Des Nachts sind die Labore still von mikifou (Wie Josh zu Mael fand) ================================================================================ Kapitel 10: Zettelschlacht -------------------------- Kapitel 10: Zettelschlacht Ich war nicht begeistert. Ich war absolut nicht begeistert! „Dann zieh dir aber lange Sachen an. Nicht dass du noch mehr auskühlst. Es ist windig und im Laden ist es sicherlich kalt.“ „Zu Befehl“, sagte Joshua und grinste von einem Ohr zum anderem. Kurz darauf gingen wir Seite an Seite den Bürgersteig entlang. Joshua erzählte mir, dass es nur eine Straße weiter einen privaten Einkaufsladen gab, bei dem er gerne einkaufen ging. Ich nickte und hoffte, dass wir das alles schnell erledigen könnten. Frische Luft tat zwar gut, aber Joshua sah ziemlich blass aus. Das seine schlechte Verfassung von einfacher Überarbeitung und Stress kommen sollte, konnte ich nicht glauben. Allerdings war ich kein Mediziner. Vielleicht gab es so was ja wirklich? Ich nahm mir vor, sobald ich Zeit finden würde, das mal nachzuschlagen. Wir erreichten den Einkaufsladen in nur fünf Minuten. Dieser nahm das gesamte Erdgeschoss eines Hauses ein. Er war wirklich sehr klein, mit viel Charme. Wir traten ein und ich nahm den Korb. Joshua ließ ich gerade mal neben mir hergehen. Die Gemüseabteilung war gut gefüllt und bot auch nicht typisches Obst und Gemüse an. Ich steckte einiges an Obst ein, dass einfach zu schälen und schnell zu essen war. Im Kühlfach fanden wir ein Bio Huhn, nun das würde es auch tun, Käse und Kattschinken. Weiter hinten im Laden lud ich neben Brühe und Reis auch noch neue Milch und ein Müsli ein. In meinem Kopf entstand eine Variation von Gerichten, welche sich Joshua leicht zum Frühstück und zum Mittag machen konnte. Den Reis nahm ich für die Suppe mit. Sicherlich konnte man auch Kartoffeln oder Nudeln in eine Hühnersuppe tun, doch für jemanden, der ein Energieleck hatte, fand ich Reis bekömmlicher. Gemüse für die Suppe und Obst zum so essen oder fürs Müsli. Joshua hatte mich bereits beim Ost von der Seite beäugt. „Wolltest du nicht nur Suppe kochen?“ „Mhm, aber das brauche ich.“ „Kommt Schinken auch in die Suppe?“ „Nein, aber das brauche ich auch“, antwortete ich konsequent. Wenn ich ihm sagen würde, dass ich mehr für ihn einkaufte als er vielleicht brauchte oder mochte, dass ich ihm meine Art zu essen aufdrängte, würde er sicherlich nicht mehr so gelassen neben mir stehen. Beim Reis fragte er: „Der ist aber für die Suppe?“ „Ja, und den braucht man immer.“ Als ich kurz vor der Kasse abermals stehen blieb, trat Joshua dicht hinter mich. Meine linke Hand streckte sich und wollte nach Kühlpflastern greifen, als ich etwas Schweres auf meiner Schulter spürte. „Brauchst du das auch für die Suppe?“, fragte eine Stimme sehr, sehr nahe an meinem Ohr. Ich hielt sofort in meiner Bewegung inne. „Ich brauche es nur…“, war meine dämliche Antwort. Im nächsten Moment schlangen sich zwei Arme um mich. Sie zogen sich fest um meine Taille und meinen Bauch und damit ebenso fest an den Körper hinter mir. Joshuas Kopf verweilte immer noch auf meiner Schulter, als seine tiefe, leicht kratzige Stimme leise Worte brummte. „Brauche ich.