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Snapes Geheimnis

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier vorgelesen: https://youtu.be/5lZwsr2J3FQ

Etwas, das ich schon länger in mir trage, und heute endlich aus meinem Kopf lassen musste.
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Prolog

Die unverzeihlichen Flüche. Avada Kedavra. Wie mit so vielen Dingen im Leben ist es eine Sache, über etwas zu sprechen, doch eine ganz andere, sie selbst zu erleben.

Die Gelehrten erklären, dass es für diese Flüche nicht nur an Macht und Fähigkeit bedarf, sondern außerdem an Willenskraft, am reinen Willen zu töten - ohne, dass sie selbst in der Lage wären, diese Flüche zu beherrschen. Adepten der Dunklen Künste, die diese Flüche mit Freuden tagtäglich beschwören, nennen ihre Quelle einfach Hass, doch auch diese Bezeichnung ist zu ungenau und sie verstehen selbst nicht, was sie tun.
 

Severus Snape war vermutlich der einzige Zauberer, der das Wesen des Todesfluches je wirklich verstanden hatte, und es sollte bis zuletzt sein Geheimnis bleiben. Hat nicht jeder Zauberer, jede Hexe, vielleicht sogar jeder Mensch oder jedes denkende und fühlende Wesen seine Geheimnisse?

Der Dunkle Lord hatte zweifellos Hunderte von ihnen, und vielleicht waren es auch seine Geheimnisse, die ihm letzten Endes zum Verhängnis wurden. Albus Dumbledore, sein ewiger Widersacher, hielt seine Pläne ebenfalls bedeckt, wenngleich er seinen Verbündeten etwas mehr Vertrauen entgegenbrachte.
 

Snape wusste, dass es zu viele Fragen gab, auf die er nun niemals eine Antwort bekommen würde, doch er musste tun, was er tun musste.

Als das grüne Licht des Todesfluches in Dumbledores Brust drang und der Schulmeister starb, enthüllte er Snape sein letztes Geheimnis, vielleicht das wichtigste und grausamste von allen.

Lilys Geheimnis

Auch Lily Evans hatte ein Geheimnis, obwohl Snape es niemals erfahren sollte.
 

Es war Winter 1979, als er das letzte mal mit ihr sprach. Die Luft hatte diesen Geruch, den nur der erste Schnee mit sich bringen kann, und bis zuletzt war er unauflöslich mit der Erinnerung an die Berührung ihrer Hand verknüpft.
 

Sie gingen nebeneinander, und Severus setzte jeden Schritt sorgsam auf, als hätte er Sorge, eine Erschütterung könnte die Illusion zerbrechen. Er hielt ihre Hand in seiner, und konnte den Ring um ihren Finger spüren, der gegen die Berührung zu rebellieren schien, schmerzend heiß wurde.

Doch sie lies ihn gewähren, Lily Evans. Evans. Noch gab es Hoffnung, noch konnte die Geschichte...
 

Lily lachte leise und traurig, ein kurzer Laut, den man beinahe mit einem Husten verwechseln könnte. Beide blieben stehen und wandten sich einander zu, doch sahen sich nicht an.

Der Schnee dämpfte die Geräusche auf der Weide, und es war, als wären sie die einzigen Menschen auf der Welt. Snapes Atem kam in flachen, zittrigen Zügen und kondensierte in der Luft zwischen ihnen.
 

Konnte es nicht für immer so sein, flehte er innerlich, bitte, lass diesen Moment für immer bleiben, egal was der Preis ist, ich schwöre, ich bin bereit ihn zu zahlen.
 

“Wieso willst du es nicht verstehen?”, fragte Lily traurig, und der Moment zersprang in tausend Scherben, als sie ihre Hand zurückzog.
 

Severus holte rasselnd und tief Luft, und seine Brust drückte gegen das Fläschchen in seiner Manteltasche. Nur eine kleine Ampulle, einen Fingerbreit im Durchmesser und drei Fingerbreit gefüllt mit einer transparenten, zähen Flüssigkeit.
 

Amanita Mortium, ein Extrakt der Todeskappe, gebraut mit der gleichen Präzision und Handwerkskunst, mit der Snape alle seine Tränke herstellte.

Der Pilz war ein Verwandter des unter Muggeln gefürchteten Amanita Phalloides, des Grünlichen Gift-Wulstlings, und übertraf seinen Cousin in Potenz.

