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Ein Leben für das Druidentum

von

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Vorwort

Die Druidin, die inzwischen im ganzen Land unter dem Namen Paracelsa Anthropa bekannt ist, hatte eine ereignisreiche Vergangenheit.

Sie war meine Ausbilderin und verstand wie kein anderer was es hieß den Bäumen zu lauschen.

Ihre Heldentaten waren schon in Umlauf, als ich meine Ausbildung bei ihr beginnen durfte. Seit dem sind viele Jahre ins Land gezogen. Vieles hat sich seitdem verändert. Das Wissen um Heilkräuter, die alten Riten zu Ehren der Götter oder auch das Zusammenspiel von Pflanzen und Tieren ist in vielen Regionen inzwischen verblasst. Es gab Kriege, Hungersnöte und Seuchen, weswegen das klassische Druidentum, in dem mich Paracelsa Anthropa ausgebildet hat, nicht mehr gepflegt werden konnte.

Seit einiger Zeit ist es ruhiger in den Reichen geworden. Zahlreiche Friedensverträge und Abkommen wurden geschlossen, die allen erlauben sollten, sich in dieser neuen Zeit zurecht zu finden. Ich hoffe sehr, dass dieser Frieden anhalten wird. Schließlich waren die letzten Jahrzehnte geprägt von Krieg und Zerstörung.

Während meiner Ausbildung und auch danach sind Paracelsa Anthropa und ich durch das ganze Land gestreift. Wir haben versucht zu helfen wo wir konnten und bemühten uns die alten Rituale im Gedächtnis der Menschen zu erhalten. In einigen Gebieten ist uns das sogar gelungen. Wie ich hörte, fanden im Frühling in manchen Tälern die alten Feierlichkeiten statt. Das macht mich stolz und gibt mir Hoffnung, dass das Erbe meiner Meisterin noch lange erhalten bleiben wird.

Paracelsa Anthropa ist vor einiger Zeit ins Reich der Elfen eingekehrt und wird nie wieder unter uns Menschen wandeln. Als ihr letzter Lehrling will ich die Erinnerung an sie auf ewig erhalten und schreibe deshalb ihr Leben nieder, so wie sie es mir einst erzählt hatte.
 

In ewiger Dankbarkeit und Bewunderung
 

Julica Sternseher

Kapitel 1

Das Leben im Birkental war sehr friedlich. Es gab nur einige Dörfer, die nächste Stadt – Borkwind - war einen Tagesritt entfernt. Doch so abgeschieden die Dörfer im Birkental auch lagen – die Menschen hatten alles, was sie benötigten. Die nahegelegenen Felder waren sehr fruchtbar und gaben seit Jahren eine gute Ernte.

Doch so friedlich die ersten Jahre im Leben von Paracelsa auch waren, so plötzlich waren sie vorbei. Ein Orkheer aus einem der benachbarten Reiche und plünderten jede Ortschaft. Die Menschen im Birkental hörten zwar von der Gefahr, doch blieben sie lange Zeit von den Plünderungen verschont. Über die Jahre kam es immer wieder dazu, dass die Orkheere einfielen, doch niemals im Birkental. Für die Menschen dort waren es düstere Geschichten, nicht mehr als Märchen.

Paracelsa musste trotz dieses idyllischen Lebens schon früh den ersten Schicksalschlag ihres erst kurzen Lebens verkraften, denn ihre Mutter starb, als sie erst fünf Jahre alt war. Die Kräuterfrau des Dorfes tat ihr möglichstes, doch gegen die Krankheit, die Paracelsas Mutter befallen hatte, wusste sie kein Heilmittel. Paracelsa war nur zu jung, um zu verstehen, was genau vor sich ging. Sie wusste nur, dass sie ihrer kranken Mutter helfen wollte. Die Kräuterfrau fand es sehr löblich, dass das Kind ihr helfen wollte. Doch es war ein aussichtsloser Kampf.

Eine Zeit der Trauer legte sich über das ganze Dorf. Doch schon im nächsten Frühling ging das Leben dort seinen gewohnten Gang – zumindest für die meisten dort.

Paracelsas Vater war ein Händler und war deshalb oft auf Reisen. Doch jetzt, wo seine Frau nicht mehr war, musste er seine Tochter entweder mit sich nehmen oder sie jemandem anvertrauen. Die Frage war auch, wer sich um das Kind kümmern könnte. Neben Mahlzeiten musste Paracelsa auch beaufsichtigt werden. So schwer Paracelsas Vater diese Wahl viel, Paracelsa traf ihre Entscheidung, noch ehe ihr Vater darüber nachdenken konnte. Paracelsa war seit dem Tod ihrer Mutter immer wieder bei der Kräuterfrau zu finden, um sich die Wirkung der verschiedenen Pflanzen erklären zu lassen. Die Kräuterfrau war sehr geduldig mit dem Kind und beantwortete jede ihrer Fragen. Doch sollte Paracelsa wirklich bei der Kräuterfrau leben, wenn ihr Vater auf Reisen war? Er ließ es auf einen Versuch ankommen. Schließlich musste er seinen Handelsgeschäften nachgehen, damit sie auch über den nächsten Winter kommen würden.

Paracelsas Vater hatte bis in die hintersten Winkel des Reiches gute Handelsbeziehungen und war im Sommer oft wochenlang unterwegs. Doch von jeder seiner Reise brachte er Paracelsa ein Geschenk mit. Ihr ganzes Leben lang bewahrte sie diese Erinnerungsstücke auf. Neben einem Seidentuch, brachte ihr Vater auch einen Kamm, Ametystknöpfe oder auch eine Brosche von seinen Reisen mit.
 

Nach ein paar Jahren durfte Paracelsa ihren Vater begleiten. Es waren nur kurze Reisen, aber für Paracelsa war es das immer ein aufregendes Erlebnis. Eines Frühlings, kurz vor Beltane, durfte Paracelsa ihren Vater begleiten. Diese Reise sollte sich aber von den bisherigen, die sie vorerst nur in die Stadt Borkwind geführt hatte, sehr unterscheiden. Denn ihre Reise sollte sie zu Elfen führen. Paracelsa kannte bis jetzt nur Geschichten über Elfen, nicht mehr als Märchen. Lebten Elfen wirklich in Bäumen? Tanzten sie wirklich nur den ganzen Tag? Kannten weder Leid noch Müh?

Paracelsa war inzwischen acht Jahre alt und hatte sich von der Kräuterfrau Wissen zu bestimmten Kräutern aneignen können. Jetzt wunderte sie sich allerdings, dass sie mit ihrem Vater Blumen sammeln ging, bevor sie zu den Elfen aufbrachen. Musste man etwa Blumen als Geschenk mitbringen, um bei den Elfen vorstellig werden zu dürfen?

Als Paracelsa einen Strauß aus Ringelblumen, Gänseblümchen, Schlüsselblumen und Veilchen zusammen hatte, setzten sie ihren Weg zu den Elfen fort. Der Weg sei nicht weit, sagte ihr Vater. Sie wären mittags bei seinen Elfenfreunden. Und sie viele Blumen wie im Birkental gab es bei den Elfen nicht. Denn was Paracelsa zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, war, dass ihr Strauß aus wichtigen Heilpflanzen bestand. Die Bedingungen für diese Blumen waren im Birkental ideal. Nirgendwo sonst wuchsen Heilpflanzen so gut und so zahlreich wie dort.

Ihre Reise dauerte wirklich nur bis Mittag. Sie hatten das Birkental durchquert und näherten sich einem dichten Wald. Die Bäume sahen für Paracelsa riesig aus – sie mussten uralt sein. Und sie standen so dicht, dass wohl kein Mensch den Wald betreten könnte. Unschlüssig, wie sie ihren Weg fortsetzen sollten, blieb Paracelsa stehen und betrachtete den undurchdringlichen Wald. Ihr Vater dagegen ging einfach weiter. Er drehte sich noch nicht einmal nach seiner Tochter um. Dann blieb er an der größten Eiche stehen und sagte ein paar für Paracelsa unverständliche Worte. Als Paracelsa mit den Gebräuchen der Elfen und der Sprache besser vertraut war, verstand sie, dass ihr Vater dem Baum ein Passwort genannt hatte. Denn die Eiche schien ein Stück zur Seite gerutscht zu sein und zeigte ihnen jetzt einen Weg in den Wald. Paracelsa traute ihren Augen nicht, fragte ihren Vater, was sie da eben gesehen hatte, doch der lächelte nur und setzte seinen Weg schweigend fort.

Der Wald, der von außen so dunkel und undurchdringlich aussah, war plötzlich freundlich und hell. Rehe musterten sie, während sie ihren Weg fortsetzten, Vögel sangen und es duftete nach Waldmeister.

Vögel zwitscherten überall, es war so vertraut und doch sehr fremd in diesem Wald. Paracelsa versuchte sich alles einzuprägen, was sie sah. Es waren Bäume, Äste. Blätter. Ab und an ein Eichhörnchen – nichts ungewöhnliches für einen Wald. Dennoch war hier alles anders. Sie wusste es noch nicht zu sagen, aber im Wald der Elfen lag in jedem Objekt ein inneres Leuchten. Zeit schien hier auch anders zu vergehen, als Paracelsa es gewohnt war. Denn wenn sie sich nach der Sonne orientieren wollte, schienen nur ein paar Minuten vergangen zu sein, seit sie den Wald betreten hatten. Aber sie wusste, dass sie fast eine Stunde unterwegs gewesen sein mussten, bis sie am Ziel waren.

Vor ihnen tat sich eine Lichtung auf. Nur ein Baum stand in ihrer Mitte – eine riesige Eiche. Vor der Eiche stand ein Mann. Er war groß und schlank, und war in einer hellen Robe gekleidet. Obwohl er keinerlei Schmuck trug, hatte Paracelsa den Eindruck er wäre ein König. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als Paracelsa und ihr Vater näher kamen. Auch Paracelsas Vater freute sich. Da war wohl der Elf, von dem ihr Vater immer gesprochen hatte: Vor ihr stand Arduuyen Selium. Er war Druide der Elfen, die in diesem Wald lebten. Und – noch ahnte es Paracelsa zwar noch nicht – ihr zukünftiger Meister.

Paracelsas Vater redete schon wieder in dieser merkwürdigen Sprache. Erst jetzt, als auch Arduuyen Selium so sprach, wurde Paracelsa klar, dass es elfisch war.

Nach einer kurzen Begrüßung wandte sich Arduuyen Paracelsa zu und begrüßte sie ebenfalls. Ihr Vater wandte sich ebenfalls Paracelsa zu. Sie sollte die den Blumenstrauß, den sie vor ihrer Abreise gepflückt hatte, an Arduuyen übergeben. Es kam ihr sehr merkwürdig vor einem König solch ein Geschenk zu übergeben. Sie wusste weder von dem Handel ihres Vaters mit Arduuyen, noch von den Gebräuchen der Elfen zu anderen Völkern oder unter einander. Diese Dinge sollte sie aber schnell lernen.

Arduuyen führte sie fort von der Lichtung. In diesem neuen Teil des Waldes sahen die Bäume merkwürdig bauchig aus in der Mitte ihres Stammes. Die Vögel schienen hier zutraulicher als anderswo. Sie flogen ganz nah zu Paracelsa und ihrem Vater. Bei Arduuyen trauten sie es sich sogar, auf seiner Schulter zu sitzen. Paracelsa viel endlich auf, dass die bauchige Mitte in den Baumstämmen Wohnungen sein mussten. Sie sah Löcher darin, als wären es Fenster. Und dicke Äster und Baumpilze wuchsen wie eine Wendeltreppe um den Stamm herum. Es sah für sie alles so magisch aus.

Paracelsas Vater und Arduuyen gingen zu einem der Baumhäuser. Dort wartete Paracelsa und ihr Vater, während Arduuyen ins Innere ging. Ein paar Minuten später kam er wieder mit einem Ledersäckchen, das er Paracelsas Vater überreichte. Paracelsa konnte sich in diesem Teil des Waldes gar nicht sattsehen. Es gab so viel zu sehen, neben den Bäumen. Andere Elfen sah Paracelsa allerdings nicht. Es war, als würden sie sich vor ihnen verbergen. Denn so belebt es im Wald auch war, diese spezielle Teil schien verlassen.

Auf dem Rückweg sprach Paracelsa kein Wort. Es waren zu viele Eindrücke, die sie verarbeiten musste. Am Abend zuhause sprudelte es allerdings aus ihr heraus. Sie hatte Fragen über Fragen. Zu diesem Wald, zu den Elfen und natürlich zu Arduuyen. Ihr Vater konnte diese Flut an Fragen gar nicht bewältigen. Er musste auflachen, als er Luft holte eine der Fragen zu beantworten und mit drei neuen konfrontiert wurde. Er versprach ihr alle Fragen zu beantworten, noch bevor er wieder auf Reisen gehen musste. Paracelsa war für den Moment zufrieden und ging ins Bett. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass ihr Vater an solche Orte käme. Andererseits hatte sie bis jetzt nur das Dorf kennen gelernt. Die Welt außerhalb des Birkentals musste aufregend sein! Sie beschloss, sobald wie möglich all die Sagen umwogenden Orte zu besuchen, die sie aus den Geschichten kannte. Außer vielleicht die Gebiete der Orks. Denn jeder wusste, dass Orks gefährlich waren.

Dann schlief sie friedlich ein. Der Sommer sollte bald anfangen, und das hieß, dass die Gaukler und Geschichtenerzähler wieder ins Birkental kamen. Sie freute sich schon seit dem letzten Herbst darauf.

Kapitel 2

Ein Abend im Herbst änderte Paracelsas Leben komplett.

Der komplette Tag war regnerisch und kalt. Der Winter würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. An diesen Tagen dachte Paracelsa am liebsten an ihren ersten Besuch bei Arduuyen im Elfenwald zurück. Zwei Sommer war das inzwischen her. Seitdem war sie mehrmals mitgekommen und blieb von diesem Wald und all seinen Bewohnern fasziniert.

Paracelsa war den Nachmittag am Waldrand gewesen, um die letzten Kräuter und Blumen zu sammeln. Die Kräuterfrau bekam den Großteil der Pflanzen. Schon den ganzen Tag summte sie die Lieder der Gaukler vor sich her. Sie hatten so viele Geschichten und Lieder mitgebracht. Doch Paracelsa hatte nur ein Lied immer wieder hören wollen: Das von der Elfe und dem sprechenden Baum. Es war eine uralte Geschichte, die aber zeitlos war. Die Gaukler hatten eine wunderschöne Melodie dazu geschrieben.

Der Abend verlief ruhig. Nach dem Abendessen sortierte Paracelsa die gesammelten Pflanzen, während ihr Vater die Messer Schärfte. Doch plötzlich war alles anders. Hunde fingen an zu kläffen und im Stall wurden alle Tier unruhig. Und genau in dem Moment, als Paracelsa und ihr Vater einen Blick austauschten, ertönte ein Schrei!

Kriegsgeschrei war jetzt zu hören, doch es schien nicht von Menschen zu kommen.

Paracelsas Vater ahnte, was das zu bedeuten hatte. Er wies seine Tochter an sich zu versteckten und ruhig zu sein. Was auch immer sie hören würde, sie sollte in ihrem Versteck bleiben!

Paracelsas Vater nahm seinen Dolch, schnappte seinen Mantel und ging nach draußen. Einen letzten Blick warf er noch auf seine Tochter als er in der Tür stand. Diesen Blick voller Angst und Liebe sollte sie nie vergessen.

Das Geschrei war jetzt lauter. So wohl die Tiere als auch die Dorfbewohner waren zu hören. Etwas furchtbares musste passiert sein. Doch darüber durfte Paracelsa nicht weiter nachdenken. Sie schnappte sich ihre Puppe, eine Decke und versteckte sich in der hintersten Ecke der Vorratskammer. Jetzt musste sie warten.

Was auch immer im Dorf los war, es schien schrecklich zu sein. Sie hörte Dorfbewohner, die um Hilfe riefen.

Sie wusste nicht wie lange sie das alles hörte, irgendwann klang es auch so, als wären Häuser eingestürzt. Und dann war alles vorbei. Plötzlich war es ganz ruhig. Sie hörte keine Schreie mehr. Am liebsten wäre sie jetzt nach draußen gegangen, doch sie hörte auf ihren Vater.

Langsam wurde es unbequem in ihrem Versteck. War sie eingeschlafen? Was waren das für Geräusche? Ihr Vater würde bestimmt nicht so durch das Haus poltern. Nachsehen wollte sie nicht. Schließlich hatte ihr Vater ihr aufgetragen, dass sie in ihrem Versteck bleiben sollte. Das Gepolter wurde immer lauter. Paracelsa bekam Angst.

Alles ging furchtbar schnell. Die Vorratskammer wurde aufgebrochen und ausgeräumt. Die Orks nahmen alles mit, was sie gebrauchen konnten. Und sie konnten ALLES an Lebensmitteln gebrauchen. Als der Ork, der die Kammer ausräumte, Paracelsa erblickte, grunzte er und rief dann seinen Kameraden. Dieser stülpte einen Sack über Paracelsa und brauchte sie weg. Sie hatte schreckliche Angst. Sollte sie etwa getötet werden? Wo wurde sie hingebracht?
 

So wie es sich anhörte und anfühlte, wurde sie auf ein Pferd geladen. Wie lange die Reise zu Pferd war, wusste sie nicht. Ihr tat alles weh. Der Sack stank schrecklich. Sie wusste nicht, wonach. Pferd oder Kuh war es nicht. Auch kein anderer tierischer Geruch, den sie kannte.

Das Pferd blieb stehen, die wurde abgeladen und weg getragen. Dann hörte sie wieder ein Poltern – eine Tür wurde aufgestoßen – sie wurde abgeworfen und der Sack öffnete sich.

Ein Ork blickte sie finster an. Er knurrte ihr etwas entgegen, doch das verstand sie nicht. Das fiel dem Ork ebenfalls nach ein paar Versuchen auf. Also packte er sie am Kragen, setzte sie in der kleinen Kammer, in der sie waren ab und nahm den Sack dann mit nach draußen. Sie Tür warf er zu. Paracelsa saß wieder im Dunkeln. Aber jetzt saß sie an einem Fremden Ort im Dunkeln. Kurze Zeit später wurde ihr ein Becher Wasser gegeben. Paracelsa trank begierig, was den Ork – sie wusste nicht, ob es der war, der sie hier abgesetzt hatte – auflachen ließ. Als sie ausgetrunken hatte, nahm er ihr den Becher wieder ab und ging. Natürlich wurde die Tür fest verschlossen.

Paracelsa rollte sie in einer Ecke zusammen und begann zu weinen. Sie wusste nicht wo sie war und auch nicht, was mit ihr hier passieren würde. Orks machten nicht oft Sklaven. Die meisten verkauften sie. Und das bedeutete, dass ihr weiterer Weg so düster und ungewiss wie die Nacht war.

Als der nächste Tag anbrach, erwachte Paracelsa mit den ersten Strahlen der Sonne. Sie stand auf und lief in der kleinen Kammer ein wenig herum. Es gab nicht viel zu sehen: Unverputzte Wände und eine grobe Tür. Durch die einzelnen Bretter fiel etwas Licht.

