Des Nachts sind die Labore still von mikifou (Wie Josh zu Mael fand) ================================================================================ Kapitel 17: Joshua ------------------ Extra Kapitel 3: Joshua Ich erinnerte mich kaum an meine echten Eltern. Früher waren da ein paar Erinnerungen gewesen, welche ich wie einen Schatz gehütet hatte, aber nach und nach gingen sie verloren. Meine Eltern schenkten mir mein Leben, meinen Körper und meinen Namen. Heute konnte ich nicht mehr sagen, ob es nicht noch mehr Dinge gegeben hatte, welche sie mir vermacht hatten. Woran ich mich mit Gewissheit erinnerte, war mein Spiegelbild, welches ich auf unzähligen Oberflächen betrachtet hatte und mir dachte: Du bist Joshua. Mael stand neben mir in der Küche und versuchte mir die richtige Messerhaltung beizubringen. Natürlich wusste ich wie man ordentlich eine Zwiebel schnitt ohne sich in die Fingerkuppen zu schneiden. Ich war tollpatschig, nicht dumm. Dies hier war auch nicht meine erste Kochstunde mit ihm. Auch hatte ich Mael darauf hingewiesen, dass das nicht nötig sei. Trotzdem hörte er nicht auf und setzte zu einem erneuten Versuch an. „Du hältst die Zucchini so. Dann schneidest du erstmal der Länge nach, das macht sie handlicher. Außerdem wollen wir eh Würfel draus haben. Also, dann…“ Mael erklärte und zeigte mir meine Aufgabe. Mit einem Schmunzeln ahmte ich ihn nach und erhielt ein zufriedenes Grinsen. Es freute mich, wenn Mael sich freute. Ob das nun daran lag, dass ich ihn liebte oder dass er einfach so war wie er war, konnte ich nicht beantworten. Ich wollte es auch nicht. Viel zu lange hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, was richtig und was falsch war. Wie musste ich sein, dass andere mich mochten und mit mir umgehen wollten. Wie kam ich sympathisch rüber, wie schreckte ich andere ab? Ich zerbrach mir ständig den Kopf darüber wie dieses ‚Zwischenmenschliche‘ funktionierte. „Sehr gut, dann ab in die Pfanne damit!“, sagte Mael und schob mich an den Herd. Jetzt da ich einen Geliebten hatte, mit dem das Zusammenleben einfach nur Spaß machte, wollte ich nicht mehr über solche Interaktionen nachdenken. Mein Leben erschien mir so einfach, dass ich mich manchmal sogar fragte, wie ich diese ‚Einfachheit‘ (so würde Mael es ausdrücken) bisher übersehen konnte. Das Öl war heiß und ich schob die Zucchiniwürfel mit einem Messer vom Brett. Es spritzte etwas, aber nicht viel. Brett und Messer beiseitegelegt, war ich nun dafür verantwortlich umzurühren. Das Doofe an diesem Gemüse war, dass es zunächst sperrig war, ehe es schrumpfte. Die Pfanne war noch viel zu voll, sodass beim Umrühren immer etwas daneben ging. Mael beobachtete mich und machte seine Scherze. Ich erwiderte den Spaß. Zeitgleich griff ich mit der freien Hand eilige nach dem, was herausgefallen war. Statt es mit dem Holzlöffel beiseite zu schieben, haschte ich die Kastanien aus dem Feuer. Das letzte Stück lag zu nah am Pfannenrand, sodass ich die Pfanne beiseite zog und nach dem Würfel griff. Die Herdplatte war bereits heiß, doch als ich Zugriff, leuchtete sie rot auf. „Hss“, entkam es mir. Der Schmerz brauchte noch etwas. Die Fingerkuppen an Daumen und Zeigefinger hatte es erwischt. Sie begannen rot anzulaufen, dann weiß, ehe endlich der Schmerz einsetzte. Erst kalt, dann allmählich breitete sich ein brennen aus, welches unerträglich zu werden schien. Lange konnte ich meine Dummheit nicht bestaunen, da mir die Hand weggerissen wurde und kaltes Wasser über meine Finger lief. Es tat unheimlich gut. Das Brennen wurde abgemildert. „Josh! Bist du denn-?! Kühlen! Hier halt es unters Wasser! Ich suche ein Kühlpack." Ich tat, wie mir befohlen wurde, während sich ein Lächeln auf meine Lippen legte. „Und wag es nicht zu grinsen! Ich habe dir so oft gesagt, dass du einen Ton von dir geben sollst, wenn du dich verletzt! Herr Gott nochmal. Dreht auf wie ein Berserker, wenn ich was verschütte und selbst ist er Trantüte Nummer Eins. Wo war das Kühlpack noch?“ Ich schmunzelte in mich hinein. ‚Das‘ war es gewesen, was alles so vereinfacht hatte. Stimmt. Ich war von meinem zweiten bis elften Lebensjahr im Waisenhaus gewesen, ehe McFloyd mich adoptiert hatte. Das Leben dort war nicht schlecht. Aber für jemanden der nicht verstand, dass seine Eltern fort waren, ihn dort gelassen hatten und nicht zurückkommen würden, war es grausam. Während andere Kinder sich ein schulbuchperfektes Gruppenverhalten antrainierten, gelang es mir nicht mich einzugliedern. Das Waisenhaus besaß eine Partnerschaft mit einem nahen Kindergarten und einer Grund- und Realschule. Das System war gut ausgeklügelt. Die Kinder aus dem Waisenhaus bekamen so die Chance wie andere Kinder auch in den Kindergarten etc. zu gehen, Freunde zu finden und das normale Sozialverhalten zu erlernen, welches in unserer Gesellschaft so wichtig war. Die diensthabende Schwester brachte mich zum Kindergarten und holte mich nach dem Mittagsschlaf wieder ab. Anders als andere Kinder, dessen Eltern arbeiten waren und sie deshalb von früh bis spät im Kindergarten bleiben mussten, hatte ich es gut. Das waren nicht meine Worte. Auch wenn die Erwachsenen sich Mühe gaben und unter Verschluss hielten, warum meine Eltern mich ins Waisenhaus gegeben hatten, taten sie es nicht sehr bedacht. Es passierte während des Mittagsschlafs. Ich hatte mich zuvor mit einem anderen Jungen wegen einer Schippe gestritten. Er wollte sie mir wegnehmen, einfach weil er sie jetzt haben wollte. Ich wollte sie ihm nicht geben, da ich selbst noch damit spielte. Es war eine dämliche Situation. Wie es ausging wusste ich nicht mehr. Während des Mittagsschlafes setzte sich je eine Erzieherin neben uns. Sie wollten damit sicherstellen, dass wir auch einschliefen. Zunächst gelang es der Erzieherin. Sie strich mir über den Kopf und ich vergaß für einen Moment alles andere. Meine Augen waren bereits zu, als ich die leisen Stimmen der Erwachsenen hörte. Sie erzählten über mich, meine Eltern und dass meine Eltern sicherlich schrecklich zu mir gewesen sein mussten. Das wiederum erklärte, warum ich mich so schlecht eingliederte. Andere Kinder fanden sich innerhalb eines Monats zurecht. Bei mir dauert es nun schon mehrere Monate. Ich lag still da. Stocksteif vor Schock, dass die blöden Erzieherinnen gerade hier darüber erzählen mussten. Schließlich dachte jene an meiner Seite, ich würde schlafen und ging mit ihrer Kollegin in den Nebenraum. Mein Herz raste immer noch. Wenn ich von dem Geschwätz wachgeworden war, dann sicher auch andere. Aber … vielleicht hatte ich ja Glück gehabt und die Anderen waren wirklich eingeschlafen? Ich beruhigte mein rasendes Herz und wagte es mich umzudrehen. Dreizehn Paar Kinderaugen starrten mich an. Jedes Kind saß in seinem Bett und starrte mich an. Der Junge mit dem ich mich gestritten hatte, bohrte in der Nase und meinte abschätzig. „Mein Vater schlägt mich auch. Was ist anders, wenn deiner dich aussetzt? Macht dich das so viel besser?“ Im Nachhinein verstehe ich, dass das, was mir entgegengebracht wurde, kindlicher Neid war. Sie dachten, weil ich eine Waise war, würde ich besser behandelt werden und die Erwachsenen verziehen mir alles. Dabei war ich es, der ihnen neidete Eltern zu haben. Eltern die einen zu spät abholten, die gestresst waren, müde und genervt, die schimpften und meckerten, aber einen auch in den Arm nahmen und sagten, sie haben einen lieb. Wenn ich abgeholt wurde, bekam ich ein Lächeln. Ich zog mich alleine an. Niemand half mir. Anschließend bekam ich eine Hand gereicht, damit ich nicht den Weg verlor. Im Waisenhaus wurde ich zum Spielen mit den Anderen geschickt. Niemand fragte, wie mein Tag war, was ich erlebt hatte, was passiert war, was es zum Mittag gab oder warum ich mich verletzt hatte. Niemand schimpfe oder korrigierte mich übermäßig. Niemand nahm mich in den Arm. Bis zur Einschulung lernte ich wie ich meine Wunden selbst versorgte. Dass ich nicht „AUA“ oder „Das tut so weh“ schreien musste, denn es kam eh keiner angerannt. Wenn ich mich stieß, war das so. Wenn ich fiel, tat es weh. Wenn ich mich schnitt, blutete es. Wenn es blutete, schimpften die Erwachsenen. „Sei doch nicht so unvorsichtig!“, „Was soll das denn jetzt schon wieder?