichten, lehmigen Weg und blickte gedankenverloren auf den Grabstein, welcher sich genau vor ihr befand. Wassertropfen prasselten auf die schwarze Marmorplatte, welche das Grab bedeckte. Die Schnittblumen, welche daraufgelegt worden waren, waren größtenteils bereits durchweicht. Vor zwei Wochen noch, waren hier weitaus mehr frische Blumensträuße abgelegt worden, doch inzwischen hatte ihre Anzahl stark abgenommen. Konnten Freunde und Verwandte denn mit jedem Tag ein wenig leichter vergessen, was geschehen war? Zog sie denn nichts mehr hier her? Ihr Blick blieb an dem Grablicht hängen, dessen Flamme dank des kleinen Häuschens, von welchem es umgeben wurde, noch nicht aufgegeben hatte und tapfer flackerte. Der Regen war noch einmal stärker geworden. Ihre Haare und ihre Kleidung waren schon lange durchweicht, doch die junge Frau spürte weder den Regen, noch die frischen Temperaturen. Sie hing ihren eigenen Gedanken nach und hatte alles um sich herum vollkommen ausgeblendet. Drei Wochen waren inzwischen seit jenem grässlichen Tag vergangen. Jener Schlacht, die so viel Tod und Zerstörung gebracht hatte. Einerseits konnte sie kaum glauben, wo die Zeit geblieben war, andererseits waren die letzten Wochen so schleppend verstrichen, wie zähflüssiger Honig. Wenn die Blondinne den Grabstein vor sich betrachtete, krampfte sich ihr Magen zusammen. Noch immer wurde ihr schlecht, bei den Erinnerungen an die Schlacht und an die damit verbundenen Ereignisse. Sie zitterte, ballte die Hände zu Fäusten und schluckte die aufkommenden Tränen nur mit Mühe hinunter. Jedes Leben, welches in dem großen Kampf erloschen war, war ein Leben zu viel gewesen. Sie alle waren aus voller Überzeugung in die Schlacht gezogen, hatten den Frieden erhalten und die Schurken aufhalten wollen. Jeder, der sein Leben auf dem Schlachtfeld ausgehaucht hatte, würde es vermutlich noch nicht einmal bereuen und dennoch erschien es ihr falsch. Vermutlich hatte jeder Einwohner der Stadt und jeder Profiheld mindestens eine Person verloren, welche ihm etwas bedeutet hatte, aber machte es das für das Individuum besser? Wohl kaum. Auch wenn sie wusste, dass nicht nur sie es war, die trauerte, so fühlte sie sich doch wie in einer Blase gefangen, in welcher die Zeit stillzustehen schien. Ihr Blick überflog die Inschrift des Steins. Warum? Warum ausgerechnet sie?! Auch nach drei Wochen wollte es Yu noch nicht in den Kopf. Auch nach drei Wochen war der Schmerz über den Verlust noch genau so unerträglich. Und war es heuchlerisch, dass sie es nun war, die sich fast täglich hier her verirrte und trauerte? Hätte man Außenstehende gefragt, so hätten diese wohl einheitlich bestätigt, dass es andere Personen gab, die der Verstorbenen zu Lebzeiten wesentlich näher gestanden hatten. Vermutlich hätten viele sogar bestätigt, dass die beiden wie Feuer und Wasser gewesen waren. Rivalinnen, welche sich mehr stritten, als das sie normal miteinander redeten. Doch die Wahrheit sah ein wenig anders aus. Die Wahrheit war, dass die junge Profiheldin sich die Schuld dafür gab, was geschehen war. Natürlich, die Schlacht war hart, chaotisch und unübersichtlich gewesen. Es war praktisch unmöglich immer und zu jeder Zeit ein Auge auf alle Teamkameraden zu haben, erst recht bei der schieren Menge an Kämpfenden. Und doch... wenn sie nur stärker gewesen wäre. Ein wenig schneller. Es hätte schon ausgereicht, wäre es ihr gelungen die Trümmerteile abzufangen, welche zum Untergang ihrer Rivalin beigetragen hatten. Für sie selbst wäre es zwar durchaus unangenehm gewesen, von herumfliegenden Trümmern getroffen zu werden, doch bei ihrer Größe hätte sie einen solchen Treffer problemlos verschmerzen können. Und dann war da noch diese monströse Kreatur gewesen, welche sie alle in Atem gehalten hatte. Für dieses Monstrum mussten die meisten der Kämpfenden doch nicht viel größer als Ameisen ausgesehen haben. Wäre sie bloß stärker gewesen. Sie hätte es mit diesem Gegner aufnehmen müssen, hätte dabei so viele Leben retten und vor allen Dingen verhindern können, dass SIE überhaupt erst versucht hatte das Monstrum in Schlaf zu versetzen. Ihre nagenden Schuldgefühle waren eine Seite der Medaille, doch gab es da noch einen ganz anderen Punkt, etwas, was wohl niemand auch nur ansatzweise geahnt hätte. ~~~ Flashback ~~~ Drei Wochen zuvor, war die Welt noch in Ordnung gewesen. Zumindest am Morgen. Bevor sie losgezogen waren, hatten hunderte Helden sich versammelt. Hier und da waren einige provisorische Lager aufgeschlagen worden, in welchen die Kämpfenden noch einmal die Chance hatten sich zu sammeln und die Lage zu besprechen. Die junge Frau erinnerte sich noch genau daran, wie nervös sie vor der großen Schlacht gewesen war. Entschlossen zwar, aber eben auch nervös, was sie so gut es ging vor den anderen, oftmals älteren und erfahreneren Profihelden, zu verbergen versucht hatte. Mit einer Hand hatte Yu die weiße Plane des Lagers zur Seite geschoben und hatte das Innere des riesigen Zeltes betreten, da auch sie noch einmal einen Blick auf die Karte riskieren und zudem noch einen Schluck hatte trinken wollen. Im Zeltinneren hatten sich einige bekannte Gesichter, aber auch viele Fremde befunden. Die Luft schien zu knistern, so kurz vor dem Start der Mission. Bewaffnet mit einer Flasche Wasser, hatte die junge Frau sich an einen der Stehtische zurückgezogen, den Gesprächen der anderen gelauscht und gleichzeitig Ausschau nach ihren Teamkameraden gehalten. Draußen in der Menge hatten sie sich aus den Augen verloren, doch hier beim Zelt hatten sie sich vor Beginn der Schlacht treffen wollen. Ohne es zu bemerken, hatte sie damit begonnen das Etikett der Wasserflasche zu bearbeiten. Ein Zeichen von Nervosität, dessen sie sich nicht wirklich bewusst gewesen war. Mt. Lady schreckte auf, als eine Hand sich auf ihre Schulter legte. Kamui? Sie drehte sich zu der Person herum und erkannte, dass es Midnight war, die sich ihr unbemerkt genähert hatte. "Wo hast du dein Team gelassen?", erkundigte sie Ältere sich. "Die beiden müssen hier irgendwo in der Nähe sein, aber wir haben uns draußen vor einer Weile aus den Augen verloren. Kein Wunder, bei der Menschenmenge." "Es ist kaum zu glauben, wie viele sich heute hier versammelt haben um zu kämpfen." Nun war es an der Blondine eine Augenbraue hochzuziehen. "Und was ist mit dir? An wessen Seite wirst du kämpfen?", wollte sie wissen. Unter anderen Umständen wäre Umstehenden vielleicht aufgefallen, dass die beiden Heldinnen ein wenig zu nah beieinander standen und ein wenig zu vertraut wirkten, als man es von ihnen erwartet hätte. "Ich werde ein Auge auf einige meiner Schüler haben. Wenn wir Profis schon nervös sind, wie muss es dann erst den Schülern gehen?" "Es ist traurig genug, das diese Teenager uns überhaupt in eine so gefährliche Schlacht folgen müssen." Die Blondine verzog missbilligend das Gesicht. "Recht hast du. Daran sieht man nur wieder, wie ernst es eigentlich ist." Die Jüngere drehte sich ein wenig, sodass die Arme der beiden Heldinnen sich scheinbar zufällig berührten. Midnight verstand die Geste und lehnte sich ihrerseits zu der Blondine, die normalerweise über ein mehr als gesundes Selbstbewusstsein verfügte. "Ah, da bist du! Wir haben dich schon gesucht, Takeyama." Die Zeltplane wurde erneut zur Seite geschoben und Kamui Woods betrat das Lager, bahnte sich einen Weg durch die Menge und gesellte sich zu seiner Teamkameradin. "Ich habe euch draußen in der Menge aus den Augen verloren. Ist Edge Shot auch irgendwo hier?" "Du meinst wohl eher, du bist in der Menschenmenge verloren gegangen. Ist bei einem Zwerg wie dir auch keine Kunst.", neckte die UA Lehrerin die jüngere Heldin schmunzelnd. Als Kamui sich zu ihnen gesellt hatte, waren sie wie auf ein unsichtbares Zeichen hin wieder ein wenig mehr auf Abstand gegangen. "Ein Zwerg? Ich? Hätte ich lieber meine Quirk aktivieren und dabei versehentlich auf einige Mitstreiter treten sollen?", murrte Yu und knuffte ihr Gegenüber leicht. "Wir sollten langsam los.", erinnerte Kamui sie. "Sensei!", rief ein blonder Schüler aus, welcher nun ebenfalls das Lager betreten hatte. Er winkte der UA Lehrerin zu und schien aufgrund der bevorstehenden Schlacht so gestresst, als würde er bereits einen Satz machen, wenn lediglich eine Stecknadel auf den Boden fallen sollte. "Ich denke ich muss jetzt auch los - die Schüler einsammeln." Midnight nickte den beiden anderen Profihelden zu, wobei ihr Blick einen Moment länger als nötig auf der Jüngeren ruhte. "Pass auf dich auf.", äußerten ihre beiden Gesprächspartner wie aus einem Mund, ehe die Dunkelhaarige sich schließlich zum Gehen wandte. Reflexartig griff Yu nach ihrem Arm und hielt sie auf. "Ne- Midnight...-", begann sie und verstummte schließlich, als sie sich der Tatsache bewusst wurde, dass Kamui direkt neben ihr stand. Da gab es etwas, was sie sagen wollte, doch kein Wort verließ ihre Lippen. Die Ältere hielt kurz inne, blickte sie an und nickte schließlich. "Ich weiß." Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. "Wenn das hier vorbei ist und die Stadt hoffentlich nicht in Schutt und Asche liegt, gehen wir in der neuen Mall shoppen. Du schuldest mir noch was." "Klar, warum nicht. Aber jetzt gewinnen wir erst einmal diesen Kampf." Die Dunkelhaarige bahnte sich einen Weg durch die Menge, verschwand aus ihrem Sichtfeld... und aus ihrem Leben. ~~~ Flashback Ende ~~~ Weiterhin hatte das Wetter sich nicht gerade gebessert. Unnachgiebig prasselte der Regen auf den Friedhof. Die Lehmwege waren inzwischen hoffnungslos aufgeweicht und hatten sich viel mehr in rutschigen Schlamm verwandelt. Plötzlich schob sich ein Regenschirm über die junge Frau, ehe sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Yu konnte die Wärme des andere Körpers, welcher dicht hinter ihr stand, spüren. "Wusste ich es doch, dass ich dich hier finden würde.", sprach ihr Teamkamerad sie an. "Legst du es darauf an krank zu werden? Du bist ja vollkommen durchweicht." Die Blondine riskierte noch einen letzten Blick auf den Stein vor sich, ehe sie sich zu Kamui Woods umdrehte. "Du hast mich erschreckt.", murrte sie. "Und überhaupt, warum war dir so klar, dass du mich hier finden würdest?" Angesprochener seufzte. "Weil es die letzten beiden Male, als du nicht zur Patrouille durch die Stadt aufgetaucht bist, nicht anders war." Die Blondine, welche aktuell ihre Zivilkleidung trug, warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. "Schon so spät?", wunderte sie sich. "Dann sollten wir jetzt wohl gehen." Sie gab sich alle Mühe, so wie immer zu wirken und sich nicht anmerken zu lassen, wie sie sich eigentlich fühlte. Als wenn ihr Team sich dies nicht ohnehin denken könnte, doch was das betraf, war die Profiheldin darum bemüht Stärke zu zeigen. So viele Helden hatten nach der Schlacht ihre Kostüme bei Seite gelegt und ihren Beruf aufgegeben. Sie wollte nicht den Eindruck vermitteln, dass sie über ähnliches nachdenken würde, nur weil sie trauerte. In der Schlacht waren so viele Kollegen verletzt oder getötet worden, weil sie für den Erhalt des Friedens gekämpft hatten. Jetzt, wo Chaos und Unsicherheit innerhalb der Bevölkerung herrschte, war es umso wichtiger, das Helden Präsenz zeigten, auch wenn viele der Zivilisten nicht mehr allzu gut auf die Profis zu sprechen waren. Dennoch, wie könnte sie nach all dem, was passiert war, ans Aufgeben denken? Was ihre Arbeitsmoral betraf, hatte Mt. Lady sich mit der Zeit verändert. Waren es zu Beginn nur Ruhm und der Schein der Kameras gewesen, welche sie interessiert hatten, so hatte die Zeit sie doch zu einer Heldin aus Überzeugung werden lassen. Gemeinsam bahnten die beiden Teamkameraden sich einen Weg über das Friedhofsgelände in Richtung Parkplatz. "Bist du mit dem Auto da?", erkundigte sie sich. Kamui nickte. "Richtig. Und vielleicht ist das auch gar nicht so schlecht. Du musst dich umziehen, bevor du dir noch den Tod holst und Präsenz in Zivil zu zeigen, ist auch keine besonders gute Idee." "Recht hast du. Fahren wir also rasch bei meiner Agentur vorbei.", stimmte die Blondine ihm mit unergründlicher Mimik zu. "Takeyama?" Ihr Teamkamerad blieb stehen und sie tat es ihm gleich, wollte sie bei dem Wetter doch nicht unter dem Regenschirm hervorlaufen. "Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?" Einen Moment betrachtete sie die hölzerne Maske ihres Gegenübers schweigend, ehe sie nickte. "Ist es. Etwas Arbeit wird mich sicherlich ablenken." Gerade als die beiden das Friedhofstor erreicht hatten und hinaus auf den angrenzenden Parkplatz treten wollten, hatte auch ein alter Mann das Tor erreicht, bloß dass der Alte gerade erst angekommen war und einen Strauß Blumen in einer Hand, einen Regenschirm in der anderen hielt. Der Alte hielt inne und blickte zu den Profis hoch. "Du bist die einzige, die regelmäßig vorbeikommt, junge Dame.", wandte der Senior sich mit kratziger Stimme an die Blondine, welche blinzelte. "Wie meinen Sie das?" "Du lässt dich von Wind und Wetter nicht abschrecken und besuchst regelmäßig ein bestimmtes Grab. Die Person muss dir wichtig gewesen sein." Yu musterte den alten Mann genauer. "Sie habe ich hier auch schon öfter gesehen, wenn ich so darüber nachdenke." "Wohl aus den gleichen Gründen, was? Ich besuche das Grab meiner Enkeltochter. Kann sozusagen nicht loslassen." Er verzog den Mund zu einem zahnlosen Lächeln. Der Mann, der vom Alter bereits gebeugt ging, ein von Falten gezeichnetes Gesicht, ein Muttermal auf der Wange und intensive, blaue Augen hatte, musterte sie weiterhin ganz direkt. "Wenn du die Chance hättest es ungeschehen zu machen, zu ändern was geschehen ist, würdest du diese Chance nutzen, junges Fräulein?", wollte der alte Herr wissen. Die Profiheldin war überrascht über diese, doch recht persönliche Frage. "Wie kommen Sie darauf? Egal, was wir vielleicht gerne ändern würden, die Zeit lässt sich nun einmal leider nicht mehr zurückdrehen." "Aber angenommen es gäbe die Chance.", beharrte der Alte. Ohne lange darüber nachzudenken nickte Yu. "Natürlich. Könnte ich nachträglich noch etwas daran ändern, ich würde es tun." Ihr Blick wanderte in Richtung Parkplatz. "Aber das ist und bleibt Wunschdenken. Geschehenes lässt sich leider nicht ungeschehen machen. Entschuldigen Sie uns jetzt bitte." "Wir schützen, wen wir können, aber manchmal reicht das leider nicht. Trotzdem, auch heute wird es wieder Menschen in der Stadt geben, die Hilfe benötigen und für diese Personen werden wir, wenn möglich, da sein.", mischte Kamui sich in das Gespräch mit ein, ehe er seine Teamkameradin sanft aber bestimmt vor sich her in Richtung Parkplatz schob. "Passen Sie auf sich auf. Erst recht bei dem Wetter.", verabschiedete er sich noch von dem alten Herrn. Yu steuerte währenddessen ganz automatisch auf das Auto des anderen Helden zu. "Merkwürdige Begegnung, wirklich.", stellte sie fest, während das Bild des alten Herrn sich in ihrem Gedächtnis festgebrannt hatte. Dieses kleine Muttermal in seinem Gesicht und die auffällig blauen Augen...fast wie... "Vielleicht ist das seine Art zu trauern. Immerhin scheint der alte Mann keinen Hass auf uns Helden entwickelt zu haben, wie ein Großteil der Städter.", antwortete Kamui und schloss das Auto auf. Eine Viertelstunde später betraten die beiden Profihelden bereits die Agentur, in deren Erdgeschoss sich das, wie ein Wohnzimmer anmutende, Büro befand. "Ich föhne meine Haare und ziehe mich um, dann können wir los.", verkündete die junge Frau und lief in Richtung Flur. Ihre Wohnung lag praktischerweise genau über ihrer Agentur, sodass ihr weitere Wege erspart blieben. Ihr Teamkamerad setzte sich aufs Sofa und nickte ihr zu. "Ist gut. Aber beeil dich bitte. Edge Shot ist schon ohne uns losgezogen. Wir treffen ihn dann später in der Stadt." Rasch stieg die Blondine die Treppen zur ersten Etage hoch, schloss die Tür auf und betrat ihre Wohnung. Ihre vom Regen durchweichte Kleidung streifte sie im Bad ab, ehe sie sich erst einmal abtrocknete und damit begann ihre Haare halbwegs trockenzuföhnen. Schließlich griff sie nach ihrem Heldenkostüm, welches auf einem Kleiderbügel an der Badezimmertür zwischengelagert worden war, und schlüpfte hinein. Fehlte nur noch ihre Dominomaske. Yu trat zum Badezimmerspiegel, blickte hinein und betrachtete ihr Spiegelbild einen Moment lang. Die Dominomaske würde die Schatten unter ihren Augen halbwegs verbergen. Für die Zivilisten würde die Heldin folglich aussehen wie immer, bis auf die kleine Narbe, welche von ihrer linken Augenbraue bis zum oberen Augenlid reichte. Einerseits war sie froh, dass sie nur mit dieser einen Narbe aus dem Kampf zurückgekehrt war, andererseits schrie ihr Ego auf. Hatte es unbedingt ihr bislang makelloses Gesicht treffen müssen?! Eine Narbe am Arm oder Knie wäre leichter zu verbergen gewesen. Aber nein, es musste natürlich genau die Stelle über ihrem Auge sein! Yu wusste, das Kamui unten im Büro auf sie wartete und das sie sich besser beeilen sollte, dennoch gebot ihre Eitelkeit, die sie nach wie vor nicht abgelegt hatte, es ihr, wenigstens zu versuchen die verhasste Narbe zu überschminken. So ganz funktionierte das nicht, aber immerhin weniger auffällig schaute die verheilte Verletzung nun aus. Prüfend betrachtete sie ihr Spiegelbild. Sehr annehmbar, wie sie fand... bis auf die Narbe. Während sie die Dominomaske aufsetzte, kam ihr der Gedanke, dass andere vielleicht froh gewesen wären, mit eine Narbe, aber dafür lebendig, aus der Schlacht zurückzukehren. Sofort mischte sich Kummer in ihren Blick. Vielleicht sollte sie froh sein, dass lediglich ihr Äußeres, auf welches sie so viel Wert legte, einen leichten Kratzer abbekommen hatte. Schließlich lief sie zurück ins Erdgeschoss, wo Kamui bereits auf sie wartete. Er streckte sich und erhob sich dann vom Sofa. "Können wir los?", erkundigte er sich bei seiner Kameradin, welche sich mit dem Rücken an den Türrahmen gelehnt hatte. "Von mir aus. Suchen wir Edge Shot und schließen uns ihm an." Da sie die Tür abschließen musste, wartete sie ab, bis Kamui die Agentur verlassen hatte, durch den Flur gelaufen und auf die Straße getreten war. Dann mal los... Die Blondine nickte leicht, besann sich darauf sich zusammenzureißen, da sie ihr Team nicht mit ihrer Stimmung runterziehen wollte und folgte ihm schließlich. Doch kaum, dass sie über die Türschwelle schritt, wurde die Umgebung in ein grelles weißes Licht getaucht. So grell, dass Yu erst einmal nichts sehen konnte, lediglich diese endlose weiße Fläche. Was zum?! Ein Blitz? Aber so hell? Und so lange? "Was ist das?!", rief sie in der Hoffnung, ihr Teamkamerad hätte eine Erklärung für dieses Phänomen. "Du kannst es...du kannst beschützen was du liebst, wenn dein Herz es nur will.", hörte sie eine Stimme sagen, welche weit weg zu sein schien und gleichzeitig doch so nah klang. Eh? Was? Sie sah sich um, doch da war nur dieses weiße Licht und sonst nichts. Wer sprach da? Die Stimme kam ihr flüchtig bekannt vor. Definitiv hatte sie sie schon einmal gehört und doch war die Person ihr nicht vertraut genug, als dass sie sie hätte zuordnen können. Dann schwand das grelle Licht plötzlich genauso schnell wieder, wie es aufgetaucht war. Noch zuckten einige grelle Lichtpunkte vor Yus Augen, fast so, als hätte sie direkt in den Blitz einer Kamera gesehen, doch auch dies gab sich schnell wieder. Sie blinzelte. "Merkwürdig, wirklich.", stellte sie fest. "Hey, Kamui, hast du einen so seltsamen Lichtblitz schon einmal gesehen?" ...keine Antwort. Erneut blinzelte die Blondine. Auch das war seltsam. Eben noch hatte der andere Profiheld praktisch direkt vor ihr gestanden und nun fehlte jede Spur von ihm. War er vielleicht schon ins Auto gestiegen? Sie blickte zu dem Platz, wo er den kleinen schwarzlackierten Wagen eben noch genau vor der Haustür geparkt hatte, doch auch von dem Fahrzeug fehlte jede Spur. Genauso wie von ihrem Teamkameraden. Oder war er wegen des Lichtblitzes wieder an ihr vorbei und zurück ins Büro gelaufen? Sie hätte es nicht bemerkt, weil das Licht so grell war. Das erklärte zwar nicht, wo das Auto so plötzlich hin war, doch nachzusehen konnte nicht schaden. "Kamui?", rief sie noch einmal fragend und drehte sich zu ihrem Haus um, um dieses wieder zu betreten. Gerade noch rechtzeitig gelang es Yu abzubremsen. Beinahe wäre sie gegen eine Wand aus Backsteinen gelaufen. Aber wie...?! Da, wo eben noch die Haustür gewesen war, befand sich jetzt eine massive Wand aus rotem Backstein. Wie das möglich sein sollte, überstieg ihr Vorstellungsvermögen. Ungläubig blinzelte sie und rieb sich über die Augen, aber das änderte nichts an der Tatsache, dass ihre Agentur nicht mehr aussah wie ihre Agentur. Sie hatte sich nicht wegbewegt und doch war das Gebäude hinter ihr definitiv nicht mehr ihr Haus, sondern hatte größere Ähnlichkeit mit einer alten, verlassenen Lagerhalle! Sie verstand die Welt nicht mehr. Yu wandte den Blick in Richtung Straße und musterte verwirrt ihre Umgebung. Einige der angrenzenden Häuser sahen so aus wie immer, während sie andere Gebäude dafür noch nie hier gesehen hatte. Und die Bäckerei auf der gegenüberliegenden Straßenseite, in welcher sie heute Morgen erst noch Brötchen geholt hatte, war plötzlich nahtlos durch ein Fahrradgeschäft ersetzt worden? Was zum?! Das konnte doch gar nicht sein. Sie träumte das, richtig? Oder war sie wegen dem Stress in letzter Zeit einfach zusammengeklappt? Das würde es erklären. In Zeitlupe griff sie mit der rechten Hand nach ihrem linken Arm und kniff hinein. Autsch! Ihr Schmerzempfinden funktionierte durchaus noch tadellos. Also war sie wach. Aber was war dann mit ihrer Agentur und der Stadt passiert? Wo war Kamui Woods? Und wie hatte das alles in nur wenigen Herzschlägen passieren können?! Die Blondine war mit der Situation heillos überfordert und doch war ihr klar, dass sie nicht ewig hier stehenbleiben konnte. Das würde sie auch nicht weiterbringen. Maßlos verwirrt setzte sie sich schließlich zögerlich in Bewegung, um sich die Umgebung ein wenig genauer anzusehen und hoffentlich eine Erklärung für die plötzlich veränderte Stadt zu finden. Das hier konnte doch keine Einbildung sein, dafür war alles viel zu real. Der Gesang der Vögel, das Rauschen der vorbeifahrenden Fahrzeuge, der übelriechende Qualm einer weggeworfenen Zigarette, ein spitzer Kiesel auf den sie versehentlich trat... nein, all das hier musste wirklich die Realität sein. Aber wenn dem so war, wo genau war sie dann hier gelandet? Vor allen Dingen so schnell. Während Yu die Straße entlanglief, die ihr eigentlich so vertraut war, versuchte sie sich zu orientieren. Die meisten Häuser sahen vollkommen anders aus, Läden hatten gewechselt, oder trugen plötzlich andere Namen. Das...das konnte doch alles gar nicht sein. Kopfschüttelnd setzte sie ihren Weg fort, unsicher, wohin sie eigentlich wollte. Sie musste Kamui wiederfinden, würde auf ihrer Suche vielleicht über Edge Shot oder ein anderes bekanntes Gesicht stolpern, doch auf jeden Fall musste sich aufklären, was genau geschehen war. Hinzu kamen die Zivilisten. Im Normalfall erkannten Zivilpersonen Helden, fragten hier und da nach Fotos oder Autogrammen, oder liefen zumindest ganz normal weiter, doch hier? Yu wurde das Gefühl nicht los, dass vorbeifahrende Autofahrer und auch die Jogger auf der anderen Straßenseite, ihr merkwürdige Blicke zuwarfen. Irgendetwas an ihrem Heldenkostüm schien diese Menschen zu verwundern. Aber was? Sie blickte an sich hinab, konnte jedoch nichts ungewöhnliches feststellen. Ihr Kostüm sah genauso aus wie immer. Was also hatten die Menschen? Nach der Schlacht waren viele Zivilisten Helden gegenüber nun skeptisch, teilweise alles andere als positiv eingestellt, doch die Leute hier schienen diese Meinung nicht zu vertreten, sondern viel mehr überrascht zu sein. Fast so, als hätte sie sich entschieden, ein Kleid aus Pfauenfedern zu tragen. Während die Blondine die Umgebung musterte, fiel ihr auf, dass die Stadt in einem viel besseren Zustand war, als sie sie in Erinnerung hatte. Ganze Stadtteile waren vor drei Wochen zerstört und verwüstet worden, doch die Straßen und Gebäude hier wirkten vollkommen intakt. Wie in einer Art Kriegsgebiet sah es hier nun wirklich nicht aus. Ratlos und verwirrt, bog die Profiheldin um eine Ecke. Immer noch fehlte jede Spur von ihrem Team. Vielleicht sollte sie die beiden anderen mal anrufen? Das war eigentlich keine schlechte Idee. Vor ihr führte eine Treppe von etwa 15 Stufen einen Hügel hinunter. Am Fuße der Treppe grenzte die nächste Straße an. Gut, sie würde ihre Teamkameraden anrufen, aber erst einmal würde sie noch rasch die Treppe heruntersteigen, da sie beim Wählen nicht am Ende noch ins Stolpern geraten wollte. Yu hob den Blick und wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, als ein Bus am Fuße der Treppe anhielt und eine einzelne Person ausstieg, ehe das Fahrzeug sich wieder in Bewegung setzte. Die Augen der jungen Frau weiteten sich ungläubig. Sie glaubte wirklich nicht recht zu sehen. Schlagartig wurde ihr Mund trocken und alles in ihrem Kopf begann sich zu drehen. Sie sah gerade nicht wirklich, wen sie da sah, oder? Das bildete sie sich ein. Anders ging es doch gar nicht! Und doch...diese Person war so real wie alles hier in dieser ihr fremden Umgebung. Die junge Heldin war zwischen Ungläubigkeit und stetig größer werdender Freude hin und hergerissen, doch schließlich überwog die Freude und zerfraß für den Moment jeden Zweifel. Sie würde diese Person überall wiedererkennen. Wirklich überall und sie war sich ganz sicher, dass sie es war, auch wenn sie nicht verstand, wie das möglich sein sollte. Auch die andere Frau war stehen geblieben, allerdings unten am Fuße der Treppe und blickte zu ihr hinauf. Fragte sie sich wohl auch gerade, wie all das sein konnte? Yu hielt es nicht länger aus. Sie riss sich aus ihrer Schockstarre und rannte die Treppe hinunter, so schnell, dass es ein Wunder war, dass sie nicht ins Stolpern geriet. Auf der vorletzten Stufe angekommen, stieß sie sich von der Steinplatte ab und sprang der Anderen fast schon in den Arm. Ihr Gegenüber stolperte zwei Schritte gemeinsam mit ihr zurück, ehe beide das Gleichgewicht wiedergefunden hatten. Die Blondine zog die Ältere in eine enge Umarmung und vergrub das Gesicht für den Moment an ihrem Schlüsselbein. So überschwänglich hatte sie Midnight wohl noch nie begrüßt, Bekannte von ihnen wären wohl vollkommen vom Glauben abgefallen und eigentlich war es auch nicht Yus Art, jemanden so stürmisch zu umarmen, dass sie die Person dabei fast von den Füßen riss, doch konnte man es ihr verübeln? Verdammt, die letzten drei Wochen über war sie der festen Überzeugung gewesen, die Ältere wäre in der Schlacht getötet worden. Alle hatten das geglaubt. Und jetzt... jetzt lief sie ihr unverhofft in dieser merkwürdigen Stadt über den Weg. Wie oft hatte sie sich genau das gewünscht? Wie oft hatte sie sich die andere Profiheldin zurückgewünscht? Wie sehr hatte sie sie in den vergangenen Wochen vermisst und jetzt... Die Frau, die sie umarmte, war ganz eindeutig real. Sie konnte ihre Wärme spüren und auch an dem Parfüm, welches sie trug, hatte sich nichts geändert. "Du... du bist es wirklich. Ich fasse es nicht.", fand Yu langsam die Sprache wieder und blickte hoch zu der größeren Heldin, ohne diese dabei loszulassen. Sie blickte ihr ins Gesicht und hatte eigentlich mit Erkennen und Freude gerechnet... doch auf den Gesichtszügen der Älteren spiegelte sich lediglich Verwirrung. Fragend betrachtete Nemuri die zierliche Frau, welche sie da gerade so unverhofft und stürmisch umarmt hatte. Die Augen der Dunkelhaarigen musterten das überaus attraktive Gesicht einige Sekunden lang ganz genau, ehe sie ihre Hände auf die Schultern der Kleineren legte und sie ein Stück weit von sich schob. "Hey Kleine, deiner Reaktion nach zu urteilen müssen wir uns wohl schon einmal begegnet sein, aber wer bist du?" Kapitel 2: ----------- Die Blondine blinzelte. Sie glaubte sich verhört zu haben. Das hatte ihr Gegenüber sie jetzt gerade nicht wirklich gefragt, oder? "Wenn das ein Scherz sein soll, dann ist er eindeutig nicht lustig." Langsam lockerte Yu die Umarmung und ließ ihr Gegenüber schließlich wieder los, um die andere Frau besser ansehen zu können. Immer noch rechnete sie damit, dass Nemuri sie vielleicht noch ein oder zwei Sekunden lang schmoren lassen würde, ehe sie grinsen und die ganze Situation auflösen würde, doch genau das geschah nicht. Weiterhin wirkte die Dunkelhaarige viel mehr verwirrt bis ratlos und schien ernsthaft zu überlegen, wo sie sich vielleicht schon einmal über den Weg gelaufen sein konnten. "Jetzt sag schon was.", verlangte die Profiheldin. "Du wirst ja wohl kaum auf den Kopf gefallen sein und mich vergessen haben." Einen Moment lang blickte ihr Gegenüber ihr noch entgegen und schien zu überlegen, dann schüttelte Nemuri schließlich den Kopf. "Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dich nicht kenne. Vielleicht liegt es auch an deinem Cosplay, aber an dein Gesicht würde ich mich definitiv erinnern, würden wir uns kennen.", stellte sie schließlich fest. Das... das war jetzt wirklich ein schlechter Scherz, oder? Erst die Tatsache, dass Kamui verschwunden war, genauso wie ihre Agentur und jetzt war sie zwar auf die UA Lehrerin getroffen, doch schien diese eine Art Amnesie erlitten zu haben und konnte sich nicht mehr an sie erinnern. Oder aber sie tat nur so? So ganz glauben konnte Yu das allerdings nicht. Sicher, Nemuri hatte sie schon immer gern geärgert, genauso wie sie in der Vergangenheit ständig gestritten hatten, doch dass die Dunkelhaarige in einer Situation wie dieser so tun würde, als wären sie sich noch nie begegnet, passte einfach nicht zu ihr. "Cosplay? Was redest du da bitte? Ich bin doch keine Cosplayerin!", widersprach die Blondine erst einmal entschieden, trug sie doch ihr bekanntes Heldenkostüm. "Du wirst mir ja wohl kaum erzählen wollen, dass das deine Alltagskleidung ist, Kleine. Erst recht nicht bei den aktuellen Temperaturen.", amüsierte die Ältere sich. Yu fand die Situation hingegen gar nicht zum Lachen. "Meine Berufskleidung, wenn du es so willst, aber wem erzähle ich das? Gerade du solltest das immerhin wissen!" "Berufskleidung?", wiederholte Nemuri ein wenig ungläubig und zog eine Augenbraue hoch. "Und wo arbeitet man mit einem so hautengen Kostüm?" Sie ließ der Blondine keine Zeit zu antworten, denn plötzlich hellten ihre Gesichtszüge auf. "Warte, sag nichts. Vermutlich in irgendeinem Club, habe ich recht? Sind wir uns dort vielleicht begegnet?" Sie schien noch einmal kurz nachzudenken, aber weiterhin zu keinem Ergebnis zu kommen. Schließlich setzte die Dunkelhaarige ein etwas entschuldigendes Gesicht auf. "Vielleicht waren es an dem Abend ein paar Drinks zu viel. Es tut mir leid, aber ich habe wirklich keine Ahnung wer du bist." Yu starrte ihr Gegenüber ungläubig an. Was um Himmelswillen redete sie da? Diese Frau vor ihr sah haargenau aus wie Nemuri und hatte auch ihre Stimme, doch sie schien sich wirklich nicht erinnern zu können. War sie in der Schlacht vor drei Wochen also nicht gestorben, sondern nur am Kopf verletzt worden und hatte daraufhin ihr Gedächtnis verloren? Das wäre die naheliegendste Erklärung, denn sonst würde die Andere diese Show jetzt nicht abziehen. Nicht, nachdem ihre Rivalität in den letzten Monaten mehr und mehr zu schmelzen begonnen und sich langsam in eine vollkommen andere Richtung entwickelt hatte. "Ich arbeite ganz sicher nicht in irgendeinem Club.", widersprach Yu, ehe sie hinzufügte:" Ich bin Profiheldin, ganz genauso wie du eine bist. Ich weiß nicht, was mit dir passiert ist, aber versuch dich zu erinnern." Vielleicht gelang es ihr, das Gedächtnis der Älteren irgendwie wieder wachzurütteln? Hoffentlich! "Profiheldin? Genauso wie ich?" Nemuris Mundwinkel begannen zu zucken, dann musste sie lachen. "Der war wirklich gut!", amüsierte sie sich, ehe sie langsam wieder ernster wurde und ihr Gegenüber aus intensivblauen Augen anblickte. "Aber ganz ehrlich, ich fürchte eher, dass du den Charakter, den du cosplayst, ein wenig zu sehr verinnerlicht hast. Auf welcher Convention du heute auch immer warst, du bist ganz offensichtlich auf dem Heimweg, also solltest du vielleicht langsam mal wieder umschalten, Süße." "So ein Quatsch! Ich war auf keiner Convention und ich bin auch keine Cosplayerin. Das gerade war mein voller Ernst!" Langsam hatte Yu Mühe damit nicht die Geduld zu verlieren. Ob sie wollte oder nicht, sie wurde langsam ärgerlich, auch wenn sie eine Amnesie für Nemuris Vergesslichkeit verantwortlich machte. So sehr sie sich das Verhalten der Anderen auch zu erklären versuchte und so sehr sie sich freute, dass die andere Frau wohlauf war, dass diese sich an rein gar nichts zu erinnern schien und sie offenkundig für eine verrückte Cosplayerin hielt, kratzte dann doch gehörig an ihren Nerven. "Es ist äußerst faszinierend mit welcher Überzeugung du schauspielerst, aber langsam ist es wirklich genug." Auch der Dunkelhaarigen reichte es langsam. "Ich weiß nicht wer du bist und ich habe auch keine Zeit, diese wirre Unterhaltung hier weiterzuführen.", stellte sie klar. "Bitte was? Aber ich sagte doch -", begann Yu, doch Nemuri ließ sie nicht ausreden und tätschelte kurz den blonden Schopf - ganz eindeutig mitleidig. "Hör zu Kleine: geh jetzt nachhause, zieh dich um und schalte von 'Convention' wieder auf 'normales Leben' um. Es reicht jetzt wirklich." Aufgrund der Geste war die Jüngere kurz zusammengezuckt. Sie war doch kein Hund, dem man den Kopf tätscheln konnte! Und überhaupt, wie redete die Andere da bitte mit ihr? Fast so, als würde sie sie für eine verrückte Schülerin halten, die den Bezug zur Realität verloren hatte. Noch ehe sie etwas erwidern konnte, hatte die Dunkelhaarige sich zum Gehen gewandt. Yu wirbelte herum. "Nemuri! Jetzt bleib gefälligst stehen!", blaffte sie, halb verzweifelt, inzwischen allerdings auch halb verärgert. Für einen Moment hielt die Ältere wirklich inne, dann fuhr ein Fahrradfahrer mit Anhänger und einem sperrigen Pappschild darauf, zwischen ihnen her. Als der Fahrradfahrer vorbeigefahren war, musste die Blondine feststellen, dass von der UA Lehrerin jede Spur fehlte. Rasch suchte sie mit dem Blick die Umgebung ab, doch die Ältere musste in eine der angrenzenden Straßen abgebogen sein. Noch verwirrter und verlassener als zuvor, blieb die junge Frau zurück und blickte ungläubig zu der Stelle, wo die andere Heldin eben noch gestanden hatte. Das konnte doch alles wirklich nicht sein. Midnight lebte - sie hatte zwar immer noch keine Ahnung, wie das möglich war, doch allem Anschein nach ging es ihr gut. Bis auf die Tatsache, dass ihr Gedächtnis einen Schlag abbekommen haben musste. Generell war die Art, wie sie sich gab, ein wenig anders als sonst. Das sie lebte, freute die junge Frau wirklich, bloß dass die Ältere ihr entwischt war, ehe sich alles hatte aufklären lassen, war weniger gut. Genauso wie die Tatsache, dass von ihrem Teamkameraden jede Spur fehlte, ziemlich unpraktisch war. Sie wollte unbedingt mit Kamui über das ganze Chaos sprechen. Die veränderte Stadt, die Tatsache, dass die Zerstörung die die Schlacht mit sich gebracht hatte, scheinbar gänzlich verschwunden war und dann natürlich noch der Punkt, dass Nemuri wohlauf war... Auf dem Nachhauseweg dachte die Dunkelhaarige über die seltsame Begegnung nach, die sie da eben erlebt hatte. Diese merkwürdige junge Frau... entweder war die Kleine eine extrem gute Schauspielerin, oder aber sie war wirklich überzeugt von dem, was sie da redete. Aber wenn sie wirklich aus voller Überzeugung behauptete, eine Superheldin zu sein, dann war das ein wenig besorgniserregend, richtig? Das Mädchen musste eindeutig zu viel Marvel gesehen haben, anders konnte sie es sich nicht erklären. Und über das Cosplayen musste sie den Bezug zur Realität verloren haben. ... Oder aber sie hatte von Anfang an recht gehabt und die Kleine arbeitete wirklich in irgendeinem Club. Das hautenge Kostüm, welches kaum Freiraum für die eigene Vorstellungskraft ließ, war zwar in gewisser Weise recht exotisch, aber warum nicht? In irgendeinem Nachtclub wäre das Mädchen ein echter Hingucker, so viel stand fest. Erst recht mit der Figur und dem bildhübschen Gesicht. Unweigerlich musste die Lehrerin bei ihren Überlegungen schmunzeln. Aber eine Sache, hatte sie wirklich aus der Bahn geworfen: Nemuri hatte keine Ahnung, wer die Blondine war, doch dass sie sich schon einmal begegnet sein mussten, stand außer Frage, denn die Jüngere hatte sie mit Namen angesprochen. Vielleicht wirklich eine flüchtige Bekanntschaft von irgendeiner Party? Anders konnte sie es sich nicht erklären. Ein paar Drinks zu viel würden vielleicht auch die Tatsache erklären, dass sie sich nicht mehr an diese, scheinbar reichlich verrückte, Schönheit erinnern konnte. "Vielleicht sollte ich es etwas ruhiger angehen lassen, wenn ich mich jetzt scheinbar nicht mal mehr an die Gesichter von Partybekanntschaften erinnern kann.", stellte sie schulterzuckend an sich selbst gewandt fest und schloss die Wohnungstür auf. Aber mal ehrlich, was hatte die Kleine da eben bitte voller Überzeugung geredet? Superhelden... sie hatte wirklich zu viel ferngesehen. "Hast du die Kleine da drüben gesehen?" "Heiß, aber auch ein ziemlich schräger Vogel, was?" Einer der Typen besaß sogar noch die Frechheit mit dem Finger auf sie zu zeigen, ehe die Gruppe, welche sich in einiger Entfernung auf der anderen Straßenseite aufhielt, lauthals anfing zu lachen und schließlich weiterzog. Die Blondine warf den Typen einen bösen Blick zu, doch inzwischen war die eigentlich temperamentvolle junge Frau es ganz eindeutig leid, sich mit jedem Zivilisten herumzuärgern, der sich über sie lustig machte. Was war das hier nur für eine Welt? Wie um Himmelswillen war sie hier gelandet und wie kam sie wieder zurück? Die junge Frau ließ sich auf eine Bank in der Innenstadt sinken und schlang die Arme enger um ihren Oberkörper. Sie fror erbärmlich und doch hatte sie keinerlei Ersatzklamotten dabei, um sich umzuziehen und so vielleicht ein klein bisschen weniger aufzufallen. Normalerweise genoss Yu die Aufmerksamkeit anderer regelrecht, aber das war natürlich nicht der Fall, wenn ihre Mitmenschen sie lediglich belächelten, ihr schiefe Blicke zuwarfen, oder sich über sie lustig machten. Ihr Magen knurrte, doch auch dieses Problem würde warten müssen. Hunger war zwar unangenehm, gerade allerdings ihre geringste Sorge. Inzwischen war die junge Frau der festen Überzeugung, dass diese Stadt nicht ihre Heimatstadt sein konnte. Wie auch immer es passiert war, sie musste an einem weit entfernten Ort gelandet sein, denn obwohl hier alle japanisch sprachen, schien niemand je etwas von Profihelden gehört zu haben. Lediglich irgendwelche Comichelden schienen den Menschen bekannt zu sein. Mit ihrem Heldenkostüm hielt man sie entweder für eine Cosplayerin (im günstigsten Fall), oder aber für einen ziemlichen Freak. So unwohl hatte sie sich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gefühlt! Aktuell wünschte sie sich nur wieder zurück nach Hause! Und wärmere Kleidung wäre auch nicht übel. Obwohl sie mit ihrem Team an einem Frühlingstag auf Patrouille durch die Stadt hatte gehen wollen, hatte sie sich nach dem Lichtblitz ganz eindeutig in einer Herbstlandschaft wiedergefunden. Die Blätter der Bäume waren bereits bunt verfärbt und rieselten zu Boden, während die Temperaturen bereits ziemlich frisch waren und die Windböen scheinbar pausenlos durch die Stadt fegten. Nachdem sie sich ein Weilchen ausgeruht hatte, erhob die Blondine sich wieder von ihrem Sitzplatz und setzte ihren Weg durch die Stadt fort, auch wenn sie nicht wusste, wohin ihre Beine sie eigentlich tragen würden. Am Anfang hatte ihr Körper vor Kälte noch geschmerzt, inzwischen fühlten ihre Arme und Beine sich viel mehr taub an. Ihr dünnes, hautenges Heldenkostüm schützte sie kein bisschen vor den niedrigen Temperaturen. Seit sie höchst unfreiwillig in dieser seltsamen Stadt gelandet war, waren inzwischen gut 24 Stunden vergangen. Yu fühlte sich verlassener und ratloser als je zuvor. Gestern schon hatte sie versucht ihr Team zu erreichen, doch ihr Smartphone vermeldete ihr lediglich, dass besagte Nummern nicht vergeben wären. Sie hatte sämtliche abgespeicherte Kontakte abtelefoniert, allerdings mit dem selben Erfolg. Gestern hatte sie versucht mit einem bekannten Gesicht via Telefon in Kontakt zu treten, heute hatte sie es erneut mehrfach probiert - erfolglos. Wo auch immer sie hier war, sie war allein, so viel stand fest. Niemand würde sie abholen kommen und nachhause bringen. Was es noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass sie weder Ersatzkleidung, noch Geld dabei hatte, war sie gestern immerhin davon ausgegangen, lediglich einige Stunden mit ihren Teamkameraden in der Stadt unterwegs zu sein. Aktuell fiel es ihr schwer klar zu denken. Sie war ganz eindeutig vollkommen überfordert mit der Gesamtsituation. Sie musste hier wieder weg, aber wie? Sie brauchte ein Dach über dem Kopf, aber auch das war nicht so leicht ohne Geld. Gestern Abend noch hatte sie den Hauptbahnhof gefunden, welcher ironischerweise den gleichen Namen trug, wie der Bahnhof in ihrer eigentlichen Stadt. Die Fahrtziele waren ebenfalls identisch, bloß dass sie in all der Zeit keinem einzigen anderen Helden begegnet war und die Menschen sie für verrückt hielten. Die Bahnhofshalle war gut, um sich kurz ein wenig aufzuwärmen, doch allzu lange war sie nicht geblieben, da sie nicht am Ende noch mit den Obdachlosen auf eine Stufe gestellt werden wollte. Es reichte gerade schon, dass ein Großteil der Bevölkerung sie belächelte. Die Nacht auf irgendeiner Bank zu verbringen, war aus eben genannten Gründen auch nicht möglich gewesen, ließ ihr Stolz dies doch nicht zu. Aus diesem Grund war sie stundenlang umhergewandert, in der Hoffnung, endlich einem Bekannten zu begegnen, oder einen Weg zurück zu finden. Am Morgen hatte sich eine gewisse Portion Dreistigkeit bezahlt gemacht, als sie ihren Charme hatte spielen lassen, um in einer Bäckerei ein kostenloses Frühstück abzustauben, doch inzwischen war es bereits wieder Abend und sie war immer noch hier, in dieser seltsamen, fremden Stadt. Yu konnte sich unmöglich noch eine Nacht um die Ohren schlagen, zumal sie entsetzlich fror und Hunger hatte. Zu allem Übel hatte auch noch ein leichter Nieselregen eingesetzt, welcher die frostigen Temperaturen nur noch schwerer erträglich machte. Inzwischen fühlte sie sich halb erfroren, ausgehungert, müde und erschöpft. Unmöglich konnte sie so planlos weitermachen wie bisher. Wenn sie diesen Ort wieder verlassen wollte, dann musste sie sich eindeutig etwas einfallen lassen, doch gleichzeitig musste sie auch darauf achten bei Kräften zu bleiben. //So geht das nicht weiter. Ich muss mich aufwärmen und ein Dach über dem Kopf wäre für den Anfang auch nicht das Schlechteste. Dann kann ich mir immer noch weiter den Kopf zerbrechen.// Sie blickte sich um. Aber wie ließ sich dies ohne Geld am besten realisieren? Sich um einen Job bemühen? Nein, das wäre nur eine Lösung auf längere Sicht und würde ihr aktuell kaum weiterhelfen, zumal sie nicht gedachte, einfach aufzugeben und ewig hier festzusitzen. Es musste also auch anders gehen. Während die Blondine noch grübelte, was für sie die bequemste Lösung sein mochte, blieb ihr Blick eher zufällig an dem Schild einer Bar hängen. Kurz hielt sie inne. Das wäre eindeutig eine Idee... Vielleicht hielten viele Leute sie aktuell für eine verrückte Cosplayerin, doch mit Sicherheit fände sich trotzdem noch die ein oder andere Person, die ihr etwas ausgeben würde. Sich dafür in ein Gespräch verwickeln zu lassen, würde sie ganz eindeutig nicht umbringen. Außerdem sollte die Bar beheizt sein. Dem schlechten Wetter zu entkommen, sprach ebenfalls dafür, den Laden ganz einfach erst einmal zu betreten. ///Was solls? Ich hatte schon immer ein Händchen dafür, mir in Bars die Getränke spendieren zu lassen. Versuche ich also mein Glück.// Mit diesem Gedanken und der Hoffnung, Regen und Kälte vorerst zu entkommen, betrat die Blondine die Bar 'The Rainbow' schließlich kurzentschlossen. Kaum hatte sie die Bar betreten, schlug ihr angenehme Wärme entgegen. Das Lokal war ganz eindeutig beheizt. Was für eine Wohltat! Während sie die fünf Treppen hinunterschritt, welche ins Innere der Bar führten, sah die Blondine sich schon einmal um, um einen ersten Überblick zu gewinnen. Die Bar selbst war eher schmal, dafür war das Gebäude recht lang geschnitten, sodass im hinteren Teil des Lokals noch ausreichend Platz für einige Tische und Sitzgruppen war. Um diese Uhrzeit war der Laden bereits gut besucht. An den Tischen saßen Gäste, welche scheinbar einen Feierabenddrink genossen und sich dabei mit Bekannten oder Kollegen unterhielten. Glaubte sie zumindest, übersah Yu doch gekonnt die Tatsache, dass an den Tischen meist nur Paare des gleichen Geschlechts zusammensaßen. Gemischte Gruppen waren eher die Ausnahme. Die Beleuchtung war eher sparsam, was den Laden zwar einerseits dunkel, andererseits aber auch wieder gemütlich machte. In der Luft lag, zu Yus Leidwesen, ein nicht zu ignorierender Geruch nach Zigarettenrauch. Die junge Frau hatte den Tresen erreicht und nahm auf einem der Barhocker Platz. Der Barkeeper war gerade dabei einige Bestellungen fertigzumachen, nickte ihr jedoch bereits zu. "Herzlich willkommen. Einen kleinen Moment noch, bitte." So freundlich der Angestellte auch war, auch ihn schien das ungewöhnliche Outfit der Profiheldin ein wenig aus der Bahn zu werfen. Solange der Mann noch mit der Herstellung einiger Cocktails beschäftigt war, schnappte Yu sich die Getränkekarte und begann diese zu studieren. Erst einmal würde sie sich einen Überblick darüber verschaffen, was es hier gab, dann würde sie ausloten, bei wem es am lohnenswertesten wäre ihren Charme spielen zu lassen, um sich etwas ausgeben zu lassen. Die Blondine war sich bewusst, dass beispielsweise ihre Teamkameraden über solche Aktionen lediglich den Kopf schüttelten, doch Yu fand, dass nichts dabei war, einer anderen Person kurzzeitig schöne Augen zu machen, um Getränke oder etwas zu Essen nicht selbst zahlen zu müssen. Leute, die über so etwas die Augen verdrehten, waren vermutlich ganz einfach nur eifersüchtig, weil sie sich selbst nicht geschickt genug anstellten, um sich etwas ausgeben zu lassen. Während sie noch die Karte studierte, legte sich plötzlich ein Arm um ihre Schultern. Sie spürte den warmen Atem einer Person in ihrem Nacken. Der oder die Unbekannte hinter ihr, hatte sich leicht gegen ihren Rücken gelehnt, was die Blondine erst einmal dazu brachte erschrocken herumzuwirbeln. "So schreckhaft? Wie niedlich." Ihr Gegenüber lachte leise. "Aber davon ganz abgesehen, hätte ich nicht gedacht, dass wir uns ausgerechnet hier wieder über den Weg laufen würden." Überrascht blickte die Blondine in die blauen Augen der Lehrerin, welche sie gestern noch als verrückte Cosplayerin abgestempelt hatte. Dadurch, dass Nemuri sich leicht gegen sie gelehnt und Yu sich zu ihr umgedreht hatte, berührten ihre Nasenspitzen sich fast. Perplex starrte Yu die Ältere an. Die Nähe der anderen Heldin sorgte dafür, dass ihre Wangen sich fast sofort etwas wärmer anfühlten als eben noch. "Nemuri?! Was machst du denn hier?", erkundigte Yu sich überrascht, hatte sie mit dieser Begegnung doch wahrlich nicht gerechnet. Sie stellte fest, dass es nach wie vor ein seltsames Gefühl war, die Dunkelhaarige gesund und munter vor sich zu sehen. "Und warum bist du so überrascht, dass ich mich ausgerechnet hier her verirrt habe?", hakte sie nach, nachdem sie sich wieder gefangen hatte. "Naja, weil...", setzte die UA Lehrerin zu einer Erklärung bezüglich der Bar an, stoppte dann jedoch, da ihr Gegenüber den Laden wohl bewusst gewählt hatte. Das Türschild war immerhin kaum zu übersehen. "Ach, vergiss es einfach." Das Schmunzeln auf den Lippen der Dunkelhaarigen wurde eine Spur breiter, während sie ihr Gegenüber auf seltsam eindringliche Art und Weise musterte und schließlich auf dem Barhocker neben ihr Platz nahm. Ein wenig erinnerte Yu Nemuris Blick an den eines Greifvogels, der ein Beutestück fixierte und sichtlich zufrieden mit seiner Entdeckung war, doch das bildete sie sich sicherlich nur ein. Die blauen Augen der anderen hatten ihr schon immer einen sehr intensiven Blick verliehen. "Ich bin eigentlich mit zwei meiner Kollegen hier.", erklärte sie weiter und nickte in Richtung eines Tisches unweit der Bar, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder Yu zuwandte. "Aber die beiden haben mich nur so begleitet und kommen auch ein Weilchen ohne mich klar. Trink was mit mir." Die Blondine blickte zu dem Tisch, zu dem Nemuri gedeutet hatte. Wenn sie mit ihren Kollegen hier war, bedeutete dies dann auch, dass andere Lehrer der UA anwesend waren? Lehrer, die vielleicht keinen Gedächtnisverlust erlitten hatten und ihr sagen konnten, wie sie aus dieser seltsamen Stadt gelangte? Doch die beiden Männer, welche Midnight eben als ihre Kollegen bezeichnet hatte, hatte Yu noch nie gesehen. Das waren ganz eindeutig keine Lehrer der UA. Merkwürdig, wirklich. Und dann war da noch die Tatsache, dass die Ältere sie gestern noch als realitätsferne Cosplayerin dargestellt hatte und einfach verschwunden war, heute aber scheinbar sehr wohl Zeit für sie zu haben schien. Waren ihre Erinnerungen dabei wiederzukehren? So erbittert die beiden Frauen sich damals auch immer gestritten hatten, in den letzten Monaten war ihre Rivalität zunehmend dahingeschmolzen und hatte begonnen sich zu etwas gänzlich anderem zu entwickeln. Auch wenn die Amnesie der Älteren natürlich unschön war, so änderte das doch nichts daran, wie Yu für sie empfand, weshalb sie natürlich nichts dagegen hatte, Zeit mit Nemuri zu verbringen. Außerdem konnte sie dem Gedächtnis der Anderen so am besten auf die Sprünge helfen und zudem war die Dunkelhaarige die einzige Person in dieser Stadt, die sie kannte. "Ich soll was mit dir trinken?", wiederholte sie. "Sicher, aber nur wenn du zahlst." Die Lehrerin zog eine Augenbraue hoch. "Du bist ganz schön direkt, Kleine." "Du hast mich gestern als verrückte Cosplayerin hingestellt und mich einfach stehen lassen, wenn ich dich daran erinnern darf. Du hast also durchaus noch was gutzumachen.", murrte Yu. Nemuri musterte ihr Gegenüber von Kopf bis Fuß, weiterhin schmunzelnd. "Und wie ich sehe, bist du schon wieder im Cosplay unterwegs. Als Superheldin hast du wohl gut zu tun, was?", amüsierte sie sich. Naja, in dieser Stadt nicht unbedingt, musste Yu in Gedanken zugeben. Hier war ihr noch kein einziger Schurke über den Weg gelaufen und der Grund, warum sie ihr Heldenkostüm aktuell trug, war die Tatsache, dass sie nichts zum Umziehen dabei hatte. "Machst du dich gerade lustig über mich?" Die Blondine warf der Lehrerin einen warnenden Blick zu. "Ich? Ach Quatsch.", kam es amüsiert und gespielt unschuldig von der Älteren, ehe sie den Barkeeper heranwinkte, der inzwischen sämtliche Bestellungen abgearbeitet hatte. "Zwei Gin Tonic für uns, bitte!", rief sie dem Mann zu. Im ersten Moment wollte Yu protestieren, dass sie für sich selbst bestellen konnte, doch wenn Nemuri die Getränke in Auftrag gab, bedeutete dies wohl auch, dass sie die Rechnung übernehmen würde, daher wollte sie mal nicht so sein. "Du darfst doch schon Alkohol trinken, oder?" Der Profiheldin entgleisten die Gesichtszüge. Sie war zwar jung, aber nicht SO jung. "Bitte was?! Natürlich. Ich bin doch keine Schülerin mehr!", empörte sie sich. Der Barkeeper, der den letzten Teil der Unterhaltung mitbekommen hatte, hielt nun doch kurz inne. "Dürfte ich kurz Ihren Ausweis sehen, junge Dame? Nur zur Sicherheit.", erkundigte er sich höflich aber bestimmt. Während die Heldin sich wünschte einfach nur im Erdboden versinken zu können, wirkte Nemuri reichlich amüsiert über die aktuelle Situation. "Das glaube ich jetzt nicht.", murrte Yu. "Ich bin noch nie nach meinem Ausweis gefragt worden." Doch es half wohl nichts und wenn der Barkeeper zur Sicherheit unbedingt einen Blick auf ihren Ausweis riskieren wollte... immerhin den hatte sie dabei. Etwas umständlich begann sie damit an ihrem Heldenkostüm herumzunesteln, wobei sie sowohl vom Barkeeper, als auch von Nemuri, äußerst interessiert beobachtet wurde. Während Yu den Blick der Lehrerin fehlinterpretierte und davon ausging, dass diese sich einfach nur köstlich auf ihre Kosten amüsierte, funkelte sie den Barkeeper gereizt an. "Was denn?! Sehe ich so aus, als hätte ich eine Tasche dabei?!" Peinlich berührt wandte der Mann den Blick ab. Schließlich hielt die Blondine ein kleines, flaches Etui in der Hand, welches sie aufklappte. Ihren Ausweis und ihre Heldenlizenz musste sie nun einmal immer dabei haben. Während sie dem Barkeeper kurz den Ausweis zeigte und ein "Zufrieden?!", maulte, schnappte Nemuri sich kurzentschlossen die Heldenlizenz der Jüngeren und musterte das Kärtchen. "Das Kärtchen sieht ziemlich hochwertig aus. Cosplayer heutzutage legen eindeutig Wert auf Qualität." "Nur das ich keine Cosplayerin bin.", murrte die Profiheldin. Die