Der Schnee schmilzt - Doch Träume währen ewig von irish_shamrock (für Makoto17 [WW 2021]) ================================================================================ Kapitel 1: Der Schnee schmilzt - Doch Träume währen ewig -------------------------------------------------------- Der Schnee schmilzt - Doch Träume währen ewig Das stetige Tropfen der schmelzenden Eiszapfen hätte ihr beinahe den letzten Nerv geraubt, wäre sie nicht zu beschäftigt damit, ihre Nase in die Bücher zu stecken. Sie war keine herausragende Schülerin. Das Lernen in der Gruppe fiel ihr leichter, als das eintönige Selbststudium. Und immer dann, in diesen Momenten der Einsamkeit, wünschte sie sich ihre quirligen Freundinnen zurück. Doch es war ihr Wunsch und fester Wille, Tokio zu verlassen, um ihrem Traum nachzujagen. Denn sie wurden erwachsen, alle. Durchhaltevermögen zahlte sich aus. Das hatte ihnen Ami mehr als ein Mal zu verstehen gegeben. Und sie behielt Recht. Die Mühen, die vielen schlaflosen Nächte, die Fülle an Informationen, Rechenformeln, chemischen Zeichen des Periodensystems – selbst das Kauderwelsch, das sich als englische Sprache erwies – all das trug Ergebnisse mit sich, mit deren Erfolg Makoto Kino einen weiteren Stein ins Rollen hatte bringen können. Nun saß sie hier, in der kleinen Wohnung über einer Apotheke in einer Stadt soweit von der japanischen Insel entfernt, dass die Zeitverschiebung einen Anruf bei ihren Freundinnen beinahe unmöglich machte. Wann immer sie Sorgen hatte, Hilfe benötigte, sie ihre Finger flink über das Display ihres Mobiltelefons gleiten ließ – das Resultat war in den meisten Fällen dürftig. Ami war mit ihrem Medizinstudium beschäftigt. Rei hatte sich als Texterin für angehende Künstler der Musikbranche einen Namen gemacht. Minako jettete durch die Welt und ergatterte Jobs in Film, Fernsehen und Modezeitschriften. Selbst Usagi hatte es nur dem strengen Blick Reis, der Gutmütigkeit Amis und ihrem inneren Schweinehund zu verdanken, eine Ausbildung in einer Kindertagesstätte ergattert zu haben. Makoto seufzte und schlug das Lehrbuch zu. Ihr qualmte der Kopf von dem, was sie sich so hart erarbeitet hatte. Warenkunde war für ihren Traumberuf unerlässlich und doch mindestens genauso trocken, wie der Biskuitboden, den Jean in der letzten Woche zu lang im Ofen hatte backen lassen. Für einen Lehrling im zweiten Ausbildungsjahr erschien der junge Franzose ein wenig fahrig und nachlässig. Makoto hingegen war ehrgeizig und strebsam. Mit Anfang zwanzig gehörte sie bereits zu den älteren Semestern, da die meisten ihrer Mitschüler ein wenig jünger waren, doch gab es auch Kameraden jenseits der fünfundzwanzig, die sich für eine Ausbildung zum Zuckerbäcker entschieden. Einige hatten bereits einen ersten Beruf erlernt, standen mit den Beinen fest im Leben und konnten, durften oder mussten einen neuen Weg die Karriereleiter hinauf erklimmen. Sie raufte sich zusammen, paukte, erwarb sich Wissen über die Konsistenz der verschiedenen Massen, trennte an einem Tag gut 500 Eier in Dotter und Eiweiß, legte an Muskeln in den Armen zu, wenn das Kneten von Hefeteig es verlangte, schmolz Kuvertüre, kochte Zucker für Schaustücke, die die Schaufenster und Auslagen der kleinen Bäckerei verzierten und fiel nicht selten erschöpft ins Bett. In ihren Träumen war aus ihr bereits eine hervorragende Konditorin geworden. Sie nannte einen Laden ihr Eigen, der nicht nur Gebäck und Kuchen anbot, auch waren