Als sich die Tür erneut öffnete, trat ein Ork in die Kammer und zerrte Paracelsa hinaus. Wie hatte sie Angst. Sie kannte die Geschichten über Orks und wie sie mit Gefangenen umgingen. Mit etwas Glück würde sie schnell getötet, weil sie wertlos war. Wenn sie Pech hatte, stand ihr ein Leben als Sklavin bevor. Sklaven konnten für alles verwendet werden: Als Haushälter, Köche, Gärtner oder auch für Sex. Die Rasse war manchen Sklavenhaltern egal. Und bei Menschen war es häufig so, dass ihnen das Alter egal war. Sklaven konnten verkauft werden, wie jede andere Ware auch. Es gab nur wenige spezielle Märkte. In den Städten konnte man Sklaven auch auf den Wochenmärkten erstanden werden. Sie hatte Angst davor. Und da sie nicht einmal wusste, was mit ihrem Vater oder ihrem Dorf geschehen war, wuchs ihre Angst ins unermessliche.

Paracelsa wurde zu einer großen Gruppe Orks im Freien geschleift. Bei ihr standen noch andere Mädchen und Frauen. Sie erkannte nur wenige Gesichter. Und die, die sie erkannte, sahen übel zugerichtet aus. Wahrscheinlich hatten sie sich gewehrt, bevor sie gefangen wurden.

Eine nach der anderen wurde nach vorn gezerrt. Die Orks grunzten laut. Dann wurde es Paracelsa plötzlich klar: Es war ihr eigener Markt! Die Orks pickten sich das beste aus ihrer Beute heraus und verkauften den Rest lukrativ weiter!

Sie waren wohl auf dem Dorfplatz. Paracelsa sah einige Häuser und auch Scheunen. Wobei sie sich bei diesen halbverfallenen Gebäuden nicht sicher war. Ein Podest oder so etwas gab es nicht. Sie standen alle auf diesem Dorfplatz.

Von den Orks kam viel Gegrunze als eine nach der anderen vorgezeigt und feil geboten wurde. Schließlich war die Reihe an Paracelsa. Sie wurde nach vorn gezerrt. Gedreht, ihre Zähne wurden gezeigt, ihre Haare wurden präsentiert und dann war alles vorbei. Sie war an Orks verkauft worden. Ihr wurden Fesseln und ein Halsband umgelegt und schließlich wurde sie weg geführt. Das alles hatte nicht länger als eine halbe Stunde gedauert. Paracelsa wurde in eine der merkwürdigen Hütten geführt. Sie wurde die ganze Zeit angegrunzt und verstand erst spät, dass die Orks – ihre neuen Besitzer – mit ihr redeten. Da sie kein Wort verstand, erwiderte sie nichts. Das gefiel ihren neuen Herren natürlich nicht. Sie stießen sie in eine Kammer zu einer Frau, grunzten etwas und gingen. Die Frau sah verängstigt zu dem Ork, dann zu Paracelsa. Sie erklärte Paracelsa, dass der Ork, der sie hierher gebracht hatte, ihr neuer Herr wäre. Er uns seine Familie hatten sie gekauft, Paracelsa musste ihnen dienen. Doch zuerst musste sie die Sprache der Orks lernen. Die Frau – Emiliana war ihr Name – half ihr dabei.

Die ersten Tage musste Paracelsa in der Küche arbeiten. Sie kümmerte sich um das Geschirr und die Töpfe, brachte Abfälle zu den Schweinen, reinigte Herd und Ofen, wenn diese gerade nicht gebraucht wurden oder war sonst wie eine helfende Hand. Emiliana schonte sie nicht. Sie streute mit der Zeit auch immer mehr Ork-Wörter in ihre Sätze. So kam Paracelsa einmal in die Küche und Emiliana sagte ihr ein unverständliches Wort. Sie zeigte dabei auf das auf dem Tisch liegende Sieb. So wuchs Paracelsas Wortschatz kontinuierlich weiter. Doch auch, wenn sie die Worte schnell verstand, weigerte sich ihre Zunge diese auch auszusprechen. Ihre Herren kümmerte das wenig, da sie alles ausführte, was ihr aufgetragen wurde. Und reden sollte sie als Sklavin sowieso nicht, weshalb es ihren Herren gar nicht auffiel, ob sie Orkisch sprechen konnte oder nicht. Und mit Emiliana und den anderen Sklaven konnte sie sich in der Gemeinsprache unterhalten.

Da Paracelsa recht klein war, musste sie häufig hinter oder unter Schränke kriechen.Das Ungeziefer durfte sich auf keinen Fall in der Küche einnisten. Und da sie auch ein gewisses Talent zu Näharbeiten hatte, wurden ihr diese allmählich auch zugeteilt. So übernahm sie mit der Zeit immer weniger Putzaufgaben, dafür musste sie mehr nähen, spinnen und flicken.

Da Paracelsa von der Kräuterfrau ihres Dorfes Kenntnis über Heil- und Würzkräuter hatte, durfte sie ab und an der Köchin zur Hand gehen. Nach zwei Jahren konnte sie im Haus ihrer Herren jede ihr aufgetragene Arbeit zuverlässig erledigen. Wenn ihr also aufgetragen wurde, das Abendessen auf den Tisch zu bringen, kümmerte sie sich um den einen Gang und Gerda - die Köchin – um den anderen. Wenn ihr am Morgen ein Kob mit Kleidung gegeben wurde, waren die Löcher darin am Abend geflickt. Einzig die Waffen und Rüstungen durfte sie nie anrühren. Niemand durfte das.

Von ihren Herren sah sie nur wenig. Sie musste sich im Hintergrund halten, wie alle Sklaven. Arbeiten mussten schnell und diskret erledigt werden. Paracelsa half, wo immer es nötig war – und ihre Hilfe war oft nötig.

Erst Jahre später wurde Paracelsa klar, dass sie riesiges Glück gehabt hatte. Sie bekam Schläge, wenn sie nicht schnell genug arbeitete oder nicht gründlich genug war. Wobei es gerade am Anfang schwierig für sie war zu verstehen, was von ihr verlangt wurde.

Eines Tages änderte sich dieses harte, aber doch sehr ereignislose Leben für sie schlagartig. Paracelsa war gerade dabei den Tisch zu decken, als einer ihrer Herren den Raum betrat. Er war riesig, selbst für einen Ork, und trug immer eine Keule mit sich herum. Er würde das nächste Familienoberhaupt werden. Wenn das jetzige abgetreten war.

Paracelsa wollte sich schnell zurückziehen, wurde aber zurück gerufen. Also trat sie vor ihren Herrn und hielt den Blick gesengt. Ihre Hände hielt sie seitlich am Körper. Sie hatte Angst, durfte jetzt aber keinen Fehler machen – was in erster Linie bedeutete, dass sie sich nicht bewegen durfte.

Aus heiterem Himmel bekam sie eine Ohrfeige. Sie hatte Schwierigkeiten auf den Beinen zu bleiben und machte einen Ausfallschritt. Voller Panik nahm sie schnell wieder ihre Ausgangshaltung an. Ihr Herr blickte auf sie herab und begann zu lachen. Doch schnell besann er sich und sagte Paracelsa, dass sie angeblich vergessen hätte den Tisch zu reinigen.

Ihre gesamte linke Gesichtshälfte tat weh, doch sie rührte sich nicht. Tränen stiegen ihr auf, die sie schnell versuchte weg zublinzeln. Den Blick hielt sie weiterhin gesengt, ihre Hände ballte sie zu Fäusten. Dann bat sie im Entschuldigung und fing von vorne an. Ihr Herr blieb die ganze Zeit mit ihr im Raum und beobachtete jeden ihrer Handgriffe. Als sie ihre Arbeit beendet hatte, fragte sie, ob sie sich entfernen durfte. Noch einmal inspizierte ihr Herr den Tisch, dann ließ er sie gehen.

So etwas wie an diesem Tag war nicht zum ersten Mal vorgefallen. Und es wäre auch nicht das letzte Mal. Orks behandelten jeden ihrer Sklaven wie Ungeziefer, das zufälliger Weise nützliche Arbeiten verrichtete.

Mit stoischem Blick ging sie zurück in die Küche. Sie sah niemanden an, sagte kein Wort, sondern durchschritt die Küche, um zum Brunnen zu gehen.

Emiliana war ihr gefolgt. Doch Paracelsa tat, als hätte sie sie nicht bemerkt. Beide wussten allerdings, dass das nicht stimmte. Doch Emiliana wartete einen Moment, bevor sie nähe zu Paracelsa trat.

Paracelsa hatte sich nicht getäuscht: Sie hatte auf der Wange einen blutenden Schnitt. Die Ringe, die ihre Herren trugen, waren nicht nur Statussymbole. Diese Ringe fungierten auch als erweiterte Krallen. Vorrangig wurden sie genutzt, um die Sklaven zu züchtigen.

Paracelsa pflückte einige Kräuter im Garten und ging damit zurück zum Brunnen. Die Kräuter würde sie zerstampfen, um daraus einen Verband für ihre Wunde anzulegen. Der Schnitt brannte höllisch, das Anlegen des Verbandes wäre noch einmal so schmerzhaft, aber durch ihn würde sie nur eine kleine Narbe – wenn überhaupt – davon tragen.

Emiliana setzte sich zu ihr. Sie hatte Paracelsas Wange gesäubert und die Tränen abgewischt. Paracelsa ließ es geschehen, dann brach der Damm der Gefühle und sie begann bitterlich zu weinen.

Diese Demütigungen, diese ständige Angst – Paracelsa wollte das alles nicht mehr. Ihr Lebensmut sank von Tag zu Tag. Heute war er auf dem Tiefpunkt angelangt.

Eine Sklavin mehr oder weniger im Haus – es würde niemanden kümmern. Sie hatte hier keinerlei Zukunft. Entweder sie würde irgendwann von ihren Herren zu Tode geprügelt werden – was durchaus schon vorgekommen war – oder sie setzte dieser erbärmlichen Existenz selbst ein Ende.

Während sie all das vor sich hin murmelte, hatte sie Emiliana in den Arm genommen. Sie hatte kein Wort gesagt und Paracelsa die ganze Zeit über den Rücken gestrichen.

Als Paracelsa sich wieder beruhigt hatte, schickte Emiliana ins Bett. Die Wunde würde sie sich später noch einmal ansehen.
 

Paracelsa lag noch lange wach an diesem Abend. Sie hatte zum Glück nicht mehr arbeiten müssen. Jetzt dachte sie unentwegt darüber nach, wie es weitergehen sollte. Doch schließlich fasste sie einen Entschluss: Wenn sie hier nicht sterben wollte, musste sie fliehen. Und zwar so schnell wie möglich. Doch sollte sie dafür jemanden ins Vertrauen fassen? Sie war erst 14 Jahre alt und hatte zuvor noch nie versucht zu fliehen oder einen Versuch gesehen. Andererseits wäre es für alle anderen wahrscheinlich sicherer, wenn niemand von ihrem Plan erfuhr.

Über diese Gedanken brütend, schlief sie schließlich ein. Dieses Sklavendasein war die Hölle.

Kapitel 3

Ein paar Wochen waren vergangen, seit Paracelsa mit Emiliana am Brunnen gesessen hatte. Jetzt war sie mit Gerda, der Köchin, auf dem Markt. Morgen sollte es ein Festmahl geben. Den Grund wollte Paracelsa nicht wissen. Ihre innere Niedergeschlagenheit war immer noch da. Wenn sie im Haus arbeitete, wachte Emiliana mit Argusaugen über sie oder sorgte dafür, dass immer jemand in ihrer Nähe war. Paracelsa gefiel diese Überwachung überhaupt nicht. Sie wollte nach Fluchtmöglichkeiten suchen, aber das konnte sie so natürlich nicht.

Sie trug ein paar Brote und einen Kob mit Kräutern. Gerda verhandelte immer noch mit einem der Händler um den Preis des Fleisches. Also ließ Paracelsa ihren Blick schweifen. Sie könnte alles fallen lassen und sich hier davon stehlen. Aber wie sollte es dann weiter gehen? Wenn sie fliehen wollte, musste sie sehr schnell sehr viel Abstand zwischen sich und ihre jetzigen Herren bringen. Deshalb seufzte sie zum hundertsten Mal an diesem Tag. Gerda hatte jetzt die richtige Menge Fleisch zu einem annehmbaren Preis erhalten und zog mit ihr weiter. Während sie wieder zurück gingen, beschwerte sich Gerda die ganze Zeit über die hohen Preise. Paracelsa nickte nur abwesend.

Den restlichen Tag war Paracelsa in der Küche beschäftigt. Als das Essen fertig war, wollte sie sich noch einmal hinlegen. Es gab gerade eh nicht sehr viel zu tun – der Zeitpunkt war also günstig. Sie fühlte sich hundeelend. Emiliana sorgte schließlich dafür, dass Paracelsa sich schlafen legen durfte, als der Abwasch beseitigt war. Aber auch als sie sich endlich hingelegt hatte, ging es ihr nicht besser. Und dann setzten die Bauchkrämpfe ein. Sie hatte noch nie solche Schmerzen gefühlt. Ihr war übel vor Schmerz und ihr Rücken tat jetzt ebenfalls weh. Sowohl Emiliana als auch Gerda schienen allerdings genau zu wissen, was mit ihr los war. Paracelsa bekam einen Kräutertee und konnte dann endlich schlafen. Am nächsten Tag ging es ihr allerdings immer noch nicht besser. Sie durfte im Bett bleiben. Aber der größte Schock stand ihr noch bevor. Als sie das Blut sah, schrie sie auf. Sie hatte keine Wunde, woher kam es also? Wenig später saß Emiliana bei ihr. Sie hatte Paracelsa noch einen Kräutertee gebracht und ihr dann erklärt, dass sie jetzt erwachsen wäre. Und jeden Monat würde ihr dieser Schmerz wieder bevor stehen. Paracelsa begann zu weinen. Ihr Leben hier wurde einfach nicht besser. Emiliana versuchte sie zu trösten, aber Paracelsa wollte davon nichts hören.

Ein paar Tage später war alles wieder vorbei. Paracelsa fühlte sich wieder normal. Doch die schlechten Nachrichten sollten kein Ende nehmen. Emiliana und Paracelsa lagen eines abends noch wach und redeten. Emiliana hatte an die Orks den Grund für Paracelsas Abwesenheit melden müssen. Und ihre Herren hatten daraufhin Pläne geschmiedet. Denn da sie so ungewöhnliche Augen hatte und dazu noch diese fast weißen Haare, hatten Sklavenhändler schon öfter Interesse für Paracelsa bekundet. Und da sie jetzt das entsprechende Alter erreicht hatte, wäre sie eine hübsche Summe Gold wert. Paracelsa stocke darauf der Atem. Sie ahnte, welches Schicksal ihr bevor stehen sollte. Emiliana wusste es mit Sicherheit. Deshalb musste Paracelsa verschwinden – so schnell es ging!

Paracelsa war mehr als überrascht von Emiliana zu hören wie und wann sie fliehen sollte. Sie freute sich zwar auch darüber, fragte sich aber dennoch, woher Emilianas Entschlossenheit in diesem Punkt kam. Doch kaum hatte Emiliana angefangen ihre Beweggründe zu erklären, bereute Paracelsa auch schon nachgefragt zu haben.

Jede Zivilisation hatte ihre Abgründe. Nicht nur Orks konnten grausam sein, sondern auch Menschen und Elfen. Paracelsa hätte sich das nie vorstellen können, sie wollte nicht glauben, was Emiliana ihr erzählte. Doch leider sollte Paracelsa in nicht einmal zehn Jahren erfahren, zu welchen Gräueltaten Menschen und Elfen fähig waren. Emiliana erzählte weiter, dass sie selbst schon als Sklavin gehalten wurde, bevor sie zu diesen Orks kam – und zwar bei menschlichen Herren. Sie war das, was gemeinhin als Hure bezeichnet wurde. Dann überfielen Orktruppen die Stadt, in der sie lebte, nahmen sie mit und hatten sie an dieses Haus verkauft. Das Leben hier war nicht immer einfach, aber weitaus besser als ihr vorheriges. Für Emiliana hatte sich das Leben zum Besseren geändert. Und sie wollte, dass Paracelsa die Erfahrungen, die Emiliana gemacht hatte, erspart blieben.

Paracelsa setzte sich geschockt auf. Sie konnte einfach nicht verstehen, wieso Menschen so etwas taten. Doch ihre Illusion von dem idyllischen Leben in einer Menschensiedlung wurde von Emiliana vollends zerstört. Auch, wenn Paracelsa kein Wort glauben wollte, wusste sie doch, dass Emiliana die Wahrheit sagte. Tränen stiegen ihr wieder in die Augen. Wenn sie es nicht schaffen würde zu fliehen, könnte sie zur Strafe eine so harte Prügelstrafe erhalten, dass sie sterben könnte. Nicht sofort versteht sich. Oder sie wäre für den Rest ihres Lebens gezeichnet.

Dann kam ihr allerdings noch ein anderer Gedanke: Sie kannte jetzt zwar Emilianas Geschichte, wusste aber immer noch nicht, wieso diese ihr seit dem ersten Tag hier so half und jetzt alles riskierte, um ihr die Flucht zu ermöglichen. Doch darüber wollte ihr Emiliana nicht an diesem Abend erzählen. Lange musste Paracelsa allerdings nicht auf eine Erklärung warten. Schon am nächsten Abend, als Emiliana und Paracelsa sich allein um die Wäsche kümmerten, erzählte sie ihre Geschichte.

Emiliana legte ihre Hände auf ihren Bauch und offenbarte Paracelsa ihre Geschichte. Und Paracelsa ahnte, dass Emiliana ihr jetzt eine noch schmerzhaftere Geschichte erzählen würde als gestern Abend. Emilianas Erzählung begann dort, wo ihre letzte aufgehört hatte: In der Stadt, die von Orks überfallen worden war. Emiliana war damals 20 Jahre alt und wusste seit ein paar Tagen, dass sie ein Kind erwartete. Als die Orks kamen, hatte sich Emiliana versteckt. Doch sie hatte sich recht bald ein anderes Versteck suchen müssen, in einem anderen Haus, am besten in einem anderen Teil der Stadt. Die Orks waren dabei die gesamte Stadt in Schutt und Asche zu legen. Sie hatte um ihr Leben rennen müssen, doch es nützte nichts. Emiliana war einem Soldaten der Orks genau in die Arme gelaufen. Er musste ihr nur eine Ohrfeige geben, und sie war bewusstlos. Als sie wieder zu sich kam, befand sie sich in einem Käfig. Sie wurde in die Sklaverei verkauft. Doch was für sie noch schlimmer war: Emiliana war nicht mehr schwanger. Eine Welt war für sie zusammengebrochen. Denn auch, wenn ihre Lebensumstände alles andere als günstig waren, hatte sie sich dennoch gefreut. Sie wollte dieses Kind. Und sie hatte von einem fahrenden Zirkus erfahren, dem sie sich anschließen wollte. Alles war bereits vorbereitet gewesen. Und dann kamen die Orks...

