Des Nachts sind die Labore still von mikifou (Wie Josh zu Mael fand) ================================================================================ Kapitel 6: Co-Worker -------------------- Kapitel 6: Co-Worker Es war ein Talent immer positiv zu denken. Aber auch eines beim kleinesten bisschen Stress alles negativ zu sehen. Nicht löblich, aber es war meine Art mich auf das Schlimmste vorzubereiten. In dem ich alle Möglichkeiten durchspielte, konnte ich mich innerlich wappnen und würde nicht sprachlos in der Gegend stehen. Das hieß, wenn ich die Zeit hätte mir vorher tagelang unnütze Gedanken zu machen. „Ach, Mayer. Kommen Sie doch gleich mit mir mit, bitte“, sagte McFloyd hinzufügend und winkte Elias mit einem Lächeln heran. Elias schien etwas unschlüssig seiner Nemesis zu begegnen. Dennoch straffte er seine Haltung und folgte dem Chef. Nachdem McFloyd und Elias gegangen waren, bemerkte ich erstmals, dass wir von mehr als einem Kollegen angestarrt wurden. Mein erster Gedanke war, dass das womöglich ein neues Gerücht über Joshua ergeben würde. Mein zweiter Gedanke war, dass sie nicht nur ihn anstarrten, sondern auch mich. Mir wurde heiß und kalt. Schnell drängelte ich mich durch die Massen und folgte Joshua zurück ins Labor. Johannes war bereits verschwunden. Aber gerade hatte ich keine Zeit mich mit ihm zu beschäftigen. Ich trottete hinter Joshua her und setzte mich leicht abwesend auf meinen Stuhl. Ich fragte mich, was das für ein verdammter Zufall gewesen war. Nicht nur das Johannes mich aufgegabelt hatte, sondern auch dass Elias und Joshua ihm aufgelauert hatten und zur Krönung noch der Chef persönlich gekommen war. Ich fühlte mich schrecklich. So hatte das nicht ablaufen sollen. Wer wusste schon, ob Johannes nun noch die Gelegenheit bekommen würde, sich zu erklären? Ich hatte vorgehabt für ihn zu bürgen, … waren sich unsere Geschichten doch so ähnlich. Joshua stand an seinen Tisch gelehnt und starrte seine Schuhe an. Was in seinem Kopf vorging, wusste ich nicht. Irgendwann hob er sein dunkles Haupt und starrte mich an. „Hör mal, ich“, begann Joshua, aber ich unterbrach ihn. „Waren wirklich alle Proben kontaminiert?“ „Nein.“ Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hatte befürchtet, dass Joshua wirklich mit unsauberen Proben gearbeitet haben könnte. Andererseits wäre das so untypisch von dem, was ich die Nächte über gesehen hatte. „Aber was war dann mit den vielen Proben, die du letztens kontrolliert hattest? Bei allen lag eine unterschiedliche Färbung und ein Niederschlag vor.“ „Ich wollte herausfinden, mit was die eine Probe kontaminiert war. Die Standardüberprüfung brachte mich aber nicht weiter. Dahingehend hat Johannes recht. Es gibt einfach zu viele bekannte Indikatoren, die dieser Kultur gefährlich werden können. Du hast an deiner Arbeit gesessen und gar nicht mitbekommen, dass ich versucht habe herauszufinden mit was diese Probe verunreinigt worden war.“ „Ah, stimmt. Hast du deshalb so reagiert als ich die Probe abbekam?“ Weil er nicht wusste um was für Erreger es sich handelte? Die Erreger mit denen Joshua arbeitete, waren sehr bekannt und genetisch so modifiziert worden, dass sie als harmlos eingestuft werden konnten. Aber bei kontaminierten Proben wusste man nie. Joshua schwieg sich für den Bruchteil einer Sekunde aus, ehe er ausweichend antwortete. „Es ist immer besser bei Hautkontakt sofort zu handeln. Es gibt nämlich auch Lösungen, die der Haut schaden, obwohl sie unbedenklich wirken oder die Reizung erst verzögert eintritt.“ Das mochte sein. Trotzdem war mir als wäre das nicht der eigentliche Grund gewesen. Mir fehlte ein Puzzleteil um Joshua zu verstehen. Danach zu fragen erschien mir jetzt nicht angebracht. „Dann weißt du also nicht, mit was Johannes die Probe verunreinigt hat?“ „Als nächstes hätte ich eines der Spektrometer benutzen müssen, um eine genaue Analyse der Zusammensetzung der Probe zu erhalten. Aber das hätte mich Zeit gekostet.