“ Ich gefror augenblicklich und hielt den Atem an. Erst nach etlichen Herzschlägen nahm ich meine linke Hand zurück und führte sie zu Joshuas Kopf. Zeitgleich drehte ich mich etwas in seinen Armen. Besitzergreifend schlossen diese sich fester um mich, doch es hatte gereicht, dass ich mich so weit zu Joshua drehen konnte, um sein Gesicht zu sehen und zu berühren. Da sein Kopf nicht mehr auf meiner Schulter ruhen konnte, hatte Joshua ihn leicht angehoben. Meine Finger streichen über seine Stirn, seine Schläfe und über seinen Haaransatz in seinen Nacken. Joshua hielt seine Augen geschlossen, folgte trotzdem minimal meiner Bewegung. Wie ich es mir dachte. Sein Fieber war zurück. Er war kochend heiß. „Hast du Kopfschmerzen?“, fragte ich leise. „Ein bisschen“, gab er mit geschlossenen Augen zu. Meine Hand sank und legte sich auf seine Arme um meinen Bauch. „Lass uns schnell bezahlen und dann heim. Du musst dich ausruhen.“ Es dauerte noch einen Moment, ehe Joshua seine Augen wieder öffnete und seine Arme zurückzog. Er war blass und seine Augen glasig. Ich griff nach seiner Hand und zog ihn mit mir zur Kasse. Joshua war wie eine gehende Puppe. Er ließ sich ziehen und schieben, gehorchte, wenn ich sagte, bleib stehen und starrte dann mit gerunzelten Brauen vor sich hin. Ich bezahlte so schnell ich konnte und packte alles in eine Einkaufstüte, die an der Kasse auslagen. Bedankt und Verabschiedet, griff ich nach Joshuas rechter Hand und zog ihn mit mir. Wir bogen um die erste Ecke, als ich den Mut aufbrachte und ihn zu korrigierte. „Du hast das falsche Wort benutzt. Es heißt nicht brauchen, sondern wollen.“ Als er meinte er brauchte mich, setzte nicht nur mein Herz, sondern mein ganzer Verstand aus. Dazu diese Nähe und ich war komplett out of order. Erfahrungsgemäß konnte ich nicht einfach davon ausgehen, dass er meinte, was er sagte. Sicherlich hatte er es anders gemeint, als ich es verstanden hatte. Und selbst wenn er mich gemeint hätte, wäre „brauchen“ ein zu großes Wort gewesen. Ich konnte mir nicht vorstellen, in welchem Universum jemand wie Joshua jemanden wie mich „brauchen“ könnte. „Ge“brauchen, sicherlich oder „wollen“ auf die eine oder andere Art. Um mein Herz und die Achterbahnfahrt in meinem Magen zu beruhigen, verbesserte ich Joshua. Eine Antwort hatte ich in seinem Zustand nicht erwartet, jedoch holte diese mich ein, als er die Tür zum Treppenhaus aufschloss. „Nein … ich will dich, darum brauche ich dich ja.“ Die Tür öffnete sich und Joshua trat ein. Ich sah zum Himmel hoch und schwor, dass es in meinem Kopf gerade ein lautes Puff gegeben hatte. Im Nachhinein kam ich zu dem Schluss, dass meine Aktionen beim Einkaufen vielleicht etwas zu auffällig gewesen waren. Joshua war ein schlauer Kopf. Spätestens bei den Kühlpflastern hatte er es durchschaut. Und um mich für meine selbstsüchtige Aktion etwas aufzuziehen, sagte er dann solche Worte. Solche … Worte … Ich sah über meine Schulter. Joshua saß immer noch artig auf der Couch. Den Kopf auf die Rückenlehne gelegt und die Augen geschlossen unter einem kühlen Lappen. Sobald wir zurück waren, bestand ich darauf, dass er sich hinlegte. Doch er jammerte, dass sein Kopf dann nur schlimmer schmerzen würde, als er es so schon tat. Alternativ kamen wir zu dem Kompromiss, dass er sich setzte und ich ihm einen Lappen auf die Augen legte. Tabletten wollte er keine nehmen, da er davon immer müde wurde. Nachdem Joshua saß, ging ich in die Küche und wollte den Einkauf verstauen. Allerdings kannte ich mich hier nicht aus. Da ich anschließend kochen wollte, hatte ich binnen von Sekunden alle Schränke einmal geöffnet und durchgesehen. Es war mir etwas unangenehm, aber Joshua sagte nichts dagegen. Die Ärmel hochgekrempelt, wusch ich das Huhn ab, zog alle restlichen Federn heraus und legte es in einen