Paracelsa sah betreten zu Boden. Aber Emiliana ließ nicht zu, dass Paracelsa sich schlecht fühlte, nachdem sie diese traurige Geschichte gehört hatte. Denn der fahrende Zirkus, den Emiliana einst für ihre Flucht nutzen wollte, existierte noch immer. Und er befand sich sogar in ihrer Nähe. Paracelsa sollte mit ihnen gehen. Doch sie hatte Angst. Und sie wollte, dass Emiliana mit ihr kommen würde. Doch Emiliana verneinte. Es war riskant, dass einer von ihnen die Flucht wagte. Zu zweit wäre es so gut wie unmöglich unbemerkt zu entkommen.

Paracelsa sagte nichts mehr. In ihr war Angst, dass sie allein fliehen sollte, Zuversicht und Dankbarkeit, dass Emiliana ihr helfen wollte, aber auch Ratlosigkeit. Ihr Leben war an einem Wendepunkt. Aber sollte es wirklich besser werden? Über all diese Gedanken nachsinnend schlief sie schließlich ein. Ihr stand ein harter Arbeitstag bevor – wie auch den anderen.

Am Morgen des nächsten Tages ging Emiliana mit ihr um, als wäre der vorherige Abend nie passiert. Paracelsa fühlte sich unbehaglich. Sie versuchte sich zwar nichts anmerken zu lassen, doch das fiel ihr sehr schwer. Deshalb suchte sie alles an Näh- und Flickarbeiten zusammen und setzte sich damit auf ihr Bett. Es würde den ganzen Tag dauern, bis all die Kleidungsstücke ausgebessert waren. Das gab ihr Zeit nachzudenken. Sollte sie Proviant mitnehmen? Wo befand sich dieser Zirkus im Augenblick? Und würden sie Paracelsa wirklich einfach so bei sich aufnehmen? Was konnte sie denn schon, dass einem Zirkus nutzte? Im Lauf des Tages wurde ihr allerdings klar, dass sie noch einmal mit Emiliana reden müsste. Davon durfte aber niemand erfahren.

Als sie mit ihrer Arbeit fertig war, blieb sie einen Augenblick unschlüssig auf ihrem Bett sitzen. Was sollte sie jetzt tun? Ihre Gedanken kreisten noch immer um ihre Flucht. Doch sie wurde recht bald in die Küche gebraucht, um bei der Zubereitung des Abendessens zu helfen. Dort musste sie zum Glück weder viel mit anderen reden, noch war es nötig, dass sie sehr viel über ihre Tätigkeit nachdachte. Kochen lag ihr einfach im Blut. So konnte sie in der Küche alles um sie herum vergessen. Sogar all die drängenden Fragen ihre Flucht betreffend.

Als sie spät am Abend zu Bett ging, schlief sie fast augenblicklich ein. Emiliana hatte sie noch nicht im Schlafraum gesehen, um noch einmal mit ihr zu reden. Paracelsa versuchte zwar noch etwas wach zu bleiben, aber kaum hatte sie die Augen geschlossen, war sie auch schon eingeschlafen.

Kapitel 4

Paracelsa war schon den ganzen Tag damit beschäftigt Wäsche zu waschen. Am Anfang hatten sie zu viert hier gesessen, inzwischen war sie allein am Waschtrog. Aber das meiste an Kleidung war inzwischen gewaschen.

Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, als Paracelsa endlich fertig war. Sie hängte die restliche Kleidung auf die Wäscheleine, als Emiliana zu ihr kam. Sie sah sehr ernst aus und half Paracelsa wortlos bei den letzten Handgriffen. Dann gingen sie zusammen ins Haus. Sie redeten jetzt schon seit ein paar Tagen ausschließlich über Belanglosigkeiten. Augenscheinlich behandelte Emiliana Paracelsa nicht anders als vor ihrem Gespräch. Aber Paracelsa ahnte, dass Emiliana mehr beschäftigte als das. Sie waren allein im Vorratsraum, als Paracelsa endlich den Mut gefasst hatte Emiliana zur Rede zu stellen. Dann fragte sie offen heraus, was der Grund für Emilianas Anspannung war. Doch diese wich ihr nur aus. Sie würde Paracelsa heute Abend alles erklären, nicht hier und auch nicht jetzt, wo sie von allen viel leichter gehört werden konnten. Paracelsa machte sich allmählich Sorgen um Emiliana. Denn sie ahnte, dass das, was Emiliana so sehr beschäftigte, auch sie selbst betraf. Und sie sollte Recht behalten.

Emiliana weckte Paracelsa mitten in der Nacht. Sie redete sehr leise und sehr schnell. Paracelsa konnte sie kaum verstehen, auch weil sie so müde war. Ihre Kleidung hatte sich Emiliana bereits geschnappt als sie Paracelsa geweckt hatte. Jetzt half sie Paracelsa dabei sich anzuziehen. Sie verstand diese Aufregung nicht und sie war auch mehr als verwirrt darüber, dass sie ihre Kleidung anlegen sollte, wo sie doch eigentlich nur mit Emiliana reden wollte. Aber sie sagte nichts. Als sie fertig angezogen war, war auch ihr Vertand endlich wach. Also fragte sie Emiliana, was das alles zu bedeuten hatte. Doch Emiliana antwortete ihr nicht, sondern drückte ihr ein Bündel in die Hand und schob sie nach draußen in den Garten. Als sie am Tor standen, bekam sie von Emiliana noch eine Wegbeschreibung. Paracelsas dauernde Fragen hatte sie ignoriert. Dann wurde Paracelsa noch einmal umarmt und schließlich hinaus auf die Straße geschoben. Sie schlug wie automatisch den Weg ein, den ihr Emiliana gewiesen hatte.

Nur die Sterne sahen auf sie herab. Dennoch konnte sie ihren Weg gut finden – ein Lagerfeuer in der Ferne wies ihr die Richtung. Und während sie über die Wege und Felder ging, warf Paracelsa immer wieder einen Blick zurück zu der Ork-Siedlung. Es wurde ihr erst jetzt klar, dass sich Emiliana vorhin von ihr verabschiedet hatte – und zwar für immer. Tränen stiegen ihr in die Augen, doch sie durfte jetzt auf keinen Fall stehen bleiben. Es war einfach noch zu gefährlich. Denn wenn sie Pech hatte, war ihre Flucht bereits bemerkt worden. Sie wollte sich nicht ausmalen, was das für sie und auch für Emiliana, die ihr ja zur Flucht verholfen hatte, bedeutete. Also stolperte sie weiter über die Wege.

Nach einem für sie endlos scheinenden Marsch war sie bei dem Lager angekommen, das ihr mit seinem Feuer den Weg gewiesen hatte. Völlig außer Atem stand sie ratlos davor. Noch hatte sie niemand angesprochen, auch wenn zahlreiche fragende Blicke auf ihr ruhten, kaum dass sie in den Schein des Feuers getreten war. Aber nur wenig später trat ein Hüne an sie heran. Er fragte sie auch gleich nach ihrem Namen und was sie hier zu suchen hätte. Also sprach sie genau die Worte, die sie von Emiliana gehört hatte. Verblüfft sah dieser Mann sie daraufhin an. Sein Blick war besorgt geworden und er brachte Paracelsa zu einem der Wagen. Und während er mit ihr dorthin schritt, brüllte er die Umstehenden an, sich gefälligst mit der Arbeit zu beeilen. Bis Sonnenaufgang mussten sie dieses Tal verlassen haben.

Paracelsa hatte eine Haltung angenommen, die ihr Unbehagen mehr als deutlich ausdrückte. Schüchtern folgte sie aber diesem Hünen. An der Wagentür angekommen, klopfte er zuerst kräftig an und betrat dann das Innere ohne herein gebeten worden zu sein. Paracelsa bedeutete er zu folgen.

Sie stand einer Frau gegenüber, die sie mit strengem Blick musterte. Paracelsa musste einige Fragen beantworten: Welche Fähigkeiten hatte sie? Wie alt war sie? Welche Sprachen konnte sie sprechen? Und noch mehr. Paracelsa beantwortete jede Frage ehrlich, auch wenn ihr Ton ängstlich war, genau wie ihre Haltung. Die Blicke der Frau wurden allerdings immer verblüffter mit jeder Antwort, die Paracelsa gab. Der Mann hingegen betrachtete sie die ganze Zeit wortlos.

Als alle Fragen beantwortet waren, entstand eine Gesprächspause. Paracelsa wurde noch immer gemustert. Dann brach sie in Tränen aus. Alle Gefühle bahnten sich auf einmal einen Weg. Sie weinte bitterlich. Denn sie hatte Angst, dass sie wieder fortgeschickt werden würde. Sie war wütend, dass ihr der Grund nicht gesagt wurde, weshalb ihr all diese Fragen gestellt wurden. Sie war verzweifelt, weil sie nicht wusste, wo sie sonst hingehen sollte. Dann legte sich eine große schwere Hand auf ihre zitternden Schultern. Sie wurde hochgehoben und in ein Bett gelegt. Die Frau redete auf sie ein, dass ihr hier nichts passieren würde. Wenig später wurde ihr ein Becher mit einer heißen Flüssigkeit gereicht. Der Hüne hatte den Wagen verlassen. Ein paar Stimmen drangen von draußen an ihr Ohr.

Paracelsa lag zusammengerollt auf einem Bett und blickte zur Wand. Immer wieder hatte sie angefangen zu weinen. Ihr Leben hatte sich schon wieder auf den Kopf gestellt.

Ihr Lebensmut sank wieder auf einen Tiefpunkt. Sie hatte keine Kraft zu kämpfen, geschweige denn schon wieder von vorn anzufangen – mit einer ungewisseren Zukunft als vorher.

Die Frau hatte sie schließlich auf den Rücken gedreht, um ihr den Becher zu reichen. Darin befand sich ein Schlaftrunk für Paracelsa. Den Geruch hatte sie sogar erkannt. Emiliana hatte ihr auch schon so einen zubereitet. Die Frau stellte sich ihr dann als Ana vor und erklärte ihr, dass Paracelsa ab jetzt zu den Schaustellern gehören würde. Morgen früh würde sie Paracelsa dann alles weitere erklären.

Der Wagen hatte sich in der Zwischenzeit in Bewegung gesetzt. Paracelsa wollte zwar noch wissen, wohin sie denn jetzt unterwegs waren, aber der lange Abend forderte seinen Tribut. Ihre Augen fielen ihr allmählich zu, das dauernde Schaukeln tat sein übriges. Paracelsa fiel in einen tiefen traumlosen Schlaf und erwachte erst wieder, als sie das Brüllen des Hünen vernahm.

Der Wagen bewegte sich nicht mehr. Überrascht sah sie sich um. Sie befand sich in einem Bett, das wie die Regalbretter über ihr in die Wand eingelassen war. Es war eine kleine Höhle, in der sie sich dank der Vorhänge verstecken konnte. Zahlreiche Kommoden und Schränke standen im gesamten Raum. Sie sah Bücher zu Kräuterkunde, Gläser mit undefinierbaren Inhalten, ein paar hübsche Keramikschalen, die mit Perlen gefüllt waren und Gewürze. An jedem Schrank hing mindestens ein Bündel! Und sie liebte den Duft, den all diese Kräuter und Gewürze erzeugten.

In dem Regal über ihr schienen sich nur Kleider zu befinden. Der Ärmel einer Bluse hing herunter und sie konnte den Zipfel eines bunten Tuchs sehen.

Plötzlich wurde ein kleines Fenster aufgeschoben und Ana blickte zu ihr. Dann öffnete sie die Tür und trat zu Paracelsa. Sie strahlte übers ganze Gesicht und erklärte Paracelsa, dass es Zeit wäre aufzustehen. Paracelsa war erstarrt und sah fragend zu Ana. Doch diese war schon wieder auf dem Weg nach draußen und bedeutete Paracelsa ihr zu folgen. Also schlug Paracelsa die Decke beiseite – sie hatte tatsächlich in ihren Kleidern geschlafen – und folgte Ana schließlich.

Draußen erwartete sie eine Truppe von 30 Menschen, zwei Zwergen, einem Elf und einem Halbling. Alle musterten sie als sie zu ihnen trat, die meisten lächelten ihr aber freundlich zu, einer reichte ihr einen Becher Wasser. Paracelsa hatte sich gar nicht alle Namen merken können, die ihr gesagt wurden. Es war immer noch alles sehr viel für sie.

Ana erklärte ihr dann, dass sie ab jetzt zu ihnen gehörte und damit auch für ihr Essen arbeiten müsste. Paracelsa nickte nur. Sie sah resigniert in ihren Becher, doch Ana erzählte weiter: Da Paracelsa lesen und schreiben konnte, würde sie dabei helfen die Flugblätter zu erstellen. Und da sie mehrere Sprachen verstehen und auch sprechen konnte, würde sie die Flugblätter auch verteilen. Natürlich wäre sie dabei nie alleine unterwegs. Dass sie beim Auf- und Abbau ihres Lagers mithelfen würde, verstand sich von selbst. Auf all diese neuen Informationen nickte Paracelsa einfach. Ihr stiegen schon wieder Tränen in die Augen. Doch der Mann neben ihr – er hieß Ronan und war vielleicht fünf Jahre älter als sie – legte seinen Arm um ihre Schultern und sprach ihr Mut zu. Sie müsste keine Angst haben, auch wenn Ana manchmal streng und herrisch herüber kam. Angesprochene quittierte diesen Kommentar mit einem herausfordernden Blick. Doch Paracelsa, völlig überrumpelt von dieser plötzlichen freundschaftlichen Geste, zuckte erschrocken zusammen. Sie war es nicht gewohnt, dass ihr jemand einfach so, um sie zu trösten, Mut machte und sie umarmte. Der Hüne, der im Übrigen Gerd hieß, hatte Paracelsas Reaktion allerdings völlig falsch verstanden und Ronan verscheucht. Dann kniete sich Ana zu ihr und versprach ihr noch einmal, dass ihr hier nichts passieren würde. Sie würde auch nur auftreten müssen, wenn sie unbedingt wollte. Aber da Emiliana ihnen erzählt hatte, dass Paracelsa bisher nur im Haushalt gearbeitet hatte, sollte sie hier mithelfen und sich um die Verwaltung der Truppe kümmern. Paracelsa nickte nur stumm zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. Kurz darauf zogen sie auch schon weiter. Paracelsa setzte sich neben Ana auf den Kutschbock und betrachtete jetzt endlich auch ihre Umgebung: Sie fuhren gerade aus einem kleinen Tal heraus. Grüne Wiesen und Felder säumten ihren Weg. In der Ferne konnte sie einen Wald ausmachen.

Ana redete die ganze Zeit auf sie ein. Sie erklärte Paracelsa, wer welche Aufgaben hatte und sagte ihr auch wo sie bisher aufgetreten waren. Die Städte waren für sie am attraktivsten. Allerdings bestand dort auch immer die Gefahr, dass sie für etwas angeklagt und verurteilt wurden, dass sie gar nicht begangen hatten. Es war immer einfacher einem unbekannten Fremden die Schuld an etwas zu geben. Paracelsa hörte sich das alles schweigend an.

Dann gehörte sie jetzt also zu den Schaustellern.

Kapitel 5

Paracelsa hatte die letzten Tage sehr viel geschlafen. Ana hatte ihr ein Bett in einem der Wagen zugewiesen. Sie hatte dort ihr eigenes kleines Reich. Und war völlig überfordert davon. Plötzlich durfte sie Dinge besitzen, ohne sie verstecken zu müssen. Und hier gab es Privatsphäre. Sie wurde von niemandem gezwungen morgens aufzustehen. Alle gingen sehr locker und freundschaftlich miteinander um. Paracelsa fühlte sich an die Zeit in ihrem Heimatdorf erinnert.

Doch so rosig es auch für Paracelsa schien, gab es doch Situationen, die dieses Bild trübten. Denn sobald sie sich mit ihrer Wagenkolonne einer Stadt oder einem Dorf näherten, wurden alle angespannt. Manchmal wurden sie auch beschimpft und sofort wieder verjagt. Paracelsa versuchte sich nichts anmerken zu lassen, was ihr aber sichtlich schwer fiel. Sie hatte Angst. Und jeder konnte ihr das ansehen. Also versuchte sie sich wann immer es ging in Momenten wie diesen ins Innere ihres Wagen zurückzuziehen. Erst, wenn sie wieder Halt machten, kam sie nach draußen.

Sie fasste schnell Vertrauen zu Ana. Diese hatte hier das Sagen. Sie entschied, wo sie als nächstes hinfahren würden und wie ihr Programm aussehen würde. Gerd machte ihr manchmal immer noch Angst. Aber das lag nur an seiner Erscheinung. Er war fast doppelt so groß wie Paracelsa und sah meistens grimmig in die Welt. Und wenn sie ihr Lager nicht schnell genug abbauten, trieb Gerd sie zur Eile. Seine Stimme war ebenso gewaltig wie seine Statur. Paracelsa versuchte sich schnell einzubringen. Sie half, wo sie konnte: Bei der Zubereitung des Essens packte sie mit an, sammelte Kräuter, nähte Knöpfe an. Doch anders als sie vermutete, sagte ihr Ana mehr als einmal, dass sie sich auch entspannen durfte. Paracelsa wusste mit dieser Aussage aber nichts anzufangen... Sie benahm sich wie immer. Warum vermutete Ana also, dass sie angespannt war?

Sie näherten sich immer mehr dem „Düsterwald“. Dieser riesige dunkle Wald war voller unheimlicher Kreaturen: Trolle, Works oder auch Werschweine. Kein Mensch, dem sein Leben lieb war, ging freiwillig dorthin. Druiden und Heiler wagten sich allerdings immer wieder an den Rand dieses Waldes heran. Sie waren auf der Suche nach Kräutern, die heilen konnten, Schutz boten oder kleine Geister vertreiben konnten. Doch das alles wusste Paracelsa zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Für die Schausteller stellte sich jetzt die Frage, ob sie weiterfahren oder in der Nähe dieses Waldes rasten sollten. Die Nacht würde schon bald hereinbrechen, und sie entschieden sich dafür im Tal zu bleiben. Auch wenn sie nur Schausteller waren, hatten sie doch alle genug Übung im Umgang mit Waffen, um gefährlichen Tieren oder den Kreaturen des Düsterwalds etwas entgegen setzten zu können. Alle, bis auf eine.

Sie saßen am Abend zusammen am Feuer und diskutierten darüber, wer Nachtwache halten sollte. Ronan und Gerd lieferten sich einen heftigen Schlagabtausch, da beide zwar sehr gute Kämpfer waren, aber dennoch schlafen wollten. Ana stellte sie schließlich vor die Wahl, dass sie entweder gemeinsam Wache hielten oder sich endlich einigten. Ronan und Gerd tauschten noch einen Blick aus, dann seufzte Ronan und gab sich schließlich geschlagen. Aber er wollte auf keinen Fall allein wach bleiben. Ana entschied daraufhin kurzerhand, dass Paracelsa mit ihm die Wache übernehmen würde. Sie fügte sich in ihr Schicksal, während Ronan vor Freude jauchzte. Die anderen warfen ihm dafür einen missbilligenden Blick zu.