“ Das stimmte. Zumal es wichtigere Dinge gab für die die großen Geräte genutzt wurden. Joshua hätte im schlimmsten Fall ziemlich lange warten müssen, wodurch es für ihn einfacher gewesen wäre, das Experiment nochmal von vorne zu starten. Aber hätte Johannes in dem Fall aufgehört? Ich musterte Joshua und war mir sicher das Johannes nicht eher aufgehört hätte Joshuas Proben zu verunreinigen, ehe Joshua nicht vollends gedemütigt worden wäre. Johannes war so dumm, dachte ich. Diese ganze Racheaktion war für die Katz. Das hätte Johannes eigentlich klar sein sollen. „Letzten Freitag war ich bereits bei McFloyd und habe ihm davon berichtet. Er wollte sehen, wie es die nächsten zwei Wochen weiter geht, ehe wir alles noch mal auf Null setzen.“ Ja, das war nur vernünftig, dachte ich weiter. Es dauerte einen Moment, ehe mir der Sinn der Worte vollends klar wurde. Joshua hatte McFloyd bereits letzten Freitag davon unterrichtet? „Du hast was?“ Ich starrte ihn an wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Joshua sah etwas irritiert zurück, während mir das Herz raste. „Ich hatte-“ „Du hattest den Chef wegen der Proben bereits informiert?“, fragte ich weiter. „Ja.“ „Und als ich dir Dienstag von Johannes erzählte, hast du es nicht für nötig gehalten mir das zu sagen?“ „...“ „Stattdessen hast du zugelassen, dass ich mir solch einen aberwitzigen Plan ausdenke und dass ich Elias mit reinziehe?“ „Der offizielle Weg ist, den Chef bei solchen Angelegenheiten zu informieren. Aber als ich deinen Vorschlag hörte-“, wieder unterbrach ich Joshua. „Ich weiß, dass das der offizielle und richtige Weg ist! Es hat nie einen Grund gegeben mich einzumischen! Warum hast du mir das nicht schon vorgestern gesagt?!“, fuhr ich ihn an. Die Panik saß mir gerade so richtig im Nacken. Was warf das bitte für ein Bild auf mich? Ich war noch in der Probezeit, die Regeln missachtend und Selbstjustiz ausübend. Ich überging den Chef wissentlich. Sicherlich war es leichter um Verzeihung als um Erlaubnis zu bitten, aber etwas Falsches zu tun, während der Chef davon wusste und zusehen konnte, wie ich ins Messer lief, war verdammt noch mal UNCOOL! Ich konnte nicht glauben, dass Joshua so was Wichtiges für sich behalten hatte! „Hätte ich gewusst, dass der Chef eingeweiht war, hätte ich mir so was nicht ausgedacht! Und dann ständen nicht so viele Jobs auf dem Spiel! Wer weiß, wen der Chef alles feuern wird.“ „Wer sollte denn gefeuert werden?“, fragte Joshua nach. „Ich weiß nicht“, entkam es mir etwas zu patzig. „Ich, du, Elias, Johannes?“ „Elias wird vielleicht eine Standpauke bekommen, so wie ich, aber wir werden nicht gefeuert. Johannes könnte vielleicht eine Kündigung bekommen oder er wird Strafversetzt. Und warum sollte er dich feuern?“ „Weil es meine Idee war?“ Mein Ton strotze vor Sarkasmus. „Ich bin noch in der Probezeit. Mich zu feuern, kostet ihm nur ein müdes Lächeln.“ Ich hoffte, ich klang nicht so panisch, wie ich mich fühlte. Aber Joshuas Ruhe machte mich nur noch nervöser. „Dass du in der Probezeit bist, heißt nichts. Außerdem klang er nicht so, als ob er jemanden die Schuld geben wollte.“ „Du hattest aber alles im Griff. Warum lässt du einen unbekannten Kollegen sich einmischen? Zu viele Unbekannte verderben das Ergebnis. Wenn du schon so auf Korrektheit stehst, dann solltest du diese Grundlage auch beherrschen!“ Joshua beäugte mich mit seiner stoischen Ruhe. Verstand er überhaupt in welcher Bredouille ich steckte? „Wenn ich dir vorgestern davon erzählt hätte, hättest du den Vorschlag, dass Johannes gesteht, nicht erwähnt?“, fragte Joshua nach. „JA!“, sagte ich mit Nachdruck. „Warum?“ „Wie, was, warum?“ „Warum hättest du ihm nicht helfen wollen, sich selbst zu helfen?“, präzisierte Joshua seine Frage. Ich strich mir über die Schläfe. So langsam bekam ich Kopfweh. „Warum, warum … Warum sollte ich mich in etwas einmischen, worum sich andere kümmern? Die Frage ist, warum hast du mir nicht sofort davon erzählt?! Wusste Elias davon?