Dunkelhaarige überflog den Text auf dem Kärtchen rasch. "Mt. Lady? Origineller Name für eine 'Heldin', wirklich.", stellte sie fest. "Aber Yu ist dein richtiger Name, oder?" Angesprochene nickte zur Bestätigung und hielt ihrem Gegenüber auffordernd die Hand entgegen, um ihre Heldenlizenz zurückzubekommen. "Richtig, aber das alles wusstest du auch schon mal.", seufzte sie. Inzwischen hatte der Barkeeper die Getränke der beiden Frauen fertiggestellt und stellte die Gläser vor ihnen auf dem Tresen ab. "Spielst du auf das an, was du gestern gesagt hast? Das wir beide Superheldinnen sind?", hakte die Lehrerin mit hochgezogener Augenbraue nach. "Du musst dir wirklich ordentlich den Kopf angehauen haben, dass du dich an rein gar nichts mehr erinnern kannst." Die Blondine verdrehte die Augen. Nemuri musterte ihr Gegenüber aufmerksam. Die Kleine war wirklich ziemlich exzentrisch. Oder aber sie spielte einfach nur gerne Rollenspiele, was die Tatsache, dass sie in diesem Kostüm unterwegs war, erklären würde. Ungewöhnlich, aber nicht uninteressant, wie sie zugeben musste. Hinzu kam, dass Yu über ein gesundes Selbstbewusstsein verfügte und wahrlich nett anzusehen war. Trotz der Tatsache, dass die Jüngere sich derweil als Superheldin ausgab, schien sie ansonsten jedoch klar und zurechnungsfähig zu sein. Alles in allem war ihr Gegenüber eine wirklich ungewöhnliche, aber durchaus nicht uninteressante Person. Ursprünglich hatte die Lehrerin sich zwar mit zwei ihrer Kollegen in diese Bar gesetzt, doch die beiden konnten sich auch allein unterhalten und würden es sicherlich verstehen, wenn sie ihre Aufmerksamkeit gerade lieber der hübschen Blondine schenkte. "Wenn ich mich angeblich an nichts mehr erinnern kann, dann hilf mir doch ein wenig auf die Sprünge.", stieg Nemuri schließlich in das Spielchen mit ein. "Wenn du einen Heldennamen hast, habe ich dann auch einen?" Als erwachsene Person und in aller Öffentlichkeit so zu tun, als wären sie Superhelden, war zwar schon etwas merkwürdig, trotzdem interessierte es sie, wie dieser Abend sich entwickeln würde, wenn sie ganz einfach mitspielte. Die Blondine hatte sich bestimmt nicht ganz grundlos in diese Art von Bar verirrt und wenn sie Rollenspiele so zu lieben schien, wer wusste schon, welche Facetten sie noch hatte? Nur schwer unterdrückte die Lehrerin ein breiter werdendes Schmunzeln. "Natürlich hast du auch einen Heldenamen. Alles andere wäre auch merkwürdig als Profi. Midnight. Erinnerst du dich wirklich nicht?" Irgendetwas an diesem Namen fühlte sich in der Tat vertraut an, aber das konnte auch ganz einfach nur daran liegen, dass ihr der Spitzname gefiel. Die Idee hätte glatt von ihr stammen können, wirklich. "Klingt gar nicht schlecht.", sagte sie also und trank einen Schluck Gin Tonic. "Deine beiden Kollegen da drüben sind auch Lehrer?", erkundigte Yu sich und wechselte damit das Thema. So merkwürdig es auch war, dass ihr Gegenüber sich an nichts erinnern konnte, es war noch viel seltsamer, sich mit jemandem über Helden zu unterhalten, wenn besagte Person davon auszugehen schien, dass sie ganz einfach nur in eine Rolle geschlüpft war. So sehr sie sich auch wünschte, dass die Erinnerungen der Älteren endlich zurückkehrten, sie wollte nicht am Ende noch für vollkommen verrückt gehalten werden. Derweil stutzte Nemuri aufgrund der Frage. Kurz blickte sie zu dem Tisch, an welchem ihre Kollegen saßen, ehe sie ihre Aufmerksamkeit wieder Yu zuwandte. "Das ist richtig. Wir unterrichten an der gleichen Schule, aber woher weißt du eigentlich, welchen Beruf ich ausübe?" Erneut betrachtete sie das Gesicht ihres Gegenübers ganz genau. Wer war diese junge Frau? Am Ende noch eine ehemalige Schülerin? Wobei nein, Yu war zwar einige Jahre jünger als sie, aber so groß war der Altersunterschied dann auch wieder nicht. "Vielleicht, weil es kein Geheimnis ist, dass du Lehrerin bist? Die Schule ist bekannt und das Personal auch, also ist es keine Kunst das zu wissen." Die Blondine verdrehte die Augen. Weitere Erklärungen wären wohl fehl am Platz, würden diese doch vermutlich nur weitere Fragen aufwerfen. "Na so bekannt ist die Schule nun auch wieder nicht, auch wenn sie zu den besseren Schulen der Stadt gehört." Es war wirklich zum Haare raufen. Einerseits konnte sie es kaum glauben, dass die Ältere lebte und gesund und munter neben ihr saß, andererseits war es zum Verzweifeln, dass Nemuri sich an rein gar nichts erinnern konnte. All das passte nur allzu gut zu dieser verrückten Stadt. Nun, vielleicht musste Yu ganz einfach die Strategie ändern. Wenn es ihr so einfach nicht gelang, die Erinnerungen der UA Lehrerin zurückzuholen, dann brachte es vielleicht etwas, die Andere ein wenig über sich erzählen zu lassen, auf dass sie hoffentlich erfuhr, wie es ihr ergangen war, seit sie nach der großen Schlacht in gewisser Weise verschwunden war und alle sie für tot gehalten hatten. "Wenn du auch so vieles vergessen hast, aber die Tatsache, dass du dich von dir aus zu mir gesetzt hast, heißt doch, dass du dich mit mir unterhalten willst. Wie wäre es also, wenn du mir etwas von dir erzählst?" Erwartungsvoll blickte Yu ihr Gegenüber an. Vielleicht erfuhr sie auf diese Art und Weise ja irgendetwas Nützliches, das sie weiterbrachte? "Warum eigentlich nicht. Was interessiert dich denn beispielsweise?" In der Tat hatte Nemuri sich zu der Blondine gesetzt, um sich mit ihr zu unterhalten, auch wenn sie gewisse Hintergedanken nicht abstreiten konnte. Aber da ging es ja wohl nicht nur ihr so, warum sonst hätte Yu sich ausgerechnet in diese Bar verirren sollen? Die Art und Weise, wie die angebliche Profiheldin sich allein an die Bar gesetzt hatte, sprach außerdem dafür, dass sie angesprochen werden wollte. Während sie sich unterhielten, tranken sie ihre Gin Tonics, wobei die Dunkelhaarige den Barkeeper noch zwei weitere Male heranwinkte. Da diese Bar dummerweise nur eine Getränkekarte, aber keine Speisekarte hatte, hielt Yu sich lieber nur an den ersten Drink, würde es ihr doch nicht allzu gut bekommen, auf nüchternen Magen zu viel Alkohol zu konsumieren. Von der Lehrerin erfuhr sie, dass diese bereits seit fast sieben Jahren, direkt nachdem sie ihr Referendariat abgeschlossen hatte, in dieser Stadt arbeitete. Sie ging gerne aus, interessierte sich, genau wie Yu selbst, für Mode und mochte es, nach einem anstrengenden Arbeitstag den Feierabend aber ab und an auch ganz einfach mal bei einem guten Film vor dem Fernseher ausklingen zu lassen. Außerdem mochte sie Katzen und hatte bis vor kurzem noch selbst eine gehabt. Viele Dinge, die Nemuri ihr erzählte, klangen wirklich ganz nach der Frau die sie kannte, doch besonders der Punkt mit der Arbeit warf Yu aus der Bahn. Die Ältere war vollkommen überzeugt davon, dass sie bereits seit sieben Jahren an der Schule, in welcher sie aktuell arbeitete, unterrichtete. Aber das konnte nicht sein, denn der Name der Schule sagte ihr rein gar nichts. Und bis vor drei Wochen ungefähr, hatte Midnight ganz eindeutig die Helden von Morgen an der UA unterrichtet. Wie also konnte sie so überzeugt davon sein, eine gänzlich andere Vergangenheit zu haben? Die Frau, mit der sie sich unterhielt, war eindeutig Nemuri. Eine Verwechslung konnte unmöglich vorliegen, da war Yu sich ganz sicher. Aber wie zur Hölle...? Erst diese Stadt, die nur zum Teil aussah, wie sie aussehen sollte... man schien hier noch nie etwas von realen Helden gehört zu haben und sämtliche Kontakte, welche sie in ihrem Smartphone abgespeichert hatte, waren unerreichbar. Das alles klang schon viel mehr nach einer Parallelwelt als einfach nur danach, dass sie durch irgendeinen faulen Zauber an einen weiter entfernten Ort gelangt war. Aber das war lachhaft. Parallelwelten gab es nicht! Bloß eine einleuchtende, alternative Erklärung leider auch nicht... Yu wusste wirklich nicht mehr, was sie noch glauben sollte. Als die Kollegen der Dunkelhaarigen bei ihnen an der Bar auftauchten, war sie dankbar, zumindest für einen kleinen Moment eine Denkpause einlegen zu können. "Es ist schon ziemlich spät. Wir wollen uns langsam mal auf den Weg machen.", wandte einer der beiden Kollegen sich an Nemuri. "Kommst du mit, oder willst du noch bleiben, Kayama?", erkundigte der Zweite sich. "Ich? Ich bleibe noch, immerhin bin ich hier gerade in wirklich guter Gesellschaft.", antwortete die Lehrerin, ohne lange darüber nachzudenken. "Ein wirklich süßes neues Gesicht in dieser Bar, oder?", fügte sie mit einem schwer zu deutenden Schmunzeln hinzu. Yu fand, das man ihrer Gesprächspartnerin den Alkohol langsam anhörte. Zwar schien die Dunkelhaarige nur etwas beschwipst zu sein, aber vielleicht sollte sie es langsam gut sein lassen. "Und hoffentlich volljährig?", hakte einer der beiden anderen Lehrer nach und warf seiner Kollegin einen halb mahnenden, halb schiefen Blick zu. "Na was denkst du denn?!", amüsierte Nemuri sich. "Was stimmt eigentlich mit den Leuten hier nicht?! Freut mich, dass wir uns alle einig sind, dass ich jung aussehe, aber eine verdammte Schülerin bin ich nicht mehr!", regte die Blondine sich auf. Als die beiden Lehrer sich verabschiedet hatten und in Richtung Ausgang verschwunden waren, blickte Yu die Ältere kopfschüttelnd an. "Deine Kollegen sind merkwürdig, wirklich. Wieso interessieren die sich überhaupt dafür, wie alt ich bin?" "Vielleicht einfach nur mit Blick auf die Uhr? Die beiden sind eben Lehrer durch und durch.", schlug Nemuri vor. Sie musterte ihr Gegenüber und irgendwie fand die Blondine, dass der Blickkontakt ein wenig seltsam, fast schon zu intensiv, war. Und ihre Stimme hatte diesen merkwürdigen Unterton - unschuldig, aber eher gespielt unschuldig. Vermutlich lag das daran, dass Nemuri einfach nur ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatte, richtig? Auch wenn der Alkoholpegel sich wohl noch im unbedenklichen Rahmen hielt. "Jetzt, wo ich dir von mir erzählt habe, ist es nur fair, wenn du mir auch etwas über dich verrätst, Süße.", verlangte die Dunkelhaarige schließlich. Nun, das war im Prinzip kein Problem... bloß was erzählte sie ihr am besten, ohne das Nemuri sie wieder als verrückte Cosplayerin abstempelte? Yu entschied sich dafür, mit vollkommen unverfänglichen Informationen zu beginnen, so zum Beispiel, dass sie Pfirsiche liebte, auf Noriblätter dafür aber umso besser verzichten konnte. Außerdem brauchte sie es nicht, wenn Leute in ihrer Nähe rauchten. Sie erzählte ihr, welche Filme sie mochte und wie sie ihre Freizeit am liebsten verbrachte, doch irgendwann stellte ihre Gesprächspartnerin eine Frage, die sich nicht mehr so leicht beantworten ließ. "Ich habe dich heute das erste Mal hier in dieser Bar gesehen. Bist du neu in der Stadt?" Weiterhin hatte Nemuri den Blick ihrer intensiv blauen Augen auf sie gerichtet. Die Finger der Älteren streiften leicht Yus rechte Hand. Yu schob die seltsamer werdende Situation auf Nemuris Alkoholpegel, zog ihre Hand aber nicht extra weg und dachte lieber einen Moment lang über die Frage nach. Einerseits trug diese Stadt genau den gleichen Namen wie ihre Heimatstadt, in der sie schon seit Jahren lebte, andererseits war diese Stadt eben NICHT ihre Heimatstadt, sondern ein reichlich verzerrtes, ungenaues Abbild davon, was sie sich selbst nicht erklären konnte. Doch wie sollte sie Nemuri dieses Problem begreiflich machen, wenn sie selbst noch nicht einmal wusste, was genau hier eigentlich gespielt wurde? "Neu in der Stadt trifft es nicht wirklich, aber im Normalfall habe ich die Abende nicht in irgendwelchen Bars, sondern Zuhause verbracht." Unbehaglich rutschte sie auf dem Barhocker hin und her, während sie sich nur allzu gut der Tatsache bewusst war, dass die intensivblauen Augen ihres Gegenübers weiterhin auf ihr ruhten. "Und wie kommt der plötzliche Sinneswandel?" "Naja... ich kann im Moment unmöglich nachhause zurück.", kam es etwas zögerlich von Yu, die ihrem Gegenüber schlecht erklären konnte dass sie gestern noch ganz normal aus dem Haus gegangen war, ihr Haus sich jedoch hinter ihr in die Mauer irgendeiner Fabrik verwandelt hatte. Sie wusste ja selbst, dass das eigentlich nicht möglich sein konnte und doch war genau das passiert. "Du kannst nicht zurück? Warum denn das? Stress mit der Freundin?", riet Nemuri. Perplex blinzelte die Blondine ihr entgegen. Das die Ältere sich an nichts mehr erinnern konnte, hatte sie ja inzwischen verstanden, doch würde man sich im Normalfall nicht erst einmal nach Stress mit dem Freund und nicht mit der FreundIN erkundigen? "Ich habe keine.", winkte sie ab. Wenn man bedachte, dass die dunkelhaarige Lehrerin, vor der Schlacht, die Person gewesen war, welche auf dem besten Weg gewesen war, eben jenen Platz in ihrem Leben einzunehmen, machte es diese Unterhaltung nur noch bizarrer. "Ich kann derzeit aus anderen Gründen nicht zurück, aber die würde ich jetzt ungern anschneiden.", wich Yu schließlich aus. Mit einem Blick auf die Wanduhr, wurde sie sich bei diesem Thema nur wieder der Tatsache bewusst, dass sie sich die Nacht erneut in der Stadt um die Ohren schlagen dürfte, wenn es dumm lief. Etwas, worauf sie nun wirklich keine Lust hatte. "Keine Freundin, keinen Platz für die Nacht, das nenne ich mal bitter. Ich könnte dich mit zu mir nehmen.", schlug die Ältere schließlich vor. Warum erinnerte der Blick der blauen Augen Yu dabei so sehr an einen Wolf der ein Kaninchen anstarrte, welches in der Falle saß? Mitleid bezüglich ihrer aktuellen Situation war das jedenfalls nicht, so viel stand fest. Aber was dann? Der Alkohol? Wahrscheinlich, entschied die Blondine. "Da sage ich bestimmt nicht nein!", rief sie aus und ihre Mimik hellte sich deutlich auf, denn die Aussicht darauf, auf dem Sofa der Lehrerin zu übernachten, anstatt in der derzeitigen Kälte allein durch die Stadt zu wandern, war wirklich verlockend. Etwas überrascht über diese sehr direkte Antwort, blinzelte ihr Gegenüber, grinste dann aber amüsiert. "Na du weißt jedenfalls was du willst, Kleine." "Nenn mich nicht so, aber natürlich weiß ich was ich will. Das Angebot klingt viel zu verlockend, als dass ich es ablehnen könnte." Ein Dach über dem Kopf und ein Schlafplatz, das klang wirklich gut, nachdem sie die letzte Nacht ziellos umhergewandert und fast erfroren war. Außerdem sollte morgen früh durchaus noch ein Frühstück drin sein, was einen weiteren Vorteil darstellen würde. Nun und vielleicht würde es den Erinnerungen der UA Lehrerin auch ganz gut tun, wenn sie noch ein Weilchen miteinander redeten. Irgendwann musste sie sich doch einfach wieder an die Zeit vor der Schlacht erinnern können... und an sie. Nachdem sie ihre Getränke ausgetrunken und die Ältere die Bezahlung übernommen hatte, stand sie schließlich von ihrem Platz auf. "Na komm, gehen wir." Yu stutzte kurz, als ihr Gegenüber ihr die Hand hinhielt, doch in der Annahme, dass Nemuri bloß scherzte, griff sie zu und rutschte ebenfalls vom Barhocker. Als sie sozusagen wieder festen Boden unter den Füßen hatte, wollte die Blondine ihre Hand zurückziehen, stellte jedoch überrascht fest, dass die Lehrerin ihren Griff nur noch verstärkte. "Hast du doch etwas zu viel getrunken?", erkundigte sie sich daher also, als sie sich daran machten die Bar 'The Rainbow' wieder zu verlassen. "Ich? Ach Quatsch, mir geht's gut." Vielleicht hätte die Jüngere schon bei den Blicken, mit denen die Dunkelhaarige sie den Abend über bereits ständig von Kopf bis Fuß gemustert hatte, misstrauisch werden sollen, spätestens bei deren Angebot sie mit nach Hause zu nehmen, hätte sie aufhorchen sollen, doch leider hatten die beiden Frauen den ganzen Abend schon mehr als nur aneinander vorbeigeredet. Das die gänzlich unterschiedlichen Motive, aus denen sie den Abend über zusammen an der Bar gesessen und geredet hatten, noch zu einem wesentlich größeren Missverständnis führen sollten, ahnte die Profiheldin noch nicht, als sie sich mit ihrer eigentlichen Kollegin auf den Heimweg machte... "Wohnst du weit von hier?", fragend blickte die Profiheldin ihre Begleiterin an, während sie die Straße entlangliefen. Inzwischen war es dunkel und entsprechend wenige Menschen liefen um diese Uhrzeit noch durch die Stadt. "Vielleicht zehn Minuten von hier. Meine Wohnung liegt recht zentral." "Wie praktisch. Hier mitten in der Stadt hast du quasi alles direkt vor der Tür." Und doch stimmte auch die Lage der Wohnung nicht. Yu wusste, dass Nemuri, vor dem Kampf gegen die Schurken, im Lehrerwohnheim gelebt hatte und dieses befand sich auf dem Gelände der UA. Doch auch von der berühmten Heldenschule schien in dieser Stadt jede Spur zu fehlen, obwohl der Name der Stadt identisch mit dem Namen ihrer Heimatstadt war. Irgendetwas stimmte hier wirklich nicht. Überhaupt nicht. Eine heftige Windböe fegte die Straße entlang. Die Blondine fröstelte und rieb sich über die Oberarme. "Es ist jetzt schon fast so kalt wie im Winter.", murrte sie. Die Tatsache, dass es in dieser seltsamen Stadt bereits Herbst war, obwohl sie gestern noch an einem Frühlingstag ihr Haus verlassen hatte, war eine recht harte Umstellung. "Gleich sind wir ja da. Dann sorg ich dafür, dass dir wieder warm wird.", stellte die Dunkelhaarige fest und zog ihre Begleiterin, welche sich seitlich an sie geschmiegt hatte, noch etwas näher, den Arm weiterhin um ihre Schultern. "Klingt wie Musik in meinen Ohren.", stimmte die Blondine zu und dachte dabei an eine Tasse Tee und eine Decke, die sie in der Wohnung der Lehrerin hoffentlich bekommen würde. Ein wenig merkwürdig fand Yu es zwar durchaus, so vertraut mit Nemuri durch die Stadt zu laufen, erst recht, wenn man bedachte, dass die Ältere ihr Gedächtnis verloren hatte, doch gleichzeitig war ihre Seite angenehm warm, was man von den derzeit in der Stadt herrschenden Temperaturen nicht gerade behaupten konnte. Die Tatsache, dass die Lehrerin sie allem Anschein nach auf dem Nachhauseweg so gut es ging warmhalten wollte, war immerhin eine sehr freundliche Geste. Natürlich schob sie die Hand der Älteren, welche sich für ihren Geschmack ein wenig zu oft und zu nahe in Richtung ihrer Brust verirrte, entschieden wieder zurück an ihren ursprünglichen Platz auf ihrer Schulter. "Du bist betrunken, Nemuri." Schließlich stoppten die beiden Frauen vor einem Gebäude. Ein unscheinbares, aber gepflegtes, Mehrfamilienhaus, mitten in der Stadt. Nemuri ließ sie los und kramte kurz in ihrer Handtasche, bis sie den Haustürschlüssel gefunden hatte. Yu war bereits heilfroh den Hausflur zu betreten. Zwar war dieser nicht beheizt, aber trotz allem war es hier schon etwas wärmer als vor der Tür und auch der Wind war ausgesperrt. "Du wohnst hoffentlich nicht unter dem Dach?", erkundigte die Blondine sich, nachdem sie im Hausflur keinen Aufzug entdeckt hatte. Die Dunkelhaarige lachte leise. "Nein, nur auf der zweiten Etage. Wirst du es denn schaffen?" "Hey! Nur weil ich keine Lust auf die ganzen Treppen habe, heißt das nicht, dass ich hoffnungslos unsportlich bin!", empörte Yu sich. Während sie der Älteren die Treppen hoch folgte, musste sie erneut daran denken, wie merkwürdig die aktuelle Situation hier doch war. Das war eindeutig nicht das Haus, in welchem Nemuri eigentlich lebte. Zwar war sie noch nie bei ihr Zuhause gewesen, doch wusste sie zumindest WO sie wohnte. //Wirklich fast wie in einer Parallelwelt, in der vieles ähnlich, aber auch vieles grundverschieden ist.//, musste Yu in Gedanken erneut feststellen. Während sie die Treppen hochliefen, betrachtete Yu die Lehrerin, welche vor ihr her lief. Zwar hatte sie inzwischen durchaus verstanden, dass diese ihr Gedächtnis verloren haben musste, doch damit abgefunden hatte sie sich noch nicht. Die Tatsache, dass Nemuri sich nicht mehr an sie erinnerte war hart, wirklich. In den Monaten vor der Schlacht gegen die Schurken, war ihre Rivalität so gut wie dahingeschmolzen. Zwar waren sie vor der Schlacht erst ein paar Mal wirklich miteinander ausgegangen, eine Tatsache die die Jüngere vor ihrem Umfeld verborgen hatte so gut es ging, doch es war dennoch deutlich geworden, in welche Richtung die nun wesentlich freundlichere Beziehung der beiden Heldinnen sich entwickeln würde. Zumindest bis zum Zeitpunkt der Schlacht. Oder aber bis zum Zeitpunkt nach dem Kampf, als Yu erfahren hatte, dass auch die UA Lehrerin unter den Gefallenen war. Diese Erkenntnis hatte ihr vor drei Wochen gefühlt den Boden unter den Füßen weggerissen. Nemuri jetzt gesund und munter wiederzusehen, bedeutete ihr daher umso mehr. Sie war wirklich glücklich, dass die Ältere lebte und es ihr gut ging. Die Tatsache, dass sie ihr Gedächtnis verloren hatte, war zwar ein bitterer Beigeschmack, doch Hauptsache sie lebte! Und obwohl die UA Lehrerin sich wohl nicht an sie erinnern konnte, konnte sie ihr gleichzeitig auch nicht unsympathisch sein, denn sonst hätte sie ihr nicht netterweise angeboten, diese Nacht in ihrer Wohnung zu verbringen und damit der Kälte zu entkommen. Sie hatten die zweite Etage erreicht, auf welcher sich insgesamt drei Wohnungstüren befanden. Nemuri schloss die Tür der linken Wohnung auf und betrat den Flur. Yu folgte ihr und stellte erfreut fest, dass bereits der schmale Flur der Wohnung angenehm warm war. Zwar waren sie gerade nur kurz durch die Kälte gelaufen, doch in ihrem Heldenkostüm, welches praktisch gar nicht vor den aktuellen Temperaturen schützte, hatte ihr das bereits mehr als gereicht. Eine Tasse Tee und eine Decke wären jetzt nicht schlecht um wieder aufzutauen. Oder aber eine heiße Dusche und dann eine Tasse Tee. Damit könnte sie auch durchaus leben. "Ich bin halb erfroren! Jetzt heißt es erstmal wieder auftauen.", seufzte sie und schloss die Wohnungstür hinter sich, damit sie nicht den Hausflur mitheizten. Als sie sich wieder umdrehte, um der Wohnungsbesitzerin ins Wohnzimmer zu folgen, wäre sie beinahe gegen die Ältere gelaufen, stand diese doch plötzlich überraschend genau vor ihr. "Oh, auftauen wirst du, das habe ich dir immerhin versprochen." Das wölfische Schmunzeln auf dem Gesicht der Dunkelhaarigen und der leichte Schatten, der sich über ihre Mimik legte, beunruhige die Blondine dann doch ein wenig. Die Tatsache, dass ihr Gegenüber sie in der nächsten Sekunde sanft aber bestimmt mit dem Rücken gegen die Innenseite der Wohnungstür drückte, machte es nicht unbedingt besser. "Das du Rollenspiele scheinbar magst, habe ich ja schon festgestellt, aber wie sieht es mit deinen anderen Vorlieben aus? Verrätst du sie mir, oder willst du, dass ich sie herausfinde?" Die Profiheldin glaubte sich verhört zu haben. Reichlich fassungslos starrte sie die Frau an, die ihr eigentlich so vertraut und plötzlich doch so fremd war. "B-bitte WAS?!", begann sie, wurde jedoch unterbrochen, als ihr Gegenüber sich zu ihr herunter beugte, sie nur noch etwas mehr zwischen sich und der Wohnungstür fixierte und ihr einen Kuss auf die Lippen drückte. Nicht gerade sanft, sondern viel mehr fordernd, wie Yu feststellte. Im ersten Moment war sie wie erstarrt, hatte sie bis eben doch mit allem nur nicht damit gerechnet. Ihr Herz begann wie wild von innen gegen ihren Brustkorb zu hämmern, jedoch war es nicht die angenehme Sorte von Herzklopfen. So sympathisch die Lehrerin ihr eigentlich war, so hatte sie sich den ersten Kuss zwischen ihnen nicht vorgestellt, vor allen Dingen nicht vor diesem, nun plötzlich sehr offensichtlichen, Hintergrund. "Mpf!", protestierte sie und wollte den Kopf zur Seite drehen, doch die Ältere legte eine Hand an ihr Kinn und hielt sie mit sanfter Gewalt fest. "So schüchtern?", kam es amüsiert von Nemuri. "Das spielst du doch nur." Nachdem die Blondine den Abend über ein sehr gesundes Selbstbewusstsein an den Tag gelegt hatte, ging sie zumindest stark davon aus. Die Wohnungsbesitzerin schloss die winzige Distanz zwischen ihnen wieder und zwickte der Jüngeren leicht in die Lippe. Die Blondine war nicht nur vollkommen überrumpelt, langsam aber sicher begann sie sich wirklich unwohl in der derzeitigen Situation zu fühlen, nachdem sie ihre aktuelle Lage erst wirklich realisiert hatte. Die eigentlich beheizte Wohnung fühlte sich schlagartig kalt an, als die Angst langsam in ihr aufzusteigen drohte und sie wortwörtlich lähmte. Nicht, dass sie davon ausging, dass ihr Gegenüber wirklich etwas tun würde, was sie absolut nicht wollte... Zumindest die Nemuri, die sie kannte, würde das niemals tun. Aber war die Nemuri, die sie da gerade mit dem Rücken gegen die Tür drückte und ihr inzwischen den zweiten Kuss aufzwang, wirklich ihre Nemuri? Die aufkommenden Zweifel verstärkten Yus Unwohlsein nur noch. Das war nicht die Situation, in der sie sich wünschte von der Anderen geküsst zu werden, erst recht nicht so intensiv! Und dass die Lehrerin auf viel mehr als nur einen Kuss aus war, war kaum zu übersehen. Yu konnte den Alkohol im Atem der Älteren riechen und spürte deren Hände über ihren Körper wandern, während sie gegen das Holz der Tür gedrückt wurde. Erst ganz sanft legte die Lehrerin eine Hand auf die rechte Brust der Profiheldin, dann wurde ihr Griff etwas stärker, als sie sie zu massieren begann. Übelkeit und eiskaltes Entsetzen stiegen in der Blondine auf. Nemuri war ganz eindeutig betrunken, denn sonst hätte sie schon längst verstanden, dass Yu all das hier gar nicht komisch fand! Die Blondine riss sich endlich aus ihrer Schockstarre, packte die Ältere entschieden bei den Schultern und schob sie von sich. "Stopp! Bist du wahnsinnig?!", blaffte sie sie schockiert an. Ihre Wangen brannten heiß vor Verlegenheit, während Yus Stimme die aufsteigende Panik anzuhören war. Nun war die Dunkelhaarige es, welche ihren derzeitigen Gast im ersten Moment irritiert anblickte. "Was denn? Deshalb bist du doch erst mit mir mitgekommen.", stellte sie etwas überrascht fest. "Bitte? Ich glaube-", begann Yu, die einerseits gerade im Erdboden versinken, die Situation andererseits klären wollte, brach jedoch ab und konnte nicht anders, als ihr Gegenüber ungläubig anzustarren. War sie gerade eigentlich gewillt das Missverständnis aufzuklären, so peinlich es auch sein mochte, so weiteten sich ihre rötlichen Augen in der nächsten Sekunde vor Schock und Fassungslosigkeit. Draußen vor dem Wohnzimmerfenster zuckte ein grellvioletter Blitz am Nachthimmel entlang. Doch das ungewöhnliche Wetterphänomen war nicht das, was die Heldin so schockierte. Viel mehr war es die Tatsache, dass von den Armen ihres Gegenübers eine blassrosane Wolke aufstieg und sich hartnäckig in dem kleinen Flur der Wohnung verteilte. "Du benutzt deine Quirk?! Was zum?! Nemuri...!" Zwar wirkte Nemuris Quirk bei Frauen nicht so gut wie bei Männern, doch aktuell befanden sie sich in einem mehr als überschaubaren Flur, in welchem die blassrosane Wolke nicht abziehen konnte. Yu bekam sozusagen die volle Dosis ab und obwohl sie dagegen ankämpfte, merkte sie dennoch, wie sie sich nach und nach immer benommener fühlte, als die Müdigkeit von ihr Besitz zu ergreifen versuchte. Nicht nur ihre Müdigkeit wuchs stetig an, zeitgleich stieg auch Entsetzen in ihr auf. Das...das war doch nicht die Nemuri, die sie kannte! Niemals würde sie so etwas tun! Der 'Überfall' an der Tür eben mochte noch als Missverständnis durchgehen, doch nachdem die Blondine sie von sich geschoben und ganz eindeutig abgewiesen hatte, nutzte Nemuri ihre Quirk um sie in Schlaf zu versetzen?! Bei dieser Erkenntnis zog sich ihr Magen zusammen. Yu wurde speiübel vor Angst. Sie wandte sich in Richtung Wohnungstür um diese zu öffnen, spürte jedoch, wie die Müdigkeit sie mehr und mehr übermannte. "Das... das ist nicht dein Ernst... Das kannst du mir unmöglich antun wollen...", nuschelte sie noch, während ihre Beine unter ihr nachgaben und ihre Augen immer wieder zufielen. Eine einzelne Träne lief über Yus Wange. Hätte sie Nemuri ins Gesicht gesehen, so hätte sie bemerkt, dass auch diese vollkommen entsetzt dreinblickte, doch noch ehe sie den Kopf heben konnte, siegte die Müdigkeit. Derweil glaubte Nemuri im falschen Film zu sein. Was um Himmels Willen passierte hier?! Was war das für eine seltsame rosa Wolke? Gas?! Aber das war unmöglich, immerhin trat das Zeug aus ihren Armen aus und nicht aus irgendeiner undichten Leitung. Nun stiegen auch in der Lehrerin Stress und beginnende Panik auf. Yu schien eine Ahnung zu haben, was genau hier passierte, sah sie doch ebenfalls reichlich schockiert aus, doch noch ehe sie die Situation hätte aufklären können, fielen der Blondine die Augen zu, ehe ihre Beine unter ihr nachgaben. Auf sie selbst hatte das Gas seltsamerweise keinen Effekt, wie Nemuri feststellte. Oder nur NOCH nicht? Rasch griff sie nach ihrem derzeitigen Gast und bekam die junge Frau gerade noch zu fassen, ehe diese den Boden küsste. "Yu! Hey, Kleine, ist alles in Ordnung bei dir?" Schlagartig wieder nüchtern, war es nun die Besorgnis, die in ihrer Stimme mitschwang. Zwar hatte das seltsame, rosa Gas aufgehört aus ihren Armen auszutreten, doch das Zeug war bereits im ganzen Flur und Wohnzimmer und die Blondine, die die Substanz eingeatmet hatte, war bewusstlos zusammengeklappt. Mit der Jüngeren in den Armen kniete die Lehrerin im Flur der Wohnung, schüttelte die Blondine leicht und versuchte sie wieder aufzuwecken, jedoch ohne Erfolg. Verdammt! Das war eindeutig gar nicht gut. Dankbar darüber, dass ihr derzeitiger Gast so klein und zierlich war, hob sie die Blondine auf die Arme, trug sie ins Wohnzimmer und legte sie auf dem Bett des Appartements ab, ehe sie sämtliche Fenster aufriss, damit das Gas aus der Wohnung ziehen konnte. Und jetzt? Sollte sie die Feuerwehr rufen? Das würde kaum Sinn machen, immerhin gab es hier keinerlei undichte Leitungen, oder ähnliches. Und einen Krankenwagen? Vielleicht wäre das nicht das Schlechteste. Sie hatte keine Ahnung, was genau für eine Substanz Yu da gerade eingeatmet hatte. Aber... wie sollte sie den Sanitätern das erklären? Besorgt und verunsichert über diese bizarre Situation zugleich, musterte die Lehrerin die zierliche junge Frau, welche bewusstlos auf ihrem Bett lag und so zerbrechlich wirkte. Nemuri ging zurück zu ihrem Gast, setzte sich auf die Bettkante und fühlte nach dem Puls der Blondine. Ruhig und regelmäßig. Auch atmete sie ganz normal. Es brauchte einen Moment, bis sie sich ganz sicher war, doch schließlich verstand sie, dass die Jüngere nur schlief, wenn auch tief und fest. Erst spielte sie weiterhin mit dem Gedanken einen Krankenwagen zu rufen. Was, wenn dieses seltsame Gas doch gefährlich gewesen war? Aber wie sollte sie den Sanitätern bitte erklären, was genau passiert war? Sollte sie ihnen sagen, dass da ernsthaft gerade eine Art Gas aus ihren eigenen Armen ausgetreten war, sich in der Wohnung verteilt hatte und Yu in Folge dessen schlafend zusammengeklappt war? Der Rettungsdienst würden sie doch für verrückt halten! Und Yu...schien wirklich nur zu schlafen. Besorgt betrachtete Nemuri ihren Gast eine Weile lang und prüfte regelmäßig Puls und Atmung der Jüngeren, doch die Blondine schlief lediglich. Nemuri konnte sich nicht erklären, was genau da gerade eigentlich passiert war, aber als sie verstand, dass Yus Zustand sich nicht verschlechterte und die Kleine allem Anschein nach nicht in Gefahr war, beruhigte sie sich langsam wieder, auch wenn die Verwirrung über die Gesamtsituation natürlich blieb. "Um Gottes Willen, du machst Sachen...", murmelte sie, versuchte noch einmal Yu aufzuwecken, scheiterte aber auch diesmal kläglich daran. Nun, ein medizinisches Problem schien nicht vorzuliegen und langsam aber sicher zog das seltsame Gas auch wieder aus der kleinen Wohnung. Sollte sie der Jüngeren ganz einfach erstmal Zeit geben und abwarten, bis sie von allein wieder aufwachte? In Anbetracht der Tatsache, dass sie herbeigerufenen Sanitätern kaum vernünftig erklären könnte, was eigentlich passiert war und Yu im Prinzip nur zu schlafen schien, war das wohl die beste Idee. Noch reichlich neben der Spur, zog die Dunkelhaarige die Bettdecke über ihren derzeitigen Gast, nahm Yu nach kurzem Zögern die Dominomaske ab und betrachtete die schlafende jung Frau eine Weile lang. Irgendwie kam ihr dieses Gesicht so vertraut vor. Wenn sie bloß wüsste woher. Und die Andere hatte zudem noch die ganze Zeit über behauptet sie zu kennen und sogar ihren Namen und ihren Beruf gekannt, obwohl Nemuri weder das eine, noch das andere zuvor erwähnt hatte. Sanft strich die Lehrerin über die kleine Narbe über der Augenbraue der Jüngeren. Wo sie die wohl her hatte? Egal. Nun, zumindest würde sie sich ganz eindeutig bei Yu für das Missverständnis von eben entschuldigen müssen. Die Blondine war in Panik gewesen, bevor das Gas sie in Schlaf versetzt hatte. Es war nie Nemuris Absicht gewesen, ihr solche Angst einzujagen. Wieder zuckte ein Blitz in einem unnatürlichen Violett am Himmel entlang. Vielleicht hatte Yu nicht auf all das hier Antworten, doch glaubte Nemuri, dass die Jüngere zumindest etwas mehr zu wissen schien als sie selbst. Sie würde sie danach fragen, sobald sie wieder aufwachte. Kapitel 3: ----------- Ein Auto, welches mit lauter Musik unter dem Fenster vorbeifuhr, riss die Blondine aus dem Schlaf. //Wer dreht denn um diese Uhrzeit schon so laut die Musik auf? Was für ein Idiot.// Sie gähnte, streckte sich und genoss es so gemütlich im Bett liegen zu können, doch als nur wenige Sekunden später die Erinnerungen an den vergangenen Abend den Weg zurück in ihr Gedächtnis fanden, war Yu schlagartig hellwach. Dieses peinliche Missverständnis, welches sie gerade hatte klären wollen, als Nemuri doch tatsächlich ohne Vorwarnung Gebrauch von ihrer Quirk gemacht hatte... Erneut krampfte ihr Magen sich zusammen. Wieder stieg ihr Adrenalinpegel und ihre Kehle schnürte sich vor Entsetzen zu. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass die Ältere sie mit ihrer Quirk ausgeschaltet hatte, nachdem sie sie nur Sekunden zuvor hatte abblitzen lassen. Die Profiheldin schlug alarmiert die Augen auf, fand sich auf der Seite zusammengerollt in einem Bett liegend wieder und spannte sich nur noch ein wenig mehr an. Ihr Blick scannte hektisch ihre Umgebung, ehe er an der Wohnungsbesitzerin hängen blieb, welche sich einen Sessel herangezogen hatte und darin, neben dem Bett sitzend, eingeschlafen war. Eh? Nemuri hatte in dem Sessel übernachtet und ihr das Bett überlassen? Die Erkenntnis war nach den Ereignissen des vergangenen Abends überraschend, aber auch ein wenig beruhigend. Bloß wozu um Himmels Willen hatte sie sie dann gestern noch so kurzentschlossen einschlafen lassen? Yu wusste nicht ganz, was sie davon halten sollte. Sie versuchte sich daran zu erinnern, was passiert war, nachdem sie wohl oder übel in der Diele eingeschlafen sein musste, doch so sehr sie sich auch bemühte, ab diesem Zeitpunkt hatte sie keinerlei Erinnerungen mehr. Sie hatte noch nicht einmal mitbekommen, dass Nemuri sie durch den Raum getragen und ins Bett verfrachtet haben musste. Ihre Hände zitterten leicht, als sie nach der Bettdecke griff und diese nach kurzem Zögern zurückschlug, ehe sie an sich hinabblickte. Sie brauchte Gewissheit, auch wenn ihr das Herz gerade bis zum Hals schlug. Bereits nach einem kurzen, prüfenden Blick sank ihr Adrenalinpegel bereits wieder. Sie trug nach wie vor ihr Heldenkostüm, lediglich die Dominomaske fand sich auf einem kleinen Tischchen neben dem Bett wieder. Die Blondine atmete langsam auf und schalt sich in Gedanken selbst. Was hatte sie der Lehrerin da eigentlich unterstellt? Sie kannte sie gut genug um ganz genau zu wissen, dass sie eine von den Guten war und es niemals ausnutzen würde, dass sie Personen in Schlaf versetzen konnte. Trotzdem, was hätte sie gestern in dem Zusammenhang bitte denken sollen? Die Ältere hatte sie nicht unbedingt aus Nächstenliebe mit zu sich nach Hause genommen und kaum, dass sie klargestellt hatte, dass da ein gewaltiges Missverständnis vorlag und sie die Finger bei sich zu lassen hatte, hatte die Dunkelhaarige ihre Quirk aktiviert und sie damit ausgeschaltet. War es da verwunderlich, dass Nemuri ihr mit der Aktion einen gewaltigen Schrecken eingejagt hatte? Auch lief an dem Ort, an dem sie sich befanden, alles ein wenig anders als sonst. Selbst die Lebensgeschichte der Lehrerin, von welcher diese vollkommen überzeugt war, unterschied sich von ihrem eigentlichen Leben. Kam vielleicht daher ihr Misstrauen? Konnte es wirklich sein, dass es sich bei diesem Ort um eine Art Parallelwelt handelte, so verrückt es auch klang? Und konnte das auch bedeuten, dass es jede Person so gesehen zwei Mal gab? Das würde erklären, warum es der Dunkelhaarigen gut ging, sie sich aber nicht an Yu erinnern konnte und warum sie davon überzeugt war, schon fast sieben Jahre an einer ganz normalen Schule als Lehrerin zu arbeiten. Die junge Frau schüttelte den Kopf. So ein Schwachsinn. Eine Parallelwelt... da ging eindeutig die Phantasie mit ihr durch. Es musste eine andere, logische Erklärung für all das hier geben. Und eine Erklärung dafür, was Nemuri sich um Himmelswillen gestern dabei gedacht hatte, sie einfach einschlafen zu lassen. Immerhin schien wirklich nichts passiert zu sein, während sie geschlafen hatte, da war sie sich inzwischen relativ sicher und diesbezüglich fiel ihr ein riesiger Stein vom Herzen. Dennoch würde sie ganz gerne in Erfahrung bringen, was das bitte gestern für eine Aktion gewesen war. Yu schob die Bettdecke bei Seite und setzte sich auf. Die Bewegung musste auch Nemuri geweckt haben, blinzelte diese ihr doch schon wenige Sekunden später verschlafen entgegen. "Oh, du bist aufgewacht.", sprach sie Yu an und war erleichtert, dass die Blondine ganz von allein wieder zu sich gekommen war. Die UA Lehrerin streckte sich. "Verdammt, mein Rücken... Im Sessel zu schlafen war nicht gerade die beste Idee.", murrte sie. Dann wurde ihr Blick ernst und sie musterte ihren derzeitigen Gast prüfend. "Wie fühlst du dich? Du bist gestern Abend einfach zusammengeklappt." Yu funkelte die Ältere vorwurfsvoll an. "Einfach zusammengeklappt?! So würde ich das jetzt nicht nennen. Tu bloß nicht so unschuldig!", hielt sie wenig freundlich dagegen. "Aber deine Quirk hinterlässt keinen bleibenden Effekt. Ich bin jetzt bloß ausgeschlafen." Der Blick der Dunkelhaarigen wirkte auf die wenig freundlichen Worte erst tadelnd und warnend, wurde dann aber fragender, als Nemuri sich entschied den Vorwurf vorerst großzügig zu überhören und sich stattdessen auf das Wesentliche zu konzentrieren. "Was bitte ist eine Quirk?", hakte sie nach. Die Blondine stand von der Bettkante auf, lief zwei Schritte durch den Raum und verschränkte die Arme vor der Brust. Einerseits war da diese Theorie bezüglich der Parallelwelt, oder aber die sehr viel größere Wahrscheinlichkeit, dass die Lehrerin ihr Gedächtnis verloren hatte, andererseits hatte sie ihre Quirk viel zu spontan und zu selbstverständlich eingesetzt, als dass sie ihr einfach so abkaufen konnte, dass sie nicht wusste, was hier gespielt wurde. "Willst du mich eigentlich verarschen?! Du hast mich gestern doch mit Absicht damit ausgeschaltet." "Hey, pass auf wie du mit mir sprichst, Kleine!", blaffte Nemuri auf die erneute Anschuldigung zurück. Schließlich riss sie sich zusammen und hakte nach: "Meinst du dieses Gas? Das war ich nicht. Ich kann mir auch nicht erklären, was genau da gestern Abend eigentlich passiert ist, aber meine Schuld war das ganz sicher nicht.", widersprach sie überzeugt. "Es war also nicht deine Schuld, dass deine Quirk aus deinem Körper ausgetreten ist und du mich, kaum dass ich dich gestern auf Abstand geschoben habe, damit hast einschlafen lassen?", hakte Yu sarkastisch nach. "Ich will wissen, was du dir eigentlich dabei gedacht hast! Und hilf meinem Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge: Was ist passiert, nachdem ich eingeschlafen bin?" Abwartend blickte sie ihr Gegenüber an. Selbst, falls Nemuri ihre Quirk wirklich unbewusst aktiviert haben sollte, hatte Yu inzwischen Mühe damit ruhig zu bleiben. Doch das es sich um eine Amnesie in Kombination mit einem Zufall handelte, wagte sie arg zu bezweifeln. Einerseits war da ein letztes Fünkchen Unsicherheit, aufgrund der vergangenen Stunden, an die sie sich nicht erinnern konnte, andererseits war da gleichzeitig auch der Ärger darüber, das Nemuri gerade allen Ernstes die Unschuldige spielte. Die Dunkelhaarige hingegen blinzelte ihr lediglich entgegen. "Als du das Zeug gestern eingeatmet hast und umgekippt bist, habe ich gerade noch verhindert, dass du den Boden geküsst hast. Ich habe versucht dich aufzuwecken, aber du warst nicht ansprechbar, also habe ich dich rüber zum Bett getragen. Ein Glück übrigens, dass du so ein Zwerg bist." Kurz zuckten Nemuris Mundwinkel amüsiert, während Yu sie gereizt anfunkelte. Schließlich fuhr die Lehrerin mit ihrer Erklärung fort. "Ich habe sämtliche Fenster der Wohnung aufgerissen, damit das Gas abziehen konnte. Und ich habe wirklich mit dem Gedanken gespielt dir einen Krankenwagen zu rufen, aber du hast lediglich geschlafen und sonst schien dir nichts zu fehlen, also dachte ich mir, es reicht, wenn ich dich ganz einfach im Auge behalte." Mit einem Nicken deutete sie auf einen ganzen Stapel Hefte, welcher ebenfalls auf dem Tischchen neben dem Bett lagen. "Ich habe mir also die Nacht damit um die Ohren gehauen, deinen Gesundheitszustand im Auge zu behalten und nebenbei habe ich Klausuren korrigiert, aber darüber muss ich irgendwann auch eingeschlafen sein." Einerseits klang das, was Nemuri ihr da erzählte, durchaus logisch und die Ältere wirkte zudem so, als würde sie die Wahrheit sagen, dennoch wollte die Blondine auf nur mal sicher gehen. Ihre Skepsis einfach so zur Seite zu schieben, war leichter gesagt als getan. "Und du kannst mir versichern, dass du die Finger bei dir gelassen hast, während ich geschlafen habe?" Ungläubig starrte die Ältere ihren derzeitigen Gast an. Ihre intensiv blauen Augen fixierten Yu, während Nemuris Mimik bei der Anschuldigung schlagartig ärgerlicher wurde. "Bitte was?!", blaffte sie. "Ich habe dir ganz sicher nichts getan!", stellte sie entschieden klar. Als die Lehrerin sich an Yus Panik, kurz bevor sie gestern zusammengeklappt war, erinnerte, beruhigte sie sich wieder und fügte im gemäßigteren Tonfall hinzu: "Ich habe nichts anderes getan, als dich im Auge zu behalten, um zu bemerken, falls dein Zustand sich irgendwie verschlechtert hätte, damit ich dir in diesem Fall einen Krankenwagen hätte rufen können. Was denkst du bitte von mir?!" "Nach der Aktion gestern Abend war die Frage durchaus berechtigt, wenn du meine Meinung dazu hören willst.", seufzte Yu. Obwohl sie die Nacht über wie ein Murmeltier geschlafen hatte, sah die Blondine müde aus. Nemuri seufzte und blickte Yu inzwischen wieder deutlich ruhiger und ausgeglichener an. Das sie die Jüngere gestern so erschreckt und bedrängt hatte, tat ihr immerhin leid. "Das war nichts als ein Missverständnis. Ich bin wirklich davon ausgegangen, dass wir uns einig wären, warum ich dich mit zu mir genommen habe. Das ich dich so überfallen habe, tut mir leid. Ich hab dich wirklich erschreckt, Kleine, oder?" "Dass das ein Missverständnis war, ist mir schon klar.", räumte Yu, welche sich langsam ebenfalls wieder entspannte, ein. "Nichts, was sich nicht hätte aus der Welt räumen lassen. Nur, dass du in dem Zusammenhang plötzlich deine Quirk gegen mich eingesetzt hast, hat mich schockiert, um ehrlich zu sein." "Meinst du mit Quirk diese rosa Wolke, die plötzlich überall in der Diele war? Du scheinst davon überzeugt zu sein, dass ich das absichtlich getan hätte, aber ich weiß noch nicht einmal, wo das Zeug plötzlich hergekommen ist.", beteuerte Nemuri. "Du sagst mir also, dass du deine eigenen Fähigkeiten auch vergessen hast? Dafür konntest du sie gestern aber noch ziemlich gezielt einsetzen.", kam es wenig überzeug von Yu. "Meine Fähigkeiten? Fängst du jetzt schon wieder mit dieser Superheldengeschichte an?" "80% der Bevölkerung haben eine Quirk und mit deiner kannst du die Leute einschlafen lassen, wobei du Männer damit normalerweise schneller ausschalten kannst.", erklärte die Profiheldin, auch wenn sie der Überzeugung war, dass Nemuri sich dessen ganz genau bewusst war. "Hör mal, ich möchte wirklich wissen, was genau da gestern eigentlich passiert ist und wenn du etwas darüber weißt, dann raus damit, aber hör auf mit diesem Superheldenmist!" Yu schüttelte den Kopf. "Das denke ich mir doch nicht aus! Du hast gestern immerhin selbst gesehen, wie du deine Quirk aktiviert hast. Durch meine Einbildungskraft wird das bestimmt nicht passiert sein!", schnappte sie verärgert. »Dein Bus kommt in sieben Minuten. Zeit das Haus zu verlassen.«, plärrte plötzlich ein elektronischer Sprachassistent durch die Wohnung und unterbrach das Gespräch der beiden Frauen für einen Moment. Nemuri riskierte einen Blick auf die Uhr und erschrak sichtlich. "Schon so spät? Ich muss zur Arbeit!" Zwar hätte sie gerne noch geduscht, sich umgezogen und gefrühstückt, doch das dem Direktor der Schule zu erklären, an der sie unterrichtete, wäre wohl ein wenig schwierig. Ein Glück, dass sie heute lediglich vier Unterrichtsstunden geben musste, da die letzten drei Schulstunden ausfielen, war die 10a, welche sie zu dieser Uhrzeit normalerweise in Geschichte unterrichtet hätte, doch aktuell auf Klassenfahrt. Yu, die gerade ihre Dominomaske aufgeklaubt und wieder aufgesetzt hatte, blinzelte ungläubig, als Nemuri damit begann in aller Eile einige Sachen zusammenzupacken, sich ihre Lehrertasche krallte und die Blondine schließlich in Richtung der Wohnungstür vor sich her schob. "Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?!" "Tut mir leid, aber ich kann schlecht zu spät zur Arbeit kommen." Die Dunkelhaarige blickte die Jüngere entschuldigend an. "Da gibt es noch so einiges, das wir klären sollten und das ich dich fragen will. Hast du später Zeit?" "Zu klären haben wir in der Tat noch so einiges. Aber das sollten wir jetzt besprechen und nicht später!", beharrte Yu. "Das geht nicht! Mein Chef hat wohl kaum Verständnis dafür, wenn ich die Schüler heute sich selbst überlasse, nur weil ich etwas zu besprechen habe." Die Lehrerin schloss die Wohnungstür hinter sich ab und eilte die Treppenstufen nach unten. Die Blondine folgte ihr wohl oder übel, obwohl es ihrer Meinung nach absolut falsch war, ein so wichtiges Gespräch jetzt einfach zu unterbrechen und auf später zu verschieben. "Was wir zu bereden haben ist wirklich wichtig! Jetzt lauf nicht weg!", maulte die Jüngere. Inzwischen hatten sie die Straße vor dem Haus erreicht. "Das weiß ich. Sagen wir heute um 16 Uhr vor dem Steakhaus in der Innenstadt? Und dann fang nicht wieder von diesem Superheldenkram an." "Deine Liste an Dingen, die du bei mir gut zu machen hast, wächst und wächst, ist dir das schon mal aufgefallen?!", grummelte die Blondine. "Du lädst mich ein, dass das klar ist." Nemuri blinzelte. "Du bist ganz schön schamlos, weißt du das eigentlich?" "Pah! Ich lasse mich nur nicht gern bei Seite schieben, wenn es dir gerade passt!" "Dreistes Gör!" "Alte Schachtel!" Auf ihrem Weg zur Arbeit dachte Nemuri über ihren Übernachtungsgast nach. Sie wusste selbst, dass es nicht ganz nett gewesen war, die Unterhaltung so plötzlich zu beenden und auf später zu verschieben, doch sie musste nun einmal arbeiten. Die Lehrerin war dankbar darüber mit dem Bus bis kurz vor die Schule fahren zu können, denn so konnte sie noch ein wenig ihren Gedanken nachhängen. Dieses Mädchen...,Yu, irgendwie kam sie ihr seltsam vertraut vor, doch konnte sie sich nach wie vor nicht erklären, wie das sein konnte. Und dann war da noch der Vorfall von gestern. Dieses seltsame Zeug, welches wie rosafarbenes Gas von ihren eigenen Armen aufgestiegen war und die Jüngere in Schlaf versetzt hatte. So etwas hatte sie noch nie gesehen. So etwas sollte noch nicht einmal möglich sein! Was war das also für ein Zeug?! Yu schien diesbezüglich seltsamerweise mehr zu wissen, doch ihre Erklärungen waren schon wieder in die Helden- und Cosplayschiene abgerutscht. Eine solche Spinnerei brachte sie nicht weiter. Die Lehrerin wollte eine wirkliche Erklärung - eine mit Hand und Fuß - keine Fiktion. Einerseits war das exzentrische Verhalten der Kleinen niedlich, aber eben nicht in einer solchen Situation. Es frustrierte Nemuri viel mehr, dass Yu etwas über den Vorfall zu wissen schien und lieber schauspielerte, als wirklich mit der Sprache herauszurücken. Nemuri blickte nachdenklich aus dem Fenster und schüttelte kaum merklich den Kopf. Nein, mit diesem Superheldenkram konnte der Vorfall nichts zu tun haben, so etwas gab es schließlich nicht, es musste einfach eine logische Erklärung hierzu geben. Sie hoffte, dass die Blondine heute zum verabredeten Zeitpunkt wirklich auftauchte und diesmal ernsthaft ihre Fragen beantworten würde. Die Rolle der exzentrischen Cosplayerin war niedlich, aber dauerhaft nicht haltbar. Sie würde sie schon irgendwie dazu kriegen, diese seltsame Rolle abzulegen und Klartext mit ihr zu sprechen. Als sie die Schule, an welcher sie unterrichtete, erreicht hatte, schob sie ihre Grübeleien vorerst bei Seite, um sich auf den Unterricht zu konzentrieren, auch wenn ihr dies heute schwer fiel. Immer wieder drifteten ihre Gedanken zu dem seltsamen Vorfall gestern und dem merkwürdigen Gas ab. In der ersten Doppelstunde unterrichtete Nemuri eine Klasse in Kunst. Das aktuelle Thema waren Gipsmasken, welche später individuell gestaltet werden sollten. Die Schüler hatten ihre Freude daran, den Gips Streifen für Streifen in den Gesichtern ihrer Mitschüler zu platzieren, auf das langsam die Masken entstanden. Unter einigem Gelächter wurden Fotos von den Gipsopfern geschossen, was die Lehrerin ausnahmsweise zuließ. Sie achtete lediglich darauf, dass ihre Klasse zielstrebig weiter an den Masken arbeitete und die Scherze der Schüler nicht zu sehr ausarteten. Während erste Schüler bereits mit dem Gestalten der Masken begannen, musste Nemuri dabei ganz automatisch an die recht ausgefallene Maske ihrer neuen Bekannten denken. Das Cosplayaccessoire war wirklich ungewöhnlich, da dessen Enden fast schon wie Hörner anmuteten... und doch, so fehl am Platz hatte die Dominomaske an der Blondine gar nicht gewirkt. Viel mehr vertraut. Sie blinzelte sich zurück ins Hier und Jetzt. Das waren Dinge, über die sie derzeit eindeutig nicht nachdenken sollte. Nicht während der Arbeit. Nach einer Pause, welche sie genutzt hatte um sich mit ihren Kollegen zu unterhalten und rasch ein Brötchen in der Cafeteria zu kaufen, folgte schließlich noch eine Doppelstunde Geschichte, in welcher die Edo-Zeit thematisiert wurde. Zwar hatte sie das Thema mit der Klasse ganz neu angeschnitten, doch war es wirklich zum Haare raufen, wie wenig die Schüler über die Geschichte des Landes wussten! Der Tag verging. Als die letzte Schulstunde schließlich beendet war, war Nemuri heilfroh, dass nicht nur die Schüler nun den Heimweg antreten durften. Den Tag über war sie bereits ständig in Gedanken gewesen und hatte sich beim Unterrichten mehrfach gedanklich selbst ermahnen müssen, nicht den Faden zu verlieren. Aber das war doch verrückt! Sie hatte dieses Blondchen vorgestern das erste Mal getroffen und doch kreisten ihre Gedanken in einer Tour um die jüngere Frau, welche ihr auf merkwürdige Art und Weise so vertraut vorkam, obwohl sie eigentlich fast noch Fremde waren. Das war doch nicht normal. Eigentlich war es ganz und gar nicht ihre Art, sich binnen so kurzer Zeit von einer Person so sehr in den Bann ziehen zu lassen, als dass es ihr schwerfiel, besagte Person aus ihren Gedanken zu verbannen. Aber diesmal? Das es ihr so schwer fiel, nicht über ihre Begegnung und den Abend gestern nachzudenken, mochte allerdings auch zum Großteil an dem Vorfall mit dem seltsamen Gas liegen, für welchen sie nach wie vor noch keine Erklärung gefunden hatte, egal wie lange sie darüber nachdachte und welche logischen Ansätze sie in ihre Überlegungen mit einbezog. Yu schien diesbezüglich mehr zu wissen als sie selbst, weshalb Nemuri hoffte, von ihr einige Antworten zu erhalten. Ernst gemeinte Antworten, kein seltsamer Superheldenkram. Nun, was die Blondine ihr erzählen würde, würde sich schon bald zeigen. Nachdem ihre Klasse den Klassenraum verlassen hatte, begann auch Nemuri damit ihre Sachen zusammenzupacken und stellte bei der Gelegenheit fest, dass sie vollkommen vergessen hatte den Schülern die Hausaufgaben zu geben, welche sie eigentlich geplant hatte. Sie schmunzelte schief. Das war dann wohl Glück für die Schüler. Zumindest für heute. Und es zeigte, wie zerstreut sie aktuell war, was normalerweise so gar nicht zu ihr passen wollte. Nachdem sie noch kurz im Lehrerzimmer vorbeigesehen und den Unterricht für Morgen vorbereitet hatte, verließ die Lehrerin das Schulgelände wieder, musste sie doch für heute keinen Unterricht mehr geben. Hinzu kam, dass sie noch verabredet war. Auch wenn es bis 16 Uhr noch Zeit war, so wollte sie diese Zeit dazu nutzen, ein wenig durch die Stadt zu schlendern. In letzter Zeit war sie kaum dazu gekommen, sich die Schaufenster und die neusten Herbstkollektionen einmal in Ruhe anzusehen, warum also nicht jetzt? Außerdem würde ein Ausflug durch die Stadt sie vielleicht kurzzeitig auf andere und halbwegs normale Gedanken bringen. Zumindest hoffte Nemuri das. Ohne sich zu beeilen, passierte sie das Schultor und lief geradewegs an der angrenzenden Bushaltestelle vorbei. Da es nicht weit bis zur Innenstadt war, verzichtete die Dunkelhaarige darauf in den Bus zu steigen und lief stattdessen zu Fuß. Um diese Uhrzeit mussten die meisten Personen noch arbeiten, weshalb größtenteils Schüler und Studenten auf den Straßen unterwegs waren. Ein leichtes Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen. Im Normalfall müsste sie jetzt auch noch arbeiten. Dass die Klasse, welche sie sonst in den letzten beiden Stunden unterrichtet hätte, auf Klassenfahrt war und sie keinen Kollegen vertreten musste, war wirklich eine glückliche Fügung des Schicksals. Langsam näherte sie sich der City. Sie würde nur noch ein kleines Stück eines Wohngebiets durchqueren müssen, dann hätte sie ihren Zielort erreicht und hätte noch genug Zeit, sich etwas in den Läden umzusehen, ehe sie in Richtung Steakhaus aufbrechen müsste. Nemuri lief gemütlich die Straße entlang und beobachtete dabei zwei Schüler, welche auf ihrem Heimweg kurz innegehalten hatten, um mit einer streunenden Katze zu spielen. Das Tier strich den Schülern schnurrend um die Beine und genoss die Aufmerksamkeit sichtlich. Wie niedlich. Die beiden Teenager hatten langsam ein Alter erreicht, in dem sie normalerweise eher darauf bedacht waren, möglichst cool oder erwachsen zu tun, doch das Tier hatte die Herzen der beiden scheinbar im Sturm erobert, scherten die Schüler sich aktuell sichtbar wenig um ihr Image, während sie mit der Katze spielten. Doch so entspannt die schwarz-weiß gefleckte Katze auch war, als ohne jede Vorwarnung ein grellvioletter Lichtblitz am Himmel entlangzuckte und die Straßen in ein unwirkliches Licht tauchte, machte das Tier einen erschrockenen Satz und rannte um sein Leben. Armes Ding. Aufgrund des gleißenden Lichts hatte Nemuri reflexartig ihre Augen mit einer Hand abgeschirmt. Dennoch sah sie nun Pünktchen und Lichtblitze, als hätte sie direkt in den Blitz einer Kamera geschaut. Sie verzog leicht das Gesicht und zog dann skeptisch die Stirn kraus. Der Blitz hatte die ganze Straße in ein unwirkliches Licht getaucht und hielt sich etwas länger, als ein Blitz es eigentlich sollte. Als die unangenehme Helligkeit schließlich wieder nachzulassen begann, riskierte Nemuri einen Blick in den Himmel. War zum? Was hatte sie da eben gesehen? Es gab Blitze, es gab Kugelblitze, aber doch keine grell-violetten Blitze! Und schon gar keine, die sich so lange hielten und die Umgebung in eine Atmosphäre tauchten, die einem schlagartig Gänsehaut auf den Armen bescherte! Dieser Lichtblitz...das war wirklich seltsam. Ein normales Naturphänomen konnte das doch unmöglich sein, denn sonst hätte sie zumindest schon einmal davon gehört. Gesehen hatte Nemuri einen so seltsamen Blitz in ihrem ganzen Leben noch nicht... und dann plötzlich gleich zwei Mal an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Gestern Abend waren schon einmal solche Blitze am Nachthimmel entlanggezuckt, erinnerte sie sich. Ob der seltsame Blitz der Vorbote eines nahenden Gewitters war? Aber eigentlich war das Wetter viel zu freundlich dafür. Was das betraf...vielleicht sollte sie diesen Gedanken am besten gleich wieder zurücknehmen. Bis eben noch war es zwar frisch aber sonnig gewesen, doch plötzlich begann der Himmel sich zu verdunkeln und das elektrische Knistern in der Luft war fast schon greifbar. "W-was ist das?", hörte sie einen der beiden Schüler erschrocken murmeln. Er deutete nach links, in Richtung eines Balkons. Sein Klassenkamerad folgte der Geste und riss nun ebenfalls entsetzt die Augen auf. "Was soll das denn sein?!" "Ich weiß nicht! Machen wir, dass wir von hier wegkommen!" "Gute Idee!" Schon nahmen die Schüler die Beine in die Hand und rannten, so schnell sie konnten. Die Lehrerin blickte ihnen stirnrunzelnd und leicht alarmiert nach, ehe sie den Blick hob und zu dem Balkon sah, um festzustellen, was die beiden Kinder bitte so erschreckt hatte. Im ersten Moment konnte sie nicht ganz glauben, was sie da sah. Besser gesagt, wusste sie das Wesen nicht einzuordnen. Ein Mensch war das nicht, ein solches Tier hatte sie jedoch auch noch nie gesehen. Auf dem Balkon des Wohnhauses stand ein seltsames Geschöpf, welches gut und gerne 2,50 Meter maß. Die kalkweiße Haut bot einen starken Kontrast zu den pupillenlosen, blutroten Augen. Dort, wo eigentlich der Mund des Wesens sein sollte, saß ein Vogelschnabel in seinem Gesicht, jedoch blitzten aus dem Schnabel spitze Zähne hervor. Die Gestalt war nicht nur riesig, sondern auch wirklich muskulös. Die Krallen an den Händen rundeten das Bild des Schreckens nur noch ab. Im ersten Moment glaubte Nemuri, dass sie sich dieses Monster nur einbilden konnte. Ihre Vernunft sagte ihr, das solche Wesen nicht existierten. Ihre Augen und ihr Überlebenswille sagten ihr jedoch, dass diese Gestalt dort sehr wohl Wirklichkeit war. Auch wenn die Lehrerin das Wesen nicht zuordnen konnte, so war ihr trotzdem auf Anhieb klar, dass das Vieh nichts Gutes bedeuten konnte. Ihr Herz begann merklich schneller zu schlagen, während die aufsteigende Angst Kälte durch ihren Körper jagte. //Kein Wunder das die Schüler so schnell abgehauen sind! Was...was ist das bitte für ein Wesen?!