Blumen und Pflanzen ein Bestandteil ihres Konzepts. Sich als backende Floristin vorzustellen, eine Visitenkarte mit einem Emblem aus Tortenstück und Blumenbouquet – Flora 'n Cakes. Allein bei dem Gedanken daran begannen ihr die Fingerspitzen zu kribbeln. Sie beschrieb sich selbst nie als herausragende Künstlerin, was den Umgang mit Bleistift, Pinsel und Staffelei betraf, doch ihre Tortenkunst, die Zubereitung vieler anderer Gerichte oder das Binden von Blumenarrangements machten die Kritzeleien auf den kleinen Notizblöcken allemal wett. Sie musste nur noch etwas durchhalten. In wenigen Monaten, wenn der meist mit Wetterkapriolen auftretende April in den sanften Mai überging, stünde auch sie vor ihrer Feuertaufe. Sie würde ihre Gesellenprüfung ablegen, in der Handwerkskunst sowie der Theorie. Nach dem schriftlichen Teil würden sie und ihre Mitstreiter, zur Jahreshälfte hin, zur Praxis gebeten, um unter den strengen Blicken der Meister ihre Fertigkeiten zu präsentieren. Doch noch galt es, zu lernen und zu arbeiten. Makoto hoffte, dass die Aufregung nach der nervenzehrenden Theorieprüfung verflog. Das Handwerkliche ging ihr leichter von den Fingern. Nur noch wenige Tage, dann würde ihnen das Prüfungsthema verkündet und es galt, sich an jener Aufgabenstellung zu orientieren, was den Aufbau des praktischen Teils betraf. Ein Muss sei es, so den Worten ihrer Kollegin und Junggesellin Aliné folgend, eine Formtorte mit einem Schaustück anzufertigen. Die Art der Böden, die Geschmacksrichtung der Füllungen – es bliebe den angehenden Konditoren überlassen, doch die Auswahl solle dem Thema entsprechend gewählt sein. Neben der Herstellung von Pralinen und Kleingebäck, wie Makronen oder gefüllten und mit Kuvertüre überzogenen Mürbeteigkeksen, würde es den Prüflingen überlassen, sich zwischen Blätter- oder Plunderteigstücken zu entscheiden, deren Zu- und Aufbereitung ebenso Bestandteil der Gesellenprüfung waren. Es wäre eine Schande für ihren Betrieb, sollte sie sich für Plunderteig entscheiden. Und obwohl das Aushängeschild der kleinen Konditorei wohlduftende Buttercroissants waren, legte der alte Meister und Inhaber großen Wert darauf, dass die Lehrenden sich auf die Feinheit des Blätterteiges verstanden. Ob sie bereits ein Konzept verfolge, hatte sich Clément, der junge Meister, bei ihr erkundigt, doch Makoto konnte nur unschlüssig mit den Schultern zucken. Dank Aliné habe sie eine grobe Richtung bekommen, doch was genau sie zu erwarten hatte, würde sich in den nächsten Tagen zeigen. Als sich der Januar dem Ende neigte, bot der Februar mit Schneewehen auf, die sich bis in den März hineinzogen. Unsicherheit und Zweifel nagten an ihr. Mitte Januar wurde den Prüflingen das Thema verkündet: Tropische Vielfalt Ihr kamen allerlei Blumenarten in den Sinn und wie sie diese in Schokolade oder Zucker würde umsetzen können. Doch nahmen ihr die Kollegen ein wenig der Hoffnung, da den Lehrlingen nur wenig Zeit blieb, um ihr Können zu beweisen. So brütete Makoto über einem Rohentwurf, den sie gemeinsam mit Meister und Gesellen ausgearbeitet hatte. Die Uhr ticke gnadenlos, erklärte ihr Aliné, die im letzten Jahr selbst am Zeitmanagement zu knapsen hatte. Und die Temperaturen seien auch ein gewichtiger Faktor, hatte die junge Gesellin ergänzt. Allmählich wurde ihr flau und bang im Magen. Wie sollte sie in so wenigen Stunden eine Prüfung bestehen, deren Möglichkeiten so bunt und reichhaltig erschienen, während