“ „Ich nehme an, dass er davon ausgegangen ist, dass ich McFloyd Bescheid geben habe.“ Toll. Best Buddys konnten auch noch Gedanken lesen. Ich warf meine Arme in die Luft und schlug sie über meinen Kopf zusammen, während ich aufgesprungen war und nun durch den Raum tigerte. „Max, es ist alles gut. Wie gesagt, habe ich McFloyd alles berichtet. Hätte er deine Idee nicht gutgeheißen, hätte er sie von vornherein gestoppt. Beruhige dich bitte. Du brauchst dir nicht so viele Sorgen zu machen.“ „Ja, sicher! Du kannst nicht mit aller Gewissheit sagen, dass der Chef sein Wort hält. Was auch immer ihr da besprochen habt. Vielleicht überlegt er es sich übers Wochenende anders.“ Ich bezeichnete mich selbst als recht uneigennützigen Menschen. So zu handeln, dass es nicht zum eigenen Vorteil gereichte, machten nur wenige Menschen. Selbst sehr soziale Leute konnten im Ernstfall nur sich selbst retten. Den weißen Ritter wie im Märchen, den edlen Helden gab es nicht. Und ebenso wenig gab es Obrigkeiten, die ihr Wort hielten. Zumindest war mir bisher noch keiner begegnet. Menschen die eine Machtposition inne hatten, wollten doch alle nur noch mehr Macht. Selbst der Pastor von daheim, war nach innen nicht so heilig wie er sich gerne gab. Selbst wenn Joshua den Chef fünf lange Jahre kannte, so garantierte das nicht, dass MIR nichts passieren würde. Vielleicht lag es daran, dass ich noch nicht lange hier arbeitete oder dass ich allgemein den Leuten eher Misstrauen entgegenbrachte, aber ich konnte Joshuas Unbesorgtheit nicht teilen. Wütend war ich davon gestapft und hatte Joshua einfach stehen lassen. Er war klug und hatte von Anfang an die richtigen Entscheidungen in Bezug auf sein Projekt getroffen. Er war zielgerichtet und achtete die Regeln. Wie Johannes gesagt hatte. Umso weniger verstand ich warum jemand so korrektes nicht sofort einer dümmlichen Idee eines Neulings Einhalt gebot!? Stattdessen ließ er sich von mir überreden und brachte sogar unseren Vize dazu mitzumachen. Zu Schulzeiten hätte ich so jemanden wie mich einen Störenfried genannt. Jemand der immer nur Faxen und Dummheiten im Kopf hatte, aber sonst zu nichts zu gebrauchen war. Oh, Gott! Sahen sie mich vielleicht sogar als solchen?! Dabei war ich ein normales Betamännchen, dass eher mitlief oder sein eigenes Ding aufzäumte, anderen half und versuchte keinen Ärger auf sich zu ziehen! Ich schickte Stoßgebete los und hoffte inbrünstig, dass ich mich mit dieser Aktion nicht gebrandmarkt hatte. Falls ja, könnte ich von Glück reden, wenn ich doch gefeuert werden würde. Dann müsste ich nicht mit einem Image rumlaufen, dass ich zu Unrecht hatte. Ich seufzte schwer und ließ meine Schultern sinken. Meine Anspannung löste sich. Ich saß auf einer Bank im Grünen bei irgendeinem Trakt. Ich war einfach losgestürmt und hatte Joshua stehen lassen... Nun hob der Wind sich sachte und strich durch die Blätter nah stehender Bäume. Das Rauschen der Blätter und die wärmenden Sonnenstrahlen nahmen mir meine Wut nach und nach. Ich konnte nie lange böse sein. Schlechte Gefühle wallten zwar mal auf, aber ebbten ebenso schnell ab. Besonnener ließ ich alles noch mal Revue passieren. Der Chef hatte mich nur angesehen und nicht zusammengestaucht. Ich glaubte kaum, dass er mein Verhalten schätzen würde, aber so sehr verbockt wie Johannes hatte ich es auch nicht. Und Joshua … Ich seufzte nochmal und würde mich am liebsten hinter einem Kissen verstecken. Ich war ihn angefahren ohne seine Sicht zu hören. Das war sonst auch nicht meine Art. Selbst bei Johannes hatte ich darauf bestanden, dass man seine Sichtweise kannte. Aber Joshua gab ich dazu keine Gelegenheit? Rühmte ich mich nicht dauernd damit, dass man keine 100%igen Aussagen treffen konnte, wenn man nicht alle Variablen kannte? Ich musste mich für meinen Ausraster entschuldigen. Wenn ich dann noch Glück