Als Paracelsa nachts mit Ronan allein am Feuer saß, zeigte ihr Ronan eine andere Seite von sich. Denn der immer gut gelaunte junge Mann schien nur eine Fassade zu sein. Jetzt blickte er nachdenklich ins Feuer. Paracelsa saß ihm gegenüber und sah ebenfalls in die Flammen. Ronan sprach mit ganz ruhiger, fast schon verträumter Stimme. Paracelsa fragte sich die ganze Zeit, ob er ähnliches durchgemacht hatte wie sie. Sie traute sich allerdings nicht ihn so etwas persönliches zu fragen. Stattdessen lauschte sie einfach seinen Geschichten. Er hatte ein Talent dafür Geschichten zu erzählen. Und dabei war es egal, ob er etwas erzählte, das ihm selbst widerfahren war oder ob es ein uraltes Märchen war. Ronan schaffte es mit seinen Worten und einigen Gesten die schönsten Bilder zu erschaffen. Für Paracelsa war es wie eine Flucht in andere Welten, wenn sie ihm zuhören durfte. Doch an diesem Abend erzählte er ihr nicht nur von den Abenteuern der Schaustellertruppe, sondern versuchte auch mehr über sie herauszufinden. Da Paracelsa allerdings nicht mehr allzu viel von ihrer Zeit im Birkental wusste, beschloss Ronan, dass sie zusammen dorthin reisen würden. Irgendwann, wenn sich die Gelegenheit ergab. Sein schier unerschöpfliches Repertoire an Geschichten rief in ihm einige Sagen wach, die er aus der Gegend um Birkenwald kannte. Paracelsa kannte diese Märchen und Sagen ebenfalls. Und so redeten sie lange über die verschiedenen Versionen vom Meister Hase mit dem Eichenstab oder den Drei Marienkäfern.

Als eine Pause zwischen ihnen entstand, holte Ronan Metbecher für sie beide und setzte sich dann neben Paracelsa. Sein Ton war wieder ernst geworden, denn jetzt wollte er genaueres über Paracelsa Leben erfahren. Und über die Bräuche, die sie kannte. Paracelsa fürchtete im ersten Moment, dass er ihr zu nahe kommen würde, doch sie entspannte sich schnell und genoss schließlich seine Nähe. Denn Ronan besaß genügend Taktgefühl, um immer noch eine Armlänge Platz zwischen ihnen zu lassen.

Ronan begann schließlich Paracelsa von den alten Göttern zu erzählen. Für sie klang es immer noch fantastisch, doch Ronan erklärte nebenbei auch den Grund für verschiedene Traditionen, die auch Paracelsa kannte und gepflegt hatte. Für sie war es sehr aufschlussreich zu erfahren, wieso an Beltane Feuer die ganze Nacht brennen mussten oder wieso sie mitten im Sommer Erntedank feierten. Es waren immer noch besondere Geschichten, aber sie halfen ihnen beiden die Zeit bis zum Sonnenaufgang gut zu vertreiben. Dennoch fielen ihr irgendwann fast die Augen zu. Und auch Ronan schien es ähnlich zu gehen. Er machte mehr Pausen, wenn er erzählte, musste nach Worten suchen und gähnte immer wieder herzhaft. Er blickte sie müde an, schenkte ihr aber auch ein ehrliches Lächeln. Dann stand er auf, holte seine Ausrüstung und kam zum Feuer zurück. Erst, als er wieder vom Schein des Feuers erfasst wurde, erkannte sie, dass er seine Waffen mitgebracht hatte. Er warf Paracelsa ein Kurzschwert zu, dass diese zwar versuchte zu fangen, aber bloß ungeschickt fallen ließ. Ronan musste laut auflachen und zog sie ein wenig auf. Dann erklärte er ihr, dass sie ein bisschen üben könnten, um die Müdigkeit zu vertreiben. Paracelsa willigte ein, doch Ronan konnte schon an ihrer Haltung sehen, dass sie keinerlei Kampferfahrung hatte. Er war davon ausgegangen, dass sich Paracelsa selbst etwas angeeignet hätte, dass sie zumindest wüsste sich zu wehren. Doch den Tränen nahe erklärte Paracelsa ihm, dass sie bei den Orks nur häusliche Tätigkeiten verrichtet hatte und jeden Tag, den sie keine Schläge bekommen hatte, erleichtert war.

Ronan hatte sein Schwert schnell gesengt als er sah, was sein Scherz bei Paracelsa ausgelöst hatte. Er lief zu ihr, legte sein und ihr Schwert auf die Bank, auf der sie vorhin noch gesessen hatten und nahm sie in den Arm. Er entschuldigte sich für die Taktlosigkeit. Paracelsa allerdings erstarrte. Sie wusste nicht, ob sie ihn auch einfach umarmen konnte oder sich lieber von ihm lösen sollte. Doch noch während sie innerlich um die für sie richtige Entscheidung rang, schlossen sich auch schon ihre Arme um Ronans Taille. Er redete ruhig auf sie ein und strich ihr immer wieder über den Rücken. Und endlich fing Paracelsa an sich zu entspannen. Erinnerungen aus ihrer Kindheit im Birkental kamen ihr wieder in den Sinn, Erinnerungen an ihre Mutter und ihren Vater. Denn zuletzt war sie von ihnen so in den Arm genommen worden.

Am liebsten hätte sie Ronans Umarmung noch länger genossen. Doch sie löste sich schließlich von ihm und blickte ernst drein. Es war höchste Zeit, dass sie lernte zu kämpfen. Ronan sah sie zwar besorgt an, willigte aber sofort ein. Er zeigte ihr die richtige Haltung und wie sie mit Dolchen und Kurzschwertern gute Hiebe ausführte. Für Paracelsa waren das fiele Informationen. Die Müdigkeit hinderte sie daran, alles auf Anhieb richtig zu verstehen. Doch Ronan war geduldig mit ihr, noch zumindest. Sie gingen immer wieder die gleichen Bewegungen durch, bis Paracelsa alles sicher beherrschte.

Der Morgen graute, als beide erschöpft wieder auf der Bank saßen. Paracelsa wollte nur noch schlafen. Ihr fielen fast die Augen zu. Ronan klopfte ihr auf die Schulter, nahm seine Waffen wieder an sich und ging zu seinem Wagen. Auf dem Weg dorthin meinte er noch, dass es jetzt Zeit wäre, dass sie sich eine eigene Waffe besorgte. Paracelsa löschte derweil das Feuer. Sie stand etwas unschlüssig neben den Überresten als Ronan wieder nach draußen trat, aber direkt zu Anas Wagen ging, um laut an die Tür zu klopfen. Zur Sicherheit rief er noch nach ihr. Verschlafen trat diese schließlich zu ihnen. Paracelsa brachte ihr ein schüchternes „Guten Morgen“ entgegen, während Ronan unvermittelt nach einem von Anas belebenden Tränken verlangte. Ana wiederum schickte Paracelsa ins Bett und herrschte Ronan an, dass dieser erst einmal alle anderen wecken sollte. So früh am Morgen war mit Ana nicht zu spaßen. Ronan tat deshalb auch gleich wie ihm geheißen.

Paracelsa hörte, wie die Pferde angeschirrt wurden und das Lager wieder abgebaut wurde. Gerd gab lauthals Anweisungen und auch Ronan glaubte sie zu hören. Auch, wenn sie die Augen vorhin kaum noch offen halten konnte, hatte sie jetzt Schwierigkeiten einzuschlafen. Ana brüllte etwas, eines der Pferde wieherte. Alles war so lebhaft. Paracelsa drehte sich auf den Rücken und blickte zur Decke. Bevor sie einschlief, hörte sie noch einmal, wie Ana und Gerd etwas brüllten.

Ein paar Tage später kamen sie in ein Tal, das ihr vage vertraut vorkam. Interessiert blickte sie sich um, in der Hoffnung ihr würde endlich einfallen, wo sie waren. Ana, die neben ihr auf dem Kutschbock saß, freute sich darüber, dass Paracelsa langsam auftaute und sich endlich für die Orte interessierte, die sie bereisten. Doch Paracelsa erklärte ihr, dass sie diese Gegend zu kennen glaubte. Daraufhin kam sie mit Ana ins Gespräch. Ana schien jede größere Stadt des Kontinents zu kennen. Sie hatte ein umfangreiches wissen über Geografie. Als sie Paracelsa beschrieb, wo sie sich gerade befanden, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Das Birkental war weniger als einen Tagesritt von hier entfernt. Sie war schon einmal mit ihrem Vater hier gewesen. Sie griff an ihren Hals, um den sie das Tuch, das sie vor so vielen Jahren von ihm bekommen hatte, trug. Doch dann blickte Paracelsa wieder zu Ana und begann zu erzählen, wie sie mit ihrem Vater die umliegenden Städte bereist hatte. Ana hörte ihr erfreut zu und erzählte dann wiederum, was sie in dieser Gegend alles erlebt hatte.

Während sie ihren Weg fortsetzten, erkannte Paracelsa immer mehr wieder. Und als sie ihren Blick so schweifen ließ, bemerkte sie in der Ferne jemanden. Sie konnte nicht sagen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Die Person war groß und schlank, trug Hosen und hatte lange Haare. Paracelsa war fasziniert von dieser Silhouette und brannte darauf diese Person endlich aus der Nähe betrachten zu können.

Auf ihrem Weg kamen ihnen jetzt immer mehr Menschen und Halblinge entgegen – sie näherten sich einer Stadt. Paracelsa hörte wie sich eine Gruppe Menschen, an denen sie vorbei fuhren, abfällig über „Langohren“ unterhielten. Dabei hatte sie hier gar keine Hasen gesehen...

Endlich kamen sie dieser Person so nahe, dass Paracelsa mehr von ihr erkennen konnte: Ein Teil der Haare, die so hell waren wie die von Paracelsa, war am Hinterkopf zusammengebunden, ein weites Hemd verbarg die genaue Statur. Die dunklen Hosen steckten in kniehohen Stiefeln. Und dann drehte sich die Person schließlich zu ihnen um. Paracelsa sah sehr überrascht drein, Ana dagegen wandte den Blick nicht von der Straße ab. Der Elf, den sie jetzt passierten, sah freundlich zu Paracelsa. Er nickte ihr sogar zu, was Paracelsa sehr verwunderte und sie erröteten ließ. Schnell sah sie deshalb zu ihren Fußen.

Als eine Stadt in Sichtweite kam, meinte Ana schließlich, dass bei Elfen Vorsicht geboten war. Denn auch, wenn sie immer freundlich schienen, waren sie doch herablassend zu all jenen, die nicht zu ihresgleichen gehörten. Sovara, der Elf, der zu ihrer Truppe gehörte, bildete da keine Ausnahme. Doch er war geschickt und sorgte für Aufmerksamkeit. Es war eine Zweckverbindung, das wussten sie alle. Doch Paracelsa wollte nicht so recht glauben, dass alle Elfen so wären, wie Ana ihr beschrieben hatte. Sie hatte schließlich einen Elf kennengelernt, der gut mit ihrem Vater befreundet war. Und auch, wenn sie sich nicht mehr an den Namen erinnern konnte, hätte sie ihn doch detailliert beschreiben können. Zudem hatte ihr Vater mit dem höchsten Respekt von ihm gesprochen. Von Anfeindungen oder Missgunst war keine Spur.

Paracelsa dachte noch lange über Anas Worte nach. Denn sie hatte das Gefühl, dass sie schon recht bald wieder Kontakt zu diesem Elf haben würde...

Kapitel 6

Paracelsa stand beim Marktplatz und half dabei Flugblätter zu verteilen. Ronan war mit ihr hier und rührte die Werbetrommel. Und die Menschen liefen wirklich langsamer oder blieben sogar stehen, wenn sie zu Ronan kamen. Doch auch Paracelsa erregte einige Aufmerksamkeit. Viele hielten sie für ein Elfenmädchen oder zumindest eine Halbelfe. Paracelsa gefiel diese Aufmerksamkeit zwar nicht, doch sie machte unbeirrt weiter. Noch waren nicht alle Flugblätter verteilt.

Der Rest der Truppe war schon den ganzen Tag damit beschäftigt das Lager aufzubauen und die Bühne herzurichten. Leider durften sie nicht in die Stadt kommen, aber direkt vor den Stadttoren wurden sie geduldet. Und da der Sommer sich gerade von seiner besten Seite zeigte, standen die Chancen nicht schlecht, dass ihre Vorstellung auch ganz gut besucht werden würde.

Paracelsa fiel es immer schwerer zu lächeln. Die Menschen der Stadt hatten angefangen sie „Elfenkind“ zu nennen und fragten sie, was sie so weit weg vom Düsterwald bei einer Schaustellertruppe tat. Paracelsa musste immer wieder erklären, dass sie ein Menschenmädchen war. Sie war nicht einmal eine Halbelfe. Die Leute reagierten daraufhin oft enttäuscht und wendeten sich wieder von ihr ab. Sie wusste einfach nicht, wie sie anders auf solche Bemerkungen reagieren sollte...

Paracelsa hatte nicht bemerkt, dass ein Mann auf sie zu getreten war. Erst als eine freundliche Stimme sie ansprach, blickte sie auf. Und die Überraschung war Paracelsa mehr als deutlich ins Gesicht geschrieben. Sie brachte kaum mehr ein gerades Wort heraus, weil vor ihr jener Elf stand, den sie gestern noch auf der Straße gesehen hatte, als sie hierher fuhren. Er stellte sich ihr als Cyrias vor. Als er um ein Flugblatt bat, lächelte er sie die ganze Zeit überaus freundlich an und versuchte Paracelsa in ein Gespräch zu verwickeln. Doch diese traute sich immer noch nicht zu sprechen. Sie wusste, dass man gegenüber Elfen besondere Formen der Höflichkeit wahren musste. Doch sie wusste nicht mehr, worin diese konkret bestanden.

Ein Arm legte sich dann plötzlich auf ihre Schultern und Ronan fragte den Elf, was dieser von Paracelsa wollte. Paracelsa wollte ihm zwar erklären, dass Ronan die Situation missverstanden hätte, doch Cyrias erklärte in einem immer noch sehr freundlichen Ton, dass er Paracelsa nur einige Fragen zur Truppe gestellt hatte. Ronan verwies daraufhin auf ihr Flugblatt und merkte noch an, dass Cyrias ja zu einer ihrer Vorstellungen kommen könnte, wenn er die Truppe unbedingt kennen lernen wollte. Paracelsa blickte ihn daraufhin entsetzt an, was Cyrias keinesfalls entgangen war. Er lachte kurz auf, wünschte Paracelsa und Ronan noch einen schönen Tag und verschwand dann wieder in der Menge.

Paracelsa erklärte Ronan kurz darauf, dass er äußerst unhöflich gewesen war. Dieser zuckte aber nur die Schultern und meinte, dass er niemals zulassen würde, dass Paracelsa belästigt werden würde – egal von wem. Es gehörte sich einfach nicht. Paracelsas Erklärungsversuche, dass Cyrias sie keineswegs bedrängt oder belästigt hatte, stießen bei Ronan auf Unverständnis. Er nahm seinen Arm endlich von Paracelsas Schultern, sah ihr fest in die Augen und fragte, ob sie sich denn in Cyrias Gegenwart wohl gefühlt hatte. Paracelsa kam ins Grübeln. Nur, weil jemand freundlich war, bedeutete das nicht, dass er sie nicht auch belästigte.

Als Paracelsa am Abend mit den anderen am Feuer saß, ging ihr die Begegnung mit Cyrias nicht aus dem Kopf. Er war wirklich sehr freundlich gewesen, auch nachdem Ronan ihn so angefahren hatte. Von Sovara hatte sie das schon anders erlebt. Wenn ihm etwas gegen den Strich ging, konnte er fluchen wie ein Zwerg. Und er wäre auch niemals so ruhig geblieben wie Cyrias.

Ronans Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Er hatte sich beim Met nicht zurück gehalten und lästerte jetzt lauthals über Cyrias. Die Zwerge stimmten schnell in diese Schimpftirade mit ein, genau wie ein paar andere aus der Truppe. Sovara hatte sich schon vor einiger Zeit von der Truppe entfernt. Er saß in der Nähe der Stadtmauer auf einem Stein. Paracelsa stand aus einem Impuls heraus auf und ging zu ihm. Sovara war sichtlich überrascht von Paracelsas Erscheinen, doch er schickte sie nicht wieder weg. Paracelsa wusste nicht, ob es auch wirklich in Ordnung für ihn war, dass sie ihm Gesellschaft leisten wollte, oder ob er einfach nur höflich war. Doch sie setzte sich dennoch zu ihm.

Paracelsa fragte ihn gerade heraus, ob er Ronans Lästereien ebenfalls nicht mehr zuhören wollte. Er nickte ihr zu und lächelte. Paracelsa hatte ihn bisher noch nie lächeln gesehen. Also fasste sie Mut und fing einfach an zu reden. Mit Schaustellern unterwegs zu sein, hätte sie sich niemals träumen lassen als sie noch ein Kind war. Sie war noch immer fasziniert von dem Leben, dass sie jetzt führte. Doch sie wusste auch, dass sie nur so lange wie nötig bei der Truppe bleiben würde. Denn auch, wenn es ihr hier gefiel, war es dennoch nicht ihre Welt. Sovara erzählte ihr daraufhin, dass er jetzt schon über zehn Jahre mit den Schaustellern unterwegs war. Er war aus seinem Heimatdorf weit im Norden verbannt worden und streifte lange Zeit allein umher. Zeitweise hatte er sich Diebesbanden angeschlossen, irgendwann war er aber im Herbst auf Ana und ihre Truppe gestoßen. Er war halbverhungert, sein Lebenswille kaum noch vorhanden. Weil er ein paar einfache Zauber beherrschte und ein geschickter Kletterer war, durfte er bleiben. So war ihre Zweckgemeinschaft entstanden.

Paracelsa hätte zu gerne gewusst, weshalb Sovara verbannt worden war. Doch sie hütete sich direkt danach zu fragen. Als Sovara zu ende erzählt hatte, bedankte er sich bei Paracelsa. Bisher hatte er noch niemandem so ausführlich von seiner Lebensgeschichte erzählt. Und Paracelsa hatte voller ehrlichem Interesse zugehört, was er bei den anderen der Truppe bisher nicht erlebt hatte. Paracelsa bedanke sich wiederum für die Offenheit und das Vertrauen, das Sovara ihr entgegen brachte. Dann stand sie auf und ging zurück zum Feuer. Auch wenn er nichts gesagt hatte, wusste Paracelsa doch, dass für sie der richtige Zeitpunkt gekommen war, um Sovara zu verlassen.