Topf, der gerade so groß war, dass das Huhn hineinpasste. Das würde nicht viel Suppe ergeben, aber gut. Mit etwas Brühe setzte ich das Huhn an. Nebenbei schnitt ich Möhren, ein Stück Sellerieknolle, Lauch und Petersilie. Anschließend setzte ich den Reis auf. Ich suchte mir ein Sieb zum Abgießen und einen großen Teller raus. Hin und wieder schöpfte ich den Schaum vom Huhnwasser ab. Ich war überrascht, dass ich alles Nötige in dieser eher nicht gebrauchten Küche fand. Kurz beschlich mich der Gedanke, dass das alles vielleicht Überbleibsel von anderen Beziehungen waren. Der Gedanke versetzte mir einen Stich ins Herz, also hörte ich auf, daran zu denken. Als der Reis fertig war, goss ich ihn ab und stellte ihn zur Seite. Das Huhn brauchte noch einen Moment, also räumte ich den restlichen Einkauf in den Kühlschrank und die Schränke. Ich schielte zu Joshua. Vielleicht hätte ich doch die Kühlpflaster mitnehmen sollen. Wie dem auch sei. Als das Huhn fertig war, nahm ich es aus seinem heißen Bad und legte es auf den Teller. Möhren und Sellerie wanderten in die Brühe. Da ich nun warten musste, bis das heiße Huhn abgekühlt war, um es auseinanderzupflücken, ging ich zurück ins Wohnzimmer. Joshua hatte den Lappen von seiner Stirn genommen und auf die Glasplatte vom Couchtisch gelegt. „Geht es dir besser?“, fragte ich und trat sogleich an ihn heran, um seine Stirn zu fühlen. Joshua schloss die Augen und ließ mich machen. So viel vertrauen ehrte ihn und wirbelte neue Schmetterlinge in meinem Bauch auf. „Es scheint wieder gesunken zu sein. Was ist das für ein merkwürdiges Fieber?“, stellte ich die nächste Frage und setzte mich rechts neben Joshua auf die Couch. Er folgte mir mit seinem Blick. „Das hat mein Vater mich auch jedes Mal gefragt. Wir sind bis heute nicht schlau daraus geworden. Der Arzt meinte, es sei einfach meine eigene körperliche Reaktion auf Druck, Stress oder ein schwaches Immunsystem. Da keiner von uns Lust hatte mehr in die Sache zu investieren, ließen wir die Antwort gelten.“ Auf meinen ungläubigen Blick hin erzählte Joshua ausführlicher. Seit er sich erinnern konnte, hatte er diese Art von Fieber. Im Waisenhaus hatten sie vermutet, dass es aufgrund von emotionalem Stress verursacht wurde, ausgelöst durch ein Kindheitstrauma mit seinen leiblichen Eltern. Joshua kannte seine Eltern kaum mehr und wollte jetzt auch nicht darüber reden, so fragte ich nicht nach. Die Sache mit dem Fieber blieb jedoch. Es kam schubweise und war bisher nie höher als 39,5 Grad gestiegen. In jüngeren Jahren hatte er regelmäßig gemessen. Mit der Pubertät ließ er es jedoch sein. Die Patentlösung war, dass er sich ausruhte. Schlaf und nichts tun förderten die Heilung und nach zwei bis drei Tagen war alles vorbei. Die Merkwürdigkeit dieser Krankheit blieb bestehen. Jedoch gab ich mich nicht damit zu frieden. Das einzig niedliche daran war, dass Joshua immer, wenn sein Fieber gerade stieg, ziemlich anhänglich wurde. Aber ich konnte es ihm nicht verdenken. Wenn ich Fieber bekam, wollte ich mich auch nur noch einrollen und von jemanden betuddeln lassen. Meine Mutter hörte frühzeitig damit auf und bisher hatte es noch keinen Menschen gegeben, dem ich mich freiwillig in einem Krankheitsfall anvertrauen würde. „Wenn dein Fieber von jetzt auf gleich so hochsteigt, dann solltest du wirklich nicht das Haus verlassen. Wie kam es überhaupt dazu? Wegen der Sache mit Johannes?