// Vielleicht sollte sie es den Kindern gleich tun und ebenfalls laufen, so lange sie noch konnte? Außer dem Monster und ihr war niemand mehr hier. Einen Grund abzuwarten, oder sich in irgendeiner Form mit dem Vieh anzulegen, gab es also nicht. Sich mit dem Vieh anzulegen? Was dachte sie da eigentlich? Wieso spielte sie allen Ernstes zuerst mit diesem Gedanken, als wäre dies das Normalste der Welt?! Färbten Yus Superheldengeschichten jetzt schon auf sie ab? Einem normalen Menschen würde es wohl kaum gut bekommen, sich mit so einer Kreatur anzulegen! Es gab nur eine Sache, die sie jetzt tun sollte: abhauen, solange sie noch nicht bemerkt worden war. Gerade als Nemuri sich umgedreht hatte und sich ebenfalls aus dem Staub machen wollte, sprang das Wesen mit einem gewaltigen Satz vom Balkon. Trotz des Sprungs aus der zweiten Etage, landete die Gestalt sicher auf den Füßen und schnitt der Dunkelhaarigen den Weg ab. Staub wirbelte auf. Bei der Landung hatte das Monster die Pflastersteine unter sich zerstört, als wäre es lediglich auf Eierschalen getreten. Nemuri hielt abrupt inne, um zu verhindern gegen die Kreatur zu laufen. Sie konnte...nein, sie wollte nicht glauben, was sie da sah und das das hier gerade wirklich passierte! Und doch war das Ungetüm zu real, als das sie es sich einbildete. Panik stieg in der eigentlich sehr selbstbewussten Frau auf. Aber konnte man es ihr verübeln? Was war das bloß für ein Monster?! Während die violetten Blitze nur noch wilder am Himmel entlangzuckten, holte das Wesen mit einer Pranke zum Schlag aus. "Bleib bloß weg!" Nemuri duckte sich gerade noch rechtzeitig, um dem Schlag um Haaresbreite zu entgehen. Die Klauen des Monsters trafen stattdessen die Hauswand, aus welcher ein Backstein und Putz bröckelten. Die Lehrerin wurde von eiskaltem Entsetzen gepackt. Ihr Herz hämmerte wie wild von innen gegen ihren Brustkorb. Das...das hätte auch schief gehen können! Wenn das Vieh mit einer solchen Leichtigkeit ein Haus beschädigen konnte, wollte sie lieber nicht wissen, was passiert wäre, wenn der Angriff sie getroffen hätte! Die Gestalt stieß ein monströses Brüllen aus und setzte gleich noch einen zweiten Schlag nach. Erneut gelang es ihr gerade so zur Seite zu hechten, ehe sie sich umdrehte und rannte, so schnell ihre Füße sie trugen. Die schweren, stampfenden Schritte hinter ihr, verrieten, dass das Ungetüm ihr folgte. Das war alles andere als gut! Sie rannte um ihr Leben, hoffte nicht auszurutschen oder zu stürzen. War es überhaupt möglich dieses Untier zu Fuß abzuhängen? Egal, darüber sollte sie jetzt lieber gar nicht erst nachdenken. Nemuri musste es einfach versuchen und rennen, so schnell wie sie noch nie zuvor gerannt war. Während ihrer Flucht bemerkte die Lehrerin, dass ihr die Straße mehr als nur vertraut war. Sie war diesen Weg eben noch von ihrem Arbeitsplatz aus in Richtung Stadt spaziert - ganz in Ruhe und entspannt, denn bis vor einigen Minuten noch, war die Welt vollkommen in Ordnung gewesen. Schließlich traf sie eine Erkenntnis wie ein Schlag: wenn sie weiter in diese Richtung lief, würde sie das Monster auf direktem Weg in Richtung Schule führen! Und je näher sie der Schule kam, desto wahrscheinlicher war es, dass ihr Schüler begegnen würden. Die Gesichter ihrer Klasse blitzten vor ihrem inneren Auge auf. Vielleicht würde es ihr gelingen, sich innerhalb des Gebäudes zu verstecken, doch mit dem Ungetüm, welches ihr dicht auf den Fersen war, würde sie dem Fuchs wortwörtlich das Tor zum Hühnerstall öffnen, wenn sie jetzt weiter in Richtung ihres Arbeitsplatzes flüchtete. Sie wollte zwar möglichst schnell möglichst viel Abstand zwischen sich und das Ungetüm bringen, doch DAS konnte sie einfach nicht tun. Unmöglich konnte sie weiter in Richtung der Schule fliehen und die Schüler in Gefahr bringen! Nemuri schlug einen Haken und bog in eine schmale Seitengasse. Die Gestalt hinter ihr stieß ein kehliges Brüllen aus, welches irgendwie ungehalten klang und ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Die Absätze ihrer Stiefel klackerten laut über das Kopfsteinpflaster, wobei die schmale Gasse den Klang der Absätze nur noch verstärkte. Aktuell verfluchte die Dunkelhaarige ihre heutige Schuhwahl. Nun gut, um ehrlich zu sein, hatte sie fast nur Schuhe und Stiefel mit unübersehbaren Absätzen, aktuell wäre sie mit einem Paar Sportschuhen jedoch eindeutig besser bedient gewesen. Nemuri betete nicht umzuknicken, oder mit einem der mörderischen Absätze im Zwischenraum des Kopfsteinpflasters hängen zu bleiben. Ein Sturz oder ein verstauchter Fuß hätten fatale Folgen für sie, saß ihr Verfolger ihr doch weiterhin dicht im Nacken. Sie rannte, so schnell sie konnte, dankbar dafür, dass in der Gasse gerade wenigstens keine anderen Menschen unterwegs waren, welche in die Angelegenheit mit hineingezogen werden konnten. Trotz allem, konnte es so nicht ewig weitergehen. Die seltsame Gestalt folgte ihr ohne besonders große Mühe, hatte bislang jedoch noch nicht aufgeholt. Langsam aber sicher begannen die Seiten der Lehrerin zu schmerzen und ihre Lungen zu brennen. Bildete sie es sich ein, oder wurde sie tatsächlich langsamer? Ihre Beine protestierten bereits heftig, auch wenn sie eigentlich alles andere als unsportlich war. Sie wusste ewig konnte sie so nicht mehr weiterflüchten. Aber was sollte sie sonst tun?! Wenn sie jetzt zurückfiel, anhielt oder stürzte, wäre es aus und vorbei mit ihr! Was war das nur für eine monströse Gestalt, die sie da verfolgte? Wo kam das Wesen überhaupt her?! Sie hatte so etwas noch nie gesehen! Das Vieh sah aus, als wäre es gerade aus irgendeinem Horrorfilm entkommen und genauso verhielt es sich auch. Nur das Adrenalin, welches durch ihren Körper rauschte, sorgte dafür, dass sie weiter rannte und das sie den Klauen des Ungetüms bisher entgangen war. Gerade noch so gelang es ihr abzubremsen, als die Fassade des Hauses vor ihr auftauchte. Nemuri stieß einen erschrockenen Laut aus, der so gar nicht zu ihr passen wollte. Der Blick der Dunkelhaarigen schnellte hektisch von links nach rechts. In welche Richtung sollte sie weiterfliehen? Entsetzt stellte sie fest, dass sie geradewegs in eine Sackgasse gelaufen war. Verdammt! Die Erkenntnis drohte ihr den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Sie war ernsthaft in eine Sackgasse geflüchtet? Ihr wurde übel und gleichzeitig war sie ärgerlich auf sich selbst. Sie kannte diese Stadt wie ihre Westentasche. Wie hatte ihr also ein so dummer Fehler unterlaufen können? Ein höchst wahrscheinlich fataler Fehler, denn in eine Sackgasse zu rennen, kam mit einem solchen Verfolger einem Todesurteil gleich. Nemuri wirbelte herum. Die seltsame Gestalt, von welcher sie immer noch nicht ganz genau sagen konnte, um was es sich eigentlich handelte, stand in etwa drei Meter Entfernung hinter ihr, mittig in der schmalen Gasse, und blockierte folglich ihren Fluchtweg. Sie saß in der Falle. Das war übel! Mit wild pochendem Herzen wich sie noch zwei weitere Schritte zurück, als die Gestalt sich ihr langsam näherte. Sie wusste, dass sie jeden Moment die Hauswand im Rücken spüren würde. War es das jetzt also? Wenn das Vieh sie erwischte sicherlich. Aber wollte sie es dem Verfolger so leicht machen? Bestimmt nicht! Nemuri hing an ihrem Leben und auch wenn die Lage denkbar schlecht war, so hatte sie trotz allem nicht vor, jetzt einfach aufzugeben. Sie versuchte sich zusammenzureißen und einen Ausweg zu finden, der ihr bislang verborgen geblieben war. Wenn sie es irgendwie hinter das Monster schaffen würde... Irgendwie musste sie an diesem Wesen vorbei, doch wie? Mit einem weiteren Fluchtversuch ihrerseits würde die Gestalt doch bereits rechnen! Trotzdem, einen Versuch wäre es wert. Einen Versuch, von dem sie nur einen einzigen hatte. Das Timing musste stimmen. Sie musste springen, wenn das Ungeheuer zum Schlag ausholte. So grausam die Situation auch war und so viel Angst, wie dieses Wesen ihr einjagte, trotz allem schaffte Nemuri es noch Herrin ihrer Gedanken zu bleiben. Die Panik lähmte sie nicht. Sie spannte sich an, bereit jede noch so kleine Chance zu überleben zu nutzen. Um ehrlich zu sein überraschte es sie selbst, wie gefasst sie blieb, fast so, als hätte ihr Körper von ganz allein in den Krisenmodus geschaltet. Fast so, als wäre es nicht das erste Mal, dass sie einem gefährlichen Gegner gegenüberstand... Die violetten Blitze am Himmel zuckten inzwischen so oft und grell, dass das Wetter schon fast an eine Lasershow erinnerte. Nemuri schlug das Herz bis zum Hals. Was auch immer ihr Verfolger eigentlich war und woher auch immer er kam, wenn das Vieh sie zu fassen bekäme, oder sie mit den grässlichen Klauen erwischte, wäre es aus! Sie durfte hier nicht stehenbleiben wie eine Maus in der Falle. Nemuri konzentrierte sich, blickte nach rechts und täuschte einen Schritt in besagte Richtung an, was auch das Wesen dazu brachte ruckartig nach rechts zu sehen. Das Monster holte zum Schlag aus. Immerhin, so tödlich die Gestalt auch sein mochte, sie war in gewisser Weise doch berechenbar. Im nächsten Moment wirbelte Nemuri herum, sprang nach links und versuchte an der riesigen Kreatur vorbeizuschlüpfen, doch das Wesen reagierte so schnell, dass es sie beinahe erwischt hätte. Die Hand des Monsters krachte nur Millimeter von ihrem Gesicht entfernt gegen die Fassade des Hauses. Von den Fenstern aus war das besorgte und schockierte Gemurmel der Bewohner zu hören, doch hoch zu sehen, dazu fehlte der Lehrerin im Moment die Zeit. Sie taumelte zurück, versuchte den Abstand zwischen sich und dem Wesen zu vergrößern, doch dieses setzte ihr nach und holte zum Schlag aus. Als Nemuri die Faust erneut auf sich zu rauschen sah und sie sich voller Entsetzen bewusst wurde, dass sie unmöglich schnell genug ausweichen könnte, streckte die Dunkelhaarige beide Arme reflexartig nach vorne. Nicht, weil sie wirklich glaubte den Schlag gänzlich abblocken zu können, doch vielleicht konnte sie wenigstens verhindern, dass der Gegner ihr Gesicht traf. "Bleib weg!" Ein besonders heller Lichtblitz zuckte am Himmel genau über ihnen entlang. In der Erwartung, jeden Moment den fatalen Treffer zu spüren zu bekommen, hatte die Lehrerin für einen Herzschlag lang die Augen geschlossen, doch... der Schmerz blieb aus. Zögerlich öffnete sie die Augen wieder und wagte sich, den Kopf langsam in Richtung des Ungetüms zu drehen. Dieses stieß einen seltsamen Knurrlaut aus, wischte sich mit einer Klaue über die vogelartige Schnauze, schüttelte unwillig den Kopf und wich zwei Schritte zurück, breitete sich in der schmalen Gasse doch bereits eine stetig größer werdende, rosa Wolke aus. Nemuri stutzte. Eh? Das war doch...schon wieder dieses seltsame Gas. Als sie den Angriff hatte abwehren wollen, waren die Ärmel ihres Oberteils ein gutes Stück hochgerutscht. Von der nackten Haut ihrer Arme stieg die gasartige Substanz unaufhaltsam empor und verteilte sich großflächig in der Gasse. Das Wesen schüttelte erneut den Kopf, fuchtelte mit den Armen vor sich herum, um die Wolke zu vertreiben, doch als das nichts half, sprang es mit spielender Leichtigkeit hinauf auf ein Hausdach. Täuschte sie sich, oder taumelte die Kreatur leicht benommen? Nemuri fühlte sich wie im falschen Film. Jetzt erst recht. Weiterhin pochte ihr Herz vor Angst wie wild, hätte das Monster sie doch beinahe erwischt. Aber jetzt? Es wich zurück, auch wenn sie nicht sagen konnte, ob der Rückzug dauerhaft oder nur temporär war. Lag der abgebrochene Angriff an der blassrosanen Wolke, die ihr Körper nun schon zum zweiten Mal unerklärlicherweise freigesetzt hatte? Hinter dem Ungetüm schien die Luft zu verschwimmen und bildete eine Art Tor, in welches das Geschöpf sprang und darin verschwand. Die Lehrerin glaubte nicht recht zu sehen. Das war ja noch schräger als in irgendeinem Sci-Fi Film, bloß das die Geschehnisse hier erschreckend real gewesen waren und sie beinahe das Leben gekostet hätten! Ihre Beine gaben unter Nemuri nach. Vollkommen fassungslos und zitternd saß sie auf dem kalten Kopfsteinpflaster und starrte zu der Stelle in der Luft, an welcher das Monster gerade noch in einer Art unsichtbarem Tor verschwunden war. Langsam sonderte ihr Körper weniger von der rosa Wolke ab, ehe diese schließlich ganz verflog. Es brauchte einen Moment, bis sie realisierte, dass die Gefahr scheinbar vorbei war. Sie hatte diese unheimliche Begegnung überlebt, wenn auch überraschend und nur gerade so. Immer noch war sie verständlicherweise aufgewühlt, doch nun, wo ihr kein Verfolger mehr im Nacken saß, begann Nemuris Adrenalinpegel langsam wieder zu sinken. Das schwindende Adrenalin bedeutete gleichzeitig auch, dass sie ihre Erschöpfung nun stärker wahrnahm. Sie zitterte und rang nach Luft. Von der Flucht war sie vollkommen außer Atem. Ihre Beine fühlten sich an wie Pudding und jeder Atemzug brannte wie Feuer. Nemuri war vollkommen erschöpft und auch nervlich am Ende...doch sie hatte überlebt. Was... was war da gerade geschehen? Das hatte sie sich eingebildet, richtig? Anders konnte es gar nicht sein! Es gab keine Monster, die wie aus dem Nichts auftauchten, einen durch die Straßen jagten und dann genau so plötzlich verschwanden, wie sie gekommen waren. Und doch wusste sie, was sie da gerade eben gesehen hatte. Sie war bestimmt nicht vor ihrer eigenen Einbildung weggelaufen. Außerdem sprach der Schaden an der Hauswand für sich. Und dann wieder diese rosa Wolke... erneut hatte sie dieses seltsame Zeug irgendwie freigesetzt. Auch das sollte doch gar nicht möglich sein. Was ging hier nur vor sich? Noch vollkommen verstört von dieser Konfrontation, blieb sie für den Moment sitzen wo sie war, versuchte sich zu beruhigen und halbwegs zu verarbeiten, was sie da gerade gesehen hatte. Ein wenig kam sie sich so vor, als hätte man ihr irgendetwas in den Kaffee geschüttet. Irgendetwas, das Wahnvorstellungen auslöste. Und doch war das, was da eben passiert war, die Realität, so unwirklich und erschreckend sie auch war. Von den Anwohnern hatte sich noch niemand wieder aus den Häusern getraut. Die Gasse war wie leergefegt, zumindest, bis leise Schritte eine einzelne Person ankündigten und ein Schatten über sie fiel, als besagte Person das Ende der Sackgasse erreicht hatte. "Nemuri", sprach die inzwischen vertraute Stimme sie an. Die Blondine klang besorgt, während ihre ungewöhnlichen, rötlichen Augen fragend zu der Lehrerin blickten. Von allen Personen dieser Großstadt, war es ausgerechnet Yu, die sich ihr so kurz nach der Monsterattacke näherte? War das...wirklich nur ein Zufall? Nemuri wusste nicht mit Sicherheit, was sie denken sollte. "Ist alles in Ordnung mit dir?", wollte die Profiheldin wissen und legte fragend den Kopf schief. Wie verstört und gehetzt ihr eigentlich mehr als selbstbewusstes Gegenüber dreinblickte, war immerhin nicht zu übersehen. "H-hast du dieses Monster noch gesehen?", fragte die Dunkelhaarige, welche noch etwas heiser klang. Gehetzt blickte sie zu der jungen Frau hoch. "Monster?" Die Jüngere zog irritiert eine Augenbraue hoch. "Nein, habe ich nicht. Was meinst du überhaupt mit Monster? Ich war nur gerade in der Nähe unterwegs und habe zwischen den Häusern plötzlich eine Wolke deiner Quirk aufsteigen sehen." In einer Hand hielt die Kleinere einen Becher Bubble Tea, welchen sie mit etwas Charme umsonst hatte abstauben können. Die freie Hand hielt sie Nemuri entgegen, um diese wieder auf die Füße zu ziehen. Kurz zögerte die Lehrerin noch und blickte auf die behandschuhte Hand, dann griff sie danach und ließ sich hochziehen. Weiterhin war sie noch etwas zittrig auf den Beinen, doch langsam normalisierte ihre Atmung sich wieder. "Bist du verletzt? Du bist ja vollkommen durch den Wind." Besorgt blickte Yu zu ihr hoch. Einen Moment zögerte Nemuri. Sie blickte erst einmal prüfend an sich selbst herab, um mit Sicherheit sagen zu können, ob sie auf der Flucht nun Federn gelassen hatte oder nicht. Doch so wie es aussah, schien sie sich nicht verletzt zu haben, auch wenn sie nach der Begegnung eben nicht unbedingt behaupten konnte, das alles in Ordnung war. "Nein, mir ist nichts passiert.", gab sie schließlich Entwarnung. "Aber ist es verwunderlich, dass ich noch neben mir stehe, nachdem ein seltsames Wesen versucht hat mich umzubringen?" Das auszusprechen fühlte sich irgendwie falsch an. Nicht nur, dass Nemuri befürchtete, dass es diesmal Yu sein könnte, die sie für verrückt erklären würde, das Monster von eben zu erwähnen, machte es auf erschreckende Art und Weise gleich noch einmal realer, auch wenn die Gefahr nun vorüber zu sein schien. Doch anstatt sie auszulachen und als Spinnerin darzustellen, wirkte Yu viel mehr betroffen und alarmiert zugleich. Als Nemuri erwähnt hatte, das eine seltsame Kreatur versucht hatte sie umzubringen, war die Jüngere kaum merklich zusammengezuckt und hatte sich angespannt. "Nein, das ist es nicht." Ungewöhnlich ernst und mitfühlend blickte die sonst eher freche Blondine ihr entgegen. Irgendetwas anderes, fast schon Trauriges lag da auch noch in ihrem Blick, doch Nemuri konnte es nicht genau benennen. "Die Nemuri..., nein, viel mehr die Midnight, die ich kenne, hätte jedem Angreifer gehörig in den Hintern getreten und hätte sich von so einem Vorfall nicht sonderlich lange aus dem Takt bringen lassen. Aber ich bin froh, dass dir nichts passiert ist. Ist dieses 'Monster' hier noch irgendwo in der Nähe?" Yu hielt den Blickkontakt. Die Lehrerin fragte sich, was die Blondine mit der Aussage eben gemeint hatte, doch fehlten ihr aktuell die Nerven, um diesbezüglich nachzuhaken, gab es doch so vieles, was sich aufklären musste. Aktuell schwirrten ihr so viele Fragen und Ungereimtheiten im Kopf herum, dass es sie einfach nur noch vollkommen verwirrte. Und wieder wurde sie das Gefühl nicht los, das Yu mehr über all das hier zu wissen schien. "Nein, es ist weg. Ist sozusagen im Nichts verschwunden, wenn du es so willst, so verrückt das auch klingt." Nemuri war sich bewusst, dass es heute viel eher so klang als wäre sie es, die wirres Zeug redete, doch was gerade passiert war, war nun einmal wirklich geschehen. Weiterhin erklärte Yu sie jedoch in keinster Weise für verrückt. Die zierliche Blondine wirkte nur plötzlich so viel ernster und betroffener als zuvor. Erst einmal bot die Jüngere Nemuri das Getränk an, welches sie noch immer in einer Hand hielt. Ausgetrocknet, wie ihre Kehle von der Flucht eben war, nahm die Lehrerin den Becher dankend entgegen und nickte ihrem Gegenüber kurz zu. Etwas zu trinken tat wirklich gut. Vielleicht handelte es sich bei dem Bubble Tea nicht unbedingt um das gesündeste Getränk, doch nach der Flucht und dem damit verbundenen Stress war die zuckerhaltige Flüssigkeit nicht unbedingt das schlechteste, was ihr hätte passieren können. "Danke. Das brauchte ich jetzt." Nemuri seufzte leise und ließ den Becher langsam wieder sinken. Nach und nach hatte sie sich wieder einigermaßen beruhigt, auch wenn sie immer noch das Gefühl hatte einen Marathon gelaufen zu sein, ohne sich vorher aufgewärmt zu haben. Schließlich wandte sie sich Yu ganz direkt zu. Nach den Geschehnissen eben, wollte sie nicht mehr abwarten, dass das Thema eventuell wechseln könnte. Ihre intensiv blauen Augen ruhten auf Yu. "Hör zu Kleine, ich weiß, dass du scheinbar irgendetwas weißt und ich will endlich Antworten von dir. Das, was hier eben passiert ist, ist zu absurd, um länger um den heißen Brei herumzureden." Yu zögerte kurz, dann nickte sie, trat einen Schritt näher an Nemuri heran und blickte sich in der Gasse um. Inzwischen spähten einige Personen skeptisch aus ihren Fenstern. "Was es mit dem Monster, dass du da erwähnst, auf sich hat, kann ich dir auch nicht sagen, aber zumindest ein paar Dinge kann ich dir vielleicht beantworten." Sie sah in Richtung der Fenster. "Aber am besten nicht hier. Lass uns irgendwo anders reden." Kapitel 4: ----------- Gemeinsam machten die beiden Frauen sich eilig auf den Weg, die Gasse, in welche das Monster die Dunkelhaarige zuvor gejagt hatte, wieder zu verlassen. Hier würden sie kaum in Ruhe ein Gespräch führen können. Einige der Anwohner hatten die Gestalt mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls gesehen. Das jemand die Polizei informiert hatte, war also absehbar. Im Prinzip war dies noch nicht einmal eine schlechte Idee, doch inzwischen war das Ungetüm verschwunden und die Chance, dass die Gesetzeshüter einer solchen Zeugenaussage Glauben schenken würden, ging gegen Null. "Und du bist dir ganz sicher, dass diese Gestalt verschwunden ist? Also sich in Luft aufgelöst hat, meine ich, und nicht hier irgendwo in der Nähe noch für Unruhe sorgt?", hakte Yu noch einmal nach. "Wenn ich es dir doch sage! Was auch immer es war und wie auch immer das eigentlich möglich sein soll, es ist einfach in einer Art Tor in der Luft verschwunden." Weiterhin fühlte es sich für Nemuri mehr als merkwürdig an, etwas scheinbar so absurdes auszusprechen, doch war eben dies die Wahrheit. Die Kreatur hatte sie gejagt und sie hatte mit eigenen Augen gesehen, wie das Wesen wie von Zauberhand von jetzt auf gleich einfach wieder verschwunden war. "Gut, dann hoffen wir, dass das vorerst auch so bleibt. Ich kann immerhin nicht in aller Seelenruhe ein Gespräch führen, wenn ich eigentlich ein Monster, beziehungsweise vermutlich viel mehr einen Schurken, jagen müsste." Nemuri blickte die Blondine zweifelnd an. "Fängst du schon wieder mit diesem Superheldenquatsch an?" Die Jüngere verdrehte die Augen. "Erst deine Quirk, jetzt dieses seltsame Wesen, dass dich durch das halbe Viertel gescheucht hat. Ich bin froh, dass es dir gut geht, aber es wundert mich, dass du mir nach wie vor noch nicht glaubst, Nemuri." Die Lehrerin verschränkte die Arme vor der Brust. "Das gestern und heute seltsame Dinge passiert sind, ist wohl unstrittig, aber wenn du etwas darüber weißt, dann will ich vernünftige Antworten von dir. Wir beide wissen, dass es Superman und Co nicht in Realität gibt." Auch wenn die Ältere einräumen musste, dass die Geschehnisse gestern und heute in der Tat merkwürdig und nur schwer zu erklären waren, so suchte sie dennoch nach einer logischen Erklärung für all das. Yu schien mehr darüber zu wissen, doch das die Kleine immer wieder etwas von Superhelden redete und damit bewies, dass sie scheinbar zu viel Marvel geschaut hatte, war wirklich zum Haare raufen. Yu warf ihrer Begleiterin einen gereizten Blick zu und schluckte ihren Ärger nur schwer herunter. Es war wirklich zum verrückt werden, wie sehr Nemuri sich dagegen sträubte, die Realität zu akzeptieren, Gedächtnisverlust hin oder her! //Oder das hier ist wirklich eine Parallelwelt und diese Nemuri hat nichts mit der Nemuri, die ich kenne, zu tun.//, fügte sie in Gedanken hinzu, auch wenn sie hoffte, dass diese Befürchtung nicht der Wahrheit entsprach. Auch wenn die Lehrerin scheinbar ihr Gedächtnis verloren hatte, Yu war so froh die Todgeglaubte wiederzuhaben. Würde sich doch noch herausstellen, dass ihr Gegenüber eben nicht 'ihre' Nemuri war, wäre das fast noch grausamer. Fast so, als würde sie sie ein zweites Mal verlieren. Immer noch zuckten vereinzelte violette Blitze über ihnen am Himmel entlang. Täuschte sie sich, oder tauchte dieses ungewöhnliche Wetterphänomen immer nur genau über ihren Köpfen auf? "Wo gibt es hier einen Ort, der etwas abgelegen ist und an dem wir in Ruhe reden können?", erkundigte Yu sich, ohne auf die vorherigen Worte der Älteren einzugehen. "Was genau verstehst du unter abgelegen? Irgendeinen Ort, der ruhiger als die Innenstadt ist?" "Das auf jeden Fall. Am besten einen Ort, der etwas Platz bietet und an dem nicht ständig Leute vorbeilaufen.", konkretisierte die Blondine ihr Anliegen. "Und was genau willst du an so einem Ort? Reicht es nicht, wenn wir uns ganz einfach in ein ruhiges Eckchen hier in der Stadt setzen?" Skeptisch blickte Nemuri Yu an. Ihr war nicht ganz klar, warum es ihrer Begleitung scheinbar so wichtig war, an einem komplett abgelegenen Ort zu reden. Lohnte es sich überhaupt der Bitte nachzukommen, oder würde Yu nur erneut von dem Superheldenquatsch anfangen? "Zum Reden wäre das sicherlich ausreichend, stimmt. Aber du glaubst mir vermutlich eh nicht, also werde ich dir zu dem, was ich dir erzähle, auch gleich einen Beweis mitliefern.", seufzte die Blondine, die es mehr als leid war, ständig angezweifelt zu werden. "Was willst du mir beweisen? Das es Superhelden wirklich gibt?", spöttelte Nemuri. "Ich könnte dir auch gleich hier und jetzt zeigen, dass du endlich aufhören solltest dich über mich lustig zu machen, aber wenn ich das tue, garantiere ich dir, dass wir uns danach an einem belebten Platz wie hier in der Stadt, nicht mehr in Ruhe unterhalten können." Yus Stimme bekam einen zickigen Unterton. Auch ihre Geduld war am Ende. "Na jetzt bin ich gespannt.", kam es ironisch von der Älteren. "Ich hoffe für dich, dass der kleine Ausflug es auch wert ist." Noch während Nemuri die Worte aussprach, fragte sie sich, was sie sich eigentlich dabei dachte. Die kleine Blondine würde ihr höchst wahrscheinlich nur eindrucksvoll beweisen, dass sie es geschafft hatte ihre Zeit zu verschwenden, anstatt ihr brauchbare Antworten zu liefern. Nachdem sie in einem etwas belebteren Viertel angekommen waren, blieb Nemuri neben einem Smart stehen, welcher zu einer Carsharing-Kette gehörte. Sie tippte kurz auf ihrem Handy herum und kurze Zeit später, konnte die Fahrt in dem winzigen Auto auch schon beginnen. "Ein größeres Auto hättest du nicht finden können, was?", kam es sarkastisch von Yu, welche die Sonnenblende des Beifahrersitzes heruntergeklappt hatte und sich in dem daran befestigen Spiegel betrachtete. "Für einen Zwerg wie dich sollte der Platz doch wirklich mehr als ausreichen.", stichelte Nemuri zurück. "Zumal der kleine Ausflug hier vermutlich eh nur verschwendete Zeit und verschwendetes Geld ist." "Pah! Nenn mich nicht Zwerg! Und überhaupt, habe ich da viel mehr an dich gedacht. Hast du keine Angst, nachher beim Aussteigen einen Hexenschuss zu kriegen? Ist bei älteren Personen immerhin nicht auszuschließen." "Älter?! Ich glaub ich hör wohl nicht recht!", blaffte die Fahrerin, woraufhin die Blondine sie nur halb amüsiert, halb unschuldig angrinste. "Wo fahren wir überhaupt hin?", wechselte Yu schließlich das Thema. "Na raus aus der Stadt, wenn es schon unbedingt ein unbelebterer Ort sein muss, auch wenn ich das für reichlich übertrieben halte.", erklärte Nemuri ihr. "Du wirst es gleich schon verstehen, das verspreche ich dir.", versicherte Yu, ehe sie die Dunkelhaarige mit einem schiefen Blick bedachte. "Aber ob wir tatsächlich heil ankommen werden, ohne vorher im Straßengraben zu landen, daran habe ich so meine Zweifel. Du fährst wie der letzte Henker." "Halt bloß die Klappe und sei froh, dass ich dich überhaupt aus der Stadt rausfahre, Prinzesschen!", regte Nemuri sich auf. Dieses freche, unverschämte Gör! Schließlich verließen die beiden Frauen die Stadt und fuhren über eine Landstraße, bis die Ältere den Smart auf einen Parkplatz in der Nähe eines Baumschulwäldchens lenkte. "Ist es hier genehm?", murrte Nemuri sarkastisch. Yu stieg aus dem Auto aus, froh die Fahrt unfallfrei überlebt zu haben und blickte sich kurz um. "Jetzt sind wir wirklich am Arsch der Welt. Das wäre nun auch wieder nicht nötig gewesen, aber passt schon.", stellte sie fest. "Undankbares Gör! Du sagtest doch, wir sollen an einen abgelegeneren Ort, damit du mir irgendetwas beweisen kannst." Kurz funkelten die beiden Frauen sich gereizt an. Schließlich musterte die Profiheldin die Felder, welche vor ihnen lagen. In weiter Entfernung war noch die Stadt zu sehen, doch hatten sie inzwischen einige Kilometer zwischen die City und sich gebracht. "Also dann, ich höre: wenn du weißt, was es mit diesem Wesen, oder diesem merkwürdigen Gas auf sich hat, dann immer raus damit.", bohrte Nemuri, inzwischen ungeduldig, nach. Sie hatte keine Lust mehr auf diese Spielchen. "Wie ich schon sagte, kann ich dir über die Gestalt, die dich angegriffen hast, auch nichts sagen. Aber was deine Quirk angeht, schon eher." Die Blondine schnippte sich eine der gewellten Haarsträhnen zurück über die Schulter, verschränkte gemütlich die Arme vor der Brust und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Smart. "Bevor ich anfange, muss ich dich aber noch einmal etwas fragen. Deine Quirk, du bist dir auch wirklich ganz sicher, dass du vorher keine Ahnung hattest, diese Fähigkeit überhaupt zu besitzen? Und dir ist auch nicht bekannt, dass ein Großteil der Bevölkerung individuelle Spezialitäten besitzt?" Nemuri verdrehte die Augen. Fing Yu schon wieder damit an? Natürlich tat sie das, eigentlich sollte es sie gar nicht mehr wundern. "Die Leute hier besitzen ganz sicher keine übernatürlichen Fähigkeiten. Du hast wirklich zu viel ferngesehen, Yu.", seufzte die Lehrerin, die eigentlich auf brauchbare Antworten hoffte und nicht auf einen erneuten Trip ins Reich der Superhelden. "Und dieses Gas, Quirk, wie du es nennst, ist mir ebenfalls neu. Bis gestern habe ich so etwas noch nie gesehen." Die Jüngere musterte ihr Gegenüber aufmerksam und suchte in ihrer Mimik irgendwelche Anzeichen dafür, dass sie log. Doch Nemuri schien sich mit dem, was sie ihr da gerade versichert hatte, sicher zu sein. Quirks waren ihr scheinbar wirklich unbekannt und so wie es klang, würde es den anderen Bewohnern dieser Stadt ähnlich gehen. Etwas, das für die Blondine nur schwer vorstellbar war, war sie immerhin in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der Quirks etwas vollkommen Normales waren. Das hier... konnte also wirklich kein Ort sein, der einfach nur etwas weiter entfernt war. Wie auch immer das möglich sein konnte, aber war sie wirklich in einer Art Parallelwelt gelandet? Eine, in welcher es keine Quirks und auch keine Helden gab? Ihre Befürchtung schien sich zu bestätigen und diese Erkenntnis riss Yu fast den Boden unter den Füßen weg. Wie auch immer sie es angestellt hatte überhaupt hier zu landen, wie um Himmelswillen sollte sie wieder zurück in ihre Welt kommen, zurück an den Ort, an den sie eigentlich gehörte?! Ihr Blick ruhte auf Nemuri. Wenn das hier wirklich eine Parallelwelt war, dann hieß das auch, dass ihr Gegenüber nicht die Nemuri war, die sie kannte. An der Tatsache, dass die eigentliche UA Lehrerin zu den Opfern der Schlacht vor wenigen Wochen gehörte, hatte sich also nichts geändert. Es war der Blondine sowieso schon schwer genug gefallen, dies auch nur Ansatzweise zu akzeptieren, doch jetzt, wo sie der Nemuri aus dieser Welt begegnet war, welche der Frau, die sie kannte und die ihr so viel bedeutet hatte, zum Verwechseln ähnlich sah und ihr auch vom Charakter her so sehr ähnelte, war das erst recht ein harter Schlag. "Erde an Yu!", riss ihr Gegenüber sie aus ihren Gedanken. "Dadurch, dass du mich einfach nur anstarrst, kommen wir hier auch nicht weiter. Also, was ist jetzt?" Die Blondine blinzelte. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich weiterhin zusammenzureißen und nicht durchblicken zu lassen, was gerade in ihrem Kopf vorging und was sie gerade fast zerriss. "So? Helden gibt es also nicht? Und Quirks auch nicht? An dem Ort, von dem ich komme, haben 80% der Bevölkerung Quirks. Helden gehören zum Stadtbild und Schurken sind leider auch keine Seltenheit." Die Stimme der Profiheldin klang plötzlich ungewöhnlich leise und resigniert. Sie wollte den Gedanken, sich hier vermutlich wirklich in einer Art Parallelwelt zu befinden, einfach nicht zulassen. Dies würde immerhin auch bedeuten, dass die Frau, die ihr so viel bedeutet hatte, wirklich tot war und ihr jetziges Gegenüber nur so etwas wie Nemuris Spiegelbild war. Ein Spiegelbild, welches dem Original so ähnlich war, dass sie es nicht ertragen würde, die Dunkelhaarige ein zweites Mal zu verlieren, sollte es ihr gelingen, wieder zurück zu dem Ort zu reisen, an welchen sie eigentlich gehörte. "An dem Ort, von dem du kommst? Jetzt komm schon, willst du mir jetzt auch noch verklickern, eine Zeitreisende zu sein, oder so? Der Quatsch mit den Helden, reicht gerade mal...!" Was das betraf, war Nemuri langsam mit ihrer Geduld am Ende. Ihre Stimme klang deutlich gereizter und ungeduldiger als eben noch. Als Lehrerin war sie viele Spinnereien und Blödsinn der Schüler gewohnt, doch das hier wurde langsam zu viel des Guten! "Eine Zeitreisende vielleicht nicht, aber das hier ist nicht der Ort, an den ich gehöre, da bin ich mir inzwischen ziemlich sicher." Yu bemühte sich gegen ihr Temperament anzukämpfen und ruhig zu bleiben. Sie entfernte sich einige Meter weit von dem Auto, an welches sie sich eben noch gelehnt hatte. Schließlich drehte sie sich wieder zu ihrer Gesprächspartnerin um. "Würdest du anfangen mir zu glauben, wenn ich dir beweise, dass du nicht die einzige mit einer Quirk bist?" "Und wie willst du das anstellen? Hast du im 100-Yen Shop ein Laserschwert gekauft und mitgebracht?" Nemuri verdrehte die Augen. "Hör auf dich über mich lustig zu machen!", schnappte Yu, ehe sie wieder etwas ernster wurde. "Sieh einfach zu und erschreck dich nicht, okay?" Abwartend blickte die Dunkelhaarige sie an und erwartete nichts, außer einer weiteren, wirren Erklärung. Nemuri war genervt und gleichzeitig kurz davor zu resignieren. Dieser Ausflug hier war die reinste Zeitverschwendung, sie hatte es von Anfang an gewusst. Mit vor der Brust verschränkten Armen, tat sie Yu dennoch den Gefallen, zu ihr herüber zu sehen. Vielleicht holte das die Kleine ja endlich auf den Boden der Realität zurück. Doch plötzlich weiteten sich die Augen der Lehrerin ungläubig. Ihr Klappte im wahrsten Sinne des Wortes der Kiefer herunter, als ihre eigentlich recht kleine Begleiterin von einer Sekunde auf die andere zu wachsen begann, bald schon die Bäume der angrenzenden Baumschule überragte und erst aufhörte zu wachsen, als Nemuri bereits den Kopf in den Nacken legen musste. Nemuri glaubte nicht recht zu sehen. Was...?! Aber...aber das konnte doch gar nicht! Das bildete sie sich nur ein! Das... was zum?! Die Lehrerin kniff sich in den Arm, doch der Schmerz war real, genauso wie Yu, die ohne wirkliche Vorwarnung plötzlich zur Riesin geworden war. Der Älteren entgleisten die Gesichtszüge. Ungläubig starrte sie ihr Gegenüber an und brachte erst einmal kein Wort heraus. Nemuri war zwischen Schock, Fassungslosigkeit und gleichzeitig auch einer gewissen Faszination hin und her gerissen. Das seltsame Schlafgas war für sie ja bereits surreal genug, doch die Blondine plötzlich so rapide wachsen zu sehen, stellte das Gas noch einmal deutlich in den Schatten. "D-das glaube ich jetzt nicht.", stammelte sie schließlich. Sie hatte das, was die Andere gesagt hatte, die ganze Zeit über als wirres Geschwätz abgetan, hatte sie für eine exzentrische Cosplayerin gehalten, nur um jetzt festzustellen, das Yu nichts von dem, was sie gesagt hatte, erfunden hatte. Fähigkeiten wie diese, sollte es doch eigentlich nur im Fernsehen geben, aber das hier war kein Film! Nemuri wusste nicht, was sie denken oder sagen sollte. Die Gesamtsituation überforderte sie. Yu hatte sich währenddessen auf den Boden gekniet und die Ellbogen gemütlich auf den Feldweg gestützt. Noch immer überragte sie ihre Begleiterin um mehrere Meter. "Sieh mich nicht so an, als wenn ich dich fressen wollte. Ich bin immer noch die Selbe, bloß, dass du jetzt zugeben musst, dass ich die ganze Zeit über kein wirres Zeug erzählt habe.", amüsierte Yu sich. Das verblüffte Gesicht der Lehrerin zu sehen, war eine Genugtuung für sie, nachdem Nemuri sie immer wieder für verrückt erklärt hatte. Doch die Tatsache, dass die Ältere der Einsatz ihrer Quirk überhaupt erst so aus der Fassung brachte, hatte auch einen bitteren Beigeschmack. Die Nemuri, die sie kannte, hätte noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt, oder sie höchstens gewarnt, dass sie aufpassen sollte, wo sie hintrat. Die Profiheldin streckte langsam eine Hand nach der Dunkelhaarigen aus, welche nach kurzem Zögern ebenfalls eine Hand ausstreckte und sie an den Ringfinger der Blondine legte. "Ist ...ist das deine eigentliche Gestalt?", war die erste Frage, die Nemuri schließlich stockend herausbrachte. Grinsend schüttelte Yu den Kopf. "Nein, ich kann zwar durch meine Quirk bis auf 2062cm wachsen, aber meine normale Gestalt ist die kleinere Version, in der ich zu dir hochsehen muss.", erklärte sie. Eine riesige, behandschuhte Hand griff nach der Lehrerin und hob sie spielend leicht hoch. "Heeey!", protestierte Nemuri. "Was machst du?! Pass bloß auf!" Die Heldin stand mit ihrer Gesprächspartnerin in der Hand auf und streckte sich kurz, ehe sie die Ältere in ihren Handinnenflächen platzierte. "Was zum?! Lass mich ja nicht fallen!" Zwar spähte Nemuri über ihren derzeitigen Sitzplatz hinweg, doch bevorzugte sie es, lieber nicht zu weit nach außen auf Yus Handflächen zu rücken. Aktuell fühlte sie sich wie im falschen Film. Die kleine Blondine hatte sich als Riesin entpuppt und eine Spinnerin schien sie auch nicht zu sein. Diese Erkenntnisse musste sie erstmal realisieren und wirklich verarbeiten. Genauso wie die Tatsache, dass sie sich gerade in einer ziemlichen Höhe auf der Handfläche (!) einer Person befand. "Eine schöne Heldin wäre ich, wenn ich Zivilisten fallen ließe, oder versehentlich zertreten würde.", murrte die Blondine. "Mach dir keine Sorgen. Genieß lieber die Aussicht und dann sag mir, ob du mich immer noch für verrückt hältst, oder jetzt bereit bist mir zuzuhören." "Mt. Lady, richtig? Das stand doch auf dem Kärtchen, dass ich mir gestern in der Bar noch angesehen habe. Jetzt ergibt der Name so langsam Sinn." Für Nemuri war es verständlicherweise reichlich irritierend, so zu der Jüngeren hochsehen zu müssen, obwohl diese sie schon aufgehoben hatte wie eine Puppe. Mit einem Schlag hatte Yu ihr komplettes Weltbild zerstört. Dinge, die sie für Fantasy gehalten hatte, waren real geworden und Nemuri wusste nicht, was sie davon halten sollte. All das hier kam ihr immer noch so vor wie ein Traum. Fähigkeiten wie diese sollte es doch eigentlich gar nicht geben und wenn, dann nur in irgendwelchen Filmen! Zu begreifen und zu akzeptieren, dass das hier wirklich die Realität war, war alles andere als leicht. "Aus welchem Grund hätte ich mich sonst für diesen Heldennamen entscheiden sollen?" "Also hast du dir nichts von dem, was du die ganze Zeit über erzählt hast, ausgedacht?", hakte die Lehrerin nach. So absurd es ihr auch vorkam, doch wenn Yu ihr bewiesen hatte, dass sie zur Riesin werden konnte, dann sollte sie ernsthaft darüber nachdenken, das andere Dinge auch nicht ganz so unmöglich sein könnten. Angesprochene schüttelte leicht den Kopf und zog ein Gesicht. "Nein, warum hätte ich das tun sollen? Wenn es mir nur um Aufmerksamkeit gegangen wäre, hätte ich sicherlich nicht den Weg gewählt, auf dem mich alle für vollkommen verrückt halten würden." "Und solche Fähigkeiten... sind dort, von wo du kommst, wirklich alltäglich?", hakte die Dunkelhaarige noch einmal nach. Das erschien ihr immer noch schwer vorstellbar. Ihre Worte klangen ein wenig stockend, da Nemuri sich vorkam wie auf einem Drogentrip. "Richtig. Wie schon gesagt, bei uns haben 80% der Bevölkerung Quirks." Yu warf ihrem Gegenüber noch einen langen Blick zu und setzte sie schließlich vorsichtig wieder ab, ehe ihr Körper zu schrumpfen begann, bis sie in ihrer normalen Größe vor Nemuri stand. Auch wenn sie sich hier auf einem abgelegenen Parkplatz außerhalb der Stadt befanden, wenn den Meschen hier Quirks wirklich unbekannt waren, dann war selbst hier die Chance einfach viel zu groß, dass doch jemand mit dem Auto vorbeifahren würde. "Das klingt fast wie eine Parallelwelt, weißt du?", kam es mit einem Lächeln von Nemuri, wobei das Lächeln nicht freudig oder amüsiert, sondern viel mehr fassungslos und vollkommen überfordert wirkte. "Du sagtest immerhin gestern noch, dass du nicht neu in der Stadt bist, aber trotzdem aktuell unmöglich zurück nachhause kannst." Yu seufzte. Nemuris Worte erinnerten sie wieder an ihr ursprüngliches Problem und ihr wurde schwer ums Herz, wenn sie an ihre eigentliche Heimat und ihre Freunde und Bekannten dort dachte. Für Nemuri war es vielleicht schwer zu akzeptieren, dass es Helden und Quirks gab, sie selbst jedoch war an einem Ort gelandet, an welchem nach ihrem Empfinden rein gar nichts zueinander passte. "Genau daran habe ich auch schon gedacht. Ich hoffe allerdings, dass sich das als Irrtum herausstellt. Ich meine... eine Parallelwelt, das wäre selbst für meinen Geschmack eindeutig zu viel des Guten." Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen. Während Yu darüber nachdachte, ob sie wirklich in einer Parallelwelt, oder einfach nur an einem Ort weit weg gelandet war, versuchte Nemuri sich wieder zu fangen. Schließlich war es die Dunkelhaarige, die das Schweigen brach. "Erzählst du mir von deiner Welt? Ich nenne sie jetzt der Einfachheit halber so." Für beide fühlte sich die aktuelle Situation absolut unwirklich an. Jetzt, wo Yu wieder in ihrer normalen Gestalt vor ihr stand, in welcher sie ein unübersehbares Stück kleiner war als Nemuri selbst, kam der Lehrerin das, was sie eben gesehen hatte, vor wie ein wirrer Traum und doch wusste sie, dass sie es sich nicht eingebildet hatte. "...Sicher, warum nicht. Vielleicht beantwortet das auch ein paar deiner Fragen.", stimmte die Blondine nach kurzem Zögern zu. Sie lehnte sich wieder mit dem Rücken gegen das Auto. Die Ältere stellte sich neben sie und tat es ihr gleich. "Wie schon gesagt, hat die Mehrheit der Bevölkerung bei uns Quirks. Auch der Beruf des Profihelden ist bei uns ein ganz normaler Beruf und war bis vor kurzem noch wahnsinnig beliebt.", begann Yu. "Bist vor Kurzem?", hakte Nemuri nach, doch Yu ignorierte ihren Einwand vorerst und redete weiter. "Du und ich, wir scheinen in der gleichen Stadt zu leben, aber irgendwie auch wieder nicht. An dem Ort, in dem ich lebe, sind die meisten Straßen und Häuser ganz ähnlich angeordnet, aber viele Geschäfte unterscheiden sich komplett. Ich wollte gerade gemeinsam mit einem Teamkameraden auf Patrouille durch die Stadt gehen, als ein Blitz mich mehrere Sekunden lang geblendet hat. Als ich wieder sehen konnte, fehlte von meinem Kameraden jede Spur und meine Agentur war nicht mehr mein Haus. Als ich mich umgedreht habe, waren da plötzlich nur noch die Mauern einer alten Fabrik." Die Blondine sah in Nemuris Augen ziemlich ratlos und niedergeschlagen aus. "Ich weiß, wie verrückt das klingt, aber ich habe keinen Grund mir das einfach nur auszudenken.", beteuerte Yu. Nicht, das es ihr weiterhelfen, oder die Situation weniger schwierig und verwirrend machen würde, doch unweigerlich fragte Yu sich, ob ihre Gesprächspartnerin ihr diesmal glauben würde, konnte sie immerhin doch selbst noch kaum glauben, was passiert war. Nemuri wiederum musste zugeben, dass das, was die Jüngere da sagte, in der Tat ziemlich verrückt klang. Eine Parallelwelt und eine Art Zeitreisende, wenn man es denn so wollte. Normalerweise hätte sie dies in der Tat weiterhin als wirres Geschwätz abgetan, doch nach dem, was sie eben noch gesehen hatte, war sie fast schon geneigt ihr zu glauben. Die Dunkelhaarige legte ihrer Gesprächspartnerin eine Hand auf die Schulter und strich leicht darüber, konnte sie doch nicht übersehen, wie verloren Yu aussah, wo sie über diesen seltsamen Vorfall sprach. Zwar kannte sie die Kleinere kaum, dennoch war die Blondine ihr auf eine seltsame Art und Weise vertraut und das niedergeschlagene Gesicht wollte einfach nicht zu ihr passen. "Hast du deinen Kollegen inzwischen wiedergefunden?", wollte Nemuri wissen. Die Jüngere schüttelte den Kopf. "Nein, habe ich nicht. Ich erreiche ihn nicht, genau so wenig wie meine anderen Kontakte, die ich in meinem Smartphone abgespeichert habe. Du kannst mir glauben, dass ich es schon mehrmals versucht habe." Yu hoffte wirklich, dass mit Kamui und den anderen alles in Ordnung war. So sehr ihr die Vorstellung, in einer Art Parallelwelt gelandet zu sein, missfiel, so sehr hoffte sie, dass es den Anderen wenigstens gut ging und sie nicht auch irgendwo hier gelandet waren. "Und du hast wirklich als Superheldin gearbeitet? Ich meine, wie darf man sich das vorstellen?" Nemuri zog eine Augenbraue hoch. Für die Lehrerin fühlte sich all das hier immer noch unwirklich an. Sie hatte fast schon das Gefühl eine Art Rollenspiel zu spielen, bei den Fragen, die sie da stellte. Doch nach dem, was sie eben gesehen hatte, schien Yu wirklich die Wahrheit zu sagen. Das hier war die Realität, so verrückt es sich auch anfühlte. Und wenn Yu wirklich aus einer Art Parallelwelt hier her gelangt war, musste das ganz schön hart für die Kleine sein. Als Nemuri nach ihrem Job als Heldin fragte, zögerte Yu nicht lange. "Natürlich, das war immerhin ein ziemlich beliebter und hoch angesehener Job. Als Profiheld beschützt man die Zivilisten vor Schurken, rettet Menschen aus Katastrophengebieten und arbeitet unter anderem auch recht eng mit der Polizei zusammen. Außerdem gehören Helden bei uns einfach zum Stadtbild. Man zeigt Präsenz, damit die Bevölkerung sich sicher fühlt. Naja, sicher fühlte, trifft es wohl eher. Viele Helden haben sich zu Teams zusammengetan, da es sich mit Teamkameraden einfach besser arbeiten lässt. Bevor ich hier gelandet bin, war ich auch Mitglied eines Teams." Allein wenn sie jetzt darüber nachdachte, dass sie keine Ahnung hatte, was mit ihren Kameraden passiert war, ob es ihnen gut ging, oder ob sie in einer ähnlichen Misere gelandet waren, hätte sie schreien mögen. Doch Nemuri würde ihr diesbezüglich kaum weiterhelfen können, weshalb Yu beschloss erst einmal weiterzusprechen. "Der Beruf des Profihelden war bis vor Kurzem sogar so extrem beliebt, dass es spezielle Heldenschulen gab. Du hast im Übrigen an einer solchen Schule unterrichtet." Überrascht blickte Nemuri Yu an. "Ich habe an einer Heldenschule unterrichtet? Es stimmt schon, dass ich Lehrerin bin, aber ich habe schon immer an einer ganz normalen Schule in dieser Stadt gearbeitet." "Naja, nicht du, viel eher die Nemuri, die ich kenne, hat an einer renommierten Heldenschule unterrichtet." verbesserte die Blondine. In die rötlichen Augen hatte sich ein Ausdruck geschlichen, den die Ältere nicht deuten konnte. "Du meinst, mich gibt es auch in der Welt, aus der du kommst?", hakte die Lehrerin noch einmal nach. Es war schon schwer genug für sie zu akzeptieren, dass die Blondine nicht von hier stammte, doch der Gedanke daran, dass sie selbst eine Art Spiegelbild haben musste? Das klang wirklich reichlich verwirrend. Doch trotz allem, nachdem Yu ihr eben bewiesen hatte, dass sie sich das mit den Quirks nicht ausgedacht hatte, war sie geneigt dem zu glauben, was die Jüngere da erzählte, etwas, was sie vor einer Stunde wohl noch gänzlich anders gesehen hätte. Nemuri konnte es selbst nicht fassen. "Das würde dann wirklich für eine Parallelwelt sprechen. Aber sagtest du gestern nicht, ich hätte auch einen Heldennamen?" Kurz zögerte Yu. Ohne es zu merken trat sie vor Unwohlsein von einem Bein aufs andere. Einerseits genoss sie es, wieder in das vertraute Gesicht blicken und die ihr so vertraute Stimme hören zu können, von der sie geglaubt hatte, sie für immer verloren zu haben, gleichzeitig musste sie sich jedoch auch klarmachen, dass diese Nemuri höchst wahrscheinlich in der Tat nur das Spiegelbild ihrer Nemuri war. "So wie es aussieht, scheint es dich in meiner Welt und auch hier zu geben. Wir kannten uns zumindest und ja, du hast zwar als Lehrerin unterrichtet, aber Schüler zu unterrichten und Held zu sein, ist miteinander kombinierbar." "Das würde dann auch erklären, warum du der Überzeugung warst mich zu kennen und mir nicht glauben wolltest, dass ich mich nicht an dich erinnern konnte.", schlussfolgerte Nemuri. Die Vorstellung, dass eine Art Doppelgängerin von ihr in irgendeiner Art Parallelwelt existierte, irritierte und faszinierte sie zugleich. Noch während sie sprach, packten Nemuri jedoch auch erste Zweifel. Einerseits hatte sie neulich wirklich keine Ahnung gehabt, wer Yu war und auch das, was sie ihr jetzt erzählte, klang für sie vollkommen fremd und doch, wenn sie die Kleinere ansah, konnte sie nicht leugnen, dass diese etwas seltsam Vertrautes an sich hatte. Fast so, als hätte sie ihr Gesicht nicht erst vor zwei Tagen zum ersten Mal gesehen. Aber das konnte doch gar nicht sein, richtig...? "Die Vorstellung, eine Art Doppelgängerin zu haben, ist ganz schon verwirrend, wenn du mich fragst." "Die Tatsache, von jetzt auf gleich in einer Art Parallelwelt gelandet zu sein auch.", murrte Yu.. Aktuell gab es so vieles, was die Lehrerin ihr Gegenüber fragen wollte, also beschloss sie, mit einer der naheliegendsten Fragen zu beginnen. "Wie ist mein Ich aus deiner Welt denn so?" Das alles hier war so unwirklich - so unglaublich und gleichzeitig auf merkwürdige Art und Weise faszinierend. Die Blondine blinzelte. "Lass es mich so sagen, dein Ich aus meiner Welt ist dir unglaublich ähnlich. Äußerlich unterscheidet ihr euch kein bisschen, sogar der kleine Leberfleck in deinem Gesicht ist an der exakt gleichen Stelle. Und charakterlich seid ihr euch auch wahnsinnig ähnlich. Eigentlich gibt es da kaum einen Unterschied, bloß dass die Nemuri aus meiner Welt mutiger und noch etwas spontaner ist als du." Yu zuckte mit den Schultern. "Aber das ist auch kein Wunder, immerhin ist sie mit ihrer Quirk bestens vertraut und weiß darüber hinaus wie man kämpft. Wer sich schon dutzende Male mit Schurken und anderen unfreundlichen Zeitgenossen angelegt hat, der ist so leicht nicht mehr aus der Bahn zu werfen." "Du spielst auf die Begegnung mit diesem Monster vorhin an? Also hätte mein Ich aus deiner Welt es mit dieser Gestalt aufgenommen?" Allein der Gedanke erschien Nemuri absurd, wobei sie vollkommen übersah, dass sie trotz der gefährlichen Situation vorhin zuerst daran gedacht hatte, sich mit der Kreatur anzulegen und letztlich instinktiv in die Gasse gebogen war, somit also einen Umweg in Kauf genommen hatte, um den Angreifer keinesfalls in die Nähe der Schule zu lenken. "Definitiv. Ich habe dieses Wesen zwar selbst nicht gesehen, aber ich denke, die Midnight, die ich kenne, hätte schon gewusst, was zu tun ist.", kam es überzeugt von Yu. Einen Moment lang herrschte Schweigen. Während Nemuri all das, was Yu ihr eben erzählt hatte, erst einmal verarbeiten musste, war es der Jüngeren so, als würde ihr Herz jeden Moment in viele kleine Stücke zerspringen. Das hier war alles so unwirklich und so brutal zugleich. Als sie vor einigen Wochen erfahren hatte, dass die Dunkelhaarige die Schlacht nicht überlebt hatte, war der Schmerz darüber kaum erträglich gewesen. Nun hatte sie die Ältere scheinbar doch gesund und munter wiedergefunden, nur um festzustellen, dass es sich bei der Lehrerin um die Nemuri der Parallelwelt handelte und nicht um die Richtige - ihre Nemuri. Und dann sprach sie nun auch noch mit ihrem Gegenüber über deren Doppelgängerin aus ihrer Welt. War es da ein Wunder, dass der Schmerz, der nie ganz verschwunden war, wieder hoch kam? Zumal die beiden sich so ähnlich waren, dass es ihr einfach nicht in den Kopf wollte, wie es sich hier wirklich um zwei verschiedene Personen handeln konnte. "Mal ganz von diesem mehr als verstörenden Fakt abgesehen, du sagst die ganze Zeit über, dass der Beruf des Profihelden sehr beliebt WAR. Was hat sich daran geändert?", ergriff Nemuri das Wort, um das Gespräch weiterzulenken. Immer noch fühlte sich all das hier vollkommen verrückt an, doch der Gedanke daran, dass Yu wohl die Wahrheit sagte, machte die Lehrerin auch mehr als neugierig. Parallelwelten sollten doch eigentlich nichts als Hirngespinste sein. Nun jedoch sah es ganz so aus, als schien es sie doch zu geben und die Bewohnerin einer solchen Parallelwelt stand direkt vor ihr und redete mit ihr über besagte Welt und über ihre Doppelgängerin dort. So verstörend das auch war, so unglaublich neugierig machte es Nemuri auch. Yu blinzelte aus ihren Gedanken gerissen und wollte der Älteren auf ihre Frage antworten, doch als sie an das denken musste, was das Ansehen der Helden innerhalb der Bevölkerung dermaßen hatte sinken lassen, brachen auch wieder die Erinnerungen über sie herein. Ihr wurde speiübel, so sehr, dass sie nur noch schwer gegen ein aufkommendes Würgen ankämpfen konnte. Diese Bilder... so viele Helden waren angerückt um gegen die Schurken zu kämpfen. Sie hatten gekämpft. Das Schlachtfeld war bald schon zu einem einzigen unübersichtlichen Gewusel aus wirbelnden Körpern geworden. Die Schreie, der Staub, Dutzende Verletzte und Tote und dann dieses schreckliche Monster, welches selbst sie noch überragt hatte und an welchem sich so viele die Zähne ausgebissen hatten. Sämtliche Erinnerungen an den Kampf, sämtliche Bilder, die sie in den letzten Wochen so gut es ging verdrängt hatte, waren schlagartig wieder da und begannen zu einem einzigen schrecklichen Strudel aus Blut und Leid zu werden, der sich vor ihrem inneren Auge zu drehen begann. Sie würgte, bei den Erinnerungen an die vielen Toten und Verletzen. Die Profiheldin hatte die Hände zu Fäusten geballt und zitterte heftig am ganzen Leib, ohne sich dessen bewusst zu sein. Sie hörte das Blut in ihren Ohren rauschen, während die Bilder der Schlacht in immer schnellerer und deutlicherer Abfolge vor ihrem inneren Auge tanzten. Plötzlich war die Schlacht wieder so real, als hätte sie den Kampfplatz nie verlassen. Die Panik griff bei diesen Erinnerungen mit unbarmherzigen Klauen nach ihr. Zwei Mal hatten die Bilder der Schlacht Yu in den vergangenen Wochen unverhofft mit einer solchen Brutalität eingeholt, das Edge Shot und Kamui Woods Mühe hatten, sie aus den Panikattacken zu reißen. Sie war nicht die einzige Heldin, die nach dem grausamen Krieg mit ihren Erinnerungen zu kämpfen hatte, so ging es vielen ihrer Kollegen. Normalerweise gehörte Mt. Lady noch zu den Helden, die sich einigermaßen gut unter Kontrolle hatten, was zum Großteil daran liegen mochte, dass es ihr meistens gelang, die schrecklichen Erinnerungen in die hintersten Ecken ihres Gedächtnisses zu verdrängen, um damit klarzukommen. Doch bei dem richtigen Trigger, war all das Entsetzen schlagartig wieder da. Nemuris Worte hatten die Erinnerungen an den Schrecken der Schlacht unbeabsichtigt von jetzt auf gleich wieder über Yu hereinbrechen lassen. "Yu?! Hey, was ist los mit dir?" Alarmiert sprach Nemuri die Jüngere an, in deren Mimik sich nach der letzten Frage, so rasch und schnell nacktes Entsetzen zu spiegeln begonnen hatte, dass es die Lehrerin vollkommen überraschte. Sie war Pädagogin, wusste wie gestresste und verängstiget Schüler aussahen, doch die Panikattacke der jungen Heldin schien ein ganz anderes Level erreicht zu haben. Die Ältere hatte Yu die Hände auf die Schultern gelegt und sie zu sich gedreht. Die junge Frau zitterte am ganzen Leib und schien sie kaum wahrzunehmen. "Hey, Kleine...!" Sanft schüttelte Nemuri die Blondine an den Schultern, in der Hoffnung sie dadurch zurück ins Hier und Jetzt reißen zu können, doch als das nichts brachte, zog sie sie in eine feste Umarmung. An was auch immer Yu sich erinnerte, es schien ihr eine Heidenangst einzujagen. Die Profiheldin war dermaßen durch den Wind, dass sie die Umarmung erst einmal nur starr duldete. Als sie langsam aber sicher Nemuris Körperwärme zu realisieren begann, gelang es ihr schließlich sich aus ihrer Starre zu reißen. Yu drückte sich dicht an die Lehrerin und vergrub das Gesicht an deren Schulter. Für zwei Minuten standen sie einfach nur so da. Während Nemuri leicht geschockt von der plötzlichen und heftigen Panikattacke der Blondine war, versuchte Yu sich auf ihre Atmung zu konzentrieren und sich wieder unter Kontrolle zu kriegen. Die Nähe und Wärme der Größeren taten ihr gut und waren dennoch Gift zugleich, war die Dunkelhaarige doch praktisch das Ebenbild der Nemuri, die sie in der Schlacht verloren hatte. Dennoch bewirkte die Umarmung das, was Nemuri damit hatte bezwecken wollen. Sie gab der Jüngeren Sicherheit, half ihr den Teufelskreis zu durchbrechen. Langsam aber sicher wurde das Zittern schwächer. Yu gelang es nach und nach den Anfall zu überwinden und sich wieder zu beruhigen. Noch einige Momente lang blieb sie wo sie war, ehe sie geringfügig auf Abstand ging und zu der Lehrerin hochblickte, nun fast schon peinlich berührt, denn wie aus dem nichts eine solche Panikattacke zu bekommen, war Yu mehr als unangenehm. Die Nemuri dieser Welt wusste nicht, was geschehen war. Sie kannten sich kaum. Was sollte sie jetzt also von ihr denken? Die eigentlich starke und selbstbewusste Profiheldin hatte ganz sicher nicht beabsichtigt, dass ihre verletzliche Seite so plötzlich zum Vorschein kam. "Entschuldige bitte. Es geht jetzt wieder.", brachte sie schließlich heraus und wusste, dass sie ihre heftige Reaktion auf die vorangegangene Frage wohl oder übel würde erklären müssen. "Hey, ganz ruhig Kleine.", sprach Nemuri sie beruhigend an. "Hat meine Frage das ausgelöst?" Das wäre zumindest die logischste Erklärung. Yu nickte lediglich leicht und wirkte immer noch beschämt wegen des Ausbruchs eben. "Bis vor Kurzem waren die Helden fast so etwas wie die Lieblinge der zivilen Bevölkerung. Bis zu dem Tag zumindest, an dem wir in einen Kampf gezogen sind, dessen Ausmaß man sich kaum vorstellen kann. Hunderte Helden gegen hunderte Schurken. Wir alle haben gekämpft, sogar die Schüler sind mit in den Wahnsinn hineingezogen worden. Auf beiden Seiten hat es so viele Verletzte und Tote gegeben. In dem Kampf konnten wir nicht verhindern, dass auch viele Zivilisten verletzt und getötet wurden, oder ihre Häuser verloren haben. Es ist so viel zerstört worden. Wenn du meine Stadt jetzt mit deiner vergleichst, du würdest sie wegen der ganzen Zerstörung kaum wiedererkennen. All das hat das Vertrauen der Zivilisten in die Helden arg erschüttert." Nemuri blickte zu der kleineren Frau, die sie nach wie vor in einer lockeren Umarmung hielt. Mit einer solchen Erklärung hatte sie ehrlich gesagt nicht gerechnet. Das klang fast wie ein Krieg. So surreal. Kein Wunder, dass Yu so heftig reagiert hatte, als die Erinnerungen über sie hineingebrochen waren. Am besten sie bohrte nicht mehr zu genau nach, schienen der Jüngeren die Erinnerungen doch schon genug zu schaffen zu machen. Im gleichen Atemzug fiel es Nemuri schwer sich eine solche Katastrophe vorzustellen. Bedeutete das am Ende also, dass der Ort, von dem Yu kam, nun in Trümmern lag, während ihre Welt, fast so etwas wie ein verzerrtes aber heiles Spiegelbild war? Das war...vollkommen verrückt. Und dennoch schien es sich nicht um Hirngespinste zu handeln. Die Dunkelhaarige wollte nicht noch weitere Wunden aufreißen, weshalb sie es Yu selbst überließ, was sie ihr noch erzählen wollte. Ihr Blick ruhte lediglich auf dem Gesicht der Jüngeren und fiel letztlich auf die Narbe über deren linkem Auge. "Diese Narbe in deinem Gesicht, ist das ein Andenken an den Kampf?" Sie strich leicht darüber, was die Blondine dazu veranlasste, reflexartig das linke Auge zu schließen und ihr Gesicht wegzudrehen. Schließlich blickte Yu wieder zu ihr hoch und fuhr sich unbewusst selbst mit einer Hand über die verhasste Narbe "Das kann man wohl so sagen.", murrte sie vor sich hin. "Ausgerechnet mein Gesicht wurde so verschönert. Wobei ich trotz allem dankbar sein kann, dass es nur diese eine Narbe ist." "Wenn dieser Kampf wirklich so grausam war, dann hast du vermutlich Recht damit." Nemuri spielte mit einer der gewellten blonden Strähnen ihres Gegenübers, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein, während Yu sich aktuell nicht weiter daran störte. Während die Ältere die schmale Narbe über dem Auge ihres Gegenübers als wenig auffällig oder störend erachtete, hasste die Blondine besagte Narbe, da diese ihrer Ansicht nach nicht nur ihr bislang makelloses Äußeres angekratzt hatte, sondern viel mehr auch, weil sie sie bei jedem Blick in den Spiegel an die Schlacht erinnerte. Nach einem kurzen Moment der Stille, ergriff die Lehrerin wieder das Wort. "Was ist eigentlich nach diesem Kampf passiert? Haben wir mit dem Alltag weitergemacht, so gut es eben ging?", wollte Nemuri wissen, empfand es seltsam von 'wir' zu sprechen und spürte, wie Yu sich bei dieser Frage in ihren Armen verkrampfte. "...naja, die Stadt muss wieder in Ordnung gebracht werden und die Sicherheit der Bürger muss weiterhin gewährleistet sein. Bei den Unruhen nach diesem Kampf, ist der Alltag für die Helden ein wahrer Spießroutenlauf, weil viele der Zivilisten einen regelrechten Hass auf uns entwickelt haben, wenn man es so will." Yu hielt ihre Antwort so allgemein wie möglich. Das, was sie sagte, war zwar nicht falsch, doch wie um alles in der Welt sollte sie Nemuri beibringen, dass deren Spiegelbild das Schlachtfeld nicht lebend verlassen hatte? Allein bei dem Gedanken daran schnürte sich ihr die Kehle zu und obwohl die Nemuris beider Welten sich nicht kannten, konnte sie sich doch vorstellen, dass das eine Aussage war, welche die Lehrerin mit Sicherheit nicht allzu gerne hören würde. Kurz schweiften ihre Gedanken ab, zu dem Vorfall von heute. Wenn es in dieser Welt keine Quirks gab, sollte es hier dann nicht normalerweise sicher sein? Eigentlich schon, doch das Nemuri heute von einem seltsamen Monster angegriffen und gejagt worden war, sprach eindeutig dagegen. Was auch immer das für ein Wesen gewesen war, es hatte ganz eindeutig keine guten Absichten gehabt, das war ihr auch klar, ohne das Vieh selbst gesehen zu haben. Die Blondine blickte zu der Älteren hoch und fasste noch in diesem Moment einen Entschluss. Die Nemuri aus ihrer eigenen Welt hatte sie nicht retten können, sie hatte ihrer Meinung nach komplett versagt, aber das bedeutete nicht, dass ihr dies ein zweites Mal passieren würde. "Hey, wegen dieser Gestalt, die dich vorhin angegriffen hat: wenn dieses Vieh so dumm ist und sich noch einmal hier blicken lässt, dann trete ich es gehörig in den Hintern, das verspreche ich dir. Ich passe auf dich auf, okay?", wechselte Yu das Thema und sprach das aus, was sie dachte, wobei ihre Stimme wieder so selbstbewusst klang, wie man es von ihr gewohnt war. Nemuri blinzelte sie überrascht über den abrupten Themenwechsel und diese Aussage an. Die Kleine wollte sie beschützen? Das jemand das so entschieden feststelle, war ihr dann auch noch nicht passiert. Irgendwie machte es Yu verdammt niedlich, wie sie ihr das so voller Überzeugung versicherte und dabei entschlossen zu ihr hoch sah. Keine Spur mehr von der Panikattacke eben. Der plötzliche Themenwechsel war jedoch irritierend. "Hey, wie kommst du denn jetzt plötzlich darauf, Kleine? Haben wir nicht eben noch über etwas vollkommen anderes gesprochen? Kapitel 5: ----------- Noch ehe Yu ihr antworten konnte, war es urplötzlich vorbei mit dem relativen Frieden. Violette Blitze zuckten am Himmel entlang, Vögel flogen in Panik aus dem Feld empor und ein seltsames Dröhnen war zu hören. Dann fing von jetzt auf gleich die Erde zu beben an, so stark, dass es die beiden Frauen beinahe von den Füßen gerissen hätte. "W-was zum?!" Beide waren sie gleichzeitig auf die Idee gekommen, dass es das Beste wäre, sich an dem Smart festzuhalten, vor welchem sie standen. Durch das heftige Erdbeben, stürzten einige Bäume im Baumschulwäldchen, welches direkt an den Parkplatz angrenzte, um. Das Dröhnen wurde lauter, dann riss der Boden auf dem Feld auf. Nemuri und Yu konnten nur ungläubig dabei zusehen, wie sich von jetzt auf gleich eine tiefe Furche durch den Acker zog und sich stetig weiter durch den Feldboden fraß. Am Himmel zogen derweil dunkle Wolken auf, so schnell, dass man ihnen quasi dabei zusehen konnte. Regen prasselte in Strömen vom Himmel herab und durchweichte die Umgebung binnen Sekunden. Erneut zuckten unnatürlich violette Blitze am Himmel entlang, wobei die meisten davon über den Feldern ganz in der Nähe zu bestaunen waren. Nur wenige Blitze zeigten sich hingegen am Himmel über der Stadt. Das Erdbeben riss die Furche im Acker bis fast zur Landstraße auf, ehe der Boden sich genauso schnell wieder beruhigte, wie eben noch die Hölle losgebrochen war. Das Gewitter wütete zwar in unveränderter Stärke, doch zumindest die Erde bebte nun nicht mehr. Die beiden Frauen tauschten fassungslose Blicke aus. Nur langsam ließ Yu den Smart wieder los. Das...das war doch kein normales Erdbeben gewesen! Nicht in Begleitung dieser seltsamen Blitze. "Was war denn das plötzlich?! Das ist doch nicht normal!" Nemuri blickte ihre Begleiterin an und wirkte dabei fast so, als wartete sie darauf, das Yu ihr bestätigte, dass sie sich das Erdbeben nicht eingebildet hatte. "Vorbei ist es noch nicht. Du kannst mir nicht erzählen, dass ein solches Gewitter und vor allen Dingen violette Blitze hier zur Normalität gehören, oder?" Auch die Profiheldin wirkte erschrocken. "Quatsch, für diese Blitze habe ich absolut keine Erklärung." Ein Erdbeben wie aus dem Nichts, Blitze in einer so merkwürdigen Färbung und dann noch die Tatsache, dass das Naturphänomen sich besonders auf das Feld konzentriert hatte, in dessen Nähe sie sich gerade befanden. Konnte das wirklich Zufall sein? Yu hatte da so ihre Zweifel. Gerade wünschte sie sich ihre Teamkameraden her. Edge Shot und Kamui Woods waren sehr erfahrene Helden und hätten hierfür vielleicht eine logische Erklärung gehabt. Wobei...die beiden waren zwar ebenfalls Profihelden, aber keine Wetterfeen. Das ihre Teamkameraden sich die Vorkommnisse erklären konnten, war nicht gesagt. Als der Schrecken über das spontane Erdbeben langsam wich, schaltete die Blondine ganz automatisch wieder in den Heldenmodus. Dies war immerhin der Beruf, den sie erlernt hatte. "Denkst du, das Erdbeben hat die Stadt verwüstet?", überlegte Yu. Als Profi wusste sie recht gut, wie man als Held mit Katastrophensituationen umzugehen hatte, auch wenn die Rettung von Zivilisten aus Katastrophengebieten aufgrund ihrer Quirk nicht gerade zu ihren Stärken zählte. "Ich weiß es nicht, aber so heftig wie es war, kann ich es mir schon vorstellen." Auch die Lehrerin hatte sich bereits wieder gefangen und wirkte nun eher ernst und überlegt. Nemuri wusste nicht, woher diese plötzliche Eingebung plötzlich kam, aber auch sie hatte in den Krisenmodus geschaltet, fast so, als wäre es nicht das erste Mal, dass sie befürchten musste, sich mit einer solchen Situation konfrontiert zu sehen. "Dann müssen wir zurück und sehen, ob die Leute Hilfe brauchen.", verfügte die Blondine. "Da spricht ganz der Profi, was?", erkundigte Nemuri sich mit einem schiefen Schmunzeln auf den Lippen, als die Kleinere sie entschieden in Richtung Auto schob. Normalerweise würde sie es nicht zulassen, sich von anderen Personen durch die Gegend schieben zu lassen, aber Yus spontanes Handeln war so knuffig, dass sie sich nicht daran störte. "Solche Wetterphänomene sind bei uns auch nicht gerade alltäglich, falls du das meinst, aber wir können jetzt schlecht so tun, als wäre nichts passiert." "Damit hast du wohl recht. Los, steig ein, wir fahren zurück.", wies Nemuri die Jüngere schließlich an. Sie mussten zurück in die Stadt und sehen, ob Personen bei dem Erdbeben verschüttet oder verletzt worden waren. Wieder hatte Nemuri das seltsame Gefühl, das sie mit einer gewissen Routine handelte, als sie sich gedanklich darauf einstellte, in der Stadt nach dem Rechten zu sehen und schließlich den Motor des kleinen Autos startete. Wenige Augenblicke später, saßen die beiden Frauen wieder im Smart, umfuhren den Riss im Boden großzügig und steuerten schließlich zurück in Richtung der Stadt, um sich einen Überblick über die Lage dort zu verschaffen. Der Himmel wurde weiterhin von violetten Blitzen erleuchtet, während Regenmassen, wie man sie nur selten sah, auf die Umgebung niederprasselten. Während Nemuri die Scheibenwischer auf die höchste Stufe gestellt hatte und angestrengt versuchte, trotz des starken Regens die Fahrbahn zu erkennen, spielte Yu mit einer nassen blonden Strähne. Der plötzliche Regen hatte auch Nemuri und sie vollkommen durchweicht, bevor sie ins Auto gestiegen waren. Nicht unbedingt erfreut stellte die Profiheldin fest, dass ihr Heldenkostüm wie eine zweite Haut an ihr klebte und sich dabei nass und eklig anfühlte. Sie fröstelte und schaltete die Heizung des Smarts ein. "Mal ganz abgesehen von der Farbe der Blitze, für heute war kein Gewitter angesagt. Ich frage mich, was so plötzlich los ist." Die Dunkelhaarige lenkte den Smart auf schnellstem Weg zurück in Richtung Stadt. "Und eine Erdbebenwarnung wurde auch nicht herausgegeben." "Die Blitze, das Erdbeben, dann noch diese Gestalt, die dich heute angegriffen hat, irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.", fasste Yu die aktuelle Lage zusammen. Auch sie hatte keine Erklärung für all diese seltsamen Ereignisse. "Hey, pass auf, ich glaube da vorne steht die Landstraße zum Teil unter Wasser, Nemuri." Glücklicherweise stand das Wasser nicht so hoch, als das es die Straße unpassierbar gemacht hätte. Nemuri lenkte den Wagen vorsichtig durch die überflutete Stelle auf der Straße, dann konnte die Fahrt wieder deutlich schneller fortgesetzt werden. Je näher sie der Stadt kamen, desto mehr beruhigte sich das Gewitter wieder, ähnlich plötzlich wie es begonnen hatte. Erste Häuser kamen in Sicht, doch zumindest an diesen waren keine Schäden zu entdecken. "Ich hoffe, dass die gesamte Stadt noch einigermaßen glimpflich davongekommen ist." Die Blondine blickte aus dem Fenster und musterte die Häuser und Straßen, an welchen sie vorbeifuhren. Wenn der Stadtrand scheinbar glimpflich davongekommen war, bestand die Hoffnung, dass es in der Innenstadt ähnlich aussah. Die Sirenen von Polizei und Feuerwehr waren seltsamerweise nirgends zu hören, der Strom funktionierte noch und glücklicherweise konnte sie nirgendwo aufsteigende Rauchsäulen entdecken. Nun, wo der Regen langsam nachließ, wagten sich auch wieder mehr und mehr Menschen aus ihren Häusern. Niemand wirkte sonderlich verstört oder alarmiert. Die Menschen liefen in aller Seelenruhe über die Straße und gingen ihrem Alltag nach, als wenn nichts gewesen wäre. Nur hier und da trug jemand einen Regenschirm mit sich herum. Zwar hoffte auch Nemuri, dass das Erdbeben keine allzu großen Schäden angerichtet hatte, doch die Stadt so unversehrt vorzufinden und die hier lebenden Menschen so unbekümmert anzutreffen, gab ihr dann doch ein wenig zu denken. Auf dem Feld eben, war das Beben immerhin noch so stark gewesen, dass es Yu und sie beinahe von den Füßen gerissen hätte, mal ganz abgesehen von dem Riss im Feld, der sich durch das Beben aufgetan hatte. Schließlich lenkte sie den Smart zu einer Bushaltestelle, an welcher einige Menschen auf den nächsten Bus warteten. Die Lehrerin kurbelte das Fenster herunter und wandte sich direkt an die Wartenden, erschienen ihr die Menschen in der Stadt doch so entspannt, dass es ihr nach einem solchen Erdbeben fast schon unwirklich vorkam. "Hallo!", begrüßte sie die kleine Gruppe, welche an der Haltestelle stand und auf den Bus wartete. "Haben Sie das Erdbeben eben mitbekommen? Denken Sie, dass man mit dem Auto problemlos durch die Stadt kommt?" Die wartenden Personen tauschten Blicke aus, dann ergriff eine alte Frau, welche auf einen Stock gestützt ging, das Wort. "Mitbekommen haben wir es alle schon, aber ich glaube nicht, dass das Erdbeben wirklich irgendetwas beschädigt haben könnte. Der Boden hat immerhin nur so kurz und so leicht gebebt, dass es bestimmt noch nicht einmal das Geschirr in den Schränken durcheinander gebracht hat." Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, als wollte sie sagen 'alles halb so wild'. Die beiden Frauen im Auto tauschten einen irritierten Blick aus. Das Erdbeben eben war ziemlich heftig gewesen und nicht so harmlos, wie die alte Frau es jetzt beschrieb, doch von den anderen Anwesenden widersprach ihr niemand. Sie alle wirkten entspannt und unbekümmert. "Keine Sorge, die Straßen sind bestimmt nicht gesperrt worden. Sie können ganz normal weiterfahren.", erklärte die Alte noch einmal. Nemuri verabschiedete sich und lenkte den Wagen schließlich wieder weg von der Bushaltestelle. Sie fuhren durch das ganze Viertel, sahen sich um und sprachen aus dem Auto heraus hier und da Passanten an, doch immer mit dem gleichen Ergebnis. Zwar hatten alle Befragten das Erdbeben mitbekommen, doch musste das Beben hier in der Stadt so schwach gewesen sein, dass niemand ernsthaft besorgt war. Auch Gebäudeschäden waren ganz offensichtlich ausgeblieben. "Ich bin ja froh, dass innerhalb der Stadt nicht wirklich etwas passiert ist, aber wie kann das sein?", wunderte Yu sich. "Ich weiß es nicht, wirklich. Wir hätten bei dem Beben gerade beinahe den Boden geküsst und im Acker hat sich sogar eine Erdspalte aufgetan, aber hier ist rein gar nichts passiert." Beide Frauen grübelten und schwiegen für einen Moment. Inzwischen hatte es fast schon wieder aufgehört zu regnen. Die Blitze waren zu einem Wetterleuchten geworden, seltsamerweise nun jedoch nicht mehr länger über dem Feld, sondern gefühlt fast jedes Mal über dem Fahrzeug. "Ist dir aufgefallen, dass die Blitze immer fast direkt über uns sind und die restliche Stadt nicht wirklich betroffen ist?" Fragend blickte die Jüngere ihre Begleiterin an. Yu hatte das Gefühl, als würden die Lichtblitze nicht zufällig am Himmel entlangzucken, sondern ihnen folgen, als wären sie magnetisch. Das konnte doch nicht normal sein! Aber was hatte es damit auf sich? Auf die Fähigkeiten von irgendeinem Schurken konnte sie dieses Phänomen zumindest nicht schieben, gab es in dieser Welt außer Nemuri und ihr höchst wahrscheinlich niemanden mit einer Quirk. "Ja, das habe ich auch schon bemerkt. Heute Nachmittag, als diese seltsame Gestalt aufgetaucht ist, hat das Wetter sich auch urplötzlich verändert und das gefühlt nur über dem Viertel, in dem ich mich gerade aufgehalten habe.", bestätigte Nemuri. Auch ihr kam diese Tatsache inzwischen mehr als komisch vor, doch eine logische Erklärung dafür hatte sie nicht. Lediglich ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass das alles unmöglich Zufall sein konnte. "Glaubst du das könnte irgendetwas mit dieser ganzen Parallelweltgeschichte zu tun haben?", rätselte Yu. Es gefiel ihr nicht weiter darüber nachzudenken, doch eine andere Erklärung hatte sie auf die Schnelle auch nicht. Die Ältere zuckte leicht mit den Schultern. "Ich weiß es nicht, aber vermutlich werden wir es bald herausfinden." Auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie den Grund für die Blitze wirklich herausfinden wollte. Da war es plötzlich, dieses ungute Gefühl, welches an ihren Eingeweiden zu nagen schien. Nachdem sie sich sicher sein konnten, das in der Stadt niemand zu Schaden gekommen war, lenkte Nemuri den Smart schließlich in eine Parktasche, schnallte sich ab und stieg aus. Die Blondine tat es ihr gleich. Yu musterte ihre Umgebung und kam zu dem Schluss, dass ihr diese Straße durchaus bekannt vorkam. Wohnte die Lehrerin nicht hier irgendwo ganz in der Nähe? "Jetzt steh da nicht blöd rum, komm mit.", riss die Dunkelhaarige sie aus den Gedanken. In der Tat führte ihr Weg die beiden Frauen bis zu dem Haus, in welchem auch die Wohnung der Älteren sich befand. Die Lehrerin begann in ihrer Handtasche nach dem Schlüsselbund zu kramen, wobei Yu sie beobachtete. "Da du aktuell nirgendwo hin kannst, kannst du erstmal bei mir unterkommen.", erklärte Nemuri ihrer Begleiterin. Es war nicht so, dass sie normalerweise dazu neigte, jeder verlorenen Seele ein Dach über dem Kopf anzubieten, doch diese Situation war vollkommen anders - Yu war vollkommen anders. Da war nicht nur die Tatsache, dass diese eigentlich Fremde ihr nach kurzer Zeit bereits so viel vertrauter vorkam, als es sich erklären ließ, sondern auch diese ganze Parallelweltgeschichte, die sie irgendwie verband. Für die Profiheldin schienen Quirks das normalste der Welt zu sein, während es für die Lehrerin arg gewöhnungsbedürftig war, von einem Tag auf den anderen plötzlich über eine so sonderbare Fähigkeit zu verfügen. Bis vorgestern noch hatte Nemuri sich nicht den Kopf über Helden, Schurken, und Quirks zerbrochen. All das hatte für sie lediglich in Filme, aber nicht in die Realität gehört. Und dann war da noch die Tatsache, dass die seltsamen Wetterphänomene die beiden Frauen scheinbar zu verfolgen schienen. Irgendetwas sagte ihr, dass es das Beste wäre, wenn sie erst einmal zusammenblieben und sie die Blondine mit in ihrer Wohnung einquartierte. Nemuri zog eine Augenbraue hoch, als die Jüngere überraschend zögerlich einen Schritt in den Hausflur tat, dann jedoch stehen blieb und erst ihre Gastgeberin, dann die noch offen stehende Tür musterte. So kurz, wie Nemuri die Andere auch erst kannte, so war sie sich dennoch bewusst, dass das gerade ein ziemlich untypisches Verhalten für Yu war. "Stimmt was nicht?" Yu zögerte einen Moment und fühlte sich allem Anschein nach nicht ganz wohl in ihrer Haut, ehe sie schließlich das Wort ergriff. "Dein Angebot ist wirklich nett, allerdings weiß ich nicht, ob ich es wirklich annehmen sollte." Der Blick der Lehrerin wurde fragender. So kannte sie Yu ganz eindeutig nicht. Sie hatte in der kurzen Zeit bereits festgestellt, dass Yu eigentlich sofort zugriff, wenn es irgendwo etwas umsonst gab. Das Angebot eines kostenlosen Übernachtungsplatzes auszuschlagen, sah ihr folglich ganz und gar nicht ähnlich. "Die Sache ist die, dass du mich gestern schon nicht ohne Hintergedanken mit nach Hause genommen hast. Ich weiß, das alles was dann passiert ist, hauptsächlich ein Missverständnis war, aber eine Wiederholung davon brauche ich nicht.", rückte die Blondine schließlich mit der Sprache heraus. Es hatte ihr ganz eindeutig nicht gefallen, gestern so überrumpelt zu werden. Sie wollte sichergehen, dass es diesmal wirklich nur Gastfreundschaft seitens der Älteren war und nichts anderes. Für einen Moment starrte Nemuri Yu nur schweigend und fast schon ungläubig an, dann fing sie an zu lachen. "Dummkopf! Für wen hältst du mich eigentlich? Ich hab die Situation gestern ganz einfach falsch interpretiert. Das du dich erstmal bei mir einquartieren kannst, habe ich dir angeboten, weil ich dich bei dem Wetter und den Temperaturen ungern auf der Straße wissen möchte. Keine Angst, ich werd dich schon nicht fressen." Kurz musterte Yu ihr Gegenüber noch skeptisch. Sie wollte sie also nicht fressen? Das klang fast schon wie beim bösen Wolf und dem Rotkäppchen - im übertragenen Sinne natürlich. Irgendwie amüsierte der Vergleich sie fast schon und das plötzlich wieder aufgekommene, schlechte Gefühl begann zu schwinden. "Wenn das so ist, sage ich zu einem kostenlosen Schlafplatz natürlich nicht nein. Aber hey, wehe du schaltest mich nochmal so ohne jede Vorwarnung mit deiner Quirk aus!" Die Blondine schmollte, was die Ältere ziemlich niedlich fand. "Absichtlich nicht. Wenn es doch passiert, dann liegt es daran, dass ich keine Ahnung habe, wie ich diese Fähigkeit nun einsetze oder steuere.", versicherte Nemuri ihr mit einem amüsierten Grinsen. Die beiden Frauen liefen die Treppen hinauf und betraten schließlich die Wohnung. Nachdem sie eben noch durch den Regen vollkommen durchweicht worden waren, tat es gut, das beheizte Appartement zu betreten. Yu streckte sich und genoss es der herbstlichen Kälte vorerst entkommen zu sein. Zwar hatte sie die Wohnung der Lehrerin nun bereits das zweite Mal betreten, gestern Abend und heute Morgen war sie jedoch noch nicht dazu gekommen, sich wirklich umzusehen. Folglich ließ sie nun den Blick durch das Zimmer schweifen. Eins musste sie Nemuri lassen, die Ältere hatte den Raum wirklich hübsch eingerichtet. Die warmen Farben und die Accessoires, von denen es hier weder zu viel noch zu wenig gab, gaben der Wohnung etwas Gemütliches. Die Blondine wandte sich wieder der Wohnungsbesitzerin zu, welche soeben ihre Handtasche auf einem kleinen Schränkchen abgestellt hatte. Es gab noch so viele Dinge, über die sie reden mussten, doch das konnte auch noch ein Weilchen warten. "Kannst du mir was zum Anziehen leihen? Meine Sachen sind vom Regen noch ganz nass.", erkundigte Yu sich ganz direkt bei Nemuri. Wozu auch lange um den heißen Brei herumreden? Sie benötigte aktuell eindeutig trockene Klamotten, weshalb sie darauf hoffte, sich am Kleiderschrank der Lehrerin bedienen zu dürfen. Ehe sie antwortete, musterte Nemuri ihren Gast von Kopf bis Fuß vielsagend, bis Yu der Blick fast schon unangenehm wurde. Schließlich stahl sich ein belustigtes Grinsen auf die Lippen der Größeren. "Ich bin mir nicht sicher, ob meine Klamotten einem Zwerg wie dir passen, aber solange du hier in der Wohnung bist, sollte sich schon etwas finden." "Nenn mich nicht ständig Zwerg!", empörte die Blondine sich. Sie beobachtete, wie Nemuri einen Schrank öffnete, einige Kleiderbügel von links nach rechts schob und Yu hin und wieder prüfend musterte. Schließlich zog Nemuri ein schwarzes Kleid aus bequemem Stoff aus dem Schrank und reichte es ihrem Gast. "Hier, versuch mal ob das passt." "Danke, das wird es für den Abend schon tun." Yu nahm ihr den Kleiderbügel ab. "Du glaubst nicht wie froh ich bin, endlich aus meinem Heldenkostüm herauszukommen." Um sich umzuziehen, tappte die Blondine vom Wohnzimmer aus ins Bad und zog die Tür hinter sich zu. Yu war von Natur aus sehr selbstbewusst bis dreist, weshalb sie auch in Wohnungen anderer Leute nicht fremdelte. Sie fragte gar nicht erst, sondern beschloss ganz einfach direkt, unter die Dusche zu springen, nachdem sie sich aus ihrem Heldenkostüm geschält hatte. Das sie eine Waschmaschine im Bad der Lehrerin entdeckte, war ihrer Meinung nach eine glückliche Fügung des Schicksals. Ihre eigene Kleidung wurde ganz einfach in die Waschmaschine verfrachtet, das Waschprogramm wurde gestartet und ihr Ersatzoutfit am Kleiderbügel von innen an die Tür gehängt. Schließlich stieg Yu unter die Dusche und genoss das angenehm warme Wasser, welches auf sie herabprasselte. Endlich duschen zu können war nach all dem Chaos, in welches sie so unverhofft geraten war, eine wahre Wohltat. Während sie duschte, dachte sie über ihre aktuelle Situation nach. Vermutlich stimmte es, dass sie irgendwie in einer Art Parallelwelt gelandet war. Wie das möglich sein konnte, war ihr noch nicht so ganz klar, doch sie hoffte, dass sich dies bald klären würde, genauso wie sie hoffte, dass sich bald die Chance ergeben würde den Rückweg anzutreten. Sie vermisste die Welt die sie kannte, genauso wie sie ihre Freunde und Bekannten vermisste. Natürlich wollte sie schnellstmöglich wieder zurück! Ob man sich Zuhause ihr Verschwinden erklären konnte? Ob man sich Sorgen um sie machte? Auf ihr Team traf das sicherlich zu. Yu seufzte. Wie gerne sie den anderen erklärt hätte, was genau passiert war und wo sie hier war. Aber das würde wohl warten müssen, bis sich eine Möglichkeit ergeben hatte, wieder zurückzureisen. Wenn sich diese Möglichkeit denn jemals ergeben sollte. Parallelwelten waren nicht unbedingt etwas Alltägliches. Doch so gerne sie auch wieder zurück wollte, da gab es eine Sache, die sie zögern ließ, fast wie ein bitterer Beigeschmack, der unmöglich auszublenden war. Wenn sie wieder zurück in 'ihrer Welt' wäre, würde das auch bedeuten, dass sie Nemuri hier zurücklassen müsste. Dabei hatte sie sie doch gerade erst wiedergefunden. Na gut, eigentlich hatte sie nicht die Lehrerin wiedergefunden, die sie kannte. Ihre Freundin war tot - bei dieser schrecklichen Schlacht gegen die Schurken ums Leben gekommen. Allein bei dem Gedanken daran schnürte sich der Profiheldin erneut die Kehle zu. Die Nemuri, die sie hier getroffen hatte, war so etwas wie ein Spiegelbild ihrer Nemuri. Sie waren sich so unglaublich ähnlich... und doch handelte es sich um zwei verschiedene Personen. Für Yu war das nur schwer zu ertragen. Doch so hart es für die Blondine auch war, sie war trotz allem froh ihre Zeit in dieser Welt nun hier bei Nemuris 'Spiegelbild' verbringen zu können. Es fühlte sich an, als hätte sie sie wiedergefunden und gleichzeitig auch wieder nicht. Die Nähe der Älteren tat ihr gut und war gleichzeitig Gift, wenn man es denn so wollte. Aber sie hatte ihr vorhin auch versprochen, dass sie sie beschützen würde und das war nicht einfach so dahergeredet. Yu meinte was sie sagte. Sie hatte schon einmal nichts für die Lehrerin ihrer Welt tun können, dies würde ihr nun sicher kein zweites Mal passieren. Doch Nemuri zu beschützen bedeutete gleichzeitig auch, nicht in ihre Welt zurückkehren zu können, sollte sich jemals die Gelegenheit dazu ergeben. Yu ließ sich das Wasser der Duschbrause ins Gesicht regnen. Was genau sollte sie tun? Die Wohnungsbesitzerin selbst war es, die sie aus ihren Gedanken riss. "Hey, sag mal, läuft die Waschmaschine?" Nemuri hatte die Tür geöffnet und blickte nun fragend ins Bad. Die Jüngere sah hinter dem Duschvorhang vor und nickte, als wäre dies das normalste der Welt. "Ja, tut sie, wie du siehst." "Schön, dass du dich so schnell heimisch fühlst, aber wie wäre es, wenn du erstmal fragst, bevor du einfach die Waschmaschine startest?!", blaffte die Lehrerin gereizt. Yu zuckte lediglich unbeeindruckt mit den Schultern. "Keine Sorge, ich habe die gleiche Waschmaschine Zuhause, ich weiß wie man sie bedient." "Darum geht es doch gar nicht!" "Aber meine Klamotten mussten gewaschen werden. Hätte ich sie auf der Hand waschen sollen?!" "Du dreistes Gör machst mich echt wahnsinnig...!", murrte die Wohnungsbesitzerin halb verärgert, halb resigniert. Einerseits regte sie sich über Yus Dreistigkeit auf, andererseits war ihr auch klar, dass es rein gar nichts bringen würde, das jetzt auszudiskutieren. Und erneut hatte Nemuri das Gefühl, dass sie Yu viel besser kannte, als es nach der kurzen Zeit erklärbar war. Wie kam das nur? Hätte eine andere Person sich auch nur annähernd dreist verhalten wie Yu, sie wäre ganz sicher wütender geworden. Bei der Blondine hingegen resignierte sie eher. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf. Gut, die Kleine kam aus einer Parallelwelt, was schon ziemlich verrückt war, aber war das wirklich der Grund, der sie so aus der Bahn warf? "Beeil dich gefälligst, ich will auch noch duschen.", stellte die Lehrerin schließlich klar, ließ sich ihre Grübeleien nicht anmerken und zog die Tür wieder zu. Nachdem die Profiheldin geduscht und sich umgezogen hatte, gesellte sie sich zurück ins Wohnzimmer, ein Handtuch noch auf den Schultern. "Ich gehe jetzt auch duschen. Traust du dir zu den Ofen so lange im Auge zu behalten?", erkundigte Nemuri sich. "Hey, ich bin doch nicht bescheuert!", maulte Yu. Als die Ältere im Bad verschwunden war, riskierte die Heldin einen kurzen Blick in den Ofen und entdeckte zu ihrer Freude eine Pizza darin. Zwar eine Fertigpizza, aber was das betraf, war sie nicht sonderlich wählerisch. Ganz generell war sie ein Fan von Junkfood, auch wenn diese Ernährung vielleicht nicht die Gesündeste war. Noch brauchte das Tiefkühlprodukt allerdings ein Weilchen. Die junge Frau machte es sich auf dem Sofa gemütlich. Da Nemuri zuvor den Fernseher eingeschaltet hatte, Yu die Fernbedienung so schnell nicht finden konnte und zu faul war nun wirklich danach zu suchen, sah sie sich eben die Nachrichten an. Vielleicht war das auch nicht das Schlechteste um einen besseren Eindruck von dieser Parallelwelt gewinnen zu können. Wie sie feststellte, hatte sie keinen der Politiker, welche erwähnt wurden, je gesehen. Zwar kannte die Heldin nicht wirklich viele Politiker, da sie sich für Politik und Wirtschaft im Allgemeinen nur sehr begrenzt interessierte, doch die Gesichter im Fernsehen waren ihr allesamt vollkommen fremd. Auch die aktuellen Probleme in dieser Welt waren gänzlich andere als die, mit denen sie sich in ihrer Heimat herumschlagen musste. Es war wirklich verrückt. Diese Orte waren sich einerseits so ähnlich und andererseits doch so fremd. Unweigerlich fiel ihr Blick in Richtung Badezimmertür. Nicht nur die Welten an sich waren verschieden, wobei es ihr bei der Wohnungsbesitzerin noch schwerer fiel, dies zu akzeptieren. Diese Nemuri war ihrem Spiegelbild aus der Parallelwelt so ähnlich, dass es fast unmöglich war einen Unterschied festzustellen, bloß dass die Lehrerin aus dieser Welt keine Profiheldin war und mit ihrer Quirk nicht umgehen konnte. Aber ansonsten? Die beiden waren sich so ähnlich, wie konnte es sich da um zwei unterschiedliche Personen handeln? Kaum dachte Yu an sie, öffnete die Badezimmertür sich und die Ältere betrat das Wohnzimmer. Nemuri trug ein rosanes, bequem wirkendes Oberteil, bei dem es sich entweder um einen zu langen Pullover, oder ein zu kurzes Kleid handelte. Die langen, dunklen Haare hatte sie zu einem unordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden. Hier in der Wohnung trug Nemuri ihre Brille, vermutlich um den Fernseher richtig erkennen zu können. Wie die Profiheldin feststellte, handelte es sich sogar um die gleiche Brille, wie die Nemuri ihrer Welt sie in ihrer Freizeit getragen hatte. Beim Anblick der Lehrerin machte sich ein vertrautes, warmes Gefühl in Yus Magengegend breit. Sie musste an die Zeit vor dem großen Kampf zurückdenken, als alles noch in Ordnung gewesen war. Damals, nachdem sie endlich aufgehört hatten sich ständig zu streiten, hatten die beiden Frauen erst angefangen sich öfter in der Stadt zum Shoppen zu treffen, dann hatten sie sogar begonnen miteinander auszugehen. Die Blondine hatte jeden Moment dieser Zeit genossen. So ähnlich, wie die Lehrerin und deren Spiegelbild sich waren, war das vertraute Gefühl nie verschwunden. Wenn sie sie ansah, empfand Yu fast die gleiche Zuneigung für sie, wie drüben in ihrer Welt. Es wäre so leicht, an all das, was vor dem Krieg gerade angefangen hatte, in dieser Zeit anzuknüpfen. Ja, vielleicht wäre das sogar möglich. Das die Dunkelhaarige ihr gegenüber alles andere als abgeneigt war, hatte sie ihr immerhin gestern schon bewiesen, auch wenn das Interesse eher körperlicher Natur gewesen war. Aber so ähnlich, wie diese Nemuri ihrem Spiegelbild aus ihrer Welt auch charakterlich war, war Yu sich fast schon sicher, dass sie zueinander passen würden, wenn sie dem ganzen eine Chance gaben. Zwar verbunden mit dem ein oder anderen Streit, oder der ein oder anderen Zickerei, aber war das wirklich etwas neues? Schließlich erschrak Yu über ihre eigenen Überlegungen. Was dachte sie da eigentlich?! In Gedanken schalt sie sich selbst heftig, über so etwas überhaupt nachzudenken und sei es auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. //Die Frau die du geliebt hast ist tot und ihr Spiegelbild aus dieser Welt ist kein Ersatz!//, rief sie sich in Gedanken nur noch einmal deutlich in Erinnerung. "Hey, Erde an Yu. Du starrst ja Löcher in die Luft. Worüber denkst du nach?", riss Nemuris Stimme sie aus den Gedanken. Die Ältere war kurz vor der Küchenecke stehen geblieben und blickte sie an. Yu blinzelte und fühlte sich schuldig, was sie sich nicht anmerken zu lassen versuchte. "Ich habe mir gerade die Nachrichten angesehen. Vermutlich hat es mich aus der Bahn geworfen, dass unsere Welten sich so ähneln und doch so verschieden sein können.", wich sie rasch aus, denn unmöglich konnte sie der Dunkelhaarigen ihre eigentlichen Gedankengänge verraten, wegen denen sie quasi sofort ein schlechtes Gewissen bekommen hatte. Fragend zog Nemuri eine Augenbraue hoch und grinste. "Und deshalb siehst du mich an wie ein Hündchen, dass ganz genau weiß, dass es etwas ausgefressen hat?", zog sie sie auf. "Ja wohl kaum. Also sag schon, was hast du angestellt?" Einerseits fühlte Yu sich ertappt, das man ihr ihr schlechtes Gewissen scheinbar an der Nasenspitze ansehen konnte, doch würde sie mit Nemuri ganz bestimmt nicht über ihre vorherigen Gedanken sprechen und mal ganz davon abgesehen, gefiel ihr der Vergleich, den die Ältere da eben angestellt hatte, ganz und gar nicht. "Hey! Gar nichts habe ich angestellt! Und vergleich mich nicht mit einem Hund!", empörte sie sich. "Dann lieber mit meinen Schülern? Die sehen auch so aus, wenn sie ihre Hausaufgaben vergessen haben.", schlug Nemuri amüsiert vor. "Kauf dir ne andere Brille, deine Sehstärke scheint im Alter abgenommen zu haben!", konterte Yu, meinte ihre Worte jedoch mehr neckend, als das sie wirklich verärgert war. Rasch griff sie nach einem der Sofakissen und warf es der Lehrerin entgegen. In der Küchenecke schnitt die Wohnungsbesitzerin die Pizza in Stücke, ehe sie mit dem Teller und zwei Gläsern zurück in den Wohnbereich des Appartements lief und alles auf dem Wohnzimmertisch abstellte. Yu erwartete sie bereits und musterte das heutige Abendessen mit leuchtenden Augen. "Das riecht herrlich. Mit Pizza kann man eigentlich gar nichts falsch machen.", freute sie sich. "Ach, findest du?", hakte Nemuri nach und setzte sich neben die Blondine aufs Sofa. "Normalerweise kommt ungesundes Fertigfutter mir nicht auf den Tisch, aber nach dem Tag heute hatte ich keine Lust mehr noch etwas zu kochen." Mal ganz davon abgesehen, dass sie nicht dazu gekommen war einzukaufen. "Manche Dinge ändern sich nie.", grinste Yu. "Das du auch in dieser Welt lieber frisch kochst, wundert mich kein bisschen." Die Lehrerin horchte auf. Also bevorzugte ihr Spiegelbild in der Parallelwelt auch frisches und gesundes Essen? Wenn sie sich so ähnlich waren, wie Yu sagte, dann war das allerdings auch nicht weiter verwunderlich. Auch wenn es sie nach wie vor mehr als irritierte, sich überhaupt vorzustellen, dass es irgendwo dort draußen eine Art Parallelwelt gab und es in dieser eine Doppelgängerin von ihr zu geben schien. Die Profiheldin hatte währenddessen nach einem Stück Pizza gegriffen. Sie biss davon ab und schloss einen Moment genießerisch die Augen. "So gut!", stellte sie noch mit vollem Mund fest. "Aber ein wenig zusätzlicher Käse hätte auch nicht geschadet.", fügte sie hinzu, nachdem sie den Bissen heruntergeschluckt hatte. Nemuri blickte ihren Gast mit hochgezogener Augenbraue an. "Du meinst, damit das eh schon ungesunde Abendessen noch ungesünder wird?" Yu zuckte lediglich unbeeindruckt mit den Schultern. "Ist doch egal. Ich kann essen was ich will und nehme nicht zu." Inzwischen hatte die Blondine das erste Pizzastück fast vertilgt. "Das ist außerdem das erste warme Essen, dass ich an diesem Ort zwischen die Zähne kriege." Schon hatte sie sich ein zweites Stück Pizza geschnappt, während Nemuri gerade mal nach dem für sie ersten Stück Pizza griff und langsam hineinbiss. Der letzte Satz der Jüngeren ließ sie für einen Moment stutzen. "Was hast du in den letzten Tagen überhaupt gegessen? Hattest du eigentlich Geld dabei?" Daraufhin zog Yu ein Gesicht. "Natürlich nicht. Ich wollte in meiner Welt immerhin gerade lediglich in der Stadt auf Patrouille gehen, nicht einkaufen.", murrte sie, ehe sich ihre Mimik ein wenig aufhellte. "Aber ich habe dem Bäcker hier am Marktplatz schöne Augen gemacht und mir belegte Brötchen und Teilchen schenken lassen." Nun war es an Nemuri ihren Gast ungläubig anzusehen. Das Yu dreist war, war ihr schon klar, aber das sie so schamlos zugab, sich Essen erschnorrt zu haben... "Das ist jetzt nicht dein Ernst.", hakte sie nach. "Doch, natürlich.", versicherte die Blondine ihr während des Essens vollkommen selbstverständlich. "Wie hätte ich denn sonst an was zu essen kommen sollen? Ist außerdem nicht so, als wenn ein paar verschenkte Backwaren eine so große Bäckerei umbringen würden." "Du bist wirklich ein dreistes Gör, weißt du das eigentlich?", zog die Lehrerin ihren Gast auf. "Quatsch, ich würde mich eher als Überlebenskünstlerin bezeichnen.", entgegnete Yu. Auf Nemuris Lippen stahl sich ein schiefes Schmunzeln. Diese Yu... Aber irgendwie kam die Kleine ihr schon wieder so wahnsinnig vertraut vor. Im ersten Moment hatte sie sich noch darüber gewundert, wie die Blondine so dreist in der Öffentlichkeit Essen schnorren konnte, nun hatte sie viel mehr das Gefühl, als sollte sie sich gar nicht darüber wundern. Fast, als wenn sie diese Angewohnheit der Jüngeren schon längst gekannt, aber irgendwie verdrängt und sich nun wieder daran erinnert hätte. Wirklich merkwürdig. Letztlich überließ Nemuri Yu den größten Anteil der Pizza, schien die Blondine doch wirklich Hunger zu haben. Nachdem sie gegessen hatten, blieben sie noch etwas auf dem Sofa sitzen und sahen fern. Die Lehrerin hatte den Arm auf die Sofalehne gelegt. Der Film, der gerade lief, war nicht schlecht, doch es fiel ihr schwer sich wirklich darauf zu konzentrieren. Wie durch Zufall ließ sie ihren Arm von der Sofalehne und auf Yus Schultern rutschen. Die Kleinere blinzelte kurz, schien sich jedoch nicht wirklich daran zu stören und verfolgte stattdessen lieber die Komödie, die gerade lief. Für Nemuri selbst hingegen rückte der Film in immer weitere Ferne. Ihre Gedanken kreisten eher um Yu, die entspannt neben ihr auf dem Sofa saß. Aus dem Augenwinkel musterte sie die Gesichtszüge der Jüngeren. Die Blondine war niedlich und schön zugleich, während ihre ungewöhnlich rötlichen Augen eine starke Ausstrahlungskraft besaßen und ihre Emotionen zumeist offenlegten, wie ein geöffnetes Buch. Kurz blieb Nemuris Blick an der kleinen Narbe über Yus Auge hängen. Die Heldin hatte ihr vorhin noch erzählt, das besagte Narbe ein Andenken aus der Schlacht war, in der sie gekämpft hatte. Sie fiel kaum auf und zumindest Nemuri störte sich nicht daran, dennoch hatte sie das Gefühl, dass die Narbe dem Gesicht der jungen Frau etwas Ernsteres verlieh. Ernster, als ihre Züge es zuvor gewesen waren, was zweifelsohne an der erlebten Schlacht liegen musste. Die Lehrerin stutzte über ihre eigenen Gedanken. Ernster als zuvor? Das war dann ja wohl nicht mehr als eine Vermutung, immerhin kannte sie die Kleine erst seit ein paar Tagen. Yu lehnte sich etwas mehr an die Seite der Dunkelhaarigen. Die Zweifel, die sie vorhin noch beim Betreten des Hausflurs gehabt hatte, musste sie inzwischen wohl abgelegt haben und es scheinbar ganz einfach gemütlich finden, so auf dem Sofa zu sitzen, befand Nemuri. Nicht, dass sie sich beschweren wollte. Der Lehrerin missfiel die Situation keinesfalls. Der Größenunterschied der beiden sorgte dafür, dass Yu praktisch perfekt in ihren Arm passte und dabei noch ganz bequem den Kopf an ihre Schulter lehnen konnte. Weiterhin verfolgte Yu den Film, ehe sie zum wiederholten Mal leicht die Stirn runzelte und schließlich zu Nemuri hochblickte. "Weißt du was seltsam ist?", erkundigte sie sich bei der Wohnungsbesitzerin, ließ dieser jedoch keine Zeit zu antworten, sondern rückte bereits mit der Erklärung heraus. "Ich kenne den Film aus meiner Welt. Die Handlung und sogar die Dialoge sind gleich, bloß die Schauspieler sind mir vollkommen fremd." Nachdem die beiden Frauen noch etwas ferngesehen und geredet hatten, siegte nach und nach die Müdigkeit. Da Nemuris Wecker am nächsten Morgen bereits wieder zeitig klingeln würde, beschlossen sie langsam schlafen zu gehen. Yu zögerte ein wenig, sich zu der Älteren in deren gemütliches Boxspringbett zu legen, doch auf einem Zweisitzer-Sofa konnte sie unmöglich schlafen. Nemuri, die das Zögern der Blondine durchaus bemerkt hatte, zog sie erneut damit auf, dass sie sie schon nicht fressen würde und das die Heldin auch auf dem Boden schlafen könnte, wenn ihr dies lieber wäre. Natürlich war es das nicht. Auch Yu wollte es möglichst bequem haben und das Missverständnis hatte sich inzwischen glücklicherweise längst geklärt. Doch obwohl das Bett gemütlich war, sie genügend Platz hatte und der Raum angenehm warm war, lag die Profiheldin dennoch lange wach. Ihre Gastgeberin war schon längst eingeschlafen, als Yu sich immer noch schlaflos hin und her wälzte. So viele Gedanken ließen sie einfach nicht los. Sie hatte Heimweh, anders konnte sie es nicht sagen. Yu vermisste ihre Teamkameraden, ihre Freunde und alle bekannten Gesichter. Auch der Alltag als Heldin fehlte ihr. Wie hatte sie nur hier, an diesem seltsamen Ort landen können, den man am ehesten wirklich noch als Parallelwelt bezeichnen konnte? Allein der Gedanke, dass so etwas möglich sein sollte, war auch für Yu weiterhin mehr als verwirrend. Niemals hätte sie sich träumen lassen, mal in so einer Situation zu landen. Ganz allein und ohne einen Heldenkollegen, mit dem sie sich zumindest beratschlagen könnte. Yu drehte sich auf die Seite. Ihr Blick fiel auf die schlafende Lehrerin, die in der Dunkelheit der Nacht nur als Silhouette zu erkennen war. Eine Weile lang lauschte sie der ruhigen, regelmäßigen Atmung der Älteren. Nemuris Anwesenheit führte ihr erneut vor Augen, wie sehr sie 'ihre' Nemuri doch vermisste. Warum konnte es sich bei den beiden nicht einfach um ein und dieselbe Person handeln? Das hätte vieles so viel einfacher gemacht. Doch das war ein Ding der Unmöglichkeit, das war auch der Profiheldin klar. Ihre Freundin war tot, sie würde sie nie wiedersehen. Ihr Spiegelwelt aus der Parallelwelt war ihr zwar unglaublich ähnlich, doch handelte es sich bei ihr eben nicht um ihre Nemuri. Obwohl sie ein Dach über den Kopf hatte und es ihr hätte schlechter gehen können, fühlte Yu sich unglaublich verloren