Sie war gerade in den Schein des Feuers getreten, als ihr Ronan eröffnete, dass sie die Nachtwache übernehmen müsste. Sie und Sovara. Ronan würde aber noch ein bisschen hier sitzen bleiben und ihr Gesellschaft leisten, wenn sie wollte. Paracelsa bedankte sich, war aber dennoch irritiert von Ronan. Seit der Begegnung mit Cyrias wich er ihr kaum noch von der Seite. Sie fragte ihn deshalb, was los war. Ihr Ton war zwar nicht vorwurfsvoll gewesen, dennoch sah Ronan betreten in seinen Becher Met, den er immer noch in der Hand hielt und antwortete dann fast flüsternd, dass es etwas persönliches wäre. Paracelsa wollte das genauer wissen, aber Sovara trat zu ihnen. Ronan stand fast augenblicklich auf, erklärte noch, dass er Paracelsa ein andermal davon erzählen würde, weshalb er an diesem Nachmittag so unfreundlich zu Cyrias gewesen war und ging zu seinem Schlafplatz. Paracelsa sah ihm noch lange irritiert hinterher. Doch Sovara erklärte schließlich, dass sie sich keine Sorgen um Ronan machen müsste. Dann setzte er sich ans Feuer.

Paracelsa holte zwei Becher Met für sie und setzte sich zu ihm, wie vorhin schon an der Stadtmauer. Vor ihnen war bereits eine Bühne aufgebaut, ein Hochseil war ebenfalls gespannt. Morgen würden sie ihre erste Vorstellung geben. Paracelsa war sehr gespannt darauf. Sie liebte es seit jeher Artisten bei ihren Kunststücken zuzusehen. Sovara sah sie sehr überrascht an, musste aber lächeln, als Paracelsa von den Schaustellern erzählte, die sie in ihrer Kindheit im Birkental gesehen hatte. Sie dürfte gespannt sein und sollte morgen etwas zu Gesicht bekommen, das Sovara vorher noch nie vor Publikum gezeigt hatte. Paracelsa begann ebenfalls zu lächeln. Sovara schien doch nicht so distanziert und herablassend zu sein, wie Ana ihr gesagt hatte.
 

Die Menge sah gespannt zum Hochseil. Paracelsa hatte den Atem angehalten. Sie konnte ihren Blick nicht von Sovara abwenden. Er stand in luftiger Höhe auf dem Seil und hielt inne, bevor er das nächste Kunststück zeigte.

Sovara stand mit geschlossenen Augen auf dem Trapez und spannte seinen ganzen Körper an, um dann in den Handstand zu gehen. Und auf Händen lief er dann zum Trapez. Die Zuschauer applaudierten verhalten. Alle wussten, dass Sovara noch nicht fertig war mit seinem Auftritt. Sovara wartete kurz, dann spannte er wieder jeden Muskel an. Die Menge wartete gespannt, ebenso wie Paracelsa. Sie war zwischen den Wagen hervor gekommen und stand jetzt fast bei den Zuschauern. Ronan hatte sich neben sie gestellt – er würde danach versuchen die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu lenken. Und auch, wenn er mit verschränkten Armen und einer unbewegten Miene dastand, hatte Paracelsa dennoch mitbekommen, dass er ebenso gespannt wie sie zu Sovara hinauf blickte.

Sovara atmete noch einmal tief ein, ging leicht in die Hocke, um dann loszurennen. Er rannte bis ungefähr zur Mitte des Seils, sprang hoch in die Luft, machte eine Kombination aus Salto und Schraube und landete auf dem zweiten Trapez. Das Publikum jubelte ihm zu. Paracelsa fiel erst jetzt auf, dass sie und Ronan die Luft angehalten und erleichtert ausgeatmet hatten, als Sovara sicher gelandet war. Und kaum hatte Sovara seinen sicheren Stand wieder, kletterte er graziös wieder nach unten. Zurück auf dem sicheren Boden verbeugte er sich noch einmal vor der Menge. Gerd trat sofort zu ihm, legte seine große Hand auf Sovaras Schulter, die dadurch noch schmächtiger aussah und bedankte sich bei ihrem Publikum. Für Paracelsa war das das Stichwort durch die Menge zu gehen und um ein Zeichen der Anerkennung zu bitten, am liebsten in Form von Münzen.

Sie war fast wieder an der Bühne, wo Ronan bereits auf sie wartete. Ihr Publikum hatte sich etwas gelichtet, dennoch warteten viele auf das, was ihnen als nächstes geboten werden sollte. Paracelsa hatte ihren Blick zu Boden gerichtet, während sie so durch die Menge ging. Deshalb war sie auch sehr überrascht, als ihr plötzlich Goldmünzen gegeben wurden. Sie bedankte sich überschwänglich und sah endlich auf. Vor ihr stand Cyrias und lächelte sie charmant an. In Paracelsa kamen die verschiedensten Gefühle hoch: Angst vor Cyrias, weil sie ihn einfach nicht einschätzen konnte, Dankbarkeit für seine großzügige Spende, Verwirrung was er hier tat und auch Ratlosigkeit, weil sie nicht wusste, wie sie angemessen reagieren sollte. Doch sie wurde von Sovara aus dieser Situation befreit. Er war ein paar Schritte auf sie zu getreten und rief Paracelsa zu sich. Sein Ton war scharf, riss Paracelsa aber aus ihrer Erstarrung.

Ana nahm ihr das Geld ab, als sie Sovara erreicht hatte. Auch sie war über die Goldmünzen, die Cyrias ihr gegeben hatte, sehr überrascht. Doch sie machte sich keinen weiteren Kopf darüber und verschwand mit den Einnahmen in ihrem Wagen. Paracelsa trat vor Sovara, der sie herablassend ansah und sie in herrischem Ton anwies mit ihm das Hochseil abzubauen.

Für Paracelsa war es nicht überraschend, dass Sovara jetzt so mit ihr sprach. Diese Vertrautheit, die sie gestern Abend bei ihm erfahren hatte, zeigte er nur, wenn er mit Paracelsa allein war. Sobald jemand von der Truppe oder auch Fremde in ihrer Nähe waren, blieb er bei ihr auf der gleichen Distanz wie beim Rest der Truppe. Es war fast so, als müsste er für die ganze Welt eine Rolle spielen. Und es gefiel Paracelsa nicht sonderlich, dass er zu allen immer so unfreundlich war. Doch sie ahnte auch, dass Sovaras Gründe dafür ihre Wurzeln bei seiner Verbannung hatten.

Ronan hatte bereits begonnen eine Geschichte zu erzählen. Sein Publikum bestand jetzt zum Großteil aus Kindern, die ihm allerdings gebannt zuhörten. Paracelsa hatte gerade ein Seil zusammengerollt, als Sovara an sie herantrat. Er nahm ihr das Seil ab und trug es weg. Es sah bei ihm so leicht aus, Paracelsa dagegen hatte es kaum richtig anheben können.

Der Abend war hereingebrochen, Paracelsa saß mit den anderen zusammen und aß. Es war noch nicht allzu spät, eine weitere Vorstellung würden sie heute Abend aber nicht mehr geben. Erst morgen würden sie versuchen die Nacht zum Tag zu machen. Ronan und ein paar andere waren in der Stadt unterwegs. Paracelsa war im Lager geblieben, sie war einfach schon müde und wollte bald schlafen gehen.

Sie war gerade auf dem Weg zu ihrem Wagen als sie außerhalb des Feuerscheins jemanden stehen sah. Sie erkannte Sovara schnell und lief geradewegs zu ihm. Er begrüßte sie mit einem Lächeln, dass Paracelsa verlegen erwiderte. Da sie jetzt ungestört waren, agierte Sovara sehr viel entspannter. Paracelsa konnte ihm jetzt endlich sagen, wie beeindruckt sie von seinem Auftritt am Nachmittag war. Er schien verlegen über solch ein ehrliches Kompliment zu sein. Dann wurde er plötzlich sehr ernst und kam auf Cyrias zu sprechen. Paracelsa sollte vorsichtig bei ihm sein. Elfen dürfte sie niemals blindlings vertrauen. Es waren die gleichen Worte, die Ana auch genutzt hatte. Er lächelte sie traurig an und eröffnete ihr dann, dass er Ana einst diesen Rat gegeben hatte. Paracelsa sah ihn überrascht an. Doch dann entschloss sie sich Sovara zu umarmen und bedankte sich bei ihm, dass er sich so um sie sorgte. Dieser war aber völlig überrumpelt und bewegte keinen Muskel. Als er seine Fassung aber wiedererlangte, tätschelte er Paracelsas Schultern und löste sich aus der Umarmung.

Paracelsa verabschiedete sich schnell von ihm und ging zu Bett. Sie mochte Sovara, auch wenn er sich meistens unnahbar gab. Sie fand es schade, dass er nicht auch den anderen diese herzliche Seite zeigte. Und als sie ihn jetzt umarmt hatte, war ihr erst richtig aufgefallen, dass er nach einer Spur Thymian und Oregano roch. Mit einem Lächeln im Gesicht schlief sie über dieser Erkenntnis schließlich ein. Die Zeit bei den Schaustellern war so viel angenehmer als ihr Leben als Sklavin. Doch wie lange sie noch zu ihnen gehören würde, wusste sie jetzt nicht zu sagen.

Kapitel 7

Wie es aussah, würden sie noch einige Tage hier bleiben. Die Einnahmen waren gut, die Zuschauer zahlreich. Und noch dazu kam, dass es ein sicherer Ort für sie war. Ana hatte sich in der Stadt mit Zutaten für ihre Tränke eingedeckt und Paracelsa war von Ronan zu einem Waffenschmied gebracht worden. Sie sollte sich einen Dolch oder besser noch ein Kurzschwert kaufen, um sich in Zukunft besser selbst verteidigen zu können. Und damit sie nicht immer auf die Waffen ihrer Schaukämpfe angewiesen waren. Paracelsa hatte sich für einen Dolch entschieden. Er lag gut in der Hand, hatte ein angenehmes Gewicht und sie könnte ihn in ihrem Stiefelschaft verbergen – genau was sie brauchte. Fast alles, was sie während der letzten Tage an Geld verdient hatte, gab sie jetzt für diesen Dolch aus, doch das war es ihr Wert. Und es war notwendig, dass sie eine Waffe besaß, selbst wenn es nur eine kleine wäre.

Der Dolch hatte eine schmale Klinge und eine kleine Parierstange. Der Griff war in schwarzes Leder gebunden, genau wie die Scheide. Verzierungen hatte er keine. Aber das brauchte er auch nicht, schließlich sollte sie sich mit dem Dolch zur Wehr setzen können, nötigenfalls auch aus dem Hinterhalt. Und offen tragen oder herumzeigen, wollte sie ihn eh nicht.

Als sie mit Ronan wieder zurück zur Truppe ging, fasste sie endlich den Mut und fragte offen heraus, weshalb Ronan so besorgt um sie war. Denn die ganze Zeit, die sie heute in der Stadt verbracht hatten, war Ronan ihr nicht von der Seite gewichen. Er stand zwar meistens einen Schritt hinter ihr, war aber immer angespannt und bereit dazu ihr zur Seite zu stehen. Und wenn das Gedränge zu dicht war, legte er einen Arm auf ihre Schulter. Paracelsa hatte das sehr merkwürdig gefunden, hatte aber kein Wort gesagt. Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Doch als sie zurück im Lager waren, benahm sich Ronan wieder normal. Diese beschützerische Seite zeigte er nur, wenn sie unter Fremden waren. Und auch nur gegenüber Paracelsa.

Paracelsa nutzte die erste sich bietende Gelegenheit, die sie mit Ronan allein war, um den Grund für sein ungewöhnliches Benehmen zu erfahren. Es war schon auffällig, dass er nicht von ihrer Seite wich, wenn sie unter Menschen waren.

Ronan war gerade dabei ein paar Kisten umzuräumen, als Paracelsa zu ihm trat. Er hatte gerade keine Zeit ihr das zu erklären, der nächste Auftritt stand schon an, erklärte er ihr. Paracelsa glaubte ihm allerdings nicht. Doch sie widersprach auch nicht. Am Abend hätten sie zusammen Nachtwache und Ronan versprach ihr seine Geschichte zu erzählen, wenn sie allein am Feuer saßen. Paracelsa gab sich damit zufrieden und wollte zu Ana gehen, doch Kiki – ihre Tänzerin – stellte sich ihr in den Weg. Sie sah böse zu Paracelsa herab und schien auch äußerst angriffslustig.

Kiki war einen Kopf größer als Paracelsa, hatte langes lockiges Haar, das sie meistens in einem geflochtenen Zopf trug. Während ihrer Tänze trug sie diese aber immer offen. Ihre braunen Augen sprühten vor Leben, ihre haselnussbraune Haut, von der sie gerne sehr viel zeigte, zog alle Blicke auf sich. Paracelsa hatte immer voller Faszination zugesehen wie Kiki tanzte. Doch Kiki behandelte Paracelsa meistens abfällig. Sie würden wohl niemals Freunde werden, hatte Paracelsa schon ein paar Tage, nachdem sie zur Truppe gestoßen war, festgestellt. Doch seit einigen Tagen hatte sich Kikis Verhalten gegenüber Paracelsa verändert. Sie war richtig feindselig ihr gegenüber geworden. Und jetzt schien es Kiki auf eine Konfrontation abgesehen zu haben. Paracelsa war stehen geblieben, als sie bemerkte hatte, dass Kiki ihr den Weg versperrt hatte. Sie wich Kikis Blick aus und wollte nur schnell zu Ana. Doch Kiki war es egal, ob Paracelsa darauf gefasst war sich mit ihr zu streiten oder nicht. Und dann begann sie aus heiterem Himmel auf Paracelsa zu schimpfen. Kiki hatte eine sehr kräftige Stimme, alle Umstehenden konnten sie laut und deutlich hören, was Paracelsa sehr unangenehm war. Sie verstand ja nicht einmal den genauen Grund, weshalb Kiki so wütend auf sie war. Doch Kiki schimpfte einfach drauf los: Paracelsa sollte sich nicht an alle Männer der Truppe ran machen. Das würde niemand gerne sehen, außerdem würde es zu Problemen führen. Paracelsa wusste allerdings immer noch nicht, was Kiki meinte. Schließlich war Ronan der einzige, der ihr in irgendeiner Weise näher kam. Doch das war wohl nicht, worauf Kiki anspielte. Und Sovara blieb nach wie vor auf Distanz zu ihr. Deshalb fragte sie schließlich wovon genau Kiki sprach. Für Kiki war das allerdings nicht die gewünschte Antwort. Sie stieß ein genervtes Schnauben aus. Dann eröffnete sie Paracelsa in einem mehr als sarkastischen Ton, dass es vergebene Liebesmüh wäre, sich mit Sovara gut zu stellen. Er wäre in keiner Weise an Menschenfrauen interessiert. Und an einem kleinen Kind, wie sie eines war, schon gar nicht. Paracelsa wurde dadurch schlagartig bewusst, das Kiki gesehen haben musste wie sie Sovara an jenem Abend vor ein paar Tagen umarmt hatte. Also sagte sie Kiki in ruhigem Ton, dass diese sich irrte in ihrer Vermutung. Paracelsa wäre an niemandem interessiert und Kiki hätte die Situation einfach nur falsch verstanden. Und dass Paracelsa sich mit Sovara gut verstand, war reiner Zufall. Kiki schritt kopfschüttelnd auf Paracelsa zu und schubste sie beiseite. Dann verschwand sie zur Bühne. Sie begann sich zu dehnen und prüfte ihre Ausrüstung. Paracelsa beobachtete sie noch einen Moment, dann wollte sie ihren Weg zu Ana fortsetzen. Kikis Konfrontation war allerdings nicht unbemerkt geblieben. Sovara trat plötzlich zwischen den Wagen hervor und kam zu ihr. Sein Blick war besorgt, denn Kikis Aktion war nicht spurlos an Paracelsa vorübergegangen. Doch Sovara sagte ihr, dass sie sich keine Gedanken um Kiki machen sollte. Schließlich schwärmte diese schon für ihn, seit er vor zehn Jahren zur Truppe gestoßen war. Sie betrachtete jede Frau, die sich gut mit Sovara verstand, als Konkurrenz. Paracelsa sah fragend zu Sovara. Sie kannte solche Gefühle nicht und konnte Kikis Verhalten einfach nicht nachvollziehen. Sovara schien davon aber sehr beruhigt, klopfte ihr auf die Schulter und verschwand mit einem warmen Lächeln wieder. Kikis Wut würde mit der Zeit schon verrauchen, hatte er noch gesagt, dann war er Richtung Bühne gegangen.

Paracelsa war noch immer verwirrt von dieser ganzen Geschichte. Sie verstand einfach nicht, was Kikis Problem war. Doch solange Sovara sich keine Sorgen machte, musste sie das wohl auch nicht. Sie hoffte bloß, dass Sovara recht behielt und Kikis Wut bald abgeklungen war.

Der Nachmittag war wieder äußerst lukrativ für sie gewesen. Paracelsa saß am Abend erschöpft am Feuer und sah in die Flammen. Ana hatte sich bereits schlafen gelegt, genau wie Gerd und die Zwerge. Kiki war zwar noch wach, hielt aber Abstand zu ihnen, genau wie Sovara. Dieser saß zwischen den Wagen und schnitzte, während Kiki in der Tür ihres Wagens hockte und alles beobachtete. Am Feuer saßen nur noch Paracelsa und Ronan. Und Paracelsa wusste, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen war, um Ronan darüber zu befragen, was sein verändertes Verhalten zu bedeuten hatte. Doch sie traute sich nicht direkt danach zu fragen, so lange Sovara und Kiki noch in der Nähe waren. Also saß sie einfach nur da und starrte in die Flammen. Ronan war natürlich nicht entgangen, dass Paracelsa etwas auf den Nägeln brannte. Deshalb fragte er wiederum direkt, was Paracelsa so beschäftigte. Er hatte Sorge, dass Cyrias wieder aufgetaucht wäre oder dass ihr jemand am Nachmittag zu nahe gekommen war. Doch Paracelsa konnte ihn schnell beruhigen. Sie wollte allerdings erfahren, weshalb Ronan in Cyrias so eine Bedrohung sah.

Ronan seufzte tief und setzte sich dann direkt neben sie. Dann sah er Paracelsa mit ernstem Blick in die Augen und begann ihr seine Geschichte zu erzählen:

Ronan war in einem Dorf, nicht weit von hier entfernt, aufgewachsen. Lange Zeit hatten er und seine Familie – wie auch die restlichen Dorfbewohner – sich sicher vor den ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen gewähnt. Doch der Krieg verschonte keine Ortschaft. War sie auch noch so klein.

Es fiel ihm sichtlich schwer darüber zu sprechen. Er brach immer wieder ab, rang nach Worten und überlegte, welche Formulierungen passend wären. Paracelsa fühlte sich dadurch zwar immer unbehaglicher, doch sie unterbrach Ronan nicht und hörte einfach nur zu. Als sie ihren Blick ein wenig umherschweifen ließ, stellte sie aber fest, dass Sovara sich zurückgezogen hatte. Kiki sah aus, als würde sie das alles nicht interessieren und schien zu dösen. Paracelsa war sich nicht sicher, ob sie ihrer Unterhaltung ebenfalls folgte. Doch da Ronan unbeirrt erzählte, schien es ihn nicht zu stören, dass er mehr als eine Zuhörerin hatte.