“ Ich möchte erwähnen, dass ich nicht der neugierige Typ war. Jedoch überwog meine Sorge um Joshua und ich brauchte für mein inneres Gleichgewicht einen Schuldigen, den ich gedanklich verfluchen konnte. „Ich weiß nicht. Vielleicht. Es war so viel in letzter Zeit. Die Sabotage, du, die Arbeit allgemein. Dann fing Elias an, sich wieder zu melden und du glaubst nicht, wie anstrengend er sein kann.“ Mir hatten sich die Haare meiner Unterarme aufgestellt. Da meine Ärmel noch immer hochgekrempelt waren, sah ich es deutlich. „Ich?“ „Hm?“ „Ich habe dich gestresst?“ Keine Ahnung was ich für ein Gesicht gemacht hatte, aber Joshua lachte und beschwichtigte mich zugleich. „Im guten Sinne.“ Das war nicht beschwichtigend und ich lehnte mich mit verschränkten Armen und runtergezogenen Augenbrauen zurück. Mein Blick wich nach unten, dann wieder zu Joshua, ehe ich mich traute zu Fragen. „Bei unsrem Date … wo-worüber hättest du da mit mir geredet?“ Joshua stutze und lehnte sich seinerseits zurück. Während er nachdachte, griffen meine Hände immer stärker in meine Oberarme. „Über alles Mögliche. Das was sich eben ergeben würde. Warum fragst du?“ „Einfach nur so … ich … einfach nur so“, sagte ich und kaute auf meiner Unterlippe rum. Joshua drehte sich mehr zu mir. Nachdem ich nichts weiter sagte, nahm er meine linke Hand in seine und strich mir über den Handrücken. „Ich hätte versucht dich auszufragen, mehr über dich zu erfahren. Und da es ein offizielles Date wäre, hätte ich dir Komplimente gemacht. Wie etwa, dass deine Fingerspitzen total weich sind. Oder ich es faszinierend finde, wie sehr du dich auf die Arbeit konzentrieren kannst.“ Wärme kroch in meine Wangen. Das waren mal neue Aspekte und ich freute mich ziemlich, dass sie von Joshua kamen. „So weich sind die gar nicht.“ „Doch, sind sie“, bestätigte Joshua und zog meine Fingerspitzen bis zu seinen Lippen. Ich hielt die Luft an, doch mein Herz vollzog einen Hüpfer. Meine Finger kribbelten, trotzdem zog ich meine Hand nicht zurück. „Über was hättest du reden wollen?“ „…“ Ich nahm meinen Mut zusammen und versuchte ihn anzusehen, konnte seinem direkten Blick aber nicht lange standhalten. „Mich würde interessieren, warum du nicht lockerlässt. Ich bin nicht wirklich ein Gewinn. Und ich könnte mir vorstellen, dass du bisher weitaus bessere Dating Partner hattest als mich.“ „Vielleicht. Aber im Moment fällt mir keiner ein“, antwortete Joshua ehrlich. „Und ob du ein Gewinn bist oder nicht, entscheidest nicht du, sondern ich. In meinen Augen bist du sowohl cool als auch adrett. Du bist wissbegierig und lernst schnell, auch wenn du gerne mal Schusselfehler machst. Außerdem hast du eine Art an dir, die mich nicht wegsehen lässt. Wenn du mit mir redest, ist alles in Ordnung, aber wenn du dich umdrehst und mit Elias oder einem Kollegen sprichst, dann-“ Ich drückte Joshua meine linke Hand so fest ich konnte auf den Mund. Da meine Arme wie Pudding waren und mein Gesicht heißer glühte als das Huhn eben, drückte ich nicht sehr fest. „Shh“, machte ich scharf und verbat Joshua das Reden. „Schluss damit. N-noch ein Wort und du kochst die Suppe allein weiter.