und allein in dieser verdammten, seltsamen Welt. Ohne wirklich darüber nachzudenken, rückte sie näher an die Lehrerin heran, legte einen Arm über sie und vergrub ihr Gesicht am Oberarm der Älteren. Die Wärme, die Nemuri ausstrahlte und ihre Nähe ganz allgemein taten ihr gut. Trotz allem führte es Yu auch noch einmal vor Augen, wie grausam das Schicksal eigentlich sein konnte. Sie lag nun hier, dicht angekuschelt an das Spiegelbild ihrer Freundin, welches sogar genauso roch, wie die Nemuri, die sie gekannt hatte. Bloß das sie es nicht war. "Verdammt, ich habe dich wirklich geliebt.", nuschelte sie leise. Glücklicherweise weckten Yus Worte die Lehrerin nicht. Es stimmte, sie hatte sich vor der Schlacht, wirklich in die Nemuri ihrer eigenen Welt verliebt und da sie ihrem Spiegelbild so ähnlich war, übertrug die Heldin ihre Gefühle ganz automatisch auf die Lehrerin dieser Welt. Die beiden Nemuris glichen sich äußerlich und charakterlich wirklich wie ein Haar dem anderen. Umso bitterer war es, sich jedes Mal wieder vor Augen zu führen, dass die Lehrerin, die aktuell schlafend neben ihr lag, trotz allem nicht die Person war, in die sie sich verliebt hatte. Ihre Gefühle auf sie zu übertragen, war falsch, das wusste Yu, immerhin war diese Nemuri kein Ersatz und würde nie die Person sein, die sie in ihrer eigenen Welt kennen und lieben gelernt hatte. Was für eine verdrehte Welt. War es da ein Wunder, das ihre Gefühle Ping Pong spielten und ihr Kopf ihrem Herzen immer wieder aufs Neue sagen musste, das es falsch war, auch nur ansatzweise in diese Richtung zu denken? Langsam aber sicher legte die Müdigkeit sich auch über Yu. Sie kuschelte sich noch etwas dichter an ihre Gastgeberin. Zu glauben, sie mehr als nur zu mögen, weil sie das Spiegelbild der Lehrerin geliebt hatte, war vielleicht falsch, aber ihre Nähe tröstete sie gleichzeitig auch und einfach nur neben ihr zu schlafen, um am nächsten Morgen einigermaßen ausgeruht zu sein, wäre in Ordnung, oder? Über diese Gedanken schlief Yu schließlich ein. Am nächsten Morgen war Nemuri es, die es schaffte etwa 10 Minuten vor dem Weckerklingeln von allein aufzuwachen. Verschlafen blinzelte sie. Der Raum war noch dunkel und auch auf den Straßen war es still, doch die roten Ziffern, die ihr Wecker gegen die Wand projizierte, verrieten ihr die Uhrzeit. Noch einmal einzuschlafen würde sich leider nicht lohnen. Bald schon würde sie aufstehen müssen. Es war früher Morgen und auch heute rief die Arbeit bereits in absehbarer Zeit nach ihr. Doch heute aufzustehen würde schwerer werden als gewöhnlich. Im Normalfall stand die Lehrerin selbst dann problemlos auf, wenn sie noch müde und verschlafen war, aber das heutige Erwachen war viel gemütlicher gewesen, als an normalen, anderen Wochentagen. Zu ihrer Überraschung hatte Yu sich im Schlaf dicht an sie gekuschelt und sie in eine Umarmung gezogen. Das Gesicht der Blondine befand sich ungefähr auf Höhe von Nemuris Schlüsselbein. Zwar konnte sie ihr somit nicht direkt ins Gesicht sehen, doch die ruhigen, regelmäßigen Atemzüge verrieten ihr, dass die Jüngere noch schlief. Auf die Lippen der Dunkelhaarigen schlich sich ein Schmunzeln. Gestern noch war Yu es gewesen, die mit der Schlafsituation nicht ganz einverstanden gewesen war, nun jedoch... Nemuri war es, die auf ihrer Bettseite geblieben war, während die kleine Blondine dicht an sie gerückt war und sogar einen Arm um sie gelegt hatte. Nemuris Schmunzeln wurde breiter. Das war einfach zu niedlich. Ein wenig tat es ihr schon leid, dass sie Yu gleich würde aufwecken müssen, doch wenn in einigen Minuten der Wecker klingelte, konnte sie das schlecht ignorieren, nur weil es hier im Bett gerade gemütlich war. Während sie ihren schlafenden Gast musterte, begann die Lehrerin mit einer der blonden Haarsträhnen zu spielen. Yu murrte leise im Schlaf. Wie süß. Die Kleine hatte ganz eindeutig ein Talent dafür niedlich zu sein und das oftmals sogar vollkommen unbewusst. Nemuri legte der Profiheldin eine Hand an die Wange und strich sanft mit dem Daumen darüber. "Hey, es wird langsam Zeit aufzuwachen, Süße." Noch klang die Stimme der Lehrerin sanft. Sie wollte es der Jüngeren ersparen schlagartig vom Wecker aufgeweckt zu werden und hatte daher beschlossen, dem Wecker ganz einfach zuvor zu kommen. Außerdem wollte sie Yus Gesicht sehen, wenn diese aufwachte - die Blondine würde mit Sicherheit noch ziemlich verschlafen drein blicken. Yu murrte vor sich hin, vergrub das Gesicht zuerst einmal jedoch noch etwas mehr in ihrem lebenden Kissen. Da war aber noch jemand sehr müde. Amüsiert grinsend strich Nemuri ihr erneut über die Wange. "Aufwachen sagte ich.", säuselte sie. Schließlich blinzelte die junge Frau tatsächlich. Erst nur verschlafen vor sich hin, dann rückte sie ein kleines Stückchen auf Abstand und sah zu Nemuri hoch, kaum dass sie bemerkt hatte, dass sie im Schlaf nicht irgendwann wieder auf Abstand gegangen war. Nun, zumindest wirkte die Lehrerin nicht so, als würde sie sich sonderlich an diesem Fakt stören. "Mmmh... ich bin noch müde." Yu gähnte. "Wie viel Uhr ist es denn?" "Gleich 06:00 Uhr. Der Wecker klingelt jeden Moment." Nicht ganz glücklich über diese Erklärung zog die Blondine die Stirn kraus. "06:00 Uhr? Das ist ja noch mitten in der Nacht.", grummelte sie verschlafen. "Nicht in der Woche. Die Arbeit ruft und das heißt, dass du auch aufstehen musst.", beharrte Nemuri darauf, dass die Nacht nun vorüber war. Weiterhin klang ihre Stimme eher sanft, zumal sie gerade arg damit zu kämpfen hatte, keinen Zuckerschock zu bekommen. Das Yu schön war wusste sie, das die Blondine unglaublich niedlich sein konnte, war ihr ebenfalls bekannt, aber ihr verschlafenes Gesicht und die noch müde blinzelnden roten Augen, das war unbezahlbar. Die Jüngere fiel ganz genau in ihr Beuteschema, auch das war Nemuri klar, aber war es nur dieser Fakt, dass Yu sie dermaßen aus dem Konzept brachte? Dieses intensive Kribbeln in der Magengegend und dieses Gefühl der Vertrautheit, ließ sich doch nicht damit erklären, dass sie die Heldin einfach attraktiv fand. Im Normalfall neigte die Dunkelhaarige nicht unbedingt dazu die rosarote Brille aufzusetzen. Sie war mehr als selbstbewusst und wusste ganz genau was, beziehungsweise wen, sie wollte, aber das bedeutete nicht, dass sie Personen, die ihr Interesse geweckt hatten, auch automatisch Gefühle entgegenbrachte. Ihr derzeitiger Gast hingegen... Die Lehrerin konnte nicht leugnen, dass die Kleinere ihr sympathisch war. Sie mochte sie und sie hatte vor allen Dingen das Gefühl, dass sie sie bereits viel besser und länger kannte, als es eigentlich der Fall war. Wie auch immer das sein konnte. "Du musst zur Arbeit und ich muss auch aufstehen?", hakte Yu noch einmal nach und gähnte schließlich hinter vorgehaltener Hand. "Kann ich nicht ganz einfach noch etwas schlafen und später die Tür hinter mit zuziehen?" Nemuri blinzelte sie amüsiert an. "Abgelehnt, das kommt gar nicht in Frage.", bestand sie weiterhin darauf, dass die Nacht nun für sie beide vorbei war. "Sklaventreiberin, elende.", grummelte Yu vor sich hin und rollte sich auf den Rücken, um sich erst einmal zu strecken. "Immer wieder gern.", zog die Lehrerin sie grinsend auf und warf ihr ein Lächeln zu, als könne sie kein Wässerchen trüben. Dieses wurde jedoch schnell wieder schelmischer. "Ich wusste übrigens gar nicht, dass du so anschmiegsam bist." Die Blondine setzte sich im Bett auf, während ihre Wangen wie auf ein unsichtbares Kommando hin einen leichten Rosaschimmer annahmen. "Musst du darauf jetzt herumreiten? Ich muss irgendwann nachts zu dir rübergerollt sein." Die Stimme der Kleineren klang peinlich berührt, wusste Yu immerhin ganz gut, dass sie sich nicht versehentlich im Schlaf an Nemuri gekuschelt hatte, sondern schon vorher ganz bewusst, um sich besser zu fühlen. "Du machst mir zumindest nicht den Eindruck, als hätte es dich sonderlich gestört.", murrte sie noch. Nemuri grinste sie weiterhin an, setzte sich nun ebenfalls im Bett auf und strich sich einige verirrte Ponysträhnen aus dem Gesicht. "Hat es mich auch nicht.", gab sie ganz unverblümt zu, ehe sie einem plötzlichen Impuls folgte. Die verschlafene Blondine sah so niedlich aus, dass sie ganz einfach nicht widerstehen konnte. "Ach und guten Morgen.", holte sie die ganz vergessene Begrüßung nach, lehnte sich zu Yu herüber und küsste sie geradewegs auf die Lippen. Anders als neulich, hielt sie sie dabei nicht fest. Auch der Kuss an sich war nicht so fordernd wie neulich, sondern viel mehr sanft und zart. Im ersten Moment hatte sie die Profiheldin damit so kalt erwischt, dass Yu die Augen schloss und darauf einging, bis sie sich erneut der Tatsache bewusst wurde, dass die Lehrerin nun einmal nur das Spiegelbild ihrer Nemuri war und sie so etwas daher nicht tun sollte. Rasch wich die Blondine ein Stück zurück, Nemuri ließ sie. "Nemuri, nicht." Yus Stimme klang weder peinlich berührt noch unsicher, viel mehr seltsam belegt, hatte ihr das Schicksal gerade sozusagen mehr als eindrucksvoll vor Augen geführt, was sie niemals haben konnte, obwohl sie sich ihrer Freundin für einen Moment wieder so nah gefühlt hatte. Aber ihre Freundin war... Überrascht registrierte Yu, dass Nemuri sie anblickte, als hätte sie hinter ihr soeben einen Geist entdeckt. Die Lehrerin wirkte für einen Augenblick gänzlich neben der Spur, dann gewannen ihre intensiv blauen Augen plötzlich überraschend an Kälte. "Ja, damit hast du wohl Recht." Auch der Klang ihrer Stimme hatte sich schlagartig verändert, war kühler und unnahbarer geworden. Das Klingeln des Weckers lenkte die Aufmerksamkeit der beiden Frauen sehr nachdrücklich auf sich. Nemuri schüttelte den Kopf, fast so, als wollte sie sich mit der Geste zurück ins Hier und Jetzt bringen, dann stand sie auf. "Schalt den Wecker aus und dann steh auf, ich geh schon mal ins Bad." Überrascht und verständnislos zugleich blickte Yu der Älteren nach. "Nemuri...?" Was für eine Laus war der denn bitte über die Leber gelaufen? Lag es daran, dass sie den Kuss erneut unterbrochen hatte? Aber es hatte ganz und gar nicht so gewirkt, als wäre das der Grund für ihr plötzliches abweisendes Verhalten. Der Wecker piepste weiterhin ununterbrochen, sodass Yu ihn nicht länger ignorieren konnte. Schon ging ihr das Geräusch gehörig auf die Nerven. "Verdammte alte Schachtel! Mach den Wecker doch gefälligst selbst aus, anstatt mich herumzukommandieren!", blaffte sie gereizt in Richtung Badezimmer, ehe sie die Decke zurück schlug, über das Bett rückte, den Wecker zum Schweigen brachte und schließlich aufstand. Mürrisch blickte sie in Richtung der geschlossenen Badezimmertür. Auch die Nemuri, die sie kannte, war schon immer zickig gewesen, aber so launisch kannte sie sie gar nicht. Derweil lehnte Nemuri an der Innenseite der Badezimmertür. Das Gesicht hatte sie in ihrem Morgenmantel, welcher an der Tür hing, vergraben. Sie kniff die Augen zusammen und massierte sich die Schläfen. Verdammt, was zur Hölle war da gerade passiert? Bilder blitzten wie eine Diashow vor ihrem inneren Auge auf. Teenager, vermutlich Schüler, in blau-weißen Trainingsanzügen, Bilder aus einem Lehrerzimmer, eine an einem Tisch sitzende Maus, ...ein Eiscafé, das sie nicht kannte... und niemand geringeres als Yu Takeyama, die ihr in besagtem Café gegenübersaß, ihr ein warmes Lächeln zuwarf und mit ihrer Hand sanft die der Dunkelhaarigen hielt. Die Bilder waren ganz plötzlich da gewesen, kaum dass sie die Blondine eben geküsst hatte. Und obwohl die Lehrerin mit den Bildern nichts anzufangen wusste, hatten sie sich in ihr Gedächtnis gebrannt und wiederholten sich wieder und wieder. Sie hatte aus dem Raum gemusst, hatte Zeit gebraucht um sich wieder zu fangen. //Was sind das für Bilder? Was passiert hier?!// Heftige Kopfschmerzen zogen von ihrem Hinterkopf, über die Seiten bis hin zu ihrer Stirn. Nemuri hatte beide Hände seitlich an ihren Kopf gelegt und taumelte zum Waschbecken, wo sie sich kaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Noch einige Sekunden fühlte sie sich wie in Watte gepackt, dann ebbten die Kopfschmerzen langsam ab und auch der Wirbel an Bildern ließ nach. Diese Schüler in den merkwürdigen Trainingsanzügen, diese Gesichter und schließlich Yu und sie in einem Café...wo genau kamen diese Bilder plötzlich her? Auch wenn es inzwischen wieder ging, blieb Nemuri noch einen Moment lang auf das Waschbecken gestützt stehen, schloss die Augen und versuchte sich wieder zu sammeln. Kapitel 6: ----------- Sich auf die erste Doppelstunde Geschichtsunterricht zu konzentrieren, fiel Nemuri alles andere als leicht. Sie kannte das Thema, welches sie ihren Schülern heute beibringen wollte, eigentlich in- und auswendig, doch heute musste sie darauf achten, nicht mit den Jahreszahlen oder der Reihenfolge wichtiger, politischer Ereignisse durcheinanderzukommen. Bereits gestern war sie während des Unterrichts mit den Gedanken ständig abgedriftet, doch heute war es eindeutig schlimmer. Aber war das ein Wunder? Gestern hatte sie sich während der Arbeit 'nur' Gedanken über ihre neue Bekanntschaft und das Schlafgas, welches Yu als Quirk bezeichnete, machen müssen. Erst nach dem Unterricht gestern hatten die Ereignisse sich zu überschlagen begonnen. Erst war sie von diesem Monster verfolgt worden, was leicht auch ganz übel hätte ausgehen können, dann hatte sich herausgestellt, dass Yu nicht bloß zu viel ferngesehen, sondern ihr die ganze Zeit über die Wahrheit gesagt hatte. Die zierliche Blondine hatte sich als Riesin entpuppt und die Tatsache, dass es eine Art Parallelwelt geben musste, gab Nemuri ebenfalls zu denken. Dann noch das plötzliche Erdbeben, die merkwürdigen violetten Blitze und heute Morgen dann diese Bilder... Erinnerungen wollte sie sie absichtlich nicht nennen, denn Nemuri erinnerte sich nicht wirklich an die Gesichter, die plötzlich vor ihrem inneren Auge aufgetaucht waren. Sie kamen ihr seltsam vertraut vor, doch wusste sie nicht woher sie sie kennen sollte. Vielleicht hätte Yu eine Antwort darauf gehabt, vielleicht hätte sie die Ältere auch nur für vollkommen übergeschnappt gehalten. Um das zu erfahren, hätte Nemuri der Blondine allerdings erst einmal von den Bildern erzählen müssen, die plötzlich so präsent gewesen waren, kaum dass sie die junge Heldin geküsst hatte. Die Sache war jedoch, dass Nemuri kein Sterbenswörtchen über die Bilder, die sich plötzlich in ihr Gedächtnis gebrannt hatten, verloren hatte. Sie war so überrumpelt gewesen, in gewisser Weise überfordert mit dieser Reizüberflutung. Die Lehrerin hatte erst einmal selbst damit klarkommen und sich wieder fangen müssen, ehe sie mit jemandem darüber sprechen konnte. "Gestern hattet ihr Glück und seid ohne Hausaufgaben davongekommen. Heute kann ich nicht so nett sein, fürchte ich.", zwang sie sich, sich auf die Schüler zu konzentrieren. "Ich schreibe euch an die Tafel, welche Seiten im Geschichtsbuch ihr euch durchlesen solltet und welche Aufgaben bis nächste Woche Mittwoch zu erledigen sind." Mit einem Stück Kreide begann sie damit die Aufgaben an die Tafel zu schreiben. Die Schüler murrten unwillig. "Was denn? Höre ich da Begeisterung?", hakte Nemuri sarkastisch nach. "Macht so weiter und ich überlege mir, ob wir nächsten Mittwoch einen Test über besagte Themen schreiben, oder ob ich eure Hausaufgaben einsammle und benote." Stille. Sehr schön. Nachdem es zur Pause geklingelt hatte, verließen die Schüler den Klassenraum. Auch Nemuri selbst machte sich bereit den Raum zu verlassen, doch zuvor erledigte sie noch einige Notizen im Klassenbuch. Schließlich schnappte sie sich ihre Tasche, verließ die Klasse und machte sich auf den Weg zum Lehrerzimmer. So sehr sie es normalerweise auch mochte von lebhaften Schülern umgeben zu sein, heute war sie wirklich froh darüber keine Pausenaufsicht zu haben. Bereits auf dem Weg zum Lehrerzimmer hing sie wieder ihren Gedanken nach. Nicht nur, dass sie weiterhin keine Erklärung für die merkwürdigen Ereignisse gestern und die Bilder von heute Morgen hatte, zu allem Übel hatte sie ihrem Gast auch noch ziemliches Unrecht getan. Yu konnte nicht ahnen, was plötzlich mit der Lehrerin los war. Sie hatte ihre schlechte Laune und die plötzliche kalte Schulter auf die Zurückweisung von zuvor geschoben, dabei rauschte Nemuri bloß der Kopf. Das sollte sie eindeutig wieder gerade rücken. //Was ist in den letzten Tagen bloß los? Die Welt scheint plötzlich vollkommen Kopf zu stehen. Allein gestern und heute sind so viele seltsame Dinge passiert//, grübelte die Dunkelhaarige in Gedanken. Und als wenn das nicht schon genug wäre, drehten ihre Gedanken sich zusätzlich auch noch ständig um ihre aktuelle Mitbewohnerin. Die Blondine war ihr so vertraut und noch dazu unglaublich niedlich. Wie hätte sie sich da heute Morgen auch bitte zusammenreißen und sie nicht küssen sollen? Das verrückte war, das Yu im ersten Moment auf den Kuss eingegangen war und die Situation genossen hatte, ehe sie praktisch hatte spüren können, wie die Jüngere sich merklich angespannt hatte und wieder auf Abstand gegangen war. Natürlich hatte der Lehrerin dies nicht wirklich gepasst, doch war es im nächsten Moment auch schon ihre geringste Sorge gewesen, als die Bilder förmlich über sie hereingebrochen waren. Und dieses Bild, in dem Yu und sie in einem Café gesessen hatten..., auch das fühlte sich fast an wie eine Erinnerung. Aber das konnte gar nicht sein, immerhin hatten sie noch nie zuvor gemeinsam ein Café besucht, lediglich eine Bar. Was genau war hier also los? Und hatte es irgendetwas damit zu tun, dass sie das Gefühl hatte, Yu schon viel länger zu kennen, als es der Fall sein konnte? "Whoa, Vorsicht, Kayama!", riss eine Stimme sie aus den Gedanken. "Du hättest mich beinah umgerannt." Das klang nicht wirklich vorwurfsvoll, sondern viel mehr amüsiert. Nemuri blinzelte. Einer ihrer Kollegen, mit dem sie wirklich gut auskam, stand direkt vor ihr. Rasch setzte sie ein Lächeln auf. "Entschuldige, Yamamura. Ich war ganz in Gedanken." Ihr Kollege zuckte nur unbekümmert mit den Schultern. "Das habe ich wohl schon bemerkt. Haben die Schüler dich geärgert?" Im ersten Moment blickte die Lehrerin irritiert drein, dann winkte sie ab. "Ach Quatsch. Du weißt doch, dass ich mich von Schülern niemals ärgern lassen würde. Nein, die Teenies waren die reinsten Schätzchen, wie immer." Gemeinsam mit Hiro Yamamura lief sie den Flur, welcher zum Lehrerzimmer führte, entlang. Kurz zögerte sie, dann befand sie, dass sie ihrem Freund und Kollegen zumindest eine oberflächliche Erklärung liefern konnte, damit dieser sich keine Sorgen machte und auch nicht weiter nachhakte. Natürlich konnte sie ihm unmöglich sagen, was sie wirklich beschäftigte, doch ein Teil der Wahrheit würde es auch tun. "Erinnerst du dich an die kleine Blondine, die wir neulich in der Bar getroffen haben, in die ich Ootori und dich mitgeschleift habe? Ich war heute Morgen nicht ganz fair zu ihr." Nemuri drückte ihrem Kollegen ihre Lehrertasche in die Hand, um beide Hände frei zu haben und sich strecken zu können. "Heute nach der Arbeit sollte ich das eindeutig wieder in Ordnung bringen." Yamamura hatte ganz automatisch nach der Tasche gegriffen, als die Dunkelhaarige sie ihm in die Arme gedrückt hatte. Nun blickte er seine Kollegin allerdings überrascht an. "Die Kleine aus der Bar? Sie hat das zweite Mal in Folge bei dir übernachtet? Sag bloß, da entwickelt sich was Ernstes? So kenne ich dich ja gar nicht." Nemuri verdrehte die Augen und stieß Yamamura den Ellbogen in die Rippen. "Jetzt hör schon auf. Ich weiß ja selbst noch nicht, in welche Richtung sich das entwickelt." Und damit meinte sie die Gesamtsituation. Die beiden letzten Tage waren so verrückt gewesen, dass sie es ihrem Kollegen unmöglich erzählen konnte. Sie konnte ja selbst noch nicht so ganz glauben, dass sie in den letzten beiden Tagen mehr irritierende Dinge erlebt hatte, als es sie in manchem Fantasyfilm gab. "Hey ihr beiden!", grüßte Ayato Ootori seine Kollegen. Er hatte die Hälfte der Unterhaltung aufgeschnappt. "Über Kayamas neue Flamme zu reden ist sicherlich interessant, aber könntet ihr wohl mal kurz hier herüber zum Fenster kommen? Das müsst ihr euch ansehen." Bei Ootoris Worten verdrehte Nemuri kurz die Augen, doch dann tauschten Yamamura und sie einen fragenden Blick aus, als ihr Kollege sie zu sich ans Fenster winkte. Außer den drei Kollegen, waren noch ein älterer Lehrer, sowie die Schulsekretärin anwesend. Erst jetzt fiel Nemuri auf, dass auch diese beiden am Fenster standen und ungläubig hinausblickten. Gemeinsam mit Yamamura gesellte sie sich folglich zu der kleinen Gruppe und blickte nach draußen. Vom Lehrerzimmer aus hatte man einen guten Blick auf den Pausenhof. Die Schüler liefen nicht so wie sonst umher und unterhielten sich, sondern blickten viel mehr verwirrt gen Himmel. Auch der Blick der Lehrer wanderte nach oben. Nemuri zog die Stirn kraus. Das irgendetwas mit dem Licht nicht stimmte, war ihr beim Betreten des Lehrerzimmers bereits aufgefallen, doch im ersten Moment hatte sie geglaubt, dass jemand sich einen Scherz erlaubt und die Glühbirne ausgetauscht hatte. Das Licht im Zimmer war seltsam violett und irgendwie zu grell. Nun wurde sie sich jedoch der Tatsache bewusst, dass das Licht überhaupt nicht brannte. Der violette Schein kam von draußen. Ungläubig starrte sie hoch in den Himmel. Was war das schon wieder?! Die Wolken hatten einen violetten bis lilanen Ton, während die Sonne viel zu grell schien. Alles in allem wurden Schule und Stadt in ein grelles, violettes Licht getaucht. Die Lichtverhältnisse taten fast schon in den Augen weh. "W-was ist das denn?", stammelte Yamamura verwirrt. "So ein seltsames Licht habe ich ja noch nie gesehen." "Vor allen Dingen war bis eben noch alles normal.", mischte die Sekretärin sich ein. "Ob dieses seltsame Licht schädlich ist?", rätselte Ootori derweil. "Die Pausenaufsicht scheucht die Schüler schon zurück ins Gebäude.", mischte Nemuri sich ein. "Und das ist mit Sicherheit auch besser so." Der älteste Kollege im Raum begann über UV-Strahlung zu philosophieren, doch Nemuri hörte ihm nur noch mit einem Ohr zu. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie hatte ein ungutes Gefühl bei der ganzen Sache. Gestern hatten violette Blitze das Erscheinen der seltsamen Kreatur angekündigt, welche sie durch die Stadt verfolgt hatte. Violette Blitze waren es auch gewesen, welche am Himmel entlanggezuckt waren, ehe das Erdbeben gestern Nachmittag eingesetzt hatte. So grell wie heute, war das Licht gestern jedoch nicht gewesen. Konnte die aktuelle Beleuchtung also gut sein? Höchst wahrscheinlich nicht. Unwillkürlich spannte sie sich an. Plötzlich hatte die Dunkelhaarige das Gefühl, das da noch etwas wesentlich Unangenehmeres als gestern auf sie alle zukommen würde. "Hat noch jemand den Zeitungsartikel heute Morgen gelesen? Einige Stadtbewohner wollen gestern wohl auch schon seltsame violette Lichter gesehen haben, die sie sich nicht erklären konnten und dann behaupten einige Augenzeugen auch noch, sie hätten eine Art Monster gesehen.", wandte Ootori sich wieder an die Gruppe. "Ein Monster?", gluckste Yamamura. "Ich gebe zu, das Licht ist echt seltsam, aber Monster? Die Leute sehen zu viel fern." Er hatte damit begonnen, mit seinem Handy Fotos von dem unerklärlichen Naturphänomen zu schießen. "Findest du nicht auch, dass das ziemlich weit hergeholt ist, Kayama?", hakte er an seine Kollegin gewandt nach. Nemuri hatte sich bereits halb zum Gehen gewandt. "Ich helfe den Kollegen dabei sämtliche Schüler zurück ins Gebäude zu schicken.", stellte sie anstelle einer Antwort fest. Ob sie die Existenz von Monstern auch weit hergeholt fand? Pah, sie war gestern von dem Ding verfolgt worden! Aber das zu erklären, würde sie sich sparen, das würde ihr eh niemand glauben. Verübeln konnte sie es ihren Kollegen jedoch nicht, immerhin hatte sie bis zu dem unschönen Erlebnis gestern selbst nicht an monströse Kreaturen geglaubt. Nemuri beschloss sich lieber nützlich zu machen und nach den Schülern zu sehen. Warum außer ihr noch niemand der anderen Anwesenden diesen Gedanken gehabt hatte, war ihr schleierhaft. Beinahe hatte sie das Lehrerzimmer verlassen, als die Sekretärin plötzlich einen grellen Schrei ausstieß. Alarmiert wirbelte Nemuri herum. Allein schon die Blicke ihrer Kollegen verrieten ihr, das etwas ganz und gar nicht stimmte - das seltsame Licht mal gänzlich ausgeklammert. Ungläubig und geschockt blickten die anderen hinaus aus dem Fenster, die Augen vor Grauen geweitet. Schnell hatte Nemuri den Grund für die Panik ihrer Kollegen entdeckt. Auch ihr blieb fast das Herz stehen, als sie sah, was den anderen Lehrern solche Angst einjagte. Adrenalin jagte durch ihren Körper. Sie fühlte sich, als hätte jemand sie unter Strom gesetzt. Ihre Hände kribbelten und die Luft im Raum schien von jetzt auf gleich deutlich abgekühlt zu sein, kaum dass das Entsetzen mit seinen kalten Klauen nach ihr griff. Erneut zuckten Lichtblitze am Himmel entlang, ehe die Luft an zwei Stellen zu wabern begann. Kaum war die flirrende Luft zu einer Art Tor geworden, langten lange, klauenbesetzte Arme hinaus. Das Monster von gestern war zurück und schob sich wie durch ein unsichtbares Tor. Als hätte diese eine grässliche Kreatur nicht schon ausgereicht, erschien aus dem anderen Luftloch ein zweites Ungetüm. Äußerlich glichen die beiden Ungeheuer sich stark. Beide waren riesig, standen auf zwei Beinen und besaßen eine Art Vogelschnabel mit Zähnen darin. Anstatt das ein Schädelknochen die Köpfe der Ungetüme gänzlich umschloss, endete dieser kurz nach der Stirn und gab einen Blick auf die Hirne der Bestien frei. Die beiden Monster unterschieden sich lediglich in ihrer Farbe. Während Ungeheuer Nr. 1 eher dunkel war, war Ungeheuer Nr. 2 fast schon schneeweiß, was es gleich noch gruseliger machte. Kaum, dass die Kreaturen wie aus dem Nichts aufgetaucht waren, sprangen sie auch schon los. Unter den Schülern, welche sich noch auf dem Hof befanden, war eine Panik ausgebrochen - verständlicherweise. Doch den wirklichen Grund zur Panik hatten die Personen, welche sich aktuell im Lehrerzimmer befanden. Anstatt von den Toren aus erst einmal auf den Hof zu springen, hechteten die Ungetüme geradewegs in Richtung der Fensterfront. Die Scheiben zum Lehrerzimmer zersprangen. Glas und Teile des Fensterrahmens flogen ins Innere des Raums, gemeinsam mit den beiden monströsen Kreaturen. Die Lehrer schrien in Panik auf. Besonders Ootoris Stimme überschlug sich fast und wirkte unnatürlich grell, war die helle Kreatur bei dem Sprung mit ihm zusammengeprallt und stand nun genau über ihm. Nemuri spürte, wie ihr Herz einen Satz in ihrer Brust machte. Ihr Magen krampfte sich vor Entsetzen zusammen. Ihr Kollege und guter Freund lag am Boden, das Monster direkt über sich stehend. Egal wie sehr sie sich beeilte, selbst wenn sie jetzt lossprang, wäre sie zu spät bei ihm, um ihn zu retten, wenn der Kreatur jetzt in den Sinn kommen sollte zuzuschlagen. Ein schreckliches Gefühl. Und ein seltsamer Gedanke. Während ihre Kollegen in Panik vom Fenster wegstolperten und schrien, als sei der Teufel selbst hinter ihnen her, hatte Nemuri einen zögerlichen Schritt nach vorne gemacht. Es war nicht so, als wenn sie keine Angst hätte. Um genau zu sein war ihr schlecht vor Angst, doch sie konnte und wollte Ootori nicht seinem Schicksal überlassen. Wieder war ihr erster Gedanke unbewusst gewesen, es mit dem Gegner aufzunehmen um jemanden zu retten, auch wenn sie nicht wusste, was sie eigentlich gegen die Ungetüme ausrichten sollte. Doch wie sich herausstellte, war ihre Sorge um ihren Kollegen gänzlich unbegründet. Beide Kreaturen beachteten den am Boden liegenden Lehrer mit keinem Blick. Die unheimlichen, brutalen Augen fixierten einzig und allein die Dunkelhaarige selbst. Mit einem unheimlichen Grollen sprang das dunklere Monster, welches sie gestern schon gejagt hatte, auf sie los. Monster Nummer 2 folgte. Mit einem entsetzten Aufschrei warf Nemuri sich zur Seite. Sie rutschte über einen Schreibtisch und riss dabei einen Computerbildschirm mit sich zu Boden. Kaum, dass sie auf dem dunkelblauen Teppichboden aufgekommen war, regnete ein ganzer Hagelschauer von Kugelschreibern auf sie herab, hatte der Schlag der hellen Bestie sie doch knapp verfehlt und an ihrer Stelle einen Behälter mit Stiften vom Tisch gefegt. Die dunklere Kreatur schlug gegen den Schreibtisch, welcher daraufhin durch den Raum und gegen eine Wand flog, als wäre er nicht schwerer als ein Tennisball. Erneut griff das Monster von gestern sie an. Nemuri rollte gerade noch so zur Seite. Die Klauen des Angreifers schlitzten den Teppichboden auf. Angst und Adrenalin verliehen ihr die nötige Agilität, sich gerade noch rechtzeitig wieder aufzurappeln und zwischen den beiden Kreaturen hindurchzuhechten. Die Lehrerin schlitterte hinaus auf den Flur. Die Ungetüme beachteten die anderen Lehrer nicht weiter, sondern nahmen unverzüglich ihre Verfolgung auf. Einerseits war es beruhigend, dass die Biester es scheinbar nur auf sie abgesehen hatten und niemand sonst folglich in Gefahr zu sein schien, andererseits war die Tatsache, dass sie es nur auf sie abgesehen hatten, auch wieder mehr als beunruhigend! Ihr Herz raste. Während Nemuri in den Treppenflur sprintete, kämpfte sie darum, dass die Angst nicht ihr logisches Denken lähmte. Die Lehrerin musste sich nicht extra umdrehen, um zu wissen, dass die beiden Bestien sie verfolgten. Die schnellen, schweren Schritte ihrer Verfolger verrieten sie. Sie rannte um ihr Leben. Das zweite Mal binnen zwei Tagen. Das konnte doch nur ein schlechter Scherz sein! Und warum waren diese Ungetüme so verdammt schnell?! Wenn die sie erwischten! Während sie durch den Treppenflur rannte, konnte Nemuri Schüler in wilder Panik kreischen hören. Die Teenager mussten die Ungetüme durch die Glastüren gesehen haben. Das diese Monster den Schülern eine Heiden Angst einjagten, konnte sie nur zu gut nachvollziehen. Warum hatten die Kreaturen auch ausgerechnet hier in der Schule auftauchen müssen?! Jeder andere Ort wäre schon schlimm genug gewesen, aber ausgerechnet hier, wo es vor Jugendlichen nur so wimmelte? Bisher hatten die Kreaturen sich noch nicht für die Schüler interessiert, aber wer konnte schon sagen, ob sie nicht doch noch in Gefahr geraten würden? In Gefahr war aktuell jedoch in erster Linie die Lehrerin selbst. Ihre Verfolger waren ihr unbarmherzig auf den Fersen. So schnell sie konnte rannte sie im Treppenhaus nach unten. Verdammt! Diese Viecher durften sie auf keinen Fall erwischen! Sie musste schneller rennen! Schneller! Nemuri spürte, wie der Absatz ihres rechten Stiefels über die Treppen rutschte. Sie verlor den Halt. Voller Entsetzen realisierte sie, wie sie stürzte. Zwar hatte sie den Treppenabsatz schon fast geschafft, dennoch war ein Treppensturz schon unter normalen Umständen nicht besonders gesund. Jetzt allerdings... Ihr kam der Fall vor wie in Zeitlupe. Viele einzelne Bilder der kalten Steinfliesen, welche näher und näher kamen. Schließlich prallte sie mit der Seite auf die Fliesen. Der Aufprall presste ihr die Luft aus den Lungen, fühlte sich jedoch lediglich dumpf an. Das Adrenalin sorgte dafür, das ihr Körper mögliche Schmerzen aktuell ausblendete. Kaum, dass sie auf dem Boden aufgekommen war, war die Kreatur von Gestern über ihr und drückte sie mit einer Pranke herunter auf die Steinfliesen vor den Treppen. Unter der Klaue des Ungeheuers fixiert, hatte die Lehrerin keine andere Wahl, als mit schreckgeweiteten Augen zu ihren Verfolgern hochzusehen. Sie...sie hatten sie erwischt. Das war ganz und gar nicht gut. Das Gewicht der einen Bestie sorgte dafür, dass es ihr unmöglich war wieder aufzustehen. An eine weitere Flucht war nicht zu denken. Angst und nacktes Entsetzen spülten wie eine Welle über sie hinweg. War es das jetzt? Sollte das hier...? Die Kreatur, die sie festhielt, beugte sich zu ihr herunter. Nemuri konnte den fauligen Atem des Monsters riechen. Sehr zu ihrem Missfallen trennten ihre Gesichter nur noch gut zwanzig Zentimeter. Der Lehrerin wurde übel. »Tod derer, die nicht hier her gehören.« Die Stimme des Ungetüms klang rostig und blechern. »Das Blutopfer wird das Gleichgewicht wieder herstellen.« Nemuri wusste nicht, was eigentlich schlimmer war. Die Tatsache, dass das Biest tatsächlich gesprochen hatte, der Klang seiner Stimme, oder aber der Inhalt seiner Worte. //W-was meint es damit überhaupt?//, schoss es der Lehrerin durch den Kopf. Doch würde sie kaum mehr die Gelegenheit dazu haben, sich Gedanken darüber zu machen. Weiterhin wurde sie zu Boden gedrückt. Das Monster hob die noch freie, grässliche Pranke, dann holte es zum Schlag aus. Als sie die mörderischen Klauen auf sich zurasen sah, kniff die Lehrerin die Augen zusammen und wartete auf den Schmerz. Die Fensterfront des Treppenhauses zerbarst. Laut klirrend flog das Glas durch den Flur. Nemuri war sich sicher, dass die Kreatur ihrem Leben im Bruchteil der nächsten Sekunde ein Ende bereiten würde, doch anstelle eines einsetzenden Schmerzes, verschwand das Gewicht des Ungetüms urplötzlich von ihr. Die Lehrerin spürte, wie sie gegriffen und hochgerissen wurde. Wieder eins der Ungetüme? In ihrem Kopf drehte sich alles. Ihr logisches Denken hatte für den Moment ausgesetzt. War es das jetzt? Sicherlich! Aber...warum passierte dann nichts? Auch nach zwei weiteren Sekunden lebte sie noch. Langsam aber sicher öffnete Nemuri die Augen wieder und blinzelte. Nach wie vor hatte die Todesangst sie fest im Griff, doch nachdem sie immer noch in einem Stück war, mischte sich nun eine Spur von Hoffnung zu dem Entsetzen. Sie spürte, dass sie gehalten wurde, aber nicht von einer der beiden entsetzlichen Kreaturen. Der Griff war fest genug um ihr Sicherheit zu geben und gleichzeitig auch sanft genug, um sie nicht zu verletzen. Langsam realisierte Nemuri, dass sie sich in einer behandschuhten, riesigen Hand befand. Sie spähte nach oben und blickte in Yus vertrautes Gesicht. Auch wenn die Situation gerade so surreal war und sie es weiterhin mehr als gewöhnungsbedürftig fand, dass ihre normalerweise kleine Mitbewohnerin in der Lage war zur Riesin zu werden, gerade fiel Nemuri ein Stein vom Herzen. "Nemuri! Bist du verletzt?", wollte die Profiheldin besorgt wissen. Angesprochene war noch so neben der Spur, dass sie erst einmal nur blinzelte und einen Moment brauchte, ehe sie den Kopf schüttelte und ein: "Nein, ich glaube nicht.", stammelte. Sie konnte förmlich sehen, wie die Blondine sich bei ihren Worten ein wenig entspannte, dann jedoch gleich wieder entschlossener dreinblickte. Vorsichtig setzte sie die Ältere auf ihrer Schulter ab. "Das ist gut.", stellte Yu fest. "Halt dich an mir fest, ich brauche jetzt beide Hände." Beinahe hätte Nemuri den Halt verloren, als die junge Heldin sich wieder aufrichtete. "H-hey! Das ist jetzt nicht dein Ernst!" Rasch griff sie nach dem Rand vom Kragen des Heldenkostüms, sowie nach einer der blonden Haarsträhnen, um nicht zu stürzen. Nemuri fühlte sich wie im falschen Film. Das...das konnte doch alles nur ein schlechter Scherz sein! Aber leider war es das nicht! Die Monster, die dort im zerstörten Treppenflur des Schulgebäudes standen, waren genauso real, wie die Tatsache, dass sie sich auf der Schulter der Blondine befand. Kurz blickte sie nach unten und wünschte sich, dies nicht getan zu haben. Yus Schulter war weiter vom Boden entfernt, als das Dach von so manchem Haus! Und sie stand hier oben ungesichert herum! "Pass auf, sie greifen an!", informierte Mt. Lady die Lehrerin nur, ohne auf deren Protest einzugehen. Und sie hatte recht. Die dunklere Kreatur sprang aus dem Treppenflur geradewegs auf sie zu. Yu blockte das Wesen, welches im Vergleich zu ihr selbst, nicht größer als eine Taube war, mit einem gezielten Schlag ab. Das hellere Ungetüm flog auf die Profiheldin zu, kaum das Kreatur Nummer 1 auf dem Schulhof eingeschlagen war und einen kleinen Krater hinterlassen hatte. Mit einer Hand fing die Blondine den Angreifer in der Luft. Bei der Bewegung hätte Nemuri auf ihrer Schulter erneut beinahe den Halt verloren. Sie schrie auf, als sie für einen Moment lediglich an einer der blonden Haarsträhnen hing wie an einem Seil, ehe sie es schaffte, sich zurück auf die Schulter der Heldin zu kämpfen. Diese Monster waren der Horror, ihre derzeitige Situation allerdings auch, befand die Lehrerin. Die Gefahr abzustürzen war immerhin allgegenwärtig. Ihr Blick fiel zu der Bestie, welche sich aktuell zappelnd in Yus Hand befand. So gefährlich das Ungetüm auch sein mochte, die Gefahr war nun wohl gebannt. Oder auch nicht. Ungläubig beobachtete sie, wie das Vieh es doch tatsächlich schaffte, den Griff der Blondine in so weit aufhebeln zu können, als das es sich zu befreien drohte. "Autsch! Verdammte Made!" Yu griff mit ihrer anderen Hand zu, sodass sie den Oberkörper des Monsters mit einer Hand umfasst hielt, den Unterkörper mit der anderen. Schließlich drehte sie beide Hände in entgegengesetzte Richtungen. Das Monster kreischte auf. Gleichzeitig war das grässliche Knirschen von Knochen zu hören, welches Nemuri durch Mark und Bein ging. Doch anstelle von Monsterpampe zwischen den Fingern, zerfiel die Kreatur in einer Art Nebel, welcher sich einen Moment später schon vollständig aufgelöst hatte. Die zweite Kreatur hatte sich währenddessen aus dem Loch im Schulhof gezogen, spannte die Muskeln an und machte sich bereit, in Richtung der beiden Frauen zu springen, doch Yu kam dem Wesen zuvor und beendete es mit einem raschen Tritt. Nebel stieg aus dem zerstörten Asphalt unter ihrem Fuß auf, dann war auch dieser gänzlich verschwunden und nichts, bis auf die Schäden an Schulhof und Schulgebäude, erinnerten mehr an den Angriff. Einen Moment lang hielt die Blondine inne und scannte die Umgebung mit dem Blick. "Waren es nur die zwei, oder sind im Gebäude noch mehr von denen?", wollte sie von Nemuri wissen. "Nein, es waren nur diese beiden.", bestätigte die Lehrerin. Jetzt, wo Yu ruhig dastand, war es leichter, Halt auf ihrer Schulter zu finden. Dennoch behagte Nemuri der Platz in luftiger Höhe nicht. Die Profiheldin atmete auf und die Anspannung fiel von ihr ab. "Gut, dann wäre das erstmal geschafft. Schließlich fiel Yus Blick in Richtung des Schulgebäudes. Schüler hingen an den Fenstern und Türen und starrten fassungslos auf den Schulhof. Die wenigen Jugendlichen, die sich noch draußen befanden, rannten in Richtung des Gebäudes, als hinge ihr Leben davon ab. "Beeilt euch! Verschwinden wir von hier!", rief eine Schülerin zwei Klassenkameraden während des Laufens zu. "Erst diese beiden Monster, jetzt eine Riesin! Was denn noch?!" In der Stimme ihres Mitschülers war das Entsetzen nicht zu überhören. "Wenn die uns erwischt...!" Auch die dritte Jugendliche klang panisch. Derweil blinzelte Yu ungläubig in Richtung der flüchtenden Schüler. Sie fühlte sich wie im falschen Film. Sie war es gewohnt, dass die Zivilisten ihr nach einer geglückten Rettungsaktion zujubelten, doch in dieser Parallelwelt...? Schüler und Lehrer rannten und verschanzten sich im Gebäude, als wäre der Teufel höchst persönlich hinter ihnen her. In den Gesichtern der Leute standen Angst und Entsetzen geschrieben. "Hey! Was stimmt mit euch nicht?! Die Monster waren das Problem und ich habe sie euch vom Hals geschafft!", empörte sie sich. Was für eine verdrehte Welt! "Yu!" Nemuri machte auf sich aufmerksam, indem sie an einer der blonden Haarsträhnen zog. "Lass mich wieder runter, in Ordnung?" Die Profiheldin hielt der Älteren eine Hand hin, doch als Nemuri keine Anstalten machte in ihre Handfläche zu klettern, griff die Riesin letztlich ganz einfach nach ihr, wie nach einer Puppe. Kurz musterte sie die Lehrerin in ihrer Hand. Glücklicherweise wirkte sie unverletzt. Zumindest auf den ersten Blick konnte Yu weder Schrammen, noch Verletzungen erkennen. Vorsichtig stellte sie Nemuri wieder auf dem Boden ab und ließ sie los. Die Schüler im Gebäude schrien teilweise immer noch wie am Spieß, fast so, als wäre soeben Godzilla auf dem Schulhof aufgetaucht. "Wie dumm und undankbar.", grummelte die Blondine vor sich hin. Es machte sie fast schon wütend, dass diese Zivilisten panisch auf sie reagierten, anstatt ihr dankbar zu sein, dass sie sie soeben gerettet hatte. Die entsetzen Blicke, als wäre sie selbst das Monster, waren verletzend und missfielen der Profiheldin, die es gewohnt war, beliebt bei der Bevölkerung zu sein. Bloß, dass das hier nicht ihre Welt war und die Leute keine Quirks kannten. Die junge Frau begann zu schrumpfen und stand binnen zwei Sekunden wieder in ihrer normalen Größe neben Nemuri. Obwohl die Riesin nun wieder ein wesentlich übersichtlicheres Format angenommen hatte, flachte die Panik nicht ab. Verständnislos wandte Yu sich an Nemuri. "Mal ehrlich, was stimmt mit deinen Schülern nicht?! Die führen sich allesamt so auf, als wenn ich sie jeden Moment fressen wollte!", regte sie sich auf. Die Ältere seufzte. "Hier hat nun mal niemand besondere Fähigkeiten und der Vorfall eben, hat die Schüler kalt erwischt. Sie stehen unter Schock.", erklärte sie das Naheliegende. Sie selbst fand die Tatsache, dass diese zierliche Blondine von einer Sekunde zur anderen zur Riesin werden konnte, ja selbst noch arg gewöhnungsbedürftig, nur dass Yu ihr diese Fähigkeit gestern bereits demonstriert hatte und es daher nicht das erste Mal war, dass Nemuri sie in dieser Form sah. Zumal die Lehrerin die Profiheldin kannte. Yu war mit der Erklärung nicht wirklich zufrieden, so naheliegend sie auch sein mochte. Ihr Ego war angekratzt. Die Blondine war kurz davor in das Schulgebäude zu laufen und zu versuchen den Schülern die Situation halbwegs zu erklären, als Nemuri sie am Handgelenk packte und ihre Aufmerksamkeit somit auf sich zog. "Na los, komm schon, verschwinden wir von hier.", forderte die Lehrerin sie auf. Yu blinzelte sie irritiert an, doch als Nemuri an ihrem Arm zog, stolperte sie ihr ganz automatisch zwei Schritte hinterher. "Hey!", beschwerte sie sich. "Verschwinden? Wieso denn das auf einmal? Und vor allen Dingen wohin?" Ungeduldig funkelte Nemuri sie an. "So blond kann man doch gar nicht sein!", blaffte sie. "Irgendwer hat mit Sicherheit die Polizei gerufen und die wird schon ziemlich bald hier sein. Das, was hier eben passiert ist, kannst du nicht erklären. Also los jetzt!" Nun, wo Yu wieder ihre eigentliche, zierliche Gestalt hatte, fiel es Nemuri nicht besonders schwer, die Kleinere ganz einfach mit sich zu ziehen, ob Yu nun wollte oder nicht. Einige Schritte lang sträubte die Profiheldin sich noch und protestierte, dann gab sie schließlich nach und rannte neben Nemuri her. "Wo genau willst du eigentlich hin?", wollte sie während des Sprints wissen. "Beeil dich einfach!", verfügte die Lehrerin lediglich. Nachdem sie das Schulgelände verlassen hatten und etwa 300 Meter die Straße entlanggelaufen waren, entdeckte Nemuri ein am Straßenrand geparktes Auto einer Carsharing Firma. Da sie glücklicherweise dort registriert war, hielt sie geradewegs auf den Wagen zu, zückte ihr Handy und nach weniger als einer Minute, ließ das Auto sich öffnen. "Du fährst wie der letzte Henker, wie du gestern schon bewiesen hast. Ich weiß ja nicht.", grummelte Yu vor sich hin, nahm jedoch trotzdem auf dem Beifahrersitz Platz. "Sei bloß still! Ich bin schon seit Jahren unfallfrei unterwegs.", konterte Nemuri und startete den geliehenen Mini Cooper. "Wo fahren wir jetzt überhaupt hin?", erkundigte Yu sich. "Ich weiß es noch nicht.", gab Nemuri ehrlich zu. "Aber hörst du die Polizeisirenen? Wir mussten erstmal von der Straße weg." Ohne ein wirkliches Ziel zu haben, lenkte die Lehrerin den Mini weg von der Schule und den Polizeisirenen. Für einige Augenblicke herrschte Schweigen. Nemuri konzentrierte sich auf die Straße und versuchte gleichzeitig wirklich zu realisieren, was soeben an der Schule passiert war. Schon wieder waren diese merkwürdigen Kreaturen aufgetaucht und waren ganz offensichtlich hinter ihr her gewesen. Beinahe hätten diese Monster sie auch erwischt, wenn Yu sie nicht gerettet hätte. Die Verfolgungsjagt und der Rettungseinsatz waren so surreal. Yu blickte währenddessen aus dem Fenster. Auch sie brauchte einen Moment um sich wieder zu fangen. Diese Ungeheuer hatten es ganz klar auf Nemuri abgesehen und hätten sie beinahe erwischt. Das Unglück abzuwenden, war ihr wortwörtlich in der letzten Sekunde gelungen. Und wie die Schüler auf sie reagiert hatten. Noch nie war eine Menschenmenge wegen ihr in Panik ausgebrochen. An der Reaktion der Zivilisten hatte sie ganz schön zu knabbern. "Bist du auch wirklich nicht verletzt?", durchbrach Yu die Stille schließlich. "Vielleicht bekomme ich ein paar blaue Flecken, aber alles in allem ist mir nichts passiert. Das war im Übrigen ganz schön knapp." Die Lehrerin seufzte. "Ich habe doch gesagt, dass ich auf dich aufpasse.", stellte die Blondine lediglich entschieden fest. Auf sie aufgepasst, das hatte Yu wohl, musste Nemuri in Gedanken zugeben. Doch jetzt, wo sie so darüber nachdachte, stellte sich ihr auch noch eine ganz andere Frage. "Wo bist du gerade eigentlich so plötzlich hergekommen?", wollte sie wissen. Auf eine solche Frage schien Yu nur gewartet zu haben. Empört plusterte die Kleinere die Wangen auf. "Du meinst, du wunderst dich, dass ich zu deiner Rettung da war, obwohl du dich heute Morgen aufgeführt hast, wie die letzte Idiotin?", wollte sie mit schnippischem Unterton wissen. "Tja, das liegt daran, dass ich bereits heute Morgen, als wir das Haus verlassen haben, ein komisches Bauchgefühl hatte. Ich war zwar echt sauer auf dich, aber ich bin selbst in Richtung Schule aufgebrochen und habe mich in der Nähe aufgehalten. Daher konnte ich noch eingreifen." Einerseits passte es Nemuri ganz und gar nicht, von der Jüngeren das eigene Verhalten unter die Nase gerieben zu bekommen, andererseits hatte Yu wohl oder übel recht damit. "Ich war wohl wirklich nicht ganz fair zu dir.", gab sie nach einer kurzen Sekunde des Zögerns also zu. "Kann man wohl so sagen.", murrte Yu, ehe der Blick ihrer rötlichen Augen fragender wurde. "Mal ganz ehrlich, was war das bitte für eine Aktion, mir so die kalte Schulter zu zeigen, nachdem ich den Kuss abgebrochen habe? Du hast mir gestern Abend immerhin noch gesagt, du hättest keine Hintergedanken dabei, mich bei dir übernachten zu lassen." "Darum ging es gar nicht.", ergriff Nemuri das Wort. "Mir ist schon klar, dass es für dich genau so ausgesehen haben muss, aber ich hatte in dem Moment ganz andere Sorgen. Das Timing war zugegebenermaßen ziemlich ungünstig." Yu zog eine der feingeschwungenen Augenbrauen hoch. "Ach ja?", das sie der Lehrerin nicht so recht glaubte, war offensichtlich. "Ich erkläre es dir gleich gerne, aber das wird mit Sicherheit ein längeres Gespräch. Lass uns erstmal ankommen.", entschied die Lehrerin. Vorerst beschloss sie das Thema zu wechseln. Während sie durch die Stadt fuhr, musste sie immer wieder an die Ungeheuer denken, welche sie heute verfolgt und beinahe getötet hätten. Was für monströse Kreaturen. Und dann war da noch das, was eins dieser Monster gesagt hatte. »Tod derer, die nicht hier her gehören. Das Blutopfer wird das Gleichgewicht wieder herstellen.