hatte, erzählte mir Joshua vielleicht, was er den Tag hatte sagen wollen. Nichtsdestotrotz blieb ich ein Arbeitskollege. Die Nächte hatten sich so locker angefühlt, aber heruntergebrochen und ehrlich gesprochen, war ich mit niemanden hier befreundet. Meine gute Arbeit, der Abschluss meines Beginnerprojektes und die Freundlichkeit von Elias und Joshua hatten mich leichtsinnig werden lassen. Wie schon erwähnt, fühlte ich mich schnell heimisch, wenn ich jemanden gut leiden konnte. Dass das nicht auf Gegenseitigkeit beruhte, wusste ich und dennoch … dieser Fehler passiert mir immer wieder. Ich seufzte lauter und fuhr mir übers Gesicht, die Stirn, durch meine Haare und in den Nacken. Warum war das Zwischenmenschliche manchmal so verflixt schwierig? Egal, in solchen Fällen blieb nur, auf den eigenen Bauch zuhören. Wenn es gut lief, fein. Wenn nicht, hatte ich achtundvierzig Stunden Zeit mich selbst zu hassen. In solchen Momenten schlichen sich immer diverse Sprüche und Alltagsweisheiten in meine Gedanken. Dazu sei erwähnt, die Schuld daran, trug eindeutig Binks. Er war ein ganz alter Freund von mir. Wir kannten uns schon ewig. Seine größte Macke zu Schulzeiten war es, bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Floskeln, Kalendersprüchen oder Volksweisheiten um sich zu werfen. Ich fand es immer schon albern und unnötig. Manchmal wirkte Binks dadurch wie der größte Klugscheißer der Welt. He, trotzdem … durch Jahre langes observieren, prägten sich die Bekanntesten ein. Als ich ins Labor zurückkehrte, war es verlassen. Kein Joshua, kein Elias, kein Johannes (gut, den werde ich wohl nie wieder sehen). Ich trat auf den Flur und hörte mich etwas um. Nach einer guten Runde Such-die-Antwort, wurde ich fündig. Joshua war vorhin gesehen worden, wie er das Gebäude verlassen hatte. Elias verweilte immer noch im Büro des Chefs und die Sagen um Johannes wollte ich nicht wiedergeben. Ich starrte im leeren Labor um mich und hätte am liebsten frustriert aufgeschrien. Wie sagte Binks so gerne: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Mit schlechtem Gewissen startete ich mein Wochenende. Die Tage zogen sich wie Gummi und ich dachte viel zu oft an die Arbeit und an Joshua. Leider im schlechten Sinne. In meinem stillen Kämmerlein namens Wohnung malte ich mir aus, wie sauer Joshua wegen meines Verhaltens sein könnte. Dass ich nun denselben abschätzigen Blick wie jene Bürotippsen ernten könnte, wenn wir uns begegnen würden. Dass Elias mich mit Arbeit zuschütten würde, falls ich nicht gefeuert worden wäre. Niederste Arbeiten mein Leben lang! Und wenn man mich doch feuerte? Würden meine Eltern davon erfahren, erfanden sie sicherlich ein neues Fest und steckten mich zurück in die Pastorenschule. Das war viel grausamer als jeder verachtende Blick auf Arbeit! Ich hielt es damals nur einen Monat aus. Jeden Tag bettelte ich auf eine normale Schule gehen zu dürfen. Meine Mutter blieb eisern, während mein Vater irgendwann nachgab. Das gelang mir nur, weil ich das Thema jedes Mal zu Beginn des Pferderennens anschlug. Um nicht länger von mir bei seinem liebsten Hobby gestört zu werden, schlug ich ihm vor, das Thema mit einer Wette zu beenden. Ein für alle Mal. Sollte er gewinnen, machte ich anstandslos alles, was meine Mutter von mir verlangte. Sollte ich gewinnen, ging ich auf eine normale Schule in der Nähe, machte mein Abi und suchte meine Uni selbst aus. Meine Mutter war hin und weg von der Idee gewesen. Mein Vater sowieso. Er glaubte im Wetten sei er mir eindeutig voraus! Was sie nicht wussten war, dass ich mich Wochen vorher mit diesem Plan auseinandergesetzt hatte. Ich war mir der Höhe des Wetteinsatzes durchaus bewusst. Darum hielt ich mich in Wettforen auf, lass mir Statistiken durch und ehrlich, wenn man die einmal verstanden hatte, war es ziemlich leicht. Vater behauptete, dann ginge der ganze Spaß am Wetten verloren. Aber hey! Ich wollte leben und mein