Ronan hatte eine ältere Schwester. Sie hieß Jette. Und da ihre Mutter früh gestorben war, war Jette so etwas wie eine Ersatzmutter für ihn gewesen. Sie war fast 10 Jahre älter, es fiel ihm daher nicht schwer so mit ihr umzugehen wie mit einer Mutter.

Jette hatte eine genauso direkte und herzliche Art wie Ana. Das Leben war nicht immer einfach für sie, doch Ronan war glücklich auf ihrem Hof gewesen. Sie hatten dort alles, was sie brauchten, um sich selbst versorgen oder handeln zu können. Doch dieses Leben änderte sich schlagartig, als ein sich näherndes feindliches Heer zurück geschlagen wurde. Er wusste nicht mehr, ob es Orks, Elfen oder Menschen waren, gegen die gekämpft wurde. Aber das war auch nicht von Bedeutung. Ronan und seine Schwester waren davon ausgegangen, dass das größte Unheil damit abgewendet wäre dieses Heer zurück zu schlagen. Die restlichen Dorfbewohner hatten ähnlich gedacht. Doch dem war nicht so. Da das siegreiche Heer auf ihrem Weg zurück durch zahlreiche Orte kam, blieb auch ihr Dorf nicht verschont. Eines nachts waren Soldaten zu ihrem Hof gekommen. Die Gesichter dieser Männer würde Ronan wohl sein Leben lang nicht vergessen können. Sie nahmen an Lebensmitteln, Wein und Geld mit, was sie kriegen konnten. Sie hatten nicht sehr viele Vorräte oder Ersparnisse, was diese Soldaten in Rage versetzt hatte. Ronan und seine Schwester hatten versucht sich zu verstecken, was ihnen aber nicht gelungen war. Jette hatte daraufhin versucht ihn noch aus dem Haus zu schicken, doch dabei wurden sie entdeckt. Sie wollten daher schnell fliehen, doch da nicht alle Männer das Haus betreten hatten, wurden sie abgepasst. Ronan hatte in die nahe Scheune flüchten können und versteckte sich auf dem Heuboden. Jette wurde allerdings schnell gepackt und an einer weiteren Flucht gehindert. Sie war zur Scheune gebracht worden, wo ihr schreckliches bevorstand. Ronan musste mit ansehen und anhören, wie diese Männer über seine Schwester herfielen. Und das nicht nur einmal. Er konnte nichts tun, um ihr zu helfen. Diese Männer waren ihm – da er noch ein Kind war – körperlich mehr als überlegen, zudem war Ronan starr vor Angst. Leise weinend hockte er deshalb die ganze Zeit in seinem Versteck und hoffte, dass das alles bald vorbei sein würde. Doch diese Tortur wollte und wollte kein Ende nehmen. Erst als der Morgen graute, ließen diese Widerlinge von seiner Schwester ab und verschwanden. Erst danach traute sich Ronan aus seinem Versteck und ging zu seiner Schwester. Doch kaum hatte er sie erblickt, war ihm klar, dass sie den nächsten Tag nicht überleben würde.

Und auch jetzt, so viele Jahre danach, machte sich Ronan noch immer Vorwürfe deswegen. Er hätte ihr doch sicherlich irgendwie helfen können. Doch stattdessen hatte er sich feige versteckt...

Wenn Ronan jetzt sah, dass eine Frau oder ein Mädchen bedrängt wurde, kochte eine unbändige Wut in ihm hoch. All der Schmerz, den er schon so viele Jahre mit sich herumschleppte, lebte wieder auf. Niemand sollte sich herausnehmen, einfach den Willen eines anderen zu ignorieren, nur weil man körperlich überlegen war. Ihm wurde jeden Mal übel von so viel Arroganz. Und im Lauf der Jahre hatte er gemerkt, dass sich gerade Männer einfach viel zu viel herausnahmen. Eine abscheuliche Absicht, verpackt in noch so schöne Worte, machte das Vorhaben nicht weniger abscheulich.

Paracelsa kam ins Grübeln. Ronan hatte eine Menge durchgemacht – genau wie sie. Doch er verbarg all das Leid hinter seiner guten Laune. Und Paracelsa fragte sich, ob auch andere Mitglieder der Truppe von Ronans Geschichte wussten. Eine vorsichtige Nachfrage in diese Richtung verneinte Ronan aber. Alle anderen wussten entweder nur sehr wenig über Ronans Vergangenheit oder gar nichts. Paracelsa gehörte jetzt also zu den wenigen Eingeweihten.

Ein Schweigen war zwischen ihnen entstanden. Paracelsa sah wieder ins Feuer und dachte über Ronans Geschichte nach. Und auch Ronan schien seinen Gedanken nachzuhängen. Es war kein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen. Als Paracelsa dann aber einen Blick zu ihm warf, stellte sie fest, dass Ronans Blick in unbestimmte Ferne ging. Und dass er lächelte. Paracelsa fragte, was Ronan durch den Kopf ging, doch dieser war von der Frage aufgeschreckt. Er fühlte sich wohl kalt erwischt und lachte verlegen auf. Dann begann er aber, genauer über seine Schwester zu erzählen:

Jette war groß – fast so groß wie ihr Vater – und schlank und hatte braune Haare wie er, die sie meistens hochband. Im Haus hatte sie fast alle Arbeiten übernommen, da ihr Vater den ganzen Tag auf den Feldern arbeitete. Sie führte auch Buch über alle Ausgaben und ihre wenigen Einnahmen. Ronan wusste aber nicht mehr, wer ihr lesen und schreiben beigebracht hatte. Es gehörte einfach zu Jette wie ihre warmen braunen Augen. Für Ronan war sie die beeindruckendste Person, die er je kennengelernt hatte. Jette hatte sich auch mehr als einmal mit ihrem Vater angelegt, wenn sie der Meinung war, dass Ronan den sonnigen Nachmittag lieber mit seinen Freunden spielen sollte, anstatt auf den Feldern zu schuften. Dafür bekam sie jedes Mal eine Ohrfeige, was sie aber nicht davon abhielt Ronan eine angenehme Kindheit zu ermöglichen. Er fühlte sich immer schuldig, wenn das passierte. Seine Schwester sah ihn aber jedes Mal kämpferisch an und erwiderte, dass sie sich niemals von jemandem sagen lassen würde, was das Beste für Ronan wäre. Jette widersprach ihrem Vater aber nicht bloß, sondern schimpfte ihn auch immer aus, wenn dieser sturzbetrunken am Abend nach Hause kam und all ihr Geld verprasst hatte. Und irgendwann begann Ronan die Erziehungsmethoden und Ansichten, die ihr Vater über die Welt hatte, zu hinterfragen.

Er wischte eine Träne aus dem Augenwinkel und machte eine kurze Pause. Er fand es ungerecht, dass diese Welt ihm Jette genommen hatte. Es war einfach ungerecht, dass er noch zu klein und schwach gewesen war, um ihr helfen zu können. Es war ungerecht, dass diese Männer, nur weil ihnen danach war, seine Schwester vergewaltigt hatten.

So aufgewühlt hatte Paracelsa Ronan noch nie erlebt. Er offenbarte ihr hier gerade seine ganze Gefühlswelt. Doch das wurde Paracelsa erst später klar. Ronan war aber noch nicht fertig: Was ihn noch immer so sehr aufregte war, dass so viele Männer nicht mehr als ein Stück Fleisch in einer Frau sahen.

Paracelsa konnte besser verstehen, weshalb Ronan agierte wie er es tat. Und sie vermutete, dass er so etwas wie eine kleine Schwester in ihr sah. Dass Paracelsa damit aber nur zur Hälfte richtig lag, sollte sie erst Jahre später erfahren.

Kapitel 8

Paracelsa und Ronan übten wieder einmal Schwertkampf. Es gehörte inzwischen zu ihrer morgendlichen Routine zuerst alles wichtige für die Auftritte vorzubereiten und dann noch zu trainieren. Paracelsa machte gute Fortschritte. Sie fühlte sich immer sicherer im Umgang mit den Waffen. Und auch Ronan setzte immer mehr Kraft bei seinen Angriffen ein. Sie konnte seine Hiebe inzwischen entweder gut parieren oder ihnen ausweichen. Natürlich lag das auch daran, dass sie Ronans Strategie durch die vielen Fechstunden mittlerweile sehr gut kannte. Doch ein wenig stolz war sie schon, dass sie mehr und mehr zu einem ernst zu nehmenden Gegner für ihn wurde. Sie waren ein eingespieltes Team, was natürlich auch immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zog. Zwar war es im Moment ausschließlich innerhalb der Truppe, dennoch bekamen sie von allen Seiten Anerkennung. An diesem Morgen waren Grimmbart und Abrax die ersten, die sich zu ihnen gesellten und einfach nur zusahen, wie Paracelsa und Ronan kämpften. Nach und nach kamen dann auch die anderen hinzu. Die Zwerge feuerten Paracelsa irgendwann stark an und riefen ihr immer wieder zu wie sie sich bewegen oder wie sie Ronan ausweichen sollte. Doch durch diese ganzen Zwischenrufe wurde Paracelsa immer unsicherer in ihrem Handeln. Sie strauchelte zuerst nur ein wenig, konnte sich aber schnell wieder fangen. Grimmbart riet ihr daraufhin, dass sie eine Finte versuchen sollte. Paracelsa wollte es auch versuchen, scheiterte aber kläglich.

Ronan brach ihren Kampf schließlich ab als es zu schlimm wurde. Paracelsa war zu aufgeregt und brachte keinen guten Hieb mehr zu Stande. Betreten blickte sie zu Boden. Ihr Publikum zerstreute sich schnell, als Ronan die Übung beendet hatte und ließ ihn und Paracelsa allein. Sie fühlte sich schlecht, dass sie ihren Kampf nicht beenden konnten und gab sich die Schuld daran. Es hatte sie ja auch gestört, dass die Truppe immer wieder etwas dazwischen rief. Doch anstatt selbst etwas deswegen zu sagen, hatte Ronan das Wort ergriffen. Und wieder hatte jemand anderes sich um das kümmern müssen, was eigentlich sie betraf. Dazu kam noch, dass sie maßlos enttäuscht von sich selbst war, weil sie sich so leicht hatte ablenken lassen. Dass Ronan die letzten Zuschauer noch verscheuchte, bekam sie nur am Rande mit.

Sie stapfte in Richtung ihres Wagens, wo sie die Schwertscheide abgelegt hatte. Mit einem Seufzen nahm sie sie in die Hand und blieb einen Augenblick so stehen. Dieser Kampf war ganz und gar nicht gut gelaufen. Doch plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter. Als sie aufblickte, sah sie in Ronans Gesicht, der sie aufmunternd anlächelte. Er sagte ihr noch einmal, dass sie jeden Tag besser wurde. Doch Paracelsa hatte jetzt kein Gehör für solche Worte. Sie wandte den Blick ab und entgegnete schnippisch, dass Ronan es sich sparen konnte zu versuchen sie zu trösten. Das sie ihn damit vor den Kopf stieß, bemerkte sie gar nicht. Paracelsa war einfach nur frustriert und musste ihre Wut auslassen. Dass Ronan gerade jetzt in ihrer Nähe war, war leider Pech für ihn. Paracelsa wusste einfach nicht wohin mit sich und ihrem ganzen Frust. Doch Ronan ließ sie daraufhin schnell in Ruhe. Er ging ohne ein weiteres Wort zu Gerd und half ihm dabei etwas an der Bühne aufzubauen.

Als Paracelsa in ihren Wagen stieg, traten Tränen in ihre Augen. Wieso war das alles nur so schwer? Wieso ließ sie sich von Zuschauern so leicht aus der Fassung bringen? Und es waren ja nicht einmal Fremde, die ihnen zugesehen hatten. Ihr Schwert legte sie wie automatisch an seinen angestammten Platz neben ihrem Bett. Egal wie viel Wut noch in ihr war, mit der Waffe ging sie immer äußerst behutsam um. Eigentlich hatte sie sich nur noch aufs Bett werfen wollen, um dann in ein Kissen zu schreien, doch von draußen hörte sie Ana nach ihr rufen. Also atmete sie einmal tief durch, dann ging sie zu ihr.

Ana nahm sie mit in ihren Wagen und gab ihr dann ohne weitere Umschweife Anweisungen, welche Tränke sie zubereiten sollte. Paracelsa kannte inzwischen ein paar der Rezepte auswendig. Anas belebender Trank war sehr wichtig für die Truppe. Ein großzügiger Vorrat musste immer auf Lager sein. Schmerzstillende und beruhigende Tränke waren ebenso wichtig. Und diese fanden auch immer Absatz. Deshalb gehörte es für Ana schon zur Routine, dass sie, kaum dass das Lager aufgebaut war, Kräuter und Gewürze kaufte oder sammelte, um ihre Tränke brauen zu können. Und da Paracelsa sehr gut kochen konnte, widmete sich Ana dieser Tätigkeit inzwischen sehr viel stärker. Paracelsa hatte indessen die Truppe zu versorgen. Doch das war für sie in Ordnung. Sie bereitete nicht nur schmackhaftes Essen zu, sondern tat es auch sehr gerne. Oft genug kam es aber auch vor, dass Ana Hilfe benötigte. Auch da ging ihr Paracelsa gern zur Hand. Diesmal würde es auch so sein, dachte Paracelsa. Ana hatte ihr den Auftrag gegeben ein Aphrodisiakum zuzubereiten und danach noch etwas belebenden Trank zu brauen. Die Handgriffe waren ihr klar, weshalb sie sich an ein Regal stellte und begann alle benötigten Zutaten zurecht zu legen und Kräuter zu hacken. Kurze Zeit später wies Ana sie allerdings an etwas anderes zu brauchen. Paracelsa tat wie ihr geheißen und suchte nach dem passenden Kraut. Als sie begann dieses zu zerkleinern, stieg ihr ein beißender Geruch in die Nase. Als sie noch als Sklavin bei der Orkfamilie gelebt hatte, musste sie Gerüche dieser Art sehr oft ertragen. Sie verzog daher keine Miene während sie ihrer Arbeit nachging. Von den Orks war sie viel Schlimmeres gewohnt. Was Ana aber zubereiten wollte, war ihr schleierhaft. Menschen konnten diese Pflanze jedenfalls nicht zu sich nehmen – weder roh noch irgendwie verarbeitet. Und auch als Ana zu ihr trat, erläuterte sie Paracelsa nicht, wofür dieser Trank gebraucht wurde. Stattdessen fragte sie, was zwischen ihr und Ronan vorgefallen war. Paracelsa verstand allerdings nicht, worauf Ana hinaus wollte und fragte deshalb nach. Und in ihrem üblichen harschen Ton wurde Paracelsa erklärt, dass Ana nicht entgangen war, wie die letzte Fechtstunde beendet worden war. Paracelsa bekam sofort wieder ein schlechtes Gewissen und wollte sich auch erklären, doch Ana ließ sie gar nicht richtig zu Wort kommen. Sie hätte Ronan nicht so anfahren sollen, niemand hier machte sich über sie lustig oder wollte ihr etwas Böses. Und nur, weil sie einmal patzte, musste sie nicht gleich die ganze Welt verwünschen. Paracelsa sah wieder betreten zu ihren Füßen. Als Ana ihre kurze Schimpftirade beendet hatte, konnte sich Paracelsa endlich rechtfertigen. Sie war doch bloß wütend auf sich selbst gewesen, sie hatte niemanden verletzen wollen.

Anas Gesichtsausdruck hatte sich schnell geändert als sie sah, wie sehr es Paracelsa zu Herzen ging, dass sie so ungehalten reagiert hatte. Und sie kannte Paracelsa gut genug, um zu wissen, dass sie niemanden mit Absicht hatte verletzten wollen. Doch Ana hatte noch einen Rat für Paracelsa: Offensichtlich fühlte sie sich noch nicht so geübt im Umgang mit Schwertern, dass sie auf ihre gesamte Umgebung achtete und sich deshalb leicht ablenken ließ. Sie sollte einfach weiter üben. Sovara könnte ihr außerdem helfen alles um sich herum zu ignorieren. Mit der Zeit würde sie die Übungskämpfe auch meistern, wenn sie von jemandem beobachtet wurde. Und ganz nebenbei erwähnte Ana auch noch, dass es niemandem von der Truppe entgangen war, dass sie sich sehr gut mit dem Elf verstand. Das wunderte nicht nur Ana. Aber da Sovara eh sehr wählerisch war, wem er seine Gunst erwies und er Paracelsa offensichtlich mochte, würde Ana nicht einschreiten. Denn sie hatte auch gesehen, dass es Sovara ganz gut tat, dass ihm jemand näher stand. Paracelsa verstand allerdings nicht, worauf Ana anspielte und sah sie deshalb fragend an. Ana begann daraufhin zu erklären: Kiki hatte sich lauthals jedem, der es hören und auch nicht hören wollte, erzählt, dass Paracelsa Sovara schöne Augen machen würde. So wirklich glauben, konnte das niemand. Aber keiner traute es sich Sovara direkt darauf anzusprechen. Ana hatte sich schließlich doch ein Herz gefasst und war zu Sovara gegangen. Es tat der Truppe nicht gut, wenn solche Gerüchte im Umlauf waren. Denn nicht nur Kiki, sondern auch alle anderen bekamen mehr und mehr den Eindruck, dass sie wahr waren. Und es war nicht gut, dass neben Kiki auch noch Paracelsa Liebeskummer haben sollte, weil sie nicht mit Sovara zusammen sein konnten. Doch Sovara hatte Ana schnell beruhigen können. Für Paracelsa hatte nie die Gefahr bestanden in die gleiche Situation wie Kiki zu kommen. Paracelsa verstand davon allerdings kein Wort. Und Ana machte keinerlei Anstalten ihr das genauer zu erklären. Es schien ihr sogar unangenehm zu sein so ein Gespräch mit Paracelsa führen zu müssen. Auf Nachfrage bekam Paracelsa lediglich ein entschuldigendes Lächeln, dann durfte sie wieder gehen.

Es war fast Abend, als Paracelsa wieder auf Ronan traf. Sie wollte sich bei ihm entschuldigen, dass sie ihre Wut am Morgen an ihm ausgelassen hatte. Doch Ronan hatte ihr schon längst verziehen und machte ihr keine Vorwürfe. Sie hatten schließlich alle mal einen schlechten Tag. Paracelsa atmete auf, als Ronan ihr das sagte. Zwischen ihnen war alles wie vorher. Und weitere Vorkommnisse sollte es zum Glück auch nicht mehr geben an diesem Tag, so glaubte sie.