ihr die Zeit wie Sand zwischen den Fingern verrann? Am Tage der theoretischen Prüfung half ihr nicht einmal mehr eine Tasse Tee über die Anspannung hinweg. Selbst die aufmunternden Worte ihre Kollegen vermochten die Aufregung nicht mildern. Angst und Scheu vor dem schriftlichen Teil saßen ihr wie ein schwerer Klumpen im Bauch. Sie solle die Ruhe bewahren und konzentriert bleiben, riet man ihr. Tief sog Makoto die frühlingshafte Luft in ihre Lungen, tat es ihren Klassenkameraden gleich und betrat das Gebäude, das ihnen nicht nur als Lehrstätte für die Theorie diente, sondern nun auch als Ort über Sieg oder Niederlage entschied. Worte und Zahlen verschwammen ihr beinahe vor den Augen. Doch sie tat ihr Bestes, schrieb, berechnete und zeichnete wenn es die Aufgabenstellungen verlangten. Die Kommunikation mit den Klassenkameraden sollte helfen, Frust und Erfolg zu teilen und vielleicht, so hoffte sie, würde all das Lernen mit guten Ergebnissen belohnt. Zum Leidwesen der angehenden Zuckerbäcker, würden ihnen die Resultate ihres Könnens erst mit Beendigung der Praxis zuteil. Die letzten Wochen zerrten an ihr. Die Kollegen waren sich der inneren Unstimmigkeiten und der Furcht Makotos gewiss. Die Nervosität äußerte sich nicht zuletzt in ihrer Arbeit und einer gewissen Dünnhäutigkeit, der sie verfallen war. Wenn eine Schale scheppernd zu Boden fiel, zuckte sie zusammen. Der Hefeteig wollte nicht aufgehen, der Mürbeteig verbrannte ihr im Ofen, von den Vorbereitungen auf die Prüfung ganz zu schweigen. Das Kochen des Zuckers hinterließ ihr Brandblasen an den Fingern, die Schokolade, die sie zum Modellieren auserkoren hatte, schmolz ihr unter den Händen. Von dem schillernden Zucker-Tukan blieb nicht viel übrig und auch der Kakadu wollte ihr von dem braunen Schokoladen-Ast rutschen. Makoto sah ihr Schaustück in sich zusammenfallen, noch ehe die Prüfung begonnen hätte. Ob sie nicht auf den Zucker-Vogel verzichten und statt diesem eher zu Blumen und tropischen Blüten neigen wolle, hatte Clément ihr angeraten. Gehetzt war ihr Blick, als sich Makoto der Uhrzeit vergewisserte und feststellen musste, dass auch die kleine Konditorei in dieser beschaulichen Stadt in wenigen Minuten seine Pforten schloss. Dass sie kaum noch Schlaf fand, erleichterte ihr die nächsten Tage nicht. Lang grübelte Makoto über die Worte des jungen Meisters nach. Sie solle sich nicht nur auf das Schaustück fokussieren, denn die Prüfer sähen bei jedem Gebäck genauer hin. Tiefe Ringe und fahle Haut zeichneten das Bild der jungen beinahe-Gesellin, als diese zum ersten Prüfungstag aufbrach. Sie würde sich nicht entmutigen lassen und arbeitete emsig und konzentriert an den ihr gestellten Aufgaben. Das Gesellenstück nahm mit feinen Biskuitböden und einer fruchtigen Füllung aus Mango und Passionsfrucht-Creme Gestalt an. Verziert mit Ranken aus gefärbter Kuvertüre zogen sich Schlingen und Lianen über die dünne Masse aus Fondant, das die blütenförmige Torte verkleidete. Pralinen aus Zartbitterschokolade mit Chillinote, weiße Trüffel mit Vanille und Vollmilch-Pralinés mit Espresso fügten sich gelungen in das Thema ein. Das Gebäck, bestehend aus verschiedenen Kekssorten die durch schokoladigen Mürbeteig und geschmeidig-samtener Canach mit knackigen Kakao-Nibs gefüllt waren, nahm ebenso Form an. Der Blätterteig schien ihr besser von der Hand zu gehen, als Makoto annahm. Doch das Endprodukt würde erst am nächsten Prüfungstag seine endgültige