“ Joshua lächelte, das spürte ich an meiner Handfläche. Dennoch hob er beide Arme und machte deutlich, dass er aufgab. Aber das half mir nicht. Mein Puls war zu schnell und ich wollte am liebsten in irgendeinen Schrank verschwinden. Meine Gedanken waren so zerstreut, dass ich nicht richtig nachdenken konnte. War ich sauer, angetan, verlegen? Wollte ich ihn schütteln oder küssen? Irgendwie war es eine Mischung aus allem. Da ich keine Worte fand meine Verlegenheit und Freude auszudrücken, ging ich in die Küche und begann das Huhn zu puhlen. Haut, Knorpel und alles was kein einwandfreies Fleisch war, tat ich in den Müll. Der Suppe fügte ich nur noch das gute Fleisch, etwas Reis sowie Lauch und Petersilie zu. Joshua war aufgestanden und stand neben mir an seine Küchenmöbel gelehnt und sah mir zu. Ich sagte kein Wort. Erst als ich merkte wie mir der Saft von Huhn über die Finger rann und am Handgelenk herunterlief und ich aus Gewohnheit den Tropfen ableckte, spürte ich seinen Blick wie brennendes Eisen auf mir ruhen. Artig wusch ich mir die Hände. „Was ist mit dem Fleisch da?“, fragte Joshua. Ich hatte nicht alles vom Huhn in den Topf getan. Zum einem war dieser zur klein und zum anderem wäre es zu viel Fleisch gewesen. „Das kannst du später zusammen mit dem Reis oder was anderem Essen. Möchtest du probieren?“ „Gerne.“ Joshua hob zwei Schalen raus und ich füllte uns ein. Ich nahm es einfach so hin, dass ich mitaß. Nachdem er seinen Spaß mit mir hatte, brauchte ich auch etwas Stärkung. Das Essen verlief erstaunlich ruhig. Joshua lobte die Suppe. Ich hatte erwartet, dass er nach mehr fragen würde oder dass ich öfter kochen sollte – auch das hatte ich mal von einem Date zu hören bekommen. Doch er fragte nicht, sondern aß Schweigend. Nach dem Essen wollte ich abwaschen und gehen, doch er hielt mich zurück. Lieber sollte ich mit ihm einen Film gucken. Da er mit seinen glasigen Augen einen Hundeblick sehr gut imitieren konnte, gab ich nach. Wir schafften beinahe eine Stunde eines Spielfilms auf Netflix zu gucken, ehe Joshua gegen meine Schulter sackte. Fragen brauchte ich nicht. Ich fühlte, dass er wieder glühte. Ich schaltete den Fernseher aus und legte meine Hand an seine Wange. „Geh ins Bett.“ „Kommst du mit?“ „Nein“, sagte ich mild. „Dann will ich nicht.“ Ich seufzte schwer. „Nimm eine Tablette.“ „Nein.“ „Möchtest du etwas trinken?“ „Nein.“ Ich seufzte erneut. „Wenn du eine Tablette nimmst, ins Bett gehst und nachher schläfst, habe ich ein Geschenk für dich.“ Joshua setzte sich auf und sah mir prüfend in die Augen. Ich hob die Augenbrauen. Weniger elegant, aber es reichte aus, ein „Ok“, von ihm zu bekommen. Joshua ging sich umziehen und ich suchte ihm Wasser und eine Tablette gegen das Fieber heraus. Kurz bevor ich sein Schlafzimmer betrat, blieb ich stehen. Wieder wurde ich rot. Noch nie, wirklich noch nie, war ich im Begriff gewesen in das Schlafzimmer eines Mannes zu gehen, den ich toll fand und der scheinbar auch Interesse an mir hatte. „Komm ruhig rein. Ich liege schon.“ Das riss mich aus meinen nicht jugendlichen und zu weit führenden Gedanken und ließ mich schmollen. Wenigstens im Schlafzeug hätte ich ihn gerne gesehen! Aber gut. Ich betrat das Zimmer, welches durch Plissees verdunkelt worden war. Die Einrichtung und Gestaltung konnte ich nicht richtig erkennen, doch was ich sah, passte wie der Rest der Wohnung gut zu Joshua. Amüsiert bemerkte ich, dass auch er ein großes Bett besaß. Tja auf großen Betten schlief es sich einfach besser. Ich reichte Joshua die Tablette und das Wasser und kniete mich neben das Bett. Das Bettgestell war so hoch, dass es mir sitzend bis knapp an die Brust reichte. Ich stütze meinen Kopf mit der linken Hand auf dem Bett ab und sah Joshua direkt an. Ihn so im Bett liegen zu sehen, hatte schon was für sich. Abwartend sah er zurück. Die Tablette hatte er geschluckt und das Wasser geleert. Ich hob meine freie Rechte und fühlte seine Stirn und den Nacken. Er glühte zumindest nicht mehr. „Was machst du, wenn ich gleich einschlafe?