“ oder „Magarete! Josh blutet, mach du das!“. Als Antwort kam ein „Ich kann nicht! Emilie übergibt sich gerade. Stell ihm dem Verbandkasten hin, er weiß selbst, was zu tun ist.“ Ich lernte auch, dass Kinder gemein waren. Sie taten unverblümt das, woran Erwachsene nur dachten. Die Mädchen wurden Mitleidig. Sie begannen mich zu verhätscheln und nannten es Fürsorge. Die Jungs wurden eifersüchtig und schlossen mich aus. Ich war ihnen zu cool. Aber eigentlich waren sie nur neidisch. Joshua hatte es sooo gut, hieß es immer wieder. Abends stand ich allein im Gemeinschaftsbad des Waisenhauses und besah mich im Spiegel. Meine Augen, meine Nase, meine Lippen, meine Wangen, mein Gesicht, meine Haare, meinen Körper. Das war ich: Joshua. Mehr hatte ich nicht mitbekommen. Keinen Hinweis wie ich mich verhalten sollte, keine netten Worte, keine gut gemeinten Ratschläge. Wenn ich den Spiegel zerschlagen würde, sähe ich mein Gesicht hundertfach. Meine Hand würde weh tun und ich hätte dem Gefühl in meinem Innerem ein bisschen Luft gemacht. Allerdings würden dann die Schwestern kommen und schimpfen, dass ich den Spiegel kaputt gemacht hätte. Dann müsste ich zu dem dummen Kinderpsychologen und ihm irgendwelche Bilder malen. Das fand ich zu anstrengend. Zudem … es wäre nur der Spiegel kaputt. Nicht etwa ich. In der zweiten Klasse der Grundschule, während der Bastelstunde, griffen ein Mädchen und ich zur selben Zeit nach dem Papierkarton. Sie war schneller und zog es weg. Dabei schnitt sie im Vorbeiziehen meinen kleinen Finger. Ich hob den Finger nur und sah stumm zu wie das Blut aus der Schnittwunde hervorperlte. Geschnittene Haut tat weh. Sie zwiebelte ganz ekelig und wurde dann taub. Mit etwas Verzögerung kam dann das Blut. Als das Mädchen ihre Tat bemerkte, kam sie direkt auf mich zu und hielt meinen Finger hoch. „Oh weh, das tut mir so leid! Ich hatte es eilig, weißt du. Tut mir leid, Joshua. Tut es sehr weh? Bestimmt oder? Ich finde es tut immer sehr weh, wenn ich mich irgendwo schneide.“ Ich war so fasziniert von ihrer Ausstrahlung und Fürsorge. Diese Fürsorge war echt und nicht geheuchelt! Ihr tat leid, dass sie mich geschnitten hatte UND sie fragte mich, ob es mir weh tun würde. Natürlich tat es weh. Aber das Glücksgefühl endlich gefragt worden zu sein, diese Aufmerksamkeit zu spüren, eine Entschuldigung zu hören, war so überwältigend, dass ich sie umarmte. Sie quietschte erschrocken auf und schob mich weg. Dann rannte sie zur Lehrerin und zeigte ihr, dass ich ihr Kleid mit meinem Blut beschmiert hätte. Absichtlich natürlich. Die Lehrerin rügte mich des Kleides wegen. Dann gab sie mir ein Pflaster und sagte ich solle nichts weiter vollschmieren und meine Bastelarbeit schnell beenden. Das Glücksgefühl verflog so schnell wie es gekommen war. Abends stand ich vor dem Spiegel im Gemeinschaftsbad und fragte mich, ob das so richtig gewesen war. Wie hätte ich anders reagieren müssen, um mehr von den tuffigen Gefühl zu bekommen. Mehr von ihrer Aufmerksamkeit. Die grauen Augen im Spiegel starrten stumm zurück. Sie sprachen: „Du bist Joshua und du hast noch viel zu lernen.“ Die Schule fiel mir leicht. Ich musste kaum für die Fächer lernen, passte gut auf, machte die Hausaufgaben so schnell ich konnte und arbeitete im Unterricht mit. Ich wollte so viel Freizeit wie möglich haben, um lernen zu können, was mir fehlte. Dabei lernte ich sogleich, dass, wenn man dazugehören wollte, man nicht zu gut in der Schule sein durfte. Streber waren Außenseiter. Genauso wie Mauerblümchen. Ich verstand, welcher Charakter erwünscht war, welches Verhalten sehenswert und was die Masse abschreckte. Ich passte mich meinem Umfeld an. Das erste Mal bekam ich Freunde. Es fühlte sich zunächst gut an. Ich konnte mit beiden Geschlechtern gut reden, ich war schlau genug bei den Hausaufgaben zu helfen und zugleich nicht aufzufallen. Ich alberte rum und zog über die Randgruppen her. Doch je mehr ich mich gab, wie ich glaubte sein zu müssen, desto merkwürdiger fühlte ich mich. Irgendwann sah ich in den Spiegel und konnte kaum mehr sagen, wer ich war. Diese Scharade hielt nur ein paar Monate an. Es war im Sportunterricht, als ich beim Basketballspiel mit einem Kumpel zusammenkrachte und mir das Knie aufschlug. Keine große Sache, fand ich, doch der Lehrer schickte mich ins Bad, um den Dreck aus der Wunde zu waschen. Mein Kumpel mit dem ich zusammengestoßen war, folgte mir. Er stützte mich bei der Treppe und brachte mir angefeuchtete Handtrockentücher. „Das sieht voll schmerzhaft aus, Alter. Sorry, echt. Ich dachte nicht, dass du so krass fällst! Tut dir sonst noch was weh?“ Ich verneinte natürlich. Bis auf das Knie tat nichts weiter wirklich weh. Beruhigt legte er mir eine Hand auf die Schulter und die andere auf meine, welche das feuchte Papier auf der Wunde hielt. Wieder fühlte ich dieses tuffige Gefühl in mir aufsteigen. Aber ich hielt mich zurück und wartete. Einige Tage später: Jener Kumpel und ich gingen gerade einen Umweg, ehe ich mich durch einen Geheimgang im Zaun des Waisenhauses auf das Gelände schmuggeln würde, als ich etwas wirklich Dummes tat. Wir sahen zu wie ein Hund einer Wurfsalami nachrannte und damit Autofahrer zu einer Vollbremsung zwang. Selbst nachdem wir um die Ecken gegangen waren, lachten wir uns noch scheckig. Er legte dabei seinen Arm um meine Schulter und war mir nahe. Seine Augen leuchteten vor Schalk und Freude. Ich ließ mich hinreißen und wollte dem Gefühl in mir endlich Anerkennung zollen. Wollte zeigen, wie viel mir dieser Freund bedeutete. Also küsste ich ihn auf den Mund. Das hatte ich schon oft gesehen bei Eltern, die ihre Kinder sehr, sehr liebten. Dass der Kuss der Eltern platonisch war und meiner nicht, verstand ich erst später. In dem Moment zimmerte er mir seine Faust in die Wange und beschimpfte mich aufs Übelste. Worte, die ich so nicht auf mich bezogen hatte. Schwuchtel, mieses Schwein, Heuchler. Es gab noch mehr. Und es wurden noch mehr, als dieser Vorfall in der Schule breitgetreten wurde. Es machte mir nichts aus ausgeschlossen zu werden. Auf eine Weise fühlte es sich befreiend an. Wenn ich nun in den Spiegel sah, sah ich wieder mich. Joshua, der nur Joshua war. Ohne Freunde. Ausgeschlossen und beschimpft. Ja, das war eben so. Mit zarten elf Jahren glaubte ich, das Leben endlich verstanden zu haben. Jeder Mensch stand nur für sich allein, sah nur sich allein. Solange ich mit mir selbst zufrieden war, wäre alles andere egal. Ich brauchte keine Bindungen, Freunde, Familie, Liebe. Ich brauchte nur mich. In jenem Jahr veranstaltete das Waisenhaus ein Benefizsportfest. Dort traf ich zum ersten Mal auf McFloyd. Als einer der ältesten Kinder im Heim musste ich ihn begrüßen. Ich sagte meinen Text trocken auf, blickte ihn nicht an und überreichte stumpf den Strauß Blumen. McFloyd lachte amüsiert und hockte sich hin. „War ich dir zu groß, dass du nicht hochsehen wolltest?“, fragte er. „Ach“, winkte eine Schwester schlichtend ab. „Josh ist so. Nehmen Sie das bitte nicht ernst.“ „Ich habe den Jungen gerade Reden gehört. Warum antworten Sie für ihn?“, fragte der Mann vor mir mit kühler Stimme und kniete dabei immer noch. Ich fand es faszinierend, wie jemand, der deutlich kleiner war in seiner Sichtposition als ein stehender Erwachsener trotzdem so bestimmend sein konnte. Interessiert musterte ich den Mann. Er trug einen Trenchcoat, darunter einen gestrickten Pullover über einem Hemd. Sein Bart war kurz rasiert und seine Haare nach hinten gekämmt. Er strahlte eine ‚wichtige‘ Aura aus. Die Schwester vorgeführt, wandte er sich wieder zu mir. „Und? Bekomme ich eine Antwort?“ „Sie sind nicht zu groß, ich … hatte keine Lust zu Ihnen hochzusehen“, gestand ich und das erste Mal waren mir meine eigenen gesagten Worte peinlich. McFloyd lachte nur. „Das kann ich verstehen. Hier zu stehen und mir diesen Strauß zu übergeben, ist sicherlich nicht gerade sehr aufregend.“ „Nein, das ist es nicht… Sie- Die Schwestern sagten, dass hier wäre wichtig und ich könnte mich am besten Benehmen. Aber ich habe keine Lust … mit anderen zu reden.“ „Ist das so? Hmmm… Aber an den kleinen Spielen nachher nimmst du doch teil, oder?