Leben nicht verwetten. Vater setzte auf seinen Lieblingsjockey. Ich nahm seinen Ex-Lieblingsjockey, dessen Pferd Maximilian hieß. Interessanterweise erlebte der Jockey von Maximilian eine Pechsträhne, während ich begann gegen meine Eltern zu rebellieren. Vater verlor viel Geld und sein erster Sohn nervte ihn. Genug Gründe sich einen neuen Liebling zu suchen. Allerdings hatte der neue Jockey in diesem Rennen ein anderes Pferd und es war herausgekommen, dass es auf weichen Untergründen etwas an Geschwindigkeit verlor. Als das nächste Rennen stattfand, war die Rennstecke von dem Unwetter der vergangenen Nacht noch vollkommen durchweicht gewesen. Ich setzte auf Maximilian und gewann nach einem aufregenden Kopf an Kopf rennen die Wette. Vaters Jockey verlor nach der letzten Kurve an Geschwindigkeit und wurde nur dritter. Es war das erste Mal, dass ich stolz war nach diesem Pferd benannt worden zu sein. Leider würden mir weder Maximilian noch meine eingerosteten Wett- und Statistikkenntnisse in der jetzigen Situation weiterhelfen können. Mein Wecker klingelte pünktlich um sechs Uhr am Montagmorgen. Für einen Moment war ich verwirrt und fragte mich, warum mein Wecker überhaupt klingelte. Langsam, wie zäher Honig, tröpfelte mein Bewusstsein zurück in meine müden Hirnwindungen. In solchen Momenten war ich überzeugt, dass auch Neuronen und Nervenzellen Startschwierigkeiten hatten. Wie Windows. Demnach hatten Alzheimer und alle Erkrankungen vom Hirn nur damit zu tun, dass die neuronalen Verbindungen Urlaub genommen hatten, weil sie von der ganzen irdischen Scheiße die Nase voll hatten. Aber gut, ich war kein Biologe und kein Mediziner. Allerdings glaubte ich auch, dass kein Psychiater der Welt mir meinen Sarkasmus in solch verwirrten, mentalen Zuständen austreiben könnten. Wecker aus, aus dem warmen Bett geschält, schloss ich das Fenster. Gähnend und höchst unmotiviert ging ich in mein Wohnzimmer. Meine Wohnung war klein, aber für Zwei-Zimmer wiederum recht geräumig. Am Vorabend hatte ich meine fertige Arbeit in zweifacher Ausführung auf den Wohnzimmertisch gelegt. Drumherum lagen die Zettel mit den wichtigsten Ideen und Anmerkungen, mit denen ich mich am besten entschuldigen konnte. Meine Motivation sank weiter und ich lehnte schlapp am Türrahmen. Hatte ich eine Lust… Ich starrte noch weitere fünf Sekunden auf den Tisch. Dann stieß ich mich vom Türrahmen ab, stellte das Radio laut und ging duschen. Dazu möchte ich erwähnen, dass ich ein Abendduscher war. Morgens war mein Verstand schnell wach und aktiv, mein Körper genoss indes gerne die Restwärme vom Bett. Duschen zu gehen, machte dann nur unnötig wacher. Abends zu duschen hatte auch den schönen Effekt, dass man frisch und durchgewärmt ins Bett fallen konnte. Heute jedoch brauchte ich die extra Portion Wachheit und das belebende Gefühl alle Sorgen abgespült zu haben. Dazu frische Klamotten, eine dunkle Jeans, sportlich-elegante Schuhe, ein grünes Shirt und einen dieser modernen Jackett-Blaser mit den Flicken auf den Ellenbogen. Ich besah mir das Ergebnis im Spiegel und staunte nicht schlecht. Zuletzt war ich zur Exmatrikulation so schick gekleidet gewesen. Ich nahm mir vor meinen Kleiderschrank dahingehend nochmal zu überarbeiten. Dann könnte ich öfter so adrett aus dem Haus. Wie ich mich kannte, würde dieser Vorsatz mit dem Verlassen meiner Wohnung aus meinem Gehirn gelöscht werden. All meine Sieben Sachen beisammen, machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. In der Tram war wenig los, die Sonne war bereits aufgegangen. Heute war es etwas diesig und frisch. Erst zum Nachmittag und Abend hin sollte sich das Wetter bessern. Kurz vor acht Uhr betrat ich das Foyer und zog meine Karte durch. Mir kamen erstaunlich wenige Kollegen entgegen. Je näher ich dem Labor kam, desto nervöser wurde ich. Oh man… mein Magen rebellierte schon. Die Labortür öffnete sich und ich wollte alle mit einem freundlichen „Guten Morgen“ begrüßen. Nach dem ersten Wort verebbte meine Stimme, denn es war niemand da. Meine Laune sank. Dann ging es so weiter wie es Freitag aufgehört hatte, ja? Tss, von wegen „Wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere.“ Binks und seine blöden Sprüche! Er war der Letzte, den ich Momentan sehen wollte und trotzdem dachte ich immer wieder an seine blöden Sprüche. Wie dem auch sei, ich trat an meinen Tisch und stellte meine Tasche ab. Zum Glück hielt solch ein Status von „Alles auf Anfang“ oder „Alle gegen einen“ nicht besonders lange an. Als ich den Flur entlanglief, kam mir Elias entgegen. Er wirkte wie immer. Ich hielt an und begrüßte ihn. Wie üblich flachste Elias etwas rum, erzählte von seinem Wochenende und wie sehr ihm seine Kinder auf trapp gehalten hatten. „Wie war dein Wochenende?“, fragte er schließlich. Ich stöhnte innerlich. Wie konnte er das nur fragen? „Naja. Wirklich genießen konnte ich es nicht. Das hier ist mein erster Job und ich wurde noch nie offiziell zum Chef beordert, also hab ich mir hauptsächlich den Kopf zerbrochen, was passieren könnte.“ Das stimmte sogar. Die Sache mit Joshua und wie sehr mich das alles doch mitnahm, erörterte ich hier nicht. „Gerade wollte ich dich auslachen, weil du wirklich nichts zu befürchten hast. Glaub mir. Aber es stimmt. Als ich das erste Mal zum Chef beordert worden war, war mir auch bange zumute. Allerdings war das in einem anderen Labor und der Chef dort viel furchteinflößender als McFloyd. Kopf hoch“, sagte er und klopfte mir auf die Schulter. Seine Worte munterten mich wirklich etwas auf. Zumindest soweit, dass ich meinen Mut nun auch fühlen konnte und ihn nicht nur mit falschem Lächeln vorspielte. McFloyds Büro lag im Zentrum der Anlage. Zusammen mit den Sekretärinnen und einigen anderen Sachbearbeitern besetzte er einige Räumlichkeiten, welche nur durch Glaswände voneinander getrennt waren. Es war ein gläsernes Büro. Tische, Stühle, Computer, Aktenschränke, Personen, Pflanzen und Kabel, alles sah man. Nur einmal hatte ich das Büro des Chefs als einzelne Zelle verdunkelt gesehen. Elias hatte mir erklärt, dass in den Zwischenräumen der Glaswände zu seinem Vier-mal-Vier-Meter Reich eine spezielle Schicht mit Bakterien in einer zähen Flüssigkeit eingelassen worden war. Drückte McFloyd einen Knopf an seinem Tisch, wurde diese Bakterien stimuliert, vermehrten sich rasend schnell und sorgten durch ihre schiere Masse für diesen Verdunklungseffekt. Für mich wirkte es immer ein bisschen wie eine polarisierende Sonnenbrille. Anders als normale Glasscheiben, waren die Wände des Büros Wärmebeständig und Schalldicht. Nun … dann hörten die Vorbeigehenden nicht wie ich unterging, aber sahen das Spektakel. Ich klopfte an der gläsernen Tür an. Es klang nicht hohl wie Glas zu klingen hatte, sondern eher wie Plastik. Fasziniert starrte ich auf das durchsichtige Material vor mir, ehe mir aufging, dass die Person im Büro mir amüsiert dabei zu sah, wie ich etwas scheinbar Unsichtbares musterte. Die Peinlichkeit schluckte ich herunter. Ich öffnete die Tür und mein Puls stieg sprunghaft an. Ich hasste stressige Situationen. Vom Gefühl her kam ich mir vor, als müsste ich einen Vortrag vor der Klasse halten oder meine Facharbeit vor meinem Dozenten verteidigen. Ich atmete langsam und tief ein und ebenso langsam wieder aus, als ich mich auf den Stuhl setzte, der mir angeboten worden war. „Guten Morgen“, begrüßte ich McFloyd. Er nickte freundlich zurück. „Guten Morgen. Nun, was führt Sie zu mir?“ Will er mich verarschen, dachte ich spontan. Mit einem eher zögerlichen Lächeln holte ich meinen Bericht hervor und legte ihn vor McFloyd auf den Tisch. „Heute ist der Abgabetermin für meinen Bericht.“ „Ahh, ja, Ihr erstes Experiment, nicht wahr? Und wie fanden Sie es? Sagt Ihnen diese Art Experiment zu?