“ „Ich werde abwaschen und dann leise gehen. Du sollst dich endlich ausruhen und gesund werden. Sonst können wir weder weiterarbeiten, noch das Date nachholen.“ Joshua nickte, wenngleich er eine Flappe zog. Lächelnd strich ich ihm über die Schläfe und legte meinen Daumen an sein Kinn, seine Schnute beseitigend. „Du sagtest, du hättest ein Geschenk für mich.“ „Mhm.“ Ein Geschenk, ja. Wohl eher für mich selbst an diesem Tag und auch nur aus reinem Eigennutzen, aber … Mein Daumen spielte noch mit seinem Kinn, bewegte es hin und her, während meine Augen auf die rosige Stelle darüber gewandert waren. Schließlich ließ ich von seinem Kinn ab und schob meine Hand an seinem Kiefer entlang hoch zum Ohr. Zeitgleich setzte ich mich auf und schmeckte keine Sekunde später warme, weiche Lippen. Meine Augen waren geschlossen und ich hatte ewig nicht mehr geküsst! Dennoch bewegte ich vorsichtig die meinen. Mein Herz raste vor Aufregung und gerade als es in peinliche Panik umschlagen wollte, spürte ich eine Reaktion. Zuerst bewegte Joshua die Lippen und ersetzte meine innere Anspannung durch kribbelnde Freude. Dann schob sich eine warme Hand auf meinen Hinterkopf und drückte mich noch etwas näher. Okay! Ich … war das nicht zu nah? Ich … Verdammt, ich konnte nicht denken. Länger als ich je einen Kuss bekommen hatte, genoss ich diesen umso mehr. Erst als Joshua seine Kraft verlor, lösten wir uns langsam. Ich öffnete meine Augen und sah nicht viel. Joshuas Gesicht war im Dunkeln, doch ein Lächeln erkannte ich. Auch dass er seine Augen kaum noch offenhalten konnte. Scheinbar machten ihn Tabletten wirklich müde. Ihm immer noch nahe, strich ich sanft über seine Augen. „Mach die Augen zu und schlaf.“ „Ich will nicht.“ Ich lachte leise. „Sturkopf. Willst du nicht gesund werden?“ „…“ „Schlaf ruhig. Ich lauf dir nicht weg.“ Ich beugte mich nochmal vor und küsste seine nun warmen Lippen. Ein Kribbeln durchfuhr mich. Mehr noch als ich ein Lächeln gegen meine Lippen spürte. Dieses Geschenk würde uns wahrscheinlich beiden in Erinnerung bleiben, dachte ich. Es war nicht gelogen. Das erste Mal wollte ich nicht weglaufen. Wollte ich nicht die Person ignorieren, die sich für mich interessierte. Joshua war eindeutig anders als alle anderen bisher. Aber wichtiger als das, war noch die Tatsache, dass ich mich ungewollt und ziemlich doll in ihn verguckt hatte. Einen solchen Kuss, der noch immer meine Lippen kribbeln und die Hitze in meinen Körper keimen ließ, hatte ich noch nie bekommen. Es machte mir sogar Spaß Joshua beim Schlafen zuzusehen. Aber so sehr ich mich auch freute, umso mehr ermahnte ich mich vorsichtig zu sein. Nicht weil ich meine Angst weiter vorschob oder den Tag ruinieren wollte, sondern weil ich es mir nicht versauen wollte. Seit mir Bewusst geworden war, dass ich in Binks verliebt war, hatte ich nicht mehr so gefühlt. Nun konnte ich den einen Vergessen und dem anderen meine ganze Aufmerksamkeit schenken. Das allein reichte mir aber nicht. Wie angekündigt räumte ich die Küche auf und stellte alles ordentlich weg. Die Suppe war noch warm, also schrieb ich auf einen kleinen, knall pinken Notizzettel, dass Joshua die Suppe in den Kühlschrank stellen sollte, sobald sie abgekühlt war. Ich besah mir das Kunstwerk von knall Pink auf silbernen Topfdeckel und der Drang zum Schabernack brach durch. Der Block hatte noch ausreichend Zettel übrig. Ich grinste frech für mich und machte mich ans Werk. Im Endeffekt hatte ich alle 44 Zettel in der Wohnung verteilt (außer im Bad, da war ich nicht.) In der Stube lagen Zettel auf denen stand: „Staubwischen!