“ Ich nickte schüchtern und drückte den Strauß in meinen Händen. Die Schwester sah meine Unbedarftheit und wollte mich davon abhalten die teuren Blumen zu ruinieren. Der Mann indes hob nur eine Hand und sie rührte sich nicht mehr. Faszinierend. Ich verstand, dass wenn man Geld hatte, die Leute spurten. Als einer der großzügigsten Sponsoren für das Waisenhaus war McFloyd kein kleiner Fisch. Ich kratzte etwas Mut zusammen und streckte meine Arme mit dem Strauß erneut aus. „Die Blumen sind für Sie. Bitte sehr.“ „Hahaha, danke dir.“ Er nahm mir den Strauß mit einer Hand ab und legte mir seine andere Hand auf den Scheitel. Ich zuckte ungewollt, aber es passierte nichts. Als ich aufsah, musterten mich fürsorgliche braune Augen. Zu Beginn des Sportfestes hatte ich keine Lust mir irgendwelche Mühe zu geben. Die Spiele und Läufe waren eh mehr auf die jüngeren Waisenkinder abgestimmt. Es wurde nicht laut ausgesprochen, doch hofften die Schwestern, dass während des Sportfestes einige Kinder adoptiert werden könnten. Es war schwer uns Waisenkinder über das Jahr an eine gute Familie zu vermitteln. Nicht wenige waren sozialauffällig und schwer in der Erziehung. Je jünger ein Waisenkind war, desto besser waren seine Chancen. Ich war mittlerweile schon elf und hatte es von vornherein nicht darauf angelegt eine neue Familie zu bekommen. Wenn meine echten Eltern mich nicht wollten, was sollten dann andere Eltern mit mir? Fürsorglich sein? Mir ein Zuhause schenken? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Trotzdem fühlte ich mich nach dem Gespräch mit McFloyd angestachelt. Dieser Mann hatte der Schwester Paroli geboten und schien sich für meine Meinung interessiert zu haben. Ein kleines bisschen wollte ich ihm dafür danken und zeigen, was ich draufhatte. Ich gewann die Läufe und gab mein Bestes Teamgeist in den Abwurfspielen zu zeigen. Als Marvin, er war neun Jahre alt, einen scharfen Ball auf Anastasia, sie war fünf Jahre alt, warf, ging ich dazwischen. Leider konnte ich den Ball nicht auffangen, weshalb ich ins Aus musste. Es brachte mir im Team keine Lorbeeren ein. Sie schimpften, dass ich nicht taktisch dachte. Meine Motivation sank so schnell wie sie gekommen war. Ich hielt mich zurück und war froh, als das Sportfest endlich vorbei war. Drei Tage später wurde ich von einer Schwester ins Büro der Heimleitung gebracht. „Guten Tag“, wurde ich begrüßt. Braune Augen strahlten mich an und ein äußerst fröhliches Lächeln schob sich hinten dran. McFloyd stand in einem hellgrauen Anzug mit dunkelblauem Schlips vor dem Fenster im Büro der Heimleiterin. Die Leiterin saß an ihrem übergroßen Schreibtisch. Vor ihr waren einige Papiere ausgebreitet. Die Schwester, die mich gebracht hatte, verließ das Büro wieder. Etwas verwirrt blieb ich stehen, wo ich war und blickte von einem Erwachsenen zum anderen. Was nun? Vielleicht hatten sich wieder Kinder oder Schwestern über mich beschwert? Oder die Eltern von dem Klassenkamerad, welchen ich einfach nur nett gefunden hatte, hätten sich endlich gemeldet? Ich erwartete nichts Gutes. „Joshua, richtig?“, fragte McFloyd und trat vor mich. Ich nickte hastig. „Ja, Guten Tag“, erwiderte ich den Gruß. Auch wenn ich argwöhnisch war, wollte ich doch höflich bleiben. Menschen standen darauf, wenn man höflich war. Vor allem die, die es selbst nicht waren. „Du kennst mich noch, oder?“ „Ja. Sie sind der Hauptsponsor des Waisenhauses, dem ich die Blumen überreicht habe“, antwortete ich. Zudem war er auch der Erwachsene, der ‚meine‘ Antwort der einer Schwester vorgezogen hatte. Die Erinnerung daran, machte ihn mir sympathisch. McFloyd lachte nur und nickte bestätigend. „Ich nehme an, du weißt nicht, warum du hier bist, so wie du guckst?“ Ich schüttelte den Kopf. „Nein, Sir.“ „Dachte ich mir schon. Gut, dann höre mir bitte gut zu“, begann er und kniete sich mit einem Knie vor mich hin. „Ich möchte dich gerne adoptieren. Du bist ein aufgeweckter junger Mann und ich denke, dass du mehr erreichen kannst, wenn du bei mir lebst, als hier im Waisenhaus.“ Sicherlich würde ich überall mehr erreichen als im Waisenhaus, dachte ich schnippisch, doch brachte ich nichts heraus. Die Idee in meinem Alter wirklich adoptiert zu werden, war zu fantastisch, zu abwegig. Ich bemerkte nicht wie meine Augen zu leuchten begannen und ich meine offensichtliche Begeisterung hinter skeptischen Fragen versteckte. „Warum wollen Sie mich adoptieren?“ „Darf ich nicht?“, kam es als Gegenfrage. „Sie sind erwachsen, die dürfen tun was immer Sie wollen, aber …“ Meine Hände griffen nach dem Stoff meiner Hose und krallten sich darin fest. „Es gibt viel jüngere Kinder als mich und jeder hier würde Ihnen empfehlen ein anderes Kind zu nehmen.“ McFloyd sah mich ernster an, was meine Unruhe noch verstärkte. „Ich merke, du hast oft darüber nachgedacht. Sicherlich hörst du den Schwestern auch genau zu.“ Ich nickte nur flüchtig und überhörte das unterdrückte Japsen der Heimleiterin. „Wie du richtig sagtest, bin ich erwachsen und kann tun und lassen, was ich will. Aber ich bin hier nicht in einem Tierladen, um mir ein Haustier zu kaufen, mein Junge. Du bist ein Mensch und hast deine eigenen Wünsche und Träume. In ein paar Jahren wirst du auch Erwachsen sein und kannst tun und lassen was du willst. Warum fängst du nicht jetzt schon damit an? „Der Grund warum ich dich adoptieren will, ist einfach. Du bist mir aufgefallen. Beim Sportfest hast du das kleine Mädchen vor dem Schmetterball beschützt und wurdest von den Anderen wegen Unsportlichkeit beschimpft. Im Spielrausch kann das mal passieren“, meinte er wohlwollend. Mir klopfte das Herz bis in den Hals. Er hatte es mitbekommen? Es freute mich und machte mir zugleich Angst, dass jemand mich beobachtet hatte. „Darum?“, stellte ich meine verkappte Frage und zwang mich dem Mann in die Augen zu sehen. Er erwiderte meinen Blick aufrichtig und lange, ehe er mit einem Lächeln und nur für mich hörbar sagte: „Jedes Kind braucht jemanden, der einen ansieht und Liebe und Geborgenheit schenkt. Ich kann dir deine Eltern nicht ersetzen, aber ich würde dir gerne das schenken, was du hier nicht finden wirst.“ Ich willigte ein. Als McFloyd den Adoptionsvertrag unterschieb, stand ich stumm-weinend daneben. Wir packten noch am gleichen Tag meine Habseligkeiten zusammen und fuhren zu McFloyd nach Hause. Die restlichen Formalitäten wurden aufgrund von McFloyds hoher Stellung auf später verschoben und interessierten mich nicht wirklich. Der Abschied vom Waisenhaus, den Kindern oder Schwestern fiel mir nicht schwer. McFloyd erzählte mir, dass ich ihn Vater nennen könnte oder Gerhard, wie sein Vorname lautete, oder McFloyd wie alle anderen. Nur das „Sir“ sollte ich sein lassen. Wir würden uns duzen und hoffentlich zu einer Familie zusammenwachsen. Das Haus war riesig und ich konnte mir nur schwer vorstellen, dieses Schloss von nun an mein Zuhause zu nennen. Ich wurde durch alle Zimmer geführt, sogar den Keller und den Dachboden. Die Hausregeln waren einfach und überschaubar. Ich durfte wann immer ich wollte an den Kühlschrank gehen, den Fernseher und das Radio. Das alles war schon purer Luxus für mich. Zudem war das Haus hell und lichtdurchflutet. Das Waisenhaus war durch seine alten Mauern eher dunkel und beengend gewesen. Er fuhr mich das restliche Halbjahr der Grundschule jeden Tag zur Schule. Anschließend wechselte ich auf ein Gymnasium in der Nähe sein- unseres Hauses. McFloyd ermutigte mich, ich zu sein. Zu lernen was ich wollte, gute Noten zu haben und dergleichen. „Wenn jemand dich so mag wie du bist, dann wird er schon dein Freund werden wollen. Alle anderen sind es nicht wert“, sprach er beim Frühstück. Es dauerte zwar, doch er behielt recht. Meine Noten waren überaus gut. Die Lehrer lobten mich, die Mitschüler waren weniger neidisch als früher und fragten sogar nach Hilfe bei Dingen, die sie nicht verstanden hatten. Ich lernte viele gute Freunde kennen. Dass das alles nur Bekanntschaften waren, wurde mir erst klar, als ich im Studium auf Elias traf. Ihn nannte ich zuerst Freund und er war der Erste, den ich je mit nach Hause genommen hatte. Und er war nebst meinem Vater der zweite, der mich schollt, wenn ich Verletzungen geheim hielt. „Warum?“, fragte Mael und riss mich aus meinen Gedanken. „Bitte was?