Bestimmung erfahren. Auch wenn der Rohbau des Tropenvogels bereits in groben Zügen zu erkennen war, würde auch er das Schicksal von Blätterteig und Zucker-Blumen teilen müssen. Hatte Makoto den ersten Tag erfolgreich hinter sich gebracht, zeigte sich, dass die letzten Stunden bis zur Bekanntgabe der Ergebnisse nicht minder von Stress und Unruhe gezeichnet waren. Das Gros an geforderten Gebäcken war fertiggestellt und nur noch wenige Handgriffe nötig, bis diese den kritischen Augen und Gaumen der Prüfer vorgeführt werden sollten. Ihr Sorgenkind, der Paradisvogel aus modellierter Schokolade, bereitete ihr, trotz der vielen Übungsstunden, noch immer große Sorge. Während ihr Augenmerk nunmehr auf dem brodelnden Gemisch aus Zucker, Wasser und klebrigem Glukosesirup lag, das sie zu tropischen Blumen würde ziehen müssen, bangte Makoto, dass der Vogel genug Kühlung erfuhr, dass er ihr nicht wieder von dem schokoladigen Baumstamm hüpfte. Zischend entkamen ihr Laute des Schmerzes, als sie den gekochten Zucker unter einer Lampe warm hielt, ehe Makoto aus der heißen, zähflüssigen Menge das Arrangement für ihr Gesellenstück fertigte. Wie viele Handschuhe sie zum Schutz ihrer Finger vor der kochend heißen Masse verbrauchte, konnte Makoto längst nicht mehr benennen, da ihr die Zeit im Nacken saß und die Zeiger unaufhörlich voranschritten. Als ihr Mitprüfling Pascal mit gehetztem Blick auf sie zueilte, wurde ihr angst und bange. Er bat sie dringlichst, ihm in den Kühlraum zu folgen, wo sich der Grund seines bekümmerten Gesichts zeigte: Dem Kakadu fehlte der Kopf und ein Flügel fiel ihm soeben vom Körper. Aschfahl besah sich Makoto das Häufchen und versuchte, die Reste aufzuklauben. Ob und wer Schuld an diesem Dilemma trug, wagte Makoto nicht zu vermuten, viel mehr zitterten ihr die Hände, während sie den Hauptteil ihres Schaustücks wieder an ihren Platz trug. Pascal bot seine Hilfe an und gemeinsam versuchten sie, dem Tier wieder habhaft zu werden. Behutsam wurden die Schaustücke zusammengesetzt, Torten hergerichtet und das Gebäck wie für ein Schaufenster zur Besichtigung aufgestellt. Ihr und ihren Mitstreitern, denen dieser zweite Tag mehr abverlangt hatte, als wohl die letzten Jahre zusammen, wurden nur noch wenige Minuten gewährt, ehe man sie an ihre Plätze zurückbefahl und sie sich dem Säubern der Räumlichkeiten widmen konnten. Die Anspannung war greifbar, und auch wenn sich dieser Junitag nicht brütend heiß zeigte, war allen das Blut und die Angst zu Kopf gestiegen. Nach einer halben Stunde etwa, wurden die Prüflinge in jenen Raum geordert, der die improvisierten Schaufenster beherbergte. Als es hieß, dass ein jeder, der sich in diesem Raum befände, die Prüfung bestanden habe, fiel ihr die Last endgültig von den Schultern. Auch wenn sie nicht wollte, so rollten ihr Tränen der Erleichterungen von den Wangen. Die erste Etappe auf dem Weg zu ihrem Traum hatte Makoto gemeistert. So konnte sie dem nächsten Punkt auf ihrer Liste ein Häkchen versetzen. Und als sie vor gut zwei Wochen erfuhr, dass ein Blumenladen im Nachbarort eine Aushilfe suche, wäre eine weitere Stufe bereit, erklommen zu werden. So rückte ihr Vorhaben, ihrem Wunsch Flügel zu verleihen, in greifbare Nähe. Und Makoto würde es sich nicht nehmen lassen, ihren Lieben daheim ausführlich zu berichten, wie es ihr ergangen war, ganz gleich, wie spät und zu welcher Tageszeit es sein würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)