Die Flüssigkeit würde süßlich schmecken, ihn seiner Magie berauben, und schließlich seines Lebens.
 

“Ich kann es nicht verstehen”, stieß Severus schließlich hervor, “du sagtest, du, nein, wir, wir gehören -“

“- es ist egal, was ich gesagt habe”, unterbrach Lily ihn, “bitte verstehe das doch. Damals ist damals und heute ist heute. Wir haben alle unsere Entscheidungen getroffen, und ich bin glücklich mit ihm.”
 

Hitze stieg in Snapes Brust auf, kroch seinen Hals hinauf, füllte seinen Kopf und brannte ihm in den Augen.

“Hätte ich gewusst... hättest du mir gesagt... dass du...”

Er brachte den Satz nicht zu Ende und sah sie flehentlich an.
 

Sie erwiderte seinen Blick mit ihren hellen, grünen Augen. Auf ihrem Mund lag ein schiefes Lächeln, voller Schmerz und Zuneigung.

“Severus. Severus.”

Er fühlte sich, als würde der Boden unter seinen Füßen verschwinden und er fallen. Er wollte kämpfen, musste kämpfen, doch er wusste, dass es vorbei war. Es war getan, keiner seiner Fehler mehr rückgängig zu machen.
 

“Lily, bitte, ich verspreche dir, ich werde mich ändern. Ich werde -“

Sie schüttelte sanft den Kopf.

“Nein, Severus. Es sollte nicht sein. Wir beide gehören einfach nicht zusammen.”
 

Sie griff nach seinem Arm in einer Geste des Trostes, doch er wich einen Schritt zurück und hob abwehrend seine Hände.

“Fass mich nicht an. Bitte, berühre mich nicht. Wenn du mich berührst, muss ich sterben.”

Er konnte es nicht mehr unterdrücken, Tränen traten in seine Augenwinkel.
 

Lily lachte wieder, ihr leises, trauriges Lachen. Es lag keinerlei Spott in ihm.

Severus, oh Severus. Immer so dramatisch, so melancholisch, so... intensiv. Intensiver als die Wirklichkeit, als ob nur die Momente mit ihm real wären, sie nur in seiner Nähe wirklich am Leben war.

Er zog sie an, immer noch, und er zerstörte sie, immer noch.
 

Sie wusste, was sie tun musste. Manche Geheimnisse durften niemals ausgesprochen werden.
 

“Severus, du bist einfach nicht der Richtige für mich.”

Er hob zu einer Erwiderung an, doch sie blieb stark in ihrem Entschluss.

“Nein, und du wirst es niemals sein. Du und ich gehören nicht zusammen. Pass auf dich auf, bitte.”
 

Es mussten Stunden vergangen sein, die er im Schnee kniete, die Finger, längst taub von der Kälte, um die Phiole mit der klaren Flüssigkeit geschlossen. Ihre Stimme war längst in seinen Ohren verklungen, zurück blieb nur ein Rauschen. Es war das letzte mal, dass er weinte.
 

Lily Evans war gegangen, und ihr Geheimnis hatte sie mit sich genommen. Sie wusste, dass manchmal die Träume der Realität weichen müssen. Dass sie eine Entscheidung treffen musste, und welches die Richtige war.

Sie entschied sich für eine pragmatische, realistische und beständige Liebe, auf der sie ein Leben aufbauen konnte.
 

Ihre andere Liebe, ihre erste, in all ihrer beängstigenden Tiefe, ließ sie an diesem Tag im Schnee zurück. Sie wusste, dass sie nie wieder etwas von einer solchen Intensität fühlen würde.

Das war ihr Geheimnis.

Snapes Geheimnis

Snape hatte nie - selten - Freude dabei empfunden, die unverzeihlichen Flüche anzuwenden, doch es hatte ihn auch niemals Anstrengung gekostet. Im Gegensatz zu anderen Todessern hatte er den Cruciatus-Fluch nur verwendet, wenn es für seinen Auftrag unerlässlich erschien, ihn gezielt eingesetzt. Wie ein Chirurg der Muggel mit einem Skalpell Fleisch und Organe freilegt, ohne Befriedigung über den Schnitt zu empfinden, hatte er mit dem Cruciatus die Arbeit erledigt, die ihm bestimmt war. Dennoch hätte er nicht sagen können, wie oft schon.
 