« Diese Worte hatten sich in ihr Gedächtnis gebrannt, auch wenn sie sich noch nicht sicher war, wie sie sie eigentlich interpretieren sollte. "Mal was ganz anderes. Diese Monster, du hast sie selbst gesehen, weißt du, was zur Hölle das für Kreaturen waren?", wollte Nemuri nun von Yu wissen. Die Blondine runzelte die Stirn. Der Themenwechsel gefiel ihr nicht. "Glaub nicht, dass ich es darauf beruhen lassen würde.", stellte sie erst einmal klar, ehe sie einlenkte und auf den Themenwechsel einging. "Aber diese Monster, die wie aus dem Nichts aufgetaucht sind... um ehrlich zu sein haben sie mich an die Nomu aus meiner Welt erinnert." "Nomu?", hakte Nemuri nach. "Künstlich geschaffene Kreaturen mit einer ungeheuren Stärke.", erklärte Yu kurz. "Diese Gestalten haben den Helden in meiner Welt schon das Leben schwer gemacht und diese Monster, die ich hier gesehen habe, haben mich stark daran erinnert. Allerdings waren die beiden Exemplare von heute eindeutig schwächer als die in meiner Welt." Immer noch war es seltsam, von meiner und deiner Welt zu sprechen, denn es auch noch zu erwähnen, machte es realer, nicht einfach nur an einem weiter entfernten Ort gelandet zu sein. Aber diese Biester...sie erinnerten Yu in der Tat an die Nomu, gegen die ihre Heldenkollegen bereits gekämpft hatten. "Sie waren zumindest ganz eindeutig hinter mir her. Diese Monster, Nomu wie du sagst, haben die anderen Lehrer und Schüler gänzlich ignoriert.", ergriff Nemuri wieder das Wort, was ihr einen besorgten Blick von Yu einbrachte. Die Dunkelhaarige überlegte weiter. "Inzwischen hat das Licht sich wieder beruhigt, aber als der Himmel sich vorhin violett verfärbt hat, hat es ausgesehen, als hätte sich mitten in der Luft eine Art Tor gebildet, aus dem die Kreaturen gekrochen sind. Denkst du, unsere Welten könnten vielleicht durch eine Art Wurmloch miteinander verbunden sein?" Kurz hielt die Lehrerin inne. "So verrückt sich das auch anhört. Aber was ist in den letzten Tagen bitte normal?" Normalerweise mochte Nemuri Aktion, doch das, was in den letzten Tagen passiert war, war ganz eindeutig zu viel des Guten. Viel zu viel. Yu zuckte währenddessen nur mit den Schultern. "Ich weiß es nicht, Nemuri. Ich weiß ja noch nicht mal, wie es möglich ist, das ich hier gelandet bin.", seufzte sie. "Aber es gibt mir wirklich zu denken, dass diese Nomu scheinbar ganz gezielt hinter dir her waren." "DAS finde ich im Übrigen auch ziemlich beunruhigend.", murrte die Lehrerin. Schließlich steuerte sie eine Parktasche an. "Wir halten an?", erkundigte Yu sich. "Ja. Wir können nicht ewig so weiterfahren, aber wir sollten fürs Erste weg von der Straße und ich denke ich weiß, wo wir vorerst unterkommen können. Meine Wohnung tut es nicht, weil zumindest meine Kollegen wissen, wo ich wohne. Eigentlich haben diese Viecher mich nur verfolgt, trotzdem könnte ich mir vorstellen, dass die Polizei heute noch bei mir klingelt. Auf Erklärungen, die ich nicht liefern kann, habe ich im Moment wirklich keine Lust.", erklärte Nemuri. Nachdem sie den Mini Cooper in die Parklücke gesetzt hatte, schaltete sie den Motor aus und öffnete die Tür. Yu tat es ihr gleich, doch bevor sie ausstieg, hielt Nemuri noch einmal inne. "Ach, Kleine?", sprach sie ihre Begleiterin an, welche ebenfalls noch kurz sitzen blieb und sie abwartend ansah. "Danke übrigens für die Rettung. Ohne dich hätten die Nomu mich erwischt." Für einen kurzen Moment stutzte die Profiheldin, dann grinste sie die Ältere an. "Gern geschehen. Das machen Helden so." Schließlich stiegen die beiden Frauen aus dem Auto. Kapitel 7: ----------- Mit dem Schlüssel, an dem ein recht klobiger Schlüsselanhänger mit der Aufschrift 235 befestigt war, schloss Nemuri die weißgestrichene Zimmertür auf. Sie betrat das Hotelzimmer und sah sich kurz prüfend um. Yu folgte ihr und tat es ihr gleich. Der Raum war zwar klein, dennoch sollten zwei Personen es hier fürs Erste aushalten können. An die Wand gerückt stand ein Tischchen mit zwei Stühlen, gleich daneben befand sich ein großer Kleiderschrank. Das Doppelbett wirkte gemütlich und war mit einer cremefarbenen Tagesdecke versehen. Gleich neben der Zimmertür, befand sich noch eine weitere Tür, welche ins Bad führte. Sehr viel mehr hatte der Raum zwar nicht zu bieten, aber um erst einmal unterzutauchen, reichte er. "So, du heißt jetzt also Hana Nakamura?", scherzte Yu und setzte sich aufs Bett, um nicht dumm im Zimmer herumzustehen. "Nach einem Allerweltsnamen wird so schnell schon niemand suchen.", entgegnete Nemuri. Die Dunkelhaarige hatte sich ans Fenster gestellt und blickte hinunter auf die Straße. "Das mag schon sein, aber ist es nicht ziemlich teuer, sich in einem Hotel einzumieten? Wie lange soll das jetzt so gehen?" Yu spielte mit ihrer Dominomaske, welche sie im Auto abgenommen hatte, um auf der Straße nicht ganz so aufzufallen. Um ihr Heldenkostüm weniger auffällig wirken zu lassen, hatte Nemuri ihr zudem ihren Blazer geliehen. Das Kleidungsstück war der Blondine zwar zu groß, doch in der Tat sah die junge Heldin so bereits eher zivil gekleidet aus, als zuvor. "Das ist keine Dauerlösung.", erklärte die Lehrerin ihr. "Ich möchte nur erst einmal, dass die Gemüter sich wieder etwas beruhigen. Die Schüler und meine Kollegen werden mit Sicherheit viele Fragen haben, aber es ist besser das Gespräch zu suchen, wenn die erste Aufregung verflogen ist." Einen Moment dachte Yu über ihre Worte nach. "Wärst du nicht mit mir abgehauen, hättest du das Problem jetzt erst gar nicht. Vielleicht hätte man dich zu den Nomu, die dich verfolgt haben, befragt, aber wirklich viel hättest du darüber nicht sagen können." Nemuri verdrehte die Augen. "Hätte ich dann so tun sollen, als würde ich dich nicht kennen? Du hättest ganz sicher Probleme mit den Behörden bekommen. Erst diese Monster, dann die Panik in der Schule und die Tatsache, dass du in der Lage bist, dich in eine Riesin zu verwandeln und die halbe Schule das gesehen hat." "Aber ich habe doch niemandem etwas getan! Ich habe lediglich geholfen. Warum also sollte die Polizei dann ausgerechnet mich behandeln wie eine Kriminelle?!", regte die Blondine sich auf. "Vielleicht nicht direkt wie eine Kriminelle, aber man hätte dich mit Sicherheit erst einmal aufgegriffen. Aus dem einfachen Grund, dass die Polizisten mit der Gesamtsituation überfordert gewesen wären und nicht gewusst hätten, was sie tun sollen, aber irgendwie hätten sie reagieren müssen, um nicht vollkommen dumm dazustehen." Yu sah nicht wirklich zufrieden mit der Erklärung aus, doch sie verstand, das Diskussionen kaum etwas bringen, oder gar ändern würden. Vermutlich hatte Nemuri Recht mit dem, was sie sagte, auch wenn ihr dies ganz und gar nicht gefiel. Sie war Profiheldin, keine Schurkin. Normalerweise musste sie sich keine Gedanken wegen der Polizei machen. Normalerweise waren die Leute ihr dankbar. "Und jetzt hängen wir beide mit drin.", murrte sie und konnte nicht leugnen, Nemuri gegenüber ein schlechtes Gewissen zu haben. "Kann man wohl so sagen.", stellte die Ältere fest, lief durch den Raum und ließ sich schließlich neben Yu aufs Bett fallen. "Was das angeht, müssen wir uns noch etwas einfallen lassen. Aber in die Sache wäre ich so oder so verwickelt gewesen. Die Viecher waren immerhin hinter mir her." Um einen einfachen Zufall konnte es sich dabei leider keinesfalls mehr handeln. Nicht, nach dem, was das Monster gesagt hatte. Gerade überlegte Nemuri, die Worte des Nomu Yu gegenüber anzusprechen, als der Magen der Jüngeren mit einem Knurren auf sich aufmerksam machte. Die Blondine zog ein Gesicht. "Ich hab Hunger.", beschwerte sie sich. "Hier im Hotel gibts nicht zufällig was zu essen?" Nemuri schmunzelte schief. "Ich denke nicht. Gäbe es die Möglichkeit hier etwas zu essen, hätte man es an der Rezeption beim Check In mit Sicherheit erwähnt." Sie knuffte ihre Begleiterin leicht in die Seite. "Du bist echt ein Fass ohne Boden, weißt du das eigentlich?" Sofort fing sie sich einen empörten Blick von Yu. "Was soll das denn heißen?! Gestern Abend haben wir uns eine Pizza geteilt und heute Morgen habe ich mir beim Bäcker von jemandem ein Frühstück ausgeben lassen, aber das war's dann auch schon. Außerdem bekomme ich immer Hunger, nachdem ich meine Quirk eingesetzt habe. Als Riesin verbrauche ich viel mehr Kalorien, als in meiner normalen Form." Sie plusterte die Wangen auf. Die Erklärung der Jüngeren klang durchaus einleuchtend und wenn sie ehrlich sein sollte, musste die Lehrerin zugeben, dass auch sie langsam etwas zu Essen vertragen könnte. "Na, leisten kannst du dir deinen Appetit zumindest.", amüsierte Nemuri sich und pikste der zierlichen Blondine mit einem Finger in den flachen Bauch. Diese grinste sie nun ebenfalls an. "Klar kann ich das." "Dann bestellen wir am besten was. Aber diesmal keine Pizza, oder ähnlich fettiges Zeug." "Hey, ich weiß gar nicht was du gegen Fast Food hast!" Verständnislos blickte Yu Nemuri an. Letztlich hatten die beiden Frauen sich darauf geeinigt das Sushitaxi zu bestellen. Dieses lieferte das Essen praktischerweise ins Hotel, sodass sie das Gebäude nicht verlassen mussten und folglich nicht Gefahr liefen aufzufallen. Zwar war der Angriff der Nomu auf die Schule immer noch äußerst verstörend, doch nachdem sie sich nun bereits eine Weile im gemieteten Hotelzimmer aufgehalten und gegessen hatten, waren sowohl Yu, als auch Nemuri wieder um einiges ruhiger. Zufrieden streckte die Blondine sich, während die Lehrerin damit beschäftigt war, die nun leeren Verpackungen einzusammeln. "Satt und zufrieden. Jetzt fühle ich mich wieder besser.", stellte die Jüngere inzwischen wieder wesentlich besser gelaunt fest und beobachtete Nemuri beim Aufräumen. "Ein Fass ohne Boden, sag ich doch.", neckte diese sie. "Hey! Ich kann auch nichts dafür, dass du einen Kopf größer bist als ich, aber isst wie ein Vögelchen!", stichelte die Blondine zurück. Nemuri stapelte währenddessen die Plastikboxen, in denen das Sushi geliefert worden war, ehe sie schließlich inne hielt und zu Yu herübersah. "Wie wäre es, wenn du mal mit anpacken würdest, anstatt mir nur beim Aufräumen zuzusehen?" Unbeeindruckt hob Yu eine Augenbraue und spielte mit einer blonden Haarsträhne. "Du hast es doch fast geschafft. Was sollte ich jetzt noch großartig helfen?" Ein paar Verpackungen zusammenzusammeln war ihrer Meinung nach keine große Sache. Gereizt funkelte Nemuri sie an. "Natürlich bin ich mit dem Aufräumen so gut wie fertig, nachdem du mich die ganze Zeit über nur beobachtet hast!" "Jetzt mach nicht so ein Drama daraus.", winkte die Profiheldin ab und wirkte inzwischen leicht angenervt. Yu mochte viele positive Charaktereigenschaften haben, doch zu ihren eindeutig negativen Eigenschaften gehörte ihre Faulheit. Warum mit anpacken, wenn eine andere Person das schon übernahm? Zumal es ihrer Ansicht nach durchaus zumutbar war den Tisch abzuräumen. Nemuri hatte die Verpackungen in die Plastiktüte gestapelt, in welcher der Lieferdienst das Essen angeliefert hatte. Sie knotete die Tüte zu und drückte sie nun kurzentschlossen der Jüngeren in die Hand. "Raus mit dir! Wirf das in den Müllschlucker im Flur, anstatt hier nur faul herumzusitzen." "Ist das jetzt dein Ernst?" Mit äußerst überschaubarer Begeisterung blickte Yu auf die Tüte, die sie wegbringen sollte. "Meine Schüler sind nicht halb so faul wie du verzogene Göre!" "Sklaventreiberin!", maulte die Profiheldin, ließ sich jedoch letztlich aufscheuchen, anstatt wegen einer solchen Nichtigkeit wirklich noch einen Streit anzufangen. Der Weg bis zum Müllschlucker war nicht weit, weshalb die Blondine schon nach zwei Minuten zurück im Zimmer war, kaum dass sie den Müll entsorgt hatte. "Und? War das jetzt so schwer?" Nemuri hatte sich aufs Bett gesetzt und blickte leicht genervt zu der Jüngeren, wirkte alles in allem aber weniger verstimmt als eben noch. Yu verdrehte lediglich die Augen. "Du redest genauso, wie die Nemuri aus meiner Welt, weißt du das eigentlich?" Die Lehrerin horchte auf. Statt weiterhin genervt dreinzublicken, glomm plötzlich Interesse in ihrem Blick auf. Sie klopfte neben sich aufs Bett, als Zeichen, dass die Blondine sich zu ihr gesellen sollte. "Du hast schon mal gesagt, dass wir uns wahnsinnig ähnlich sind. Ich muss zugeben, dass ich es immer noch mehr als irritierend finde, eine Art Spiegelbild in einer Parallelwelt zu haben. Aber interessant ist es durchaus auch." "Ach, findest du?", hakte Yu nach. Die Kleinere setzte sich ebenfalls aufs Bett, legte sich der Bequemlichkeit halber dann jedoch auf die Seite, stützte sich auf einen Ellbogen und blickte zu Nemuri hoch. Natürlich konnte sie verstehen, dass die Lehrerin es interessant fand, eine Art Doppelgängerin zu haben. Seltsam, aber interessant. Wäre sie selbst nicht hier in dieser falschen Welt gelandet, Yu hätte das Thema sicherlich auch interessant gefunden. Dann kam ihr ein Gedanke. Ob es in dieser Welt auch ein Spiegelbild von ihr selbst gab? Sie drängte den Gedanken bei Seite, als Nemuri sie erneut ansprach. "Erzähl mir doch noch etwas aus deiner Welt.", verlangte sie. Nach wie vor fand Yu es äußerst seltsam, von meiner und deiner Welt zu sprechen, doch alles schien ganz so, als würden eben jene Begriffe es am besten treffen. "Was interessiert dich denn besonders?", wollte sie von Nemuri wissen, da sie zwar durchaus gewillt war, der Älteren etwas zu erzählen, aber nicht so recht wusste, wo sie anfangen sollte. Bei dem Gedanken an ihre eigentliche Heimat, spürte Yu wieder diesen dumpfen Schmerz in der Magengegend. Heimweh, welches sie zu verdrängen versuchte. Wie sie ihre Freunde und ihre Zeit doch vermisste. Einen Moment lang überlegte Nemuri, dann hellte sich ihr Blick auf, nur um einen Sekundenbruchteil später fast schon durchdringend zu werden. "Du sagtest doch, mein Spiegelbild wäre ebenfalls Lehrerin, richtig?" Yu nickte. Das dumpfe Gefühl in ihrer Magengegend wurde stärker. Sie sprach es zwar nicht direkt aus, doch hoffte sie, dass die Dunkelhaarige das Gespräch jetzt nicht hauptsächlich auf die andere Nemuri - ihre Nemuri - lenken wollte. Doch die folgende Frage überraschte die Profiheldin. "Die Schuluniformen der Schule, an der sie unterrichtet, wie sehen die aus?" Yu stutzte, blinzelte und blickte Nemuri schräg an. "Es gibt so vieles, das du fragen könntest, und ausgerechnet das interessiert dich?", wollte sie irritiert wissen. So eine Belanglosigkeit? "Nun, die Schuluniformen sind hauptsächlich grau.", beantwortete sie ihre Frage schließlich. "Grau?" Nemuri stutzte und Yu fragte sich, was sie an dieser Antwort denn nun störte. Hatte sie sich in ihrem Kopf bereits etwas zusammengesponnen und die Vorstellung wich von der Realität ab? "Gibt es auch Schüler, die dunkelblaue Uniformen tragen? Dunkelblau mit weißen Streifen und einem leichten roten Muster an den Ärmeln?" Die Blondine starrte ihr Gegenüber ungläubig an und verschluckte sich fast. Was?! Aber woher?! "Ja, die Trainingsoutfits der Schüler sehen so aus...", bestätigte sie. "Aber woher um Himmels Willen weißt du das?" Nun sah wiederum Nemuri so aus, als hätte sie einen Geist gesehen. Anstatt Yus Frage zu beantworten, reagierte sie mit einer weiteren Frage. "Und... und kennst du auch ein weißes Tier in einem Anzug? Ich weiß nicht, eine Art Maus oder so." Der Blondine klappte nun endgültig der Kiefer herunter. "Direktor Nezu.", hörte sie ihre eigene Stimme antworten. "Der Direktor der UA, also der Schule, an der dein Spiegelbild unterrichtet hat." Yu legte der Älteren eine Hand auf den Oberarm und blickte sie fassungslos an. "Du beschreibst mir die Trainingsuniformen der UA-Schüler und dann auch noch Direktor Nezu. Wie kann das sein? Woher weißt du das?", hakte sie erneut nach. "Ich meine...das hier ist doch eine Art Parallelwelt." 1000 Fragen schwirrten ihr im Kopf herum. Fragen, die so schnell kamen und gingen, dass sie sie im Kopf kaum ausformulieren konnte, ehe ihre Gedanken bereits weiterrasten. Die Nemuri, mit der sie sich gerade unterhielt, war das Spiegelbild ihrer Nemuri. Sie stammte aus dieser Parallelwelt und hatte ihr selbst bestätigt, dass sie weder die UA, noch Helden oder Quirks kannte. Wie kam es dann also, dass sie sie nun gezielt solche Sachen fragte? Den Fragen nach zu urteilen, musste die Lehrerin ein recht genaues Bild im Kopf gehabt haben. Aber das war doch unmöglich... Auch Nemuri schwirrte der Kopf. Sie erkannte Fassungslosigkeit und maßlose Verwirrung in Yus Blick und konnte es der kleinen Blondine nun wirklich nicht verübeln. Ihr selbst ging es ja nicht besser. Sie war selbst mehr als irritiert. Wie sollte sie Yu eine Antwort auf ihre Frage geben, wenn sie die Antwort nicht kannte? Woher diese Bilder heute Morgen so plötzlich gekommen waren, würde sie ja selbst zu gerne wissen. Das die Profiheldin die Kleidung der Schüler, welche sie ihr beschrieben hatte, auf Anhieb zuordnen konnte und auch das merkwürdige, mausähnliche Tier, welches sie ihr beschrieb, sofort erkannte, warf auch Nemuri vollkommen aus der Bahn. Sie wusste die Bilder, die heute Morgen plötzlich vor ihrem inneren Auge aufgeblitzt waren, nicht einzuordnen und war schon drauf und dran gewesen, sie als stressbedingte Spinnerei abzutun. Aber dafür waren sie zu real. Eigentlich hatte sie Yu gerade nur aus einem Bauchgefühl heraus nach diesen Dingen gefragt, hatte jedoch nicht damit gerechnet, das Beschriebene sofort bestätigt zu bekommen. Die Schuluniformen, sowie die Maus, waren Bilder aus der Parallelwelt, Yus Welt. Aber woher waren sie dann so plötzlich in ihrem Kopf aufgetaucht? Wie konnte es sein, dass sie plötzlich bruchstückhafte Bilder aus einer Parallelwelt gesehen hatte? Waren das Erinnerungen von ihrem Spiegelbild? Konnten solche Erinnerungen sich überschneiden? War das überhaupt möglich? Nein, bestimmt nicht, immerhin war ihr so etwas vorher ja auch noch nie passiert. Aber wie kam sie dann an diese Bilder? Und vor allem so plötzlich. Plötzlich meinte Nemuri zumindest eine Erkenntnis erlangt zu haben, wo sie so darüber nachdachte. Bislang war ihr so etwas noch nie passiert. Bislang war ihre Welt auch gänzlich normal gewesen. Die Ereignisse hatten sich zu überschlagen begonnen, nachdem sie über die verloren wirkende Blondine gestolpert war. Konnte es also sein, dass Yu der Schlüssel zu all dem war? Sie stammte immerhin aus besagter Parallelwelt. War sie so etwas wie eine Art Bindeglied? Eine gewagte, wenn nicht wahnwitzige Theorie, doch vielleicht, ganz vielleicht, war etwas Wahres daran. Ihr eigener Körper hatte erstmalig überraschend diesen seltsamen Nebel, den Yu als Quirk bezeichnete, abgesondert, als sie der Jüngeren besonders nah gewesen war. Die Bilder, die sie nicht zuzuordnen wusste, hatten sich in ihre Gedanken gebrannt, als sie die Heldin heute Morgen geküsst hatte. War es also die Nähe zu Yu, die all das auslöste und eine Art Brücke zwischen ihren Welten darstellte? Es war nur so eine Vermutung. Wie diese sich wissenschaftlich untermauern lassen sollte, dafür hatte Nemuri auch keine Erklärung, aber so verrückt es auch klang, das Yu der Schlüssel zu all dem war, es erschien ihr am wahrscheinlichsten. "Erde an Nemuri." Die Profiheldin knuffte sie gegen den Arm und blickte sie fragend an. "Ich hab dich was gefragt.", erinnerte die Jüngere sie. Nemuri blinzelte. Ihr war gar nicht aufgefallen, dass sie so sehr ihren eigenen Gedanken nachgehangen hatte, dass sie Yu lediglich abwesend angeblickt hatte, ohne wirklich auf das, was die Kleinere gesagt hatte, einzugehen. "Woher ich das weiß?", wiederholte Nemuri also. Yu blickte sie fragend und gleichzeitig erwartungsvoll an. Das sie darauf drängte eine Antwort zu bekommen, war nicht zu übersehen. Der intensive Blick ihrer rötlichen Augen ließ die Blondine unglaublich niedlich aussehen, fand Nemuri. "Von Wissen kann nicht die Rede sein. Lass es mich so sagen, es hängt damit zusammen, dass ich dir gegenüber heute Morgen plötzlich so abweisend war.", begann die Lehrerin zu erklären. Yu legte den Kopf schief. "Eh? Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass das Thema noch nicht durch ist, aber den Zusammenhang musst du mir erklären." Einen Moment lang zögerte die Ältere. Eigentlich war Nemuri die Selbstsicherheit in Person, aber nicht nur, dass die Bilder, die plötzlich in ihrem Kopf aufgetaucht waren, sie selbst maßlos verwirrten, das alles hier war so absurd, dass sie befürchtete, dass es diesmal Yu sein könnte, die sie für verrückt erklärte. "Ich weiß nicht wie ich das erklären soll." Nemuri suchte nach Worten, logischen Worten. Doch Logik gab es hier keine. Wie so oft in den letzten Tagen, war es ihr nicht möglich, für das was passierte oder passiert war, eine logische Erklärung zu finden. "Die Schüler in den Trainingsuniformen, die Maus und ein paar andere Personen, das alles hat sich mir heute Morgen urplötzlich in den Kopf gebrannt. Diese Bilder waren einfach da, zusammen mit unglaublichen Kopfschmerzen. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat, ich weiß nur, dass die Bilder plötzlich vor meinem innere Auge aufgetaucht sind. Ich brauchte heute Morgen jedenfalls einen Moment, um mich halbwegs wieder zu sammeln." Yu blickte sie weiterhin direkt an und wirkte verwirrt und nachdenklich zugleich. "Diese Bilder sind einfach so aufgetaucht?", hakte sie noch einmal nach. "Wie kann das sein? Aber das, was du mir eben beschrieben hast, konnte ich ganz eindeutig zuordnen. Diese Dinge kannst du dir folglich weder eingebildet noch ausgedacht haben." Die Lehrerin massierte sich die Schläfen und warf Yu ein schiefes, fast schon gequältes Schmunzeln zu. "Ganz schön schräg, oder?" Die Jüngere nickte. "Und ich bin fest davon ausgegangen, dass du sauer auf mich warst, weil ich den Kuss abgebrochen habe." Der Blick Nemuris intensiv blauer Augen lag auf der Kleineren. "So ein Quatsch. Aber diese Bilder, die plötzlich vor meinem inneren Auge aufgetaucht sind..., sie waren in dem Moment da, wo wir uns geküsst haben. Und der Schlafnebel, Quirk wie du es nennst, ist erstmalig aufgetreten, nachdem ich dir im betrunkenen Zustand versehentlich zu nah getreten bin." Das auszusprechen war schon ziemlich schräg. Das Yu diese Aussage ebenfalls irritierte und ihr zu denken gab, war der Jüngeren deutlich anzusehen. "Normalerweise würde ich jetzt sagen, dass das gar nicht sein kann, aber was ist hier in den letzten Tagen schon normal? Angefangen mit der Tatsache, dass ich überhaupt erst hier in dieser Parallelwelt gelandet bin.", sprach Yu ganz einfach das aus, was ihr als erstes in den Sinn kam. Der Profiheldin schwirrte der Kopf. Nemuri hatte ihr gerade erzählt, dass sie Bilder aus ihrer Welt gesehen hatte und ihre Quirk sich erstmalig aktiviert hatte, als sie in ihrer Nähe gewesen war. Was hatte das nur zu bedeuten? Wo kam diese plötzliche Verbindung der Parallelwelten her? Erinnerungen ihrer Nemuri konnten es nicht sein, immerhin war sie... Allein der Gedanke daran schmerzte. Sogleich versuchte Yu einen anderen Erklärungsansatz zu finden. "Du sagst also, dass diese Bilder dann aufgetaucht sind, als ich in deiner Nähe war?", hakte sie noch einmal nach, um Nemuris Meinung dazu zu hören. Die Lehrerin nickte. "Diese Welt fing an verrückt zu spielen, nachdem wir uns über den Weg gelaufen sind und ja, das Schlafgas und diese seltsamen Bilder sind jeweils dann aufgetreten, als wir uns nah waren. Beweisen kann ich es nicht, aber für mich sieht es so aus, als wärst du der Schlüssel für all das hier." "Der Schlüssel?" Yu stutzte. Wenn Nemuri Recht hatte, dann waren die seltsamen Wetterphänomene und das Auftauchen der Nomu ihre Schuld? Nur das sie nichts daran ändern konnte, da sie keinen Einfluss auf all das hatte. Aber Nemuris Quirk hatte sich aktiviert, als die Ältere sich in ihrer Nähe befunden hatte, genauso, wie die Bilder aus ihrer Welt plötzlich vor dem inneren Auge der Lehrerin aufgetaucht waren, als sie sich heute Morgen geküsst hatten. Bedeutete das am Ende also, dass sich noch mehr Erinnerungen wachrütteln ließen, wenn sie sich in Nemuris Nähe befand? Erinnerungen waren hier vielleicht das falsche Wort, aber vielleicht ergab sich daraus die Möglichkeit, etwas mehr Klarheit in all das Chaos zu bringen. Kurzentschlossen rückte Yu näher zu der Lehrerin heran und zog sie zu sich herunter. "Wenn meine Nähe vielleicht so etwas wie der Schlüssel ist, vielleicht lässt sich der Effekt dann wiederholen und wir bekommen endlich ein paar Antworten auf all die Fragen, die sich in den letzten Tagen ergeben haben." Nemuri hatte die Blondine im ersten Moment verwundert angesehen, als diese sie aus ihrer ursprünglich sitzenden Position zu sich gezogen hatte. Sie dachte über ihre Worte nach, fand aber natürlich keine Antwort darauf. Es war immerhin nicht so, dass sie sich täglich über solche Probleme den Kopf zerbrechen müsste. "Woher soll ich das wissen? Ich habe keine Ahnung, ob sich das wiederholen lässt." Yu zuckte mit den Schultern, dann legte sie einen Arm um ihr Gegenüber. "Finden wir es ganz einfach heraus. Eine Umarmung tut nicht weh, also nimm mich in den Arm.", forderte sie. Perplex blickte Nemuri sie an. Es war das erste Mal, dass Yu ganz bewusst ihre Nähe suchte und auch einforderte, wenn man mal von der Tatsache absah, dass sie im Schlaf zu ihr herangerückt war. Dann schmunzelte sie. Warum nicht? Wie die Blondine schon sagte, eine Umarmung schadete nicht und außerdem war die Jüngere zu niedlich, wie sie sich da gerade an sie schmiegte. Die Lehrerin schob einen Arm unter Yu hindurch und legte den anderen Arm um sie, ehe sie die Kleinere zu sich zog. Die Körperwärme, die von der Heldin ausging war angenehm und erneut musste Nemuri feststellen, wie perfekt die Jüngere aufgrund des Größenunterschieds doch in ihrer Umarmung lag. Auch Yu konnte nicht leugnen, dass die Nähe zu Nemuri angenehm war. Ihre Umarmung verursachte ein leichtes Kribbeln in ihrer Magengegend. Wie schon so oft in den letzten Tagen, musste sie feststellen, wie richtig sich Nemuris Nähe anfühlte. So richtig und gleichzeitig so falsch. Was für ein bittersüßes Gefühl. Immerhin handelte es sich bei der Lehrerin lediglich um das Spiegelbild ihrer Nemuri. Dennoch, sie zu umarmen ging schon in Ordnung. Nicht nur, weil sie sich wohl bei ihr fühlte, sondern vor allen Dingen auch, weil sie sich weitere Antworten auf all das Chaos versprach. Wenn ihre Nähe wirklich der Schlüssel war, der ein paar weitere 'Erinnerungen' wachrütteln konnte... Etwa fünf Minuten vergingen. In der Umarmung der Älteren zu liegen und ihre Wärme zu genießen, war ein wirklich schönes Gefühl. Es war Yu gelungen, das schlechte Gewissen für einen Moment zur Seite zu drängen, die Augen zu schließen und sich ganz einfach an die Lehrerin zu kuscheln. Eine Weile lagen sie ganz einfach so da, dann war Nemuri es, die sich regte und schließlich das Wort ergriff: "Ich fürchte, das funktioniert nicht. Es ist zwar nett mit dir zu kuscheln, aber auf unserer Suche nach Antworten bringt es uns nicht weiter, Süße. Ich fühle mich zumindest wie immer. Höchstens etwas schläfrig, weil es hier so gemütlich ist." Sie strich der Blondine liebevoll über die Wange, ließ sie dann jedoch wieder los, setzte sich auf und streckte sich. "Nicht, das ich hier gleich wirklich noch einschlafe.", gähnte sie. Yu blickte zu der Lehrerin hoch und blieb noch einen Moment auf der Seite liegen. "Wäre ja auch zu leicht gewesen.", murrte sie. Im Prinzip hätte sie nichts dagegen gehabt, noch etwas so liegen zu bleiben. Auch wenn es eigentlich nicht sein sollte. Wie sehr sie sich wünschte, dass es die Nemuri ihrer Welt gewesen wäre, in deren Armen sie eben noch gelegen hatte. Wie sehr sie sich wünschte, sie wiederzuhaben. Aber das war unmöglich. Ihr Gegenüber war ihrer Nemuri zwar so ähnlich, dass sie es selbst fast nicht glauben konnte, doch sie war nun einmal eben ihr Spiegelbild. Dennoch fühlte sie sich in ihrer Nähe unglaublich wohl. Es war so leicht, ihre Gefühle auf die Nemuri dieser Welt zu projizieren. Obwohl sie genau das nicht sollte. Yu schämte sich dafür, dass sie sich immer wieder daran erinnern musste, dass es sich um zwei verschiedene Personen handelte. Doch so falsch es auch schien, wäre ihre Nemuri ihr böse, wenn sie ihr Gewissen für einen Moment bei Seite schob, um etwas auszuprobieren, was vielleicht etwas mehr Klarheit in das ganze Chaos der letzten Tage bringen würde? Vermutlich wäre sie das nicht, wenn es in der aktuellen Situation weiterhalf. Auch Yu setzte sich wieder auf. "Einen Versuch haben wir allerdings noch.", stellte sie nun an die Lehrerin gewandt fest. Diese blickte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue fragend an. Yu gab sich einen Ruck. Vielleicht half es ja. Und vielleicht durfte sie sich für einen Moment erlauben, sich zurück in die Arme der Frau zu wünschen, die sie liebte und die das Schicksal ihr auf so grausame Art und Weise genommen hatte. Die Blondine lehnte sich nach vorne, schloss die Augen und küsste die Lehrerin auf die Lippen. Sie konnte Nemuris Überraschung im ersten Moment fast schon spüren. Kurzzeitig spannte die Ältere sich an, dann jedoch ging sie auf den Kuss ein. Auch Yu ließ sich auf die selbstgewählte Nähe zu der Dunkelhaarigen ein. Sie genoss das Gefühl der weichen Lippen auf ihren. Sie musste zugeben, dass Nemuri wirklich gut küssen konnte. Und sie roch genau so gut wie die Nemuri ihrer Welt. Für den Moment fiel es Yu nicht schwer, ihren Kopf auszuschalten, sich gänzlich auf den Kuss einzulassen und sich zurück in die Arme ihrer Freundin zu träumen. Nach der ersten Überraschung darüber, dass es tatsächlich Yu gewesen war, die die Initiative ergriffen hatte, ließ auch die Lehrerin sich recht schnell auf den Kuss ein. Es fiel ihr nicht schwer sich zu entspannen und die Nähe der Jüngeren ganz einfach zu genießen. Nicht nur, dass die Blondine ganz generell genau in ihr Beuteschema fiel und ihr Interesse auf sich gezogen hatte, das hier fühlte sich so richtig an...so vertraut. Es war eindeutig angenehm Yu zu küssen. Die Lippen der Jüngeren auf ihren fühlten sich gut an. ...was sich hingegen weniger gut anfühlte, waren die migräneartigen Kopfschmerzen, die wie aus dem Nichts und schlagartig einsetzten. Der Schmerz kam so heftig und so plötzlich, das Nemuri im ersten Moment gar nicht wusste, wie ihr geschah. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf würde jeden Moment in viele kleine Teile zersplittern. Dennoch ging sie nicht auf Abstand, sondern blieb in Yus Nähe und unterbrach den Kuss nicht. Die Kopfschmerzen drohten sie zu zerreißen. Bunte Punkte tanzten vor ihren Augen. Dann, so als wäre ein Knoten geplatzt, fluteten Bilder auf sie ein. Bilder über Bilder. Die Schüler in den blauen Trainingsanzügen, scheinbare Ausschnitte aus dem Unterricht und Training, Lehrer der UA, da war sie sich ganz sicher. Namen zu den Gesichtern fanden den Weg in ihren Kopf, fast so, als hätte sie sie nur verdrängt. Da waren plötzlich Bilder von sich selbst in jüngeren Jahren. Arbeitete ihr Spiegelbild als Sidekick? Woher auch immer ihr dieser Begriff so plötzlich in den Sinn kam. Sie sah sich, Seite an Seite mit zwei vertrauten Gesichtern arbeiten, die sie instinktiv als Eraser Head und Present Mic erkannte. Ein gutes Gefühl. Wieder andere Bilder. Yu und sie liefen gemeinsam durch die Stadt. Ein Szenenwechsel, sie hielt die Blondine in den Armen, welche sich fast schon scheu und mit rosanen Wangen an sie schmiegte. Zuneigung zu der Kleineren schwappte wie eine Welle über Nemuri hinweg. Wieder wechselten die Bilder in ihrem Kopf. Ein Schlachtfeld. Überall Kämpfende, Verletzte und Tote. Auch sie selbst kämpfte. Sie sah ein riesiges Monster, welches selbst Yu in ihrer Riesenform noch überragte. Schließlich sah Nemuri erneut sich selbst - verletzt am Boden liegend und allein, getrennt von den anderen. Nein, nicht ganz allein. Eine andere Person näherte sich ihr. Ein Feind. Ein seltsames Gefühl kam in ihr auf. Der Schurke holte aus und schlug zu. Schmerz, Dunkelheit...war sie...? Nemuri schrie auf und stieß Yu von sich, ohne es wirklich zu bemerken. Sie rollte sich auf dem Bett zusammen und hielt sich den Kopf. Ihr Schädel drohte vor Kopfschmerzen zu zerspringen und ihr Herz raste. Panik hatte Besitz von ihr ergriffen, Todesangst. Hatte...hatte sie da gerade ihren eigenen Tod gesehen? Langsam ließen die Kopfschmerzen nach, doch die Lehrerin lag noch zitternd und sich den Kopf haltend auf der Seite. Im ersten Moment hatte Yu sie verblüfft und erschrocken angesehen, dann spiegelte sich Sorge in ihrem Blick. Sofort war die Blondine bei ihr, hatte sich über sie gebeugt und eine Hand auf ihre Schulter gelegt, unsicher, was sie tun sollte und wie sie helfen konnte. "Nemuri...?", sprach Yu die Ältere an. "Hey, was ist passiert? Geht es dir gut?" Langsam, ganz langsam beruhigte Nemuris Herzschlag sich wieder. Das Gefühl, in einem reißenden Strudel aus Bildern und Erinnerungen gefangen zu sein, ließ nach. Sie konnte endlich wieder durchatmen. Ganz von selbst setzte sie sich auf, ohne wirklich darüber nachzudenken. Die Lehrerin war noch kalkweiß im Gesicht. Eine Schweißperle rann ihr über die Stirn. "Es ist..., es geht wieder.", brachte sie stockend heraus. Yu strich ihr einige Strähnen aus dem Gesicht und sah sie weiterhin besorgt an. "Was ist passiert, Nemuri? Du hast geschrien und sahst aus, als hättest du furchtbare Schmerzen." "Die Kopfschmerzen sind wieder weg. Es ist so, dass ..." Nemuri brach ab und musterte Yu. Erneut wurde sie von einer Welle der Zuneigung zu der Jüngeren gepackt. Sie gab dem Gefühl ganz einfach nach, zog sie in eine Umarmung und lehnte das Kinn auf den blonden Schopf. "Nemuri?" Yus Stimme klang fragend, doch sie hielt still. "Es ist nur das was?", hakte sie schließlich nach. Die Lehrerin öffnete den Mund, um ihr eine Antwort darauf zu geben, doch dann stockte sie und entschied sich dagegen. Da war so viel, das sie selbst erst einmal verstehen und gedanklich ordnen musste. "Schlaf jetzt.", flüsterte sie, ehe eine Wolke aus rosa Schlafgas den Raum vernebelte. Sie konnte spüren, wie Yu stutzte, doch dann entspannte sie sich auch schon in ihrer Umarmung und kippte etwas mehr gegen sie. Die Atemzüge der Blondine gingen ruhig und regelmäßig. Sie war eingeschlafen, kaum das sie das Schlafgas eingeatmet hatte. "Meine Quirk hat schon immer ausgesprochen gut auf dich gewirkt.", nuschelte die Lehrerin gegen Yus blonden Schopf und gab ihr einen kurzen Kuss auf den Haaransatz. Für den Moment hielt sie die schlafende Profiheldin einfach nur in den Armen und nutzte die kurze Auszeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Yu..., ihre Yu. Sie erinnerte sich wieder. An alles. Der seltsame Nebel war aus ihrem Kopf verschwunden. Die Bilder und Erinnerungen ergaben plötzlich Sinn. Nur die Stimme, die sie wie ein leises Flüstern in ihren Gedanken gehört hatte, als sie ihren eigenen Tod gesehen hatte... »Es war nicht deine Zeit.« Diese Worte...das hatte ganz nach Großvater geklungen. Aber wie? Nemuri massierte sich die Schläfen. Plötzlich hatte sie auf so viele Fragen eine Antwort und gleichzeitig waren so viele neue Fragen aufgekommen. Ihre letzten Momente gesehen zu haben, war verstörend. Aber ihre Erinnerungen waren wieder da. Klar und deutlich. Die UA, die Schüler, ihre Vergangenheit, Freunde und Bekannte, ihre Kollegen, Yu... aber gleichzeitig waren da auch die Erinnerungen, die sie aus dieser Welt hatte. Die Schule an der sie unterrichtete, ihre Schüler und Kollegen, die Abende, an denen sie mit den anderen Lehrern noch die Stadt unsicher gemacht hatte. Wie konnte das sein? Wieso konnte sie sich an all das erinnern? Fast so, als hätte sie zwei Identitäten. Als hätte sie zwei Leben. ...Als gäbe es zwei Realitäten? Sie schlang die Arme wieder um Yu und zog sie nah an sich. Ihre Nähe und Wärme tat gut. //Was passiert hier nur? Bin ich... tot? Nein, ich lebe. Bloß... wer bin ich wirklich?// Eine quälende Frage, die Nemuris Weltbild noch um einiges Mehr erschütterte, als die Vorkommnisse der letzten Tage. Kapitel 8: ----------- Langsam wachte die Blondine auf. Ihr Bett war gemütlich und die Bettwäsche angenehm weich und flauschig. Sie ließ sich die Zeit, noch einen Moment die Augen geschlossen zu lassen, den entspannten Start in den Tag zu genießen und ganz langsam wacher zu werden. Schließlich blinzelte Yu, gähnte leise und streckte sich. Sie fühlte sich wunderbar erholt und ausgeschlafen. Herrlich. Langsam realisierte sie, dass sie sich in dem Hotelzimmer befand, welches Nemuri und sie gestern noch angemietet hatten, um vorerst unterzutauchen. Und so wie es schien, musste es schon später Morgen sein, denn draußen war es bereits hell. Wobei das Licht irgendwie falsch wirkte. Anstatt dem gewohnten Sonnenschein, wirkte das Tageslicht heute ungewöhnlich violett, fast so, als hätte jemand das Fenster mit einer entsprechenden Folie überklebt. Yu runzelte die Stirn, wandte den Kopf in Richtung Fenster und blickte hinaus, da die Vorhänge bereits bei Seite gezogen waren. In der Tat wirkte der Himmel heute mehr violett als blau. Nicht so intensiv und unheilvoll wie gestern noch, aber normal waren diese Lichtverhältnisse ganz eindeutig nicht. Als die Badezimmertür sich öffnete, wandte Yu den Blick vom Fenster ab, rollte sich auf die Seite und schenkte ihre Aufmerksamkeit nun der Lehrerin, welche gerade den Wohnbereich des Hotelzimmers betreten hatte. "Na, endlich aufgewacht?", begrüßte Nemuri sie schmunzelnd. Ihre Augen funkelten amüsiert. "Du hast so tief geschlafen, die Einbrecher hätten dich aus dem Raum tragen können und du hättest es nicht gemerkt." "Morgen...", kam es noch etwas träge von Yu. Erneut gähnte sie. "Ich war eben müde." Sie setzte sich im Bett auf und streckte sich erneut, wobei sie inzwischen bereits wacher wirkte. "Wie spät ist es denn?" "Inzwischen fast 10:30 Uhr.", erklärte Nemuri ihr. Die Lehrerin hatte sich bereits umgezogen, hatte sich jedoch noch ein Handtuch über die Schultern gelegt, da ihre Haare nach dem Duschen noch nass waren. Schon fast 10:30 Uhr? Oh, na dann hatte sie heute wirklich lange geschlafen, befand die Blondine. Allerdings war es auch nicht so, dass sie in dieser Welt zu spät zur Arbeit kommen könnte, oder ähnliches. Sie konnte es sich folglich leisten. Dann jedoch stutzte sie, als sie sich daran erinnerte, worüber sie gestern Nachmittag gesprochen hatten. Sie erinnerte sich wieder daran, wie die Ältere aufgeschrien und sich vollkommen verstört zusammengerollt hatte, als es ihnen scheinbar tatsächlich gelungen war, noch einige weitere Bilder aus der Parallelwelt - ihrer Welt - in Nemuris Gedächtnis zu brennen. Dann, nachdem sie sich wieder etwas gefangen hatte, hatte Yu von ihr wissen wollen, was genau passiert war, doch anstelle einer Antwort, hatte Nemuri ihre Quirk genutzt und sie in einen tiefen Schlaf versetzt. Sie hatte ihre Quirk genutzt. Über diese Tatsache stolperte die Profiheldin nun. Nemuri hatte ihre Quirk gestern nicht unbewusst, sondern ganz gezielt genutzt. Zu dem Zeitpunkt, zu dem sie sie hatte nutzen wollen und in einer Dosierung, die sie sofort ausgeschaltet hatte. Yu schlug die Decke zurück und stand auf. Einerseits war sie empört darüber, dass die Lehrerin sie gestern einfach so hatte einschlafen lassen, andererseits bedeutete dies doch auch... "Du hast mich gestern einschlafen lassen. Absichtlich!", stellte sie halb vorwurfsvoll, halb fassungslos darüber, das Nemuri dazu plötzlich in der Lage war, fest. So irritiert und überfordert, wie die Dunkelhaarige neulich noch in Bezug auf ihre Quirk gewesen war, glaubte Yu ausschließen zu können, dass Nemuri neulich gelogen hatte, als sie ihr gesagt hatte, dass sie keine Ahnung habe, was eine Quirk überhaupt sei. Angesprochene nickte. Die Lehrerin wirkte amüsiert darüber, aber gleichzeitig lag auch etwas anderes in ihrem Blick. Die Art und Weise, wie sie sie musterte, war anders. So liebevoll und irgendwie so, als betrachtete sie gerade eine ihr wichtige Person, die für eine lange Zeit verschwunden und nun wieder aufgetaucht war. "Das ist korrekt.", neckte Nemuri die Profiheldin, ohne sich dafür zu rechtfertigen. "Hey! Sag mal, was fällt dir eigentlich ein?!", regte Yu sich auf, fügte dann jedoch ruhiger und ernster hinzu: "Wie ist das überhaupt möglich? Du hast deine Quirk gestern ganz gezielt eingesetzt." Für einen langen Moment musterte Nemuri die Jüngere nur mit ihren intensiv blauen Augen. "Es ist möglich, weil ich mich wieder erinnere. An alles." Yus Augen weiteten sich. Nemuri erinnerte sich an alles? Was genau meinte sie damit? Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Fast schon hatte die Profiheldin das Gefühl, es würde ihr jeden Moment aus der Brust springen. Nemuri konnte doch unmöglich nur damit gemeint haben, dass sie sich ganz einfach genau daran erinnerte, wie sie ihre Quirk ganz gezielt nutzte. Und wenn sie von Erinnerungen sprach, meinte sie dann etwa...konnte es? Der Blondine schwirrte der Kopf. Ein Fünkchen Hoffnung war entflammt und breitete sich rasant in ihr aus, auch wenn Nemuri noch nichts bestätigt oder erklärt hatte... und der Gedanke, der ihr da eben gekommen war, eigentlich absolut unmöglich war. //Sei keine Idiotin. Das ist unmöglich.//, schalt sie sich in Gedanken selbst, um auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und die bittere Enttäuschung, die gleich zweifelsohne eintreten würde, schon einmal etwas abzumildern. Wie kam sie überhaupt auf diesen Gedanken? Das war doch verrückt! Andererseits sagte ihr Bauchgefühl ihr... "An alles? Das musst du mir erklären, fürchte ich.", hörte sie ihre eigene Stimme krächzen. Nemuri ging auf sie zu, blieb vor ihr stehen und strich ihr mit einer Hand über die Wange. Der Blick der blauen Augen war so liebevoll und so vertraut. "Gestern war es so, als wäre ein Knoten geplatzt. Die Bilder in meinem Kopf, ergeben plötzlich Sinn, weil ich mich daran erinnere.", begann Nemuri zu erklären. Yu hatte das Gefühl, als hätte ein Lkw sie erwischt. Ihr logisches Denken hatte ausgesetzt. Sie hörte Nemuris Worte und war sich gleichzeitig doch nicht sicher, ob sie sie richtig verstanden hatte. Die Ältere sprach weiter und das alles fühlte sich so unwirklich an. Wie ein Traum, den sie so sehnlichst träumen wollte und aus welchem sie unter keinen Umständen aufwachen wollte... mit dem Wissen, dass jeden Moment der Wecker klingeln und es vorbei mit der Magie sein könnte. "Diese Bilder, nein viel mehr meine Erinnerungen, sind wieder da. Ich erinnere mich wieder an meine Vergangenheit in deiner Welt, die UA, die Zeit als Sidekick und meine Arbeit als Lehrerin." Während Nemuri sprach, füllten die Augen der Blondine sich mit Tränen. Sie konnte kaum glauben, konnte nicht fassen, was sie da hörte. Yu kniff sich in den Arm, doch der Schmerz war real, was bedeutete, dass dieses Gespräch hier ebenfalls die Realität sein musste. "Ich hatte die Erinnerungen an meine Schüler und an Freunde und Kollegen wie Eraser und Mic fast vergessen, aber nun ist der Nebel aus meinem Kopf verschwunden. Ich erinnere mich wieder. Klar und deutlich." Mit offenem Mund starrte Yu die Ältere an. Nemuri hatte die anderen Lehrer der Heldenschule namentlich erwähnt, aber in dieser Welt schien es sie nicht zu geben, was zwangläufig bedeuten musste... "...und an uns kann ich mich auch wieder erinnern.", hörte sie Nemuri gerade erklären. Der Blick der Größeren ruhte liebevoll auf ihr. Zwar kam Yu all das hier immer noch vor wie ein Traum und sie konnte kaum fassen, was Nemuri da gesagt hatte, doch sie wusste, dass sie es sich nicht eingebildet hatte. Auch wenn ihr Kopf nach wie vor, vor Fassungslosigkeit rauschte, der Strudel der maßlosen Verwirrung wurde von purer Freude zur Seite gedrängt. Im nächsten Moment fiel die Blondine ihrem Gegenüber auch schon um den Hals, so schwungvoll, dass Nemuri tatsächlich zwei Schritte zurückstolperte, ehe sie sich wieder fing. Yu umarmte die Ältere und vergrub das Gesicht an ihrer Schulter. "S-soll das etwa heißen, du bist die Nemuri aus meiner Welt? ...Meine Nemuri?", hakte die Blondine noch einmal nach. Ihre Stimme zitterte, während Yus Mimik Unglaube und pure Freude zugleich spiegelte. Sie schmiegte sich enger an die Lehrerin, verstärkte ihre Umarmung, fast so, als befürchtete sie, dass die Ältere sich im nächsten Moment in Luft auflösen könnte. Schließlich hob sie den Blick wieder. So dicht, wie Yu sich an Nemuri geschmiegt hatte, musste sie aus ihrer aktuellen Position ein wenig zu ihr aufsehen, um ihr richtig ins Gesicht zu blicken. "Wie ist das möglich?" Fassungslos wie sie war, klang ihre Stimme eher wie ein fremdgesteuertes Flüstern. Es dauerte einen Augenblick, bis Yu realisierte, dass sie es war, die die Frage gestellt hatte. Nemuri blickte in die ungläubigen, aber vor Freude strahlenden, rötlichen Augen. Die Augen der Kleineren spiegelten ihre Gefühle fast ungefiltert wieder, sodass die Mimik der Profiheldin in diesem Moment zu lesen war, wie ein offenes Buch. Umso schwerer fiel es der Lehrerin, zu einer Antwort anzusetzen. Sie strich der Blondine eine Strähne aus dem Gesicht, woraufhin diese die Wange an ihre Hand schmiegte. Zu niedlich, zumal sie Yu so anhänglich und anschmiegsam gar nicht kannte. "Es soll heißen das-", Nemuri brach ab und suchte nach den richtigen Worten für ihre Erklärung. "Es kann gut sein, dass du Recht hast und ich es wirklich bin. Aber sicher bin ich mir nicht. Die Erinnerungen an das Leben in deiner Welt sind vollständig wieder zurück, allerdings habe ich gleichzeitig auch Erinnerungen an das Leben in dieser Welt." Eine Tatsache, die sie selbst zutiefst verwirrte, zumal Nemuri nicht glaubte, dass es möglich war, dass zwei Existenzen mit einem Mal miteinander verschmolzen. "Bis gestern war ich mir sicher zu wissen wer ich bin. Das ist etwas, worüber man im Normalfall gar nicht nachdenkt. Nun allerdings... ich weiß nicht was es zu bedeuten hat, das ich Erinnerungen aus beiden Welten habe." Das Weltbild der Lehrerin stand Kopf, was man ihr kaum verübeln konnte. Normalerweise musste sich immerhin niemand Gedanken darüber machen, aus welcher Welt er nun stammte. Doch der Schmerz, der kurzzeitig in Yus Blick aufflammte, überschattete ihre eigene Verwirrtheit für den Moment. Es tat ihr leid, der Profiheldin nicht die Antwort geben zu können, die sie zweifelsohne hören wollte. Fast schon war Nemuri geneigt gewesen, einfach zu behaupten, ebenfalls aus dem Paralleluniversum zu stammen, einfach um die Kleinere glücklich zu sehen. Aber sie anzulügen, erschien ihr ebenfalls mehr als falsch. Sie wusste nicht, wer sie war und sie hielt es für das Beste, Yu gegenüber diesbezüglich mit offenen Karten zu spielen. "Du bist dir nicht sicher, wer du bist?" Die Blondine blickte zu der Lehrerin hoch. "Das muss schrecklich sein." Nemuri sah der Jüngeren an, dass diese versuchte ihren eigenen Schmerz zu überspielen. Sie tat ihr leid, denn wenn sie ihre Erinnerungen richtig deutete, dann glaubte sie zu wissen, wie Yu und sie in der Parallelwelt getrennt worden waren. "Es ist wahnsinnig verwirrend, nicht zu wissen wer ich bin.", gab sie zu. Die Lehrerin zog ihre Gesprächspartnerin mit sich und setzte sich schließlich auf die Bettkante, um nicht die ganze Zeit über im Zimmer herumzustehen. Yu tat es ihr gleich. "Es tut mir leid, dir keine andere Antwort geben zu können." Und dies meinte Nemuri tatsächlich genauso wie sie es sagte. Sie suchte direkten Blickkontakt und wirkte ernst und nachdenklich zugleich. "Aber von diesem Problem mal ganz abgesehen, gibt es etwas, das ich unbedingt wissen muss." Yu blinzelte. Ganz offensichtlich versuchte sie sich auf das Gespräch zu konzentrieren, blickte die Ältere aufmerksam an und legte leicht fragend den Kopf schief. "Es geht um mein Ich aus deiner Welt.", begann Nemuri und wählte diesen Begriff der Einfachheit halber. "Ich kann mich an alles erinnern. Die Bilder sind ganz klar und deutlich. Auch die, an die große Schlacht." "Du kannst dich an die Schlacht von vor ein paar Wochen erinnern?", japste die Profiheldin sichtlich erschrocken. Nemuri nickte und fuhr fort. "Ja, kann ich. Es haben wahnsinnig viele Helden und Schurken gegeneinander gekämpft. Ein heilloses Chaos und dann auch noch dieses riesige Monster." Allein schon, wenn sie sich diese Bilder wieder ins Gedächtnis rief, bekam sie beinahe eine Gänsehaut. Yu schien es ähnlich zu gehen. Das ihr das Gesprächsthema ganz und gar nicht gefiel, war der Profiheldin zudem deutlich anzusehen. Sie rückte unbehaglich auf der Bettkante herum. Was für ein wunder Punkt die Schlacht für die Blondine war, hatte Nemuri neulich ja schon mitbekommen. Seit gestern glaubte sie allerdings auch zu wissen, was genau es war, was die Jüngere ganz besonders traumatisiert hatte. Gerne hätte sie es Yu erspart weiter nachzubohren und Salz in die Wunde zu streuen, doch es war zu wichtig, als das Nemuri das Thema hätte aussparen können. Da gab es etwas, was sie unbedingt in Erfahrung bringen musste und diese Frage konnte nur die Profiheldin ihr beantworten. "Ich weiß, dass ich während des Kampfes von den anderen getrennt worden bin. Ich sehe Bilder von mir, wie ich verletzt auf dem Boden liege, unfähig aus eigener Kraft aufzustehen. Da war dieser Schurke, der auf mich zukam und letztlich zum Schlag ausgeholt hat." Kurz hielt sie inne. Yu konnte sich allem Anschein nach schon denken, welche Frage Nemuri ihr stellen wollte. Die Augen der Blondine schimmerten feucht, doch sie blinzelte die aufsteigenden Tränen tapfer fort. "Bin ich...?", begann Nemuri, brach jedoch ab. "Nein, viel mehr: ich bin in dieser Schlacht gestorben, oder? Dieser Schurke hat mich getötet." Das war mehr eine Feststellung als eine Frage, da sie sich bereits ziemlich sicher war, wie die Antwort ausfallen würde. Dennoch wollte sie diesen Fakt, ihren eigenen Tod, noch einmal bestätigt haben. Yu blickte sie entsetzt an. Sämtliche Farbe war aus dem Gesicht der Profiheldin gewichen, ehe sie kaum merklich nickte. Schließlich ballte sie die Hände zu Fäusten und wandte den Blick ab. "Ja, bist du.", antwortete sie ihr. "Es war niemand bei dir, der dich hätte beschützen können. Ich habe es erst nach der Schlacht im Krankenhaus erfahren." Ihre Stimme zitterte. "Es tut mir so leid, dass ich nicht da war um dich zu beschützen, als du mich gebraucht hast!" Nemuri griff nach einer Hand der Profiheldin und drückte diese leicht. "Aber das ist doch nicht deine Schuld!", widersprach sie heftig. "Jeder von uns wusste, worauf er sich bei dieser Schlacht einlässt.", hielt sie ihr vor Augen. "Zumal du damit beschäftigt warst, gegen dieses Monster zu kämpfen." Yu schüttelte den Kopf. "Gegen das ich letztlich auch nicht wirklich etwas ausrichten konnte.", kam es zerknirscht von ihr. "Aber letztlich müsst ihr diesen Gegner doch bezwungen haben, sonst ständest du heute wohl kaum hier, oder?" Die Blondine zog eine Grimasse. "Zum Glück.", bestätigte sie. "Das Schlafmittel hat irgendwann gewirkt." "Na immerhin." Nemuri seufzte, schloss die Augen und massierte sich kurz die Schläfen. Auch wenn sie dieses Gespräch gefasster führen konnte als Yu, die so aussah, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen, wirbelten die eben gewonnenen Informationen auch die Lehrerin ziemlich auf. Es stimmte also wirklich. Sie war in der Parallelwelt gestorben. Was für ein seltsames Gefühl. Selbst, wenn sich herausstellen sollte, dass die Nemuri aus Yus Welt nur eine Art Spiegelbild von ihr war, war es seltsam zu wissen, dass sie tot war. Sich an den eigenen Tod auch noch erinnern zu können, obwohl sie nun lebendig hier saß, fühlte sich erst recht surreal an. "Das ist ganz schön heftig.", räumte die Dunkelhaarige ein. "Irgendwie fühlt es sich komisch an, mich an den eigenen Tod erinnern zu können, zumal ich nicht weiß, ob es wirklich mein Tod war, oder der meines Spiegelbildes aus deiner Welt." Yu rückte ein wenig näher zu Nemuri heran, sodass ihre Oberarme sich berührten, während sie weiterhin auf der Bettkante saßen und Löcher in die Luft starrten. Die Stimmung war gedrückt und absolut surreal zugleich. Die Tatsache, dass der Himmel im Hintergrund noch violetter und dunkler geworden war, passte da nur zu gut ins Bild, fast so, als würde das seltsame Wetter die eigene Stimmung wiederspiegeln. "Als ich vor ein paar Tagen hier in dieser Welt gelandet bin, war ich erst einmal verwirrt, was genau passiert war. Aber als ich dir an diesem Abend begegnet bin, habe ich es fast nicht glauben können.", ergriff Yu das Wort. "Es hat sich angefühlt wie in einem wirren Fiebertraum. Einerseits war ich überglücklich, dich gesund und munter wiederzusehen, andererseits wusste ich, dass das eigentlich gar nicht möglich sein konnte, sodass ich angefangen habe an meinem eigenen Verstand zu zweifeln." Sie spielte mit einer der gewellten, hellblonden Haarsträhnen. "Ich weiß, dass es nicht fair und wahnsinnig egoistisch ist, mir zu wünschen, dass du die Nemuri aus meiner Welt bist. Für den Fall, dass du es nicht bist, meine ich...", begann sie das auszusprechen, was sie gerade dachte und was sie die ganze Zeit über schon beschäftigte. Plötzlich blinzelte Yu, sah auf und sah so aus, als habe sie eine neue Erkenntnis erlangt. Nemuri zog fragend eine Augenbraue hoch. "Für den Fall, dass du wirklich die Nemuri aus meiner Welt sein solltest, könnte es nicht sein, dass das hier das Jenseits ist? Ich meine, als ich in meiner Welt das Haus verlassen habe, habe ich mich noch äußerst lebendig gefühlt, aber passieren kann schnell etwas. Vielleicht hatte ich einen Unfall und habe gar nicht gemerkt, dass ich auch-" "Das ist zwar einen Gedanken wert, aber es ist ziemlicher Quatsch.", unterbrach Nemuri die Jüngere. Diese blinzelte sie fragend an. "Ich habe es dir noch gar nicht erzählt, aber als diese Nomu mich gestern in der Schule verfolgt haben, hat eins von ihnen gesprochen." "Die Viecher können sprechen?", hakte Yu nach und schaute ungläubig drein. "Das ist ja jetzt wohl nebensächlich! Hör mir gefälligst zu!", blaffte die Lehrerin. "Hey, jetzt zick mich nicht so an!", empörte die Blondine sich sofort. Nemuri musterte sie für einen Moment, fuhr ihr Temperament dann jedoch wieder herunter und schüttelte nur leicht den Kopf. Sie sparte es sich, weiter darauf einzugehen, immerhin hatten sie im Moment wirklich wichtigeres zu klären, als das Gespräch in einen belanglosen Streit abdriften zu lassen. "Dieses Monster hat zumindest zu mir gesagt :Tod derer, die nicht hier her gehören." "Tod derer, die nicht hier her gehören...", wiederholte Yu noch einmal, nun deutlich verwirrt. Zwar hatte der Nomu auch noch verlauten lassen, dass ein Blutopfer das Gleichgewicht wieder herstellen würde, doch dies erwähnte Nemuri nun lieber nicht. "Ich wusste mit diesen Worten gestern nichts anzufangen, aber aus heutiger Sicht könnte es einerseits bedeuten, dass ich tatsächlich aus deiner Welt stamme und Lebende, also du, an diesem Ort hier nichts zu suchen haben, oder aber ich stamme aus eben dieser Welt und du bist aus der Parallelwelt hier gelandet, was diesen Monstern nicht gefallen hat." Yu ließ diese Überlegungen erst einmal einen Moment sacken und dachte darüber nach, ehe sie wieder das Wort ergriff. "Also glaubst du, dass entweder Lebende an diesem Ort hier nichts zu suchen haben, oder aber Zeitreisende aus der Parallelwelt." Sie zog eine Grimasse. "Gott, das klingt alles so falsch!" Schließlich verschränkte die Blondine die Arme vor der Brust. Immerhin davon, kurz zuvor noch einmal über die Schlacht sprechen zu müssen, schien sie sich soweit wieder erholt zu haben. "So oder so haben diese Viecher ein Problem mit mir, wie es klingt." Sie zuckte mit den Schultern. "Aber das dürfte sich erledigt haben. Ich erinnere daran, dass ich die Nomu gestern besiegt habe." Nun klang ihre Stimme schon fast ein wenig hochmütig. Nemuri schmunzelte schief. "Das hast du wohl.", bestätigte sie, wurde dann jedoch wieder ernster. "Aber diese Kreaturen sind so plötzlich und wie aus dem Nichts aufgetaucht. Es ist nicht auszuschließen, dass es noch mehr von denen gibt." "Wenn das der Fall ist, dann besiege ich diese Nomu eben auch noch.", kam es selbstsicher von Yu. "Wie gesagt, ich bleibe in deiner Nähe um auf dich aufzupassen und die Nomu, die hier in dieser Welt aufgetaucht sind, können von der Stärke her den Nomu aus meiner Welt wahrlich nicht das Wasser reichen." Skeptisch musterte Nemuri sie. "Hochmut kommt vor dem Fall, das weißt du?" "Was willst du damit sagen?!", kam es wenig erfreut von der Profiheldin. Die Lehrerin verdrehte die Augen. "Egomanin.", murrte sie nur vor sich hin. "Aber das führt gerade zu nichts. Das, was ich eigentlich sagen wollte ist, dass es sich bei diesem Ort hier eher nicht um das Jenseits handeln kann. Und selbst wenn, die Worte der Nomu schließen zumindest aus, dass du tot bist." Einen Moment lang dachte Yu darüber nach, dann nickte sie. "Mag sein. Dann stellt sich mir allerdings trotzdem die Frage, wie wir herausfinden, wer genau du nun bist." Die Profiheldin konnte sich vorstellen, dass Nemuri diese Frage ebenso quälte, wie sie selbst. Zu Yus Überraschung wirkte die Ältere jedoch gar nicht so ratlos, wie sie es in Anbetracht der Situation vermutet hätte. "Vielleicht habe ich eine Idee, wie sich das klären lässt." Die Blondine legte den Kopf schief. "Wie meinst du das?" "Während du geschlafen hast, habe ich mir die ganze Zeit über den Kopf darüber zerbrochen, wer ich bin und wie ich die Wahrheit herausfinden könnte. Das mich so etwas nicht loslässt, ist immerhin kaum verwunderlich, oder?" Schließlich angelte die Lehrerin ihr Handy vom Nachtschränkchen neben dem Bett. "Ich will meinen Kollegen aus dieser Welt ein paar Fragen stellen. Vielleicht bringt das ja den ersehnten Durchbruch." "Also willst du bei der Schule vorbeisehen, um mit ihnen zu reden?", wollte Yu wissen. "Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, nach dem, was gestern passiert ist." Nemuri verdrehte die Augen. "Du bist wirklich naturblond, Süße.", spöttelte sie. "Hey! Was soll das denn heißen?!", maulte die Profiheldin gleich los. "Das ich meine Kollegen natürlich nicht in der Schule aufsuche, sondern anrufe, was denn sonst?" Wenig später, in der Schule sollte es gerade zur zweiten Pause geläutet haben, wählte Nemuri in der Tat die Handynummer eines Kollegen, mit dem sie auch privat befreundet war. Sie hatte das Handy auf lauthören gestellt, sodass Yu das Gespräch ebenfalls direkt mitbekommen würde, immerhin ging sie dies beide etwas an. Die Jüngere hatte sich seitlich aufs Bett fallen lassen, blickte sie gespannt an und wartete. Auch Nemuri selbst konnte nicht leugnen, dass dieses Gespräch äußerst spannend werden würde. Im Normalfall zerbrach sie sich nicht den Kopf darüber, spontan Personen anzurufen, mit denen sie befreundet war, doch diesmal ging es hier um etwas. Ihre Hände waren schweißnass. "Kayama? Bist du das?", meldete sich nach kurzer Zeit die vertraute Stimme Ootoris zu Wort. "Wer sonst? Ist in der Schule alles in Ordnung?" "Schon...bis auf die Tatsache, dass gestern Teile des Gebäudes und des Schulhofs zerstört wurden.", antwortete ihr Kollege verblüfft, ehe er mit deutlich besorgterer Stimme hinzufügte: "Ist denn bei dir alles in Ordnung? Ich meine, du bist gestern zusammen mit dieser Riesin abgehauen." "Natürlich ist hier alles in Ordnung. Yu und mir geht es gut.", antwortete die Lehrerin ihrem Kollegen. "Yu und dir? Heißt das, ihr seid noch gemeinsam unterwegs?", hakte Ootori nach. "Kayama, die Frau ist gefährlich! Sieh dir nur mal an, was sie gestern mit dem Schulhof angestellt hat!" Nemuri konnte beobachten, wie Yus Gesichtszüge schlagartig etwas Empörtes bekamen. Die Profiheldin öffnete bereits den Mund, um zu protestieren, doch die Ältere gab ihr mit einer Geste zu verstehen, jetzt ruhig zu sein. Auch wenn sie die Blondine nur zu gut verstehen konnte. "Sie ist ganz sicher nicht gefährlich!", stellte Nemuri daher entschieden klar. "Sie hat mich gestern vor diesen Monstern gerettet und die restlichen Anwesenden auch, wenn ich mal daran erinnern darf." "Mag schon sein, aber welcher normale Mensch kann sich urplötzlich und einfach so in einen Riesen verwandeln?!" Yamamuras Stimme klang fassungslos. Nemuri stutzte. "Yamamura? Du bist auch da?", wollte sie wissen. "Ja, er ist hier bei mir. Als ich gesehen habe, dass du anrufst, habe ich das Handy auf lauthören gestellt.", erklärte Ootori rasch. Nun, nicht das es die Dunkelhaarige störte. So könnte sie gleich ihre beiden Kollegen fragen, was ihr unter den Nägeln brannte. "Zu erklären, wie das möglich ist, würde jetzt entschieden zu lange dauern.", befand Nemuri. "Aber hört mal ihr beiden, ich rufe eigentlich wegen etwas ganz anderem an." "Ach ja?" Yamamuras Stimme klang recht nah, weshalb die Lehrerin vermutete, dass ihre Kollegen aktuell beide unmittelbar vor Ootoris Handy klebten. "Du bist heute Morgen nicht zur Arbeit gekommen. Vielleicht solltest du herkommen, damit wir in Ruhe reden können. Unter 6 Augen.", schlug Ootori vor. Nemuri verdrehte die Augen, auch wenn ihre Kollegen am anderen Ende der Leitung diese Geste nicht sehen konnten. Yu wirkte inzwischen deutlich angesäuert, weshalb sie ihr beschwörend eine Hand auf den Oberarm legte und leicht zudrückte, um sie dazu zu bringen ruhig zu sein. "Das geht derzeit nicht. Aber beantwortet mit lieber eine ganz andere Frage. Seit wann genau kennen wir uns?" Einen Moment lang herrschte Schweigen. Nemuri meinte die Verwirrung ihrer Kollegen beinahe spüren zu können. "Eh? Was ist das denn für eine Frage? Sicher, dass bei dir alles in Ordnung ist, Kayama?", wollte Ootori schließlich wissen. "Ja, bei mir ist alles in Ordnung.", stellte die Dunkelhaarige nachdrücklich fest. "Also Jungs, seit wann kennen wir uns?" "Seit äh...", meldete Yamamura sich zu Wort, dachte kurz nach und antwortete schließlich: "Seit knapp vier Wochen, glaube ich. Noch nicht ganz, aber bald sollten es vier Wochen sein." Nemuri glaubte sich verhört zu haben. Ihre Augen weiteten sich. Sie hatte das Gefühl, die anderen Lehrer schon ewig zu kennen und nun behauptete Yamamura, dass sie sich gerade einmal seit vier Wochen kannten? "Was? So kurz erst? Bist du dir da ganz sicher?", hakte sie nach. "Ja, ziemlich sicher sogar...." "Und...seit wann unterrichte ich in dieser Schule?" Ihre Zunge fühlte sich wie taub an, als sie diese Frage stellte. Das alles war so unwirklich, auch wenn sie den Anruf in erster Linie getätigt hatte um herauszufinden, wer genau sie war. "Na seit knapp vier Wochen. Seitdem kennen wir uns auch.", mischte Ootori sich ein. "Zugegeben, es fühlt sich wirklich schon länger an. Als du bei uns angefangen hast, hast du kein bisschen gefremdelt. Du hattest von Anfang an keinerlei Probleme mit den Schülern und hast uns behandelt, als würden wir uns schon ewig kennen und als wären wir alte Freunde." "Ja, mir kommt es auch so vor, als würden wir uns schon viel länger kennen. Eine neue Kollegin, die einfach da ist und sich von Tag eins so problemlos ins Schulleben und in den Kollegenkreis integriert, sieht man schließlich nicht oft." "Vor knappen vier Wochen also...", murmelte Nemuri vor sich hin und ließ die Hand, mit der sie das Handy hielt, ein Stück weit sinken. Yus und ihr Blick trafen sich. Auch die Blondine blickte sie mit ungläubigen, geweiteten Augen an. "Was ist denn los mit dir, Kayama? Da stimmt doch irgendetwas nicht?", hakte Ootori erneut nach. "Doch...doch, alles in bester Ordnung. Danke euch beiden, Jungs. Hört zu, ich muss jetzt auflegen. Ich rufe nachher nochmal an." Ihre Kollegen schienen am anderen Ende der Leitung noch etwas sagen zu wollen, doch da hatte Nemuri den Anruf auch schon beendet und ließ das Handy neben sich aufs Bett fallen. "Vor fast vier Wochen...", begann sie. "Vor fast vier Wochen bist du in meiner...unserer Welt gestorben.", ergänzte Yu den angefangenen Satz mit krächzender Stimme. Nemuri brachte lediglich ein schwaches Nicken hervor. Das war...wow.. Nun hatte sie zwar die Gewissheit, dass sie sich selbst erst seit etwa einem Monat hier in dieser Welt befand, dennoch schwirrte ihr erneut der Kopf. Es kam nicht jeden Tag vor, erst daran zu zweifeln wer man wirklich war und dann zu erfahren, dass die meisten Erinnerungen aus dieser Welt Einbildung sein mussten, um sich selbst besser in den hier herrschenden Alltag einzugliedern. Yu rückte näher an die Lehrerin heran. Sie hob das Handy auf und legte es zurück auf das Nachtschränkchen, dann griff sie nach der Hand der Älteren und hielt diese sanft in ihrer. "Dem, was die beiden sagen nach zu urteilen, musst du unmittelbar nach dem, was in unserer Welt geschehen ist, hier gelandet sein.", durchbrach die Blondine die Stille. Weiterhin fiel es ihr schwer den Tod ihrer Freundin in irgendeiner Form anzusprechen, auch wenn sie sie nun wieder hatte. Beiden Frauen schwirrte der Kopf. Während Nemuri versuchte, das eben in Erfahrung gebrachte zu verstehen und wirklich zu realisieren, konnte Yu es kaum fassen, dass diese Nemuri von Anfang an ihre Nemuri war, kein Spiegelbild oder ähnliches. "Es sieht ganz so aus.", stellte die Lehrerin noch etwas stockend fest. "Das heißt dann auch, dass es von Anfang an kein Spiegelbild von mir gab. Ich bin nur irgendwie hier gelandet. Nach meinem Tod. Das klingt...vollkommen verrückt." Natürlicherweise konnte sie es noch immer kaum fassen. Die blonde Profiheldin nickte leicht. "Das erklärt auch, warum du mir auch charakterlich von Anfang an nicht fremd vorgekommen bist." "Stellt sich nur die Frage, was das hier für ein Ort ist. Was nun mit mir ist. Ich meine...bin ich wirklich gestorben, oder bin ich irgendwie hier her gelangt und lebe noch?" Eine weitere Frage, die mehr als unwirklich klang und über die im Normalfall niemand nachdenken musste. Nemuri fühlte sich wie im falschen Film. "Ich meine, ich fühle mich eigentlich ziemlich lebendig. Mein Körper ist warm, ich fühle mich unverändert und wenn ich mich hier in dieser Welt verletze, tut es weh. Heißt es nicht eigentlich, dass Tote keine Schmerzen empfinden würden?" Die letzte Frage murmelte die Lehrerin eher vor sich hin und erwartete keine Antwort darauf. Bisher war immerhin noch niemand aus dem Jenseits zurückgekehrt, der eine Antwort auf diese Frage gehabt hätte. Und Yu konnte es erst recht nicht wissen. Die Profiheldin schmiegte sich dicht an sie und zog sie in eine Umarmung. "Ich weiß es nicht, aber wenn du dich lebendig fühlst... und diese Welt hier ist auch so real." Sie schniefte und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. "Ich will einfach daran glauben, dass du lebst. Es muss so sein.", befand sie schließlich entschieden. Die Blondine reckte sich zu der Älteren hoch und küsste sie direkt auf die Lippen. Innig und, nicht wie sonst, ohne jede Scheu. Kurz stutzte Nemuri. Ihr schwirrte noch so der Kopf, dass sie eigentlich ein wenig Zeit für sich benötigt hätte. Die Nähe zu der Kleineren war ihr in diesem Moment fast schon zu viel, andererseits konnte sie nur zu gut verstehen, wie Yu sich aktuell fühlen musste. Wäre sie in Yus Lage, sie würde ihrer Freundin nun mit Sicherheit auch nah sein wollen. Zumal die Blondine sich angenehm warm anfühlte und ihre Umarmung sich irgendwie richtig anfühlte. Sie war zu niedlich. Nemuri schloss die Augen und erwiderte den Kuss schließlich, wobei sie Yu noch etwas näher zu sich zog. "Seit diesem schrecklichen Tag, habe ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als dich wiederzusehen und wieder bei dir sein zu können.", nuschelte Yu gegen Nemuris Hals. Die beiden Frauen lagen jeweils seitlich auf dem Bett, hielten sich in den Armen und genossen die Nähe zu der jeweils anderen. Einige Minuten lang hatte ganz einfach Schweigen geherrscht. Die Anwesenheit der jeweils anderen war genug. Während Nemuri langsam zu realisieren begann, was es bedeutete, dass sie ebenfalls aus der Parallelwelt stammte und irgendwie hier gelandet sein musste, hatte Yu das Gefühl, vor Freude fast zu platzen. Nemuris Tod hatte sich daheim, in ihrer Welt, unerträglich angefühlt. Ihre Freundin hatte eine riesige Lücke in ihrem Leben hinterlassen und das Schlimmste war, dass sie mit niemandem wirklich frei darüber hatte reden können. Edge Shot und Kamui Woods hatten zwar durchaus mitbekommen, wie angeschlagen ihre Kameradin nach der großen Schlacht war und eventuell hatten sie sogar eine ungefähre Vorstellung davon, was genau es war, dass für Yu schier unerträglich gewesen war, doch wirklich offen hatten sie nie darüber geredet. Sie hatte ihren beiden Teamkameraden nie wirklich erzählt, dass sie begonnen hatte mit der Lehrerin auszugehen und was sie für sie empfand. Natürlicherweise hatte die Profiheldin nicht damit gerechnet, die Ältere je wiederzusehen, doch nun... das hier fühlte sich alles so unwirklich an. Wie ein Traum, der zu schön war um wahr zu sein. Auch wenn dieser Traum ebenfalls beinhaltete, dass sie von jetzt auf gleich sowohl aus ihrem vertrauten Umfeld gerissen, als auch von Familie und Freunden getrennt worden war und ihren Beruf nicht länger ausüben konnte, da es in dieser Welt keine Superhelden gab. Dennoch war die einzige Tatsache, die gerade für Yu zählte, dass sie Nemuri zurück hatte. Das Heimweh würde sich noch früh genug wieder einstellen, doch für den Moment war sie einfach überglücklich. Wäre es nach der Profiheldin gegangen, sie hätten den ganzen Tag über so liegen bleiben und die Umarmung der Dunkelhaarigen genießen können. Nemuri streichelte ihr sanft über den Rücken. Yu hatte die Augen geschlossen und genoss die derzeitige Situation ganz einfach nur. Ab und an musste sie dennoch blinzeln, um sich davon zu überzeugen, dass Nemuri auch wirklich hier bei ihr war und sie sich das alles nicht einbildete. Ein leises Grollen störte die Idylle. Kurz nach dem Grollen begann die Erde geringfügig zu beben. Kein so starkes Erdbeben wie neulich, lediglich ganz schwach. Es reichte gerade einmal, um es überhaupt wahrzunehmen und die Flaschen in der Minibar leise klirren zu lassen. Nemuri öffnete die Augen und sah auf. "Ein Erdbeben? Schon wieder?" Auch die Blondine blinzelte. "Scheint ganz so. Aber es ist schwächer als das Beben neulich." "Keine Frage." Dennoch drehte die Lehrerin sich in Richtung Fenster, was ihr ein unwilliges Murren von Yu einbrachte. "Es hat schon wieder aufgehört.", stellte die Jüngere fest, blickte schließlich ebenfalls in Richtung Fenster und zog die Stirn kraus. "Dafür ist der Himmel noch violetter als in den letzten Tagen." Fast wie um ihre Worte zu verdeutlichen, zuckte ein einzelner Blitz am Himmel entlang. "Diese Naturphänomene häufen sich scheinbar von Tag zu Tag mehr.", stellte Nemuri fest. Weder Yu noch sie selbst hatten gerade wirklich große Lust, sich über das seltsame Wetter den Kopf zu zerbrechen und somit die Stimmung zu ruinieren, doch als Nemuri wieder in den Sinn kam, was der Nomu zu ihr gesagt hatte, konnte sie dies nicht länger ausblenden. Ob gerade passend oder nicht, sie musste das Thema einfach ansprechen. "Ich habe dir doch erzählt, was dieser Nomu gestern gesagt hat. Tod derer, die nicht hier her gehören.", begann sie. "Was ist, wenn eine von uns, oder aber wir beide, wirklich nicht hier her gehören und diese Phänomene in Zukunft nur noch stärker werden?" Kurz dachte Yu darüber nach, auch wenn man ihr ansah, dass sie auf dieses Gedankenspiel keine besondere Lust hatte. "Wenn das Wetter damit zusammenhängt, das wieder neue Nomu hier auftauchen, trete ich ihnen wieder gehörig in den Hintern, das habe ich dir doch schon gesagt.", stellte sie fest. Nemuri seufzte. "Mag ja sein, dass du das tust und ich werde dir dabei helfen, aber nur diese Nomu zu besiegen, dämmt die Blitze und Erdbeben nicht ein." "Das stimmt schon." Yu setzte sich im Bett auf. "Aber was sollen wir dagegen tun? Gegen das Wetter sind wir machtlos, egal ob Helden oder nicht." "Soweit war ich auch schon." Die Lehrerin verdrehte die Augen. Das sie so einfach nichts gegen das Wetter ausrichten konnten, war ihr klar. "Aber denken wir jetzt mal weiter. Was ist, wenn diese Naturphänomene gehäuft auftreten, weil wir wie Fremdkörper in dieser Welt sind und sie versucht uns abzustoßen?" Yu zog ein Gesicht, während sie darüber nachdachte. "Das wäre zugegebenermaßen ein echtes Problem, aber gleichzeitig auch nichts, gegen das wir etwas unternehmen könnten. Ich meine, gegen das Wetter sind wir machtlos und eine Tür, durch die wir bequem zurück in unsere Welt spazieren können, habe ich hier noch nicht entdeckt, um dich daran zu erinnern." "Hey, nimm das Thema gefälligst nicht auf die leichte Schulter!", ermahnte Nemuri sie streng, ehe sie fortfuhr: "Das ist eine reine Spekulation, aber mal angenommen es gäbe einen Weg zurück, was würdest du tun?" Die Blondine blinzelte und schüttelte dann den Kopf, als hätte die Ältere sie gerade eine extrem dumme Frage gefragt. "Naja, ich würde trotzdem hierbleiben, was denn sonst?" Nun war es an Nemuri ihre Freundin überrascht anzuschauen. "Eh? Warum denn das?" "Na denk doch mal nach.", begann Yu. "Es kann schon sein, dass ich durch eine Art Tor unbeschadet zurück in unsere Zeit käme, aber was ist mit dir? Wenn wir zusammen durch dieses Portal gehen würden, das so vermutlich eh nicht existiert, ist vollkommen unklar, was dann aus dir werden würde. Du existierst hier in dieser Welt, aber in unserer Welt bist du gestorben. Was, wenn nur ich auf der anderen Seite ankäme?!" Nemuri starrte die Blondine einige Augenblicke lang an. Einerseits war Yus Überlegung durchaus logisch und sie verstand sie, andererseits... sollte eine Profiheldin so denken? "Du meinst, du würdest es nicht riskieren und gemeinsam mit mir hierbleiben, auch wenn es diese Welt gegebenenfalls in Gefahr bringt?" Yu griff nach den Handgelenken der Älteren. Ihre rötlichen Augen blickten sie eindringlich und gequält zugleich an. "Wir haben uns gerade erst wiedergefunden. Wie könnte ich dann allein zurückreisen, oder aber dich in Gefahr bringen? Mal ganz davon abgesehen, dass es so ein Tor vermutlich eh nicht gibt." "Du bist Profiheldin, Yu.", erinnerte Nemuri sie. "Ja, das weiß ich.", kam es entschieden von der Jüngeren. "Und ich habe geschworen, dich diesmal zu beschützen." "Bei deinem Heldenexamen hast du unter Eid geschworen, die Bevölkerung unter Einsatz deines Lebens zu beschützen und persönliche Belange nicht über das Wohl der Allgemeinheit zu stellen." Die Lehrerin konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bei diesen Worten ärgerlich klang. Sie wusste selbst, wie unfair und schwer so eine Entscheidung war. Ihr selbst würde so etwas auch nicht leicht fallen und doch... in ihrer eigentlichen Welt hatte sie gewusst, nach welchen Prinzipien sie zu handeln hatte und hatte dies sogar den Heldenschülern Jahr für Jahr beigebracht. Eine selbständige Profiheldin nun so reden zu hören, fühlte sich nicht richtig an, auch wenn sie bis zu einem gewissen Grad natürlich auch Verständnis für ihre Freundin hatte. "Wie kannst du von mir verlangen, mich zwischen dir und der Bevölkerung zu entscheiden? Du weißt genau, wie schwer so etwas ist!", brauste nun Yu auf. "Weil ich dir hier und jetzt sage, was ich wollen würde, wenn es tatsächlich die Möglichkeit gäbe zurückzureisen und diese Welt damit zu retten! Ich bin fest davon überzeugt, dass es das Richtige ist, zurückzugehen, auch wenn ich nicht weiß, wie meine Zukunft danach vielleicht aussieht. Aber wir sind Helden und es ist unsere Verpflichtung." "In der Theorie ist das alles so leicht.", schnappte die Blondine. "Zumal wir nicht vergessen sollten, dass das hier wirklich nur Theorie ist. Nichts weiter als ein Gedankenspiel. Lass uns nicht wegen etwas streiten, was sowieso nicht zur Debatte steht, weil es kein Zeittor gibt." "Yu! Du-", begann Nemuri, brach jedoch ab, als ein erneutes Beben die Stadt erschütterte. Ganz plötzlich und viel stärker als zuvor. Die Blumenvase auf der Fensterbank fiel um, ehe plötzlich Putz auf sie herab regnete und gemeinsam mit einem Stück Decke und der Lampe auf das Bett stürzte. Yu und Nemuri konnten sich gerade noch zur Seite rollen. Aufgrund des schwankenden Bodens, kamen sie nur strauchelnd auf die Füße und konnten sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Weiterer Putz rieselte von der Decke, während sich knacksend einige Risse an den Wänden bildeten. Draußen zuckten Blitze wie wild am Himmel entlang. "Raus hier! Beeil dich!", rief die Lehrerin ihrer Freundin zu. Kapitel 9: ----------- So schnell sie konnten, flohen die beiden Heldinnen aus dem Hotel, welches von dem Erdbeben stark in Mitleidenschaft gezogen wurde. Die Luft war durchsetzt von Staub. Trümmerteile lagen auf den Treppen und auf dem Fußboden und an den Wänden und Decken der Flure und der Lobby, bildeten sich immer mehr Risse. Sich bei dem schwankenden Boden auf den Beinen zu halten, war ebenfalls nicht ganz leicht. Während sie aus dem Gebäude eilten, fiel Yu auf, dass außer ihnen niemand die Flucht auf die Straße antrat. Auch die Rezeption war unbesetzt. Nirgendwo waren andere Hotelgäste, oder aber Angestellte des Hotels zu sehen. Wirklich sehr merkwürdig. Sie konnte sich kaum vorstellen, das die anderen Anwesenden bereits nach draußen entkommen waren. Und selbst für den Fall, dass außer Nemuri und ihr aktuell niemand ein Zimmer des Hotels angemietet hatte, so hätten sie dennoch auf Personal treffen müssen. Doch niemand außer ihnen floh aus dem Gebäude. Eigentlich wäre es für die Profiheldin angebracht gewesen, die Zimmer zu kontrollieren und eventuelle andere Hotelgäste zu evakuieren, allerdings würde sie dabei selbst das Risiko eingehen verschüttet zu werden. Das dieses Gebäude schon sehr bald zusammenstürzte, bezweifelte sie nicht mehr. Es würde niemandem etwas bringen, wenn Nemuri und sie sich auch unter den Trümmern wiederfanden. Nein, von vor dem Gebäude konnte sie ebenfalls helfen. Als Riesin würde es ihr immerhin leicht fallen, die Trümmer bei Seite zu räumen. Eiligst durchquerten sie die Lobby und rannten an der Rezeption vorbei. Nemuri, die vor ihr lief, musste einen Moment lang mit der Tür kämpfen, welche sich durch das Erdbeben verzogen hatte, dann war der Weg frei. Die beiden Frauen flüchteten auf die Straße. Vor dem Hotel angekommen, blieben sie einen Moment lang stehen und hielten inne. Ganz automatisch legte Yu der Lehrerin eine Hand auf die Schulter. Sie konnte nicht glauben, was sie hier sah. Aber die Berührung fühlte sich real an, was bedeutete, dass sie sich all das hier nicht einbilden konnte. "Oh Gott...was passiert hier...?", hauchte sie. Der Himmel war violett und grelle Blitze zuckten ohne Unterlass über der Stadt. Das Erdbeben ließ zwar langsam nach, doch der Schaden war bereits angerichtet. Die Gebäude in der Nähe wiesen allesamt Risse auf oder waren teilweise eingestürzt. Staub lag in der Luft, doch seltsamerweise war es totenstill. "Wie in einem Katastrophenfilm...", fand Nemuri kopfschüttelnd die Sprache wieder. Die Dunkelhaarige blickte sich fassungslos um und runzelte schließlich skeptisch die Stirn. "Diese ganze Zerstörung von jetzt auf gleich... aber warum ist hier keine Menschenseele zu sehen?" Diese Tatsache war auch Yu bereits aufgefallen. "Ich weiß es nicht. Die Zivilisten können nicht alle verschüttet worden sein, oder entschieden haben in den Häusern zu bleiben. Es ist, als wäre niemand hier." "Wie in einer Geisterstadt. Aber das ist unmöglich. Ich habe die letzten Wochen hier gelebt und das hier ist kein kleines Dorf, sondern eine Großstadt." Weiterhin scannte Nemuri mit dem Blick die Umgebung nach möglichen Zivilisten ab. "Noch nicht einmal aufgeschreckte Vögel...hier ist nichts. Und es ist viel zu still." Die Blondine konnte sich nicht wirklich erklären was hier vorging. Die letzten Tage war das hier eine ganz normale Stadt gewesen und nun...wirkte es so, als wären sie die einzigen Personen hier. Die gespenstische Stille, die zerstörten Gebäude und der violette Himmel, welcher die Umgebung in ein seltsames Licht tauchte, wirkten mehr als unheimlich. Plötzlich erfasste sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Yu verengte die Augen ein wenig und betrachtete ihre Entdeckung genauer. In etwa zwanzig Meter Entfernung regte sich etwas an einer Häuserecke. Wobei dies vielleicht der falsche Ausdruck war. Das Gebäude hatte an einer Ecke damit begonnen, zu etwas zu zerfallen, was Yu an Pixel erinnerte. Fast wie in einem Computerspiel. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Die Hausmauer zerfiel in tausende kleine Pixel, welche sich schließlich in Nichts auflösten. Das...das konnte doch gar nicht! Das war doch jetzt ein schlechter Scherz! "Nemuri, sieh dir das an! Das glaubst du nicht!", wollte sie ihre Freundin auf ihre unheimliche Entdeckung aufmerksam machen, doch die Lehrerin deutete nur ihrerseits auf ein Haus, das einige Meter weit entfernt von dem Gebäude, welches sich da gerade in Wohlgefallen auflöste, lag. Yu folgte ihrem Fingerzeig und bemerkte, dass auch dieses Gebäude damit begann sich Stück für Stück aufzulösen, wobei die Pixel sich nicht auf die Mauern des Hauses beschränkten. Langsam aber sicher griff das unheimliche Phänomen auch auf den Asphalt der Straße über. Wie ein unbekannter Virus, fraß sich ein Loch in Beton und Asphalt und hinterließ nichts als Schwärze. Yus Magen krampfte sich zusammen. Was auch immer hier gerade passierte, es war nicht gut. Ganz eindeutig nicht! "Wie in einem Computerspiel.", versuchte Nemuri das Geschehen ungläubig einzuordnen. "Wenn die Stadt damit beginnt sich aufzulösen, ist das eindeutig gar nicht gut." "Was du nicht sagst!" Yus Stimme klang nervös. Nicht nur, dass das, was hier gerade geschah, mehr als unheimlich war, ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass dies erst der Anfang allen Übels war. Und damit sollte sie Recht behalten... "Wir haben hier zwar noch viel Platz, aber wir können hier nicht bleiben. Wir müssen weg von den sich auflösenden Stellen, solange es noch geht!" "Fragt sich nur, was mit der Bevölkerung ist. Wo zum Teufel sind die ganzen Menschen so plötzlich hin?" Diese Frage ließ Nemuri keine Ruhe. Yu ging es ähnlich. "Es ist, als wären wir plötzlich ganz allein hier. Verdammt, was ist das nur für ein Ort?!" Plötzlich war die Profiheldin sich noch nicht einmal mehr ganz sicher, dass das hier eine wirkliche Stadt war. Ein ganz normaler Ort würde sich immerhin nicht plötzlich in Luft auflösen und wäre von jetzt auf gleich wie ausgestorben. "Los, verschwinden wir von hier und sehen nach, ob wir andere Leute finden und ob andere Stellen der Stadt auch von diesem Phänomen betroffen – aaah!" Anstatt den Satz zu beenden, stieß die Ältere urplötzlich einen Schmerzensschrei aus. Yu wirbelte zu ihrer Freundin herum. "Nemuri?! Hey, was...?" Auch die Blondine brach ihre Frage ab, denn sie hatte die Ursache für den Aufschrei bereits entdeckt. Ein längliches Stück Stein, welches sie fast an eine Speerspitze erinnerte, steckte in der Schulter der Lehrerin. Blut quoll seitlich aus der Wunde hervor und wurde von Bluse und Blazer aufgesogen. Ungläubig starrte Nemuri auf ihre Schulter, ihre Mimik erschrocken und schmerzverzerrt zugleich. "Verdammt...! Was zum?!", zischte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Yu war praktisch sofort bei ihr, war sich jedoch unschlüssig, wie sie helfen konnte. Ein Erste-Hilfe-Kasten lag natürlich nicht praktischerweise auf der Straße herum. "Wo kommt diese Steinspitze so plötzlich her?", stammelte die Jüngere und schüttelte ratlos den Kopf. "Geht es? Na los, lass uns schnellstmöglich von hier verschwinden und dann sehen wir, dass wir etwas finden, um deine Verletzung zu versorgen." Wie sehr sie sich gerade ihre beiden Teamkameraden her wünschte! Kamui Woods und Edge Shot könnten ihr zwar auch nicht erklären, was hier eigentlich gerade passierte, doch sie hätten mit Sicherheit besser gewusst als sie, wie man Nemuris Verletzung richtig versorgte. Anstatt sich in Bewegung zu setzen, nachdem Yu bereits sanft versuchte, die Lehrerin nach links zu drängen, wurde Nemuris Blick plötzlich fest und kalt. Ohne wirklich hinzusehen, umfasste sie mit der rechten Hand den spitzen Stein und zog ihn mit einem Ruck aus ihrer linken Schulter. Kurz verzog sie vor Schmerzen das Gesicht und fluchte leise. "Nemuri! Bist du verrückt?!", rief die Jüngere erschrocken aus. "Meine Erste-Hilfe-Kenntnisse sind ausbaufähig, aber sogar ich weiß, dass man Gegenstände nicht einfach so aus Verletzungen zieht! Verdammt, sieh dir das an! Die Wunde blutet jetzt viel stärker als vorher!" Hektisch begann die Profiheldin damit sich nach irgendetwas umzusehen, womit sich die Schulter ihrer Freundin provisorisch verbinden lassen würde. Nemuri jedoch legte Yu lediglich eine Hand ans Kinn und dirigierte ihren Blick auf diese Art zu einem der Häuser, ganz in der Nähe. "Mit dem Stein in der Schulter kann ich mich schlecht bewegen, aber das werde ich gleich müssen. Sieh nur, wir bekommen Besuch.", zischte sie. Und tatsächlich: auf den umliegenden Hausdächern hatten sich gleich acht Nomu versammelt, welche nach und nach dichter an die Ränder der Dächer traten und auf die beiden Heldinnen hinabstarrten. Die Gesichter der Kreaturen hatten wenig menschliches. Dies lag nicht nur an den offen liegenden Gehirnen und den zahnbesetzten Vogelschnäbeln, die Augen der Biester wirkten kalt und seltsam emotionslos zugleich. Als auch Yu die Nomu entdeckte, spannte sie sich merklich an. Verdammt, das war gar nicht gut! Ein oder zwei der Kreaturen wären nicht das Problem, aber wie sollte sie Nemuris Sicherheit bei gleich acht Gegnern gewährleisten?! "Gleich acht von denen? Da diesmal übertreiben sie es aber.", murrte die Blondine zähneknirschend. "Und sie werden uns kaum kampflos gehen lassen.", fügte Nemuri wenig begeistert hinzu. "Uns bleibt wohl nichts anderes übrig." Zwar nickte die Jüngere, doch hatte sie ganz und gar kein gutes Gefühl bei der ganzen Sache. Die Lehrerin war bereits verletzt und wie sich bereits zwei Mal gezeigt hatte, hatten die Nomu es insbesondere auf sie abgesehen. Mit gleich acht Gegnern würde es nicht leicht werden, die Angriffe abzuwehren und gleichzeitig sicherzustellen, dass Nemuri nichts passierte. Nicht, dass Nemuri sich nicht auch selbst ganz gut verteidigen konnte, doch die verletzte Schulter würde sie einschränken und außerdem... Yus Magen krampfte sich bei dem nächsten Gedanken, der sich ihr aufdrängte, zusammen. Bereits bei der Schlacht neulich hatte sie ihre Freundin nicht beschützen können. Sie hatten sich aus den Augen verloren und die Ältere hatte den Kampf mit ihrem Leben bezahlt. Bei dem Gedanken daran, dass sich dies hier und jetzt wiederholen könnte... nein, einfach nur nein. Die Profiheldin spürte, wie die aus den schrecklichen Erinnerungen gespeiste Angst nach ihr griff. Nur mit Mühe gelang es ihr, sie bei Seite zu drängen. Wenn die Angst sie jetzt lähmte, wäre es aus und vorbei. Nein, der Kampf heute würde anders ausgehen, dafür würde sie sorgen! Um nichts in der Welt würde sie zulassen, dass ein Gegner ihr Nemuri ein zweites Mal wegnahm! Binnen weniger Sekunden wandelte Yus Angst sich zu grimmiger Entschlossenheit. Diesmal nicht. Diesmal würde Nemuri gewiss nichts passieren, dafür würde sie sorgen. Sie hatte sich geschworen sie diesmal zu beschützen. Hier und heute würde keiner der Gegner ihr etwas antun, egal wie monströs sie auch sein mochten! Einer der Nomu stieß ein metallisches Kreischen aus, dann sprang er vom Dach geradewegs auf die beiden Heldinnen zu. "Es geht los!", zischte die Blondine. Der Gegner rauschte heran, während sie gleichzeitig ihre Quirk aktivierte. Sofort begann ihr Körper rasant zu wachsen. Die Profiheldin hielt die linke Hand auf, eine Geste, die ihre Begleiterin auf Anhieb verstand. Ohne sich vorher abgesprochen zu haben, sprang Nemuri in die nun riesige Handinnenfläche und war mit einigen weiteren Sätzen schließlich auf der Schulter der Blondine angelangt. Nun, wo ihre Erinnerungen wiedergekehrt waren, zögerte sie keine Sekunde und blieb auch in dieser Höhe unerschrocken und trittsicher. Als der angreifende Nomu die beiden Heldinnen erreichte, erwartete Yu ihn bereits und fing ihn mit einem kräftigen Hieb ihrer rechten Faust ab. Der Gegner krachte ins nächste Gebäude und verschwand unfreiwillig darin. "Da kommen noch zwei! Auf drei Uhr!", rief die Lehrerin der anderen Heldin zu. "Halt dich fest!" Auch die nächsten beiden Gegner wurden mit einem Schlag zu Boden befördert. Zwar maßen die Nomu zwischen 2,5 - 3 Meter, doch im Vergleich zu Mt. Lady waren die Wesen eher klein, was es ihr leichter machte, die Monster abzuwehren. "Kommt nur her, dann zerquetsche ich euch!", blaffte die Blondine an die restlichen Gegner gewandt. "Hey, bring mich kurz rüber zu dem Dach da drüben!", verlangte Nemuri, welche sicher auf Yus linker Schulter stand und sich an einer Haarsträhne festhielt. Da sich auf besagtem Dach kein Gegner befand, kam die Blondine der Bitte nach, musste aber, kaum dass sie Nemuri abgesetzt hatte, einen weiteren Nomu zur Seite schlagen. Die beiden Gegner, die zuvor auf dem Boden gelandet waren, rappelten sich bereits wieder auf. Auch das Monster, welches zuvor durch das Fenster in ein Wohnhaus gesegelt war, zog sich langsam aber sicher aus den Trümmern hervor. "Hey, denkst du hier sind wirklich keine Zivilisten?", rief Yu der Älteren zu. Die Riesin fühlte sich eher, als würde sie zwischen einigen Spielzeughäusern stehen und zögerte daher, ihre volle Kraft einzusetzen. Zu groß war die Gefahr, dabei versehentlich einen Menschen zu zerquetschen, den sie nicht gesehen hatte. "Ich denke, hier ist außer uns wirklich niemand. Es ist, als wäre die Stadt von jetzt auf gleich menschenleer!", versuchte Nemuri die Blondine zu beruhigen. Gleichzeitig riss sie ein langes Kabel aus den Trümmern, welches sie auf dem Dach entdeckt hatte. Das Kabel würde sich ersatzweise als Peitsche eignen müssen, wie sie nach kurzer Prüfung zufrieden feststellte. Da sie nicht auf ihre eigentliche Waffe zurückgreifen konnte, musste Nemuri sich in diesem Kampf mit einem Ersatz begnügen, wenn sie mithelfen wollte. "Sag mal, was willst du mit dem Kabel? Überlass die Gegner ruhig mir." Yu, die nach wie vor den Ausgang der Schlacht in ihrer Welt vor Augen hatte, empfand es als mehr als beunruhigend, dass Nemuri sich in den Kampf einmischen wollte. Es war nicht so, dass die Ältere wehrlos oder schwach wäre, im Gegenteil, doch allein der Gedanke daran, dass ihr erneut etwas passieren könnte, reichte aus, damit Yu sich ihre Freundin so weit weg von diesem Kampf wie möglich wünschte. "Das sind acht Gegner! Gegen die kann ich dich unmöglich allein kämpfen lassen. Außerdem bin ich nicht aus Zucker!", stellte Nemuri entschieden klar. Zeit, um dies auszudiskutieren hatten die beiden Frauen nicht, denn die Gegner warteten nicht einfach brav ab. Gleich mehrere Nomu sprangen auf die Heldinnen zu. Während drei der Monster die Blondine angriffen, welche mit so vielen Gegnern doch schon etwas mehr zu kämpfen hatte, wischten zwei weitere der Kreaturen an ihr vorbei und sprangen auf das Dach, auf welchem Nemuri sich befand. Die Nomu stürzten auf die Lehrerin zu, doch diese hatte sie bereits erwartet. Sie warf dem ersten Gegner ihren Blazer entgegen, welcher dem Monster vorübergehend die Sicht nahm. Wild fauchend und grollend begann die Kreatur sich zu schütteln, ehe sie das Kleidungsstück abwarf. Dem zweiten Gegner wich die Dunkelhaarige aus, als dieser mit einer der gewaltigen Klauen zum Schlag ausholte. Die Faust des Nomu riss einige Betonsplitter aus dem Dach, verfehlten das eigentliche Ziel jedoch. "Pah! So leicht mache ich es dir nicht!" Mit diesem Ausruf schwang die Lehrerin die provisorische Peitsche und zielte damit genau auf die Augen des Gegners. Die Bestie kreischte auf. Schließlich aktivierte auch Nemuri ihre Quirk. Rosa Nebel umhüllte das Dach und ließ ihre beiden Gegner schläfrig und benommen werden. In diesem Zustand war es um einiges leichter, den Angriffen auszuweichen und sie im Gegenzug mit der Peitsche zu bearbeiten. Vielleicht hätte etwas mehr Schlafgas die beiden Nomu gänzlich außer Gefecht gesetzt, doch Nemuri wollte nicht riskieren, dass der Nebel sich zu weit ausbreitete und am Ende noch Yu traf. Wie empfindlich die Blondine auf ihre Quirk ansprach, hatte sie bereits mehrfach festgestellt. "Hyaaaa!" Mit einem wütenden Aufschrei trat die Riesin zu. Der Nomu, der das Pech hatte, von ihrem Fuß getroffen zu werden, wurde mit heftiger Wucht nach unten gedrückt. Der Asphalt splitterte unter dem Angriff. Rohre und Leitungen standen nun aus der Straße, etwas, was Yu im Normalfall zu vermeiden versuchte, doch aktuell befanden sich keine Zivilisten in der Nähe und Nemuri und sie mussten mit gleich acht Nomu fertigwerden. Da musste sie ihre ganze Kraft einsetzen. Der getroffene Gegner wurde förmlich in die Straße eingearbeitet, dann löste er sich in eine Art Nebel auf. Genauso wie die Nomu am Vortag. "Da wären es nur noch sieben!", triumphierte die Profiheldin. Einer der Nomu schnellte wie eine Kanonenkugel heran und traf sie im Gesicht. Der Zusammenprall ließ die Blondine nach hinten straucheln und scharf die Luft einziehen. Mit einem raschen Ausfallschritt fing sie sich wieder und verhinderte es damit gerade so zu stürzen. "Verdammtes Vieh, das hat weh getan!", blaffte sie zornig, fing den Gegner mit beiden Händen und rammte ihn mit einem weiteren wütenden Aufschrei geradewegs in den Boden. Auch dieser Nomu löste sich in Nebel auf. "Noch sechs Stück...!" Die Straße glich inzwischen einem Trümmerfeld. "Noch fünf von denen, meinst du wohl!", verbesserte Nemuri sie von dem Dach aus, auf dem sie kämpfte. Auch ihr war es gelungen einen Gegner Schach Matt zu setzen. Kurze Zeit später hatten die beiden Heldinnen es geschafft, zwei weitere der Kreaturen auszuschalten. "Wenn das so weiter geht, sind wir sie bald los!" Midnight atmete inzwischen schwer, doch klang sie durchaus zufrieden mit dem bisher erzielten Ergebnis. "Die drei Monster schaffen wir jetzt auch noch!", stimmte Yu ihr entschlossen zu. Sie war weniger außer Atem als die Lehrerin, da es sie als Riesin weniger Kraft kostete, die monströsen Kreaturen auszuschalten. Plötzlich stutzte die Blondine jedoch. Dank ihrer Größe hatte sie einen recht guten Ausblick auf die Stadt und was sie sah, ließ sie innehalten. "Nemuri! Sieh dir mal den Boden an!", forderte sie ihre Freundin auf, da die drei verbleibenden Nomu sie noch nicht angegriffen hatten, sondern erstaunlicherweise die ganze Zeit über einen gewissen Abstand zu den beiden Heldinnen eingehalten hatten. Die Dunkelhaarige lief zum Rand des Daches. Sie hielt sich die verletzte Schulter und spähte, wie von Yu verlangt, hinunter in Richtung Straße. Fast sofort wich auch ihr sämtliche Farbe aus dem Gesicht. "Der Boden...! Aber was zum?!" Noch war das Phänomen etwa 150 Meter weit entfernt, doch es kam stetig näher. Ähnlich wie zuvor die Gebäude, hatte nun der Boden damit begonnen zu vielen kleinen Pixeln zu zerfallen und sich wortwörtlich in Nichts aufzulösen. Da, wo eben noch Asphalt und Straßen gewesen waren, blieb nichts als Schwärze zurück. Aber das... das konnte doch gar nicht! Yus Herz begann schneller zu pochen, als sie sich umsah und das Ausmaß der Katastrophe realisierte. Während sie gekämpft hatten, hatte die Stadt ringförmig um sie herum damit begonnen zu zerfallen. Sie kam sich vor wie in einem schlechten Traum! Unbemerkt waren sie eingekesselt worden. Mit einem beherzten Sprung wäre es leider auch nicht getan, denn hinter dem Ring, welcher sich stetig weiter in ihre Richtung fraß, entdeckte Yu nichts, was sie auch nur im entferntesten an eine Stadt, oder auch einfach nur an betretbaren Boden erinnert hätte. Es schien fast so, als würde diese Welt sich auflösen. Einfach so in sich zusammenfallen. Das...das war eine Katastrophe! Unweigerlich musste sie an das Gespräch zurückdenken, welches sie eben noch mit Nemuri im Hotel geführt hatte, als die Welt noch in Ordnung gewesen war. Waren sie wirklich der Auslöser dafür, dass alles hier in sich zusammenfiel? Allein bei dem Gedanken wurde ihr schlecht. Doch einen Ausweg gab es ganz offensichtlich auch nicht. Lediglich die Schwärze gewann mehr und mehr Fläche und fraß sich unaufhaltsam weiter in ihre Richtung vor. Nemuri war inzwischen auf dem Dach herumgelaufen und hatte von jeder Seite aus hinuntergesehen. Nirgendwo sah es besser aus. Überall entdeckte sie das gleiche, unheimliche Phänomen. "Wir sind vollkommen eingekesselt!", informierte sie Yu, auch wenn sie glaubte, dass die Riesin dies ebenfalls bereits bemerkt hatte. "Wenn das so weiter geht, stehen wir bald auch im Nichts!" "Das will ich gar nicht erst herausfinden! Wir müssen irgendeinen Weg finden das zu stoppen!" Yus Stimme klang entsetzt. Einen Moment lang überlegte sie, ob es irgendetwas gab, was sie tun könnten. Nun war es jedoch an den drei verbliebenden Nomu, die sich bislang im Hintergrund gehalten hatten, in Aktion zu treten. Anders, als ihre Vorgänger, sprangen die drei Kreaturen nicht auf die beiden Heldinnen zu und griffen stumpf mit Körperkraft an. Die Gegner blieben auf Abstand, streckten lediglich je einen Arm in Richtung der beiden Heldinnen und zeigten auf sie, fast so, als würden sie auf sie zielen. Noch während die Blondine sich fragte, was zur Hölle die Kreaturen da eigentlich veranstalteten, begannen Trümmerteile hochzuschweben und pfeilten plötzlich wie Geschosse auf sie zu. "Nemuri! Runter!" Yu selbst riss schützend die Arme vor ihr Gesicht, da es ihr in ihrer Riesenform nicht möglich war, einfach so abzutauchen. Während die Lehrerin Schutz hinter der Mauer des Daches fand, bohrten sich Betonsplitter in die Arme der Profiheldin. Diese sog scharf die Luft ein. "Verdammt...!" Hätten die Geschosse eine Person von normaler Größe getroffen, so wäre der Angriff sicherlich fatal gewesen, in ihrer Riesenform steckte die Blondine die Attacke jedoch besser weg, auch wenn die Trümmerteile durchaus ihre Spuren hinterließen. Yu hatte reflexartig die Augen zusammengekniffen, als die Trümmer auf sie eingehagelt waren. Nun blinzelte sie und betrachtete ihre Unterarme, in denen Betontrümmer wie Glassplitter steckten. Verdammt, das tat weh! Rings um die vielen kleinen Wunden verfärbte ihr Heldenkostüm sich rötlich. "Yu! Bist du okay?!" Nemuri, die hinter ihrer Deckung hervorspähte, klang besorgt. "Es geht schon...!", zischte die Jüngere. "Aber auf eine Wiederholung bin ich eindeutig nicht scharf." Leider nur blieb ein weiterer Angriff nicht aus, schickten die Nomu ihnen doch bereits die nächsten Trümmer entgegen. "Wir müssen versuchen die drei restlichen Biester zu besiegen!", rief Nemuri der Profiheldin zu. "Was du nicht sagst!", murrte diese. "Diese fliegenden Trümmerteile sind ein echtes Problem...!" Nach dem zweiten Angriff hatte Yu noch einige weitere Treffer kassiert, die ihr auch in ihrer Riesenform durchaus zu schaffen machten. Fluchend wischte sie sich mit dem Handrücken Blut von der Schläfe. "Nein! Ich meine, dass die Stadt vielleicht aufhört sich aufzulösen, wenn die Gegner besiegt sind!", versuchte die Lehrerin zu erklären, was für eine Idee ihr gekommen war. "Erinnere dich an gestern! Nachdem du die Nomu besiegt hattest, hat das Wetter sich recht schnell normalisiert. Vielleicht trifft das auch auf die Stadt zu!" Lange musste Yu über den Vorschlag nicht nachdenken. Es stimmte, nachdem die Gegner gestern ausgeschaltet worden waren, hatte auch das Wetter sich wieder beruhigt. Wenn dies auch auf die Umgebung zutreffen sollte... es wäre ihre einzige Chance. Zumal die Nomu sich darüber hinaus schlecht ignorieren ließen. Im Gegensatz zu den vorherigen fünf Gegnern, waren die verbliebenen drei Kreaturen mit wirklich unangenehmen Fähigkeiten ausgestattet. Und wenn sie den stetig kleiner werdenden Platz betrachtete, der ihnen noch blieb, dann mussten sie es einfach versuchen. "Ist gut. Geh am besten in Deckung, ich versuche das so schnell wie möglich zu Ende zu bringen!" Es wäre ihr lieber, sich nicht allzu weit von Nemuri zu entfernen, wo ihre Gegner allesamt Fernkämpfer waren, doch anders ging es leider nicht. Wenn die Nomu nicht zu ihnen kommen wollten, dieser Kampf hier aber schnell enden sollte, dann musste die Profiheldin eben zu den Gegnern. Yu hörte ihre Freundin noch irgendetwas rufen, doch die Worte gingen im Krachen von neuen, einschlagenden Trümmerteilen unter. Glücklicherweise hatten die Nomu mehr auf sie selbst gezielt, anstatt das Dach unter Beschuss zu nehmen, auf welchem die Lehrerin sich befand. Die Blondine stürmte los, auch wenn ihre Arme, ihre rechte Seite und ihr rechtes Knie inzwischen stark protestierten. Die Steinsplitter, die in ihrem Körper steckten, machten ihr zu schaffen, doch davon aufzugeben war sie weit entfernt. Dank ihrer Größe gelang es der Heldin ohne große Probleme die Distanz binnen kürzester Zeit zu überbrücken. Die drei Nomu nahmen sie weiter unter Beschuss und verletzten sie, doch sie musste nun einfach die Zähne zusammenbeißen. Wenn die drei Gegner besiegt wären, wäre es geschafft. Hoffentlich. Aktuell musste Yu einfach daran glauben. Noch während sie rannte, riss die Profiheldin eine lange Metallstange aus einem der demolierten Häuser. "Friss das!" Sie zog die provisorische Waffe dem ersten Monster, welches sie erreichte, über den hässlichen Schädel. Fast sofort löste der Nomu sich in Nebel auf. Der vorletzte Gegner nahm sie unter Beschuss, als sie sich ihm zuwandte. Ein großer Steinsplitter riss ihren Arm auf. Yu schrie auf, doch hielt sie nicht inne. Mit Schwung erwischte sie auch diese Bestie mit dem Stück Metall, welches daraufhin verbog. Die nun unbrauchbar gewordene Stange wurde fallengelassen. Mit einer gewissen Genugtuung beobachtete die Profiheldin, wie auch der soeben getroffene Gegner sich auflöste. Nur noch ein verdammter Nomu. Einen Gegner, den es zu schlagen galt. Die Blondine war überzeugt davon, dass sie dies nun auch gleich geschafft haben würde. Dann jedoch hielt sie inne. Während der Kampfplatz weiter zusammenschrumpfe, fehlte von dem letzten Nomu plötzlich jede Spur. Wo zur Hölle war das verdammte Biest hin?! Die Profiheldin scannte die Umgebung mit dem Blick ab. Das Licht war inzwischen dunkelviolett. Blitze zuckten nach wie vor am Himmel entlang, bloß das es keine Wolken mehr gab. Die verwüstete, sich auflösende Stadt wirkte wie eine Szene aus der Apokalypse. Yu drehte sich und entdeckte den letzten verbliebenen Gegner schließlich. Das Biest befand sich genau hinter ihr und schwebte in der Luft. Seit wann waren diese Nomu dazu in der Lage? Auch egal, sie würde es hier und jetzt zu Ende bringen! "Hab ich dich...!" Doch plötzlich... zog Nebel von allen Seiten auf und wehte in Wellen auf das Monster zu. War das der Nebel, der sich ergeben hatte, als Nemuri und sie die anderen Nomu besiegt hatten? Der Gegner öffnete den mit Zähnen besetzten Schnabel und atmete tief ein. Ungebremst wurde der Nebel von der Bestie aufgesogen. Die Blitze zuckten nun nur noch wilder am Himmel entlang, während der ursprünglich weiße Körper des Ungetüms sich dunkelblau, fast schwarz färbte... und zu wachsen begann. Yu glaubte nicht recht zu sehen. Binnen zwei Sekunden schoss der Nomu in die Höhe. Erst konnte sie noch auf den Gegner hinabschauen, doch nach und nach musste sie den Blick heben, bis das Ungeheuer selbst sie um gute fünf Meter überragte. Die muskelbepackten Arme und der kräftige Körper des Nomu, machten es nicht unbedingt besser. Einem ähnlich großen und furchteinflößenden Gegner hatte sie zuletzt in der großen Schlacht gegenübergestanden... und war chancenlos gewesen. Die Erinnerung an besagten Kampf, jagte ihr eine Welle der Unsicherheit durch Mark und Bein. Was, wenn sie erneut unterlegen wäre? Was, wenn es ihr nicht gelingen würde Nemuri zu beschützen? Was, wenn...nein, nein, nein! Entschieden schüttelte die Profiheldin den Kopf. So sollte und so durfte sie nicht denken! Sie musste das hier gewinnen. Für Nemuri und für sich. Und für die Zukunft dieser Welt, denn diese würde sich weiter auflösen, wenn das Ungeheuer nicht gestoppt würde. Zumindest vermutete sie, dass die Zerstörung mit ihrem Gegner zusammenhing. Der gigantische Nomu stieß ein Brüllen aus, so laut, dass es in den Ohren schmerzte und sie bis ins Mark erschütterte. Schon stürzte der riesige Gegner auf sie los. Anstatt zurückzuweichen, drängte Yu ihre Zweifel bei Seite und tat es dem Ungetüm gleich. Das riesige Monster war stark und kräftig, sie im Vergleich zu der Kreatur wendiger. Die Profiheldin duckte die geschickt unter einem Schlag weg, welcher stattdessen ein Gebäude traf und dieses zerstörte. Rasch wirbelte sie herum und versetzte dem Gegner einen Tritt. Der Nomu strauchelte, fing sich jedoch schnell wieder und packte ihr Bein. Yu wurde mit einem Ruck von den Füßen gerissen und krachte auf zwei Häuser. Die von dem Erdbeben zuvor in Mitleidenschaft gezogenen Dächer gaben unter ihr nach. Hier und da schnitten Betonsplitter und Metall ihr schmerzhaft ins Fleisch. Der Gegner holte zu einem weiteren Schlag aus, doch die Profiheldin rollte sich zur Seite, kämpfte sich in einer fließenden Bewegung zurück auf die Füße und versetzte dem Nomu mit der Stirn eine Kopfnuss. Diesmal war das Monster es, welches auf einem der Häuser landete und dieses im Fall zertrümmerte. Yu wischte sich Blut von der Stirn. Etwas Blut war ihr ins linke Auge gelaufen und störte ihre Sicht. Dennoch ließ sie den Blick rasch über die Reste der Stadt huschen. Viel war davon zugegebenermaßen nicht mehr übrig. Der Ring, der den beiden Riesen für ihren Kampf blieb, war inzwischen äußerst überschaubar. Hinzu kam, dass sie um jeden Preis vermeiden wollte, sich dem Dach zu nähern, auf welchem Nemuri sich befand. Der Kampf gegen den riesigen Nomu hatte Dimensionen erlangt, in welche sie ihre Freundin unmöglich hineinziehen konnte. Mit einem Schrei sprang die Profiheldin hoch und versetzte ihrem Gegner im Sprung einen Tritt, kaum dass dieser sich vom Boden aufgerappelt hatte. Sofort setzte sie nach und heizte ihm mit Schlägen und Tritten ein. Die meisten Attacken trafen den Nomu, einige blockte er ab. "Für den Fortbestand dieser Welt, beenden wir das hier und jetzt!", rief die Profiheldin entschlossen aus und holte zum Schlag aus, mit dem sie es hoffentlich beenden würde. Yu zielte genau auf das Gesicht des inzwischen angeschlagen wirkenden Nomu. Wenn sie ihn ausschaltete, dann würde alles hier hoffentlich wieder so werden wie vorher. Nemuri und sie würden in Frieden leben können. Doch nur Millimeter, bevor ihre Faust sein hässliches Gesicht erreichte, riss der Gegner die kalten Augen auf, blockte ihre Hand mit der eigenen ab und packte ihren Arm. Der Nomu kämpfte sich zurück auf die Füße, während die Blondine mit Tritten versuchte, die Kreatur zum Loslassen zu bewegen. Doch der Griff des Monsters war eisern. Mit der freien Pranke schlug der Nomu zu und traf die Profiheldin ins Gesicht. Schmerz explodierte auf ihrer rechten Gesichtshälfte. Noch ehe sie reagieren konnte, hatte die Kreatur sie von den Füßen gerissen und vollführte einen Schulterwurf. Mit voller Wucht krachte Yu mit dem Rücken zu Boden. Die Luft wurde ihr aus den Lungen gedrückt und für den Moment war ihr Körper ein einziger Schmerz. Hoch und stark wie eine Mauer, stand der riesige Gegner über ihr, während ihr immer wieder die Sicht verschwamm. Schließlich wandte der Nomu sich ab und stapfte in eine andere Richtung davon. In der ersten Sekunde war die Profiheldin noch froh, dass das Monster von ihr abließ, dann wurde sie von eiskaltem Entsetzen gepackt, als sie realisierte, in welche Richtung es das Ungeheuer zog. Nemuri! Nein! Während die Blondine gegen den riesigen Nomu gekämpft hatte, hatte Nemuri sich daran gemacht vom Dach des Gebäudes zu gelangen. Sie konnte nicht darauf hoffen, dass ihre Freundin Zeit fand, sie während des Kampfes ganz einfach herunter zu heben und für den Fall, dass der Kampf sich in ihre Richtung verlagern sollte, sollte sie selbst in der Lage sein, den beiden Riesen aus dem Weg zu gehen. Die Lehrerin wusste, dass sie selbst stark und nicht unfähig war, doch zwischen zwei kämpfende Giganten sollte sie besser nicht geraden, zumal sie nicht wollte, dass Yu Rücksicht auf sie nehmen musste, indem sie gezwungen wäre darauf zu achten, wohin sie trat, oder in welche Richtung sie den Kampf lenkte. Glücklicherweise war die Tür, welche vom Dach aus ins Treppenhaus des Gebäudes führte, nicht abgeschlossen. Durch das Erdbeben war das Haus in keinem allzu guten Zustand und mit Sicherheit einsturzgefährdet, weshalb Midnight es vorzog, sich nicht allzu lange im Gebäudeinneren aufzuhalten. Während sie im Haus nach unten stürmte, konnte sie spüren, wie der Boden immer wieder erschüttert wurde. Sie war sich sicher, dass dies diesmal kein neues Erdbeben, sondern den beiden Kämpfern zuzuschreiben war. Die Dunkelhaarige war noch ziemlich außer Atem von ihrem Kampf gegen die beiden Nomu, welche sie glücklicherweise hatte besiegen können. Ihre Schulter schmerzte durch die Bewegung inzwischen jedoch umso mehr. Aber eine verletzte Schulter schien ihr ein relativ geringes Übel, verglichen mit der sich auflösenden Stadt. Wenn sie dieses Phänomen nicht stoppen konnten, wäre es aus und vorbei. Was für ein seltsames und mehr als beunruhigendes Gefühl. Zumal sie sich fragte, was mit all den Bewohnern der Stadt geschehen war. Seit dem Erdbeben vorhin hatte es kein Lebenszeichen von niemandem mehr gegeben. Es war fast wie in einem Computerspiel, aus dem sämtliche Zivilisten herausgelöscht worden waren, um den Hauptcharakteren einen passenden Platz für den Endkampf zu geben. Aber der Vergleich mit einem Computerspiel machte es nicht besser, im Gegenteil. Sie hatte die letzten Wochen in dieser Welt gelebt. Die Menschen hier, allen voran ihre Schüler und Kollegen, waren so echt und so real. Allein die Vorstellung, dass all diese Personen vielleicht nie wirklich existiert hatten... sie schüttelte entschieden den Kopf. Die Haustür wurde von einem Holzbalken blockiert, welchen sie umständlich und mühevoll bei Seite ziehen musste. Schließlich reichte der gewonnene Platz jedoch, um die Tür einen Spalt weit zu öffnen und sich hinaus auf die Straße zu quetschen. Bereits auf den ersten Blick bemerkte Nemuri, wie viel näher das Nichts gerückt war. Eine Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus, während sie versuchte Nervosität und aufsteigende Panik herunterzuschlucken. Nun galt es einen kühlen Kopf zu bewahren und logisch zu denken. Lange musste die Lehrerin sich nicht umsehen, um die beiden Kämpfenden zu entdecken. Zugegebenermaßen, der Nomu und Yu in ihrer Riesenform waren schwer zu übersehen. Doch was sie sah, ließ ihr Herz einen Satz machen. Entsetzen griff mit scharfen Klauen nach ihr. "Yu!", rief sie den Namen ihrer Freundin und kam sich zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich klein und hilflos vor, wenn sie sich mit den beiden Riesen verglich. Gerade hatte der Nomu die Blondine über die Schulter geworfen, ehe die Profiheldin hart mit dem Rücken aufschlug und schließlich vollkommen benommen liegen blieb. Ihr schnürte sich die Kehle zu. Wenn der Gegner jetzt nachsetzte und zuschlug...nicht auszudenken! Nemuri wusste, dass sie für den riesigen Nomu kaum eine Gegnerin sein würde, doch zusehen, wie das Monster ihre Freundin besiegte, konnte sie auch nicht. Gerade wollte sie sich in Bewegung setzen um einzugreifen, als die Bestie sich von der am Boden liegenden Blondine abwandte und stattdessen Kurs auf sie nahm. Der Blick der starren, hasserfüllten Augen der Kreatur war dabei in der Tat genau auf sie gerichtet. Zwar hatte die Lehrerin gewollt, dass der Nomu von Yu abließ, trotz allem war es mehr als beunruhigend, die Bestie nun auf sich selbst zutrampeln zu sehen. Der Gegner stieß ein kehliges Knurren aus und schlug mit der Faust zu, kaum dass er den Abstand zwischen ihnen verringert hatte. Nemuri reagierte instinktiv, sprang hoch und nutzte ihre provisorische Peitsche, um diese mit einem Schlag um ein Trümmerteil zu schlingen und sich daran zur Seite zu schwingen. Gerade so entging sie der riesigen, zerstörerischen Faust, welche die Straße zersplittern ließ. Die Augen der Heldin weiteten sich erschrocken. Wenn dieses Vieh sie gerade erwischt hätte, wäre das ihr sicheres Ende gewesen. Zum zweiten Mal. Nein, darauf war sie nun wirklich nicht scharf. So übermächtig der Gegner auch schien, sie würde kämpfen. Für diese Welt und für Yu. Das ihre eigenen Überlebenschancen dabei nicht allzu rosig aussahen, war ihr durchaus bewusst. Erneut schlug der Nomu nach ihr und erneut schaffte sie es, sich mithilfe der Peitsche zur Seite zu retten. Schließlich sprang sie der monströsen Kreatur geradewegs auf den Arm und rannte daran hoch. Mit der freien Pranke schnappte der Nomu nach ihr, doch Nemuri duckte sich weg und rannte unbeirrt weiter. Als sie den Arm ein Stück weit hochgelaufen war, nutzte sie ihre Quirk. So, wie der Wind aktuell stand, wurde die zartrosane Wolke dem Gegner genau ins Gesicht geweht. Wenn das Monster nun einen tiefen Atemzug nahm, würde es hoffentlich ausreichen um das Biest schlafen zu schicken. Für einen Moment rechnete sie sich eine echte Chance aus, doch dann weiteten ihre blauen Augen sich erschrocken, als der Nomu das Schlafgas vollkommen unbeeindruckt bei Seite pustete. Der Atem der Bestie wehte ihr wie eine faulige Welle entgegen. Der Gegner riss den Arm, auf dem sie stand, zur Seite und die Lehrerin geriet ins Straucheln. Erschrocken realisierte sie, dass es ihr nicht mehr gelang das Gleichgewicht wiederzuerlangen, dann stürzte sie. Nemuri hatte noch einmal Glück im Unglück, da die Markise eines Vordachs ihren Sturz abfing. Die Landung war dennoch alles andere als angenehm. Für einen Moment blieb sie benommen liegen und blinzelte. Urg...das hatte wirklich weh getan. Und ihr Gegenschlag hatte auch nicht funktioniert. Im nächsten Moment riss die Dunkelhaarige die Augen auf und zwang sich aufzuspringen. Sie durfte hier nicht liegen bleiben! Die schnelle Reaktion war genau die richtige Entscheidung gewesen, denn der Gegner hatte zu einem Tritt ausgeholt, dem sie nur um Haaresbreite entging. Als der riesige Fuß den Boden traf, wurden Schutt und Staub aufgewirbelt. Nemuri taumelte zur Seite, fing sich wieder und versetzte dem Nomu einige heftige Schläge mit der aus einem Kabel bestehenden Peitsche. Für einen Gegner in ihrem Format wären die Treffer mit Sicherheit schmerzhaft gewesen, doch der gigantische Nomu zuckte noch nicht einmal. Die Heldin war sich unsicher, ob er überhaupt gespürt hatte, dass sie ihn getroffen hatte. Verdammt! Das war gar nicht gut! Es war ihr im Prinzip schon vorher klar gewesen, doch da ihre Quirk nicht wirkte, war sie gegen diesen Gegner wirklich chancenlos. Der Nomu wischte mit dem Fuß über dem Boden. Diesmal schaffte sie es nicht mehr auszuweichen und hatte das Gefühl, als hätte ein Güterzug ihre Seite gerammt. Die Luft wurde ihr aus den Lungen gedrückt, weshalb sie nicht in der Lage war zu schreien, als die Wucht des Treffers sie ein kurzes Stück durch die Luft segeln und schließlich über den Boden rollen ließ. Verletzt und benommen blieb die Lehrerin schließlich liegen, sog mit zusammengebissenen Zähnen scharf die Luft ein und stützte sich mühsam auf Hände und Knie, um sich wieder aufzurappeln, war sich jedoch nicht sicher, ob ihr dies noch einmal gelingen würde. Ein Schatten fiel über sie, was sie dazu brachte den Blick zu heben. Der Nomu hatte sich vor ihr aufgebaut wie ein Berg. Mit einer Hand riss das Biest einen Metallträger aus einer Gebäuderuine, ehe es zum Schlag ausholte. Die Lehrerin erstarrte. Sie wusste, dass sie dem Schlag unmöglich würde ausweichen können. Im ersten Moment wurde sie von Entsetzen gepackt, dann jedoch legte sich eine seltsame Ruhe über sie, als sie ihrem Ende entgegensah. Das war es jetzt... "Lass sie in Ruhe, du hässliches Biest!" Überrascht realisierte Nemuri, dass es Yus Stimme war, die diese Worte zornig und entschlossen gerufen hatte. Die Lehrerin war so auf den Kampf mit dem Nomu konzentriert gewesen, dass ihr gar nicht aufgefallen war, wie die Blondine sich wieder aufgerappelt hatte. Der Boden bebte bei ihren eiligen Schritten, ehe sie sich dem Gegner entgegenwarf. Der Nomu ließ die Pranke mit dem Metallträger darin nach vorne schnellen, während Yu ihn erreicht hatte. Aus Nemuris Gesicht wich sämtliche Farbe. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Das...nein, nein, nein! Blut klatschte in riesigen Tropfen auf die Straße, als die Metallstange sich in den Bauch der Profiheldin bohrte. Das Metall schnitt sich seinen Weg durch ihr Fleisch und trat am Rücken wieder aus. Erst jetzt realisierte Nemuri, dass es ironischerweise nicht Yu war die schrie, sondern sie selbst. Zeitgleich hatte die Blondine es geschafft, ihren Gegner zu packen und mit voller Wucht gegen das Hochhaus, welches sich hinter dem Nomu befand, zu schmettern. Hervorstehende Eisenträger und ein riesiger Betonsplitter auf Höhe des Daches, bohrten sich in den Gegner. Das Biest stieß ein markerschütterndes Brüllen aus, dann erschlaffte es und begann sich zu Nebel aufzulösen. Es war geschafft. Langsam wanderte Yus Blick an sich hinab und blieb an der Metallstange hängen. Die rötlichen Augen weiteten sich, ehe die Knie der Profiheldin schließlich nachgaben. Die Riesin zog mit einem Ruck das Metall heraus, dann stürzte sie. Die Freude, die Nemuri vielleicht über den Sieg gegen die Nomu empfunden hätte, wurde von absolutem Entsetzen überschattet. Noch im Fall begann der Körper der Profiheldin zu schrumpfen, sodass sie in ihrer eigentlichen, zierlichen Gestalt auf dem Asphalt landete. "YU!!" Die Stimme der Lehrerin klang schrill und panisch, was für sie wahrlich nicht alltäglich war. Nemuri kämpfte sich wieder auf die Füße, strauchelte bis zu der am Boden liegenden Profiheldin und kniete sich schließlich vor sie. "Yu! Oh Gott, sag was!" Sofort presste die Dunkelhaarige eine Hand auf die stark blutende Wunde der Jüngeren und starrte ihre Freundin voller Entsetzen an. Die Blondine hingegen blinzelte sie an und lächelte leicht. "Wir haben es geschafft... ich hab doch gesagt, dass ich den Nomu in den Hintern treten würde..." "Ja, das hast du wohl. Aber sieh dich an...!" Kurz flackerte Yus Blick in Richtung Boden, welcher sich weiter auflöste und ihnen nicht mehr viel mehr Platz ließ, als ein knappes Fußballfeld. "Jetzt, wo dieses Monster besiegt ist, sollte diese Welt bald aufhören sich aufzulösen. Mit ein wenig Glück, sieht bald alles so aus wie vorher und du kannst hier friedlich leben." Sie hustete. "Aber was ist mit dir?! Verdammt, solange hier alles von Nichts umgeben ist und keine Menschen anwesend sind, kann ich dich nicht zu einem Arzt bringen!" Ihre eigenen Verletzungen hatte Nemuri vollkommen ausgeblendet. Sie sah nur Yu, die schwer verletzt auf dem Boden lag und immer mehr Blut verlor. Es mochte schon sein, dass der Kampf überstanden war, doch sie freute sich nicht darüber. Auch die Tatsache, dass das Nichts sich immer weiter ausbreitete und ihnen immer weniger Raum ließ, war ihr in diesem Moment erschreckend egal. Vorsichtig schob sie einen Arm unter ihrer Freundin hindurch, um diese in eine halbwegs sitzende Position zu bringen. "Sei nicht albern. Ich...ich brauche keinen Arzt mehr. Ich bin so froh, dass ich dich noch einmal wiedersehen durfte, aber... ich fürchte, nun haben wir gewissermaßen die Plätze getauscht..." Die Stimme der jungen Profiheldin klang leiser und schwächer. "Yu, das...", begann Nemuri, während der emotionale Schmerz sie aufzufressen drohte. Die Kleinere legte ihr mühsam eine Hand an die Wange. "D-das hier ist dein Leben. Wenn...wenn diese Welt wieder so ist wie vorher, musst du mir versprechen, etwas daraus zu machen." Die Lippen der Blondine formten die drei Worte, die sie gerne laut ausgesprochen hätte, doch dafür fehlte ihr inzwischen die Kraft. Mit absolutem Horror musste Nemuri mitansehen, wie Yu in ihrem Griff zusammensackte und ihre Hand von ihrer Wange rutschte. Als Heldin hatte die Lehrerin bereits viel Kummer und Leid gesehen, doch gerade hatte sie das Gefühl, als würde ihr jemand das Herz herausreißen. Sie schrie ihren Schmerz heraus und wusste doch, dass sie machtlos war. Nemuri drückte die junge Profiheldin fest an sich und hielt sie in den Armen. Der Atem der Jüngeren ging flach, war kaum wahrnehmbar. Das... das durfte gerade nicht wirklich passieren! Sie selbst war die, die vor einigen Wochen in ihrer eigentlichen Welt gestorben war und nun sah alles ganz danach aus, als wäre es Yu, die in ihren Armen sterben würde. Weil sie Yu nicht vor dem riesigen Nomu hatte beschützen können! Verdammt, ihre Freundin hatte sich noch einmal vom Boden aufgerappelt und war dem Monster geradewegs in den Weg gesprungen, um sie zu retten. Das fühlte sich so falsch an. Nicht Yu sollte nun hier liegen und langsam aber sicher verbluten. Die intensiv blauen Augen der Lehrerin füllten sich mit Tränen. Sie fühlte sich so hilflos, hatte das Gefühl noch wahnsinnig zu werden, weil sie rein gar nichts für die Profiheldin tun konnte. Kurz schweifte ihr Blick zu dem restlichen Stückchen Straße, welches ihnen noch geblieben war. Langsam hatte der Asphalt damit aufgehört sich aufzulösen und wenn sie sich nicht ganz täuschte, waren es nun eher Pixel, die die Straße zurückbildeten. Das unnatürlich violette Licht begann zu verblassen, während auch die Blitze nach und nach weniger wurden. Sie hätte sich darüber freuen müssen, dass die Katastrophe scheinbar noch einmal hatte abgewendet werden können, doch sie spürte keine Freude. Da waren nur Schmerz und Verzweiflung. Ihr eigenes Blut lief ihr von ihrer Schulter den Arm herab und tropfte geradewegs in die Blutlache, welche sich unter der Profiheldin bereits gebildet hatte. Nemuri nahm es kaum wahr. Voller Verzweiflung suchte sie lediglich nach irgendeinem Weg ihre Freundin zu retten. Ein weiterer Tropfen Blut landete in der Lache. Blut und Blut mischten sich. Ein plötzliches, grelles Licht sorgte dafür, dass die Lehrerin im ersten Moment die Augen zusammenkneifen musste. Was zum? Yu weiterhin fest an sich gedrückt, hob sie den Blick ein Stück weit und hatte den Ursprung des Lichtes nun ausgemacht. Weißes, helles Licht, eine Säule, welche etwa zwei Meter hoch und einen Meter breit war. Fast wie ein Tor. Die Lehrerin starrte das Licht erst ungläubig an, ehe sie realisierte, um was es sich handelte. Ein Tor, ein Portal. Mit Sicherheit konnte sie es nicht sagen, aber hatte Yu nicht auch von einem hellen Licht gesprochen, welches sie hier her gebracht hatte? War das nun also das Portal, welches die beiden Welten verband? Bedeutete dieses Licht den Weg zurück in die Heimat? Langsam erhob Nemuri sich, ehe sie sich herunterbückte und Yu vorsichtig auf die Arme hob. Ihre verletzte Schulter protestierte heftig, doch sie ignorierte den Schmerz, fast so, als wäre er gar nicht da. Wenn das dort wirklich der Rückweg in ihre Welt wäre, vielleicht bestand dann auch noch eine Chance, ihre Freundin zu retten? Kurz musste sie an das Gespräch denken, welches sie im Hotel geführt hatten. Yu hatte sich solche Sorgen darüber gemacht, was mit Nemuri geschehen könnte, sollten sie beide die Möglichkeit haben, den Rückweg anzutreten. Ihre Sorge war sogar so weit gegangen, dass sie nicht gewillt gewesen war, noch einmal in ihre eigentliche Welt zurückzukehren, sollte sich die Chance dazu ergeben. Nun, diese Chance war nun da, so plötzlich und unverhofft, dass Nemuri keine wirkliche Erklärung dafür fand. //In unserer Welt gibt es medizinische Möglichkeiten, die sie retten könnten. Aber ich bin in unserer Welt gestorben. Die Frage ist, was dann mit mir passiert.//, dachte sie einen Moment lang darüber nach, was nun zu tun war. Yu hatte klargestellt, wie sie darüber dachte und doch... "Es tut mir leid, Süße." Sie hauchte der Jüngeren einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Yu, die das Bewusstsein längst verloren hatte, reagierte nicht, sondern hing lediglich schlaff und zerbrechlich in ihren Armen. Nemuri schluckte, dann straffte sie die Schultern und setzte sich in Bewegung. Sie hatte eine Entscheidung gefasst. Mit einem Satz sprang sie in das Licht. Egal was mit ihr geschehen würde...sie war immerhin schon einmal gestorben, aber wenn sie die Chance hätte wenigstens Yu zu retten... Die beiden Frauen wurden von dem weißen Licht umfasst. Nemuri konnte aufgrund des grellen Lichtes nicht sehen, wo sie sich befanden. Sie hatte das Gefühl zu fallen und gleichzeitig zu schweben. Doch wo auch immer sie sich befanden und was auch immer mit ihr geschah, sie betete dafür, dass sie an einem Ort auskommen würden, an welchem man der Profiheldin helfen könnte. Jemand musste die schwerverletzte Blondine retten! Nemuri hatte das Gefühl ins Bodenlose zu stürzen. Sie drückte Yu fest an sich und kniff die Augen zusammen. Im nächsten Moment war es vorbei. Sie hatte wieder festen Boden unter den Füßen. Die Lehrerin blieb eine Sekunde lang wie erstarrt stehen, dann blinzelte sie zögerlich. Ihre Augen brauchten einen Augenblick, um sich an das Licht zu gewöhnen. Einige Krähen krächzten irgendwo ganz in der Nähe verärgert. Außerdem war da der Lärm einer nahegelegenen Straße. Stimmen... Langsam gewöhnten ihre Augen sich an die Lichtverhältnisse und sie konnte sich umsehen. Sie befand sich auf einem Platz. Einige Passanten hatten inne gehalten und starrten sie halb verwundert, halb schockiert an. Einige der anwesenden Personen trugen graue Schuluniformen, welche ihr mehr als nur bekannt vorkamen. Die Schüler starrten in ihre Richtung, als hätten sie einen Geist gesehen. Langsam wurde sie sich bewusst, dass sie den Platz, auf dem sie sich befand, kannte. Das hier war der Vorplatz der UA. Lediglich das Schultor trennte sie vom Schulgelände. Die Sonne schien und wärmte leicht, während die Luft nach Frühling roch. Konnte das sein? War es inzwischen Frühling? Und viel wichtiger... die Leute konnten sie sehen? Das bedeutete, dass sie lebte? Das Gewicht in ihren Armen, brachte sie dazu den Blick ein Stück weit zu senken. Yu! Sie hielt weiterhin die blutüberströmte, bewusstlose Profiheldin in den Armen. Der Atem der Jüngeren ging so flach und unregelmäßig, dass er kaum wahrnehmbar war. "Yu!", rief sie aus. Von jetzt auf gleich gelang es ihr, sich aus ihrer Starre zu reißen. Mit der Profiheldin im Schlepptau, setzte Nemuri sich in Bewegung und rannte in Richtung des Schultors. Wo war ihr Lehrerausweis, mit welchem sich das Tor öffnen ließ?! Sie ging mal nicht davon aus, ihn dabei zu haben. "M-Midnight-Sensei...?!", stammelte einer der Schüler vor dem Schultor fassungslos. "A-aber wie ist das...? Wie ist das möglich?", fand auch die Klassenkameradin des Heldenschülers ihre Sprache wieder. "Kirishima! Ashido! Keine Zeit für Erklärungen, öffnet das Tor!", blaffte sie nur eilig in Richtung der beiden Schüler, die sie gerne freundlicher begrüßt hätte. Doch später wäre immer noch mehr als genug Zeit für Erklärungen. Die beiden Schüler setzten sich in Bewegung. Während der Rotschopf das Tor öffnete, lief Mina neben Nemuri her. Auf dem Gesicht der Schülerin stand Ungläubigkeit geschrieben, gleichzeitig aber auch maßlose Verwirrung und Entsetzen über den Zustand der blonden Profiheldin. "Sensei! Was um Himmels Willen ist mit Mt. Lady passiert?!", erkundigte die Schülerin sich im Laufen besorgt. Kaum, dass sie das Tor passiert hatten, kam eine weitere bekannte Gestalt auf sie zugeeilt. "KAYAMA!!" Mics Stimme hallte über das Schulgelände. Er war absolut fassungslos seine Kollegin lebendig und vollkommen unverhofft wiederzusehen. "Du lebst?!", rief er ihr entgegen. "Sieht ganz so aus, ja.", bestätigte Nemuri nur und blickte ihren Kollegen an, welchen sie bereits seit ihrer eigenen Schulzeit kannte. "Bitte sag mir, das Recovery Girl hier ist!" Obwohl der Blonde kaum einen Einfluss auf den Aufenthaltsort der alten Heilerin hatte, klang Nemuris Stimme fast mehr wie ein Flehen, als nach einer Frage. "Ja, sie ist hier. In der Krankenstation.", antwortete Mic ihr immer noch vollkommen durch den Wind, ehe er ihr auffordernd die Arme entgegenstreckte. "Du bist selbst verletzt, Kayama. Ich trage Mt. Lady.", drängte er. "Mein Gott, was ist überhaupt mit euch beiden passiert? Gerade die Kleine hat es ja übel erwischt!" Auch den anderen Lehrer interessierte es brennend, was hier passiert war, doch er wusste, dass die medizinische Versorgung seiner Kollegin und erst recht der blonden Profiheldin, die in einem mehr als kritischen Zustand war, derweil eindeutig Vorrang hatte. Zu Mics Überraschung drehte Nemuri sich ein Stück weg und drückte Yu noch etwas enger an sich. "Nein, ich trage sie selbst. Aber komm bitte mit." Irgendwie erschien es ihr falsch, fast schon undenkbar, ihre Freundin jetzt loszulassen, auch wenn sie wusste, dass sie ihrem guten Freund und Kollegen nun wirklich vertrauen konnte. Present Mic blickte sie einen Moment lang irritiert an, dann hatte er sich wieder gefangen und setzte sich in Bewegung. "Gut, dann los! Hier entlang!" Nemuri folgte ihm, die bewusstlose Yu in den Armen. Die beiden Schüler, welche sie erst aufs Schulgelände gelassen hatten, standen so neben sich, dass sie sich den Lehrern ganz automatisch anschlossen. Während die kleine Gruppe über das Schulgelände rannte, zogen sie die Blicke immer mehr Schüler auf sich, doch niemand wagte es, sich ihnen jetzt in den Weg zu stellen. Nemuri wusste, dass sie selbst verletzt war, doch ihre eigenen Schmerzen blendete sie fast gänzlich aus. Immer wieder ließ sie den Blick zwischen Yu und dem Weg, der vor ihnen lag, hin und her schweifen, während ihre Gefühle - Hoffnung und Verzweiflung - eine Art grausames Ping Pong spielten. //Komm schon, du musst durchhalten! Wir sind schon so weit gekommen, das hier schaffst du jetzt auch!//, beschwor sie die Profiheldin in ihren Armen gedanklich. Kapitel 10: ------------ In ziviler Kleidung verließ die Lehrerin das Schulgelände. Die Sonne hatte in den letzten Wochen an Intensität gewonnen, sodass sie die verhasste Winterkleidung endlich gegen ein etwas luftigeres Outfit hatte eintauschen können. Sie strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, rückte die Brille zurecht, welche sie in Zivil trug und durchquerte das Tor, welches die UA von der Außenwelt trennte. "Sensei!" Vor dem Tor standen einige Schüler ihrer Klasse und winkten ihr munter zu. "Machen Sie einen Ausflug?" Auf die Lippen der Lehrerin legte sich ein Lächeln. "Ja, ganz genau. Bei dem schönen Wetter im Haus zu bleiben, wäre doch schon fast kriminell." "Das stimmt wohl. Aus dem Grund haben wir fünf uns auch gedacht, heute Nachmittag schwimmen zu gehen.", erklärte eine ihrer Schülerinnen gut gelaunt und deutete kurz auf die restliche Gruppe von Heldenanwärtern. "Na dann viel Spaß~", kam es ebenso gut gelaunt von der UA Lehrerin. "Aber denkt daran heute rechtzeitig wieder zurück zu sein und Morgen nicht zu verschlafen, immerhin geht es zeitig los." Sie winkte den Schülern noch kurz zu und die Gruppe tat es ihr gleich. Schließlich setzte Nemuri ihren Weg in Richtung Stadt fort. Sie schmunzelte und war bester Laune. Wie sehr sie ihren Beruf doch liebte. Nie hätte sie gedacht, dass es so einen Unterschied machen würde, an einer normalen Schule, oder aber der an UA zu unterrichten, obwohl ihr der Job in der Parallelwelt durchaus auch gefallen hatte. Apropos Parallelwelt: nach wie vor wüsste sie gerne, was aus der Welt und deren Bevölkerung geworden war. Sie konnte nur hoffen, dass die Zerstörung wieder verschwunden war und die Menschen so leben konnten wie zuvor. Herausfinden würde sie es jedoch nie. Als sie an einer roten Ampel darauf wartete, die Straße überqueren zu können, streckte sie sich währenddessen genüsslich. Ihre Schulter war dank Recovery Girl inzwischen wieder vollständig verheilt, lediglich eine Narbe war dort, wo der Steinsplitter sie getroffen hatte, geblieben. Eine Tatsache, die sie zwar wahrlich nicht freute, doch Nemuri wusste, dass es auch viel schlimmer hätte kommen können. Generell grenzte es an ein Wunder, dass sie noch einmal die Chance bekommen hatte, ihr Leben in dieser Welt zu leben. Fast so, als wäre nichts geschehen. Die Einstellung der Zivilisten gegenüber der Helden war seit der Schlacht zwar deutlich abgekühlt und schwieriger geworden, doch die Lehrerin hatte die Hoffnung, dass sich dies wieder geben würde, wenn sie sich nur zu Genüge anstrengten und das Vertrauen der Menschen wiedererlangten. Alles in Allem kam es ihr jedoch vor wie ein Wunder, diese zweite Chance erhalten zu haben und ihr Leben hier fortführen zu dürfen. Sie wusste, dass sie diese Chance nutzen würde und sie genoss jeden Tag in vollen Zügen. Die Ampel wechselte zu Grün und die Fußgänger setzten sich in Bewegung. Auch Nemuri lief los, überquerte die Straße und sah auf dem Platz, welcher sich auf der anderen Straßenseite befand, bereits drei bekannte Gesichter, welche auf sie warteten. Edge Shot saß auf einer Bank im Schatten, während Kamui Woods an einer Hauswand lehnte und ihr einen kühlen Blick zuwarf. Zumindest vermutete Nemuri dies, denn seine Mimik war durch die hölzerne Maske nur schwer zu lesen. Die Lehrerin hob eine Hand zum Gruß, während sie sich den Profihelden näherte. Derweil hatte das Küken des Teams, welches neben Edge Shot auf der Bank gesessen hatte, sich erhoben. Die Blondine, welche ihr Heldenkostüm für heute bereits gegen zivile Kleidung eingetauscht hatte, winkte ihr gut gelaunt zu und lief ihr die letzten Meter entgegen. "Du bist spät dran, Nemuri.", begrüßte Yu sie neckend. "Ich habe noch einige Klausuren kontrolliert, bevor ich aufgebrochen bin, aber hey, so spät bin ich nun auch wieder nicht." Die intensiv blauen Augen der Lehrerin funkelten amüsiert. "Wir haben hier zumindest schon seit einem Weilchen auf dich gewartet.", befand Yu, ehe sie die Ältere auffordernd anblickte. "Willst du mich nicht vernünftig begrüßen?", forderte sie. Anstelle einer Antwort, beugte die Dunkelhaarige sich zu Yu und küsste diese auf die Lippen. Die Profiheldin schloss kurz die Augen und erwiderte den Kuss. "Besser?", neckte Nemuri sie. "Schon viel.", befand Yu und knuffte sie liebevoll in die Seite. Kamui murrte von seinem Platz aus wenig erfreut vor sich hin, während Edge Shot sich von der Bank, auf der er gesessen hatte, erhob. "Schön dich zu sehen.", begrüßte der Profiheld die Lehrerin und nickte ihr zu. "Und es geht in Ordnung, wenn wir unsere Koffer schon einmal in der UA lagern?" "Klar, dafür haben wir euch die Besucherkarten immerhin ausgehändigt. Ohne die Karten, würdet ihr am Schultor scheitern.", antwortete Nemuri ihm freundlich. "Morgen um 6 Uhr geht es los, richtig?", erkundigte Kamui Woods sich, woraufhin Nemuri nickte. "Morgen um 6 Uhr fährt der Reisebus ab. Wir treffen uns daher schon eine Viertelstunde vorher.", bestätigte sie. "Übrigens danke Jungs, dass ihr meinen Koffer das restliche Stück mit zur UA tragt.", streute Yu munter ein. "Keine Ursache, aber musste es denn unbedingt ein grellpinker Koffer sein?" Etwas peinlich berührt blickte der silberhaarige Profiheld zu dem riesigen, pinken Schalenkoffer. Unbekümmert zuckte Yu mit den Schultern. "Einen anderen Koffer habe ich nicht und außerdem weiß ich wirklich nicht, was du gegen Pink hast." "Und ihr zwei habt noch etwas vor?", hakte Kamui nach. Yu nickte. "Ja genau. Nemuri will mir ihren Opa vorstellen. Aus dem Grund haben wir uns auch in der Stadt getroffen und fahren von hier aus gemeinsam weiter." Nachdem Edge Shot ihnen noch einen schönen Nachmittag gewünscht und Kamui Woods sich knapp verabschiedet hatte, setzten die beiden Frauen ihren Weg in Richtung Bushaltestelle fort, wobei Yu nach der Hand ihrer Freundin gegriffen hatte und diese locker hielt. "Kamui hatte ja wieder eine Laune. Ich denke, er wird mich nie leiden können.", stellte Nemuri fest, machte sich jedoch nicht wirklich etwas daraus, was der Profiheld von ihr hielt. Yu blickte zu ihr hoch und hob eine Augenbraue. "Ich weiß wirklich nicht, was sein Problem mit dir ist. Vermutlich hast du ihn bloß irgendwie auf dem falschen Fuß erwischt. Eigentlich ist er wirklich umgänglich.", versuchte sie ihren Teamkameraden zu verteidigen. "Ich kann dir sagen, was für ein Problem er mit mir hat. Er mag dich auch und da komme ich daher und schnappe dich ihm weg.", erklärte Nemuri vollkommen ungerührt. "Ach Quatsch." Mit ihrer freien Hand machte Yu eine wegwerfende Bewegung. "Wir sind nur gute Freunde, mehr nicht. Das habe ich dir schon so oft erklärt." Die Lehrerin verdrehte die Augen. "Manchmal siehst du auch nur, was du sehen willst, Yu." "Hey, ist das da vorne unser Bus?", hakte die Blondine lieber nach und beendete das vorherige Thema somit. Nachdem Nemuri ihr dies bestätigt hatte, lief die junge Profiheldin los, während die Dunkelhaarige sich ebenfalls in Bewegung setzte, um ihr zu folgen. Während sie zum Bus liefen, betrachtete Nemuri Yu unauffällig. Sie war so froh, dass es ihr wieder gut ging. Als Mic und sie die Kleinere zu Recovery Girl gebracht hatten, hatte es wirklich nicht gut für die junge Heldin ausgesehen. ~~~ Flashback ~~~~ Nun, wo sie endlich lag, spürte Nemuri auch ihre eigene Erschöpfung. Zwar hatte Recovery Girl sich um ihre Verletzungen gekümmert und ihre Schulter bandagiert, dennoch hatte die Lehrerin das Gefühl, gerade mindestens einen Marathon gelaufen zu sein. Seitlich neben ihrem Krankenbett saßen Present Mic und Eraser Head, welche es kaum fassen konnten, sie lebend wieder zu sehen. Zum wiederholten Mal fragten ihre beiden Kollegen sie immer wieder dieselben Fragen, scheinbar in dem Versuch zu begreifen, wie es möglich war, dass sie nun wieder lebendig vor ihnen stand. Bis eben noch hatte Nezu den beiden Lehrern Gesellschaft geleistet, doch der Direktor war vor einer Viertelstunde aufgebrochen und hatte die Krankenstation wieder verlassen. Einerseits tat es wirklich gut, ihre beiden Lehrerkollegen bei sich zu wissen, doch aktuell konnte Nemuri sich kaum darüber freuen, wieder hier in ihrer Welt und zurück bei ihren Freunden zu sein. Drei Meter weiter, im benachbarten Krankenbett, lag ihre Freundin, immer noch bewusstlos, zerbrechlich und weiß wie eine Wand. Wenn sie zu Yu sah, wurde ihr Herz schwer und sie hatte das Gefühl, als würde die Sorge um die Kleinere sie noch von Innen auffressen. Den beiden Teamkameraden der Blondine musste es ähnlich gehen. Noch während Recovery Girl die Profiheldin behandelt hatte, hatte jemand Edge Shot und Kamui Woods hier her zur UA beordert. Nun saßen die beiden Helden mit besorgten, starren Gesichtern am Bett ihrer Kameradin, ähnlich wie Mic und Eraser bei ihr saßen. Recovery Girl hatte sich um Yus Verletzungen gekümmert. Die alte Heilerin war sogar so weit gegangen, einen Schüler mit geeigneter Blutgruppe darum zu bitten Blut zu spenden. Sie hatte alles für die Profiheldin getan, was sie tun konnte, hatte die anderen Anwesenden gleichzeitig aber auch darüber informiert, dass ihre Möglichkeiten ausgeschöpft waren und es nun an Yu wäre zu kämpfen. Wann immer sie von ihrem Platz aus zu der Jüngeren gesehen hatte, hatte diese zerbrechlich und nicht ansprechbar dagelegen. Der Brustkorb der Blondine hob und senkte sich so leicht, dass Nemuri mit etwas Abstand noch nicht einmal genau sagen konnte, ob die Jüngere noch atmete. Für die Lehrerin war der Anblick ihrer verletzten Freundin nur schwer zu ertragen. Absolut furchtbar. Immer wieder sah sie in ihren Erinnerungen vor sich, wie es überhaupt zu dieser schrecklichen Verletzung gekommen war. Wenn sie doch nur irgendetwas für Yu tun könnte! Die Hilflosigkeit und das Bangen um das Leben der jungen Profiheldin, waren für Nemuri das Schlimmste. Ihre Nerven lagen absolut blank. Immer wieder hatte sie sich mit einem Blick zum Krankenbett der Jüngeren vergewissert, ob deren Zustand noch unverändert war. Wieder hatten ihre beiden Lehrerkollegen sie in ein Gespräch verwickelt, wohl teils um sie abzulenken und teils, um sich einen Reim auf ihr plötzliches Auftauchen machen zu können. Über das Gespräch hatte Nemuri im ersten Moment gar nicht bemerkt, wie die Blondine im Nachbarbett schließlich die Augen geöffnet hatte. "Kamui...? Edge...?" Erst die dünne Stimme der Jüngeren und die Tatsache, dass ihre Teamkameraden sich ruckartig erhoben und zu Yu gebeugt hatten, hatte auch Nemuri innehalten und zu ihr herüber sehen lassen. Die Dunkelhaarige hielt fast den Atem an. Im ersten Moment war sie sich nicht sicher gewesen, ob sie sich Yus Stimme nur eingebildet hatte oder nicht, doch warum sonst sollten die beiden anderen Profihelden plötzlich so alarmiert sein? Heiße und kalte Schauer fuhren abwechselnd über Nemuris Rücken. Konnte es wirklich sein...? "Takeyama! Ein Glück, du bist aufgewacht.", hörte sie Kamui Woods sagen. Spontan hatte er nach der Hand seiner Kameradin gegriffen. "Bleib ganz ruhig liegen, okay? Ich hole Recovery Girl.", ergriff Edge Shot das Wort. Ganz langsam schien es Yu zu dämmern, in welcher Welt sie sich befinden musste, da ihre beiden Teamkameraden anwesend waren. Erst spiegelte sich Überraschung und Erleichterung im Blick der Profiheldin, dann legte sich der pure Horror über ihre Mimik. "Nemuri! Oh Gott, wo ist Nemuri?!", rief sie mit panischer, fast schriller Stimme aus und hätte sich trotz ihrer Verletzungen beinahe ruckartig aufgesetzt, wenn ihre beiden Teamkameraden nicht reagiert und sie heruntergedrückt hätten. "Takeyama! Bleib liegen, sonst gehen deine Verletzungen am Ende wieder auf!", tadelte Kamui Woods sie erschrocken. "Nemuri...? Wo ist...?", begann die Blondine wieder. Derweil hielt die Lehrerin nichts mehr in ihrem Bett. Zwar war sie selbst noch ziemlich wackelig auf den Beinen, dennoch schlug sie die Bettdecke zurück und tappte barfuß auf das andere Krankenbett zu. "Kayama! Willst du dir den Tropf aus dem Arm reißen?! Pass gefälligst auf!", hörte sie Aizawa hinter sich blaffen, wusste jedoch gleichzeitig auch, dass sie sich keine Gedanken darüber machen brauchte, da Mic sich den Tropf bereits geschnappt hatte und ihr damit hinterherstolperte. "Hey, ganz ruhig, ich bin hier.", sprach sie Yu an, schob sich an deren beiden Teamkameraden vorbei und setzte sich schließlich auf die Bettkante. Sanft strich sie der Blondine über die Wange. Das Yu vom Schlimmsten ausgegangen war, nachdem sie sie nicht sofort gesehen hatte und sich bewusst geworden war, wieder in ihrer Welt zu sein, war Nemuri im Gegensatz zu den Anderen praktisch sofort klar gewesen. "Du lebst... und wir sind beide wieder zurück...", flüsterte Yu, die die Lehrerin nun anblickte und sich langsam wieder beruhigte. Die anderen Anwesenden tauschten fragende Blicke aus. ~~~~ Flashback Ende ~~~ Als der Bus die gewünschte Haltestelle erreicht hatte, gab Nemuri Yu ein kurzes Zeichen. Beide Frauen erhoben sich von ihren Sitzplätzen und verließen das Fahrzeug wieder. "Wie war eigentlich die Arbeit heute?", erkundigte Nemuri sich bei der Blondine. Yu strahlte ihr entgegen. "Es ist herrlich, endlich wieder fit zu sein und mit den beiden Jungs durch die Stadt patrollien zu können. Wir haben einige Zivilisten vor zwei Schurken beschützt.", berichtete sie gut gelaunt. "Das klingt gut. Und deine Verletzungen sind wirklich wieder verheilt?" Nemuri musterte die Kleinere mit einem prüfenden Blick. Yu hakte sich bei ihr unter und winkte ab. "Inzwischen ist wirklich alles wieder in Ordnung. Recovery Girl hat ganze Arbeit geleistet, auch wenn sie mich mehrmals behandeln musste." Seit der Rückkehr der beiden Frauen waren inzwischen drei Wochen vergangen. "Na dann ist ja gut. Fit solltest du auch wieder sein, wenn wir morgen mit den Schülern ins Trainingscamp fahren." "Ich BIN fit!", versicherte Yu noch einmal, ehe sie ein Gesicht zog. "Allerdings verstehe ich nicht, wieso ich von Edge Shot vor ein paar Tagen erfahren musste, dass wir mit der UA wegfahren?!" "Er ist der Teamleader, oder etwa nicht?", hakte Nemuri schmunzelnd nach. "Und ich bin deine Freundin!", murrte die Blondine vor sich hin. "Außerdem sind wir drei selbständige Profihelden mit je eigener Agentur, die sich lediglich als Team zusammengetan haben.", stellte sie noch einmal klar. "Hey, wir sind da. In diesem Haus lebt mein Großvater.", versuchte Nemuri das Thema zu wechseln und deutete auf das Hochhaus, auf welches die beiden Frauen geradewegs zuliefen. Da Nemuri einen Schlüssel für das Haus besaß, mussten sie nicht extra klingeln. Gemeinsam betraten sie das Gebäude. Ganz automatisch wollte Yu schon auf den Aufzug zusteuern, doch die Lehrerin hielt sie zurück, schüttelte amüsiert den Kopf und deutete auf einen Flur, welcher vom Erdgeschoss aus zu einigen Wohnungen führte. "Großvater lebt gleich hier im Erdgeschoss. So ist es leichter für ihn das Haus zu verlassen.", erklärte sie. "Oh, so ist das. Das erspart uns dann auch eine Fahrt mit dem Aufzug." Auch die Wohnungstür wurde von der Lehrerin aufgeschlossen. Die beiden Heldinnen tauschten ihre Schuhe gegen Pantoffeln und betraten den Flur der kleinen Wohnung schließlich. "Opa! Ich bin da! Und ich habe Yu mitgebracht!", rief Nemuri in Richtung einer offenstehenden Zimmertür. Kurz sah die Blondine sich im Flur um. Die Sitzbank und die Garderobe wirkten alt aber gepflegt. Neben dem Bänkchen, welches vermutlich als Sitzgelegenheit diente, um leichter in die Schuhe schlüpfen zu können, entdeckte sie ein altes Telefon mit Wahlscheibe. Die Luft roch nach Tee und eingeschalteter Heizung, was auch die mollige Wärme in der Wohnung erklären würde. Im angrenzenden Zimmer, vermutlich dem Wohnzimmer, konnte sie hören, wie sich jemand vom Sofa erhob. Nemuri deutete an ihr zu folgen und mit einem etwas seltsamen Gefühl in der Magengegend, setzte auch Yu sich nun in Bewegung. Der Großvater der Lehrerin war die erste Person aus ihrer Familie, die ihre Freundin ihr vorstellte. Das es ausgerechnet der Opa war, lag wohl daran, dass dieser ganz in der Nähe wohnte und Nemuri schon immer gut mit ihm ausgekommen war. Normalerweise zerbrach Yu sich nicht den Kopf darüber, was andere Leute über sie dachten, doch sie hoffte, ebenfalls gut mit dem alten Herrn auszukommen. Das Nemuri sie einem ersten Familienmitglied vorstellen wollte, gab der Beziehung außerdem etwas Offizielles. Yu konnte nicht leugnen, plötzlich doch ein wenig aufgeregt zu sein. Im Wohnzimmer angekommen, erblickte sie einen alten Herrn, welcher auf einen Stock gestützt der Tür entgegenlief. Die intensiv blauen Augen des Rentners begannen sofort freudig zu strahlen, als er seine Enkeltochter erblickte. "Opa! Ich hab dir jetzt schon so oft gesagt, dass du hier im Haus lieber mit dem Rollator laufen sollst, nicht am Stock. Die ganzen Teppichbrücken sind nichts als Stolperfallen." Die Lehrerin schüttelte den Kopf, während der alte Herr die Arme ausbreitete. "Ich lebe jetzt schon seit über 40 Jahren hier in der Wohnung und weder deine Oma, Gott habe sie selig, noch ich sind auch nur ein einziges Mal über eine Teppichkante gestolpert.", winkte der Großvater ab. "Und jetzt lass dich drücken." Opa und Enkeltochter umarmten sich, was Yu unweigerlich schmunzeln ließ. Ein warmes Gefühl stieg in ihr auf. Es war schön, Nemuri und ihren Opa zu beobachten, zumal die Lehrerin gerade eine Seite von sich zeigte, die sie so noch nicht kannte. "Ich hab dich so vermisst, Schätzchen.", nuschelte der Senior und wirkte überglücklich. "Ich dich auch, Opa." Schließlich gingen die beiden wieder etwas auf Abstand und Nemuri winkte die Blondine zu sich heran. "Wie versprochen, habe ich meine Freundin mitgebracht. Das ist Yu.", stellte die Lehrerin die Jüngere vor, welche dem alten Herrn höflich zunickte und eine kurze Verbeugung andeutete. Um einen guten Eindruck zu hinterlassen, war Yu gewillt sich von ihrer besten Seite zu zeigen. "Es freut mich Sie kennenzulernen.", begrüßte sie den Großvater, ehe sie merklich stutzte. Dieses Gesicht, die intensiv blauen Augen und das kleine Muttermal auf seiner Wange... das war doch...! "Moment, ich glaube wir kennen uns schon.", stellte sie überrascht fest. Die Augen des alten Herrn funkelten voller Wärme. "Und ob wir uns kennen. Nemuri und ich haben dir viel zu verdanken, junge Dame." Nun war es an der Lehrerin verwirrt zwischen ihrem Opa und ihrer Freundin hin und her zu blicken. "Ihr kennt euch?", hakte sie nach. "Naja, kennen ist vielleicht etwas zu viel gesagt, aber wir sind uns zumindest schon einmal begegnet.", versuchte Yu zu erklären. "Sie hat regelmäßig ein ganz bestimmtes Grab auf dem Friedhof besucht, ganz genau so wie ich.", ergänzte der alte Herr. Kurz stutzte Nemuri noch, dann hatte sie verstanden und wirkte sofort ein wenig unbehaglich. "Oh... so ist das." Schließlich wurde ihr Blick wieder fragend. "Und was meinst du damit, dass wir Yu viel zu verdanken haben?", wollte sie wissen. Sie hatte ihrem Großvater immerhin noch nichts von der Parallelwelt erzählt. "Das... darüber wollte ich sowieso mit euch gesprochen haben. Warum setzen wir uns nicht?" Der alte Herr deutete auf eine gemütlich wirkende Sofaecke. Während Nemuri und sie sich nebeneinander auf das Sofa gesetzt hatten, hatte der Großvater der Lehrerin auf dem Sessel gegenüber Platz genommen. Yu trank einen Schluck Früchtetee und blickte neugierig zu dem Wohnungsbesitzer. Er wollte etwas mit ihnen besprechen, hatte er gesagt. Fragte sich nur was. "Wie schon gesagt, haben wir beide dir viel zu verdanken, junges Fräulein.", begann der Großvater erneut. Yu zog eine Augenbraue hoch. "Ich verstehe nicht ganz. Wie meinen Sie das?" Vielleicht hatte sie gemeinsam mit Nemuri in der Parallelwelt gegen die Nomu gekämpft, doch sie konnte sich nicht erinnern, auch etwas für den Opa getan zu haben. "Nun, du hast meiner Enkelin das Leben gerettet.", begann der Alte. "Eh? Ich weiß nicht, ob ich das unbedingt so nennen würde." "Erinnerst du dich noch an das Gespräch auf dem Friedhof? Ich habe dich gefragt, ob du ungeschehen machen würdest, was passiert ist, wenn du die Möglichkeit dazu hättest." Auf die Lippen des alten Herrn legte sich ein Lächeln. In der Tat erinnerte Yu sich an das Gespräch. Sie nickte. "Was ich bestätigt habe. Aber der gute Wille allein reicht dafür nicht." "Das ist wohl wahr, aber hier komme ich ins Spiel. Und ich fürchte, ich muss mich wirklich bei dir entschuldigen. Der Einsatz meiner Quirk hätte dich beinahe umgebracht, was ich so niemals beabsichtigt habe." Nun war es an beiden Frauen den Wohnungsbesitzer erstaunt anzusehen. "Der Einsatz Ihrer Quirk? Wie meinen Sie das?", hakte Yu nach. "Aber Opa, du hast doch gar keine Quirk.", mischte nun auch Nemuri sich ein. Doch der Großvater schüttelte nur schmunzelnd den Kopf. "Das denkst aber auch nur du, Nemuri.", widersprach er. "Allerdings ist der Einsatz meiner Quirk so umständlich, dass es beinahe so ist, als wäre ich ein Normalo." Nemuri und Yu tauschten rasch einen fragenden Blick aus und sahen schließlich wieder zum Opa der Lehrerin, welcher die stumme Aufforderung verstanden hatte und weitersprach. "Mit meiner Quirk ist es mir möglich, einer Person, die zu früh gestorben ist, unter bestimmten Umständen zurück ins Leben zu helfen, weißt du?" Die Lehrerin sog scharf die Luft ein, schwieg aber und ließ ihren Großvater weiter erklären. "Nach dem Tod einer Person, kann ich deren Seele für einige Zeit lang in eine Art Parallelwelt ziehen und sie dort halten. Sie zurück ins Leben holen kann ich jedoch nicht. Hierzu braucht es eine Person, die diesen Part übernimmt. Es muss jemand sein, dem der Verstorbene wirklich viel bedeutet hat." "Was?! Das ist deine Quirk? Aber warum hast du mir nie davon erzählt, Opa?" Verständnislos blickte Nemuri ihn an. "Weil der Fall, dass meine Quirk je zum Einsatz kommt und sämtliche Bedingungen stimmen, so unwahrscheinlich ist, das es unerheblich war.", erklärte ihr Großvater ihr. "Und wie bist du auf Yu gekommen?", wollte seine Enkeltochter nun wissen. "Ich meine, ich hatte sie dir noch nie vorgestellt, aber du kennst beispielsweise Eraser und Mic, mit denen ich schon seit Ewigkeiten gut befreundet bin." Wären ihre Kollegen da nicht die logischere Wahl gewesen? "Zugegeben, an die beiden hatte ich zuerst auch gedacht. Ich habe mit ihnen gesprochen und sie waren wirklich betroffen, was deinen Tod betraf, aber sie haben die Tatsache akzeptiert und nach einer Weile begonnen wieder nach vorn zu blicken." Nun nickte er in Yus Richtung. "Und da kamst du ins Spiel.", erklärte er. "Während andere Bekannte nur einige Male auf dem Friedhof vorbeigesehen haben, hast du Nemuris Grab fast jeden Tag besucht und hast so unendlich traurig ausgesehen. Du hattest dich ganz eindeutig nicht mit ihrem Tod abgefunden. Und genau das brauchte es: eine Person, die allem Anschein nach unglaublich an meiner geliebten Enkeltochter hing und bereit war alles zu tun, um sie wieder zurückzubringen." Erneut tauschten die beiden Frauen einen Blick aus. Yu genehmigte sich noch einen Schluck Tee, da sie plötzlich einen ganz trockenen Mund bekommen hatte. "Und wie genau funktioniert Ihre Quirk nun?", wollte sie wissen. "Nun, ich habe mich ganz auf dich konzentriert. Meine Quirk ermöglicht es mir, die ausgewählte Person an den Ort zu schicken, an dem die Seele des Verstorbenen sich befindet. Von da an ist es ganz an der lebenden Person, die Seele zu finden und einen Weg zu finden, sie wieder mit zurück zu bringen." Nun war es Nemuri, deren Blick leicht vorwurfsvoll wurde. "Das mag ja alles sein, aber wirklich Großvater, was sollte das mit den Nomu? Diese Monster hätten uns beinahe umgebracht! Es grenzt an ein Wunder, dass Recovery Girl Yu noch retten konnte." Der alte Herr seufzte und wirkte bekümmert über den Vorfall. "Das ihr einer solchen Gefahr ausgesetzt wart, tut mir leid. Es ist nur so, dass ich keinen Einfluss habe, was an dem Ort geschieht, an dem die Seele des Verstorbenen sich befindet. Ich kann Seele und Lebenden nur in eine Art Parallelwelt bringen, in der sie sich begegnen können, doch alles andere liegt nicht in meiner Hand." "Und die Menschen in der Parallelwelt? Dort drüben war alles so erschreckend real. Eine ganz normale Stadt.", ergriff Yu nun das Wort. "Das kann ich dir leider auch nicht beantworten, junge Dame. Ich war noch nie an diesem Ort und habe nie einen Blick dorthin riskieren können. Mir ist es lediglich möglich jemanden dort hin zu schicken. Wie es an diesem Ort aussieht und ob es sich um eine echte Parallelwelt handelt, oder ob diese Welt nur ein Konstrukt meiner Quirk ist, weiß ich nicht." Er räusperte sich und trank ebenfalls einen Schluck Tee. "Was diese Monster betrifft, die euch dort angegriffen haben, kann ich mir nur vorstellen, dass es eine Art Aufarbeitung der Geschehnisse kurz vor Nemuris Tod war. Es ist nur eine Vermutung, aber diese Schlacht hatte dich noch nicht losgelassen und du hast mit Selbstvorwürfen gekämpft, obwohl du für all das gar nichts konntest, oder?" Leicht nickte die Blondine. "Das ist wohl wahr. Ich habe mich dafür verantwortlich gemacht, dass ich nicht für Nemuri da war, als sie mich am meisten gebraucht hätte. Als wir uns dann in der Parallelwelt wiedergetroffen haben, habe ich mir geschworen, sie diesmal zu beschützen und wenn es mich das Leben kostet." Der alte Herr nickte ihr zu. "Wie gesagt, es ist nur eine Vermutung, aber ich denke, dass es diese Gefühle waren, die die Geschehnisse in der Parallelwelt beeinflusst haben könnten." Schließlich schimmerten seine Augen voller Sympathie. "Auf jeden Fall möchte ich dir danken. Du hast meine Enkelin zurückgeholt, die mir mehr bedeutet als alles auf dieser Welt." Der Blick des Großvaters ruhte nun auf Nemuri. Schließlich grinste er die Dunkelhaarige mit einem zahnlosen Lächeln an. "Und du solltest gut auf dieses Mädchen aufpassen und sie freiwillig nicht mehr ziehen lassen. Das sie in der Lage war, dich zurück ins Leben zu holen, beweist wie sehr sie dich liebt." Nun war es an Yu rot zu werden und sich verlegen am Kopf zu kratzen. Später, nachdem sie sich wieder von Nemuris Großvater verabschiedet hatten, waren die beiden Frauen gemeinsam in Richtung UA gereist. Da die Lehrerin morgen mit einigen anderen Lehrern, zwei Schulklassen und Team Lurkers als Unterstützung, zu einem Trainingscamp aufbrechen würde, hatten sie entschieden, dass Yu auch gleich in der Wohnung der Dunkelhaarigen übernachten konnte, um sich so am nächsten Tag den Anweg zu sparen. Besagte Wohnung lag praktischerweise im Lehrerwohnheim, von welchem man einen Blick auf das Schulgebäude und einige Trainingshallen hatte. Inzwischen war es später Abend. Während Nemuri in der offenen Küchenecke stand und Töpfe und Geschirr abwusch, lag Yu gemütlich auf dem Sofa und blätterte in einer Modezeitschrift. Sie genoss die Ruhe, blendete das Klappern des Abwaschs im Hintergrund gekonnt aus und betrachtete die diesjährigen Modetrends, welche den Lesern in der Zeitschrift vorgestellt wurden. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, blätterte sie eine Seite um und war ganz in Gedanken versunken, bis ihr ein Küchenhandtuch genau im Gesicht landete. Yu blinzelte, ließ die Zeitschrift sinken und wischte sich das Handtuch aus dem Gesicht, nur um in das angesäuerte Gesicht ihrer Freundin zu blicken, welche sich über die Sofalehne lehnte. "Hey! Sag mal was soll das?!", beschwerte Yu sich. "Das könnte ich dich auch fragen! Wie wäre es, wenn du mal aufstehst und mir beim Abwaschen hilfst, anstatt hier faul herumzuliegen?", ermahnte Nemuri sie. "Ich?" Die Blondine riss erstaunt die Augen auf und deutete kurz auf sich selbst, so als könnte sie es kaum fassen. "Ja, genau du. Wer sonst?", murrte Nemuri trocken. "Hey, ich bin dein Gast. Schon vergessen?" "Du bist meine Freundin, was diese Regel wieder aushebelt.", konterte die Lehrerin. "Außerdem habe ich das Abendessen schon zubereitet, da kannst du dich jetzt ruhig etwas nützlich machen." "Du hast mich beim Kochen nicht gefragt, ob ich dir helfen kann." Yu blinzelte ihr unschuldig entgegen. "Weil ich nicht wollte, dass wir so kurz vor dem Trainingscamp eine Lebensmittelvergiftung riskieren." Die Blondine plusterte nur empört die Wangen auf, sparte sich jedoch einen Kommentar, da sie wusste, dass Nemuri recht mit dem hatte, was sie sagte. Die junge Profiheldin gehörte zu den Personen, die es schafften selbst Wasser anbrennen zu lassen, oder aber beim Betätigen des Toasters einen Großbrand auszulösen. Beherzt griff Nemuri nach dem Arm der Jüngeren und zog diese in eine sitzende Position. Sie ließ wieder los und blickte Yu abwartend an. "Also los, auf jetzt und ab in die Küche. Hilf mir gefälligst.", verlangte sie. "Vom Abwaschwasser werden meine Finger aber schrumpelig! Ich hab keine Lust!", schmollte Yu. "Die Zeiten, in denen ich dir alles nachgeschleppt habe, sind vorbei, immerhin sind deine Verletzungen inzwischen wieder vollständig verheilt. Wenn du nicht gleich freiwillig aufstehst, kommt das Abwaschwasser zu dir und das willst du nicht...!", drohte die Lehrerin. Yu wusste, dass die Ältere die Drohung vermutlich wirklich noch realisieren würde, indem sie mit einem Gefäß etwas Abwaschwasser abschöpfen und es ihr überkippen würde, wenn sie sich jetzt nicht bewegte. Widerstrebend stand sie also auf, murrte vor sich hin und tappte in Richtung Küche. Sie war zwar froh, dass sie inzwischen wieder fit war, doch konnte sie nicht leugnen, dass es ihr durchaus gefallen hatte, dass Nemuri ihr in der Zeit ihrer Genesung unter die Arme gegriffen hatte und der Haushalt sich auch praktisch von allein erledigt hatte, während sie vorübergehend bei ihrer Freundin eingezogen war. Doch diese Herrlichkeit schien nun vorbei zu sein. Nemuri war nicht die Person, die anderen sämtliche Annehmlichkeiten auf dem Silbertablett hinterher schleppte und eine Diskussion wie diese, hatten sie nun auch nicht zum ersten Mal geführt. Vielleicht konnte Yu sie sogar ein klein wenig verstehen, auch wenn das nicht bedeutete, dass sie wirklich Lust darauf hatte abzuwaschen. "Sklaventreiberin.", murrte sie vor sich hin, ehe sie sich neben die Lehrerin in die Küche stellte und nach dem ersten Topfdeckel griff, um diesen abzutrocknen. "Verzogene Göre!", konterte Nemuri. "Meine Schüler sind nicht halb so faul wie du." "Ach, du lässt deine Schüler deinen Haushalt machen?", hakte die Blondine unschuldig nach. Nemuri verdrehte die Augen. "Komm schon, du weißt genau was ich meine." Das provokante Grinsen der Jüngeren wurde eine Spur breiter. "Weiß ich..., Pädo-Sensei." "Wie hast du mich genannt?!", schnappte die Lehrerin. Yu blinzelte ihr aus ihren rötlichen Augen entgegen und schmunzelte frech. "Ach, gar nichts. Ich habe mich nur gewundert, ob du inzwischen in ein Alter gekommen bist, in dem du Hilfe beim Abwasch brauchst.", neckte sie sie. Die Lehrerin funkelte Yu warnend an, auch wenn sie die Situation ebenso wenig ernst nahm. "Hast du dreistes Gör mich gerade alt genannt?", hakte sie gespielt angesäuert nach und ließ einen Schatten über ihren Blick fallen. Rasch hatte sie Yu zwischen sich und der Küchenzeile eingekesselt. Die Profiheldin drehte sich, sodass sie zu der Größeren hochblicken konnte. Weiterhin zierte ein amüsiertes Grinsen ihre Lippen. "Was denn, sind die Ohren schon so schlecht, dass du mich nicht verstanden hast?", stichelte sie weiter, während ihre Augen amüsiert funkelten. Nemuri legte eine Hand unter das Kinn ihrer Freundin und schob es mit dem Daumen etwas höher, sodass Yu geringfügig den Blick heben musste. Nicht, dass ihr das etwas auszumachen schien. "Dir bringe ich Manieren bei.", drohte Nemuri scherzhaft. "Ach ja?", grinste Yu sie an, legte eine Hand in den Nacken ihrer Freundin und zog sie zu sich herunter, sodass sie sie in einen Kuss verwickeln konnte, welcher rasch intensiver wurde. Für den Moment blendeten sie den Abwasch gänzlich aus und küssten sich. Die Lehrerin knabberte leicht an der Unterlippe ihrer Freundin und fuhr schließlich auffordernd mit der Zunge darüber. Die Blondine ging darauf ein. Nachdem sie schließlich kurz innehalten mussten, um zu atmen, betrachtete die Ältere ihre Freundin mit fast schon hungrigem Blick, schmunzelte vielsagend und begann damit Yus Hals mit vielen kleinen Küssen zu übersähen. Yu gab einen wohligen Laut von sich und reckte genießerisch den Hals, um Nemuri mehr Fläche zu bieten. Die Lehrerin schob das T-Shirt der Blondine hoch, welche ihr kurz dabei half, das Kleidungsstück rasch loszuwerden, ehe es achtlos in Richtung Sofa geworfen wurde. Erneut küssten die beiden Heldinnen sich, während Nemuri Yu über die Seite strich. Mit dem Daumen fuhr sie über ihre Haut und spürte dabei die Narbe, die der Blondine als Andenken aus dem Kampf mit dem Nomu geblieben war. Die Jüngere zeterte zwar regelmäßig darüber, dass sich zu der Narbe über ihrem Auge, nun auch noch die von der Metallstange verursachten, kleinen Narben an Bauch und Rücken gesellt hatten, doch Nemuri störte sich nicht wirklich daran. Auf Yus heller Haut fielen die Narben, die bereits blass geworden waren, kaum auf. Ganz generell übersah sie diese Erinnerungen aus der Parallelwelt, auf der Haut der Jüngeren, ganz einfach. Noch während sie sich küssten, legte die Lehrerin die Hände an die Hüften ihrer Freundin und hob die Kleinere ohne große Mühe hoch auf die Küchenzeile. Im ersten Moment wollte Yu die Beine um sie schlingen und sie damit näher zu sich ziehen, doch dann erstarrte die Profiheldin und blickte ihre Freundin fast schon entsetzt an. "Nemuriii...~!", jammerte sie los. "Du hast mich auf die Küchenzeile gesetzt - auf die nasse Küchenzeile, wohl gemerkt! Igitt!" Die Lehrerin blinzelte, konnte ein leises Lachen dann jedoch nicht mehr unterdrücken. "Ach, habe ich das?", amüsierte sie sich. "Keine Sorge, die Hose bist du eh gleich los und zur Not, leihe ich dir nachher ganz einfach was von meinen Klamotten." "Fühlt sich gerade trotzdem eklig an...", beschwerte Yu sich. Die Lehrerin verwickelte sie in einen Kuss, öffnete dabei den Knopf der Jeans der Jüngeren und hob diese erneut hoch. "Wir arbeiten dran.", grinste sie. Yu schlang die Beine um sie, was es noch einmal leichter machte, die junge Heldin in Richtung Sofa zu tragen. "Und der Abwasch?", nuschelte sie in Nemuris Ohr, ehe sie am Ohrläppchen der Älteren knabberte. "Kann warten.", entschied diese fast sofort. "Klingt wie Musik in meinen Ohren.", kicherte die Blondine, froh darüber dem ungeliebten Haushalt vorerst entgangen zu sein. Vielleicht konnte sie sich später ja auch ganz davor drücken. Während Nemuri sie in Richtung Sofa trug, hätte Yu glücklicher kaum sein können. Zugegeben, manchmal kam es ihr immer noch vor wie ein Traum, dass sie ihre Freundin gesund und lebend wieder hatte. In den ersten Tagen, nach der Rückreise in ihre Welt, war sie nachts oft genug aufgewacht und hatte mit einem hektischen Blick überprüft, ob Nemuri wirklich noch da war. Doch sie war es. Das hier war kein Traum, es war die Realität. Ihre Liebe auf dem Schlachtfeld zu verlieren, hatte ihr schier das Herz herausgerissen, doch das Schicksal hatte ihnen eine zweite Chance eingeräumt, welche ihrem Leben Freude und Farbe zurückgegeben hatte. Sie wusste, dass dies wahrlich nicht selbstverständlich war, ebenso wie sie wusste, dass sie jeden Tag in vollen Zügen genießen würden. Eine zweite, entscheidene Schlacht gegen die Schurken würde früher oder später nicht ausbleiben, doch Yu wusste, dass das Drama sich nicht wiederholen würde. Wie schwer auch immer die Zukunft, die sie erwartete, sein mochte, sie hatte Nemuri zurück und wusste, dass sie Seite an Seite jede noch so harte Zeit überstehen würden. ~ Ende ~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)