Der Auftritt lief jetzt schon eine ganze Weile. Sie wollten gerade zu den Schattenspielen übergehen – die Feuerschlucker waren noch dabei die Bühne zu räumen – als Cyrias zu ihnen kam. Er machte eine besorgte Miene und hatte auch keine guten Neuigkeiten für sie. Paracelsa und auch die restliche Truppe verwunderte es nur sehr, mit welcher Selbstverständlichkeit Cyrias in ihren abgeschotteten Bereich gekommen war. Publikum hatte zwischen den Wagen normaler Weise nichts zu suchen. Und ohne ein Truppenmitglied waren auch niemals Fremde hier zu sehen. Cyrias nahm sich sehr viel heraus. Er wurde folglich auch nicht sehr freundlich begrüßt. Doch davon ließ er sich nicht weiter beeindrucken. Stattdessen wartete er, bis er Ana und Gerd erblickte, dann verkündete er der Truppe, dass ein Krieg bevorstand. Er empfahl ihnen auch sofort, nach Norden zu ziehen und das Lager so schnell es ging abzubrechen. Gerüchte von kriegerischen Auseinandersetzungen und Konflikten waren allerdings nichts neues. Außerdem durchstreiften Orkheere schon seit Jahren den gesamten Kontinent. Dass es dabei zu Kämpfen kam, war für niemanden überraschend. Und dass diese Kämpfe nicht weit von ihrem Standort entfernt waren, war auch nicht verwunderlich. Cyrias blieb allerdings hartnäckig. Sovara kam aus dem Hintergrund und stellte sich schließlich genau vor ihn. Die beiden musterten sich einen Augenblick wortlos, dann begannen sie auf elfisch miteinander zu sprechen. Sie redeten nur einige Minuten miteinander, doch das Thema schien ernst. Schließlich kam Sovara wieder zu ihnen mit ernstem Blick und wollte mit Ana und Gerd sprechen. Und auch, wenn niemand Sovara wirklich lächeln gesehen hatte, hatte er doch nie ein so besorgter Blick wie jetzt. Ana wusste, dass es wirklich ernst sein musste, wenn sogar Sovara sich sorgte. Also verkündete sie, dass sie am nächsten Morgen in aller Frühe das Lager abbrechen würden, und weiter zogen. Dann ging sie zu ihrem Wagen, Gerd, Sovara und in einigem Abstand auch Cyrias folgten ihr. Sie würden die ganze Nacht darüber sprechen, welche Route sie am besten nehmen würden und ob sie noch Zwischenstopps einlegen konnten. Die Truppe konnte sich derweil ausruhen, um für die nächsten Tage genug Kraft zu haben. Cyrias' Nachrichten mussten wirklich besorgniserregend sein, wenn Ana sich dazu durchgerungen hatte, seinen Rat zu befolgen. Und wenn sogar Sovara ihm glaubte.

Dieser letzte Abend hatte ihnen noch einiges an Einnahmen gebracht. Alle hatten nach Cyrias Verkündung versucht normal zu agieren, doch die Anspannung war fast greifbar. Paracelsa konnte es bei allen erkennen. Denn so dankbar sie Cyrias sein konnten, dass sie wahrscheinlich noch rechtzeitig vor einem heran nähernden Heer fliehen konnten, kam diese Nachricht doch zur Unzeit. Der Sommer neigte sich gerade erst dem Ende zu. Sie hatten geplant noch einige Städte anzufahren. Erst im Herbst, wenn das Wetter auch nicht mehr angenehm wäre, wollten sie sich auf den Weg nach Schneeberg machen. Die nördliche Hauptstadt war seit Jahren ihr Ziel, um den Winter dort zu verbringen. Denn auch, wenn die Stadt hoch oben in den Bergen sehr kalt war – auch im Sommer wurde es nicht sehr warm – bot sie doch Schutz und duldete Schausteller in ihren Mauern. Sie könnten dort auch kleinere Auftritte abliefern. Die Wintersonnenwende bot einen entsprechenden Anlass. Und da die meisten von ihnen ein Handwerk beherrschten oder Kenntnisse besaßen, die auch den Stadtbewohnern zu Gute kamen, könnten sie sich zusätzlich als Handwerker, Schreiber oder ähnliches verdingen. Und erst nach der Tag- und Nachtgleiche im Frühling würden sie die Stadt wieder verlassen und sich auf den Weg gen Süden begeben.

Schneeberg war vor Jahrhunderten von Zwergen erbaut worden. Allerdings konnte niemand mehr genau sagen, wann genau das war. Die Fundamente waren uralt. Und nicht einmal die dort ansässigen Zwergenfamilien, die seit Generationen dort lebten, wussten ein ungefähres Alter der Stadt. Durch Kriege, Lawinen oder Schneestürme waren Teile Schneebergs immer wieder zerstört oder anderweitig unbewohnbar geworden. Doch Schneeberg war nie komplett vernichtet worden. Das hatte aber weniger mit Glück zu tun, sondern hing auch damit zusammen, dass viele Wohnhäuser und auch das Regierungsviertel in den Berg gehauen worden waren. Die Handwerksviertel und alle Gasthäuser befanden sich vor dem Berg. Sie waren dadurch leichter angreifbar und der Witterung auch sehr viel Stärker ausgesetzt. Zusätzlich war die Stadt ringförmig angelegt. Die Bewohner konnten im Notfall in den innersten Ring, der ebenfalls in den Berg gebaut war. Dieser natürliche Schutz hatte Schneeberg Jahre und Jahrhunderte bei allen Widrigkeiten überstehen lassen. Paracelsa hatte bisher nur Geschichten über „Die Stadt im Berge“ gehört. Als sie noch bei den Orks gelebt hatte, war Schneeberg ein häufiges Thema. Denn trotz vieler Feldzüge war es nie gelungen die Stadt einzunehmen. Ronan hatte ihr ebenfalls schon erzählt wo und wie die Truppe den Winter verbrachte. Er fand es eigentlich ganz schön dort. Und wären die Winter in Schneeberg nicht so lang und kalt, würde er vielleicht sogar dort bleiben. Doch er brauchte einen Sommer, der länger als ein paar Wochen war.

Durch Cyrias' Verkündung stand die Truppe allerdings vor einem Problem: Sie hatten noch nicht genug Geld eingenommen, um problemlos über den Winter zu kommen. Und sie würden auf ihrem Weg nach Schneeberg auch keinen größeren Halt machen, sie mussten so schnell es ging nach Norden gelangen. Als Ana ihnen das mitgeteilt hatte, war die Überraschung gewaltig. In der Truppe regte sich Protest, doch Ana wusste diesen schnell zu unterbinden. Unruhen konnten sie jetzt nicht gebrauchen, ihre Lage war dafür viel zu ernst, wenn Cyrias mit seiner Vermutung Recht behalten sollte.

Es waren Situationen wie diese, in denen Paracelsa erst wieder klar wurde, dass Ana das Sagen über die Schausteller hatte. Momente wie eben waren selten. Die meiste Zeit war es deshalb so, dass bei der Truppe kein wirklicher Anführer erkennbar war. Von Außen noch weniger als als Teil der Schausteller. Jeder wusste um seine Aufgaben und Fähigkeiten. Es war niemand wirklich nötig, der sie alle koordinierte. Und wenn der Auf- und Abbau doch einmal länger dauerte als geplant, gab es immer noch Gerd, der sie allein mit seiner gewaltigen Stimme zur Eile antreiben konnte.

Die Dienste, die sie anboten, um über den Winter zu kommen, würden nicht genug Geld einbringen, damit sie sich in Schneeberg bequem versorgen konnten. Doch da ein Krieg bevor stand, wären sie mit Sicherheit nicht die einzige Truppe, die dort Zuflucht suchte. Deshalb wollten sie so schnell es ging aufbrechen. Als Schausteller mussten sie immer mit Anfeindungen rechnen. Und in so kritischen Zeiten wie sie jetzt anbrachen, war fahrendes Volk nicht sehr gern gesehen in den Städten und Dörfern. Ein Spion könnte sich schließlich sehr leicht unter sie mischen. Außerdem könnte man leicht auf das fahrende Volk verzichten. Sie gehörten schließlich nicht zu einer Stadt oder Gilde. Ob sie kämpfen konnten und wollten, wenn es nötig wurde, war für die meisten ebenfalls fraglich. Die Schausteller waren niemandem verpflichtet außer sich selbst. In der Bevölkerung war die allgemeine Erwartung deshalb, dass sie sich aus dem Staub machen würden, sobald es gefährlich wurde. Und je größer die Karawane war, desto weniger gern gesehen waren sie. Das lag aber auch an den Flüchtlingsströmen, die durch Krieg auf der Suche nach einer neuen Heimat oder wenigstens einem sicheren Ort waren. Und Flüchtlinge wurden immer als Eindringlinge betrachtet, die den Einheimischen alles weg nehmen wollten. Paracelsa musste noch lernen, dass viele Menschen eine eingefahrene Meinung hatten und diese auch nicht ändern wollten. Sie wusste von all diesen Vorurteilen und Anfeindungen nur wenig. Doch ihr war klar, dass es viel zu bequem für war einem selbst erschaffenen Feindbild nachzujagen, als zu hinterfragen, was wieso passierte. Doch der schlechte Ruf, den fahrende Händler und Schausteller besaßen, kannte sie. Und sie hatte es am eigenen Leib erfahren müssen, was diese Vorurteile bedeuteten. Sie selbst hatte bisher zwar keine schlechten Erfahrungen mit ihnen gemacht, wenn die Schausteller ins Birkental gekommen waren. Doch sie war noch ein kleines Kind und viele ihrer Erinnerungen waren mit Sicherheit geschönt. Noch dazu kam, dass ihr abgeschottetes Tal immer nur von ein und derselben Truppe angefahren wurde. Andere Schausteller hatte sie nie gesehen. Sie hatte deshalb ein recht positives Bild vom fahrenden Volk. Und seit Paracelsa das Birkental hatte verlassen müssen, war es ihr nie so gut gegangen wie bei den Schaustellern. Sie war ihnen dankbar, dass sie so einfach aufgenommen wurde. Und sie hatte in ihnen so etwas wie eine zweite Familie gefunden.

Paracelsa war gerade damit beschäftigt einige Vorräte sicher für die Weiterfahrt zu verstauen, als Sovara zu ihr trat. Sie begrüßte ihn herzlich, doch Sovara sah sie einfach nur ernst an, dann erzählte er von der Nachricht, die er von Cyrias aus an sie überbringen sollte. Seine Miene war versteinert, er wollte wohl so kühl und unnahbar wie immer wirken. Doch Paracelsa war klar, dass sich alles in ihm sträuben musste, wenn er ihr gegenüber so auftrat. Und dass er das Mindestmaß an Höflichkeit übersprang, sprach ebenfalls Bände. Sovara wahrte die Formen, auch ihr gegenüber. Natürlich war es nicht ganz so gezwungen wie bei anderen, wenn er mit ihr sprach, aber das elfische Auftreten legte er nie ab. Außer heute. Und das beunruhigte Paracelsa. Viele, viele Jahre später, als Paracelsa ihre Geschichte zu Papier bringen wollte und sich all diese Situationen noch einmal in Erinnerung rief, war ihr erst klar geworden, dass Sovara so etwas wie seinesgleichen in ihr gesehen haben musste. Denn während sie den Winter in Schneeberg verbrachten, gab es noch mehr solcher Situationen, in denen Sovara offener als sonst zeigte, was seine wahren Gefühle waren. Wenn er verärgert war, blieb er gegenüber der Truppe kalt, niemand sollte ihm anmerken, wie es ihm wirklich ging. Wenn er allerdings mit Paracelsa allein war, erzählte er ihr in aller Ausführlichkeit, was ihm gegen den Strich ging. Doch es gab auch Ausnahmen. Sovara erzählte ihr im Grunde nur einen kleinen Teil von dem, was in ihm vorging. Das tat er natürlich immer auf elfisch. Offen beleidigen wollte er schließlich niemanden. Und da ihre Lage eh angespannt war, mussten sie immer vorsichtig sein mit dem, was sie sagten oder taten.

In Schneeberg lebten die verschiedensten Völker. Elfen waren dort keine Seltenheit. Und so kam es, dass Paracelsa des öfteren von ihnen angesprochen wurde. Sie war ein bekanntes Gesicht, auch wenn sie es zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste. Sovara hatte schnell begonnen ein Auge auf Paracelsa zu haben und begleitete sie oft, wenn sie in der Stadt unterwegs war. Mal lief er offen an ihrer Seite, mal hielt er sich im Verborgenen. Doch Paracelsa wusste immer, dass er in ihrer Nähe war. Und die Elfen, die sie nach wie vor sehr freundlich grüßten, schienen das ebenfalls zu ahnen. Dass Sovara dieses besondere Menschenkind aber von ihnen fern halten wollte, kam überraschend, auch für Paracelsa. Doch sie vermutete, dass es mit dem Zusammenhing, was Sovara ihr von Cyrias überbracht hatte.

Da Sovara so oft in elfisch mit Paracelsa sprach, war sie schnell besser geworden in dieser Sprache. Es fiel ihr generell sehr leicht so etwas zu erlernen. Und sich Elfisch anzueignen, machte ihr sogar Spaß. Am Ende des Winters sprach sie mit Sovara daher kaum noch in der Gemeinsprache. Kikis Eifersuchtsattacken hatten dadurch natürlich wieder zugenommen. Denn Paracelsa und Sovara sprachen offen in ihrem Lager oder auf den Straßen der Stadt elfisch. Und das gefiel Kiki ganz und gar nicht. Paracelsa ließ Kikis spitze Kommentare irgendwann aber nur noch an sich abprallen. Wenn Kiki unbedingt wissen wollte, worüber sie sich mit Sovara unterhielt, sollte sie elfisch lernen. Paracelsa würde ihr dabei sogar helfen. Außerdem war für sie klar, dass Sovara nur ein Lehrer und guter Freund für sie war. Er brachte ihr eine neue Sprache und ein paar einfache Zaubertränke bei, mehr nicht. Von daher konnte Kiki denken, was sie wollte.

Den ganzen Winter über ging Paracelsa allerdings nicht aus dem Kopf, was Cyrias von ihr wollte. Sovara hatte ihr am Ende des Sommers gesagt, dass sie mit Cyrias gehen sollte. Er würde sie zum Eichen-Hain bringen. Dort wartete bereits jemand auf sie, der sie im Druidentum ausbilden wollte. Der Eichen-Hain war bekannt als Heimat der elfischen Druiden. Denn natürlich gab es auch in den anderen Völkern Druiden und Gelehrte, die auch ein wenig heilen konnten. Doch Paracelsa wusste einfach nicht, wer dort auf sie warten sollte. Sie kannte keine Elfen. Sovara war der einzige, mit dem sie Umgang hatte. Und bei Cyrias war sie sich nicht einmal sicher, ob er überhaupt von dort stammte. Doch wahrscheinlich war das nicht der Fall, wenn sie Sovaras Anspielungen richtig gedeutet hatte. Es war ihr auch schleierhaft, wieso sie als Druidin ausgebildet werden sollte, noch dazu von einem Elf. Die Ausbildung begann für Elfen schon im Kindesalter. Doch sie war fast Erwachsen. Ein paar der Grundlagen kannte sie zwar schon – sie wusste von vielen Kräutern, welche Wirkung diese allein oder in Kombination mit anderen hatten – doch wahrscheinlich hätte sie noch einmal ganz von vorn anfangen müssen. Wenn die Kinder Kräuterkunde beherrschten, wurden sie in den ersten Heilzaubern und den alten Ritualen unterrichtet. Es war eine lange Lehre, bei der sehr viel gelernt werden musste. Paracelsa hatte von all diesen Dingen einige Kenntnisse. Es war kein strukturiertes Wissen, und sie war auch nicht daran interessiert alles genau so zu machen, wie es laut elfischem Druidentum vorgeschrieben war. Sie interessierte sich einfach nur dafür und fand es nützlich, um anderen zu helfen. Und sie hätte niemals damit gerechnet, dass sie eine wahrhaftige Druidin – noch dazu die bedeutendste des Jahrhunderts – werden würde. Was sie während des Winters in Schneeberg nicht ahnte war, dass derjenige, der auf sie im Eichen-Hain wartete, ein alter Freund war. Ihr zukünftiger Lehrmeister musste aber noch eine Weile auf seine beste Schülerin warten...

Kapitel 9

Der Winter war für sie alle hart gewesen. Das Geld, das sie während des Sommers eingenommen hatten, würde zwar reichen, um sie alle noch eine Weile mit Lebensmitteln versorgen zu können, doch alles andere würde zurückstehen müssen: Neue Waffen, neue Kleidung, neue Bühnenausrüstung. Es war eine kleine Katastrophe. Natürlich konnten sie die alten Bühnenbilder auch umgestalten. Aber ohne neue Stoffe und Farben war auch das nur im begrenzten Rahmen möglich.

Sie waren in Schneeberg angekommen, als der Herbst gerade begonnen hatte die Blätter bunt zu färben. Das Wetter war noch schön, selbst die Nächte waren noch nicht allzu kalt gewesen. So weit im Norden sah das allerdings anders aus. Laubbäume gab es kaum noch, dafür aber weitläufige Nadelwälder. Und der sich ankündigende Winter war hier schon deutlich zu sehen und zu spüren. Die Monate in Schneeberg würden lang werden, schließlich würden sie erst wieder abreisen, wenn die Pfirsiche anfingen zu blühen.Und das dauerte noch sehr lange.

An der Tag- und Nachtgleiche hatten sie ihren letzten großen Auftritt absolviert. Die Feierlichkeiten waren in jeder Stadt und jedem Dorf groß. Es war überall ein bedeutendes Ereignis. Auch für die Truppe. Denn auch, wenn bei den Schaustellern nicht sehr viele gläubig waren, bedeutete die Tag- und Nachtgleiche im Herbst doch für sie alle, dass der Winter schon vor der Tür stand. Danach hatten sie sich auf direktem Weg nach Norden begeben. Auf dem Weg dahin war ihnen noch anderes fahrendes Volk begegnet. Und denen war zum Teil sehr deutlich anzumerken, dass sie angespannt über den bevorstehenden Winter waren. Was sie alle hauptsächlich umtrieb, war die Frage, ob sie alle Platz in der Stadt finden würden. Denn auch, wenn Schneeberg eine sehr große Stadt war, bot sie dennoch nicht unbegrenzten Platz für das fahrende Volk. Doch da sie schon so früh unterwegs dorthin waren, standen die Chancen gut, noch aufgenommen werden zu können. Und so war es schließlich auch. Sie hatten es geschafft. Doch ganz untätig mussten sie die nächsten Monate über nicht sein. Denn sie waren nicht die einzige Schaustellertruppe. Und die Feierlichkeiten zum Beginn des Winters sollten hier im großen Stil gefeiert werden. Und das war für sie die Gelegenheit noch einmal etwas Geld einzunehmen. Danach würden wohl hauptsächlich Ana und Ronan dafür sorgen, dass die Einnahmen nicht gänzlich ausblieben. Tränke aller Art waren immer gefragt. Das größte Problem wäre für Ana, dass ihr früher oder später die Zutaten ausgehen würden. Ronan dagegen hatte einen schier unerschöpflichen Vorrat an Geschichten. Er könnte die Gäste in den Schenken mit Leichtigkeit für die nächsten Monate unterhalten. Er müsste also lediglich von Gasthaus zu Gasthaus ziehen und in einer unnachahmlichen Weise erzählen, was er an Erlebnissen, Sagen und Märchen kannte. Jetzt im Winter waren seine Zuhörer empfänglich für die ganz dunklen Geschichten. Und auch für Märchen. Wobei sich diese beiden Richtungen keinesfalls ausschlossen. Und Ronan wusste sein Publikum natürlich zu unterhalten.