“, fragte ich verwirrt. Mael seufzte und blickte auf seinen Teller. „Sag mir warum du so achtlos mit Verletzungen umgehst.“ „Weil es keinen interessiert“, war meine automatische Antwort. Mael sah mich erschrocken an und blickte verletzt zur Seite. Verdammt, dachte ich nur. „Nein … Mael, so meinte ich es nicht.“ „Erklär es mir“, sagte er. Seine Stimme klang gedrückt und ich ahnte, dass er seine Emotionen arg zurückhielt. Was ich zurückhielt, ließ er raus. Aber auch erst seit einer Weile. Mael war zuvor umsichtiger gewesen. Nicht so, als wollte er verstecken wie er sich fühlte, eher als wollte er niemanden damit belasten. „Wen interessiert es nicht, hä?“ Ich seufzte schwer und legte mein Besteck aus der Hand, nur um nach seiner Hand zu greifen. „Mein Herz, verzeih, das war früher und hat nichts mit dir zu tun. Ich weiß, dass du dir Sorgen machst, wenn ich mich verletze, egal wie klein oder dumm die Wunde ist.“ Mael beruhigte sich. Als er zu mir aufsah, war das Grün leicht verwässert. Ich hatte es ihm nie gesagt, doch wenn er mich so ansah, machte es mich schwach. Diese grünen Augen, so intensiv wie frisches Gras, machten mich schwach. Damals im Waisenhaus, verbrachte ich viel Zeit damit mir die Natur anzusehen und nachzudenken. Am schönsten war es im Frühling und frühen Sommer, wenn alle Bäume im frischen Grün standen und alles strahlte. Maels Augen erzeugten das gleiche Glücksgefühl wie diese unsäglichen Stunden allein und hatten mich bereits in unserer ersten Nachtschicht gefesselt gehabt. „Hat das was mit dem Waisenhaus zu tun? Haben sie dich dort nicht ordentlich behandelt?“ Mael schüttelte verärgert den Kopf. „Am liebsten würde ich diesen Leuten … Sign. Waren sie das mit der Narbe auf deinem Rücken?“ Ich wüsste zu gerne, was in seinem Kopf verging, dachte ich für mich und legte den Kopf schief. „Nein, das mit der Narbe waren sie nicht. Dort hat mir niemand etwas getan. Es war nur, dass die Schwestern keine Zeit hatten, Wehwehchen zu behandeln. Und bei so vielen Kindern, konnten sie nicht einfach achtlos jemanden in den Arm nehmen, wenn man sich gestoßen hatte.“ „Woher stammt dann die Narbe?“, fragte Mael erneut. Mir war all das mittlerweile einerlei geworden. Ich hatte Mael und war glücklich. Es gab drei Personen, welche mir sehr nahe waren, die interessierte, ob ich glücklich oder traurig war, ob ich mich verletzt hatte oder einen Preis für meine Arbeit gewann. Aber diese Narbe ließ Mael nicht los. Oft strich er darüber, als könnte seine Berührung allein die verbrannte Haut heilen. Ich ließ seine Hand los und nahm mein Besteck wieder auf. „Das ist schon ewig her… das war, im ersten Jahr des Chemieunterrichts“, begann ich zu erzählen und schweifte aus. „Es war kurz vor den Sommerferien. Alle waren aufgekratzt und passten kaum noch im Unterricht auf. Trotzdem waren alle sehr interessiert an der Chemie. In den letzten Wochen vor den Sommerferien bettelten wir unseren Lehrer an, uns etwas spannenderes als Eisenstaub und Niederschlagsmessungen beizubringen. Er ließ sich breitschlagen und holte einige Reagenzien aus dem verschlossenen Schrank heraus. „Nach einer halben Stunde der Warnung und Vorsichtsmaßnahmen, erklärte er das kleine Experiment. Ich weiß gar nicht mehr was es war … Nicht so wichtig. Es war ein Stoff, der nicht mit Sauerstoff reagierte. Dafür gerne mit anderen Materialien wie bestimmten Oberflächen, Kleidung und Haut. Alle trugen Schutzbrillen, Handschuhe, Kittel. Alle waren Vorsichtig. Bis jemand sich mit einem gefüllten Reagenzglas zwischen den Reihen durchdrängeln musste. „Er blieb an einer der Schlaufen der Schultaschen hängen, fing sich ab und verschüttete das Zeug. Es landete auf meiner Schulter, wie du sehen kannst. Erst war nichts zu spüren und ich tat ab, dass er mir etwas getan hätte. Aber dann sickerte die Flüssigkeit durch, dampfte und“, ich zuckte mit den Schultern. Es tat höllisch weh, je länger das Zeug auf mir lag. Die Umstehenden halfen mir sofort, mein Shirt auszuziehen, aber sie waren einen Tick zu spät. Die Stofffasern waren so heiß geworden, dass sie mit meiner Haut verschmolzen waren. Ich wimmerte nur, während der Lehrer Anweisungen rief, einen Schüler den Notarzt rufen ließ und mein Shirt zerschnitt. Im Krankenhaus entfernten sie alles, zusammen mit einem guten Stück meiner Haut. Ich konnte von Glück reden, dass es nur die oberen Hautschichten waren und die Flüssigkeit zu wenig war, um meine Muskeln anzugreifen. Der Mitschüler erhielt eine saftige Verwarnung, der Lehrer ebenso. Auch wenn das meiner Meinung nach ein unglücklicher Unfall gewesen war, so forderte mein Vater inoffiziell sogar Schmerzensgeld. Dass mein neuer Vater sich so für mich einsetzten würde, dass meine Klassenkameraden sich nichts aus meiner Eigenart machten, sondern sich aufrichtig entschuldigten und im Klassenverband evaluierten, was falsch gelaufen war ohne den Schuldigen oder das Opfer zu sehr in den Mittelpunkt zu ziehen, machte mich so glücklich, dass mir Schmerzensgeld und eine Narbe ziemlich egal waren. Als mein Vater mich im Krankenhaus abholte, machte er eine ziemliche Szene. Ich war froh und es war super peinlich zugleich. Die Krankenschwestern und Eltern des Jungen wussten kaum, was sie tun sollten. Ich rief „Dad! Dad wirklich es war gar nicht soo schlimm“ und mein Vater sah mich überrascht und mit großen Augen an. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich ihn bis dahin noch nie Vater oder Dad genannt hatte. Mael reagierte ganz anders. Er hörte sich alles ruhig an, kommentierte nichts zwischendrin. Seine Mimik indes wechselte von schmerzlich mitfühlend zu bitterlich Angesäuert zu sauer aber ruhig. Dabei zog er seine Unterlippe kaum merklich nach innen. Zu gerne würde ich seine Lippe aus den knatschenden Fängen der Zähne befreien, hielt mich aber zurück. „Das ist lange her“, bemerkte ich im sanften Ton. „Hm… Trotzdem könnte ich diesem Typen eine Reinhauen. Wer bitte drängelt sich durch die Reihen? So was hirnrissiges“, schimpfte Mael. War er nicht süß, wenn er sich für andere aufregte? Schmunzelnd aber beschwichtigend, schob ich meinen leeren Teller von mir. „Es ist lieb, dass du dich so aufregst, aber es ist wirklich schon sehr lange her. Es hat mir damals nichts ausgemacht und jetzt auch nicht.“ „Wirklich nicht?“ Wie meinte er das? Fragend hob ich eine Augenbraue, während Mael seine Arme vor sich auf den Tisch verschränkte. „Du sagst, es macht dir nichts aus, aber … Es ist zwar nicht mehr so oft wie vor ein paar Monaten, aber du verspannst dich immer noch, wenn ich dich dort berühre.“ Tat ich das? Ich überlegte und konnte mich nicht erinnern, mich bewusst verspannt zu haben. Es war eine alte Narbe. Ihre Bedeutung war gering. Zudem veranschlagte ich für mich nicht einen makellosen Modelkörper haben zu wollen. Sicherlich trainierte ich etwas, aber das war nur, um in Form zu bleiben und nicht um jemanden zu beeindrucken. (Obwohl ich es toll fand, wenn Mael gefiel, was er sah.) Narben erzählten Geschichten und konnten den Körper durchaus verzieren. Während ich sinnierte, war Mael aufgestanden und hinter mich getreten. Ich nahm ihn wahr, fühlte seinen Blick auf mir und wie seine Hand sich auf meine rechte Schulter legte. Die Wärme seiner flachen Hand drang durch mein Shirt. Überrascht blinzelte ich. Mehr noch als Mael seine Hand wegnahm und an meinem Kragen zog. Tiefer, sodass die verschrumpelte Haut sichtbar werden würde. Ich verspannte mich. Mehr noch, je bewusster mir meine Reaktion auf sein Handeln wurde. Warum? Warum machte es mir etwas aus, dass Mael sie sah? „Ich habe es nie als Makel gesehen. Aber immer, wenn ich dieser Wunde zu nahekomme, verspannst du dich. Du hast mich immer vertröstet, wenn ich dich deswegen gefragt habe. Ich konnte es mir nicht erklären, aber nachdem was du erzählt hast, ist es verständlich, denke ich.“ Was für einen fürsorglichen Freund ich hatte. Er akzeptierte schneller als ich selbst. Diese Narbe… wie sah sie noch gleich aus? Ich hatte lange nicht mehr in den Spiegel gesehen, wusste die Form und Größe nicht mehr. War ich doch so eitel? Mael legte seine Hände locker um meinen Hals und schwang sich auf meinen Schoß. Ich sah in muntere grüne Augen. „Ich mag sie.