“ Verwirrt blinzelte ich und lehnte mich ungewollt im Stuhl etwas zurück. Diese unbesorgte und fröhliche Art war so gar nicht das gewesen, was ich erwartet hatte. „Eh, naja …Also, die äh Durchführung und Organisierung ist alleine recht aufwendig. Das Arbeitspensum fand ich angemessen und die Hintergrundrecherche war sehr aufschlussreich. Ich denke, alles in allem sagt mir diese Art zu“, antwortete ich stockend. McFloyd nickte meine Antwort ab und blätterte durch meine Arbeit. Hier und Da hielt er inne, las flüchtig rein und sah sich die Tabellen und Grafiken an. „Gut, gut. Der erste Eindruck scheint sehr sorgfältig zu sein. Wenn Sie meinen, die Organisation wäre aufwendig, darf ich daraus schließen, dass Sie eher in einem Team arbeiten wollen?“ Sie dürfen daraus schließen, dass ich überhaupt noch hier arbeiten möchte! Ich spannte mich mehr an und saß überaus gerade in meinem Stuhl. Meine Unbehaglichkeit schien er zu bemerken. „Sagen Sie nicht, Sie arbeiten lieber alleine? Ich habe Sie als sehr kontaktfreudig eingeschätzt und ihr Abteilungsleiter stimmte dem ohne Zweifel zu.“ „Elias?“, platzte es aus mir heraus. Die Augenbrauen McFloyds hob sich. Der Anblick verwirrte mich zusätzlich für einen Moment. Ich fing mich und rückte in meinem Stuhl zurecht. „Verzeihung. Herr Mayer hat über mich gesprochen? Das wusste ich nicht“, gab ich zu. „Aber das ist es nicht. Ich … nun ja, ich wollte fragen, was aus der Sache am Freitag geworden ist? Sie sagten doch, Sie wollten mich sprechen.“ McFloyd überlegte einen Moment. Ich konnte ihm regelrecht beim Denken zusehen. „Ach, die Sache“, erinnerte er sich endlich. „Da gab es wohl ein Missverständnis. Ich wollte Sie lediglich für ein Team einteilen. Dass Sie dazu Ihren Bericht abgeben, passt perfekt.“ „Hä? A-Aber was ist mit Johannes? Und dass Sie meinen Abteilungsleiter zu sich gerufen haben.“ Langsam schien McFloyd mein Dilemma zu verstehen. Er nickte langsam, als hätte er laut „A-ha“ gesagt. Allerdings verstand dieser Mann es selbst ohne Töne seinen Standpunkt zu zeigen. „Mir wurde bereits nahegelegt, dass Sie da etwas falsch verstanden haben könnten.“ Echt? Von wem? „Die Suspension von Johannes Wind ist, wie sie ist. Dank Joshuas Aussagen und den am Wochenende bestätigten Ergebnissen der verunreinigten Proben, werden wir bei seiner Anhörung geeignete Maßnahmen treffen.“ Ich schluckte schwer. Wieder bekam ich etwas Mitleid mit Johannes. Aber Gefühle rechtfertigen sein Tun nun mal nicht. McFloyd fuhr fort: „Das Gespräch mit Abteilungsleiter Mayer kam spontan und eigentlich nur Ihretwegen. Sie fielen mir auf dem Flur auf und ich wollte eine Bewertung ihrer Arbeit von ihrem Abteilungsleiter hören, ehe ich mich entschied.“ Meine Seele war zwischenzeitlich schon auf Abwege geraten, ich schwöre es! Doch ich wartete geduldig und mit schwitzenden Händen sein Urteil ab. „Da er nur Gutes über Sie zu erzählen hatte, möchte ich Sie gerne als nächstes in ein besonderes Team stecken.“ „In was für ein Team denn?“, fragte ich vorsichtig nach. McFloyd grinste breit. „Sie kennen ihn bereits. Joshua Fritz. Er ist zwar Einzelgänger, aber mir kam zu Ohren, dass sie einander bereits kennen. Der Vorfall mit Wind war unangenehm und Joshua ist ein guter, beständiger Arbeiter. Seine Ergebnisse sprechen für sich, doch fehlt ihm im sozialen Umgang das Feingefühl. Etwas, von dem Sie scheinbar genügend haben. Ich denke Sie werden einander gut ergänzen. Oder möchten Sie nicht mit ihm in eine Gruppe?“ „Ah, eh, nein, ich meine … sehr gerne.