Eines Tages aber, als der Winter gerade Einzug gehalten hatte, ging es Paracelsa schlecht. Sie war nicht krank oder hatte Schmerzen. Sie fühlte sich einfach nicht wohl, ihre Laune war miserabel und sie wollte niemanden sehen oder treffen. Sie hatte sich in ihrem Wagen regelrecht verkrochen. Woher diese Niedergeschlagenheit kam, wusste sie nicht. Es war ihr auch egal, alles war gerade unerwünscht. Wenn jemand an ihre Tür klopfte, scheuchte sie den Besucher davon. Oder sie reagierte gar nicht und stellte sich schlafend. Das funktionierte auch bei fast allen Mitgliedern der Truppe. Ana war aber dennoch zu ihr gekommen. Sie wollte einfach wissen, was mit Paracelsa los war. Doch körperlich ging es ihr gut. Anas nächste Idee war, dass Paracelsa ihre Monatsblutung bekommen würde. Aber auch das war nicht der Fall. Das letzte Mal war schließlich keine zwei Wochen her. Ana begann sich Sorgen um Paracelsa zu machen und das sah man ihr auch an. Paracelsa wollte weder etwas essen, noch einen Augenblick nach draußen kommen. Ana verließ daraufhin Paracelsas Wagen wieder unverrichteter Dinge. Sie konnte sich nicht erklären, was dem Kind fehlte.

Der Tag zog sich dahin. Und irgendwann hatte Paracelsa versucht auf andere Gedanken zu kommen. Sie hatte sich vor einiger Zeit ein paar von Anas Rezepten aufgeschrieben und wollte diese auswendig lernen. Damit würde sie zumindest etwas Zeit sparen, wenn sie wieder zusammen brauten. Doch sie gab schon nach ein paar missglückten Versuchen auf. Frustriert setzte sie sich wieder auf ihr Bett. Sie hatte auf der Decke noch einige Kleidungsstücke, die genäht werden mussten. Oder sie könnte ein wenig stricken. Doch beim Nähen stach sie sich so oft in die Finger, dass sie nach nur wenigen Minuten alles wütend in die nächste Ecke warf. Also beschloss sie sich einfach auf das Bett zu legen und den restlichen Tag nur noch an sich vorbei ziehen zu lassen. Doch auch das wurde ihr nicht gewährt. Einige Zeit, nachdem Ana sie verlassen hatte, kam Ronan zu ihr. Auch er hatte sich nicht verscheuchen lassen. Höchstwahrscheinlich war er sogar von Ana geschickt worden.

Paracelsa drehte sich schnell zur Seite und zeigte ihm nur noch ihren Rücken. Sie wollte einfach keine Gesellschaft – egal von wem. Auf Ronans Fragen antwortete sie nur äußerst wortkarg, fast schon pampig. Aber eigentlich hatte es niemand verdient, dass so mit ihm umgegangen wurde, wie Paracelsa es gerade mit Ronan tat. Sie wurde wütend auf sich selbst, weil sie sich schon wieder nicht unter Kontrolle hatte. Es war eine Qual für sie. Sie wusste einfach nicht, was mit ihr los war, wieso sie sich so fühlte. Sie wollte ihre Wut nicht schon wieder an Ronan auslassen.

Ein Schluchzen entfuhr ihr. Eigentlich hatte sie versucht das zu unterdrücken, und auch ihre Tränen konnte sie nicht länger zurück halten. Sie hoffte inständig, dass Ronan davon nichts mitbekommen hatte. Doch ihre Hoffnung wurde sehr schnell zunichte gemacht. Ein Arm legte sich um ihre Taille, dann spürte sie auch schon Ronans Brust an ihrem Rücken. Er sprach in ruhigen Ton mit ihr, versuchte sie zu trösten. Sie dürfe wütend auf ihn sein und ihn auch anschreien, wenn ihr das half. Doch anders als Ronan oder sie es gedacht hatten, brach Paracelsa nun vollends in Tränen aus. Ronan umarmte sie fester und zog sie sogar noch ein Stück näher an sich. Und diese Geste war für sie so viel hilfreicher, als alle beruhigenden oder vorwurfsvollen Worte es hätten sein können. Allein diese Nähe – Ronan musste nichts mehr sagen – erzeugte in Paracelsa ein Gefühl von Heilung.

Wie lange die beiden so auf ihrem Bett gelegen hatten, konnte Paracelsa danach nicht mehr sagen. Ihre Tränen waren schon lange versiegt als Ronan endlich wieder mit ihr sprach. Doch eigentlich hatte er bloß gefragt, ob es ihr inzwischen besser ging. Und wieder war sein Ton ganz vorsichtig, fast so, als wollte er sie nicht wecken, falls sie eingeschlafen wäre. Doch Paracelsa war noch wach und nickte zur Antwort. Ronan löste daraufhin seine Umarmung und setzte sich auf. Paracelsa dagegen rührte sich nicht. Doch da Ronan wusste, dass sie wach war, fragte er sie, ob sie mit ihm zu den anderen kommen würde. In Paracelsa kämpften zwei Seiten miteinander: Die eine wollte unbedingt mit Ronan gehen, die andere lieber hier bleiben. Und ehe es ihr bewusst wurde, hatte sie Ronans Frage verneint. Ronan legte seine Hand noch einmal auf ihre Schulter, dann verließ er sie. Paracelsa bildete sich ein, dass er enttäuscht war. Dabei hatte sie ihn nicht einmal angesehen. Und irgendetwas sagte ihr, dass er gelächelt hatte, als er ging. Das waren so widersprüchliche Eindrücke, dass Paracelsa noch lange darüber nachsann und schließlich einschlief.

Ein paar Tage später fühlte sich Paracelsa wieder normal. Ihre schlechte Laune war wie weg gefegt. Sie wusste nicht, woher diese Stimmung gekommen war oder wieso sie so plötzlich wieder verflogen war. Dennoch hatte sie ein schlechtes Gewissen deswegen. Es kam daher sehr überraschend für sie, dass niemand ihr diesen Tag übel nahm. Einzig Kiki lästerte darüber. Aber davon ließ sich Paracelsa nicht beirren. Zumindest versuchte sie es. Innerlich trafen sie Kikis Sticheleien schon, äußerlich verzog sie allerdings keine Miene. Kiki sollte nicht auch noch die Genugtuung bekommen, dass ihre Worte Paracelsa wirklich trafen.

Ronan zog sie auch ein wenig auf deswegen. Doch bei ihm war es etwas vollkommen anderes. Es waren kleine Scherze und er wusste auch meistens, wie weit er gehen durfte. Aber dadurch, dass sich Ronan und Paracelsa noch näher gekommen zu sein schienen, gaben sie ein Bild für die Schausteller ab, das nicht der Wirklichkeit entsprach. Kiki war die erste, die laut aussprach, was vermutlich allen schon lange durch den Kopf ging: Dass Ronan und Paracelsa ein Paar wären. Paracelsa konnte das allerdings überhaupt nicht nachvollziehen. Sie mochte Ronan, aber mehr als Freundschaft war da nicht. Also zerbrach sie sich nicht weiter den Kopf darüber. Was auch immer Kiki zwischen ihr und Ronan sah, es entsprach nicht der Wahrheit. Doch während Paracelsa unbeirrt ihrem Alltag nachging, hatte Ronan deutlich stärker mit Kikis Kommentaren zu kämpfen.

Es war nur wenige Tage vor Yul. Paracelsa war bei Ana und bereitete einige Tränke mit ihr zu. Und nebenbei kümmerten sie sich auch noch um ihr Festmahl. An Yul gab es traditionell immer sehr viel zu essen: Pasteten, Aufläufe, Kuchen, Gegrilltes Fleisch, Eintöpfe und sehr viel Bier und Met. Natürlich fiel das Mahl der Schausteller nicht so üppig aus wie das der Stadtbewohner, doch darin hatte noch nie jemand ein Problem gesehen. Sie würden Yul trotzdem gebührend feiern können. Und während Paracelsa dabei war einem Eintopf den letzten Schliff zu verpassen, dachte sie über Ronan nach. Sie hatte ihn jetzt schon seit einigen Tagen nicht mehr gesehen. Er war immer irgendwo in Schneeberg unterwegs gewesen. Doch Paracelsa freute sich umso mehr darauf, wenn sie an Yul endlich wieder etwas Zeit verbringen könnten. Ana dämpfte ihre Hoffnung allerdings schnell. Denn gerade zur Wintersonnenwende waren die Gasthäuser voller Gäste. Ronan wäre wahrscheinlich den ganzen Abend oder sogar die ganze Nacht unterwegs, um seine Geschichten zum Besten geben zu können. Das hatte ihnen ja auch bisher immer etwas Geld eingebracht. Und wenn Ronan ausgerechnet zur Wintersonnenwende darauf verzichten würde seine Geschichten zu erzählen, entgingen ihnen einige Einnahmen, die sie dringend brauchten, um gut über den Winter zu kommen. Und während Ana noch ein wenig darüber redete, wie Yul hier die letzten Jahre immer abgelaufen war, überlegte Paracelsa, wann sie eigentlich das letzte Mal an den Feierlichkeiten zur Wintersonnenwende teilgenommen hatte. Bei den Orks hatte sie immer arbeiten müssen – da hatte es für sie keinerlei Feiertage gegeben.

Als der besagte Abend schließlich kam, saß fast die gesamte Truppe zusammen am Feuer. Wie von Ana angekündigt, war Ronan nicht anwesend. Die Stimmung war dennoch ausgelassen. Paracelsa hingegen sah etwas bedrückt drein, versuchte sich aber von der guten Laune der anderen anstecken zu lassen. Entgangen war es schließlich niemandem, dass sie nicht so fröhlich wie sonst war. Kiki kommentierte Paracelsas traurigen Gesichtsausdruck, was Paracelsa allerdings nicht einordnen konnte. Deshalb fragte sie Kiki, was sie meinte. Am Feuer war es augenblicklich still geworden. Niemand sagte ein Wort, die Luft war zum Schneiden. Denn allen war klar, dass es jetzt sehr leicht zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen Kiki und Paracelsa kommen könnte. Kiki atmete scharf ein und warf Paracelsa dann vor sich einfach nur dumm zu stellen – der Kampf hatte also begonnen. Paracelsa allerdings bat in einem sehr höflichen Ton noch einmal darum, dass Kiki ihre Worte erklärte. Und nach einigem Hin und Her zwischen Kiki und Paracelsa war Kiki mehr als deutlich anzusehen, dass sie eine Erkenntnis hatte. Sie antwortete Paracelsa daraufhin, dass sie beide sich nach dem Essen in Kikis Wagen treffen sollten. Die Spannung war aber noch immer greifbar, obwohl sowohl Kiki als auch Paracelsa wieder entspannt am Feuer saßen. Ein paar Kommentare kamen noch von den meist männlichen Mitgliedern der Truppe, die sich um die sich anbahnende Show betrogen fühlten. Natürlich war keines ihrer Worte ernst gemeint, über die Grundstimmung sagte es aber genug aus. Ana unterband das schließlich, indem sie das Thema wechselte.

Für Paracelsa war es unangenehm noch länger am Feuer zu sitzen. Denn die ausgelassene Stimmung vom Anfang war nicht noch einmal aufgekommen. Doch es war schließlich Kiki, die dafür sorgte, dass sich Paracelsa keine weiteren Gedanken mehr darum machten musste. Denn kaum hatte sie aufgegessen, stand sie auf und ging zu ihrem Wagen. Der restlichen Truppe wünschte sie auf dem Weg dahin noch eine gute Nacht und Paracelsa bedeutete sie mit einer Geste ihr zu folgen. Paracelsa tat wie ihr geheißen und lief Kiki schnell hinerher.

Kaum hatten sie den Wagen betreten, sagte ihr Kiki auch schon, dass sie sich hinsetzten könnte, wo immer sie mochte. Paracelsa war dennoch von dieser Aussage überfordert. Denn überall in dem kleinen Raum lagen Röcke, Blusen, Kleider, Tücher und Gürtel herum. Paracelsa nahm daher kurzerhand einen Rock und ein paar Blusen von einem Schemel und legte sie auf eine Kommode, in der Hoffnung, dass nichts herunter fallen würde. Kiki hatte sich derweil im Schneidersitz auf ihrem Bett niedergelassen und blickte ernst zu Paracelsa. Diese wusste immer noch nicht, was sie jetzt erwarten sollte. Doch Kiki begann schon bald ihr verschiedene Fragen zu stellen. Der Grund dafür erschloss sich Paracelsa zwar nicht, dennoch beantwortete sie alles ehrlich. Es ging vorrangig darum, ob sie sich schon einmal zu jemandem hingezogen gefühlt hatte; ob sie dieses besondere Herzklopfen schon einmal gespürt hatte, wenn jemand in ihrer Nähe war, den sie besonders mochte; ob sie schon einmal einem Mann oder einer Frau auf diese besondere Weise nahe gekommen wäre. Nachdem Paracelsa alle Fragen beantwortet hatte, schien Kiki aber immer noch nicht zufrieden zu sein. Sie gab einen tiefen Seufzer von sich und änderte dann ihre Strategie: Anstatt nach Paracelsas bisherigen Erfahrungen und Gefühlen, fragte sie nun nach ihren Wünschen und Vorstellungen. Wollte sie eine eigene Familie haben? Wie sah ihr idealer Partner aus? Und vieles mehr in dieser Richtung. Doch wieder waren Paracelsas Antworten nicht befriedigend für Kiki, wie es aussah. Sie seufzte noch einmal so tief und begann schließlich zu erklären: Sie erzählte Paracelsa offen und ehrlich von ihren Gefühlen zu Sovara und wollte dann wissen, ob Paracelsa ebenso fühlte oder schon jemals so bei jemandem gefühlt hatte. Doch Paracelsa verneinte. Und sie fühlte sich inzwischen sichtlich unwohl. So ein intimes Gespräch hatte sie nicht erwartet.

Als Paracelsa den Wagen wieder verließ, fühlte sie sich wie durch die Mangel gedreht. Kiki hatte ihr sehr vieles erzählt, worüber sie nachdenken musste. Doch das wichtigste war für sie, dass Kiki ihr gesagt hätte, sie wäre mit ihrer Art zu fühlen nicht abnormal. Sie fühlte einfach anders als der Großteil der Männer und Frauen und das war auch in Ordnung. Das kam nicht allzu häufig vor, aber es war auch nichts ungewöhnliches. Wenn sie wirklich nicht in der Lage wäre genauso tief zu fühlen oder auch ein Verlangen entwickeln könnte, jemandem sehr nahe sein zu wollen, dann war das eben so. Sie sollte sich in dieser Hinsicht nicht mit anderen Vergleichen, weil nur sie selbst wirklich wusste was und wie sie fühlte. Was ihr aber wirkliches Kopfzerbrechen bereitete, war Kikis Kuss. Paracelsa hatte eine Umarmung oder etwas Ähnliches erwartet als sich Kiki zuerst vor sie hockte und ihr dann schließlich immer näher kam. Ihre linke Hand hatte sie in Paracelsas Nacken gelegt, die Rechte war an ihrem Kinn und hob es ein Stück an, sodass sie sich ansahen. Dann zog sie Paracelsa noch ein Stück zu sich. Kiki hatte dabei kein einziges Wort gesagt, sondern sie lediglich ernst angesehen. Und plötzlich spürte sie Kikis Lippen auf ihren. Als sich Kiki wieder von ihr löste, sah sie Paracelsa lange an. Ihr Blick war immer noch ernst und sie wollte von Paracelsa wissen ob es ihr gefallen hätte. Für Paracelsa war es durchaus nicht unangenehm, war sich aber auch diesmal nicht sicher, ob Kiki mit dieser Antwort zufrieden wäre. Doch Kiki fragte direkt danach, ob es Paracelsa besser gefallen hätte, wenn Ronan sie geküsst hätte. Paracelsa wurde rot, überlegte aber gründlich, bevor sie antwortete. Schließlich verneinte sie. Sie erklärte Kiki noch einmal, dass sie sich nicht sonderlich stark zu Ronan hingezogen fühlte. Und ein Kuss würde wahrscheinlich auch keine anderen Gefühle in ihr hervorrufen, als die, die sie jetzt hatte. Dann gestand sie noch, dass ihr auch niemand einfiel, der so tiefe Gefühle in ihr wecken könnte. Und auch, wenn ihr nicht klar war, wieso, schien Kiki dennoch verstanden zu haben. Sie versprach, dass sie gegenüber Paracelsa oder Ronan keine spitzen Bemerkungen mehr in dieser Richtung fallen lassen würde und gab Paracelsa noch mit auf den Weg, dass diese jederzeit zu ihr kommen könnte, wenn sie nicht wusste, wie sie mit bestimmten Empfindungen umgehen sollte.

Sie stolperte ganz in Gedanken versunken den Weg zu ihrem Wagen entlang. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie fast mit Ronan zusammen gestoßen wäre. Dieser hielt sie aber im letzten Moment noch an der Schulter fest und damit auch auf Abstand zu ihm. Erst, als Paracelsa gezwungen war anzuhalten, blickte sie aus ihren Gedanken gerissen auf. Ronan sah sie überrascht an und erkundigte sich auch sofort, ob bei Paracelsa alles in Ordnung wäre. Paracelsa schenkte ihm ein warmes Lächeln. Sie freute sich sehr ihn heute Abend doch noch zu sehen. Doch Ronan schien immer noch beunruhigt. Er hatte gesehen, dass sie aus Kikis Wagen gekommen war und befürchtete, dass am Abend etwas vorgefallen war. Paracelsa hatte alle Mühe ihn zu beruhigen und versicherte ihm wieder und wieder, dass sie nur mit Kiki geredet hatte. Es war kein Streit, aber dennoch müsse sie jetzt über einige Dinge nachdenken. Dann wollte sie ihren Weg eigentlich fortsetzten, umarmte Ronan aber stattdessen noch, bevor sie weiterging. Leise bedankte sie sich bei ihm dafür, dass er immer für sie da war und auch auf sie aufpasste. Als sie ihre Umarmung wieder löste, lächelte sie ihn noch einmal an und ging schließlich zu ihrem Wagen. Was diese Umarmung aber in Ronan ausgelöst hatte, erfuhr sie erst Jahre später.

Ihr Kopf hatte sich plötzlich sehr schwer angefühlt und sie war müde von den Ereignissen des Abends. Und die Frage, ob sie jemals in der Lage wäre, jemanden zu lieben, ließ sie einfach nicht los. Für sie hatte es bisher keine tiefere Liebe gegeben, als die zu ihren Eltern oder Freunden. Was also, wenn Kiki Recht hatte? Was, wenn Paracelsa keinerlei Gefühle wie diese aufbauen konnte?



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