“ Ich starrte zurück und entspannte meine Schultern. War es so leicht? Drei Wörter von ihm und ich war zufrieden? Es musste so sein, denn als sich jetzt seine Hand in meinen Kragen schob und die weichen Fingerspitzen die unebene Haut berührten, blieb ich entspannt. Ergeben und geschlagen lächelte ich. „Womit habe ich einen Freund wie dich verdient?“ Mael lächelte und legte seinen Kopf schief. „Hmm, vielleicht“, sinnierte er verspielt und ich sah das Glitzern in seinen Augen „Weil du mir dafür alles erfüllst, was ich mir wünsche?“ Meine Augenbraue hob sich erneut. „Tu ich das?“ Mael büßte etwas von seiner geraden Haltung ein. Sein Mund verzog sich zu einem sanften Schmollen und die grünen Iriden sahen mich groß von unten her an. „Nicht?“ Wer kann solch einem Blick widerstehen? „Was wünschst du dir denn?“, fragte ich mild und legte ihm meine Arme um die Hüfte. Mael lächelte wieder und schenkte mir einen Kuss. „Es ist etwas kurzfristig, aber heute Abend gibt’s im Planetarium eine Spätvorstellung. Wir wären zu halb zwölf erst wieder zurück. Ich würde gerne hin, aber du musst morgen früh raus, oder?“ Das stimmte. Ausnahmsweise musste ich mal früh raus und pünktlich auf Arbeit erscheinen. Auch wenn es ein Samstag war, ließ es sich nicht ändern. „Das klappt schon. Wenn ich einmal weniger Schlaf bekomme, ist es schon nicht schlimm.“ Mael war glücklich und machte sich beschwingt ans Abräumen des Geschirrs. Ich sah ihm nach. Mein Freund war manchmal etwas sonderbar, aber zu 90% steckte etwas hinter seinen Aktionen. Mael sprach oft davon, dass man nichts wirklich aussagen konnte, ohne alle Variablen und Fakten zu kennen. Er wirkte dann immer wie ein versessener Forscher. Doch wegen seines leicht runden Gesichtes und der klaren Augen war es sympathisch und nicht wahnsinnig. Ein Grund mehr warum ich seine Eltern nicht verstand. Ihr Sohn war so gut geraten und sie behandelten ihn so herablassend. Sogar ich hätte Komplexe entwickelt, bei solch wirrem Einfluss. Manchmal glaubte ich sogar, dass es bei solchen Eltern besser wäre, ganz ohne aufzuwachsen. Bevor ich diesen Gedanken beendet hatte, blitzen Bilder meines Adoptivvaters vor mir auf, die das Gegenteil bewiesen. Wäre ich in den Sozialforschungen tätig, würde ich daraus eine doppelte Langzeitstudie machen. In der Hoffnung, dass die Erwachsenen ihr törichtes Verhalten den Kindern gegenüber einstellten. Andererseits waren Erwachsene nur große Kinder, geprägt von den Einflüssen ihrer Kindheit. War es so einfach alles auf die Erwachsenen abzuwälzen? Wie auch immer, etwas an Maels Verhalten war sonderbar. Er fragte selten etwas, forderte noch weniger und wünschte sich bisher nie etwas von mir. Natürlich wurde ich da hellhörig. Erst recht, wenn seine Reaktionen so unverblümt waren. Während wir im dunklen Planetarium saßen und eine spannende Geschichte zur jetzigen Konstellation, Sternzeichen, Horoskopen und fernen Sternen und Nebeln hörten, wanderten meine Gedanken dann und wann auf ganz eigenen Pfaden. Von der Seite aus betrachtete ich das schwach erleuchtete Profil meines Liebsten. Sanft und verträumt, mit der Neugierde eines Kindes und der Ernsthaftigkeit reinen Wissensdurstes. Als ich Mael das erste Mal begegnete, war ich ebenso überrascht gewesen. Nicht nur, weil so spät noch jemand im Labor war. Ich hatte nicht wirklich mitbekommen, dass Elias einen neuen Kollegen hatte. Einige Wochen zuvor war ich mit Elias aneinandergeraten, als ich während einer der Tagschichten am Wochenende einen anderen Kollegen – warum auch immer – gekränkt oder beleidigt hatte. Mir war es nicht wichtig gewesen, darum vergaß ich es schnell wieder. Elias wollte mich als Freund und als Abteilungsleiter nicht vom Harken lassen. Wir stritten uns etwas zu sehr, sodass mein Vater mich in den Urlaub schickte. Es waren nur fünf Tage, da mir alleine zu Hause viel zu langweilig wurde. Dennoch es hatte ausgereicht, um einiges im Labor zu verpassen. Nun saß ein mir unbekannter Kollege – da ich noch immer nicht mit Elias sprach, wenngleich ich meinen Fehler eingesehen hatte – auf einem der Bürostühle. Schlafend und vom Neonlicht beleuchtet als wäre es ein Spotlight. Ich zückte mein Handy und machte ein Foto. Eine Angewohnheit, wenn ich schöne Dinge und Szenen sah. Ich fotografierte die Szene und besah sie mir später nochmal. Leider löschte ich viele der Bilder beim zweiten ansehen. Sie waren doch nicht so schön gewesen wie gedacht. Dieser Unbekannte jedoch blieb, ebenso wie das Foto von ihm. Nachdem Max sich vorgestellt hatte, ertappte ich mich immer wieder dabei ihn zu lange anzustarren. Er war ein sonderbarer Mensch. Einerseits war er hochkonzentriert und fachlich, wenn es um die Arbeit ging. Andererseits benahm er sich wie ein unreifes Kind. Er wurde rot, ohne dass ich wusste warum. Er sprach davon Hetero zu sein, flirtete aber deutlich und zweideutig mit mir. Seine Augen, seine Mimik, seine Haltung, seine Gestik, alles schien auf noch so kleine Aktionen von mir zu reagieren. Es machte mich wahnsinnig. Zu gerne hätte ich ihn mir gegriffen und … nun ja. Prekär wurde es, als ich die Kontrollproben zu Johannesˋ Verunreinigung machte. Gedanklich schimpfte und wetterte ich über wen auch immer, der mir die Arbeit versaut hatte. Ich achtete nicht darauf, dass jemand neben mir stand. Nachdem ich den Inhalt des Reagenzglases über Maels Hand verschüttet hatte, wurde mir heiß und kalt. Gedanklich lief bereits ab, wie es weiter gehen würde. Im Bruchteil einer Sekunde kam ich von diesem Vorfall zu Max, der mich anschrie, der sich beklagte, der meinen Vater die Sache erzählte, sodass er eindeutig und unwiderruflich das Opfer war, dass ich eine Sanktion erhielt und abermals von anderen gemieden wurde. Am Ende dieses gedanklichen Supersprints bemerkte ich, wie Mael immer noch vor mir stand. Sein Gesicht kreideweiß, hob er die Hände und entschuldigte sich. Wie ich später erfuhr, hatte Mael ähnlich gedacht. Für ihn war es tragischer gewesen mein Ergebnis zu ruinieren als eine mögliche Verätzung zu bekommen. Im Nachhinein war es typisch Mael. Damals verwirrte es mich. Ich glaubte es sei eine Finte und tat alles, damit er nicht mit einer ähnlichen Narbe endete wie ich. Sollte dieser hübsche Kollege wegen mir einen verunstalteten Handrücken bekommen, würde ich mir das nie verzeihen. Anders als erwartet, mied Mael mich nicht und ich gab mich der Illusion hin, dass ich ihn vielleicht doch umdrehen könnte. Aber jedes Mal kam etwas dazwischen. Ob die Sache mit Johannes, dass wir in ein Team kamen – wofür ich meinen Vater dankbar war, aber in dem Moment hätte ich ihn … naja – dass wir privat Laufen gingen und, wenngleich es unabsichtlich war, er mich küsste. Diese Aktion ließ mich hoffen. Elias war währenddessen mein Gewissen und betrachtete alles weniger emotional. Trotzdem war mir seine Unterstützung sicher. Mael sagte zu, mit mir auf ein Date zu gehen. Ich war super aufgeregt und plante ihn in das feinste und edelste Restaurant auszuführen, dass ich kannte. Ich hatte ihn hofieren wollen. Jedoch bekam ich diesen blöden Fieberschub und lag flach. Während ich alles verfluchte, klingelte es und ich schreckte hoch. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich eingeschlafen war. Die Zeit sehend, fluchte ich noch mehr. Jetzt hatte ich ihn ein zweites Mal versetzt! Genervt antwortete ich durch die Freisprechanlage und erschauderte als ich seine Stimme hörte. Noch während ich mir etwas überzog, rasten meine Gedanken. Wie kam er hierher? Woher wusste er, wo ich wohnte? Warum war er nicht sauer? Einen Teil erklärte sich mir, als ich eine SMS meines Vaters mit nur einem lachenden Smiley darin gesehen hatte. Nur, warum war Mael hier und war nicht sauer, dass ich ihn versetzt hatte? Warum machte er sich die Mühe und trug eine Maske? Es waren zu viele Fragen in meinem Kopf. Sein Verhalten ergab keinen Sinn und ich war nicht in der Verfassung mich mit all dem zu befassen, wenn es mir schon schwerfiel, mich auf den Beinen zu halten. Diese Maske störte. Ich wollte sein Gesicht sehen. Sein Lachen, seine Mimik. Seine Lippen waren genau richtig. Nicht zu dünn, nicht zu dick. Ich sehnte mich danach sie nochmal berühren und kosten zu dürfen. Dass Mael mir diesen Wunsch später erfüllen würde, hätte ich nicht zu träumen gewagt. Der Kuss war unheimlich gut gewesen. Jede noch so kleine Berührung von ihm brannte auf meiner Haut. Innerlich kribbelte es wie wild, sodass ich nicht wusste, ob ich nicht wirklich in Feuer stand. Als ich viel später wieder aufwachte und mich immer noch an diesen Kuss erinnerte, wusste ich, dass ich diesen Mann haben wollte. Was auch immer ich tun musste, ich würde es tun. Das Zettelchaos was mich erwartete, überraschte mich. Schmunzelnd las ich mir jeden durch. Der leere Teller vom Eiswürfel sagte mir, ich bräuchte keinen Timer mehr. Ich fand seine Handynummer – endlich! – seine Adresse und noch viele kleinere süße Dinge. Ich rief Elias an und wir waren uns einig, dass das hier eindeutig war. Dass Mael bei unserem nächsten Treffen verhalten reagierte, irritierte mich. Elias ebenso. Ich hielt mich zurück, da irgendwas komisch war. Als hätte ich etwas verpasst. Als wir das Telefonat mitbekamen, glaubte ich zu wissen was los war. Wie erleichtert war ich, als wir uns in jener Gasse ausgesprochen hatten und ich die offizielle Erlaubnis und Bitte erhielt ihn küssen zu können. Dass ich falsch lag, erschloss sich mir erst Monate später, als wir zusammenzogen. Ich zog den Nachtisch vor und stellte ihn in den Flur. Als ich zurückkam, lag ein sehr staubiger rosa Haftnotizzettel an jener Stelle. Ich ging hin, hob ihn auf. Sicherlich nur einer von denen, die ich schon kannte. Unbekümmert las ich was darauf stand und mich durchfuhr ein kalter Schauer. Maels Liebeserklärung. Altmodisch, süß, verstaubt und von mir heute erstmals gelesen. War es das gewesen, was Mael damals so verstimmt werden ließ? Er schrieb das hier auf, legte es so, dass ich es als erstes sehen MUSSTE und ich antwortete nicht darauf? Ich war so dumm! Nach dem Planetarium gingen wir nach Hause. Es war eine laue Nacht und zusammen spazieren zu gehen, hatte mittlerweile so seinen Reiz bekommen. Mael hatte sich bei mir eingehakt. Immer wieder sah er auf sein Handy oder meine Uhr. „Was ist? Angst, dass Geister kommen, wenn wir vor Null nicht zu Hause sind?“, fragte ich stichelnd. „He he. Geister wäre mir sogar lieb. Nein, es … es ist schon so spät.“ Erst scherzen, dann betrübt dreinschauen? Seine Stimmungswechsel wurden immer abstruser. „Ich sagte doch schon, dass es mir nichts ausmacht.“ Nun kaute er wieder an seiner Unterlippe. Hier war was faul … Wir waren nur noch eine Querstraße von unserer Wohnung entfernt. Die Straßen waren ruhig, die Bürgersteige hochgeklappt und wir standen zufällig gerade im Schatten eines Baumes. Ich hob sein Kinn an, zupfte die Lippe aus ihrer Gefangenschaft und gab ihnen gleich neue Arbeit. Meinen Freund zu küssen wurde nie langweilig oder eintönig. Es kribbelte immer noch und Maels Reaktionen machten jeden Kuss zu etwas Besonderen. Diesmal zuckte er überrascht zusammen, ehe er es genoss und nach erster Unschlüssigkeit der Umgebung wegen, seine Arme um meinen Nacken schlang. Mael machte Anstalten den Kuss zu beenden, doch ich ließ ihn nicht. Ich zog ihn wieder und wieder an mich. Er konnte weitaus länger küssen als das! Erst als ich mir sicher war, dass ich seine Ausdauer ausgereizt hatte, entließ ich ihn. Zufrieden leckte ich mir über die Lippen. Mael krallte sich in meine Jacke und sah mit hochroten Wangen zu Boden. Er wirkte beschämt, beinahe schüchtern. War ihm das Küssen in der Öffentlichkeit bei Nacht wirklich peinlich oder wollte er, dass ich ihn gleich hier unter diesem Baum nahm? Mael schluckte und trat näher. Sein Blick glitt von unten zu mir hinauf. Das Grün leuchtete selbst in diesem Schatten und bannte mich regelrecht. Er beugte sich weiter vor und flüsterte an mich gelehnt in mein Ohr. „Lass uns schnell nach Hause.“ Ich erfüllte ihm seinen Wunsch. Sowie alles, was er danach von mir verlangte. Ich gab ihm mehr. Ich gab es ihm schnell. Ich verwöhnte ihn sinnlich. Als wenige Stunden später der Wecker klingelte, verfluchte ich meine vorlauten Worte vom Vorabend. Ich war total müde und gerädert. Aber „Nein“ hätte ich wirklich nicht sagen können. Schwerfällig und träge pellte ich den Klammeraffen von mir ab. Diesmal sah er mir nicht nach. Nach der letzten Runde heute Morgen hatte ich mich von meinem schlafenden Freund gelöst und wollte zur Toilette. Als ich die Tür erreichte, hielten mich raue, müde Worte auf. „Wo willst du hin?“ Ich sah zurück. Eingemurmelt in seine Decke, eine Hand auf den leeren Platz neben sich ausgestreckt, blickten mich schimmernde Augen an. Sie waren müde, aber auf eine Weise auch sehr intensiv. „Bad. Bin gleich wieder da.“ Ich erhielt ein Brummen als Antwort und beeilte mich, bei dem was ich tun wollte. Wieder im Zimmre lag Mael noch immer so da. Sein Blick auf die Tür gerichtet, starrte er mich sofort an. Etwas war definitiv sonderbar, aber ich war zu abgelenkt, um zu fragen. Ich kroch zurück ins Bett und zog ihn an mich. „Warum wartest du? Schlaf doch weiter“, sagte ich im sanften Ton und kraulte ihm durch die Haare. Mael schmiegte sich an mich. „Ich will nicht alleine schlafen. Du bist das beste Geschenk, dass ich-“, Maels Worte waren zu Beginn schon sehr leise gewesen, doch wurden immer nuscheliger bis er schließlich abbrach und eingeschlafen war. Das war unfair! Wie konnte er so etwas anfangen zu erzählen und mich wach zurücklassen?! Mein Herz klopfte vor Freunde im Eiltempo und meine Gedanken zogen ihre Kreise. Rückblickend, war ich selbst schuld, dass ich zu wenig Schlaf bekommen hatte. Aber was hätte ich machen sollen? Mael war zu süß gewesen. Nun war ich in Rekordzeit aus dem Bad, angezogen und stand im Flur. Beim Blick in den Flurspiegel bemerkte ich, dass ich vergessen hatte mich zu rasieren. Ein Drei-Tage-Bart stand mir, aber in letzter Zeit hatte ich mich doch wieder ordentlich rasiert. „Lass ihn ruhig dran“, erreichten mich müde Worte. Ich sah mich um und fand Mael an die Schlafzimmertür gelehnt. Seine Bettdecke noch um die Schultern gelegt. „Soll ich wirklich?“ „Mhmh. Es steht dir.“ Mael sah so verschlafen und süß aus. Außerdem konnte ich ihm eh kaum etwas ausschlagen. „Kommst du heute zu um vier Uhr nach Hause?“ Ich zog meine Schuhe an und schenkte ihm einen fragenden Blick mit hochgezogener Augenbraue. Er lächelte nur und zuckte mit den Schultern. War es ein Geheimnis? „Sicher.“ Ich trat auf ihn zu und stahl mir einen Kuss. „Dann bis nachher.“ Mael lächelte vergnügt und Mh-te. Nachdem die Haustür hinter mir ins Schloss fiel, atmete ich durch. Ich schob die Gedanken an meinen zum vernaschen süßen Freund und was ich jetzt gerne mit ihm tun würde beiseite und fokussierte mich auf meine Arbeit. Der erste Kaffee aus der Kaffeeküche auf Arbeit half meine Gedanken klarer zu bekommen. Elias hatte um meine Unterstützung bei einer Abteilungsleitersache und der Kontrolle seines Experiments gebeten. Im Moment beschäftigte sich mein alter Kumpel viel mit Mikroben. Allein diese zu zählen war eine lästige wie trübselige Aufgabe. Ich war so frei und half aus. Die Abteilungsleitersache war mit eineinhalb Stunden im Versammlungsraum mit anschließendem Tragen von schweren Kisten mit unheimlich wichtigen Unterlagen schnell getan. Die Überprüfung seiner Ergebnisse dauerte etwas länger an. Halb zwei machten wir die erste Pause und setzten uns zu einem flüchtigen Mittag aus Sandwiches und Kaffee hin. „Reicht dir das bisschen zum Mittag?“, fragte ich Elias. „Na, passt schon, gibt ja nachher noch was. Da fällt mir ein: Was hat er sich von dir gewünscht?“ „Wer? Mael?“ Verwundert sah ich Elias an. „Warum fragst du das?“ Elias wollte gerade in sein Sandwich beißen, hielt inne und sah mich ebenso fragend an. „Warum nicht? Darf ich nicht neugierig sein?“ „Dich hat das sonst auch nicht interessiert“, gab ich trocken wieder. „Aber gut. Erst hat er sich gewünscht in eine Spätvorstellung des Planetariums zu gehen.“ „Oh, das ist cool!“ „Als wir zu Hause waren, ging es im Bett weiter. Ich hab-“ „Halt! Das will ich nicht wissen! Auch wenn es total verständlich ist, dass er sich seinen Freund wünscht. Ich mein … das ist quasi mit das Erste, was man sich wünscht, oder?“ Ich hob eine Augenbraue. „Warum fragst du dann, wenn du weißt, dass das dabei rauskommt?