“ Ich neigte den Kopf zum Dank und konnte nicht glauben, was für ein Glück ich hatte. Scheinbar hatte ich mir mal wieder unnütze und vorschnelle Gedanken gemacht. Trotz meiner Freude fühlte ich mich schlecht. Mir schwante, dass Joshua mir das bereits am Freitag sagen wollte, ehe ich ihn angefaucht hatte. Die Entschlossenheit mich bei ihm zu entschuldigen, rückte noch dringlicher auf meinen gedanklichen Platz Eins. McFloyd erklärte mir das weitere Vorgehen und reichte mir einige Unterlagen zu Joshuas Experiment. Ich stutzte als ich nicht nur von einem Experiment las, sondern mehreren. Das Skript, welches ich bereits kannte, war nur die Spitze des Eisberges. Auf Grundlage dieser ersten Forschung stellten sich weitere Möglichkeiten hinten an. Scheinbar sollte ich, wenn ich mich gut anstellte, zukünftig ein festes Team mit Joshua bilden. Ob ich dann auch nachts arbeiten musste? Kurz haderte ich mit mir, ob ich den Chef wegen der Sache mit dem Plan nochmal befragen sollte. Entschied mich aber dann dagegen. Der Chef schien es nicht als schwerwiegend anzusehen und Elias und Joshua meinten beide, ich bräuchte mir deswegen keine Gedanken zu machen. Vielleicht war das eines dieser Dinge, die man einfach ruhen lassen sollte? Als ich die Bürotür hinter mir geschlossen hatte, konnte ich kaum meine Schritte zügeln, um von diesen gläsernen Beobachtungsposten wegzukommen. Außer Sichtweite lehnte ich mich gegen eine Wand und atmete aus. Erleichtert und irgendwie ziemlich happy. Mit solch einem Ausgang hatte ich wirklich nicht gerechnet. Nun musste ich nur noch mit Joshua reden. Zu meinem Glück – davon hatte ich heute wahrlich reichlich – kam er mir im nächsten Flur entgegen. Ich grinste unwillkürlich als ich ihn sah. Nach wenigen Schritten standen wir uns gegenüber. Ich grinste immer noch wie blöd. „Hallo. Darf ich fragen, warum du so lächelst?“, begann Joshua. „Klar, darfst du, aber vorher“, sagte ich und verneigte mich tief vor ihm, die neuen Unterlagen fest an meine Brust gedrückt: „Es tut mir wirklich leid, dass ich dich Freitag so angefahren habe. Ich hätte dich ausreden lassen sollen. Tut mir leid.“ Reumütig sah ich ihn an. Joshua war etwas perplex. Flüchtig schüttelte er den Kopf und schenkte mir ein vorsichtiges Lächeln. „Keine Ursache. Es war nicht so schlimm, wirklich. Aber warum grinst du nun?“, fragte Joshua. Denn ich grinste wirklich schon wieder. Breiter als zuvor. „Ich freue mich einfach“, gestand ich. Und wie ich mich freute! Nicht nur hatte ich mir unnötige Gedanken gemacht meinen Job verlieren zu können und hatte damit mein Wochenende ziemlich ruiniert, sondern Joshua war so gnädig mir zu verzeihen UND ich durfte mit ihm arbeiten. Das bedeutete nicht, dass wir Freunde werden würden, aber ich fand es war ein guter Anfang. Joshua musterte mich noch einmal genauer, dann entspannte er sich und neigte den Kopf. „Dann ist ja gut.“ Das Lächeln in seinen Augen verschlug mir glatt die Sprache. „Da du alles geklärt hast, wollte ich dich fragen, ob du heute Abend Zeit hast.“ „Heute Abend? Wofür?“ Mein Puls schnellte wieder hoch. Dabei hatte er sich gerade erst von der Aufregung im Büro erholt. „Ich wollte gerne mit dir Essen gehen, wenn du magst.“ Baff sah ich ihn an. Ehe mein Herz mir flatternd aus dem Hals springen konnte, fragte ich mit kratziger Stimme nach: „Als neue Kollegen? Weil wir demnächst als Team arbeiten sollen?“ Nun wirkte Joshua ebenso baff. Sein Blick taumelte etwas, ehe er die Dokumente in meiner Hand erspähte. Ich reichte sie ihm und meine Hoffnung sank. Sein Blick wurde ernster, verschlossener, beinahe etwas geknickt. „Ja“, räusperte er sich und gab mir die Unterlagen zurück. „Ist halb acht ok?“ „Ja, klar.“ „Gut, dann halb acht am Brunnen im Lindenpark.“ Ich freute mich, nickte und grinste zurück. Joshua indes entschuldigte sich und schritt eilig an mir vorbei. Ich lunschte ihm hinterher und sah wie er in das Büro des Chefs ging. Ohne Klopfen war schon dreist. Ich sah beide Männer reden. McFloyd stoisch gelassen wie eben schon, während Joshua sich mit den Händen auf den Tisch abstützte und diskutierte. Jedoch kam er mit seiner Argumentation nicht weit und setzte sich schließlich auf den Stuhl nieder, auf welchen ich kurz zuvor gesessen hatte. Joshua lehnte sich vor und vergrub seinen Kopf in seinem linken Ellenbogen. Wie ein Kind das trotzig war, weil es nicht das bekam, was es wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)