Doch Snape wusste, wie oft er den Todesfluch, Avada Kedavra, schon gebraucht hatte. Zumindest gegen Menschen.

Es war ihm niemals schwer gefallen, er hatte keine Erklärung benötigt, keine Übung. Wenn es an der Zeit war, zu töten, kam der grüne Funken tödlicher Magie so natürlich und mühelos aus ihm heraus, wie die Melodie aus einem Singvogel.
 

Nur Snape wusste, dass Gelehrte und Todesser gleichermaßen Recht hatten, und doch die Natur des Todesfluches niemals in ihrer Gänze begreifen konnten.

Er trug Hass in sich, einen unerschöpflichen Quell. Lodernder und vernichtender als der Hass anderer Todesser, die, von Grausamkeit und Überheblichkeit getrieben, mit Freude Schwächere quälten. Intensiver und unermüdlicher als der Hass ihrer Opfer, der gerechte Zorn, der Auroren und verzweifelte Helden dazu trieb, sich ihnen entgegenzustellen.
 

Das Schicksal, in seiner grausamen Ironie, hatte ihn dazu gezwungen, Albus Dumbledore hinrichten zu müssen. Den einzigen Mann, der je an ihn geglaubt hatte, ihn rehabilitiert hatte. Der ihm eine Chance eröffnet hatte, seinem als verwirkt gedachten Leben wieder einen Zweck zu geben.
 

Snape starrte Dumbledore einen Moment lang an, und Abscheu und Hass zeichneten sich auf den harten Zügen seines Gesichts ab.
 

“Severus... Bitte...”, sagte Dumbledore.
 

Ja, es benötigt echten Hass, um Avada Kedavra zu wirken. Der Wille zu Töten ist eine Grundvoraussetzung, und er muss tief aus dem Inneren des Zauberers kommen.

Aber es war eine Aufgabe, und Snape würde sie erfüllen, wie er jede Aufgabe erfüllt hatte, stoisch und unbeirrbar.
 

Denn dies war Severus Snapes Geheimnis: Er bereute jeden einzelnen Tag, das Gift nicht getrunken zu haben.
 

“Avada Kedavra!”

Dumbledores Geheimnis

Als Snape sah, wie der Funke des Lebens aus Dumbledores Gesicht wich und seine Muskeln erschlafften, erkannte er plötzlich, was der Schulleiter vor ihm verborgen gehalten hatte, vor ihnen allen. In dieser Sekunde traf ihn die Ungeheuerlichkeit der gesamten Wahrheit in ihrer vollen Gewalt, und seine Knie drohten, unter ihm nachzugeben.
 

Der Mensch war letzten Endes nur Materie, das war Dumbledores Geheimnis. Nur biologische Masse, Futter für die Würmer, Asche, Erde. Dumbledores toter Körper kippte über die Balustrade und fiel.

Dies war das wichtigste Geheimnis, die Antithese zu allen anderen von Dumbledores Geheimnissen, die letzte Offenbarung, nur für ihn bestimmt. Stürze den Menschen von einem Turm, und er wird fallen. Schneide ihn, und er wird bluten. Zünde ihn an, er wird brennen. Begrabe ihn, und er wird verwesen.

Es gab keinen tieferen Sinn, keine Magie, die diesem Moment Bedeutung beimessen konnte. Keine Geschichte war noch relevant, keine Vorstellung oder Fantasie jemals wichtig gewesen.
 

Für eine Sekunde schloss Severus Snape die Augen und fand Frieden.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Danke, dass du gelesen hast, was aus mir heraus musste.
Inspiriert von Nabokovs "Lolita" und Hellers "Catch-22". Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  AuroraSnape
2022-12-03T12:48:15+00:00 03.12.2022 13:48
WOW.
Ich dachte, ach komm liest du mal. Ist kurz. Mal gucken, wer was zu sagen hat.

Und ich bin platt! Mein Herz ist gerade ein bisschen zerbrochen.

Chapeau!
Antwort von:  Feindbild
21.12.2022 17:52
Danke fürs Lesen und danke fürs kommentieren <3 das klingt jetzt gemein, aber es bedeutet mir viel, dass ich dich mit meinem Schreiben ein wenig verletzt habe (und verletzen durfte).


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