“ Elias schnaufte und verdrehte die Augen. „Ich dachte, dass er dir noch was anderes gesagt hätte. Er klang letztens so aufgedreht deswegen. Und als ich ihn gefragt hatte, meinte er nur, dass alles ok wäre und ich ihm nichts schenken bräuchte.“ „Warum willst du ihm etwas schenken?“ „Warum nicht? Wenn ich eingeladen bin, finde ich, gehört es sich so. Jedenfalls habe ich ihm zwei Karten für den Vergnügungspark besorgt“, erklärte Elias grinsend. „Er hatte erwähnt, dass er da nur einmal in seiner Schulzeit gewesen war und nicht alles fahren konnte. Könnt ihr also zusammen hingehen. Hehe, nett von mir, ne?“ Elias grinste über beide Ohren und ich bekam mehr und mehr das Gefühl, dass ich irgendwas grundlegendes Übersehen hatte. „Der Vergnügungspark ist eine gute Idee. Aber nochmal zurück zur Einladung. Wozu hat er dich eingeladen?“ „…“ „…“ „Josh?“ „Ja?“ „Weißt du das echt nicht?“ Elias starrte mich mit großen Augen an, als würden Mikroben auf meiner Nase tanzen. Eine unbestimmte Unruhe und ein kaltes Kribbeln im Nacken machten sich breit. Gerade so als säße mir ein Geist auf der Schulter. Mael war heute komisch gewesen… Hing das zusammen? „Kannst du es mir nicht einfach sagen?“, fragte ich leicht genervt, nichts von meiner Unruhe preisgebend. Elias schlug sich zunächst theatralisch auf die Stirn und seufzte hörbar. „Aaaalter Falter… Was wundere ich mich überhaupt? Ihr braucht ewig, um eure Nummer zu tauschen, redet aneinander vorbei und natürlich hast du ihn noch nicht nach seinem Geburtstag gefragt, oder?“ Einen Eimer mit Eis über den Kopf geschüttet zu bekommen, käme dem Frösteln, welches mich durchfuhr, nur im Ansatz nahe. „Nein, ich … oh, Scheiße. Er hat es nie erwähnt… Darum also-“ Elias lehnte sich zurück und genoss meine geschockte Miene gemischt mit einigen Wortfetzen der Erkenntnis. Das Gerede von Wünschen und mich als Geschenk! Ich hätte früher darauf kommen müssen! Wie unsensibel war ich denn? Seinen Geburtstag… ich hatte es wirklich vergessen. Meinen feierte ich nicht, empfand ihn als nicht weiter wichtig, weil meine Geburt ein Grund war, warum ich im Waisenhaus gelandet war. Mein Vater hatte sich alle Mühe gegeben diesen Tag für mich wieder attraktiv zu machen, aber es half alles nichts. Für Mael war dieser Tag vielleicht noch von Bedeutung und ich hatte nicht mal daran gedacht nachzufragen, wann er Geburtstag hatte! Er war da, er war bei mir, wir lebten zusammen, mehr brauchte ich nicht. Ich sprang auf und nahm meine Sachen. Elias hielt mich nicht auf, sondern rief mir nur „Bis später“ hinterher. Früher als geordert fiel ich hektisch durch die Haustür. „Mael?!“ Eilig zog ich meine Schuhe aus. „Mael!“ Ich stellte meine Tasche an die Seite und eilte durch den Flur. „Max?!“ Mir fiel nicht auf, dass ich ihn anders nannte. Als ich die Küche erreichte, trat er zeitgleich aus der Tür. Mit großen Augen sah er mich an. „Was ist los? Ist was passiert? Du bist so früh zurück.“ Ungewollt harsch schlug ich mit der flachen Hand auf den Türrahmen neben ihn. Er erschrak. Ich auch, doch zeigte ich es nicht. Eindringlich und verärgert sah ich ihn an. Spannung entstand, bis ich seufzte und meinen Kopf auf seine Schulter legte. Ich wusste nicht wie ich anfangen sollte… Verwirrt und noch etwas unschlüssig hoben sich Maels Hände und klopften mir schließlich tätschelnd auf den Rücken. „Was wünschst du dir?“, fragte ich matt. „Was meinst du?“ „Zum Geburtstag. Du hast mir nicht gesagt, was ich dir schenken kann.“ Mael blieb still, eh er amüsiert schnaufte und sich seine Arme um mich legten. „Das habe ich dir doch letzte Nacht alles gesagt. Und heute Morgen als ich dich bat, pünktlich hier zu sein.“ „Das ist doch nichts, was ich dir zum Geburtstag schenken kann. Das würde ich immer für dich tun. Also sag, was wünschst du dir?“ Er lachte leise und schob mich von sich. „Eben deswegen. Würde ich sagen, ich wollte nach Orlando Disney World, würdest du es mir schenken. Wollte ich eine Rolex oder einen Goldbaren würdest du es sicherlich auch möglich machen.“ Ich verstand nicht, was daran so lustig war. Natürlich würde ich es möglich machen! Alles was er sich wünschte, haben wollte oder begehrte, würde ich versuchen ihm zu ermöglichen. Mael genoss es, wenn ich ihn hofierte. Nur wenn ich übertrieb, wurde es ihm peinlich. „Ich habe dir mit Absicht nichts gesagt, weil ich wusste, dass du dich überschlagen würdest. Was ich wirklich will, ist, dass du diesen Tag mit mir zusammen genießt. So wie ich ihn geplant habe. Zu halb fünf kommen ein paar Gäste. Auch alte Freunde. Aber kein Binks. Er hat abgesagt, hat wohl zu tun. Aber ich denke, er geht mir lieber aus dem Weg. Evelin würde zum Kaffee kommen und nicht lange bleiben.“ Seine Ex also. Na, die war mir sympathischer als der andere Affe. Geknickt, aber gehorsam nickte ich. „Mael?“ Er sah auf und ich küsste ihm die Wange. „Alles Gute zum Geburtstag.“ Die grünen Augen begannen zu leuchten und strahlten mich an. Sein Lächeln war regelrecht entwaffnend. „Vielen Dank!“ Elias traf zu um vier ein. Zu früh, aber er meinte, er wollte nach uns sehen. Als er wenig später die Geschichte meiner Erkenntnis und wie wir aneinander vorbeigeredet hatten, erzählte, ertrug ich diese Schmach, weil es meinen Freund, der heute Geburtstag hatte, zum Lachen brachte. Kurz darauf trafen die anderen Gäste ein. Die neuen Kollegen aus seinem Labor und alte Freunde. Max stellte uns alle einander vor. Ich blieb höflich und suchte mal hier, mal dort das Gespräch. Da er mir verboten hatte beim Auftischen zu helfen, saß ich mit allen anderen am Tisch, während er rotierte. Auch wenn es anstrengend aussah, so schien er seinen Spaß zu haben. Ich redete mit Tobias, der mir von allen noch am vernünftigsten erschien, und später mit Maels neuen Kollegen. Diese Gespräche gestalteten sich interessanter, bis irgendwann alle gebannt den Geschichten von „Max auf Arbeit“ zuhörten. Einige waren erstaunlich, andere musste ihm peinlich sein, so hochrot wie er sich in die Küche verzog. Nach dem Kaffeetrinken verstreuten sich alle in der Wohnstube und redeten locker miteinander, ehe Mael seine Geschenke auspacken musste. Er schimpfte, dass er nichts gewollt hatte, aber Niemand nahm ihn ernst. Dafür leuchteten seine Augen viel zu sehr. Unbemerkt stahl ich mich auf den Balkon. Die Luft war warm und leicht schwül. Unerwartet kam Mael dazu. „Was machst du hier?“ „Frische Luft schnappen? So viele Leute in unserer Wohnung sind echt anstrengend.“ „Tut mir leid“, entschuldigte er sich sogleich. „Ich hätte dich vorher Fragen sollen.“ „Nein, nein“, winkte ich ab. Er wohnte schließlich auch hier. „Es ist nur ungewohnt und quirlig.“ „Ich weiß, aber das meinte ich nicht.“ Er maß mich mit mildem Blick und fuhr fort: „Du bist mir böse, weil ich dir nichts von meinem Geburtstag erzählt habe, oder?“ So würde ich es nicht ausdrücken, aber ja, schon irgendwie. „Ich verstehe das, aber ich wollte nicht, dass du heute mithilfst. Du findest es vielleicht fade, aber für mich ist es schon darum perfekt, weil du mir die kleinen Dinge erfüllst, die ich mir täglich wünsche. Du bist immer da und unterstützt mich.“ Er sah mich an, kaute auf seiner Unterlippe und zuckte mit den Schultern. „Nachher, wenn alle weg sind, würde ich dir gerne noch etwas sagen.