“ oder „Als Kind warst du niedlich“, weil ich ein Foto von Joshua und McFloyd gefunden hatte, auf welchen Joshua nicht älter als 13 Jahre sein konnte. Auf dem Couchtisch lagen Zettel mit Filmideen. Auf dem Stick, den ich mitgebracht hatte, klebte ein Zettel. In der Küche sah es noch wilder aus. Ich holte die Packung mit dem Fiebermittel raus und bat via Zettel, dass Joshua sich nicht so quälen sollte. Ich stelle Wasser und Teepackungen hin und schrieb, er sollte viel trinken. Ich ersetzte den Eiswürfel, trocknete den Teller und legte einen Zettel darauf der sagte: „Brauchst du nicht mehr.“ Auf zu viele Dinge schrieb ich aus Spaß „brauch ich“ oder „will ich“ oder auch „mag ich nicht“. Den letzten Zettel legte ich auf Joshuas Nachttisch. Es war der unterste, daher klebte dieser nicht mehr richtig. Als ich diese zwei Sätze schrieb, wurde mir heiß und kalt. Es war definitiv nicht die feine englische Art, aber auf eine witzige Weise old school und damit wieder ziemlich cool, wie ich fand. Ich ließ ihm sogar die typischen Antwortmöglichkeiten mit Ja, nein, vielleicht. Als das alles erledigt war, verließ ich Joshuas Wohnung mit einem guten Gefühl. Dieses Hochgefühl hielt noch einige Minuten an. Erst als ich im Bus saß und zur Ruhe kam, fingen meine Gedanken an zu rödeln. Die Sache mit der Handynummer und Kommunikation hatte ich geklärt. Auf einem der Zettel, die im Flur klebten, hatte ich meine Handynummer geschrieben. Dazu den Kommentar „Brauchst du“. Auf einem anderen Zettel stand meine Wohnadresse und „Brauchst du auch“. In jenem Moment kam mir das wie eine witzige Idee vor. Nun nagte mein Gewissen und fragte sich, ob ich nicht den Kommentar hätte weglassen sollen? Aber andererseits war es schon witzig und ich wollte, dass Joshua mir schrieb. Hibbelig saß ich in der Bahn und spürte mein Herz vor Aufregung klopfen. Wann er wohl schreiben würde? Daheim warf ich mich auf meine Couch und griff mir mein Kissen. Ich drückte es fest an meine Brust und rollte mich auf der Sitzfläche ein. Bis hierher hatte ich es geschafft nicht weiter nachzudenken, aber nun war es vorbei. Ich war so neugierig, was Joshua zu all den Zetteln sagen würde und wann er mir schreiben würde und wichtiger noch, wie seine Antwort lautete. Während ich wartete, wich mein Hochgefühl immer wieder einem schlechten Gewissen. Vielleicht war ich auch zu aufdringlich? Joshua war krank und sollte sich erholen, aber ich musste ja einkaufen gehen und ihn versorgen. Er hatte zwar zu keiner Zeit etwas dagegen gesagt, aber konnte man Kranken wirklich vertrauen? Gerade mit Fieber oder Fieberschüben wurde das Urteilsvermögen doch erheblich beeinträchtigt. Zudem hatte ich mich komplett anders verhalten, als ich es üblicherweise tat. In Joshuas Nähe wurde ich viel offener und freizügiger mit den Dingen, die ich sonst eher nicht hergab. Wie etwa jemanden so nah an mich heranzulassen. Für gewöhnlich hielt ich Dates und die Frauen die sich für mich interessierten auf Abstand. Einen Kuss gab es gerade mal nach dem dritten Date und dazwischen vergingen oft Wochen oder Monate. Wenn ich dann eine Dame küsste, war es nicht sonderlich aufregend. Sie komplimentierte mich, wollte noch mehr Nähe, mehr Kuscheln und ich warf sie schließlich raus. Die Gründe waren immer andere und sehr fadenscheinig, wie etwa: „Ich muss morgen früh raus.