“ Ich nickte und er küsste mich auf die Wange. „Ich liebe dich“, sagte er lächelnd und verschwand zurück in die Wohnung. Ich fühlte mich ertappt, froh und zurückgewiesen. Es war eine grausame Mischung. Zu gerne hätte ich ihm mehr geholfen, aber mein Nicht-Helfen machte ihn glücklicher. Ich schämte mich, mich nicht für diesen wichtigen Tag interessiert zu haben, aber Reue brachte mich jetzt auch nicht weiter. Das was mich wirklich wurmte, war dieser kleine hartnäckige Zweifel. So glücklich ich war, so stur blieb dieser Zweifel. Mael alles zu kaufen, was er wollte, ihn zu hofieren und auf Händen zu tragen, tat ich zu einem geringen Prozentsatz auch aus Angst, er könnte mich doch verlassen. Er könnte gehen, weil ich ihn nicht zu hundert Prozent beachtet hatte, weil mir ein Detail entgangen war. Ich hatte immer schon Schwierigkeiten Freunde zu halten. Bei Beziehungen sah es nicht anders aus. Irgendwas war immer. Das hatte sich mittlerweile so eingebrannt, dass ich lieber alleine leben würde, als nochmal jemand mir wichtiges durch eine Unachtsamkeit zu verlieren. Nun hatte ich seinen Geburtstag vergessen, nein, ich hatte nicht mal danach gefragt! Auch wenn Mael es abtat, war es für mich das größte Fettnäpfchen in das ich hatte treten können. Ich gab mir Mühe, aber ehrlich gesagt, zitterte ich wie ein Lamm auf der Schlachtbank. Was wollte er mir später erzählen? Würde er mich verurteilen, wenn wir zu zweit waren? Wie sagte Mael immer so schön: Es waren nicht alle Variablen zusammen. Ich konnte mir kein Bild machen und nicht urteilen. Schließlich hatte es einen Kuss und süße Worte gegeben. Ich fühlte mich als stünde ich in der Schwebe. Nachdem wir alle Gäste verabschiedet hatten, schloss ich die Tür. Mael war in die Küche geeilt, während ich noch stehen blieb. Ob er jetzt sauer werden würde? Ich atmete tief ein und ging in die Küche. Das Pflaster mit einem Ruck abziehen, dachte ich, aber in der Küche war keiner. Ich sah in der Wohnstube nach, doch auch nichts. Dafür stand die Balkontür offen. Gewappnet trat ich auf den Balkon und war erstaunt. Es war bereits dunkel geworden, der Himmel sternenklar. Mael hatte die zwei Balkonstühle und den kleinen Tisch aufgestellt. Darauf standen eine Kerze und zwei Teller mit einem Stück Kuchen. Es war nicht der gleiche wie vorhin. Dieser schien vom Konditor zu sein. Zwei Schwarzwälderkirschstückchen. Dazu vier Gläser. Je ein Sektglas und ein Weinglas. Also so, dass jeder von uns einen in der Krone hatte? Mael konnte keinen Sekt ab, wie ich bei der Gala vor fast einem Jahr bemerkt hatte. Vor einigen Monaten war ich es, der Mael präsentierte, dass ich alles vertrug, bis auf Wein. „Setz dich“, bat Mael mich. Sein Lächeln war warm und sanft. Ich setzte mich und beachtete die Tischdeko nicht weiter. Abwartend sah ich ihn an. Er jedoch sah immer wieder verlegen zum Tisch, redete aber nicht. Ich verstand nicht und je länger das Schweigen andauerte, desto mehr vertiefte sich die Röte auf Maels Wangen. „Josh, ich-“ „Bist du mir böse?“ Wir sprachen Zeitgleich, doch brach Mael ab. Blinzelnd neigte er verwirrt den Kopf. „Weswegen sollte ich dir böse sein?“ Ich seufzte und senkte meinen Blick. „Ich feiere meinen Geburtstag nicht, aber ich hätte wenigstens dich nach deinem Fragen können. Ich-“ „Josh, Josh, halt stopp. Was denkst du da wieder? Dass ich dir deswegen den Kopf abreiße oder eine Predigt halte? Mein Gott, du bist dumm und süß. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich es dir von mir aus erzählt. Ich kann doch nicht erwarten, dass du jedes Bisschen erfragst.“ Er schüttelte seinen Kopf und griff nach meiner Hand, zog sie zu seiner auf den kleinen runden Tisch und legte beide neben meinen Teller ab. „Dieser Geburtstag war nicht so wichtig. Und wenn du erlaubst, würde ich dir die Planung für nächstes Jahr überlassen. Wenn du die Sache leitest, wird es sicher nicht so schlimm werden.“ „Wieso? Wie alt wirst du denn?“ „Ich bin heute 29 geworden. Also ist nächstes Jahr mein Dreißigster. Und wenn du dich an das Fiasko mit dem Mehl in der Kaffeeküche erinnerst …“ Ich nickte und verdrehte die Augen. Sicherlich würden sie Mael durch ähnliche Dinge schicken. Immerhin war er nicht verheiratet. Davon ab erleichterte es mich ungemein, dass mir mein Freund meinen Fehler verzieh. Obwohl, anders betrachtet, sah Mael es nicht als Fehler an. Also sollte ich es auch nicht. Abermals senkte ich meinen Blick und folgte der sanften Bewegung seines Daumens über meinen Handrücken. Mael räusperte sich und der Kerzenschein flackerte auf meinen Kuchen. „Josh, weißt du, eigentlich wollte ich dich … also …“ Ich fokussierte das Glitzern auf dem Stück Kuchen und gefror auf meinem Platz. Mael hielt inne und hätte ich meinen Blick losreißen können, hätte ich sehen können wie sehr er errötete. „Ma-“ „Heiratest du mich?!“ „…“ Das war wohl das erste Mal in meinem Leben, dass ich schlecht Luft bekam. Auf dem Stück Torte befand sich am hinteren, dickeren Ende eine große Sahnekuppe. Ich hatte es zunächst übersehen, doch in diese war ein silberner schmaler Ring gesteckt worden. Er sah zu klein aus, aber ein Blick auf Maels Stück und ich fand einen größeren, breiteren Ring. Ebenso silbern und funkelnd. Der Kerzenschein ließ das Metall warm glänzen. Mir wurde warm. Mir wurde kalt. Dann wurde mir warm und wärmer. Ich wurde selten rot, aber in diesen Moment musste ich mindestens so puterrot sein wie Mael vor mir. „Ma-“ „Versteh das nicht falsch!“ Meine Augenbraue hob sich. Wie konnte ich das hier falsch deuten nach den Worten die er gesprochen hatte?! „I-Ich mach das nicht, weil ich nächstes Jahr dreißig werde“, begann er stotternd. Wenn möglich lief er noch dunkler an. Seine Augen leuchteten im Kontrast zu seinen Wangen, erwärmt vom Kerzenschein. „Ich … Ich mach das auch nicht, weil ständig alle danach fragen. Aber … ich habe darüber nachgedacht und … s-so schlecht fände ich es nicht, dich zum Mann zu haben.“ Mael hatte mal erzählt, dass er dann und wann das Gefühl hätte, in bestimmten Situationen ein lautes Puff in seinem Kopf zu hören. Bisher empfand ich diese Erzählungen als süß und sehr malerisch. Vor allem wenn ich mich daran erinnerte wie verlegen und hinreißend er in solchen Momenten ausgesehen hatte. Die Worte ‚dich zum Mann zu haben‘ lösten bei mir ein solches Puff aus. Da ich nicht antwortete, blickte Mael zu mir auf. Nervös, wartend. Was … sollte ich nochmal tun? Ah- schützend hob ich meine freie Hand und bedeckte verlegen meinen Mund. Mit der anderen fasste ich seine Hand fester. „Mael, du bist wahnsinnig.“ Eilig schüttelte ich meine Verstocktheit ab. Ich griff nach dem Ring, nahm ihn kurz in den Mund und leckte das bisschen Sahne ab. Zeitgleich hob ich seine Hand hoch, passenderweise die Linke und steckte den Ring passgenau an seinen Ringfinger. „Ja“, antwortete ich endlich und hob die Hand, um den Ring zu küssen. „Dich und nur dich“, fügte ich hinzu. Mein Blick glitt über seine Hand, seinen Ring. Mael starrte nur, stocksteif, ehe ein Ruck durch ihn ging und er verlegen und mit leicht wässrigen Augen zur Seite schielte. Ich könnte wetten, dass er ein sehr lautes Puff im Kopf gehabt hatte. Ich ließ seine Hand los und hob meine Linke hoch. „Wärst du so lieb?“, fragte ich, lächelnd. Mael nickte eilig und zog seine Hand zurück. Mit zittrigen Händen griff er nach dem Ring in seinem Kuchenstück. Achtsam ahmte er mich nach und leckte die Sahne vom Ring. Wahrscheinlich hatte er Angst ihn vor lauter Aufregung zu verschlucken. Er hätte auch die Serviette nehmen können, wenn hier eine liegen würde, dachte ich amüsiert und neigte meinen Kopf erwartungsvoll. Der Ring glitt ohne Probleme über meinen Ringfinger. Er war breiter als der von Mael, fühlte sich schwer und kühl an. Aber die Kühle verschwand schnell. Ich hob meine Hand und besah mir den Ring. Zu gerne wüsste ich, wie Mael meine Maße bekommen hatte. Hatte er in der Nacht, wenn ich schlief heimlich mit einem Maßband nachgemessen? Wie lange hatte er mit diesen Gedanken gespielt? Als ich im Waisenhaus war, besaß ich kein Foto. Heute hingen im Flur viele. Von Mael und mir im Park, auf Arbeit, im Freizeitpark, von unseren Verlobungsringen und eines von der Hochzeit. In einem kleinen dickeren Rahmen verweilten ein pinker Notizzettel und ein handschriftlicher Zettel mit zu lesenden Autoren und Büchern. Wenn ich in den Spiegel sah, erblickte ich nicht mehr das junge, verlorene Gesicht eines Jungen, der nicht wusste, wo er hingehörte. Der schlecht vertraute und sich so sehr nach menschlicher Nähe sehnte, dass er sich von allen fern hielt, um niemanden mit seiner Unbedarftheit und Fehlerhaftigkeit zu belasten. Wenn mich heute Zweifel überkamen, sah ich auf den erneuerten silbernen Ring an meiner rechten Hand. Wenn das nicht ausreichte, zog ich meinen Mann in meine Arme oder bat stumm um einen Kuss. Ich liebte diesen Mann. Ich liebte Mael so sehr, dass es mir manchmal unheimlich wurde. Mael hatte Recht, ich verwöhnte ihn, verhätschelte ihn und wollte, wenn ich dürfte, ihm die Welt zu Füßen legen. Mein Glück war, dass Mael mich auf den Boden hielt. Mein Glück war, dass ich ihn gefunden hatte. Mein Glück war, dass Josh zu Mael gefunden und Mael Josh nicht aufgeben hatte. Es war, das Finden und Geben des eigenen Herzens. Fin Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)