“ Jemanden in meine Komfortzone zu lassen, schreckte mich ab. Diese Begegnungen waren lange her und gerade deswegen hatte ich geglaubt, dass ich Joshua mehr auf Abstand halten würde. Mit Joshua hatte ich noch kein wirkliches Date gehabt und dennoch hatte ich ihm beim ersten Abendessen einen Korb gegeben, nur um danach ständig an ihn und seine bezirzenden Worte denken zu müssen. Tage später waren wir Laufen und ich habe ihn von mir aus geküsst. Das war mir in der Form noch nie passiert! Abermals zwei Wochen später, wenn ich mich nicht verzählt hatte, war ich bei ihm zuhause, ging für ihn einkaufen, pflegte ihn, gab meine privaten Daten preis und küsste ihn in seinem Bett. Wenn ich an den Kuss dachte, schwärmte ich noch immer und meine Lippen begannen zu kribbeln. Ich glaubte sogar, wäre Joshua nicht krank gewesen, hätte ich mich vielleicht sogar neben ihn gelegt. Meine Selbstbeherrschung ihm gegenüber sank rapide, wenn er nur in meine Richtung sah. In seiner Nähe verdampften alle Vorsichtsmaßnahmen und ich wurde für seine Berührungen empfänglicher. Joshuas gesamte Art wirkte anziehend auf mich. Je länger ich ihn ansah und mit ihm zusammenarbeitete, desto schlimmer wurde es. Erst wenn ich, wie jetzt, alleine war, konnte ich über alles in Ruhe nachdenken. Über mein Verhalten, seine Worte, seine Berührungen, seinen Kuss … Ich schrie in mein Kissen und strampelte mit den Beinen. Der Schrei wurde zwar gedämpft, trotzdem kam ich mir Sekunden später blöd vor. Blöd, aber glücklich. Verliebt grinste ich vor mich hin. Gott! Ich benahm mich wie ein verliebtes Mädchen. Meine Gedanken hielten inne. Dann grinste ich und lachte leise für mich. Ich WAR ein verliebtes Mädchen. Gut, verliebter Junge. Egal, ich war verliebt! Und es fühlte sich gut an. Gestern noch dachte ich, Wunder weiß, was heute für ein Tag werden würde. Die Versetzung zum Mittagsdate, die Nachricht von Joshuas Krankheit, die Möglichkeit ihn besuchen zu können, in seiner Wohnung zu sein, Zeit mit ihm zu verbringen und ihn auf eine Weise kennenzulernen, wie bisher noch nie, stimmte mich trotz des ganzen Hin und Her verdammt fröhlich. Das alles war mehr, als ich mir für heute je erhofft hatte. Ich sah auf mein Handy und war beinahe etwas enttäuscht, dass ich keine Nachricht hatte. Eigentlich war ich ziemlich froh, dass mein Handy mal stillstand. Andererseits konnte ich Joshuas Nachricht kaum abwarten. Ich warf das Handy aufs Bett und ging ins Bad. Morgen musste ich arbeiten. Je früher ich anfing, desto schneller war ich fertig. Während ich mich frisch machte und Zähne putzte, wanderten meine Gedanken immer wieder zu Joshua. Wann er wohl gesund sein würde? Wie süß er war, als er mich umarmt hatte. Ich war zwar zunächst stocksteif geworden, aber jetzt wünschte ich mich in diese Arme zurück. Seine Stimme an meinem Ohr war tief und leicht kratzig gewesen, sie bescherte mir eine Gänsehaut. Nur in Schlafshorts machte ich das Licht aus und tapste Barfuß zu meinem Nachttisch. Ich griff zeitgleich nach dem Handy, dass ich durch das leuchtende Display sehen konnte, und nach dem Nachtlicht. Das Handy zeigte eine Nachricht an und ich griff blind nach der Lampe. Während ich erkannte, wer mir geschrieben hatte, tippte ich neben die Lampe ins nichts und fing mich schmerzhaft auf einem Knie ab, ehe ich mir das Kinn hätte am Nachttisch aufschlagen können. Ich fluchte innerlich, hüpfte aber ins Bett und ließ das Licht aus. Joshua hatte mir geschrieben! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)